Licht ins Dunkel oder Von falschen Propheten (1/2)

Keine Frage, Bergoglio treibt die Dinge auf die Spitze. Neuerdings hat ein gewisser „Monsignore Martin Mtumbuka, der Bischof von Karonga, Malawi“, in seiner „Weihnachtspredigt“ das „umstrittene“ Dokument „‚Fiducia supplicans‘ von Franziskus zurückgewiesen“, wie eine populistische Boulevard-Tradi-Plattform meldete. „Wir haben keine andere Wahl“, soll der „Bischof“ gesagt haben. „Wir können nicht zulassen, dass eine solch beleidigende und offensichtlich blasphemische Erklärung in unserer Diözese umgesetzt wird.“ Es sei „zum ersten Mal in der Geschichte der Kirche“, daß „ein Dokument, das vom Heiligen Stuhl herausgegeben und vom Heiligen Vater unterzeichnet wurde, von seinen Mitbischöfen abgelehnt und öffentlich zurückgewiesen“ werde. Der „Monsignore“ ging so weit zu behaupten, daß der Text „für uns wie eine Häresie aussieht“ und sich „wie eine Häresie“ lese.

Immer weniger „Anerkennung“

Frage: Wenn etwas „wie eine Häresie aussieht“ und sich „wie eine Häresie liest“ – um was wird es sich dann wohl handeln? Möglicherweise gar um eine Häresie? Das Problem des „Bischofs“ ist offensichtlich, daß er sich einem „Papst“ gegenüber sieht, der offenkundiger Häretiker ist, woraus er die an sich richtige Schlußfolgerung zieht, daß man diesen „Papst“ nicht als Glaubensregel annehmen kann, sondern daß seine Lehre „abgelehnt und öffentlich zurückgewiesen“ werden muß. Nur, wenn ein „Papst“ offen häretisch ist und nicht als Glaubensregel angesehen werden kann – ist er dann überhaupt noch Papst? Nicht einmal das Pseudo-Argument mit der „Anerkennung durch die ganze Kirche“ zieht da mehr, denn wenn die eigenen „Bischöfe“ ihren „Papst“ nicht als ihre Glaubensregel akzeptieren, gibt es auch keine „Anerkennung“.

Die „Traditionalisten“ geraten mit ihrer Devise des „Recognize and Resist“ („Anerkenne und widerstehe“) zunehmend in Bedrängnis. Vom „Recognize“ bleibt immer weniger übrig. War es schon bisher bei vielen von ihnen darauf reduziert, an irgendeiner prominenten Stelle, z.B. in der Sakristei oder dem Schaukasten, ein Bild von Bergoglio aufzuhängen und sich plakativ davor ablichten zu lassen (wie etwa der Vorsitzende der „Piusbruderschaft“ es unlängst wieder getan hat), und den Namen „Franziskus“ im Kanon der Messe – ausgerechnet da! – einzufügen, so bekommen viele der „Traditionalisten“ selbst mit diesem „Anerkennungs-Minimalismus“ Probleme. Doch zuzugeben, daß Bergoglio womöglich gar nicht Papst ist, das ist nach so vielen Jahrzehnten des verbissenen Anti-Sedisvakantismus keine einfache Sache.

Der Abbé (oder „Abt“?) de La Rocque

Ein „Spitzentheologe“ der „Piusbruderschaft“ namens „Abbé Patrick de La Rocque“ hat sich im vergangenen September die Mühe gemacht, in einem „Brief an einen Gläubigen“ diesen „über den Sedisvakantismus“ aufzuklären. Der Brief beginnt mit der Warnung des Heilands vor den „falschen Propheten“, die „zu euch kommen, verkleidet als Schafe“, doch „im Inneren raubgierige Wölfe“ sind. Damit wird wohl nicht auf Bergoglio gezielt, vielmehr dürften die „Sedisvakantisten“ im Visier sein. Von fürsorglichen „Traditionalisten“ wurde der Brief sogleich verbreitet und angepriesen als „eine gründliche Analyse zu einem Problem, das viele gläubige Katholiken bewegt“. Abbé de La Rocque wurde uns vorgestellt als Priester der „FSPX, der derzeit Prior des Priorats Saint Joseph in Nizza ist“, der „zwischen 2009 und 2011 zusammen mit Bischof Alfonso de Galarreta und den Äbten [!] Benoît de Jorna und Jean-Michel Gleize an den theologischen Gesprächen mit Rom“ teilgenommen hat und „unter anderem auch Prior von Nantes und Pfarrer von Saint-Nicolas-du-Chardonnet in Paris“ gewesen ist, also zweifellos ein gewichtiger Mann der „Piusbruderschaft“. (Hat die „Piusbruderschaft“ neuerdings nicht nur „Prioren“ und „Pfarrer“, sondern auch „Äbte“ in ihrem Angebot? Oder ist es einfach eine schlechte Übersetzung von „Abbés“?)

