Wir hatten angefangen, ein wenig Theologie zu treiben und haben mit deren Ursprüngen begonnen, den dogmatischen Quellen. Dazu haben wir uns ein Lehrbuch ausgesucht, das in „traditionalistischen“ Seminaren wie z.B. bei der „Piusbruderschaft“ verwendet wird, und zu unserem Erstaunen festgestellt, wie schlampig dort mit der Dogmatik umgegangen wird. Vieles wird verdreht, entstellt oder schlicht überlesen, und am Schluß kommt etwas heraus, was mit katholischer Theologie nichts mehr zu tun hat. Wir kehren deshalb zurück „ad fontes“ und lesen, was Diekamp weiter über das Kirchliche Lehramt ausführt, das er uns als „nächste und unmittelbare Glaubensregel“ vorgestellt hat. Auch wenn dies bei den „Traditionalisten“ nicht mehr gilt, für uns Katholiken ist und bleibt es die Wahrheit, und diese wollen wir nun weiter erforschen.
Der Papst als Träger der obersten kirchlichen Lehrgewalt
Im folgenden Paragraphen beschäftigt sich Diekamp mit dem „Träger der kirchlichen Lehrgewalt“, und hier zunächst: „Der Papst“. „Der Papst besitzt die oberste kirchliche Lehrgewalt; er ist in seinen Kathedralentscheidungen unfehlbar. De fide“ (S. 68). Diese Unfehlbarkeit ergibt sich notwendig aus der Aufgabe und Vollmacht des Papstes, die „ganze Herde Christi“ von der „giftigen Speise des Irrtums“ fernzuhalten und „mit der Nahrung der himmlischen Lehre“ zu nähren (Vatikanisches Konzil). „Diese Aufgabe und Vollmacht ist aber undurchführbar ohne das charisma veritatis et fidei nunquam deficientis (ib.)“, ohne das „Charisma der Wahrheit und des nie versagenden [!] Glaubens“. „Dem Wortlaut des Dogmas zufolge stellt die päpstliche Unfehlbarkeit ein streng persönliches Privileg des römischen Bischofs dar“, stellt Diekamp fest; „er kann sie daher in keiner Weise anderen Personen übertragen oder delegieren“ – auch nicht einem noch so „heiligmäßigen“ Erzbischof.
„Ganz unkirchlich ist die Auffassung der Gallikaner, die zwischen der Sedes Apostolica [dem Apostolischen Stuhl] und dem jeweiligen Sedens [dem darauf Sitzenden] unterschieden und nur der ersteren die Unfehlbarkeit zuerkannten: Der einzelne Papst sei zwar nicht unfehlbar, wohl hingegen der römische Stuhl, weil Gottes Vorsehung dafür sorge, daß ein dem Papste eventuell unterlaufener Irrtum alsbald richtiggestellt werde“ (ebd.). Es wundert uns nicht, diese „ganz unkirchliche“ Auffassung der Gallikaner in neuer Gestalt bei den modernen „Traditionalisten“ wiederzufinden, die sich einbilden, ein einzelner oder sogar einige mehrere Päpste könnten Irrtümer lehren, nicht aber die ganze Reihe der Päpste, weshalb sie sich gerne auf die „vergangenen Päpste“ gegen die aktuellen berufen und an „künftige Päpste“ appellieren, die deren Fehler wieder gutmachen werden.
