Wir haben dem Privatdozenten Dr. Neidhart gelauscht, wie er den Studenten im Priesterseminar zu Wigratzbad den „Sedisvakantismus“ erklärt. Dazu hat er zunächst über die „Unfehlbarkeit des Papstes“ gehandelt und über den „Papa haereticus“. Nun ist die Pause zu Ende, und flugs begeben wir uns wieder in den Hörsaal, um der Vorlesung weiter zu folgen und endlich akademische Klarheit über diese „Sedisvakantisten“ zu erlangen.
„Problematische Päpste“
In der Vorlesung des Herrn Dozenten ist nun „ein Blick auf die Geschichte angebracht, um zu sehen, ob und wenn ja in welcher Häufigkeit es überhaupt Päpste gegeben hat, auf die der genannte Grundsatz angewendet werden könnte“. Damit kommt er zu seinem dritten Punkt, überschrieben „Problematische Päpste von Petrus bis Franziskus“. Allein das ist schon blasphemisch, den heiligen [!] Petrus und „Franziskus“ in einem Atemzug zu nennen, und es erinnert uns sehr an die „Problempäpste“, von denen in einer Broschüre eines „Pius“-Paters einmal die Rede war. Auch gemahnt es uns an die protestantischen „Magdeburger Centuriatoren“ und ihre Epigonen, welche die Kirche und das Papsttum bekämpften und über die der Dogmatiker J.B. Heinrich schreibt: „Was nun die angeblichen Irrtümer und Häresien der Päpste betrifft, so haben die Magdeburger Centuriatoren deren, von der Verleugnung Petri angefangen, eine große Menge angeführt, die teilweise von den Gallikanern und Jansenisten reproduziert wurden“ (vgl. Kirchengeschichte oder Lügengeschichten). Werden sie nun auch von Herrn Neidhart „reproduziert“?
Für den Dozenten waren „wohl etwa ein Drittel aller Päpste mehr oder weniger problematisch“. Das ist eine erstaunlich hohe Anzahl. Im gut katholischen „Volkskatechismus“ von Spirago lesen wir: „Es gab 11 Päpste, deren Leben nicht makellos war; doch werden deren Fehler übertrieben.“ Wenn das „ein Drittel aller Päpste“ war, hätte es nicht mehr als 33 Päpste gegeben. Tatsächlich hatten wir bislang jedoch gut 260 Päpste, von denen etwa 80 (ein gutes Drittel!) als Heilige verehrt werden. Um auf seine Zahl zu kommen, unterscheidet Neidhart „drei Arten problematischer Päpste“, nämlich erstens „Päpste mit moralischem Fehlverhalten“, zweitens „Päpste, die unheilvolle kirchenpolitischen [sic!] Entscheidungen trafen“, und drittens „Päpste, die Irrlehren vertraten oder förderten“. Damit hat er das Feld der „problematischen“ Päpste weit genug gespannt, wie er glaubt, um genügend davon in seinem Netz zu fangen.
„Problematisch“ sind nicht die Päpste, sondern die Beispiele
Dennoch ist das einzige Beispiel, das er für die erste Kategorie nennen kann – wie könnte es anders sein? –, Papst Alexander VI. Mehr Beispiele sind ihm schon für die zweite Kategorie eingefallen, nämlich außer Clemens V., der den Templerorden auflöste und seinen „Sitz nach Avignon“ verlegte, „beides, um den Wünschen König Philipp des Schönen zu entsprechen“, und Clemens XIV., der „den damals papsttreuen und missionarisch erfolgreichen Jesuitenorden“ auflöste, „weil dieser bei den politisch Mächtigen unbeliebt geworden war“; außer diesen beiden also Papst Martin IV., welcher angeblich „die 1272 wiedergewonnene Einheit mit der Ostkirche“ auflöste, indem er den Kaiser exkommunizierte, „um den von ihm begünstigten weltlichen Herrscher Karl von Anjou einen Kreuzzug gegen Konstantinopel zu ermöglichen“. „Problematisch“ finden wir weniger die genannten Päpste als vielmehr die Beurteilung ihrer „kirchenpolitischen Entscheidungen“, die in der Tat etwas komplexer waren, als sie uns hier offeriert werden. Wie kompliziert sich die Dinge beispielsweise bei der Aufhebung des Jesuitenordens in Wahrheit verhielten, kann man hier nachlesen: Die Aufhebung des Jesuitenordens 1 und 2. Wir jedenfalls wären sehr vorsichtig mit unserem Urteil.
In Kategorie drei begegnen uns die zu erwartenden sattsam bekannten üblichen Requisiten aus der Mottenkiste der Papstgegner: Papst Honorius I., der „Partei für den Monotheletismus“ ergriffen haben soll, und natürlich Johannes XXII., der „die schon vor dem Weltgericht einsetzende beseligende Gottesschau der Heiligen im Himmel“ geleugnet und „seinen Irrtum erst auf dem Totenbett“ widerrufen habe. So oft dieser Unsinn schon widerlegt worden ist, die Lügenmärchen lassen sich halt nicht ausrotten. Wir verweisen noch einmal auf unseren Beitrag Kirchengeschichte oder Lügengeschichten. Das soll hier genügen. Wer mehr dazu wissen will, sei auf eine Broschüre mit dem Titel „Problempäpste“ verwiesen, die derzeit in Vorbereitung ist und über unsere Vereinshomepage zu bestellen sein wird.
