Die „Sedi-Sekte“

Dem „modernen Menschen“ – und damit auch dem „Traditionalisten“, der ein durch und durch „moderner Mensch“ ist – eignet das Schubladendenken. Ihre ganze Vorstellung bewegt sich in den Bahnen von Parteien, Fraktionen, Lagern, ideologischen Gruppierungen, Lobbys etc. Trotz des Geredes der letzten Jahrzehnte von „Offenheit“ und „Toleranz“ ist das strikte Einordnen nach vorgegebenen Schemen heute mehr in Schwung denn je. Man denke nur an die absurde Front „gegen Rechts“ und die rigorose Abschiebung aller dem „woken Mainstream“ nicht genehmen Ansichten und Meinungen ins „rechte“ oder gar „rechtsextreme“ Eck – wo sich heute zu ihrem nicht geringen Erstaunen Personen wiederfinden, die sich rühmen, ihr ganzes Leben lang nichts anderes als „links“ gewesen zu sein.

Die Schublade, in welche die „Traditionalisten“ alle packen, die ihnen zuwider sind, trägt die Aufschrift „Sedisvakantisten“. Stellt jemand unangenehme Fragen, entdeckt er die katholische Wahrheit und versucht, sich danach zu richten, so heißt es, er sei „Sedisvakantist geworden“, ja, er sei „zu den Sedisvakantisten gegangen“ oder gar, er habe sich „der sedisvakantistischen Sekte angeschlossen“. Derlei Dummheiten hörte man von „traditionalistischer“ Seite erst jüngst wieder anläßlich des Hinscheidens des Ersten Vorsitzenden der Vereins St. Thomas von Aquin, P. Hermann Weinzierl. Dieser sei früher bei der „Piusbruderschaft“ gewesen und dann leider zur „Sedi-Sekte“ abgewandert.

Unwillkürlich fragen wir uns: Wer ist das denn, die „Sedi-Sekte“? Wo finden wir sie? Wer ist ihr Anführer, wer gehört dazu? Wie kann man sich ihr „anschließen“? Muß man ein Antragsformular ausfüllen, eine Aufnahmeprüfung bestehen, einen Eid oder ein Versprechen ablegen, um dazuzugehören? Solche Dinge gibt es beispielsweise bei der „Piusbruderschaft“. Aber bei der „Sedi-Sekte“? Wie kann man dort „Mitglied“ werden?

Der Weg von P. Weinzierl

Am 14. November 2023, kurz bevor er jenen Anfall erlitt, der schließlich zu seinem tragischen Tod führte, schrieb Hw. P. Weinzierl einen sehr umfangreichen „offenen Brief“ an einen französischen Ex-„Pius“-Priester zum Thema der „erneuerten Bischofsweihen“. Darin stellte sich P. Weinzierl kurz vor mit folgenden Worten:

„Mein Name ist Hermann Weinzierl und ich stamme aus der Nähe von Passau in Niederbayern. Seit 2012 bin ich in Wigratzbad tätig, also genau an jenem Ort, wo auch die Priesterbruderschaft Sankt Petrus ihr Seminar in Deutschland hat, mit der ich jedoch nichts zu tun und auch keinerlei Kontakt habe. Genau wie Sie war ich Mitglied der FSSPX. Meine Ausbildung habe ich im Seminar von Zaitzkofen erhalten und wurde dort 1987 von Mgr. Lefebvre zum Priester geweiht. Aufgrund einer von Beginn an vorhandenen Skepsis gegenüber der FSSPX, die mit den Jahren sachlich immer mehr zur Gewißheit wurde, habe ich niemals ständige Versprechen abgelegt. Seit Mitte der 90er Jahre war ich von der derzeitigen Vakanz des römischen Stuhles überzeugt und habe schließlich 2012 die FSSPX verlassen. Inzwischen sind wir drei Priester aus der FSSPX, die diesen Schritt gewagt haben und nunmehr zusammenarbeiten.“

