Verwitwete Kirche oder Wie sieht die Kirche in einer Periode der Sedisvakanz aus?

Viel Gerede ist bei den „Traditionalisten“ von der „Sichtbarkeit der Kirche“, die nicht vereinbar sei mit einer länger andauernden Vakanz des Heiligen Stuhles. Damit meinen sie den „Sedisvakantismus“ widerlegen zu können. „WM Review“ hat sich der Sache angenommen und sie anhand der Lehren der Kardinäle Bellarmin, Journet und Cajetan versucht zu klären. Wie sieht die Kirche in einer Periode der Sedisvakanz aus?

Wahl eines Papstes

„Wenn der Papst stirbt, ist die Kirche verwitwet“, lautet die Überschrift. Die erste Frage, die sich aus einer außergewöhnlichen Sedisvakanz wie der unseren ergibt, ist die nach der Wahl eines neuen Oberhauptes. Wer soll den Papst wählen, wenn es keine Kardinäle mehr gibt? Das war eines der „Hauptargumente“ Mgr. Lefebvres gegen den „Sedisvakantismus“ und macht bis heute selbst vielen „Sedisvakantisten“ Probleme, weshalb bisweilen recht sonderbare Theorien und „Thesen“ aufgestellt wurden, um eine Lösung zu bieten. Was aber sagen etablierte Theologen, was sagen Kirchenlehrer zu diesem Thema? Denn in der Tat haben bereits angesehene Theologen der Vergangenheit sich mit dieser Frage beschäftigt.

Der heilige Robert Bellarmin

Einer von ihnen war der heilige Robert Bellarmin (der Schrecken der Anti-Sedisvakantisten). Zwar kann man nicht sicher sagen, ob seine Überlegungen davon ausgehen, daß alle Kardinäle auf einmal gestorben oder verschwunden sein könnten (obwohl das in früheren Zeiten gar keine so unwahrscheinliche Vorstellung war, zumal es viel weniger Kardinäle gab – manchmal nicht mehr als ein Dutzend – und die kirchenfeindlichen Kräfte keine Hemmungen kannten, auch mit Waffengewalt gegen diese vorzugehen). Zumindest aber zieht er einen möglichen Umstand in Betracht, in welchem sowohl das natürliche als auch das göttliche Recht anzuwenden wären: als vollkommene Gesellschaft muß die Kirche in der Lage sein, sich auf irgendeine Weise ein neues Haupt zu verschaffen.

Zweifellos erheben sich in unserer heutigen Situation viele und geradezu unüberwindliche praktische Schwierigkeiten, wenn man versuchen wollte, die Ideen umzusetzen, die der Kirchenlehrer uns gibt. Andere verweisen darauf, daß es sich lediglich um „Meinungen“ des heiligen Robert handle und andere Theologen andere Meinungen hätten – wir kennen diese Rede zur Genüge von den Anti-Sedisvakantisten. Das mag so sein, ist aber hier irrelevant. Denn es geht nicht darum, die einzig zutreffende Lösung aufzuzeigen, sondern lediglich darzulegen, daß es falsch ist zu sagen, daß es keine Lösungen für ein langdauerndes Interregnum gäbe. Sogar eine – wenigstens im Moment – unpraktikable Lösung würde als Widerlegung dieses Einwands ausreichen. Wenn wir auch nicht sagen können, wie Gott dem gegenwärtigen Zustand der Kirche ein Ende bereiten wird und keinen fertigen „Plan“ vorlegen können, scheint es doch sinnvoll, Möglichkeiten aufzuzeigen, wie dies geschehen könnte, um der von Anti-Sedisvakantisten behaupteten „Sackgasse“ des „Sedisvakantismus“ den Wind aus den Segeln zu nehmen. Der heilige Bellarmin und andere Theologen hielten es keineswegs für unmöglich, daß die Kirche auch ohne Kardinäle wieder zu einem Papst kommen könnte und arbeiteten Lösungsmöglichkeiten dafür aus. Das ist das entscheidende Argument.