Von Petrus zu „Franziskus“
Doch Neidhart läßt es nicht dabei bewenden, sondern findet neben „diesen besonders drastischen Beispielen“ „zumindest einige mehr oder weniger problematische Aspekte in fast allen Pontifikaten, angefangen von dem des ersten Papstes, des hl. Apostels Petrus“, und an dieser Stelle kommt – wir hätten darauf wetten können – natürlich sofort der „Antiochenische Zwischenfall“, jene Begebenheit, als der heilige Paulus den heiligen Petrus tadelte, weil dieser den Judenchristen zuliebe die Tischgemeinschaft mit den Heidenchristen aufgegeben hatte. Auch diese Geschichte ist uns schon seit den „Magdeburger Centuriatoren“ wohlbekannt und wurde noch von allen Feinden der Kirche und Gegnern des Papsttums ausgeschlachtet, bis hin zu den modernen „Traditionalisten“. So weiß auch Neidhart: „Auf diese Schriftstelle beruft sich besonders die Pius-Bruderschaft, die der Auffassung ist, dass moderne Päpste in ähnlicher Weise in Verhalten und Lehre von der Tradition abweichen wie damals zeitweise der hl. Petrus, und die daher nach dem Motto vorgeht: ‚recognize and resist‘ (erkenne die Päpste an, aber widerstehe ihnen, wenn sie falsch entscheiden).“ Wir wollen darauf nicht weiter eingehen, weil schon genug dazu gesagt wurde. Nur kurz, was der Bibel-Kommentar zu sagen hat: Demnach tadelte der heilige Paulus den heiligen Petrus „wegen seines Verhaltens“ – nicht wegen „Verhalten und Lehre“. „Damit ist aber nicht gesagt, daß Petrus gesündigt habe.“ „Der Fehler lag im Wandel, nicht in der Lehre (Tertullian).“
Der Gipfel der Lästerung und Sophisterei ist erreicht, als Neidhart nun vom heiligen Apostelfürsten Petrus nahtlos zu „Papst Franziskus“ übergeht, „der ebenfalls von vielen als problematischer Papst wahrgenommen und kritisiert worden ist“ und mit einigen „seiner lehrmäßigen Äußerungen auf zum Teil scharfe Kritik“ gestoßen sei, so z.B. mit der „Abu-Dhabi-Erklärung“ und „Amoris Laetitia“ – als handle es sich bei den gottlosen Taten dieses Apostaten um eine Fortsetzung des unglücklichen Verhaltens des heiligen Petrus beim „Antiochenischen Zwischenfall“. Doch meint Neidhart beschwichtigend, daß man „auch, wenn man manche Worte und Entscheidungen des Papstes bedauert“, die „Tatsache nicht außer Acht lassen“ dürfe, „dass Papst Franziskus in keinem Fall irgend eine Lehre (also auch keine Irrlehre) dogmatisiert hat und auch kein Dogma ausdrücklich, offiziell und auf Anfrage klar geleugnet hat, was aber, wie oben erläutert, sehr wahrscheinlich die notwendige Voraussetzung für eine kanonische Selbstabsetzung des Papstes ist“. „Daher dürfte eine solche Selbstabsetzung nicht erfolgt sein, und Franziskus ist trotz aller Bedenken weiterhin amtierender Papst.“
Da sind wir aber beruhigt. Bergoglio kann demnach sagen und machen was er will, er kann so viele offenkundige Häresien verkünden, wie er will, wir finden immer einen Schlupfwinkel, um ihn vor der „Selbstabsetzung“ zu bewahren und, mehr noch, ihn ganz einfach in die illustre Gesellschaft der „problematischen Päpste“ einzureihen, zu denen eigentlich, recht besehen, vom heiligen Petrus angefangen, die gesamte Riege seiner Nachfolger, selbst die heiligsten, gehören. „Papst Franziskus“ ist somit eine recht gewöhnliche Erscheinung, nicht viel anders als der heilige Petrus und viele andere, darunter heilige, Päpste auch, und doch macht nach Ansicht Neidharts sein Beispiel „deutlich, warum das Thema des ‚häretischen Papstes‘ derzeit sehr große Aktualität erlangt hat“. Das verstehen wir nicht ganz, denn wenn derlei „Problempäpste“ eher die Regel als die Ausnahme sind, ist nicht einzusehen, warum in diesem Fall das Thema eine besondere „Aktualität erlangt“ haben sollte.
Der „Sedisvakantismus“
Wie auch immer. Ohne Umschweife kommt der Dozent jetzt zu seinem vierten Punkt, um den es eigentlich geht, den „Sedisvakantismus“. „Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–1965) und der anschließenden Liturgiereform (1969/70)“, so meint er zu wissen, „werfen die ‚sedisvakantistischen Traditionalisten‘ der ‚Konzilskirche‘ Irrtümer und Häresien vor (besonders Religionsfreiheit, Ökumenismus, und Einführung des Novus Ordo für die Liturgie), und betrachteten das Konzil und alle oder einige nachkonziliaren Päpste (Joh. XXIII., Paul VI., Joh. Paul I., Joh. Paul II., Benedikt XVI., Franziskus; und teils auch schon den letzten vorkonziliaren Papst Pius XII.) als Häretiker und illegitime Scheinpäpste; sie glauben, der Stuhl Petri sei seit langem vakant (so lange wie noch nie zuvor), und sprechen deshalb von einer außerordentlichen Sedisvakanz.“ Dabei gebe es „verschiedene Auffassungen unter den Sedisvakantisten“.
Da stehe der „Sedisprivationismus“, wie ihn Michel Guérard des Lauriers und das „Institut Mater Boni Consilii“ vertreten, „versus ‚harter‘ Sedisvakantismus“ à la Joaquin Sáenz Arriaga, die „mögliche Sedisvakanz“ (z.B. Bruderschaft St. Pius V.) stünde „versus definitive Sedisvakanz“ (CMRI etc.). Ferner gebe es „verschiedene Auffassungen über den Beginn der außerordentlichen Sedisvakanz“, die von „1939 (Wahl von Papst Pius XII.)“ über „1958 (Wahl von Papst Johannes XXIII.)“, „1963 (Wahl von Papst Paul VI.)“ und „1965 (Anerkennung der Religionsfreiheit durch Paul VI.)“ bis „2013 (Wahl von Papst Franziskus)“ oder gar „2023 (Tag nach dem Tod von Papst Benedikt XVI.)“ reichen. Am „einflussreichsten“ indes scheine „in sedisvakantistischen Kreisen die Meinung sein, es gäbe seit 1958 eine harte und definitive Sedisvakanz, und darüber hinaus seien die nach der Liturgiereform vorgenommenen Weihen ungültig, so dass nicht nur alle nachkonziliaren Päpste, sondern auch die meisten Bischöfe und Priester Schein-Geistliche seien; fast die gesamte Hierarchie bestehe demnach aus häretischen und zudem ungültig geweihten Amtsträgern“. Das ist blanker Unsinn. Denn wenn fast alle „häretisch und zudem ungültig geweiht“ sind, dann sind sie überhaupt keine „Amtsträger“ und keine „Hierarchie“ mehr. Eben das ist in der „Konziliaren Kirche“ der Fall.
