Der ewige Kampf um die „Alte Messe“

Wie geht es weiter mit der „Alten Messe“?

Im vergangenen Monat ging ein Schreckgespenst um in den Reihen der „Traditionalisten“. Der „Papst“ bzw. der „Vatikan“, so hieß es, bereite ein Dokument vor, mit welchem der „TLM“ („Traditionelle Lateinische Messe“) endgültig der Garaus gemacht werden sollte. Gar groß war die Aufregung in den einschlägigen Kreisen, und erneut entflammte sich der Zorn gegen den „Traditionszerstörer“ Bergoglio.

Gerüchte

„Gerüchte über ein Verbot der ‚Alten Messe‘ sorgen für Wallungen bei Traditionalisten“, berichtete Simon Kajan am 22. Juli auf „katholisch.de“, dem „umstrittenen“ „Nachrichten- und Erklärportal der katholischen Kirche in Deutschland“. „Dabei ist es fraglich, ob die Schraube wirklich weiter angezogen wird, denn schon der Erfolg von ‚Traditionis custodes‘ war bescheiden.“ Vor drei Jahren, am 16. Juli 2021, dem Karmelfest, war dieses den „Traditionalisten“ so überaus verhaßte und schreckliche „Motu proprio“ erschienen – gleichsam das „Gegen-Motu“ zu dem „Motu aller Proprios“ Ratzingers „Summorum Pontificum“ mit der „Freigabe der Alten Messe“. Seitdem habe „Papst Franziskus viel Post“ erhalten, u.a. von prominenten Künstlern, Musikern und Literaten „aus dem Vereinigten Königreich und den USA“, die sich „für den Erhalt der alten römischen Liturgie einsetzen“, und das, wie man bei diesem Artisten-Milieu annehmen darf, wohl aus eher ästhetischen Gründen.

„Weiteren Auftrieb“ hätten die Gerüchte erhalten durch ein „Interview“, welches der „progressive Liturgiewissenschaftler Andrea Grillo dem römischen Blog ‚Messa in Latino‘“ gegeben hatte. Darin warf dieser „den Anhängern der alten Liturgie pauschal eine ‚Ideologie‘ vor, die unvereinbar mit der Treue zum Papst sei“ – womit er nicht ganz unrecht hat. Etwa zur gleichen Zeit erreichte jedoch die „traditionelle“ Pfingstwallfahrt von Paris nach Chartres einen neuen „Teilnehmerrekord“ mit „über 18.000 großteils jugendlichen Pilgern“ (was nicht verwunderlich ist, denn ein solches „Event“ richtet sich vornehmlich an junge Leute, für alte ist es viel zu anstrengend). „Anstatt das Wachstum der traditionellen Bewegung einzudämmen, hat der Gegenwind aus Rom sie offenbar gestärkt – was sich auch bei den Eintritten in traditionelle Gemeinschaften niederschlägt“, registriert Herr Kajan, weshalb er seinen Artikel unter die Überschrift gestellt hat: „Eskaliert der ‚liturgische Krieg‘?“

Gegenreaktion und Taktik

Nun ist so eine Gegenreaktion nichts Außergewöhnliches, wie jeder weiß, der irgendwie Autorität auszuüben hat. Je direkter und lauter man etwas bekämpft, desto mehr weckt man das Interesse, und harte Maßnahmen stoßen fast naturgemäß auf ebenso harte Gegenwehr; wenn man dann nicht über die entsprechenden Druckmittel wie etwa einen starken Polizeiapparat verfügt, wird die Sache kritisch. Daher setzte „Papst Franziskus“ in „den vergangenen Monaten andere Signale“, indem er sich mit führenden Mitgliedern der „Petrusbruderschaft“ oder des „Christkönigsinstituts“ traf, um „gute Beziehungen“ aufzubauen. Es zeichne sich ab, „dass die traditionalistischen Institute päpstlichen Rechts vom Papst in ihrem Charisma, die alte Liturgie zu bewahren, bestärkt werden“, bemerkt Kajan. Das scheint die Taktik zu sein, den Widerstand zu neutralisieren, indem man ihn in die Kanäle „päpstlichen Rechts“ lenkt, ganz wie es auch die Vorgänger Bergoglios bereits versucht haben.

Das, so Herr Kajan, sei nach „Traditionis Custodes“ und insbesondere „der 2022 erschienenen Apostolischen Konstitution ‚Desiderio desideravi’ nicht von allen erwartet worden“. In dieser „kirchenrechtlich hochrangige(n) Konstitution“ hatte „der Papst“ ausgeführt, „dass die Problematik ‚in erster Linie ekklesiologischer Natur‘ sei“. „Ich verstehe nicht“, schrieb Bergoglio da, „wie man sagen kann, dass man die Gültigkeit des Konzils anerkennt – obwohl ich mich ein wenig wundere, dass ein Katholik sich anmaßen kann, dies nicht zu tun – und nicht die Liturgiereform akzeptieren kann, die aus Sacrosanctum Concilium hervorgegangen ist und die die Realität der Liturgie in enger Verbindung mit der Vision der Kirche zum Ausdruck bringt, die in Lumen Gentium auf bewundernswerte Weise beschrieben wurde.“ Wieder einmal hat Bergoglio im Gegensatz zu den „Traditionalisten“ die Sache in bewundernswerter Klarheit erfaßt. Das Problem ist tatsächlich „in erster Linie ekklesiologischer“ und nicht liturgischer Natur und besteht genau darin, daß hier eine „Liturgiereform“ abgelehnt wird, die anerkanntermaßen von den höchsten „Autoritäten“ der „Kirche“ beschlossen, durchgeführt und angeordnet wurde. Wobei sich Bergoglio vollkommen zurecht „ein wenig wundert“, wieso die „Traditionalisten“ ihre Anerkennung „Des Konzils“ immer meinen, so sehr betonen zu müssen, denn wie könnte sich ein Katholik jemals „anmaßen, dies nicht zu tun“?