Im Abschnitt „De clericis“ seiner „Kontroversen“ legt der heilige Robert in Buch I, Kap. 10, als „achte These“ folgende vor: „Gäbe es keine päpstliche Konstitution über die Wahl des Papstes, oder würden zufällig alle gesetzlich vorgesehenen Wahlmänner, d. h. alle Kardinäle, gleichzeitig ausfallen, so läge das Wahlrecht bei den benachbarten Bischöfen und dem römischen Klerus, allerdings in gewisser Abhängigkeit von einem allgemeinen Konzil der Bischöfe.“ Dazu merkt der heilige Kirchenlehrer an: „In diesem Punkt scheint es keine allgemeine Übereinstimmung zu geben. Einige sind der Meinung, daß das Recht der Wahl ohne positives Recht einem Bischofskonzil zusteht, wie Cajetan (…), andere, wie Sylvester, (…) lehren, daß in diesem Fall das Recht der Wahl dem römischen Klerus zusteht.“ Da hätten wir schon gleich mehrere Möglichkeiten.

Bellarmin ist der Ansicht, daß die beiden von ihm eben genannten Meinungen in Einklang gebracht werden können. Er schreibt: „Zweifellos liegt die primäre Autorität der Wahl in diesem Fall bei einem Konzil der Bischöfe; denn wenn der Papst stirbt, gibt es in der Kirche keine höhere Autorität als die eines allgemeinen Konzils; und wenn der Papst nicht der Bischof von Rom oder irgendeinem anderen besonderen Ort wäre, sondern nur der allgemeine Hirte der ganzen Kirche, würde es den Bischöfen obliegen, entweder seinen Nachfolger zu wählen oder die Wahlmänner zu bestimmen [die dies tun]. Nachdem jedoch das Pontifikat der Welt mit dem Bistum der Stadt [Rom] verbunden wurde [posteaquam unitus est Pontificatus orbis Episcopatui Urbis], müßte die unmittelbare Befugnis zur Wahl in diesem Fall von den Bischöfen der ganzen Welt den benachbarten Bischöfen und den Klerikern der römischen Kirche zugestanden werden, was auf zweierlei Weise bewiesen wird.“

Als ersten Beweis führt der heilige Robert an, daß das Wahlrecht ursprünglich beim Klerus von Rom und den benachbarten Bischöfen lag und dann auf die Kardinäle überging, welche einen „gewissen Teil der Bischöfe und des Klerus der römischen Kirche“ darstellen. Daher sollte bei einem Ausfall der Kardinäle das Wahlrecht an die Bischöfe und den Klerus der Kirche von Rom zurückfallen. Zweitens sei es „ein sehr alter Brauch“, wie man Cyprian entnehmen könne, „daß die benachbarten Bischöfe in Anwesenheit des Klerus sowohl den Bischof von Rom als auch andere wählen“, und es sei „unerhört, daß sich die Bischöfe oder Erzbischöfe der ganzen Welt zur Wahl des Papstes versammeln, es sei denn, es ist zweifelhaft, wer die rechtmäßigen Wähler sind“. „Denn dieser Zweifel soll durch ein allgemeines Konzil geklärt werden, wie es auf dem Konzil von Konstanz geschehen ist.“

Journet und Cajetan

Ausführlicher wird die Frage von „Kardinal“ Journet behandelt, der sich dabei auf Cajetan stützt, welcher sagt: „Wenn die Vorschriften des Kirchenrechts nicht eingehalten werden können, obliegt das Wahlrecht bestimmten Mitgliedern der Kirche von Rom. Fällt der römische Klerus aus, dann steht das Recht der Universalkirche zu, deren Bischof der Papst ist.“ Offensichtlich besteht in diesem Punkt eine weitgehende Übereinstimmung zwischen Bellarmin und Cajetan.

WM Review“ merkt an, daß „Kardinal“ Journet nicht ganz unbedenklich ist, da er den „Kardinalshut“ im Februar 1965 durch „Paul VI.“ erhielt und sich ein halbes Jahr später auf dem „II. Vatikanum“ ausdrücklich für die „Erklärung der Religionsfreiheit“ aussprach, die er für „rechtgläubig“ erklärte. Von Mgr. Joseph Clifford Fenton wurde er dafür scharf kritisiert. Das bedeutet freilich nicht, daß alles wertlos sei, was er geschrieben hat, zumal er sich hier auf Cajetan stützt. Übrigens ist es auch Journet und seiner großen Vorliebe für Cajetan zu verdanken, daß die „Traditionalisten“ bis heute dessen Ansicht zum Thema des „häretischen Papstes“ meinen gegen den heiligen Bellarmin ausspielen zu können, obwohl dieser sie bereits ausführlich widerlegt hat. Cajetan selber soll seine Position in diesem Punkt später aufgegeben haben.