Ist das jene berühmt-berüchtigte „Sedi-Sekte“, diese „drei Priester aus der FSSPX, die diesen Schritt gewagt haben und nunmehr zusammenarbeiten“? Wenn ja, dann muß man leider sagen, daß es diese „Sekte“ noch gar nicht gab, weder als P. Weinzierl als Mitglied der „Piusbruderschaft“ in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre zur Überzeugung „von der derzeitigen Vakanz des römischen Stuhles“ gelangte, noch als er 2012 die „Piusbruderschaft“ (mehr oder weniger freiwillig) verließ. Er stand zunächst allein buchstäblich auf der Straße, bis er jene Kapelle in Wigratzbad fand, die seit über zehn Jahren seelsorglich verwaist war und ihm nun eine Basis bot, seine priesterliche Tätigkeit fortzusetzen. Vielleicht war ja diese Kapelle jene ominöse „Sedi-Sekte“? Allerdings ist zu bedenken, daß der Pater von dieser Kapelle noch gar nichts wußte, als er die „Piusbruderschaft“ verließ, und dies gewiß nicht deswegen geschah, um von der „FSSPX“ zu jener „Sekte zu gehen“. Auch wurde ihm diese Kapelle für seine priesterliche Tätigkeit ohne weiteres zur Verfügung gestellt, ohne daß er dafür einem „Club“ hätte beitreten oder irgendwelche besonderen Verpflichtungen hätte eingehen müssen.

Der Verein St. Thomas von Aquin

2013 gründete P. Weinzierl dann zusammen mit einem Mitbruder, der in jenem Jahr ebenfalls (mehr oder weniger freiwillig) die „Piusbruderschaft“ verlassen hatte, sowie fünf Laien aus seiner früheren Gemeinde den Verein St. Thomas von Aquin. Dieser Verein wurde bewußt nur als ziviler, nicht als religiös-kirchlicher Verein errichtet und sollte nur dazu dienen, die bürgerlich-rechtliche und ökonomische Grundlage zu bieten, damit Priester, die aufgrund ihres Festhaltens am integralen katholischen Glauben keine geistliche Heimat haben, leben und arbeiten können. Neben der Seelsorge und dem Unterhalt der Priester sollte der Verein vor allem den Zweck der theologischen Arbeit verfolgen; denn nichts ist in den letzten Jahrzehnten mehr vernachlässigt worden als die theologische Arbeit, was die verheerendsten Ergebnisse zeitigte. Ist dieser Verein vielleicht jene anrüchige „Sedi-Sekte“, der sich P. Weinzierl „angeschlossen“ haben soll? Dazu paßt allerdings nicht, daß der Verein zur fraglichen Zeit noch nicht existierte und erst von P. Weinzierl selber gegründet wurde.

2018 konnte sich der Verein erstmals bewähren, als ein weiterer Priester, der die Irrtümer des Lefebvrismus durchschaut hatte, die „Piusbruderschaft“ verließ und „auf der Straße“ stand. Auch er konnte dank des Vereins sein Priestertum weiter üben und sich seelsorglich betätigen. Der Verein unterhielt nun drei Kapellen – außer der in Wigratzbad noch eine in Österreich und eine in Heimerdingen bei Stuttgart –, die jeweils von einem der Priester betreut wurden. Hinzu kam die theologisch-publizistische Arbeit durch die Herausgabe einer Quartalszeitschrift, zweier monatlich erscheinender Gottesdienstordnungen sowie das Betreiben einer Vereinshomepage und des „Antimodernist“-Webs. Die Zusammenarbeit verlief in all den Jahren harmonisch, aber eher locker und ohne feste Strukturen. Sieht so eine „Sekte“ aus?

Was ist eine Sekte?