Dokument vom Tisch

Zielsicher legt er seinen Finger auf den eigentlichen Kernpunkt des „traditionalistischen“ Selbstverständnisses, dieses in sich völlig widersprüchliche „Recognize and Resist“. Er ist aber Realist und Pragmatiker genug, um nach seinen – aus seiner Sicht absolut richtig gemeinten – Vorstößen, die „Messe des Konzils“ endlich durchzudrücken, wieder zurückzurudern und einen anderen Weg zu suchen. Für eine radikale Durchsetzung fehlen ihm die Druckmittel. Wie „Rorate Caeli“ zutreffend bemerkte, sei das „Modell einer Kirche, in welcher Restriktionen erfolgreich sind“, sozusagen „out of date“. Wenn es hart auf hart käme, würden die meisten schlicht die „Kirche“ verlassen und sich Schismatikern wie der „Piusbruderschaft“ oder den „Ostkirchen“ anschließen. „If the Mass goes, they will go as well.“ Wenn die Messe geht, gehen sie halt auch. Schon seit Jahren gilt es bei ihnen zunehmend als legitim, ja als „angesagt“, das Schisma zu „wagen“ (vgl. Am Abgrund zum Wahnsinn). „Schismatisch-katholisch“ ist der neue Trend. Will Bergoglio den Abgang der „Traditionalisten“ vermeiden, so muß er Zugeständnisse machen.

So konnte „Rorate Caeli“ am 22. Juli Entwarnung geben und vermelden, daß das verruchte geplante Dokument wohl vom Tisch sei. Unter Berufung auf den argentinischen „Blog“ „Caminante Wanderer“, wurde mitgeteilt: „Das Verbotsdokument gelangte in Franziskus‘ Hände – aber er entschied sich dagegen, es zu unterzeichnen. Die Petitionen und Briefe hatten ebenfalls einen Einfluß.“ Der „Caminante Wanderer“ gibt folgendes Protokoll der Ereignisse: Am 16. Juli, dem Fest Unserer Lieben Frau vom Berge Karmel, dem „dritten Jahrestag von Traditiones Custodes“, sei eigentlich die Veröffentlichung eines neuen Dokumentes des „Heiligen Stuhls“ geplant gewesen, welches der „traditionellen Messe“ ein Ende bereiten sollte, indem diese fortan exklusiv den sogenannten „Ecclesia-Dei-Instituten“ vorbehalten bleibe. Das sollte die „Endlösung“ sein. Doch es kam anders. Hier die angeblichen „Fakten“, frisch aus der vatikanischen „Gerüchteküche“.

Klatsch und Tratsch aus der Gerüchteküche

Es bestehe kein Zweifel, daß das in Rede stehende Dokument existiere, und zwar schon seit Ende 2021. Bereits im Februar 2022 hätte es von „Papst Franziskus“ als „Apostolische Konstitution“ unterzeichnet werden sollen, doch stattdessen setzte er denjenigen ab, der es ihm unterbreitet hatte, nämlich „Kardinal“ Arthur Roche (der spätestens nach dem Ableben Ratzingers die Zeit für gekommen hielt, der „TLM“ endgültig den Garaus zu machen; vgl. Trauerflor im Tradiland). Dieser sei seither nie wieder von „Papst Franziskus“ persönlich empfangen worden. Roche sei der eigentliche Autor von „Traditionis custodes“ gewesen, und „Franziskus“ hatte erkannt, daß dies ein Fehler gewesen sei, der ihm schlaflose Nächte bereitet habe, da die „Sympathie“ für die „traditionelle Messe“ dadurch eher wuchs als abnahm. Ein anderer Bösewicht, ein „Erzbischof“ und „Franziskaner“ namens Vittorio Viola, der angeblich stolz den „Bischofsring“ trägt, den einst Annibale Bugnini, der Architekt des „Novus Ordo“, am Finger hatte, übernahm nun die Aufgabe, die „TLM“ endgültig zu vernichten und arbeitete jenes Dokument aus, welches dann Bergoglio vorgelegt wurde. Dieser studierte es und war nicht einverstanden, aus mehreren Gründen. Zum einen, weil Liturgie nicht sein Kriegsgebiet sei. Er wollte keine „Martyrer“ machen und fürchtete, die Dinge nicht mehr unter Kontrolle zu haben.

Hinzu kamen die Eingaben vieler Bischöfe, Priester, Gläubiger und angesehener Personen (wie jene prominenten „Künstler“), die den „Papst“ dringend aufforderten, keinen solchen Schritt zu unternehmen. Diese schienen Erfolg zu haben, weniger im Sinne der „Synodalen Kirche“, in welcher die „Spitze“ auf die „Basis“ zu hören hat, als vielmehr aus pragmatischen Erwägungen. Dies auch auf Rat der „Kardinäle und Prälaten“, welche sich schon auf den nächsten „Papst“ vorbereiten, der wohl in nicht allzu langer Frist zu wählen sein wird, und der erwartungsgemäß „moderater“ oder „gemäßigter“ sein dürfte als Bergoglio. Bei ihm wollen diese Herren nicht gleich in Mißkredit stehen, was sie ihre Karriere kosten könnte. Gleich dem ungerechten Verwalter aus dem Gleichnis des Herrn (Lk 16, 1-12) hätten sie sich in kluger Weise „Freunde“ mit dem „ungerechten Mammon“ schaffen wollen.

Friedensappell

Als Friedenstifter mischte sich in den „liturgischen Krieg“ der Alt-„Kardinal“ Walter Brandmüller. „Um Gottes willen: ‚die Waffen nieder‘!“ So war sein flammendes Pamphlet reißerisch überschrieben, obwohl es sich seiner Zunft gemäß – Brandmüller ist „Kirchenhistoriker“ – um einen „Blick auf die Liturgie in der Geschichte“ handelte. „Nicht seit Sacrosanctum Concilium des II. Vatikanums, wohl aber seit der Umsetzung der Liturgiereform nach dem Konzil“ gehe „ein Riss durch weite Teile der Katholiken“ und sei „daraus unguter Streit zwischen ‚Progressisten‘ und ‚Ewiggestrigen’ entstanden“, meint der Historiker den „status quo“ feststellen zu können. „DAS Konzil“ kann schon einmal nichts dafür, denn der „Riß“ ist ja erst „nach dem Konzil“ entstanden. Auch handelt es sich bei dem quasi aus dem Nichts aufgetretenen „Riß“ um einen „unguten“ Richtungsstreit, mehr nicht. Bei ein bißchen gutem Willen auf beiden Seiten, so dürfen wir dem entnehmen, müßte sich der „Riß“ ja wohl unschwer kitten lassen.