Wie auch immer, weder Journet noch Cajetan kann abgesprochen werden, daß sie große und fähige Theologen waren. In seinem 1955 (selbstverständlich mit Imprimatur) erschienenen Werk „Die Kirche des menschgewordenen Wortes“ spricht Journet im „Exkurs VIII“ über die „Wahl eines Papstes“, und stützt sich dabei auf Cajetan. Die Kirche, so schreibt er, besitze während einer Vakanz des päpstlichen Stuhles im Hinblick auf die oberste Jurisdiktion lediglich die Gewalt, zur Wahl eines neuen Papstes zu schreiten, und zwar entweder durch die Kardinäle, oder, wenn diese fehlen, auf eine andere Weise. Dazu Cajetan: „Das Papsttum existiert, wenn kein Papst da ist, in der Kirche lediglich in der amtlichen Wahlgewalt, denn sie kann in der Tat den Papst wählen, wenn der Heilige Stuhl vakant ist, entweder durch die Kardinäle oder selber, falls es nötig ist.“ Lateinisch: „Papatus, secluso papa, non est in Ecclesia nisi in potentia ministerialiter electiva, quia scilicet potest, sede vacante, papam eligere, per cardinales, vel per seipsam in casu.

Näher führt er aus, daß die Kirche, was die oberste Jurisdiktion anbelangt, nichts weiter tun kann als denjenigen zu bestimmen, welchem Gott die oberste Gewalt der Kirche übertragen soll. „Die Gewalt, das Papsttum zu übertragen, obliegt Christus allein, nicht der Kirche, die lediglich den speziellen Träger derselben bestimmt“, wie Johannes von St. Thomas sagt. Dem Papst steht es nicht zu, selber seinen Nachfolger zu bestimmen, wohl aber kann er die Regeln aufstellen, nach welchen bei der Wahl eines künftigen Pontifex zu verfahren ist. Diese Bestimmungen behalten ihre Gültigkeit selbstverständlich auch während der Sedisvakanz. „Im Falle von Unklarheiten“ jedoch, „(z. B. wenn nicht bekannt ist, wer die wahren Kardinäle sind oder wer der wahre Papst ist, wie es zur Zeit des Großen Schismas der Fall war), geht die Befugnis, ‚das Papsttum auf diese und jene Person anzuwenden‘, auf die universale Kirche, die Kirche Gottes, über“. Speziell ist dies zunächst der römische Klerus, wenn dieser aber ausfällt, dann die universale Kirche, deren Bischof der Papst ist.

Die kirchliche Jurisdiktion im Falle eines Interregnums

Die Theologen früherer Zeiten waren jedenfalls nicht der Ansicht, daß sich die Kirche in einer „ausweglosen Sackgasse“ befände, wenn der Heilige Stuhl vakant ist und keine Kardinäle vorhanden sind, um einen neuen Papst zu wählen. Wie aber sieht der Zustand der Kirche während eines Interregnums aus in bezug auf die Jurisdiktion? Wie kann die Jurisdiktion in der Kirche weiterbestehen und geübt werden, wie können vor allem neue Diözesanbischöfe ernannt werden, wenn die Sedisvakanz länger andauert? Auch hierzu hat sich Journet in dem bereits zitierten Werk Gedanken gemacht und sich dabei auf Cajetan bezogen.

Unvollkommene Kirche und Papsttum in Potenz

Wir dürfen nicht denken, so Journet, daß die Kirche nach dem Tod des Papstes die päpstliche Gewalt „in actu“ besitze, wenngleich in einer „diffusen“ Weise, sodaß sie diese auf den nächsten Papst übertragen könnte, in welchem sie sich wieder „konkretisiert“. „Wenn der Papst stirbt, ist die Kirche verwitwet, und ist im Hinblick auf die universale sichtbare Hirtengewalt tatsächlich ohne Haupt.“ Hierzu fügt er einige Aussagen Cajetans, die sehr bemerkenswert sind. Während einer Sedisvakanz, so sagt dieser, befinde sich die Universalkirche in einem „unvollkommenen Zustand“ gleich einem „amputierten Leib“, zwar ein Leib, aber kein vollständiger Leib. „Die Kirche ist ohne Haupt, ihres höchsten Teils und ihrer Macht beraubt. Wer das bestreitet, verfällt dem Irrtum des Johannes Hus, der die Notwendigkeit eines sichtbaren Herrschers für die Kirche leugnete, der zunächst vom heiligen Thomas und dann von Martin V. auf dem Konzil von Konstanz verurteilt wurde. Und zu sagen, daß die Kirche in diesem Zustand ihre Macht unmittelbar von Christus hat und daß das Allgemeine Konzil sie vertritt, ist ein nicht zu duldender Irrtum.“

