„Das Fasten“, schreibt der hl. Kirchenlehrer Basilius der Große († 379 n. Chr.), „ist keine neue Erfindung, wofür viele es halten; es ist ein köstliches Gut, das unsere Vorfahren längst bewahrt und uns übergeben haben.“ Hatte doch Gott selbst den ersten Menschen ein Abstinenzgebot auferlegt, nicht als ob die verbotene Frucht böse oder an sich schädlich gewesen wäre, sondern weil er ihnen das Verdienst des Gehorsams möglich machen wollte. Nicht das Essen der Frucht an sich, sondern ihr Ungehorsam gegen das Verbot, von ihr zu essen, war eine Sünde.
So lesen wir bei Goffine. Nur ein einfaches und leicht zu haltendes Fastengebot hatte Gott Adam und Eva gegeben. Von allen Bäumen des Paradieses durften sie beliebig essen, nur von dem einen Baum in der Mitte sollten sie es nicht. Der Sinn dieses Gebotes war ein zweifacher. Zum einen wollte Gott damit den Menschen „das Verdienst des Gehorsams möglich machen“, zum anderen wollte Er sie daran erinnern, daß ihre Heimat nicht auf der Erde war, sondern im Himmel. Solange wir auf Erden sind, sind wir nicht „in statu patriae“, in der Heimat, sondern „in statu viae“, auf dem Weg und in der Fremde. Das konnte im Paradies nur allzu leicht vergessen werden, wenn selbst wir es heute gerne vergessen, da wir im „Tale der Tränen“ leben.
Der heilige Gregor der Große macht uns aufmerksam: „Wenn wir, geliebte Brüder, erwägen, was und wie groß das ist, was uns im Himmel verheißen wird, verliert vor dem Geiste den ganzen Wert alles, was sich auf Erden findet. Das irdische Hab und Gut ist nämlich im Vergleich zur ewigen Seligkeit eine Last, aber kein Wertgegenstand. Das zeitliche Leben ist im Vergleich zum ewigen Leben vielmehr Tod zu nennen als Leben. Denn selbst das tägliche, uns verzehrende Kraftabnehmen, was ist es anderes als ein schleichender Tod? Welche Zunge ist aber imstande, es auszusprechen, welcher Verstand, es zu fassen, wie groß die Freuden der Stadt dort oben sind: Zu den Chören der Engel zu gehören, mit den so seligen Geistern nahe bei der Herrlichkeit des Schöpfers zu stehen, das gegenwärtige Antlitz Gottes zu schauen, das unbegrenzte Licht zu sehen, von keiner Todesfurcht befallen zu sein, über die gewährte ewige Unsterblichkeit sich zu freuen?“
Er fährt fort: „Aber wenn der Geist solches hört, wird er warm und möchte gleich dort sein, wo er hofft sich ohne Ende freuen zu können. Aber zu einem solchen Lohn kann man nicht anders gelangen, als durch große Arbeit. Deshalb sagt auch der heilige Paulus: ‚Es wird nur gekrönt, wer gesetzmäßig gekämpft hat‘ (2 Tim 2, 5). Mag also dem Geist die Größe des Lohnes Freude machen, aber mag ihn nicht der Kampf der Arbeit abschrecken.“ Die Kirche erinnert uns deshalb am Sonntag Septuagesima daran, daß wir uns auf dieser Erde anzustrengen haben wie der Läufer in der Rennbahn, von welchem der heilige Paulus spricht, und daß wir uns die Seligkeit als Arbeiter im Weinberg des Herrn verdienen müssen, wovon das Evangelium handelt. Zu dieser Anstrengung und Arbeit aber gehört das Fasten. Goffine erklärt uns dazu:
Warum hat die Kirche Fasttage eingesetzt und wozu nützen dieselben?