„Indes“, so fährt der Kardinal fort, sei dies keineswegs „zu verwundern“, da es zeige, „welch zentrale Rolle die Liturgie im Leben der Gläubigen spielt“, und gleich weiß er etliche Beispiele aus der Historie zu nennen, in welchen es zu einem „Liturgiestreit“ kam, und das „nicht nur im katholischen Umfeld“ (ach was!). So hätten sich etwa „mehrere Gruppen“ abgespaltet, als „Patriarch Nikon und Zar Alexej I. im Jahre 1667 eine Liturgiereform anordneten“, und im „lateinischen – katholischen wie protestantischen – Westen“ sei es „zur Zeit der Aufklärung an mehreren Orten zum teilweise erbitterten Streit um neu einzuführende Gesangbücher“ gekommen. Sowas! Doch auch im „katholischen Frankreich stieß die Einführung eines neuen Missale Romanum anstelle der alten Gallikanischen Liturgie auf erbitterten Widerstand“. Fällt irgendjemandem etwas auf? Dem Herrn „Kardinal“ offensichtlich nicht. Doch all die von ihm genannten Beispiele weisen eine Gemeinsamkeit auf: Die russischen „Orthodoxen“, die „katholischen wie protestantischen“ „Aufklärer“, die „Gallikaner“ – sie sind allesamt Schismatiker oder haben zumindest eine schismatische Gesinnung. Ob es aber auch unter lauter braven Katholiken zu einem „Liturgiestreit“ kommen kann?

Die „Glaubenslehre gar nicht berührt“

Das einzige, was Brandmüller an Gemeinsamkeit sieht, ist dies: „In all diesen Fällen ging es nicht wie bei Arius oder Martin Luther um das Dogma, die geoffenbarte Wahrheit“, die „eher in intellektuellen Milieus zum Streitfall“ werde. „Den Alltag der Frömmigkeit hingegen berühren Riten, Bräuche des alltäglichen religiösen Lebens.“ Da hat er nicht unrecht. Das „gläubige Volk“ bleibt von theologischen Fragen meist unberührt, während es von der Liturgie „persönlich betroffen“ ist (weshalb auch nicht das „II. Vatikanum“, sondern erst die „Neue Messe Pauls VI.“ zum wahren Zankapfel wurde). „Da entzündet sich dann der Streit selbst an Nebensächlichkeiten wie etwa Textvarianten in Liedern und Gebeten. Je, im Grunde, irrationaler der Streitpunkt ist, desto heftiger der Streit darum. Auf derart vermintem Boden darf freilich kein Bulldozer zum Einsatz kommen.“ Der „Kardinal“ spricht da wohl aus eigener Erfahrung. Er war schließlich lange genug neben seiner Lehrtätigkeit im Pfarrdienst einer kleinen bayerischen Gemeinde tätig. „In vielen Fällen“, so meint er, sei „die Glaubenslehre dadurch gar nicht berührt – wohl aber das Gemüt, die liebgewonnene fromme Formel, die Gewohnheit“, und eben das greife „tiefer als eine abstrakte theologische Formel – erlebensmäßig“.

Nun, das sind billige Gemeinplätze. Aber will er uns etwa weismachen, daß dies ebenso für die „konziliaren Reformen“ gelte? Daß durch diese „die Glaubenslehre gar nicht berührt“ worden sei, sondern allenfalls „das Gemüt, die liebgewonnene fromme Formel, die Gewohnheit“? Es scheint fast so, denn andererseits findet er es ebenso „verfehlt“, den „Abbruch, Umbruch des Überlieferten zu fordern, da doch damit nicht nur das christliche, sondern allgemein das menschliche Wesenselement der Überlieferung unbeachtet bliebe“. Wir fragen uns, ob der „Kardinal“ überhaupt den Unterschied zwischen dem „christlichen“ und dem allgemein „menschlichen Wesenselement“ der „Überlieferung“ kennt.

Revolution statt Reform

Für ihn macht das offensichtlich keinen Unterschied. Der Mensch hängt halt irgendwie am Gewohnten, Althergebrachten, an liebgewordenen Bräuchen, vor allem der einfache Mensch; so wie die Kinder sich an eingeführten Abläufen und Ritualen gerne festhalten. Das sei daher „grundsätzlich bei allen Reformversuchen zu beobachten“, insbesondere, „wenn es um die religiöse Alltagspraxis geht, wie etwa Neuordnungen von Sprengelgrenzen etc., die in das Alltagsleben eingreifen“. Klar, weil das, was nicht „in das Alltagsleben eingreift“, die Menschen in der Regel nicht berührt. Um so erstaunlicher findet es der „Kardinal“, daß die „allgemein zu beobachtende Skepsis gegenüber, wenn nicht sogar Ablehnung von Neuerungen“ im „Großen und Ganzen ausgeblieben“ sei, „als Pius XII. im Jahre 1951 erst die Feier der Osternacht, dann 1955 die gesamte Liturgie der Heiligen Woche grundlegend neu geordnet hat“. Er selber hat dies seinerzeit „als Seminarist und junger Priester miterlebt“ und fand, daß, abgesehen von einigen „skeptischen Reaktionen, die da und dort im ländlich-bäuerlichen Umfeld zu beobachten waren“, diese „Reformen eher mit erwartungsvoller Freude, wenn nicht mit Begeisterung von den Gläubigen begrüßt“ wurden, „wo sie denn in rechter Weise verwirklicht wurden“, wie er vielsagend hinzufügt. Offensichtlich hatte es die „Liturgische Bewegung“ nicht geschafft, den „ländlich-bäuerlichen“ Raum in gleicher Weise mit ihrer Begeisterung anzustecken wie die städtische Bevölkerung, vor allem die Jugend.

Rückblickend auf jene Reformen stellt sich der alte Herr die Frage, „wie es denn im Zuge der Reformen unter Paul VI. zu den allzu bekannten Reaktionen kommen konnte: im ersteren Falle erlebte die Kirche einen liturgischen Aufbruch, im zweiten sahen nicht wenige einen liturgischen Bruch mit der Überlieferung“. Tja, woran mag das wohl liegen? Vielleicht daran, daß Pius XII. ein echter Papst war und die Reformen deswegen seinerzeit noch nicht jenen rabiaten „liturgischen Bruch mit der Überlieferung“ vollziehen konnten wie in den 1960er Jahren, als dieses Hindernis „hinweggeräumt“ war? Brandmüller bleibt beim rein Phänomenologischen und registriert nur, daß nach „dem Pontifikat Pius’ XII. … die Wahl Johannes‘ XXIII. in manchen Teilen der Kirche als eine Befreiung von lehramtlichen Zwängen empfunden worden“ war. „Nun hatte die Stunde für den Individualismus der Theologen, des Abschieds vom ‚Ewiggestrigen’ geschlagen.“ Daß dies eine echte Revolution bedeutete und nur geschehen konnte, weil der gottbestellte Hüter und Wächter der Kirche beseitigt war, macht sich der Herr „Kardinal“ nicht klar.