Zu den „nicht unfehlbaren Akten der päpstlichen Lehrtätigkeit“ bemerkt Diekamp, diese legten „keine Glaubenspflicht auf; sie fordern keine unbedingte und endgültige Unterwerfung“. Diesen Satz haben die „Traditionalisten“ mit Freude gelesen und unterstrichen, den folgenden aber haben sie schlicht übersehen: „Aber Entscheidungen dieser Art sind doch, weil sie vom höchsten Lehrer der Kirche stammen und bedeutende natürliche und übernatürliche Bürgschaften ihrer Wahrheit besitzen, mit innerer, religiöser Zustimmung anzunehmen.“ Erst danach haben sie wieder weitergelesen: „Diese Pflicht kann nur in dem höchst seltenen Falle zu bestehen aufhören, daß jemand, der zu eigenem Urteil in der betreffenden Frage befähigt ist, nach wiederholter, gewissenhafter Prüfung aller Gründe zu der festen, wissenschaftlichen Überzeugung kommt, die Entscheidung müsse auf einem Irrtum beruhen“ (S. 69). In der Tat ein „höchst seltener Fall“, der in der Praxis kaum vorkommen dürfte, auch wenn sich so mancher bisweilen einbilden mag, zu „eigenem Urteil in der betreffenden Frage befähigt“ zu sein und besser als der Papst zu wissen, was man tun sollte oder hätte tun sollen. Für die „Traditionalisten“ ist dieser Ausnahmefall die Regel, und es braucht weder eine „wiederholte, gewissenhafter Prüfung aller Gründe“ noch eine „feste, wissenschaftliche Überzeugung“, sondern es reicht ihr „Glaubenssinn“, der sie ohne weiteres zu einem „eigenen Urteil in der betreffenden Frage befähigt“.
Die Bischöfe
Außer dem Papst sind als Träger des Lehramts zu nennen die Bischöfe. „Die Bischöfe sind als Nachfolger der Apostel Träger des kirchlichen Lehramtes. De fide“ (ebd.). Das Vatikanum erklärt: „Gleichwie Christus die Apostel sandte, sie er selbst vom Vater gesandt worden war (Joh. 20, 21), so hat er die Einsetzung der Bischöfe als Hirten und Lehrer in der Kirche angeordnet, damit die Gläubigen für immer in der Einheit des Glaubens und der Gemeinschaft erhalten werden (S. 4, Denz. 1821)“ (ebd.). Der Satz gilt also nur für Bischöfe, die im Besitz der entsprechenden Sendung und Hirtengewalt (Jurisdiktion) sind, nicht für einfache Weihbischöfe.
Diekamp fügt hinzu, worin sich die Lehrgewalt der Bischöfe von derjenigen der Apostel unterscheidet: „a) dadurch, daß nur die Apostel unmittelbar Augen- und Ohrenzeugen der in Christus vollendeten göttlichen Offenbarung waren, die Bischöfe hingegen das von den Aposteln her überlieferte Glaubensgut zu verkündigen und rein zu erhalten haben“ – anders als beim „II. Vatikanum“, wo die „Väter“ dachten, eine eigene neue „Geistoffenbarung“ empfangen zu haben –; „b) dadurch, daß der einzelne Bischof keine Sendung für die ganze Welt empfängt, wie die Apostel sie empfangen haben, sondern zur Ausübung seiner Amtsgewalt eine bestimmte Diözese oder einen bestimmten Personenkreis zugewiesen erhält“ – anders als so mancher „traditionalistische“ Weihbischof, der meint, eine weltweite „Jurisdiktion“ zu genießen –; „c) dadurch, daß der einzelne Bischof in seiner Glaubenspredigt und in seinen richterlichen Entscheidungen in Glaubenssachen nicht unfehlbar ist, wie es die Apostel waren“ – auch wenn sich mancher „Tradi“- und „Sede“-Bischof das einbilden mag oder seine Anhänger ihm derlei zuschreiben wollen, wie es beispielsweise bei Mgr. Lefebvre der Fall war (Monster Church).
Das allgemeine Konzil
Wohl aber gilt: „Die Gesamtheit der Bischöfe ist unfehlbar, wenn sie auf einem allgemeinen Konzil oder über den Erdkreis zerstreut eine Glaubenswahrheit verkündigt“ (ebd.). Hierzu wird ausgeführt: „Das allgemeine oder ökumenische Konzil ist eine Versammlung des ganzen Episkopates in Verbindung mit dem Papste zu gemeinsamer richterlicher Beschlußfassung in kirchlichen Angelegenheiten“ (S. 69-70). Dazu gehören folgende Eigenschaften: „a) Alle mit bischöflicher Jurisdiktion versehenen Bischöfe müssen eingeladen werden. b) Die Versammlung muß in ihrer Zusammensetzung einigermaßen den ganzen Episkopat darstellen; doch ist es nicht wesentlich, daß alle Bischöfe oder Bischöfe aus allen Ländern teilnehmen. c) Die Bischöfe haben auf dem Konzil die Aufgabe, die ihnen vorgelegten Angelegenheiten wahrhaft richterlich zu entscheiden“ (S. 70). Hinzu kommt als entscheidender Punkt: „d) Die versammelten Bischöfe müssen mit dem Papste in Verbindung stehen“ (ebd.).