Das richtet sich gegen den sog. Konziliarismus, der auf dem Konzil von Konstanz sein Haupt erhob und auf dem Konzil von Basel frech gegen den Papst auftrat bis hin zur Wahl eines Gegenpapstes. Zugleich wird darin offenbar, wie unsinnig der bisweilen von Anti-Sedisvakantisten erhobene Vorwurf ist, die „Sedisvakantisten“ verträten im Grunde die Irrlehren des Hus. Nie wäre ein „Sedisvakantist“ auf die Idee gekommen, die Kirche ohne Papst sei „vollständig“ und gleiche nicht einem „amputierten Leib“. Im Gegenteil! Hier eine der verurteilten Aussagen des Hus: „Petrus ist nicht und war nie das Haupt der Heiligen Katholischen Kirche. - Es gibt nichts, was beweist, daß die geistliche Ordnung ein Haupt erfordert, welches mit der Streitenden Kirche weiterlebt und fortdauert.“ Kein „Sedisvakantist“ würde so etwas je behaupten.

Die Kirche, fährt Journet fort, sei jedoch auch in einer Sedisvakanz nicht „kopflos“, wie es die schismatischen Kirchen sind, auch sei sie nicht wie ein in Auflösung begriffener Leib. Vielmehr werde sie weiterhin durch Christus vom Himmel aus gelenkt. Niemand auf Erden könne jedoch in Seinem Namen die oberste geistliche Gewalt in ihr ausüben und daher könne es keine neuen Entfaltungen des allgemeinen kirchlichen Lebens geben (wie z.B. die Verkündigung von Dogmen, neue Rechtsbestimmungen, liturgische Änderungen, Einführung neuer Orden etc.). „Doch auch wenn sich der Pulsschlag der Kirche verlangsamt hat, so ist er doch nicht erloschen“, beschreibt Journet sehr schön und bildhaft diesen Zustand. Denn die Kirche besitzt immer noch das „Papsttum in Potenz“, d.h. „in dem Sinne, daß Christus, der gewollt hat, daß sie immer von einem sichtbaren Hirten abhängt, ihr die Macht gegeben hat, den Mann zu bestimmen, dem er selbst die Schlüssel des Himmelreichs übergibt, wie er sie einst Petrus übergab“.

Universale und partikuläre Hirtengewalt

Es folgt ein sehr wichtiger Punkt mit dem Hinweis, daß die Bischöfe nicht die Oberste Hirtengewalt besitzen, denn „die Summe der partikulären Jurisdiktionen ergibt nicht die universale Jurisdiktion“. Journet erklärt: Die Jurisdiktionsgewalt ist dem Obersten Hirten und den Bischöfen zueigen. „Sie geht vom Papst, der sie als Quelle besitzt, auf die Bischöfe über, die sie zweifellos als eigene Macht besitzen, aber in Ableitung.“ Auf beiden Ebenen ist sie eine vollkommen geistliche Gewalt, ganz und gar auf dasselbe Ziel des Heils der Seelen hingeordnet und weist in diesem Sinn auf ihre wesentliche Einheit hin. Dennoch tritt sie beim Papst und bei den Bischöfen in jeweils verschiedenen Formen auf. Die dem Papst eignende Jurisdiktion ist universal, sie gilt für die gesamte Kirche, die den Bischöfen eignende ist partikulär, bezogen auf ihre jeweilige Teilkirche oder Diözese. Der Unterschied ist nicht rein quantitativ aufzufassen, so als hätte der Papst einfach „mehr“ Jurisdiktion als die Bischöfe, sondern qualitativ. Die Jurisdiktion ist jeweils von verschiedener Art. Ebenso wie die Kirche nicht nur eine Summe der Teilkirchen ist, so ist die universale Jurisdiktion nicht nur eine Summe der partikulären Jurisdiktionen. „Das Ganze ist mehr als die Summe der Teile“ gilt auch hier.