Nicht „theologisch berechtigt“

Er sieht jedoch einige „schwerwiegende Folgen“, welche „diese Wende“ (netter Name für Revolution!) für die Liturgie hatte, wobei er auch hier sehr im Äußerlichen bleibt: „Willkür, Wildwuchs, ungezügelter Individualismus führten vielerorts zum Ersatz des Messbuchs durch Eigenfabrikate, die dann in Form von Ringbüchern von Zelebranten individuell zusammengestellt wurden. Die Folge davon war ein liturgisches Chaos und eine bis dahin nicht gekannte, bis heute – trotz der Liturgiereform durch Paul VI. – andauernde Massenflucht aus der Kirche.“ Wieder fragt er sich nicht, woher dieser „Wildwuchs“ kam, noch wer für das „liturgische Chaos“ letztlich verantwortlich war. Vielmehr wundert er sich, daß es „trotz der Liturgiereform durch Paul VI.“ zur „Massenflucht aus der Kirche“ kam. Nein, nicht „trotz“, sondern „wegen“. Was sagt uns das wohl in bezug auf „Paul VI.“ und seine „Neue Messe“? Schweigen im Walde…

Stattdessen benennt der „Kardinal“ mutig die Fehler, die auf beiden Seiten begangen wurden. Da herrschten „auf der einen Seite Willkür und liturgisches Durcheinander“, und „desto entschiedener verhärtete sich auf der anderen die Ablehnung jeder Weiterentwicklung – ungeachtet der mit den Reformen Pius’ XII. gemachten positiven Erfahrung“. Ob dies daran liegen mochte, daß die „Erfahrung“ mit den „Reformen Pauls VI.“ nicht so „positiv“ war? „Dementsprechend traf auch die Reform des Missale Pauls’ VI., die zweifellos nicht ohne Mängel war, auf Kritik und Widerstand. Dabei mochte dieser Widerstand auch vielfach begründet sein – berechtigt, theologisch berechtigt, war er nicht.“ Ach, war er nicht? Wie es scheint, hat Brandmüller in all den Jahrzehnten, die seither verflossen sind, nicht eine einzige theologische Publikation gelesen, die sich mit der „Problematik“ der „Neuen Messe“ auseinandersetzt. Wenigstens die „Ottaviani-Intervention“ hätte er eigentlich zur Kenntnis nehmen können, die immerhin von zwei – echten – Kardinälen unterzeichnet war und in ebenso theologisch einwandfreier wie zurückhaltender und knapper Weise eine „Kurze Kritische Untersuchung des Novus Ordo“ vornahm und zu dem Ergebnis kam, daß in dieser „ein auffallendes Abrücken von der katholischen Theologie der hl. Messe“ festzustellen sei. Freilich kann man anderer „Meinung“ sein, müßte dann aber theologische Gegenargumente bringen. Wo also sind die Argumente des „Kardinals“?

Im Gehorsam anzunehmen

Sein einziges Argument lautet so: „Der Novus Ordo war vom Papst in Kraft gesetzt, und so war er – bei aller berechtigten Kritik – im Gehorsam anzunehmen.“ War die „Kritik“ also doch „berechtigt“? Seltsam genug, daß man bei einer „vom Papst in Kraft gesetzten“ Liturgie „berechtigte Kritik“ anbringen kann. Der „Kardinal“ drückt sich damit um den entscheidenden Punkt. Denn wenn die „Kritik“ beispielsweise der Kardinäle Bacci und Ottaviani „berechtigt“ war, dann muß man sich doch fragen, wie ein so mangelhafter Ritus „vom Papst in Kraft gesetzt“ werden konnte. Die „Traditionalisten“ haben darauf verschiedene Antworten. Die einen behaupten, der „Novus Ordo“ sei gar nie wirklich von „Paul VI.“ promulgiert worden, die anderen verweisen auf das „traditionalistische“ Prinzip, wonach wir dem Papst keinerlei Gehorsam schulden, wenn er von der Überlieferung abweicht, was in diesem Fall ja offensichtlich gegeben ist, usw. Demgegenüber hat Brandmüller durchaus recht, wenn er betont, daß der „Novus Ordo“ sehr wohl vom „Papst in Kraft gesetzt“ wurde und daher „im Gehorsam anzunehmen“ sei – wenn man „Paul VI.“ für den Papst ansieht, wie die „Traditionalisten“ es unbedingt tun.

In einem kleinen spirituellen Anflug beruft er sich auf den heiligen Paulus, welcher schreibe: „Christus ‚ward gehorsam bis zum Tode, ja bis zum Tod am Kreuz‘, und durch seinen Tod hat er die Welt erlöst. Wenn also in der eucharistischen Feier Jesu Christi ‚Gehorsam bis zum Tod‘ gegenwärtig wird, dann kann diese Feier nicht im Ungehorsam begangen werden.“ Das ist sehr schön gesagt und vollkommen richtig. Wie absurd und geradezu lästerlich es ist, auch noch im Kanon zu bekennen, die Messe – möglicherweise zähneknirschend – „una cum Papa nostro Francisco“ zu feiern, während man dem „Stellvertreter Christi“ im selben Akt offen ungehorsam ist, fällt wohl keinem „Traditionalisten“ je auf.

Gleiches Recht für alle

Für den „Kardinal“ war es der Mangel an Gehorsam auf „beiden Seiten“, der zum Streit führte. Denn den „einen gingen die ‚Reformen’ nicht weit genug“, „die anderen setzten dem das Beharren auf der ‚Messe aller Zeiten‘ entgegen, wobei man nicht zur Kenntnis nehmen wollte, dass der Ritus der hl. Messe sich nicht nur im Laufe der Jahrhunderte entwickelt, verändert, sondern auch in Ost und West dem jeweiligen Kulturkreis entsprechend ausgeprägt hat“.

Damit tut er den „Traditionalisten“ Unrecht, denn für die „Ostliturgien“ haben sie durchaus Respekt und Sympathie, zumal diese meist noch viel „traditioneller“ sind als die im Westen, und auch auf andere überlieferte West-Liturgien wie die ambrosianische oder die der Dominikaner blicken sie mit Neid und Bewunderung und verlangen, daß ihre „TLM“ diesen „Sonderliturgien“ gleichgestellt werde. Bei all ihrer „berechtigten Kritik“ fordern sie ja gar nicht die Abschaffung des „Novus Ordo“, sondern lediglich die gleichberechtigte „Freigabe der Alten Messe“. So „bescheiden“ sind die „Traditionalisten“ – und so verrückt. Sie fordern die Herausgabe von Jesus und Barabbas gleichzeitig, die Versöhnung der Opfer Kains und Abels. Gleiches Recht für alle!

Die „Messe aller Zeiten“ besteht „nur in den Wandlungsworten“?