„Diese Verbindung kommt zum Ausdruck α) darin, daß der Papst die Bischöfe zum Konzil einlädt oder wenigstens der von anderer Seite erfolgenden Einladung nicht widerspricht (alle allgemeinen Synoden des kirchlichen Altertums sind von den Kaisern einberufen worden); β) darin, daß der Papst persönlich oder durch seine Gesandten das Konzil leitet; γ) darin, daß er die Konzilsbeschlüsse bestätigt“ (ebd.). „Der letzte Punkt ist der wichtigste“, fügt Diekamp an, „denn erst die päpstliche Bestätigung macht die Beschlüsse rechtskräftig (C.I.C. 227). Wenn hinsichtlich der Berufung, Zusammensetzung oder Leitung die oben angegebenen Erfordernisse nicht erfüllt sind, wie es bei dem zweiten und fünften allgemeinen Konzil der Fall war, so kann der Papst einer solchen Bischofsversammlung nachträglich die Geltung eines allgemeinen Konzils verleihen. Hingegen das Fehlen der päpstlichen Bestätigung kann durch nichts ersetzt werden. Nicht ohne den Papst oder gar gegen ihn, sondern nur in unteilbarer Einheit mit ihm ist der Episkopat der ‚Lehrkörper‘ der Kirche“ (ebd.). Daraus folgt, daß das „II. Vatikanum“ zweifellos ein allgemeines oder ökumenisches Konzil der Kirche gewesen ist, wenn, ja wenn die „Päpste“, die es einberufen, durchgeführt und vor allem bestätigt haben, wahre Päpste gewesen sind. Dann aber gilt: „Die allgemeinen Konzilien sind in ihren Glaubensentscheidungen unfehlbar. De fide“ (ebd.). Das aber heißt, daß es nur zwei Möglichkeiten gibt: Entweder waren Roncalli und Montini, alias „Johannes XXIII.“ und „Paul VI.“, wahre Päpste, und somit das „II. Vatikanum“ ein ökumenisches Konzil, dessen Glaubenslehren unfehlbar sind und daher in keiner Weise kritisiert oder abgelehnt werden dürfen; oder sie waren keine Päpste, daher war das „II. Vatikanum“ kein ökumenisches Konzil und konnte grauenhafte Irrtümer verbreiten. Für eine der beiden Lösungen müssen wir uns entscheiden.
Der über den Erdkreis zerstreute Episkopat
Kommt hinzu: „Auch der über den Erdkreis zerstreute Episkopat in Verbindung mit dem Papste ist in seiner einmütigen Verkündigung des Glaubens unfehlbar. De fide nach Vat. 1.c., wo auch das magisterium ordinarium et universale Ecclesiae als Glaubensnorm hingestellt wird“ (S. 71). Dazu ist zu wissen: „Die ‚ordentliche‘ Lehrtätigkeit der einzelnen Bischöfe erfolgt teils im gewöhnlichen kirchlichen Unterricht oder dessen Überwachung, teils auf Provinzial-oder Diözesansynoden, in der richterlichen Stellungnahme zu Irrtümern, in liturgischen Büchern, Hirtenschreiben, Katechismen, Diözesangebetbüchern usw.“ (ebd.). Insbesondere die „von den Bischöfen und vor allem die vom Papste vorgeschriebenen liturgischen Bücher haben große Bedeutung für den dogmatischen Beweis“, denn die „in ihnen enthaltenen Gesetze, Riten und Gebete bezeugen den Glauben der Hirten wie des Kirchenvolkes“. „Die Lehre des Gesamtepiskopates erlangt, ebenso wie die päpstliche Kathedralentscheidung, ihre Unfehlbarkeit nicht infolge der Zustimmung der hörenden Kirche“, – die erst deren „Übereinstimmung mit der Überlieferung“ zu prüfen hätte –, „sondern besitzt sie aus sich selbst infolge des besondern göttlichen Beistandes, der die lehrende Kirche vor Irrtum schützt“ (S. 71-72; Hervorhebung von uns).