„Manche Anhänger des Sedisvakantismus“, munkelt der Privatdozent weiter, grenzten sich „nicht nur entschieden von allen katholischen Gläubigen und Gemeinschaften ab, die den Novus Ordo und das Zweite Vatikanum voll akzeptieren“ und zu denen er interessanterweise die „Petrusbruderschaft“ rechnet, „sondern auch von nicht-sedisvakantistischen Kritikern des Novus Ordo und des Zweiten Vatikanums, also z.B. von der Piusbruderschaft (mit ihrem Motto recognize and resist)“. Das liegt ja wohl in der Natur der Sache, daß sich „Sedisvakantisten“ von „Nicht-Sedisvakantisten“ „abgrenzen“. „Statt einer Hermeneutik der Kontinuität vertreten diese Sedisvakantisten – hier in Übereinstimmung mit den Modernisten – eine Hermeneutik des Bruchs, und meinen zugleich, einem echten Papst dürfte man nicht widerstehen, sondern müsse ihm stets gehorchen (recognize, not resist).“ Was für Spitzbuben! Wie wir nicht müde werden zu wiederholen, hat auch Ratzinger, den man gemeinhin für den Urheber „einer Hermeneutik der Kontinuität“ hält, niemals von „einer Hermeneutik der Kontinuität“ gesprochen, sondern von einer „Hermeneutik der Reform“. (Dazu unten mehr.) Neidhart hält es für nötig noch hinzuzufügen: „Keine Sedisvakantisten sind übrigens diejenigen Gruppen, die bereits einen neuen Papst gewählt haben (die sog. Konklavisten) oder die glauben, dass Gott auf mystische Weise ohne Konklave ein neues Papsttum eingesetzt hat (die sog. Mystizisten).“ Na logisch, denn diese „Gruppen“ haben ja einen „Papst“ und daher keine „Sedisvakanz“, ebenso die „Konziliare Kirche“, die so gesehen zu den „Konklavisten“ gehört.
Die „Hermeneutik der Reform“
„Abschließend“ will uns der Privatdozent „die wichtigsten Argumente pro und contra Sedisvakantismus“ erörtern, und da sind wir besonders gespannt. Das erste „Argument für die außerordentliche Sedisvakanz“, das Neidhart päsentiert, ist „die Verkündigung eines falschen Dogmas durch Papst und Konzil“. Das „Zweite Vatikanum“, so werde behauptet, widerspreche „der Tradition“, „wie es die sog. ‚Hermeneutik des Bruchs‘“ auffasse. Als Beispiel werde genannt die „Religionsfreiheit“, die 1864 von Papst Pius IX. verurteilt, vom „Zweiten Vatikanum“ und „Papst Paul VI.“ jedoch 1965 gefordert worden sei. Wir wüßten allerdings niemanden, der die „Religionsfreiheit“ des „II. Vatikanums“ als „Dogma“ bezeichnet hätte, auch nicht als falsches. Aber egal. In seiner „Stellungnahme“ bevorzugt Herr Neidhart gegenüber der „Hermeneutik des Bruchs“ die „Hermeneutik der Kontinuität“. Wenn er schon Ratzingers Begrifflichkeit verwendet, dann hätte er ihn wenigstens genauer studieren sollen. Denn Ratzinger spricht nicht, wie wiederholen: NICHT von einer „Hermeneutik der Kontinuität“, sondern setzt der „Hermeneutik der Diskontiuität“ die „Hermeneutik der Reform“ entgegen, die ganz etwas anderes ist. Diese nämlich enthält nach dem gewieften Dialektiker Ratzinger beides: die „Diskontinuität“ und die „Kontinuität“.
„Der Hermeneutik der Diskontinuität steht die Hermeneutik der Reform [!!] gegenüber, von der zuerst Papst Johannes XXIII. in seiner Eröffnungsansprache zum Konzil am 11. Oktober 1962 gesprochen hat und dann Papst Paul VI. in der Abschlußansprache am 7. Dezember 1965.“ So lauteten die berühmten Worte von „Papst Benedikt XVI.“ bei seiner legendären „Ansprache an das Kardinalskollegium und die Mitglieder der römischen Kurie beim Weihnachtsempfang“ am 22. Dezember 2005. Drei „Fragenkreise“ hätten sich gebildet gehabt, so der kundige „Theologenpapst“ und „Mozart der Theologie“, auf welche das „II. Vatikanum“ zu antworten hatte. Einer dieser „Fragenkreise“ sei „das Verhältnis von Kirche und modernem Staat“ gewesen, das neu „bestimmt werden“ mußte, da es sich bei „einem Staat, der Bürgern verschiedener Religionen und Ideologien Platz bot, sich gegenüber diesen Religionen unparteiisch verhielt und einfach nur die Verantwortung übernahm für ein geordnetes und tolerantes Zusammenleben der Bürger und für ihre Freiheit, die eigene Religion auszuüben“, wohl um ein völlig neues und unbekanntes Phänomen handelte (als ob das nicht genau jener religiöse Indifferentismus wäre, den die Päpste stets zurückgewiesen hatten). Das ist die Frage der „Religionsfreiheit“, und mit ihr „war drittens ganz allgemein das Problem der religiösen Toleranz verbunden – und das verlangte eine Neubestimmung des Verhältnisses von christlichem Glauben und Weltreligionen“, das offensichtlich nach zwei Jahrtausenden auch noch nicht geklärt war.
Bei dieser „Neubestimmung“ sei es „klar, daß in all diesen Bereichen, die in ihrer Gesamtheit ein und dasselbe Problem darstellen, eine Art Diskontinuität entstehen konnte und daß in gewissem Sinne tatsächlich eine Diskontinuität aufgetreten war“. Ratzinger kommt nicht umhin zuzugeben, daß das „II. Vatikanum“ etwas anderes lehrte als das, was bis dahin die Lehre der Kirche war. Aber natürlich nur „in gewissem Sinn“, denn es stellte sich „heraus, daß, nachdem man zwischen verschiedenen konkreten historischen Situationen und ihren Ansprüchen unterschieden hatte, in den Grundsätzen die Kontinuität nicht aufgegeben worden war – eine Tatsache, die auf den ersten Blick leicht übersehen wird“. Wahrhaft! Wie konnten wir das bisher nur übersehen? „Wir“, damit meint er die „Konziliare Kirche“, mußten lernen „zu verstehen, daß die Entscheidungen der Kirche in bezug auf vorübergehende, nicht zum Wesen gehörende Fragen – zum Beispiel in Bezug auf bestimmte konkrete Formen des Liberalismus oder der liberalen Schriftauslegung – notwendigerweise auch selbst vorübergehende Antworten sein mußten, eben weil sie Bezug [ein bißchen viel „Bezug“ vielleicht, mal klein, mal groß geschrieben] nahmen auf eine bestimmte in sich selbst veränderliche Wirklichkeit“. „Man mußte lernen, zu akzeptieren, daß bei solchen Entscheidungen nur die Grundsätze den dauerhaften Aspekt darstellen, wobei sie selbst im Hintergrund bleiben und die Entscheidung von innen heraus begründen.“ Kurz, man (wer ist „man“?) mußte „lernen“, die Wahrheit der „veränderlichen Wirklichkeit“ anzupassen. „Man“ (die „Kirche“?) mußte lernen, daß „man“ (das kirchliche Lehramt?) nur „vorübergehende Antworten“ geben kann, in deren „Hintergrund“ sich irgendwelche „Grundsätze“ verbergen, die „die Entscheidung von innen heraus begründen“ und daher wohl schwer zu fassen sind. Die „konkreten Umstände, die von der historischen Situation abhängen und daher Veränderungen unterworfen sein können“, seien „nicht ebenso beständig“ wie die „Grundsätze“, und so könnten „die grundsätzlichen Entscheidungen ihre Gültigkeit behalten, während die Art ihrer Anwendung auf neue Zusammenhänge sich ändern kann“. Raffiniert, gell?!