Daß der Herr „Kardinal“ für die „Traditionalisten“ wenig Wohlwollen übrig hat, ist aus diesem abfälligen Urteil schon deutlich geworden, erst recht wenn er nun im Hinblick auf sie die „Kritik“ anbringt: „Die ‚Messe aller Zeiten’ besteht nur in den – überdies in verschiedenem Wortlaut in den Evangelien überlieferten – Wandlungsworten. Das (!) ist die ‚Messe aller Zeiten‘. Wo man sich dessen nicht bewusst war – oder sein wollte – sahen nicht wenige die Fronten abgesteckt, und der ‚Kampf’ dauert bis heute an.“ Das ist wiederum theologischer und liturgischer Unsinn. Die Heilige Messe besteht keineswegs „nur in den Wandlungsworten“! Wo hat er denn diesen Schwachsinn gelesen? Und die Wandlungsworte sind uns nicht erst „in den Evangelien überliefert“. Hier übersieht er den heiligen Paulus, der uns ebenfalls die Wandlungsworte „überliefert“ hat, und zwar nicht im Evangelium, sondern in seinem 1. Brief an die Korinther, indem er sich darauf beruft, er habe dies „vom Herrn empfangen“, was er „auch euch überliefert“ hat: „Ego enim accepi a Domino, quod et tradidi vobis“ (1 Kor 11, 23), nämlich folgendes: „daß der Herr Jesus in der Nacht, in welcher er verraten wurde, Brot nahm und danksagend brach und sprach: Nehmet hin und esset, dies ist mein Leib, der für euch dahingegeben werden wird; dieses tut zu meinem Gedächtnis. Gleicherweise auch den Kelch nach dem Mahle, indem er sprach: Dieser Kelch ist der Neue Bund in meinem Blute, dieses tut, so oft ihr trinket, zu meinem Gedächtnis“ (V. 23-25).

Wir entnehmen dem zweierlei: Erstens, daß diese Überlieferung nicht aus dem Evangelium stammt, sondern diesem vorangeht. Der heilige Paulus hat sie ebenso „vom Herrn“ empfangen wie die übrigen Apostel, und die Messe wurde bereits gemäß dieser Überlieferung gefeiert, ehe das erste Evangelium geschrieben wurde. Die Wandlungsworte in der Heiligen Messe – namentlich der römischen – sind die ältere Tradition. Zweitens enthält diese sehr knappe Beschreibung der heiligen Messe bereits wesentlich mehr als nur die „Wandlungsworte“. Es gehört dazu die Materie, Brot und Wein, es wird eine Opferung vorgenommen (das Brot wird „genommen“ und „danksagend gebrochen“), die Wandlung wird vollzogen (Brot wird zum Leib Christi, der Kelch wird zu Seinem Blut), und in der Kommunion werden Leib und Blut des Heilands genossen zur fortwährenden Erneuerung des Erlösungswerkes Christi (der „Neue Bund“ in Seinem Blut zu Seinem Gedächtnis). Mit den Wandlungsworten allein kann man keine Messe feiern. Die „Messe aller Zeiten“ ist die Messe, wie sie der Heiland gefeiert hat, wie die Apostel sie in Seiner Nachfolge gefeiert haben und wie sie durch all die Jahrhunderte bis auf uns überliefert wurde. Natürlich hat es Entwicklungen und Veränderungen gegeben, aber niemals hat es eine „Messe“ gegeben, die „nur in den Wandlungsworten“ bestand. Das ist eine abstrakte Fitktion des „Kardinals“.

Ritus und Wesen der Liturgie

Auf der Suche nach einer Ursache einer solchen „konfliktreichen Entwicklung“ zeigt dem „Kardinal“ ein „Blick in die Geschichte“, daß es bei den „in der Vergangenheit ausgefochtenen Kämpfen“ nach dem Konzil von Trient „zunächst keineswegs mehr um das Wesen der hl. Eucharistie“ ging. Da schau! Man sieht, was ein echtes Konzil der Kirche zuwege bringt. Es klärt die Dinge und verwirrt sie nicht. „Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts flammte im Gefolge des Modernismus auch die Kontroverse um das Messopfer wieder auf, nunmehr aber nicht um den Ritus, sondern um das Wesen des Messopfers.“ Ganz recht. Der Modernismus, dieses „Sammelbecken aller Häresien“ (hl. Pius X.), griff die alten Ketzereien des Protestantismus wieder auf. Zunächst, so unser Historiker, verhinderte „der Ausbruch des I. Weltkriegs samt seinen Europa umwälzenden Folgen“ eine „solide Aufarbeitung des Problems“, „das ungelöst im Untergrund weiter schwelte“. Naja, eigentlich hatte der heilige Pius X. noch vor dem I. Weltkrieg eindeutige Maßnahmen gegen die Modernisten angeordnet, die jedoch nicht umgesetzt wurden. Es war weniger „der Ausbruch des I. Weltkriegs“ als vielmehr die Bischöfe - vor allem die deutschen -, die eine „solide Aufarbeitung des Problems“ verhinderten.

Die „in den Nachkriegsjahren“ auftretende „Liturgische Bewegung“, bildet sich Brandmüller ein, „habe nicht so sehr das Wesen, sondern den Vollzug der Liturgie, besonders des Messopfers durch die gläubige Gemeinde“ betroffen. Aber genau damit hat sie sehr wohl das Wesen der Liturgie angetastet, denn die Liturgie ist von ihrem Wesen her der öffentliche Kult der Kirche, der durch ihre offiziellen Diener, den Klerus, ausgeübt wird und nicht „durch die gläubige Gemeinde“. Und wieder waren es politische Umstände, diesmal „die Machtergreifung der kommunistischen, faschistischen und nationalsozialistischen Diktaturen und der bald darauf folgende II. Weltkrieg samt seinen Folgen“, die eine „wirkliche Lösung“ verhinderten (und wieder waren die Bischöfe, allen voran die deutschen, völlig unschuldig). Zwar hat Papst Pius XII. „inmitten der Probleme der Nachkriegszeit im Wissen um die ungeklärten Probleme um das hl. Messopfer [was für „ungeklärte Probleme um das hl. Messopfer“?] in seiner Enzyklika Mediator Dei vom Jahre 1947 das Thema neu“ aufgegriffen, „das Dogma des Konzils von Trient“ bekräftigt [ah, waren vielleicht die „Probleme um das hl. Messopfer“ doch bereits seit langem, nämlich spätestens dem Tridentinum geklärt?] und erklärt „und schließlich wichtige Anleitungen zum würdigen Vollzug in der liturgischen Feier“ geboten. Und doch kam es „in der Folge“ zu den „bis heute andauernden Auseinandersetzungen“, was laut „Seiner Eminenz“ „wohl auch daran“ lag, „dass es bei dem Aufleben der Kontroverse nunmehr viel weniger um den Ritus, sondern erneut um das Wesen des eucharistischen Opfermahles ging“. Oder ob es vielleicht „auch daran“ lag, daß niemand mehr auf den Papst hörte?