Besitzt also der einzelne Bischof nur eine partikuläre Jurisdiktion, so besitzen auch alle Bischöfe zusammen lediglich die Summe der partikulären Jurisdiktionen, nicht aber die universale Jurisdiktion. „Selbst wenn man, wie Cajetan, annimmt, daß nach dem Tod eines Papstes alle Bischöfe der Welt in einer Universalsynode zusammenkommen und sich einigen, dann gibt es eine quantitative und kumulative jurisdiktionelle Universalität; aber zwischen dieser und der qualitativen und essentiellen Universalität des obersten Hirten bleibt ein Abgrund.“ Dieser wesentliche Unterschied scheint uns sehr beachtenswert. Er erklärt, warum selbst ein allgemeines Konzil aller Bischöfe nicht die höchste Lehrgewalt in der Kirche ausüben kann, wenn es nicht mit dem Papst vereint, von ihm getragen und bestätigt wird.

Die Bischöfe während eines Interregnums

Was also können nun die Bischöfe während eines „Interregnums“ tun und was nicht? „Wenn man, wie Cajetan bemerkt, die Bischöfe einfach als solche versammelt, erhält man keine transzendente Jurisdiktion, die sich von den Teiljurisdiktionen unterscheiden würde, wie die Sonne sich von den gemischten Körpern unterscheidet (die Alten betrachteten bekanntlich die Kräfte der Sterne als die Kräfte der gemischten Körper verursachend und in eminenter Weise enthaltend), sondern lediglich eine Art von Gesamtjurisdiktion, die sich aus einer Ansammlung von Teiljurisdiktionen zusammensetzt, so wie die Menschheit sich aus der Summe aller Menschen zusammensetzt: ‚Nec est aliqua extranea potestas a potestatibus partialibus, sed velut potestas totalis, consurgens ex partialibus.‘“

Davor hatte Cajetan geschrieben: „Das Konzil kann, wenn es vom Papst losgelöst wäre, nicht mehr tun als die einzelnen Gewalten, aus denen es sich zusammensetzt: Es kann keinen Bischof einsetzen, wenn die Oberen fehlen, auf die dieses Amt zurückgeht. Der Papst aber kann überall Bischöfe wählen und einsetzen kraft seiner alleinigen Autorität, die nicht die seine ist, sondern die desjenigen, ‚der in der Größe seiner Kraft wandelt‘.“ Ja, er ging so weit zu sagen: „Wir sind sicher, daß weder der Papst, noch andererseits die gesamte Kirche oder das gesamte Konzil in Sachen des Glaubens irren kann, wenn sie ein autoritatives Urteil in Glaubensdingen abgeben.“ Hingegen: „Von einer ihres Hauptes beraubten Kirche kann man nichts sagen; wenn das Haupt fehlt, mag es viele Verdienste geben, aber keine Autorität mehr.“ Er fügt hinzu: „Weil sie nicht zwischen einem persönlichen Glauben und einem autoritativen Urteil unterscheiden können, sind manche so unbedarft, daß sie die Gelehrten dem Papst vorziehen; sie denken an die Person des Papstes, nicht an sein Amt und den göttlichen Beistand, der diesem Amt verheißen ist.“

All das sind goldene Worte und erklären uns viel. Wir sehen beispielsweise, warum das „II. Vatikanum“ das anrichten konnte, was es angerichtet hat. Es war ein Konzil ohne Papst (bzw. nur mit einem Scheinpapst). Es besaß keine Autorität, und obwohl viele Bischöfe mit „vielen Verdiensten“ daran teilnahmen, ließ es sich von den „Gelehrten“, den „Periti“, in Glaubensirrtümer führen. Ohne Papst fehlt der Kirche der unfehlbare Beistand. Es kann „keine Entscheidung getroffen werden, die unter die spezielle Gewalt des Papstes fällt“, weshalb beispielsweise „keine implizit offenbarte Wahrheit ausdrücklich definiert werden kann“.