Anwendung auf die Religionsfreiheit
Prüfen wir kurz. Daß Prinzip und Anwendung zu unterscheiden sind, haben wir oben bei der „Todesstrafe“ schon gesehen. Die „Erlaubtheit der Todesstrafe als ultima ratio“ ist das unveränderliche Prinzip, doch ob man sie anwenden soll, ist eine Frage der Umstände und der Klugheit. Man kann durchaus die Ansicht vertreten, daß die Entwicklungen im Strafvollzug die Todesstrafe heute überflüssig machen. Und wenn man bedenkt, in welchen Händen die Verhängung dieser Strafe heute läge, sollte man besser nicht für eine Wiedereinführung der Todesstrafe plädieren. Das ändert aber nichts an ihrer grundsätzlichen „Erlaubtheit als ultima ratio“. Doch wie ist es mit der „Religionsfreiheit“? Ratzinger ist überzeugt: „Das Zweite Vatikanische Konzil hat durch die Neubestimmung des Verhältnisses zwischen dem Glauben der Kirche und bestimmten Grundelementen des modernen Denkens einige in der Vergangenheit gefällte Entscheidungen neu überdacht oder auch korrigiert, aber trotz dieser scheinbaren Diskontinuität hat sie ihre wahre Natur und ihre Identität bewahrt und vertieft.“ Wie das? „Benedikt“ erklärt: „Das Zweite Vatikanische Konzil hat mit dem Dekret über die Religionsfreiheit einen wesentlichen Grundsatz des modernen Staates anerkannt und übernommen und gleichzeitig ein tief verankertes Erbe der Kirche wieder aufgegriffen.“ Was für ein „tief verankertes Erbe“ soll das sein? „Die frühe Kirche hat mit größter Selbstverständlichkeit für die Kaiser und die politisch Verantwortlichen gebetet, da sie dies als ihre Pflicht betrachtete (vgl. 1 Tim 2,2); während sie aber für den Kaiser betete, hat sie sich dennoch geweigert, ihn anzubeten und hat damit die Staatsreligion eindeutig abgelehnt.“
So kann man es natürlich hindrehen. Aber hat die „frühe Kirche“ sich wirklich deshalb geweigert, den Kaiser anzubeten, weil sie „die Staatsreligion eindeutig abgelehnt“ hat, oder vielmehr deshalb, weil dies Götzendienst, ein Verstoß gegen das Erste Gebot Gottes und Verrat am Gottkönig Jesus Christus gewesen wäre? Darauf würde hinweisen, daß die „frühe Kirche“ die „Staatsreligion“ keineswegs „abgelehnt“ hat, als der Staat das Christentum angenommen hatte. Es ging ihr nicht um „Staatsreligion“, sondern um falsche Götter. Das weiß auch Ratzinger, denn er gibt zu: „Die Märtyrer der frühen Kirche sind für ihren Glauben an den Gott gestorben, der sich in Jesus Christus offenbart hatte“, doch dann fährt er fort: „und damit sind sie auch für die Gewissensfreiheit und für die Freiheit, den eigenen Glauben zu bekennen, gestorben – für ein Bekenntnis, das von keinem Staat aufgezwungen werden kann, sondern das man sich nur durch die Gnade Gottes in der Freiheit des eigenen Gewissens zu eigen machen kann“. Damit hat er geschickt den Bogen geschlagen vom christlichen Glauben zur liberalen „Gewissensfreiheit“.
Das Verständnis der Kirche von Religionsfreiheit
Fraglos ist es richtig, daß der Glaube niemandem aufgezwungen werden kann. Das liegt bereits in der Natur des Glaubens, der eine Zustimmung des Willens verlangt, die nur frei gegeben werden kann. Auch ist es richtig, daß die Kirche immer religiöse Toleranz praktiziert und gefördert hat. In keinem Staat genossen Andersgläubige so viel Freiheit und bürgerliche Rechte wie im Kirchenstaat, über den der römische Papst herrschte. Es gab dort beispielsweise keine Inquisition – im Gegensatz zu Spanien etwa. Darum aber ging es nicht. Wenn die Kirche die „Religionsfreiheit“ verurteilte, dann meinte sie nicht die Freiheit des Gewissens im Glaubensakt, sondern genau das, was Ratzinger oben der „frühen Kirche“ in die Schuhe schob: die Ablehnung des Christentums als Staatsreligion. Es geht um die gegen die christlichen Staaten gewendete Behauptung, der Staat dürfe überhaupt keine Religion bekennen, er dürfe keine Religion bevorzugen, er müsse „religiös neutral“ sein. Dagegen hat die Kirche immer daran festgehalten, daß nicht nur der einzelne, sondern auch die Gesellschaft, auch der Staat ein Geschöpf Gottes ist und seinem Schöpfer, dem wahren Gott, und Unserem Herrn und Erlöser Jesus Christus sowie Seiner Kirche gegenüber seine Pflichten hat, wie sie sich aus den Zehn Geboten ergeben. Die Kirche war sich auch bewußt, daß dieses Prinzip verschieden angewandt werden muß, je nachdem, ob es sich um ein katholisches Gemeinwesen handelt, d.h. ein „Gemeinwesen, wo die Bürger nicht nur getauft sind, sondern den katholischen Glauben bekennen“, oder um ein nichtkatholisches, also ein „Gemeinwesen, wo ein großer Teil der Bürger nicht den katholischen Glauben bekennt oder nicht einmal von der Tatsache der Offenbarung weiß“.