„Mahl-Charakter der Messe“

Der „Kardinal“ selber ist das beste Beispiel, denn er hat sich schon die modernistische Terminologie angeeignet: „eucharistisches Opfermahl“. Dabei hatte Pius XII. in seiner genannten Enzyklika gewarnt: „Es weicht also vom Weg der Wahrheit ab, wer das heilige Opfer nur feiern will, wenn das christliche Volk zum Tische des Herrn hinzutritt; noch mehr ist im Irrtum, wer um es als unbedingte Notwendigkeit hinzustellen, daß die Gläubigen zusammen mit dem Priester das eucharistische Mahl empfangen, arglistig behauptet, es handle sich hier nicht nur um ein Opfer, sondern zugleich um ein Opfer und ein Mahl der brüderlichen Gemeinschaft, und es sei die gemeinschaftlich empfangene Kommunion sozusagen der Höhepunkt der ganzen Opferfeier.“ Dagegen hatte der Heilige Vater ausdrücklich noch einmal betont: „Das eucharistische Opfer ist seiner Natur nach eine unblutige Hinopferung des göttlichen Opferlammes, was auf geheimnisvolle Weise durch die Trennung der heiligen Gestalten und durch ihre Darbringung an den ewigen Vater zum Ausdruck kommt. Die heilige Kommunion gehört zu dessen Vollständigkeit und zur Teilnahme daran mittels der hochheiligen sakramentalen Vereinigung; während diese für den opfernden Priester unbedingt erfordert ist, wird sie den Gläubigen nur dringend empfohlen.“ Die heilige Messe ist kein „eucharistisches Opfermahl“! Sie ist auch nicht „zugleich ein Opfer und ein Mahl“, sie ist die „unblutige Hinopferung des göttlichen Opferlammes“, die zwar die heilige Kommunion (des Priesters!) umfaßt und einschließt, aber nicht als eigenen Höhepunkt, sondern als Teil des Opfergottesdienstes.

Brandmüller halluziniert: „Vor allem die Überbetonung, ja Verabsolutierung des Mahl-Charakters der hl. Messe führte, und führt noch immer, zu zahlreichen, da und dort geradezu blasphemischen liturgischen Missbräuchen. Missbräuche, die sich aus grundlegenden Missverständnissen des Mysteriums der Eucharistie ergeben.“ Nein. Es gibt keinen „Mahl-Charakter der hl. Messe“. Egal ob dieser „überbetont“ oder „verabsolutiert“ wird oder nicht, allein indem man der Hl. Messe überhaupt einen „Mahl-Charakter“ zuschreibt, wird ihr Wesen verändert. Ob aus „grundlegenden Missverständnissen“ heraus oder nicht, auf diese Weise wird nicht „liturgischer Missbrauch“ getrieben, sondern der Charakter der Messe verändert und damit die Messe zerstört.

„Auflösung der liturgischen Einheit“

„Hinzu kommt“, phantasiert der Herr „Kardinal“ weiter, „dass es fast immer von den einzelnen Priestern abhängt, ob die hl. Messe im gewissenhaft beobachteten Novus Ordo gefeiert oder den subjektiven Einfällen der Zelebranten freie Bahn gegeben wird.“ Falsch. Der „gewissenhaft beobachtete Novus Ordo“ verlangt geradezu nach „subjektiven Einfällen der Zelebranten“. Wie in der „Institutio Generalis“ des „Novus Ordo“ angewiesen, muß „unter Beachtung der Eigenarten und Gegebenheiten jeder Gemeinde die ganze Feier so gestaltet“ werden, „daß sie zur bewußten, tätigen und vollen Teilnahme der Gläubigen führt“ (Kap. I, Nr. 3), und das heißt, daß „aus den von der Kirche angebotenen Ausdrucksformen und Riten mit großer Sorgfalt jene ausgewählt und verwendet werden“ müssen, „die unter Berücksichtigung der konkreten Situation der Gemeinde die volle und tätige Teilnahme aller ihrer Glieder am ehesten ermöglichen und dem geistlichen Wohl der Menschen am besten entsprechen“ (Nr. 5).

Der „Novus Ordo“ macht also nur ein „Angebot“ aus verschiedenen „Ausdrucksformen und Riten“, aus welchem der einzelne Zelebrant sich frei zu bedienen hat. „Dass diese Auflösung der liturgischen Einheit eine Folge von Unsicherheit oder gar Verlust des authentischen Glaubens ist, und damit eine ernste Gefahr für die Einheit im Glauben darstellt, scheint weithin nicht bewusst zu sein“, gibt der „Kardinal“ zu bedenken. Fürwahr, fürwahr! Aber wer hat wohl diese „Auflösung der liturgischen Einheit“ zu verantworten, wenn nicht „Paul VI.“ mit seinem „Novus Ordo“?

„Nach der altehrwürdigen Norm der Väter“

Brandmüller aber ruft uns zu: „Die Waffen nieder!“ und meint dringend, es müsse „zum Frieden oder wenigstens zum Waffenstillstand an der Liturgie-Front kommen“. Dazu sei es notwendig, „zunächst die Sprache zu entschärfen, wenn von Liturgie die Rede ist“, sodann „Schuldzuweisungen jeder Art zu unterlassen“. „Keine der beiden Seiten sollte die Ernsthaftigkeit der Absichten der anderen in Frage stellen“, vielmehr gelte es, „Toleranz zu üben“ und „Polemik zu vermeiden“. Ebenso sollten „beide Seiten“ das „Kapitel II der Konzilskonstitution Sacrosanctum Concilium des II. Vatikanums unvoreingenommen gewissenhaft studieren, und an deren Normen die nachfolgenden Entwicklungen messen“, wodurch „offenkundig“ würde, „in welchem Maße die nachkonziliare Entwicklung sich von der Konstitution, der einst auch Erzbischof Lefebvre zugestimmt hatte, entfernt hat“.