Wir werden also nicht umhinkommen, die „konziliaren Lehren“, wenn schon nicht aufgrund des „II. Vatikanums“, so doch aufgrund ihrer „einmütigen Verkündigung“ durch den „über den Erdkreis zerstreuten Episkopat in Verbindung mit dem Papste“ als „unfehlbar“ ansehen zu müssen, zumal sie obendrein das Zeugnis der „von den Bischöfen“ und vor allem „vom Papste vorgeschriebenen liturgischen Bücher“ des „Novus Ordo“ für sich haben als „dogmatischen Beweis“. Es sei denn… ja, es sei denn, wir sehen die „Konziliaren Päpste“ nicht für Päpste und daher den mit ihnen „in Verbindung“ stehenden „Episkopat“ nicht für den Episkopat der katholischen Kirche an – wie es tatsächlich der Fall ist und wie es uns der „Glaubenssinn“ auch unzweifelhaft bezeugt.
Gegenstand der kirchlichen Lehrgewalt
Kommen wir noch zum „Gegenstand der kirchlichen Lehrgewalt“: „Die kirchliche Lehrgewalt und ihre Unfehlbarkeit erstreckt sich auf die gesamte Offenbarungswahrheit und alles, was zu dieser in innerer Beziehung steht“ (S. 72). Bekanntlich ist es „die Aufgabe der Kirche“, d.h. des kirchlichen Lehramts, „die ihr anvertraute Wahrheit unverfälscht zu bewahren und der heilsbedürftigen Menschheit vorzulegen, damit deren Anschauung und Leben vollkommen von der göttlichen Wahrheit durchdrungen und nach ihr umgestaltet wird“ (ebd.). Daraus ergibt sich, daß „die Kirche im einzelnen über folgende Gegenstände unfehlbar urteilen können“ muß. Diese sind:
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„1. Die unmittelbar oder formell geoffenbarten Wahrheiten mit Einschluß der Schlußfolgerungen, deren sämtliche Prämissen unmittelbar geoffenbart sind.“ Dazu gehört z.B. die Schlußfolgerung, daß die seligste Jungfrau Maria die Mutter Gottes ist, denn es ist „unmittelbar geoffenbart“, daß Jesus Christus gleichzeitig wahrer Gott und wahrer Mensch ist, und ebenso, daß Maria Seine Mutter ist. Somit ist sie Gottesgebärerin, Mutter Gottes. „Durch die unfehlbare Lehrverkündigung der Kirche werden diese Wahrheiten zu eigentlichen Dogmen, die fide divina et catholica geglaubt werden müssen.“ So geschehen etwa auf dem Konzil von Ephesus, welches die Wahrheit von Maria als Gottesgebärerin dogmatisiert hat. Dabei ist allerdings zu beachten, „daß nicht nur jene Wahrheiten fide divina geglaubt werden müssen, welche durch einen förmlichen und feierlichen Richterspruch der Kirche deklariert, sondern auch jene Wahrheiten, welche klar und ausdrücklich von dem kirchlichen Lehramte durch seine ordentliche und allgemeine Lehrtätigkeit als von Gott geoffenbarte Wahrheiten uns zu glauben vorgestellt werden“ (Wetzer und Welte’s Kirchenlexikon, Bd. 3, Sp. 1881). Denn wie wir gesehen haben, ist auch das ordentliche Lehramt unfehlbar.
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„2. Die mittelbar oder virtuell geoffenbarten Wahrheiten, d.h. jene theologischen Schlußfolgerungen, deren Prämissen nur zum Teil unmittelbar geoffenbart sind, zum anderen Teil hingegen aus natürlichen Vernunftwahrheiten oder Erfahrungstatsachen bestehen“ (Diekamp a.a.O.). Dazu gehört z.B., daß Christus eine vollkommene menschliche Seele hatte. Denn aus der Offenbarung wissen wir, daß er wahrer Mensch und wahrer Gott ist, aus der Vernunft oder Erfahrung aber, daß jeder Mensch eine menschliche Seele hat, die nun bei Ihm, da Er der Gottmensch ist, vollkommen sein muß. Auch über diese Art von Schlußfolgerungen kann die Kirche ein unfehlbares Urteil abgeben, „weil sie mit dem Glaubensgut in so engem Zusammenhang stehen, daß dieses ohne sie nicht unversehrt bewahrt, richtig erklärt und zum Heil der Seelen allseitig fruchtbar gemacht werden kann“ (S. 72-73). Deshalb stand die Kirche nicht an, beispielsweise den Monotheletismus zu verurteilen.