Was ist überhaupt eine „Sekte“? Es gehört ja zum „modernen Menschen“, daß er Ausdrücke beliebig, phänomenologisch, assoziativ und bevorzugt ideologisch gebraucht, ohne sie zu klären. Namentlich der Begriff „Sekte“ macht vielen Probleme. „Wikipedia“ erklärt: „Sekte (von lateinisch secta ‚Partei‘, ‚Lehre‘, ‚Schulrichtung‘) ist eine Bezeichnung für eine religiöse, philosophische oder politische Richtung und ihre Anhängerschaft. Die Bezeichnung bezieht sich auf soziale Gruppierungen, die sich durch ihre Lehre, ihr Dogma oder ihren Ritus von vorherrschenden Überzeugungen unterscheiden und oft im Konflikt mit deren Vertretern und Anhängern stehen.“ Weiter weiß das „Online-Lexikon“: „In erster Linie steht Sekte für eine von einer Mutterreligion abgespaltene religiöse Gemeinschaft. Der ursprünglich wertneutrale Ausdruck hat aufgrund seiner Geschichte und Prägung durch den kirchlichen Sprachgebrauch einen meist abwertenden Charakter erhalten und wird seit den 1960er Jahren verstärkt in negativem Sinn verwendet.“ Deshalb: „In der modernen Religionswissenschaft und Soziologie werden statt des Begriffs Sekte neutrale, nicht wertende Bezeichnungen wie religiöse Sondergemeinschaft, neureligiöse Gemeinschaft oder neue religiöse Bewegung verwendet.“ Man will ja schließlich „tolerant“ und „offen“ sein und nicht „abwertend“, gell?!

Eine bessere Erklärung finden wir von Konrad Algermissen in Buchbergers „Lexikon für Theologie und Kirche (LThK)“ (9. Band, Freiburg i.Br. 1937): „Sekte (secta, von sequi = folgen, jemandes Partei ergreifen, nicht von secare = trennen) wird schon in der altrömischen Literatur für politische Partei, philosophische oder juristische Schule gebraucht, von Paulus für eine religiöse Richtung, z.B. für die Pharisäer (Apg 26, 5), in den Apostelbriefen bereits tadelnd für Rottenbildung in den christlichen Gemeinden (als Werke des Fleisches: Gal 5, 19 f; als Zerstörung der christlichen Einheit: 1 Kor 1, 13; 3, 5 16 f; als Irrlehren des Verderbens: 2 Petr 2, 1). In dieser Bedeutung kam das Wort in den kirchlichen Sprachgebrauch“ (Sp. 436).

Ferner: „Eine christliche Sekte im weiteren Sinn ist jede kirchliche Sonderrichtung aus religiösem Individualismus, die der wahren Kirche widerstreitet und ein Eigendasein führt, mögen falsche Lehren oder Ablehnung der kirchlichen Hierarchie sie von der Wahrheit und Einheit der Kirche Christi getrennt haben. Im engeren, heute ausschließlichen Sinn besagt Sekte eine Sondergruppe von Freiwilligen, die sich nach Ursprung und Zielsetzung dem Universalismus der Kirche entgegenstellt; sie will nicht als Volkskirche auf Kultur und Gemeinschaftsleben der Völker formend im christlichen Geist einwirken, sondern eine kleine Schar Auserwählter sammeln, um sie als unbefleckte Gottesgemeinde nach dem Vorbild der Urkirche Christus bei seiner Wiederkunft entgegenzuführen“ (ebd.).

Dieser „donatistische Kirchenbegriff“ wird hier als Wesensinhalt einer Sekte gesehen. Dazu gehört ein „ethischer Rigorismus“, aus dem „vielfach pharisäische Selbstgerechtigkeit, schwärmerische religiöse Selbstsicherheit und jene dünkelhafte Unbelehrsamkeit“ hervorgehen, „mit der die Bibel willkürlich erklärt, eigenartige Lehren trotzig festgehalten, die Kirche fanatisch bekämpft und Proselytenmacherei betrieben werden“. Der „kulturfremde, weltabgewandte Zug“, der nicht selten mit „Chiliasmus“ verbunden ist, unterscheidet die Sekte „nicht nur von der katholischen Kirche, sondern auch von jenen christlichen Gemeinschaften, die sich zwar durch Irrtümer oder Ablehnung der kirchlichen Autorität von der katholischen Kirche getrennt haben, aber doch als Massenkirchen eingestellt sind und in ihrer universalistischen Absicht mit der wahren Kirche übereinstimmen“ (ebd.).