Wie die Kirche die „Religionsfreiheit“ immer verstanden hat, ist nachzulesen in dem „Schema einer Konstitution über die Kirche“, welches von der „Theologischen Kommission“ unter Kardinal Alfredo Ottaviani zur Vorbereitung des „II. Vatikanums“ erarbeitet wurde, abgedruckt zu finden als Anhang in dem Buch „Sie haben Ihn entthront“ von Erzbischof Marcel Lefebvre, Stuttgart 1988. Es spricht Bände, daß dieses Schema verworfen und ein gänzlich anderes vorgelegt und schließlich verabschiedet wurde, das „die Staatsreligion eindeutig ablehnt“ und nichts mehr vom gottgewollten Verhältnis zwischen Staat und Kirche weiß, sondern nur noch eine völlig neutrale „Religionsfreiheit“ verlangt und somit nicht nur in der „Anwendung“, sondern im Prinzip und Grundsatz der Lehre der Kirche widerspricht, wie sie noch bis zum Vorabend des „II. Vatikanums“ gegolten hatte.
In dem genannten vorbereiteten Ottaviani-Schema heißt es über die Anwendung der Grundsätze „in einem katholischen Gemeinwesen“, daß es „selbst unter diesen glücklichen Bedingungen der bürgerlichen Gewalt in keiner Weise erlaubt“ sei, „die Gewissen zu zwingen, den von Gott geoffenbarten Glauben anzunehmen“. Der Glaube nämlich sei „wesentlich frei“ und könne „nicht Gegenstand irgendwelchen Zwanges sein“, wie die Kirche sogar in ihr Kirchenrecht geschrieben hat (CIC can. 1351). Soweit ist das klar. Weiter heißt es: „Das hindert jedoch nicht, daß die bürgerliche Gewalt die erforderlichen geistigen, sozialen und moralischen Bedingungen schaffen muß, damit die Gläubigen, auch die weniger gebildeten, leichter im empfangenen Glauben verharren.“ Dazu gehöre auch, daß die bürgerliche Gewalt „von sich aus die öffentlichen Bekundungen anderer Kulte regeln und beschränken und ihre Bürger gegen falsche Lehren verteidigen“ dürfe, „die nach dem Urteil der Kirche ihr ewiges Heil in Gefahr bringen“.
Hingegen fordert die „Erklärung über die Religionsfreiheit ‚Dignitatis Humanae‘“ des „II. Vatikanums“ in Nr. 6 kategorisch: „Wenn in Anbetracht besonderer Umstände in einem Volk einer einzigen religiösen Gemeinschaft in der Rechtsordnung des Staates eine spezielle bürgerliche Anerkennung gezollt wird, so ist es notwendig, daß zugleich das Recht auf Freiheit in religiösen Dingen für alle Bürger und religiösen Gemeinschaften anerkannt und gewahrt wird“ (Hervorhebung von uns). Hier geht es nicht um die Anwendung, sondern um das Prinzip. Folgerichtig verlangte der „nachkonziliare“ Vatikan von den verbliebenen katholischen Staaten wie Italien die Aufgabe der katholischen Religion als Staatsreligion. Nachdem der Vatikan im Jahr 1978 mit Italien ein neues „Konkordat“ ausgehandelt hatte, gab der damalige italienische Staatspräsident am 7. Dezember zu Protokoll: „Das ist im Prinzip die von beiden Seiten beschlossene Aufgabe des Begriffs des Konfessionsstaates gemäß den Prinzipien der Verfassung und im Einklang mit den Beschlüssen des Zweiten Vatikanischen Konzils“ (zitiert nach „Sie haben Ihn entthront“, S. 237). Hier haben wir die „Ablehnung der Staatsreligion“, für welche die Martyrer der „frühen Kirche“ laut Ratzinger ihr Leben gegeben haben. Sie wären nach dieser Auffassung auch dann für die „Religionsfreiheit“ vor die wilden Tiere gegangen, wenn man von ihnen nicht ein Götzenopfer, sondern den Besuch der Heiligen Messe verlangt hätte, weil der Staat so etwas grundsätzlich nicht darf. (Daß ein katholischer Staat von Nichtkatholiken nicht verlangen würde, die Heilige Messe zu besuchen - außer vielleicht von Amtspersonen als Aufsicht usw. -, ist ohnehin klar und steht auf einem anderen Blatt.)
„Neu“-Bestimmungen
Die „Hermeneutik der Reform“ (und NICHT „der Kontinuität“) Ratzingers funktioniert nur, wenn man die Wirklichkeit ausblendet und die „moderne“ und liberale Mentalität in ein fiktives „frühes Christentum“ zurückprojiziert. Denselben Fehler macht Neidhart, wenn er meint, geändert hätte sich „nur die Terminologie, nicht der Inhalt“. „Wenn Päpste des 19. Jh. Religionsfreiheit (ebenso wie Gewissens- und Redefreiheit) verurteilten“, bildet er sich ein, „verstanden sie diese Freiheiten im Sinne von schrankenloser Beliebigkeit“. Doch wenn „die Kirche heute alle diese Freiheiten verteidigt, so ist ebenfalls nicht die uneingeschränkte Beliebigkeit gemeint, sondern stets die verantwortlich wahrgenommene Freiheit“. Ausgerechnet „heute“, im Zeitalter „schrankenloser Beliebigkeit“, versteht man also mehr von „verantwortlich wahrgenommener Freiheit“ als im 19. Jahrhundert? „Die heutige Bejahung dieser Freiheiten ist daher kein Bruch mit der kirchlichen Tradition, die dieselben Freiheiten unter anderem Namen immer schon anerkannt hat.“ Das ist der Trick. Man definiert diese „Freiheiten“ einfach um, und schon gibt es keinen „Bruch“ mehr. Dabei verwechselt Neidhart ebenso wie Ratzinger die Freiheit des individuellen Gewissens, die für den Glaubensakt wesentlich notwendig ist und von der Kirche immer verteidigt wurde, mit der Freiheit des Staates von allen Pflichten gegenüber Gott und Seiner heiligen Kirche. Dabei sind es gerade die Pflichten von Staat und Individuum gegen den beiden übergeordneten, gemeinsamen Herrn, der die Freiheit des Einzelnen vor der Staatsallmacht oder „Staatsvergottung“ schützt.