„Facta dogmatica“
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„3. Die dogmatischen Tatsachen (facta dogmatica). Dies sind im allgemeinen Tatsachen, die nicht geoffenbart, aber so eng mit dem Dogma bzw. mit seiner authentischen Verkündigung verknüpft sind, daß dieses nicht zweifellos anerkannt und wirksam verteidigt werden kann, wenn jene Tatsachen nicht feststehen, z.B. die Rechtmäßigkeit eines bestimmten Papstes oder eines bestimmen Konzils“ (S. 73). Daraus hat man bisweilen den „Sedisvakantisten“ einen Strick zu drehen versucht, indem man ihnen vorwarf, sie würden unfehlbare „facta dogmatica“ leugnen, indem sie den Papst oder ein Konzil ablehnten. Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Gerade jene, die vielleicht nominell „Papst“ und „Konzil“ anerkennen, sie jedoch in keiner Weise wie Papst und Konzil behandeln, ja so weit gehen zu sagen, mann wisse nicht, jedenfalls nicht mit „hundertprozentiger Sicherheit“, ob sie es seien, doch gelte im Zweifel „melior est conditio possidentis“ – gerade sie leugnen die Unfehlbarkeit der „facta dogmatica“. Für die „Sedisvakantisten“ stehen als „facta dogmatica“ unfehlbar fest, daß das „II. Vatikanum“ kein Konzil der Kirche war und die „konziliaren Päpste“ keine Nachfolger Petri sein können. „Als factum dogmaticum im engeren Sinne bezeichnet man die Tatsache, daß ein bestimmter nicht inspirierter Text oder ein nicht inspiriertes Buch eine bestimmte rechtgläubige oder irrgläubige Lehre enthält“, weiß Diekamp noch zu ergänzen (ebd.). Dies ist sicherlich ein wichtiger Punkt, denn sonst wüßten wir nicht, welchen Texten wir vollkommen vertrauen können und welchen nicht.
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„4. Jene Vernunftwahrheiten, die mit Glaubenswahrheiten innerlich zusammenhängen, selbst aber nicht geoffenbart sind, z.B. der genaue Sinn von Ausdrücken, in denen ein Dogma verkündigt wurde (Natur, Person, Spezies, Materie, Form), philosophische Sätze über die Natur und Tragweite unseres Erkennens. Irrtümer in diesen Punkten bewirken sofort eine Verdunkelung oder Entstellung des Glaubensgutes. Deshalb hat die Kirche, wie das Vatikanum erklärt, ‚von Gott her das Recht und die Pflicht, die fälschlich so genannte Wissenschaft zu ächten [1 Tim. 6, 20], damit niemand durch Philosophie und leeren Trug sich täuschen lasse‘ [Kol. 2, 8] (S. 3 cp. 4, Denz. 1798…)“ (ebd.). Philosophie und Wissenschaft genießen keineswegs vollständige Freiheit, sondern sind bei aller Eigenständigkeit ebenso an die Vorgaben der ewigen Wahrheit gebunden. Wo sie mit der geoffenbarten Wahrheit in Widerspruch stehen, steht es der Kirche zu, sie zurecht- und in ihre Schranken zu weisen.