Ist der „Sedisvakantismus“ eine Sekte?

Zumindest letzteres wird wohl jeder den „Sedisvakantisten“ wenigstens grundsätzlich zubilligen müssen. Doch gehen wir die Merkmale der Reihe nach durch. Ist der „Sedisvakantismus“ eine „religiöse, philosophische oder politische Richtung und ihre Anhängerschaft“? Das wohl schon, aber so gesehen wären alle „religiösen, philosophischen oder politischen Richtungen und ihre Anhängerschaft“ eine Sekte. Da muß schon mehr dazu kommen. Ist der „Sedisvakantismus“ eine „soziale Gruppierung, die sich durch ihre Lehre, ihr Dogma oder ihren Ritus von vorherrschenden Überzeugungen unterscheidet und oft im Konflikt mit deren Vertretern und Anhängern steht“? Bei der „sozialen Gruppierung“ wird es ein wenig schwierig, denn im „Sedisvakantismus“ finden sich viele, ja unzählige „Gruppierungen“, nicht nur eine. Daß die „Sedisvakantisten“ sich in Lehre, Dogma und Ritus „von vorherrschenden Gruppierungen“ wie etwa der „Konziliaren“ Menschheitskirche „unterscheiden“, kann ohne weiteres zugegeben werden. Aber das tun viele andere auch. Macht sie das alle zur Sekte?

Ist der „Sedisvakantismus“ eine „von einer Mutterreligion abgespaltene religiöse Gemeinschaft“? Das werden die „Sedisvakantisten“ selbstverständlich verneinen, denn sie sind ja nur da, wo sie sind, weil sie katholisch bleiben wollen. In den Augen der Welt freilich sieht das anders aus, da haben sich die „Sedisvakantisten“ von der „katholischen Kirche“ – denn so wird die apostatische Menschheitskirche gewöhnlich angesehen und tituliert – „abgespalten“. Das haben andere allerdings auch. Ja, es gibt sogar echte schismatische Gemeinschaften, die dennoch nicht als „Sekte“ gelten, wie etwa die „orthodoxen Ostkirchen“. Sollen wir also lieber von einer „religiösen Sondergemeinschaft, neureligiösen Gemeinschaft oder neuen religiösen Bewegung“ sprechen? Auch das wird der Sache nicht gerecht. Die „Sedisvakantisten“ bilden per se keine „religiöse Sondergemeinschaft“. Sie betrachten sich als treu gebliebene Katholiken in einer Zeit der außergewöhnlichen Sedisvakanz und daher weder als „neureligiös“ noch als „neue religiöse Bewegung“. „Neu“ ist das Phänomen nur insofern, als die Situation, in der wir uns befinden, eine noch nie dagewesene ist. Der Begriff „neureligiös“ scheint uns ohnehin schwer anzuwenden auf das, was man bisher „klassisch“ als „Sekte“ gesehen hat und von denen die meisten auf das 19. Jahrhundert zurückgehen. So richtig „neu“ ist das nicht.

Sekte im weiteren oder engeren Sinn?