Uns ist der Abbé (oder „Abt“?) erstmals aufgefallen, als er im Jahr 2007 im Vorfeld des „Motu proprio Summorum Pontificum“ beauftragt war, den „Priesterfreunden“ der „Piusbruderschaft“ per „DVD-Kit“ die Zelebration der „alten Messe“ nahezubringen. In seinem „Begleitbrief“ schrieb der eifrige Pater damals: „Man muß freilich wissen, daß, wenngleich die DVD den Lehrgang in Latein vorlegt, die tridentinische Messe ebenso in der Volkssprache zelebriert werden kann; im Jahr 1965 hat eine Ausgabe des römischen Missale eine solche französische Übersetzung vorgelegt. Ebenso sieht der ritus servandus, der die Ausgabe von 1962 einleitet, gegebenenfalls die zum Volk gewandte Messe vor. Wenn Benedikt XVI. diesen Ritus freigegeben haben wird, scheint es also möglich zu sein, ihn allmählich in den Pfarreien einzuführen, ohne auf einen Schlag mit den Gewohnheiten Ihrer Gläubigen zu brechen.“ Kurz, er empfahl den „Priesterfreunden“, die „tridentinische Messe“ in Volkssprache und am „Volksaltar“ zu feiern, um nicht mit der Tür ins Haus zu fallen und die „Novus-Ordo“-Gläubigen in ihren liebgewordenen „Gewohnheiten“ zu brüskieren. Für die „Verhandlungen“ mit den „Konzilsrömern“ war er als gewiefter Taktiker zweifellos der richtige Mann.

„Gründliche Analyse“

Nun also hat er sich in einem neuerlichen Brief dem „Problem“ des „Sedisvakantismus“ zugewandt, um uns eine „gründliche Analyse“ zu liefern. Die „Situation, die die Kirche im Allgemeinen und das Papsttum im Besonderen seit einem halben Jahrhundert durchmachen“, kennzeichnet er als „schrecklich verwirrend“. Sie wäre freilich halb so „verwirrend“, wenn die „Traditionalisten“ die „Situation“ nicht ideologisch, sondern theologisch betrachten würden. Diesen Fehler wird de La Rocque gleich wieder machen, denn er fährt fort: „Während ‚der Heilige Geist den Nachfolgern Petri verheißen wurde, nicht damit sie unter der Offenbarung eine neue Lehre bekannt machen, sondern damit sie mit seinem Beistand die von den Aposteln überlieferte Offenbarung, d.h. das Glaubensgut, heilig bewahren und treu darlegen‘ (Vatikanum I, Const. Pastor æternus), ist es offensichtlich, dass die Päpste der letzten Zeit ihre Position leider nicht zu diesem Zweck nutzen, sondern stattdessen eine humanistische und liberale Doktrin fördern, die von ihren Vorgängern wiederholt verurteilt wurde, und nicht zögern, diese Utopie bis zu ihren dramatischsten Konsequenzen zu führen.“

Die einzig zulässige theologische Schlußfolgerung aus diesem Widerspruch wäre die, daß es sich bei den „Päpsten der letzten Zeit“, die eine Doktrin „fördern“ (warum nur „fördern“ und nicht vielmehr autoritativ verbreiten?), „die von ihren Vorgängern wiederholt verurteilt wurde“, nicht um wirkliche Päpste handeln kann. Denn der Papst, so lehrt das Vatikanische Konzil in dem vom Pater gegebenen Auszug dogmatisch, kann dank des unablässigen Beistands des Heiligen Geistes keine „neue Lehre bekannt machen“, sondern nur „die von den Aposteln überlieferte Offenbarung, d.h. das Glaubensgut, heilig bewahren und treu darlegen“. Da hätten wir das erste Ergebnis einer „gründlichen Analyse“, das der „Pius“-Pater als treuer Anti-Sedisvakantist natürlich nicht liefern kann.