Schande genug, daß „auch Erzbischof Lefebvre“ – und nicht nur er – dieser „Konstitution“ zugestimmt hat, in deren genanntem „II. Kapitel“ eine „Überarbeitung“ des (römischen!) „Meß-Ordo“ verlangt wird, so zwar, „daß der eigentliche Sinn der einzelnen Teile und ihr wechselseitiger Zusammenhang deutlicher hervortreten“ – was also bis dahin Jahrhunderte lang nicht der Fall war – und selbstverständlich „die fromme und tätige Teilnahme der Gläubigen erleichtert werde“. „Deshalb sollen die Riten unter treulicher Wahrung ihrer Substanz“ – die nach Auskunft des „Kardinals“ in nichts weiter als den „Wandlungsworten“ besteht – „einfacher werden“, forderte „DAS Konzil“. „Was im Lauf der Zeit verdoppelt oder weniger glücklich eingefügt wurde, soll wegfallen. Einiges dagegen, was durch die Ungunst der Zeit verlorengegangen ist, soll, soweit es angebracht oder nötig erscheint, nach der altehrwürdigen Norm der Väter wiederhergestellt werden“ (Nr. 50). Dieser Abschnitt ist eine einzige Frechheit. Die Kirche, die heilige Braut Christi, hat offensichtlich geschlampt. Nicht nur geriet „der eigentliche Sinn der einzelnen Teile und ihr wechselseitiger Zusammenhang“ im Laufe der Zeit mehr und mehr aus dem Blickwinkel, sondern etliches wurde sinnlos „verdoppelt“ oder „weniger glücklich eingefügt“, während anderes wiederum „durch die Ungunst der Zeit“ verloren ging, ohne daß die Kirche das merkte. Wie gut, daß das „II. Vatikanum“ endlich kam, um mit diesem Schlendrian Schluß zu machen und den „Meß-Ordo“ „nach der altehrwürdigen Norm der Väter“ wiederherzustellen. Oder nicht?

Friedensvorschläge: „Reform der Reform“, „ein eigenes Ordinariat für den Alten Ritus“

Schließlich, so der „hochwürdigste“ Friedenstifter, sei „in aller Stille und mit viel Geduld an einer behutsamen Reform der Reform zu arbeiten, die eben den wirklichen Weisungen von Sacrosanctum Concilium entspricht“, und dann könnte endlich „der Augenblick kommen, an dem eine die Anliegen der einen wie der anderen Seite würdigende Reform vorgelegt würde“. Ähnliche Träume hatte bereits Ratzinger gesponnen und war damit gescheitert. Nach jetzt mehr als einem halben Jahrhundert real existierendem – und von sämtlichen „Konziliaren Päpsten“ durchwegs praktiziertem – „Novus Ordo“ zu meinen, dieser müsse erst noch richtig justiert werden, um endlich zu dem zu gelangen, was damals gemeint war, ist völliger Utopismus. Dieser „Novus Ordo“ ist exakt das, was „den wirklichen Weisungen von Sacrosanctum Concilium entspricht“, nicht mehr und nicht weniger. Wer wissen will, was „Sacrosanctum Concilium“ wollte, braucht sich nur den „Novus Ordo“ anzuschauen.

Im Bestreben, den „liturgischen Streit“ zu entschärfen oder zu befrieden, kam nicht nur die alte Idee Ratzingers von der „Reform der Reform“ wieder aufs Tapet, auch eine andere von diesem – und von Lefebvre – bereits erwogene „Lösung“ wurde neu ins Gespräch gebracht. Nach einem Bericht von „kath.net“ hat „P. Louis-Marie Blignières, der ehemalige Prior der Bruderschaft des hl. Vincent Ferrer“, in einem „Interview mit dem Magazin Tu es Petrus, welches vom französischen Zweig der Priesterbruderschaft St. Petrus (FSSP) herausgegeben wird“, den Vorschlag gebracht, „der Vatikan“ könne doch „ein eigenes Ordinariat für den Alten Ritus einrichten“. „Dieses Ordinariat könnte ähnlich wie Militärdiözesen oder die Personalordinariate für Anglikaner, die zur katholischen Kirche konvertiert sind, organisiert sein. Es würde den Klerikern und Gläubigen, die dem Alten Ritus verpflichtet sind, eine stabile Struktur geben. Als Ordinarius, der ebenfalls vom Vatikan zu bestimmen wäre, würde sich ein Bischof aus den Reihen der ehemaligen Ecclesia Dei-Gemeinschaften eignen, sagt Blignières.“

Die „Ordinariatsidee“

Wie gesagt, ein alter Hut. Die von der „Piusbruderschaft“ seit schon fast vier Jahrzehnten angestrebte „Personalprälatur“ sollte genau so aussehen – nur, daß natürlich ein Bischof aus ihren eigenen „Reihen“ dieser vorstehen sollte. Ratzinger verfolgte denselben Gedanken, der seiner bereits aus den 1960er Jahren stammenden Idee der aus vielen kleinen „ecclesiae“ zusammengesetzten großen „Ecclesia“ entsprach. Zur Umsetzung plante er zunächst neben dem „Ordinariat“ für die „Anglikaner“ auch ein solches für die „Traditionalisten“. Letzteres scheiterte allerdings sowohl an der Halsstarrigkeit etlicher altbackener Modernisten als auch der Unversöhnlichkeit allzu vieler bockbeiniger „Tradis“, all den unermüdlichen Bemühungen des „Pius-Vorsitzenden“ zum Trotz, der Ratzinger in einem Brief vom 17. Juli 2012 treuherzig versichert hatte, seinen Rom-Schmuse-Kurs „trotz des ziemlich starken Widerstands in den Reihen der Bruderschaft und zum Preis großer Unruhen“ beharrlich fortsetzen zu wollen. Vergebens.

„Joseph Shaw von der Latin Mass Society von England und Wales“ gab dazu laut „Summorum Pontificum“, dem „Blog“ für „traditionalistisches“ Empfinden, einen Rückblick auf die „Geschichte der Ordinariatsidee insgesamt“. Demnach haben bereits während der „Ecclesia-Dei-Periode“, die nach dem gleichnamigen „Motu Proprio“ Wojtylas 1988 begann, einige der „Ecclesia-Dei-Gruppen“ die „Idee eines traditionsorientierten Ordinariats“ propagiert, „weil viele Priester Schwierigkeiten hatten, von ihren Bischöfen die Erlaubnis zur Feier der überlieferten Liturgie zu erhalten und weil die Ecclesia-Dei-Gemeinschaften auch Bischöfe für die Spendung von Priesterweihen, Firmungen usw. brauchten“. Eben das war der Grund gewesen, warum der schlaue Fuchs Lefebvre diese „Idee“ rechtzeitig aufgegeben und sich erfolgreich ins Schisma begeben hatte. So schlau waren die „Ecclesia-Dei“-Leute nicht, und auch der spätere „Pius“-Vorsitzende nicht, denn der erklärte „kurz vor Summorum Pontificum“, „daß er unter Bezug auf diese Vorschläge Papst Benedikt auch darum gebeten habe, eine ‚kirchliche Struktur für die Familie der Tradition‘ zu errichten“.