Die Angaben von „Wikipedia“ sind somit untauglich und bringen uns nicht weiter. (Warum wundert uns das nicht?) Gehen wir also zu Konrad Algermissen in Buchbergers Lexikon und prüfen dort. Sind die „Sedisvakantisten“ die neuen „Pharisäer“? Betreiben sie „Rottenbildung in den christlichen Gemeinden“? Näherhin ist zu fragen, ob sie eine „kirchliche Sonderrichtung aus religiösem Individualismus“ sind, „die der wahren Kirche widerstreitet und ein Eigendasein führt“, ob ihnen „falsche Lehren oder Ablehnung der kirchlichen Hierarchie“ eignen und „sie von der Wahrheit und Einheit der Kirche Christi getrennt haben“. Wie steht es damit? Ein inzwischen verstorbener antisedisvakantistischer Conférencier, der in „traditionalistischen“ Kreisen viel gehört und herumgereicht wurde, kam bei all seiner Kritik am „Sedisvakantismus“ nicht umhin zu bescheinigen, daß man den „Sedisvakantisten“ keine Häresien vorwerfen könne. Sie seien Katholiken und befänden sich lediglich in einem „error facti“, in einem Irrtum nicht bezüglich der Lehre, sondern bezüglich eines Faktums, des Faktums nämlich, ob die „konziliaren Päpste“ wahre Päpste seien oder nicht. Dieser Irrtum führe sie in eine „Sackgasse“, aus der sie nicht mehr herauskämen, weil auf Grundlage ihrer Sichtweise die Kirche nie wieder einen Papst haben könne, nachdem es keine Kardinäle mehr gebe, die diesen wählen könnten. Auf diesen Unsinn wollen wir hier nicht näher eingehen; wir haben es anderswo oft genug getan. Jedenfalls bestätigte der Conférencier, der immerhin einen römischen Doktortitel in Theologie und einen in Kirchenrecht hatte, damit, daß die „Sedisvakantisten“ keine „falschen Lehren“ haben und daß sie sich auch nicht der „Ablehnung der kirchlichen Hierarchie“ schuldig gemacht haben, da sie ja „irrtümlich“ die „konziliaren Päpste“ gar nicht als „kirchliche Hierarchie“ betrachten.

Man kann die „Sedisvakantisten“ folglich nicht einmal im „weiteren Sinn“ eine Sekte nennen, geschweige im „engeren Sinn“. Denn wo fänden wir bei ihnen einen „ethischen Rigorismus“, aus dem „vielfach pharisäische Selbstgerechtigkeit, schwärmerische religiöse Selbstsicherheit und jene dünkelhafte Unbelehrsamkeit“ hervorgehen, „mit der die Bibel willkürlich erklärt, eigenartige Lehren trotzig festgehalten, die Kirche fanatisch bekämpft und Proselytenmacherei betrieben werden“? Wir wollen nicht bestreiten, daß derlei Phänomene auch unter den „Sedisvakantisten“ bisweilen zu beobachten sind; das ist aber u.a. bei den „Traditionalisten“ und Modernisten nicht anders. Generell aber sind die „Sedisvakantisten“ ganz einfach brave Katholiken, die versuchen, in den verwirrenden Zeiten der „großen Apostasie“ den Glauben nicht zu verlieren, der Kirche treu zu bleiben und ihre Seelen zu retten. „Pharisäische Selbstgerechtigkeit, schwärmerische religiöse Selbstsicherheit“ und „dünkelhafte Unbelehrsamkeit“ sind ihnen fremd. Sie sind vielmehr „arm im Geiste“ und halten sich nicht selber für weise, weshalb sie desto unverbrüchlicher bemüht sind, an der kirchlichen Lehre festzuhalten und an nichts anderem. Willkürliche Bibelerklärung ist ihnen ebenso ein Greuel wie „eigenartige Lehren“. Sie sind weder „fanatisch“ noch bekämpfen sie die Kirche. Noch viel weniger geht es ihnen um „Proselytenmacherei“. Im Gegenteil. Zwar sind sie eifrig in der Bekämpfung der Irrtümer und immer bemüht, den Seelen den Blick für die Wahrheit zu öffnen und sie für Christus zu gewinnen. Doch ist das nichts anderes als das, was die Kirche immer getan hat. Fraglos sind sie damit „als Massenkirche eingestellt“ und stimmen „in ihrer universalistischen Absicht mit der wahren Kirche“ vollkommen überein.

Wie erkenne ich eine Sekte?