Die heilige katholische Kirche hat von jeher das äußerliche Fasten nur als Hilfsmittel und äußerliches Zeichen der Buße angesehen – allerdings als unerläßliches Hilfsmittel. Ihre Absicht bei Anordnung der Fasttage war und ist also diese, daß die Gläubigen durch das Fasten ihr Fleisch mit seinen Gelüsten abtöten, Gott zu besänftigen und für ihre Sünden Genugtuung zu leisten suchen, sich im Gehorsam gegen ihre Mutter, die Kirche, üben, zum Gebet und Dienst Gottes in der Übung heiliger Tugenden stärker ermuntert und eifriger werden mögen; denn zu all diesen ist auch das Fasten nützlich, wie aus der Heiligen Schrift, ja aus der Erfahrung selbst klar wird. Die heiligen Väter sind voll des Lobes über den Nutzen des Fastens, und Christus hat vorhergesagt, daß seine Braut, die Kirche, fasten würde, wenn er, ihr Bräutigam, von ihr hinweggenommen sein würde. (Matth. 9, 15.) Sehr zutreffend und sehr lehrreich und aufmunternd sind die Worte, mit welchen die Fastenzeit hindurch bei der Präfation die Früchte des Fastens bezeichnet werden. Es wird darin Gott Dank gesagt, daß er durch das Fasten 1. die Laster niederhält, 2. das Gemüt erhebt, 3. Kraft verleiht und 4. Belohnung für dasselbe spendet. – Und der hl. Joh. Chrysostomus sagt: „Faste, weil du gesündigt hast; faste, damit du nicht sündigst; faste, damit du Gnaden empfängst; faste, damit dir das Empfangene dauernd bleibe.“
Wenn aber die Irrgläubigen behaupten, das Fastengebot der wahren Kirche sei nicht notwendig und nützlich, so haben sie die Heilige Schrift (Apostelgesch. 13, 2, 3.), auf die sie sich so oft berufen, das ganze christliche Altertum, die Erfahrung und die Vernunft gegen sich. Jeder vernünftige, nachdenkende Mensch muß, wie die Erfahrung lehrt, erkennen, daß durch Mäßigkeit und Enthaltsamkeit, namentlich von Fleischspeisen, die Gesundheit des Leibes und die ungeschwächte Kraft des Geistes am besten bewahrt und befördert werden. Durch beständiges Fasten bewahrten so viele Altväter der Wüste eine kräftige und dauernde Gesundheit über die gewöhnliche Grenze des Daseins hinaus und lebten länger als ein Jahrhundert in den heißen Ländern, wo die Dauer des Lebens allgemein kürzer ist als in unseren Gegenden. Der heilige Paulus, der erste Einsiedler, lebte hundertdreizehn Jahre; der heilige Antonius hundertfünf; der heilige Arsenius hundertzwanzig; der heilige Johannes der Schweigende hundertvier; der heilige Abt Theodosius hundertfünf Jahre. Die katholische Kirche zeigt sich also auch hierin als eine gute Mutter, welche bei dieser Anordnung nicht nur das geistige, sondern auch das körperliche Wohl ihrer Kinder berücksichtigt.
Das Fasten bringt also großen Nutzen und Lohn, schon zeitlich, erst recht aber für die Ewigkeit. Die Kirche hat uns deshalb Fastengebote gegeben, welche das Kirchenrecht vorschreibt.
Das Abstinenz- und Fastengebot (cc. 1250-1254)
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Begriff (cc. 1250 1251). Das Abstinenzgebot verpflichtet zur Enthaltung von Fleischspeisen und Fleischbrühe. Verboten ist nur der Genuß des Fleisches warmblütiger, auf dem Lande lebender Tiere, nicht des von Fischen. Erlaubt sind Eier, Milchspeisen und Speisewürzen jeder Art, auch mit Tierfett (c. 1250). Das Fastengebot fordert, sich mit einer einmaligen täglichen Sättigung zu begnügen; eine kleine Stärkung des Morgens und das Abends ist gestattet, wobei das örtliche Herkommen hinsichtlich Art und Maß der Speisen zu beachten ist. Es ist nicht verboten, Fisch- und Fleischspeisen bei derselben Mahlzeit zu genießen oder die Hauptmahlzeit am Abend statt zu Mittag zu nehmen (c. 1251). Mit dem Fasten ist nicht notwendig Abstinenz verbunden und umgekehrt.