Veränderte Lage

Nach „Summorum Pontificum“, dem „Motu aller Proprios“ mit der „Freigabe der Alten Messe“, wurde „die Notwendigkeit einer solchen Struktur weniger dringlich empfunden“, hatten doch die „Traditionalisten“ jetzt „eine weitaus stärkere Position als zuvor“. Für die „Wiedereingliederung“ der „Piusbruderschaft“ blieb die Idee jedoch von Relevanz, wobei „nicht klar“ war, „ob ein solches Ordinariat alle Ecclesia-Dei-Gemeinschaften und auch Diözesanpriester, die die überlieferte Messe feierten, umfassen würde, oder nur für die Piusbruderschaft (und vielleicht die mit ihr zusammenhängenden Ordensgemeinschaften) gelten würde“.

Inzwischen jedoch beschleicht Leute wie Herrn Shaw der sinistre Verdacht, „ob eine derartige kanonische Struktur nicht denen, die der überlieferten Liturgie feindlich gegenüberstehen, nicht [verdoppeltes „nicht“ vor lauter Schreck!] eine Möglichkeit bieten würde, die Alte Messe und die Entwicklung der Familie der Tradition eher einzuschränken als zu fördern“. Ach was! Ist er da auch schon darauf gekommen? Wir sind sicher, Bergoglio hat diese „Möglichkeit“ längst erfaßt, weshalb er den „Prozeß der Verständigung und Annäherung“ mit den „Piusbrüdern“ weiterlaufen ließ, obwohl der eigentlich nach Ablehnung der „lehrmäßigen Präambel“ Müllers hätte beendet sein sollen. In den „90er Jahren“, erinnert sich Shaw, „betrachtete man in der traditionsorientierten Bewegung weitgehend die Bischöfe als das einschränkende Element, während zumindest der Heilige Vater uns gegenüber eher aufgeschlossen zu sein schien“, doch „die Lage“ habe „sich verändert“. Nunmehr habe man „eine Situation, in der eine offen feindlich eingestellte päpstliche Politik im Gegensatz zu einer weitaus offeneren Haltung vieler, wenn nicht aller Bischöfe steht“. Naja, Shaw kennt offenbar die deutschen „Bischöfe“ nicht. Jedenfalls sieht er für die „TLM“ viel mehr Chancen, wenn sie der Entscheidung des jeweiligen „Bischofs“ überlassen bleibt als wenn „alle überlieferten Messen der Autorität eines einzigen Bischofs oder vielleicht einem für jedes Land unterstünden, der vom Papst eingesetzt worden wäre“.

„Freigabe“ für alle

Überdies bewegt ihn die Vielzahl der „birituellen“ „Priester“, „die sowohl die alte als auch die neue Liturgie feiern“. Auch wenn diese vielleicht „nicht das Ideal“ seien, so durchliefen sie doch einen fruchtbaren „Prozeß“, der durch eine „Kirche mit nur zwei Möglichkeiten – einem Mainstream, wo es nur den Novus Ordo gibt, und eine traditionalistische Enklave, in der nur die überlieferte Liturgie gefeiert wird – und wo es keine Zwischenstaufen gibt“, abrupt unterbrochen würde. Zudem bestehe die „Gefahr“, daß „die überlieferte Liturgie außerhalb dieses Ordinariats verboten werden“ und besagtes „Ordinariat genau zur Rechtfertigung eines solchen Verbots herangezogen werden könnte“. Ja, da mag er die „Gedanken vieler“ ganz gut getroffen haben.

Da Shaw somit fürchtet, daß „unsere Gegner“ mit einem solchen „Ordinariat“ eher im Vorteil gegen die „Traditionalisten“ wären, schlägt er, um „dem entgegenzuwirken“, vor, „Folgendes als unverhandelbares Prinzip in alle Überlegungen zur Entwicklung des Rechtsstatus der überlieferten Liturgie aufzunehmen“, nämlich: „Die überlieferte Liturgie ist Erbteil jedes Priesters und aller Laien des lateinischen Ritus und darf daher weder gesetzlich noch praktisch auf die Angehörigen eines traditionalistischen Ordinariats eingeschränkt werden.“ Da sind wir wieder, wo wir vor gut einem Vierteljahrundert schon einmal waren. Denn genau das hatte die „Piusbruderschaft“ zu einer ihrer „Vorbedingungen“ gemacht, als sie im Jahr 2000 ihren „Zug nach Rom“ bestieg nach dem Motto: „Wenn der Papst ruft, komme ich gelaufen“ (Mgr. Fellay), und die sie mit Ratzingers „Motu aller Proprios“ als erfüllt ansah.

Hamsterrad

Alles in allem hat man das Gefühl, die „Traditionalisten“ drehen sich immer im Kreis. Und das muß auch so sein. Da sie die Wahrheit nicht sehen wollen und unbedingt die „Konziliare Kirche“ für die Kirche Christi, die „konziliaren Päpste“ für die Statthalter Christi und den „Novus Ordo“ für einen, wenngleich etwas mißglückten, „reformierten Meßritus“ halten, werden sie nie den Ausweg aus ihrem Hamsterrad finden und immerzu ihre selben utopischen Träume spinnen: „Reform der Reform“ oder „friedliche Koexistenz der beiden Riten“ (M. Lefebvre), mit „Freigabe der Alten Messe“ oder eigenem „Ordinariat“. Eines ist so unsinnig wie das andere. Aber Hauptsache, die „Traditionalisten“ sind beschäftigt und kommen nicht auf die Idee, sich die wirklichen Fragen zu stellen – oder sie gar zu beantworten.

Uns Katholiken berührt weder ein „Verbot“ noch eine „Freigabe“ der „Alten Messe“, ob mit oder ohne eigenes „Ordinariat“. Das alles sind „interne Probleme der Kirche des Neuen Advent“, wie ein Wanderprediger sie einst nannte. Unsere Sehnsucht ist eine ganz andere: Endlich wieder einen Papst zu haben, einen wahren Stellvertreter Christi, der uns wahre Hirten gibt. Bis dahin harren wir aus, so gut wir es vermögen, „in der Lehre der Apostel, in der Gemeinschaft des Brotbrechens [der Hl. Messe] und in den Gebeten“ (Apg 2, 42), wie einstens die Urkirche zu Jerusalem.