Auch nach den Kriterien von Algermissen können wir die „Sedi-Sekte“ nicht auffinden. Daher greifen wir nach einem dritten Zeugen, dem „Sonntagsblatt“, das der Frage „Was ist eine Sekte?“ auf die Spur kommen wollte. Laut der „Bundeszentrale für politische Bildung“ werde mit diesem Begriff „eine Glaubensgemeinschaft bezeichnet, ‚die sich von einer größeren Gemeinschaft (man sagt auch ‚Mutterreligon‘)‘ abgespalten hat“, erfahren wir da. Das kennen wir schon von „Wikipedia“. „Sekten gebe es daher in allen Religionen“, belehrt uns die „Bundeszentrale“ weiter. Inzwischen freilich sei der Begriff „hauptsächlich negativ konnotiert“, und man verstehe darunter „meist eine Gemeinschaft, die ihre Mitglieder manipuliert, sodass diese nahezu willenlos einer bestimmten Führungsinstitution folgen“. Ihre „Mitglieder gelten als fanatisch, weil sie nicht bereit sind, sich mit kritischen Fragen auseinanderzusetzen“. Diese Beschreibung erinnert uns, wenn schon, dann eher an gewisse „Traditionalisten“ als an „Sedisvakantisten“. Die „Sektenberatung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (ELKB)“ hantiert daher vorsichtiger mit dem Ausdruck und nennt mit dem „Schweizer Religionswissenschaftler Georg Otto Schmid“ eine Sekte „eine Gemeinschaft, durch welche Menschen eine erzwungene Abgabe von Freiheit erleben“, wobei die „Wahrnehmung dessen“ jedoch „stark subjektiv“ sei.

Interessant wird es im nächsten Abschnitt, wo uns unter der Überschrift „Wie erkenne ich eine Sekte?“ eine Orientierung geboten werden soll. Dazu, so lesen wir, gelte es, „entsprechende Tendenzen zu identifizieren“, von denen der „Sektenbeauftragte der bayerischen Landeskirche“, Mathias Pöhlmann, im „Gespräch mit dem Sonntagsblatt“ die „wichtigsten“ genannt hat. Das freut uns, dann so können wir endlich zweifelsfrei nach „wissenschaftlichen“ Kriterien eruieren, ob die „Sedisvakantisten“ nun eine „Sekte“ sind oder nicht. Der erste Punkt, den der „Sektenbeauftragte“ uns nennt, ist der „Anspruch auf Exklusivität“. Ein „extremes Exklusivitätsdenken“ spreche dafür, „dass eine Glaubensgemeinschaft sektiererische Tendenzen hat“. „Denkweisen wie: ‚Wir sind die gerettete Gemeinschaft, die Welt da draußen ist dem Untergang geweiht‘, oder: ‚Nur wir haben das höhere Wissen‘ sind laut Pöhlmann typische Signale.“ Damit verbunden sei häufig auch die Tatsache, „dass nur bestimmte Gurus, Meister oder Leitungsgremien Zugriff auf ‚die ganze Wahrheit‘ haben.“

Das ist gewiß nicht die Denkweise der „Sedisvakantisten“. „Zugriff auf die ganze Wahrheit“ hat zweifellos jeder Katholik, der in seinem Glauben bereits die „ganze Wahrheit“ besitzt, und im Grunde jeder Mensch, denn alle sind dazu berufen, im katholischen Glauben die „ganze Wahrheit“ zu finden. Jedem ist das möglich. Freilich finden wir diese Wahrheit nicht direkt, sondern vermittelt durch das kirchliche Lehramt, das zu diesem Zweck von Gott eingesetzt und mit der Gabe der Unfehlbarkeit ausgestattet wurde, damit der Zugang zur „ganzen Wahrheit“ für uns desto leichter und sicherer sei. Auch wenn die Kirche sich immer bewußt war, daß sie allein die Arche des Heils ist, so hatte sie nie ein „Exklusivitätsdenken“, sondern sah sich stets als „katholisch“, d.h. allumfassend, für alle Menschen aller Völker aller Zeiten offenstehend, um möglichst alle zu retten.