Die „Thesen der Sedisvakantisten“

Der Abbé zählt stattdessen einige Skandale auf wie den berühmten „Korankuß“ „Johannes Pauls II.“ oder die „Pachamama“ Bergoglios. Daß derlei Akte des öffentlichen Abfalls vom Glauben und von der Kirche den sofortigen Amtsverlust im Gefolge hätten – wenn die Betreffenden ein kirchliches Amt innehätten und nicht von vornherein Anti-Päpste gewesen wären –, das erwähnt er wieder nicht. Es dient ihm nur als Hintergrund, um zu erklären, wie in „Anbetracht dieses römischen Verrats“ die „sogenannten sedisvakantistischen Thesen“ entstanden seien. Da hat er leider nicht aufmerksam genug studiert (wie es für eine „gründliche Analyse“ eigentlich gefordert wäre), denn die „sedisvakantistischen Thesen“ sind schon lange vor solchen eklatanten Entgleisungen entstanden. Es brauchte nicht erst solche Winke mit dem Zaunpfahl bzw. dem Fernsehturm, um zu erkennen, daß ein „Papst“, der die liberale „Religionsfreiheit“ lehrt und eine „heilige Versammlung des Volkes Gottes“ zum „Gedächtnismahl des Herrn“ als „Neue Messe“ verkaufen will, nicht der Papst der katholischen Kirche sein kann.

Die „Thesen“ der „Sedisvakantisten“ seien „vielfältig“, meint der Abbé zu wissen, und lehnten „alle auf die eine oder andere Weise ab, den derzeitigen Papst oder die derzeitigen Päpste als Nachfolger Petri anzuerkennen“. Das ist eine etwas schwache und ungenügende Darstellung. Wie wir eingangs gesehen haben, sind es keineswegs nur die „Sedisvakantisten“, die es ablehnen, „den derzeitigen Papst“ als „Nachfolger Petri anzuerkennen“. Ein „Bischof“ Martin Mtumbuka und die „Traditionalisten“ halten es genauso. Die „Sedisvakantisten“ sind nur konsequent und nennen den Mann, dem sie ohnehin nicht folgen, nicht auch noch den „derzeitigen Papst“ und „Nachfolger Petri“. „Ein Papst, so die Befürworter [des „Sedisvakantismus“], kann nicht den Irrtum lehren und fördern, während er gleichzeitig Papst bleibt.“ Sehr richtig! Nur ist das keine „These“ der „Sedisvakantisten“, sondern Lehre der Kirche, wie der Abbé selber mit seinem Zitat des Vatikanischen Konzils bewiesen hat. „Daher betrachten sie den ‚Sitz’ Petri als ‚vakant‘, was auch der Grund für den Begriff Sedisvakantismus ist.“ Ein Name, den sich die „Sedisvakantisten“ übrigens nicht selber gegeben haben, sondern der ihnen von den „Traditionalisten“ als Etikett angeklebt wurde.

Ein wenig Licht ins Dunkel

Den Adressaten des Briefes direkt ansprechend, schreibt der Abbé: „Angesichts dieser sedisvakantistischen Thesen, so sagen Sie mir, erscheint Ihnen die Positionierung der Priesterbruderschaft St. Pius X. unklar, feige oder sogar widersprüchlich. (…) Diese Positionierung erscheint Ihnen auch feige, da Ihrer Meinung nach nie eine grundlegende Antwort auf die vom Sedisvakantismus vorgebrachten Argumente gegeben wurde; weit davon entfernt, diese Antworten zu geben, weichen die Priester der Bruderschaft St. Pius X. dieser Debatte aus, um sich, wie Sie sagen, in moralisierende Argumente zu flüchten, die die Progressiven nicht versäumt haben zu verwenden, wenn es darum ging, die Tradition zu verunglimpfen.“ Das hat jener Gläubige gut erkannt! Und wir werden sehen, daß der Abbé exakt dies tun wird.