Tatsache ist, und da hilft auch keine „Hermeneutik“, weder der „Kontinuität“ noch der „Reform“, daß die „Neubestimmungen“ des „II. Vatikanums“ tatsächlich „neu“ waren, nicht „neu“ als Ideen, denn diese kursierten schon jahrhundertelang und hatten die Gesellschaft gänzlich durchsetzt, ja sie waren auch in die Kirche eingedrungen und hatten den „liberalen Katholizismus“ hervorgebracht. „Neu“ war, daß die „Kirche“ diese liberalen Ideen, die sie stets verurteilt und bekämpft hatte, plötzlich guthieß und sie selber übernahm. Oder wie Ratzinger selber einmal orakelte, es sei darum gegangen, „die Werte zweier Jahrhunderte liberaler Kultur“, die „außerhalb der Kirche entstanden“ seien (so kann man es auch nennen), „gereinigt“ in die Kirche einzubringen. Diese „Diskontinuität“ läßt sich nicht wegleugnen, und jeder, der nicht gänzlich stumpfsinnig ist, mußte sie bemerken. Das war auch ganz allgemein der Fall, nur wurde der „Bruch“ verschieden gewertet. Die einen reagierten darauf mit Jubel, die anderen mit Skepsis, wieder andere mit Kritik und Ablehnung, andere wiederum mit Leugnung der Tatsachen oder dem Versuch, die Widersprüche zusammenzudenken. Nur wenige waren es, die zur einzig notwendigen Schlußfolgerung gelangten: Das ist nicht unsere Kirche. Und noch weniger waren es, die daraus die praktischen Konsequenzen zogen. Diese nennt man gemeiniglich die „Sedisvakantisten“.
Die „Tridentinische Messe“ und der „Novus Ordo“
Deren zweites „Argument“ sieht Neidhart in der Behauptung, daß ein „Eingriff in die ‚unveränderliche‘ Tridentinische Messe“ stattgefunden habe. Die „Einführung des Novus-Ordo-Messe 1970“ widerspreche demnach „der Konstitution Quo Primum von 1570, in der Papst St. Pius V. die Tridentinische Messe als unveränderlich erklärte“. Dem entgegnet der Dozent: „Quo Primum“ sei „keine unfehlbare Entscheidung“ gewesen, „weil nicht Dogmatik oder Moral betreffend, sondern die liturgische Disziplin“. Wie wir oben schon gesehen haben, liegt er damit falsch. Denn die kirchliche Unfehlbarkeit erstreckt sich „mittelbar und in gewissem Sinn“ auch auf „die liturgischen Gesetze, die von der höchsten kirchlichen Autorität als solcher für die Gesamtkirche gegeben werden“. Zweitens, so Neidhart, sei „Pius V.“ („heilig“ will er ihn offensichtlich nicht nennen, ebenso wie oben schon den heiligen Petrus; höchstens schreibt er ein verschämtes „St.“ davor) keineswegs der Ansicht gewesen, „dass die tridentinische Form heilsnotwendig sei, sonst hätte er andere Riten, die älter als 200 Jahre sind, nicht weiterhin zugelassen“. Was ist denn das für ein „Argument“? Wer hätte jemals behauptet, daß der „tridentinische Ritus“ als solcher „heilsnotwendig“ sei und es keine anderen Riten außer ihm geben dürfe? Das ist schlicht lächerlich. Drittens habe „Pius V.“ (heilig darf er immer noch nicht sein) „das Veränderungs-Verbot auf alle Geistlichen bis hinauf zu den Patriarchen“ bezogen, „nicht aber auf seine Nachfolger, d.h. die Tridentinische Messe ist unveränderlich, sofern kein späterer Papst Änderungen vornimmt“. So hätten es „seine Nachfolger tatsächlich“ auch verstanden und schon „vor dem Zweiten Vatikanum“ „kleine Veränderungen“ vorgenommen. Das stimmt. Aber das ist nicht der Punkt.
Es geht nicht darum, ob der „tridentinische“ Meßritus „unveränderlich“ oder gar „heilsnotwendig“ ist, sondern darum, daß die sog. „Neue Messse“ gar kein Meßritus ist. Man hat an die Stelle der Heiligen Messe, die das Tridentinum als die „Unblutige Erneuerung der Kreuzesopfers“ definiert hat und als deren vorbildliches Muster es den römischen Ritus kodifiziert haben wollte, eine „Mahlfeier“ gesetzt, in welcher sich das „Volk Gottes“ versammelt, um das „Gedächtnismahl“ des Herrn zu feiern. Eine Wandlung und damit das Opfer Christi und die Realpräsenz kommt in diesem „Ritus“ im geraden Gegensatz zum „tridentinischen“ nicht zustande. Das ist der Grund, warum die Einführung des „Novus Ordo“ ein weiterer Beweis dafür ist, daß es nicht die Kirche und nicht der Papst gewesen sein kann, denen wir diese „Neue Messe“ verdanken, sondern nur ein falscher Papst und eine falsche Kirche. Denn, noch einmal, in „liturgischen Gesetzen, die von der höchsten kirchlichen Autorität als solcher für die Gesamtkirche gegeben werden“, ist die Kirche unfehlbar. Sie hätte uns nie einen „Novus Ordo“ statt der Heiligen Messe gegeben.
„Ungültige Novus-Ordo-Weihen“
Das dritte „Argument für die außerordentliche Sedisvakanz“ schließlich sei „die Einführung ‚ungültiger’ Novus-Ordo-Weihen“. Die „Novus-Ordo-Weihen“ seien ungültig, beharren demnach die „Sedisvakantisten“, „weil die Weiheformel 1968 geändert wurde, derart dass die neue Formel nicht mehr gültig ist, entweder weil eine Änderung hier grundsätzlich nicht möglich ist, oder weil die Änderung derart war, dass in der neuen Formel die Eigenart und die Aufgaben des Bischofsamtes nicht mehr klar bezeichnet werden“. Dagegen besteht Neidhart darauf, daß „auch vor 1969“ bereits Weihetexte „von der Kirche geändert“ worden seien und außerdem „die Aufgaben/Vollmachten des Bischofs“ im „neuen Pontifikale nicht weniger deutlich, sondern sogar noch klarer und auf jeden Fall ausführlicher ausgesprochen“ würden als im alten. Den ersten Punkt können wir vernachlässigen, denn selbstverständlich kann die Kirche auch „Weihetexte“ verändern. Aber die Unfehlbarkeit der Kirche in allgemeinen liturgischen Gesetzen wird es stets verhindern, daß eine solche Änderung den Ritus entstellt oder gar ungültig macht.