Die Unfehlbarkeit von „allgemein verpflichtenden kirchlichen Gesetzen“ und Heiligsprechungen
An fünfter Stelle nennt Diekamp die „Festsetzung der theologischen Gewißheitsgrade und Zensuren“ (S. 74), die uns hier weniger interessieren. Er fügt aber noch einige Punkte hinzu, die zwar „von geringerer Bedeutung für die Dogmatik“ sind, für uns jedoch gerade in der Auseinandersetzung mit dem „Traditionalismus“ von großer Bedeutung, nämlich daß die „Unfehlbarkeit der Kirche“ sich „auch auf die allgemein verpflichtenden kirchlichen Gesetze, die feierliche Bestätigung kirchlicher Orden und die Kanonisation der Heiligen erstreckt“ (S. 76). Was zunächst die „allgemeinen Kirchengesetze“ betrifft, so ist zu bedenken: „Das höchste kirchliche Lehr- und Hirtenamt kann niemals der ganzen Kirche etwas vorschreiben, was der Lehre Christi oder dem natürlichen Sittengesetz bzw. dem Naturrecht widerstreitet“ (ebd.). Diesen Satz sollte man mit goldenen Lettern einprägen und jedem „Traditionalisten“ an die Wand seines Studierzimmers kleben (wenn er ein solches überhaupt hat). „Daß gelegentlich ein allgemeines Kirchengesetz unzweckmäßig sei“ – oder aufgrund veränderter Verhältnisse seine Zweckmäßigkeit einbüße –, „ist nicht völlig ausgeschlossen, wohl aber, daß es etwas in sich Böses befehle.“ Denn die Kirche „würde ja durch eine bindende Anordnung dieser Art praktisch den Irrtum verkündigen, daß Gott Böses von uns verlange oder daß uns Böses zur Erreichung unseres letzten Zieles verhelfe“ (ebd.). Es ist somit nicht denkbar, daß uns Konzil oder Papst eine Liturgie vorschreiben, die ein „für den Glauben schädliches Gift“ enthielte, oder daß der Papst ein Kirchenrecht erläßt, das auch nur in einem Punkt „der Lehre Christi oder dem natürlichen Sittengesetz bzw. dem Naturrecht widerstreitet“ und somit abgelehnt werden müßte.
Die Kirche muß ferner „in der feierlichen Bestätigung kirchlicher Orden unfehlbar sein, weil sie den Gläubigen dadurch eine besondere Lebensweise als sicheren Weg zur Vollkommenheit empfiehlt“, und es „durch den besonderen Beistand, der dem kirchlichen Lehramt niemals fehlt, ausgeschlossen bleiben“ muß, „daß der Papst eine Gesellschaft feierlich als Orden approbiert, deren Satzungen dem Glauben oder den guten Sitten widersprechen“ (ebd.). Was seit dem „II. Vatikanum“ so alles an „geistlichen Gemeinschaften“ bestätigt worden ist – darunter die „Piusbruderschaft“ – läßt zweifelsfrei erkennen, daß der „Konziliaren Kirche“ diese Unfehlbarkeit mangelt.
Dasselbe gilt für die „Kanonisation der Heiligen“. Diese ist „das letzte und endgültige Urteil der Kirche darüber, daß jemand zu den Heiligen des Himmels zählt und in der ganzen Kirche als heilig zu verehren ist“ (S. 77). Diekamp bemerkt dazu: „Die meisten Theologen halten die feierliche Heiligsprechung mit Recht für unfehlbar.“ Denn: „Wenn die Kirche von Gott verworfene Menschen zur Nachahmung und Verehrung aufstellte, würde sie ja ihr eigenstes Wesen und ihre Bestimmung, die Menschen zur Heiligkeit zu führen, verleugnen, und es wäre zweifellos ein Triumph der Hölle, wenn ein ihr verfallener Mensch für heilig erklärt und kultisch verehrt würde“ (ebd.). Er zitiert den heiligen Thomas von Aquin, für den die Verehrung der Heiligen „ein gewisses Glaubensbekenntnis“ darstellt, weshalb er schließt, man müsse „fromm glauben, daß auch hierin das Urteil der Kirche nicht fehlgehen“ könne. Mit dieser Lehre haben die „Piusbrüder“ bekanntlich ihre liebe Not und widersprechen, ungeachtet ihres „Thomismus“, auf den sie doch so stolz sind, ungeniert dem heiligen Thomas, den „meisten Theologen“ und ihrem eigenen Standardlehrbuch, wenn sie behaupten, Heiligsprechungen seien nicht unfehlbar, und das nur deshalb, um trotz ihrer Ablehnung höchst unheiliger „Heiliger“ der „Konziliaren Kirche“, wie etwa dem „heiligen Johannes XXIII.“, dem „heiligen Paul VI.“, dem „heiligen Johannes Paul II.“ oder dem „heiligen Escrivà“, trotzdem daran festhalten zu können, daß es sich bei dieser „Kirche“, die uns solche Menschen „zur Nachahmung und Verehrung aufstellt“, um die Kirche Christi handle. Was für ein „Triumph der Hölle“!