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Verpflichtung (cc. 1252 1254)
a) Gebotszeiten (c. 1252). Bloße Abstinenz ist zu halten an allen Freitagen. Abstinenz und Fasten sind zu halten am Aschermittwoch, an den Freitagen und Samstagen der Fastenzeit, an den Quatembertagen und an den Vigiltagen von Pfingsten, Mariä Himmelfahrt, Allerheiligen und Weihnachten. Bloßes Fasten ist zu halten an allen übrigen Tagen der Fastenzeit. Am Karsamstag endigt das Abstinenz- und Fastengebot nach Mittag (12 Uhr). An den Sonntagen und den gebotenen Festtagen besteht weder ein Abstinenz- noch ein Fastengebot, allein ausgenommen an einem gebotenen Festtag, der auf einen Wochentag der Fastenzeit fällt (Fest des hl. Joseph); in diesem Falle besteht das Fastengebot und, wenn es ein Freitag oder Samstag ist, auch das Abstinenzgebot. In einem Gebiet, in dem gewisse allgemeinkirchliche Feiertage abgeschafft sind, kommt das an einem dieser Tage etwa zutreffende Abstinenz- und Fastengebot nicht in Wegfall. Das Vigilfasten wird nicht mehr vorverlegt; fällt also ein Festtag, mit dem Vigilfasten verbunden ist, auf einen Montag, so kommt mit dem Verlegen der Vigil auf den Samstag das Vigilfasten in Wegfall.
b) Kreis der Verpflichteten (c. 1254). Zur Abstinenz sind alle Gläubigen verpflichtet, die das siebente Lebensjahr vollendet haben (vgl. c. 12). Zum Fasten sind alle verpflichtet, die das 21. Lebensjahr vollendet haben und noch nicht in das 60. Lebensjahr eingetreten sind.
(Eichmann-Mörsdorf, Lehrbuch des Kirchenrechts, II. Band, Paderborn 1953, S. 345-346)
Geistliche Lesung
Die Vorfastenzeit soll uns ermuntern und auf die kommende Fastenzeit einstimmen. Neben dem Fasten sollen wir daher noch andere wichtige Übungen ins Auge fassen. Deshalb legt uns die Kirche am Sonntag Sexagesima mit dem Gleichnis vom Sämann eine weitere Arbeit vor, die wir im Weinberg unserer Seele in dieser Zeit wieder eifrig unternehmen sollen. Der Same, den der Sämann ausstreut, ist das Wort Gottes, wie uns der Heiland erklärt. Der Boden, auf welchen er fällt, ist die Seele. Tatsächlich ist die Seele nach einem Wort des Philosophen „tabula rasa, in qua nihil est depictum“, eine leere Tafel, auf welche nichts geschrieben steht. Sie ist wie ein Boden, auf welchen erst ein Same fallen muß, damit sie Frucht bringen kann. Wir müssen „inspiriert“ werden, wir brauchen Worte, Eindrücke, um Gedanken und Ideen hervorzubringen und Tugenden als Früchte zu tragen. Um übernatürliche Gedanken zu haben und übernatürliche Tugenden zu üben, brauchen wir übernatürliche Inspirationen, das Wort Gottes und der Heiligen.
Darum ist die geistliche Lesung so unerläßlich, denn sie streut den Samen des Wortes Gottes in unsere Seele. Alle Heiligen und Geisteslehrer legen höchsten Wert auf die geistliche Lesung. Der hl. Bernhard predigte einmal über die Worte des Heilands: „Suchet, und ihr werdet finden, klopfet an, und es wird euch aufgetan werden.“ Seine Auslegung war diese: „Mit der geistlichen Lesung suchen wir Gott, mit der Betrachtung finden wir ihn, mit dem Gebete klopfen wir an sein Herz, und durch die Beschauung treten wir in den Schauplatz seiner göttlichen Herrlichkeiten ein, die durch die Lesung, Betrachtung und das Gebet den Blicken unseres Geistes geöffnet wurde.“ Welche bessere Ergänzung zum Fasten also könnte es geben als die geistliche Lesung, die uns den Blick in den Himmel öffnet, der uns als Lohn für unsere Mühen winkt, wie der heilige Gregor oben sagt? Deshalb hören wir auch in der Lesung vom Sonntag Sexagesima nicht nur von den vielen Arbeiten, Leiden und Mühen des heiligen Paulus, sondern auch von seiner Entrückung in den dritten Himmel, wo er „geheime Worte hörte, die kein Mensch aussprechen darf“.