Das sei beim neuen „Weiheritus“ auch keineswegs der Fall, bemüht sich Neidhart zu beweisen. Er verweist in diesem Zusammenhang auf den „hl. Hippolyt“ von Rom (der darf „heilig“ sein im Gegensatz zu Pius V. und dem heiligen Petrus), bei dem die im „neuen Ritus“ verwendete Formel angeblich schon zu finden sei, außerdem auf den „Bußpsalm“ 50, in welchem der „Spiritus principalis“, welcher in der „neuen“ Weiheformel auftaucht, bereits enthalten sei, wobei man – sehr originelle Interpretation – drei „Spiritus“ in diesem Bußpsalm aufspüren könne, nämlich zunächst den „spiritum rectum“, dann den „spiritum sanctum“ und schließlich den „spiritus principalis“, was man „allegorisch“ auf die drei Weihestufen des Diakons, Priesters und Bischofs „deuten könnte“. Darüber haben wir herzhaft lachen müssen. Man muß nur „allegorische Theologie“ betreiben, schon ist alles möglich, wie bei der „Hermeneutik der Reform“.
„Nichts wirklich Neues“
Herr Neidhart kommt jedenfalls zu dem Schluß: „Die ‚neue‘ Weiheformel enthält also gar nichts wirklich Neues. Inhaltlich drückt der zweite Satz offenbar die Grundaufgabe des bischöflichen Amtes aus, in der Nachfolge der Apostel das geistliche Fundament in der Konstitution der Kirche zu sein.“ Wir wollen hier auf die „Argumente“ des Privatdozenten nicht weiter eingehen. Sie enthalten „nichts wirklich Neues“ und wurden samt und sonders bereits in aller Ausführlichkeit behandelt und zurückgewiesen. Ganze Wälzer wurden dazu geschrieben. Wir verweisen nur kurz auf unseren Beitrag Die Gültigkeit der neuen Weihen, und für den, der es ausführlicher will, haben wir den „Offenen Brief“ angehängt, den unser mittlerweile verstorbener ehemaliger Erster Vorsitzender, P. Hermann Weinzierl, vor gut einem Jahr quasi als sein „Vermächtnis“ an den „Pius-Widerstands“-Pater Rioult zu diesem Thema verfaßt hat. Allen Rettungsversuchen zum Trotz läßt sich der Befund nicht ändern: die „neuen Bischofsweihen“ sind ungültig. Eine kurze und prägnante Abhandlung bietet die Broschüre „Die Zerstörung im offiziellen Raum der Kirche – Sind die neuen Weiheriten noch gültig?“, anzufordern unter Oliver.Grohe@gmx.de.
Neidhart aber dreht nun den Spieß um und fragt, „ob nicht umgekehrt die Weihen sedisvakantistischer Priester und Bischöfe ungültig sind, da sie in ihrer Mehrzahl auf die Sukzessionslinie des vietnamesischen Bischofs Tuc zurückgehen“. Ja, Angriff ist die beste Verteidigung! Allerdings muß der Privatdozent sofort klein beigeben und gesteht, daß die „Weihen Thucs“, auf welche die meisten „Sedisvakantisten-Weihen“ zurückgehen, „m.E. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gültig“ seien. Jedenfalls gebe es „kein neues gegenteiliges Dekret“, und „einen gut begründeten Zweifel an der geistigen Zurechnungsfähigkeit von Bischof Tuc“ scheine es „auch nicht zu geben“. Das freut uns. Nur, was sollte das Ganze dann? Ein Ablenkungsmanöver? Ein Sturm im Wasserglas? Wenn er gewollt hätte, dann hätte er genügend „sedisvakantistische“ Beispiele für fragwürdige Weihen gefunden. Umso besser, wenn er darauf verzichtet.
Drei „starke Argumente gegen die sedisvakantistische Position“
Der Privatdozent faßt zusammen: „Die obigen drei Argumente für die Position des Sedisvakantismus finde ich also aus den genannten Gründen nicht überzeugend. Demgegenüber gibt es m.E. die folgenden drei starken Argumente gegen die sedisvakantistische Position.“ Mit „ich finde“ und „m.E.“ hält er sich doch sehr bedeckt und beläßt seine „Argumentation“ im eher subjektiven Bereich. Das „finden“ wir merkwürdig. Allzu sicher scheint er sich nicht zu sein. Doch sehen wir uns seine „stärksten Argumente gegen sedisvakantistische Positionen“ an, die ja, wie gesagt, nur die subjektive Meinung des Dozenten sind. Das erste lautet: „Logische Inkonsequenz“. Herr Neidhart führt dazu aus: „Entweder der irrende Papst verliert sein Amt erst dann, wenn er Falsches dogmatisiert oder ein formales Dogma leugnet: Dann sind alle nachkonziliaren Päpste noch im Amt, da sie nicht den Anspruch erhoben, etwas dogmatisiert zu haben, und da sie auch kein formales Dogma ausdrücklich geleugnet haben.“
Kein „Sedisvakantist“ hat unseres Wissens behauptet, ein Papst verliere „sein Amt erst dann, wenn er Falsches dogmatisiert oder ein formales Dogma leugnet“. Der Amtsverlust tritt ein durch „offenkundige Ketzerei“, wie der heilige Robert sagt. Wann diese vorliegt, haben wir oben schon gesehen. Dazu ist es keineswegs notwendig, daß jemand „Falsches dogmatisiert oder ein formales Dogma [jedenfalls das, was Herr Neidhart sich darunter vorstellt, wie wir oben gesehen haben] leugnet“. Der Privatdozent fährt fort: „Oder der irrende Papst verliert sein Amt schon vorher: Dann müsste es höchstwahrscheinlich schon öfter außerordentliche Sedisvakanzen gegeben haben (siehe die Irrlehren von Honorius und Johannes XXII.). Beides lehnen die Sedisvakantisten aber ab. Das erscheint logisch inkonsequent.“ Weder Honorius noch Johannes XXII. waren offenkundige Häretiker, wie bereits oft genug nachgewiesen wurde. Wann geht das endlich in die Köpfe der „Anti-Sedisvakantisten“? „Logisch inkonsequent“ sind nicht die „Sedisvakantisten“, sondern ihre Gegner, indem sie ständig und unbelehrbar die Dinge so hindrehen, wie sie sie brauchen.
Das zweite „Argument“ ist besonders lustig. Demnach fehlen dem „Sedisvakantismus“ die „Notae Ecclesiae“. In ihm seien „die im Glaubensbekenntnis genannten vier Erkennungsmerkmale (notae) der ‚einen, heiligen, katholischen und apostolischen’ Kirche offenbar nicht mehr alle im Vollsinn vorhanden“, bemängelt der Herr Dozent. „So fehlt in den zersplitterten und sich bekämpfenden Kleingruppen des Sedisvakantismus vor allem die Einheit (die ohne Papst, wie sie ja auch selbst glauben, nicht lange bestehen kann) und die Katholizität…“ Es freut uns, daß er wenigstens die Heiligkeit und Apostolizität bei den „Sedisvakantisten“ weniger vermißt. Doch möge er einmal eine Lupe zur Hand nehmen und die „vier Erkennungsmerkmale (notae) der ‚einen, heiligen, katholischen und apostolischen’ Kirche“ in der „Konziliaren Kirche“ suchen. Er wird sie nicht finden.