Die Form der kirchlichen Lehrurteile
Was die „Form der kirchlichen Lehrurteile“ betrifft, so ist die Kirche „in ihren Lehrurteilen an keine bestimmte Form gebunden“, so Diekamp in § 20 (ebd.). „Ein kirchliches Urteil ist jedoch nur dann als unfehlbar anzusehen, wenn sein Wortlaut deutlich zu erkennen gibt, daß eine endgültige, die ganze Kirche zum Glauben verpflichtende Entscheidung beabsichtigt wurde. Eine solche liegt insbesondere vor, wenn das lehramtliche Urteil die Form eines Anathematismus oder Kanons hat (in alter Zeit auch (…) capitulum genannt), in welchem die Anhänger einer genau bezeichneten Lehre mit dem Anathem belegt und dadurch die Lehre selbst als häretisch verdammt wird“ (ebd.). Das ist so ziemlich das einzige, was „Traditionalisten“ als unfehlbar und Dogma anerkennen.
„Aber auch ohne Anathem, in einfacher positiver Darlegung kann die Kirche unfehlbare Erklärungen abgeben“, gibt Diekamp zu bedenken. „Man muß jedoch zwischen der eigentlichen Entscheidung und etwa beigefügten Beweisen und Erläuterungen unterscheiden; nur für die Lehrentscheidung selbst nimmt die Kirche Unfehlbarkeit in Anspruch“ (S. 77-78). Eine solche Unterscheidung ist freilich nicht Sache jedes einzelnen Gläubigen, sondern des Lehramts und der Theologie. Im übrigen sind, wie wir oben gehört haben, auch „nicht unfehlbare Akte der päpstlichen Lehrtätigkeit“ mit „innerer, religiöser Zustimmung anzunehmen“. Die „Traditionalisten“-Gleichung: „Es ist kein Anathema, also kein Dogma, also nicht unfehlbar, also brauche ich mich nicht daran zu halten“, geht nicht auf.
Fazit
Überblicken wir diese katholische Lehre über die Quellen der Dogmatik, so müssen wir feststellen, daß diese Quellen bei den „Traditionalisten“ sehr getrübt sind, zumal sie die wichtigste Quelle, das kirchliche Lehramt, beiseite gesetzt haben. Aus dem, was sie davon übrig lassen, fließt ein schlammig-breiiges Etwas, das sie „Theologie“ nennen mögen, das aber in Wahrheit nur eine pseudo-theologische Bemäntelung ihrer Ideologie ist. Der hochwürdige Père Barbara sprach in diesem Zusammenhang von „Unsinn in der Lehre“ und stellte fest, „die Lehre, d.h. der Glaubensschatz der Wahrheit, welche Jesus Christus seiner Kirche hinterließ“, werde von den „Traditionalisten“ nur „in Anspruch genommen, um als willkommenes Werkzeug eine fest angenommene Haltung im nachhinein zu rechtfertigen“. „Dann könnte man auch sagen, dass die heilige Lehre faktisch als Ideologie behandelt wird, im Sinne von einem formell schlüssigen Wortsystem, das nicht die Wirklichkeit bedeuten sollte, sondern sie auslegen mit der Absicht, sie zu verändern.“
Den „Traditionalisten“ geht es nicht um Theologie, sondern um Propaganda. Es fehlt ihnen das entscheidende Merkmal, das die Grundlage jeder echten Wissenschaft und a fortiori der Theologie ist: die Liebe zur Wahrheit. Gott ist die Wahrheit. Jeder wahren Wissenschaft geht es letztlich um die Wahrheit. Die Theologie aber ist die Wissenschaft von Gott, der Erstwahrheit selber. Nur wer der Liebe zur Wahrheit treu bleibt, schöpft aus den reinen Quellen der Offenbarung die wahre Theologie.