Die geistliche Lesung ist auch ein wirksames Mittel gegen die Versuchungen, gegen jenes Unkraut, das der Feind in unsere Seele zu säen versucht. Der heilige Hieronymus riet seiner Schülerin Salvina, „sie solle stets gute Bücher in Händen haben, weil sie ein fester Schild gegen alle bösen Gedanken sind, von denen die Jugend angefochten wird“. Der heilige Bernhard sagt: „Durch die geistliche Lesung und das Gebet werden die Laster ausgerottet, alle Mängel der Seele getilgt, die Eitelkeiten der Welt verachtet und alle Tugenden genährt. Endlich sind sie das Mittel, um sicher zum Besitze der ewigen Glückseligkeit zu gelangen.“
Der heilige Augustinus ermuntert uns: „Die geistlichen Bücher sind ebensoviele Briefe, die uns Gott, unser gütiger Vater, und die Seligen, unsere teuren Mitbrüder, aus dem himmlischen Vaterland senden.“ Der heilige Gregor erzählt von einem armen gichtbrüchigen Bettler, der die Almosen, welche er erhielt, zu einem großen Teil für geistliche Bücher ausgab, die er sich vorlesen lassen mußte, da er selber nicht lesen konnte. Darin fand er großen Trost, und die geistliche war ihm wichtiger als die leibliche Nahrung. Als er ans Sterben kam, ließ er sich die Psalmen vorlesen und schwebte gleichsam in den Himmel hinauf.
Die geistliche Lesung ist für jedermann. Der heilige Bernhard erläutert: „Die katholische Lehre bietet jedem, der sie liest, gleich einem wohlzubereiteten Tische, alles dar, was er bedarf.“ Sie hilft den Sündern zur Bekehrung, wie es beim heiligen Augustinus der Fall war. Dieser befand sich am Beginn seiner Bekehrung in einem heftigen inneren Kampf, als er die Worte hörte „Tolle, lege“, „nimm und lies“. Er las daraufhin ein Kapitel beim heiligen Paulus. „Da wich die Finsternis seines Geistes, die Härte des Herzens brach, er wurde vollkommen heiter und ruhig.“ Von da an ging es mit Riesenschritten voran auf dem Weg zur Heiligkeit. Der heilige Ignatius von Loyola führte ein weltliches Soldatenleben. Als er verwundet darniederlag und keinen anderen Lesestoff zum Zeitvertreib fand, begann er geistliche Bücher zu lesen. Er bekehrte sich, begann ein geistliches Leben und wurde ein großer Heiliger. Der heilige Johann Colombin bekehrte sich, als er auf Zureden seiner Gattin mit Widerwillen zu einem geistlichen Buch griff.
Doch auch jenen, die im geistlichen Leben bereits einen gewissen Fortschritt erzielt haben, ist die geistlichen Lesung notwendig und nützlich. Der heilige Hieronymus hatte sich in seiner Jugend bereits aus Rom nach Palästina zurückgezogen, um dort ein frommes und einsames Leben zu führen. Er verrichtete zahlreiche Bußwerke, las aber am liebsten profane Bücher, weil die geistlichen ihm einen zu schlechten Stil hatten. Eines Tages wurde er sehr krank und geriet an den Rand des Todes. Er sah sich vor dem Richtstuhl Gottes stehen, der ihn fragte, wer er sei. Er antwortete: „Ich bin ein Christ.“ Darauf entgegnete der Richter: „Nein, du bist ein Cicero, kein Christ“, und ließ ihn schmerzhaft geißeln. Hieronymus flehte um Erbarmen, und auch die Heiligen, die Zeugen dieses Gerichtes waren, setzten sich für ihn ein. Er kam wieder zu sich, wurde gesund und pflegte von da an mit großem Eifer und Gewinn die geistliche Lesung.
Die geistliche Lesung soll passend sein, und das ist von Person zu Person verschieden, ja auch bei ein und derselben Person ist das Bedürfnis je und je verschieden. Ein Anfänger braucht eine andere Lektüre als ein Fortgeschrittener, zu dieser Zeit und in dieser Situation ist diese Lektüre für uns am besten geeignet, zu einer anderen Zeit und in einer anderen Situation eine andere. Hier ist auf die Seele zu hören, die ihre Bedürfnisse kundgibt. Die geistliche Lesung soll außerdem „gut portioniert“ werden, d.h. nicht alles auf einmal, sondern immer so viel, wie man braucht. Auch soll man das, was man liest, gut verarbeiten, langsam lesen, bisweilen auch mehrmals, es gut durchdenken und betrachten. Jeden Tag 15 Minuten, besser noch 20 oder 30 oder zweimal 10 oder 15 Minuten geistlicher Lesung können in der Seele wahre Wunder vollbringen.
Auch lohnt es sich, anderen geistliche Bücher zu raten, zu leihen oder zu schenken. Wir können dadurch womöglich Seelen retten oder voranbringen. Und wer nur eine Seele gerettet hat, der hat auch seine eigene Seele vor dem ewigen Tod bewahrt.