Zweiter Punkt: Die „Sozialstruktur“. „In Sekten gängig ist laut dem Sektenbeauftragen auch eine Sozialkontrolle bis hin zur Bewusstseinskontrolle: ‚Das heißt, das Denken und Fühlen wird stark von der Gruppe vorgegeben.‘“ Die „Sedisvakantisten“ halten sich an die katholische Lehre in Glaube und Moral, nicht mehr und nicht weniger. Eine „Sozialkontrolle“ wäre schon deswegen nicht möglich, weil es an sich keine geschlossenen „Gruppen“ gibt.

Dritter Punkt: „Kritikresistenz“. Hierzu sei zu fragen: „Wie kritikfähig ist eine Gemeinschaft? Dürfen Zweifel geäußert werden?“ Dies könne „Aufschluss darüber geben, ob es sich bei einer Gemeinschaft um eine Sekte handelt“. Wie wir wissen, gehören die „Sedisvakantisten“ zu den wenigen in der heutigen Gesellschaft, die jederzeit bereit sind, Kritik anzunehmen und auf Zweifel zu hören und zu antworten. Ein heute eher seltenes Phänomen, das sie eindeutig als katholisch ausweist. Das Problem ist nur, daß sie „tabuisiert“ werden und man mit ihnen jede Debatte verweigert, in welcher Kritik geäußert würde und man ihnen eine Antwort ermöglichte.

Zum vierten Punkt „Abhängigkeitsverhältnis“ brauchen wir kaum etwas zu sagen. Daß „einzelne Mitglieder stark von einer Führungsperson, einem Gremium, oder ähnlichem abhängig“ seien, läßt sich bei den „Sedisvakantisten“ allenfalls dort behaupten, wo überhaupt eine „Führungsperson“, ein „Gremium“ oder „ähnliches“ auftritt. Grundsätzlich und als solches besitzt der „Sedisvakantismus“ derlei nicht, weder eine „Führungsperson“ noch ein „Gremium“ noch sonst etwas in der Art. Auch wenn manche sich das wünschen würden, damit vielleicht die Zersplitterung überwunden werden und eine größere Einheit entstehen könnte, so scheint es uns doch besser so, gerade damit eine Sektenbildung vermieden wird.

Das fünfte Kennzeichen ist ein „Einfaches Weltbild“, in dem es „für jedes Problem scheinbar eine einfache Lösung“ gibt, wo „weder überprüft noch selbst gedacht werden“ muß, was ein Hinweis sei, „dass freies Denken unterbunden wird“. Nichts wünschen die „Sedisvakantisten“ mehr, als daß die Katholiken endlich anfangen würden, selber zu denken und die Ideologien zu überprüfen, die ihnen von allen Seiten fortwährend eingebleut werden. Ganz im Sinne der Kirche wollen sie keine blinde Gefolgschaft, sondern ein „rationale obsequium“ fördern, eine vernünftige Unterwerfung des Verstandes unter den sich offenbarenden Gott, die zu unterscheiden versteht zwischen dem, was von Gott kommt, und dem, was bloß von Menschen stammt. Sie wollen nicht, daß man ihnen glaubt oder sonst einem Menschen, und sei es der heiligste, sondern daß man einzig Gott und der Kirche folgt. Ihr „Weltbild“ ist weder kompliziert noch einfach, sondern schlicht katholisch, und vertraut für die Lösung der „Probleme“ weniger auf menschliche Mittel als auf Gott.

Das sechste Merkmal, die „Mitgliedschaft“, äußert sich wie folgt: „Nur wer sich einer Gemeinschaft radikal anschließt, Mitglied wird und langfristig auch Geld in Form von Spenden oder Mitgliedsbeiträgen aufbringt, gehört dazu – ein klares Zeichen dafür, dass hier Strukturen einer Sekte gegeben sind.“ Dies trifft auf die „Sedisvakantisten“ in keiner Weise zu. Mehrfach haben wir es erlebt, daß „traditionalistische“ Priester sich weigerten, beispielsweise einer Person die Sterbesakramente zu spenden, weil diese nicht zu „ihren“ Gläubigen gehörte, weshalb ein „sedisvakantistischer“ Priester gerufen wurde, der selbstverständlich sofort bereit war, zur Rettung dieser Seele zu eilen. Zwar gibt es, wie wir wissen, auch „sedisvakantistische“ „Privat-Clubs“, die etwa den „Anhängern der Vatikan-II-Hierarchie“ die Sakramente verweigern, das aber sind die Ausnahmen.