Die Einheit nicht, weil sie, wie er richtig sagt, ohne Papst „nicht lange bestehen kann“, und entsprechend finden wir auch und gerade in der „Kirche des II. Vatikanums“ alle Arten von „zersplitterten und sich bekämpfenden Kleingruppen“ oder auch „Großgruppen“. Da steht das „Opus Dei“ gegen die „St.-Gallen-Mafia“, „Traditionalisten“ gegen „Progressisten“, die „deutschen Bischöfe“ gegen „Rom“ usw., und keiner leistet seinem „Papst“ das, was er ihm schuldet: Glaube und Gehorsam. Von „Katholizität“ kann schon gar keine Rede sein, wie allein die Vielfalt des „Novus Ordo“ zeigt, die nicht nur von Land zu Land, von Region zu Region, sondern von Gemeinde zu Gemeinde so grundverschiedene lokale Formen hervorbringt, daß niemand darin dieselbe, eine „katholische“ Kirche mit ihrem Ritus zu sehen vermöchte. Dieser „Priester“ macht es so, der macht es anders, dort wird die „Messe“ noch „gut“ gefeiert, woanders weniger „gut“ etc. Entsprechend sind die Gläubigen, sofern sie überhaupt noch zur „Messe“ gehen, ständig auf der Suche, wo sie das „Passende“ finden. Ebenso mit der Glaubenslehre und allen anderen Dingen. Nein, in dieser „Kirche“ gibt es keine Einheit und keine Katholizität. Von Heiligkeit und Apostolizität wollen wir ganz schweigen.
„Fehlende Kontinuität“
Endlich bekrittelt der Dozent die „fehlende Kontinuität des Papstamtes“. „Die Länge der angeblichen Sedisvakanz (für die meisten Sedisvakantisten nun schon ca. 60 Jahre, und dies ohne Aussicht auf ein baldiges Ende)“, scheine „dem katholischen Glaubenssatz zu widersprechen, dass die Kirche auf dem Felsenfundament des Petrusamtes aufgebaut ist, derart dass die Mächte der Hölle sie nicht überwältigen können (vgl. Mt 16,18) und es demzufolge ‚immer‘ einen Papst geben wird (natürlich abgesehen von unvermeidlichen kurzen Übergangszeiten vom Tod eines Papstes bis zur Wahl seines Nachfolgers)“. Dieses „Argument“ hat Herr Neidhart eins zu eins von den „Traditionalisten“, namentlich der „Piusbruderschaft“ übernommen. Er wiederholt sogar deren „Hauptschlagwaffe“, nämlich das Dokument „Pastor Aeternus“ des Vatikanischen Konzils, wonach „der selige Petrus im Primat über die gesamte Kirche fortdauernd Nachfolger hat“. Und er entblödet sich nicht, den „Sedisvakantismus“ nach bewährter Tradi-Art in die Nähe der verurteilten Irrlehren des Hus zu rücken. „Positiv gewendet“ folge aus den von ihm angeführten „Sätzen des Erstens Vatikanums“ wie auch der Verurteilung des Hus, „dass es kontinuierlich bis zum Weltgericht einen amtierenden Papst geben wird“. Demnach sei „eine außerordentliche, sich über mehrere Generationen erstreckende Sedisvakanz ausgeschlossen“. Die „Piusbrüder“ werden ihn dafür bejubeln!
Schade, daß Neidhart sich für seine „Forschungen“ offensichtlich nur aus dem Arsenal der „Traditionalisten“ wider die „Sedisvakantisten“ bedient und nicht bei diesen selber nachgelesen hat. Sonst wüßte er, wie oft auf dieses „Argument“, das einen langen Bart besitzt, bereits geantwortet wurde und wäre wenigstens auf die eine oder andere dieser Entgegnungen eingegangen. Darum noch einmal in aller Geduld und Lehrweisheit: Die verurteilte Irrlehre des Hus war nicht die, daß die Kirche längere Zeit ihres Papstes beraubt sein könne, sondern daß die Kirche im Grunde gar keinen Papst brauche. Diese Irrlehre wird heute von sehr vielen vertreten (u.a. von den „Traditionalisten“, die mit einem „häretischen Papst“, um den man sich nicht zu kümmern braucht, gut leben können, während sie vor der „Ungeheuerlichkeit“ beben, gar keinen „Papst“ zu haben; lieber ein „häretischer Papst“ als gar keiner, ist ihr Motto), aber ganz gewiß nicht von den „Sedisvakantisten“. Ebenso hatte das Vatikanum nicht lehren wollen, es werde niemals eine ausgedehnte Sedisvakanz geben, sondern daß das Papsttum der Kirche eine wesentliche und dauerhafte Einrichtung ist, und nicht eine spätere Einführung, wie es beispielsweise der Protestantismus behauptete, oder eine vorübergehende, irgendwann als überflüssig abzulegende Erscheinung, wie es etwa der „charismatische“ Joachim von Fiore in seiner Vorstellung von der „Geistkirche“ erträumte.
Schluß
Im fünften großen Punkt fügt Neidhart noch einen „Anhang“ hinzu über die Frage „War die Wahl von Papst Franziskus ungültig?“ Diese Frage ist für uns nicht relevant. Denn ob „Franziskus“ „gültig“ oder „ungültig“ zum Chef der „Konziliaren Kirche“ befördert wurde, geht uns als Katholiken nichts an. Daß er als Mitglied jener apostatischen Sekte nicht unser Papst sein kann, steht ohne Zweifel fest, ob er nun deren „Oberhaupt“ ist oder nicht.
Damit haben wir Herrn Dr. Neidharts Vorlesung getreulich verfolgt und sorgfältig durchgearbeitet und leider nichts als „traditionalistische“ Gemeinplätze darin gefunden. Er befindet sich nicht auf der Höhe des theologischen Diskurses, da er die Antworten, die von „sedisvakantistischer“ oder allgemein katholischer Seite schon seit Jahrzehnten auf die zum größten Teil uralten Einwände gegeben wurden, gar nicht berücksichtigt. Schwache Leistung. Von einem so hochmögenden Herrn und Universitätslehrer hätten wir bei einer „Vorlesung“ vor Theologiestudenten in einem Priesterseminar etwas mehr erwartet. Schade.