Wahl und Ernennung von Bischöfen

Wie aber sieht es während eines Interregnums mit der Jurisdiktion und der Ernennung der Bischöfe aus? Die Konstitution „Vacante Sede Apostolica“ des heiligen Pius X. von 1904, die einen Anhang des Kirchenrechts bildet, sieht vor, daß ein Konzil, das gerade abgehalten wird, während ein Papst stirbt, sofort auszusetzen ist. Nicht das Konzil, sondern das Kardinalskollegium hat die Aufgabe, den neuen Papst zu wählen. Das bedeutet jedoch nicht, daß jede Jurisdiktion sogleich erloschen ist. Die Anordnungen der früheren Päpste bleiben in Kraft – insbesondere natürlich jene, welche die gültige Wahl eines Nachfolgers regeln. Die Römischen Kongregationen verlieren zwar jene Gewalten, welche sie ohne ausdrückliche Berufung auf den Obersten Pontifex nicht ausüben können, behalten jedoch diejenigen, welche sie aufgrund von Apostolischen Schreiben besitzen und die als ihnen eigentümlich anzusehen sind.

Ebenso behalten der Kardinalvikar von Rom, die Legaten, Nuntien und Apostolischen Delegaten ihre Jurisdiktion ohne Unterbrechung. Zwar obliegt es dem Papst, die einzusetzenden Bischöfe zu ernennen, doch ist, wie Cajetan in „De Romani Pontificis Institutione“ darlegt, zwischen der Gewalt des Obersten Hirten (auctoritas) und deren Ausübung (executio) zu unterscheiden, welch letztere im Lauf der Jahrhunderte sich in ihrer Art verändert hat. So hatten beispielsweise in alten Zeiten aufgrund der kirchlichen Disziplin die Patriarchen von Alexandrien oder Antiochien das Recht, die Bischöfe ihrer Provinz selber zu ernennen. Vom 2. bis zum 6. Jahrhundert wurden die Bischöfe vom Klerus mit Zustimmung des Volkes gewählt. „Niemand“, sagt der heilige Leo der Große, „kann für einen Bischof gehalten werden, der nicht vom Klerus gewählt oder vom Volk erbeten worden ist.“ Der Bischof von Rom mischte sich nicht direkt in die Wahl ein, sondern begnügte sich damit, daß sie in rechter Weise ausgeführt worden war. „Sein diskretes und indirektes Eingreifen war dennoch real und unbestreitbar. Es war gewissermaßen eine Verlängerung seines Primats.“

Die Gregorianische Reform bemühte sich, das Recht zur Wahl der Bischöfe aus den Händen der weltlichen Fürsten zu befreien, die es an sich gerissen hatten, und es in den alten Zustand zurückzuversetzen. Im 13. Jahrhundert schließlich wurde der Papst endgültig der oberste Schiedsrichter über die Wahlen. Ein neues Recht löste das alte ab, und die direkte Ernennung durch den Obersten Pontifex wurde zum allgemeinen Gesetz. Die verschiedenen in Gebrauch befindlichen Modalitäten, die anderen als dem Papst eine gewisse Rolle bei der Wahl der Bischöfe zugestanden, waren lokale Zugeständnisse und Ausnahmen vom allgemeinen Recht. „Die schismatischen griechisch-russischen Kirchen scheinen auf ihre Weise die Berechtigung dieser Lehre zu bestätigen, indem sie sich offiziell zur dogmatischen Stagnation verurteilen, auch wenn die Kirche ihnen nur noch Fragmente der authentischen Jurisdiktion zugesteht“, fügt Journet noch hinzu.

Die Situation heute

Infolge des „II. Vatikanums“, seiner „Reformen“ und der seither verstrichenen langen Zeit sieht die Sache freilich noch etwas anders und viel dramatischer aus, als Journet und Cajetan sich das vorstellen konnten. Denn die Kirche hat dadurch nicht nur ihr sichtbares Haupt verloren, sondern auch sämtliche ihre Bischöfe, nicht nur die universelle Jurisdiktion, sondern auch alle Teiljurisdiktionen sind dahin. Es entstand eine falsche, häretische und schismatische „Kirche“, die nicht einmal mehr gültige Weihen hat und daher ärger ist als die „griechisch-russischen Kirchen“, die aber dennoch von fast allen Katholiken als ihre wahre, katholische Kirche anerkannt wurde, womit diese ihrerseits in Häresie und Schisma gerieten. Die wenigen katholischen Bischöfe, die es noch gibt, können nicht mehr Jurisdiktion für sich in Anspruch nehmen als die verbliebenen katholischen Priester auch, nämlich jene Notfalljurisdiktion, welche die Kirche durch das Kirchenrecht gibt, um die Seelen mit den zum Heil notwendigen geistlichen Hilfen, namentlich den Sakramenten, zu versorgen.