Was siebtens die „Abgrenzung von der Gesellschaft“ betrifft, so fehlt diese bei den „Sedisvakantisten“ völlig. Diese wird wie folgt beschrieben: „Um Schulterschluss und Gemeinschaft zu demonstrieren, gelten in den meisten Sekten klare Regeln für das Alltagsleben wie Kleidungsvorschriften, verpflichtende Rituale oder den Umgang mit Andersgläubigen.“ Die „Sedisvakantisten“ kennen keine „Regeln für das Alltagsleben wie Kleidungsvorschriften, verpflichtende Rituale oder den Umgang mit Andersgläubigen“ als die der katholischen Kirche. Die Kirche verbietet uns schamlose Kleidung und die „Communicatio in sacris“, d.h. die Gottesdienstgemeinschaft mit Andersgläubigen, und die Kirche gibt uns die „verpflichtenden Rituale“ vor für die Feier der Heiligen Messe, der Sakramente und Sakramentalien. Ihr folgen die „Sedisvakantisten“, und darüberhinaus verlangen sie nichts.

Deshalb üben sie auch keine „Kontrolle“, wie dies der achte Punkt als Merkmal festhält: „Hat das Nichtbeachten von vorgegebenen Regeln Konsequenzen und wird gar überwacht, was Einzelne tun oder nicht tun, ist dies ein weiteres Warnsignal.“ Die „Sedisvakantisten“ haben wahrhaft andere Sorgen. Natürlich wird ein Priester als der Verantwortliche für den Gottesdienst darüber wachen, daß nichts die Würde und Heiligkeit der sakralen Handlungen beeinträchtigt, das ist aber auch schon alles. Sich in das Leben der Gläubigen einzumischen hat er weder die Zeit noch die Kompetenz noch die Lust.

Schluß

Wir waren bisweilen imstande, die „Konziliare Kirche“ als modernistische und apostatische „Sekte“ zu titulieren und meinten damit eine „Sekte im weiteren Sinn“. Sicher eignet ihr kein im eigentlichen Sinne „donatistischer Kirchenbegriff“, sieht sie sich doch gerade als die „universalste“ Religion an, die nicht nur alle Völker und Menschen, sondern auch sämtliche Religionen der Welt in sich vereinen will, obwohl auch gerade ihr „vielfach pharisäische Selbstgerechtigkeit, schwärmerische religiöse Selbstsicherheit und jene dünkelhafte Unbelehrsamkeit“ nicht fehlen, mit denen sie sich ihrer grenzenlosen „Barmherzigkeit“ rühmt und abfällig auf jene herabsieht, die nicht so „barmherzig“ sind. Gerade gegenüber der „alten Kirche“ fühlt sie sich sehr erhaben und fortgeschritten und blickt verächtlich auf die „Traditionalisten“ herab.

Daß es bei letzteren sektiererische Tendenzen und Erscheinungen gibt, brauchen wir nicht zu beweisen. Ein Blick in ein „traditionalistisches“ Internetportal genügt. Leider fehlen derlei Tendenzen und Erscheinungen auch bei den „Sedisvakantisten“ nicht; das bringt die gegenwärtige kirchliche Situation fast unausweichlich mit sich. Die Versuchung, eine „Ersatzkirche“ zu schaffen, ist allzu groß. Dann aber ist die Sektenbildung nicht mehr weit. Es gibt aber nicht „DIE sedisvakantistische Sekte“, denn jene, die man heute „Sedisvakantisten“ nennt, sind nichts anderes als Katholiken, die ihrer Kirche die Treue wahren wollen.