Doch um „ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen“, will der „Pius“-Pater „zunächst die Argumente der Sedisvakantismus-Befürworter neu beleuchten“. Da sind wir sehr gespannt, denn die bisherige „Beleuchtung“ dieser Argumente geschieht gewissermaßen noch mit dem „Gaslicht“ der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts. Statt auf die Widerlegungen ihrer sogenannten „Argumente“ durch die „Sedisvakantisten“ zu reagieren, haben die „Traditionalisten“ bisher immer nur ihre eigenen, ein für allemal festgelegten und eingelernten Sprüchlein wiederholt und stets von neuem aufgesagt. Im Sinne der „Nachhaltigkeit“ ist das sicherlich sehr vorbildlich, denn nichts dürfte so vor der „Wegwerfmentalität“ gefeit sein wie die in endlosem „Recycling“ wiederverwerteten und aufs neu präsentierten anti-sedisvakantischen „Erzählungen“ der „Traditionalisten“. Auch gehen sie überaus sparsam mit ihren Reserven um, denn zumeist hüten sie sich davor, überhaupt auf „sedisvakantistische“ Einwände zu reagieren. Doch auch hier will uns der Abbé „erklären, warum sich die Priester der Piusbruderschaft üblicherweise nicht an einer solchen Debatte beteiligen und nicht als ‚feige’ bezeichnet werden können“. Das macht uns neugierig, denn eigentlich wäre eine „solche Debatte“, wenn sie denn seriös theologisch geführt würde, durchaus geeignet, „ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen“ und die „Verwirrung“, von welcher der Pater eingangs sprach, wenigstens in Maßen zu lichten.

Rein spekulativ

„Aus rein spekulativer Sicht“, beginnt der Abbé seine „Beleuchtungs“-Arbeit, „kann [man?] sich tatsächlich die Frage stellen, ob ein Papst, der gewöhnlich Häresie lehrt und als Feind der Kirche handelt, noch Papst sein kann oder nicht. Theologen haben diese Frage vor allem seit dem 16. Jahrhundert immer wieder aufgeworfen. Die heutigen Sedisvakantisten greifen lediglich auf die damaligen Debatten zurück, um Argumente in ihrem Sinne zu finden.“ Was sollten die „Sedisvakantisten“ denn anderes tun? Ist es nicht ganz normal und sollte namentlich für einen „Traditionalisten“ selbstverständlich sein, daß man „auf die damaligen Debatten“ bzw. Arbeiten der Theologen zurückgreift, nicht „um Argumente“ im eigenen „Sinne zu finden“ – wie es die „Traditionalisten“ gewöhnlich halten –, sondern um Lösungen für ein Problem und Antworten auf theologische Fragen zu bekommen? Wo soll man denn sonst nachschauen, wenn nicht in den einschlägigen Quellen? Übrigens war der „Papa haereticus“ nicht erst „seit dem 16. Jahrhundert“ Thema bei den Theologen, sondern bereits im Mittelalter. Akut wurde die Frage allerdings erst mit dem „Abendländischen Schisma“ (1348-1417) und im Zusammenhang mit dem damals aufkeimenden „Konziliarismus“, welcher der „Reformation“ die Wege ebnete.

Da ein „Traditionalist“ nicht theologisch, sondern ideologisch denkt, projiziert er diese Denkweise auch auf die „Gegner“. Deshalb unterstellt de La Rocque den „Sedisvakantisten“ sofort einen „vielleicht parteiischen Blick“ und wirft ihnen vor, darüber „vor allem“ zu vergessen, „dass diese Schuldebatte eine rein spekulative Debatte zwischen Theologen ist, die in der Tat offen für abweichende Meinungen ist, die aber nur persönliche Meinungen sind“. Damit wiederholt er seinerseits ein Uralt-„Narrativ“ von ganz unten aus der untersten Schublade der „Traditionalisten“-Kommode: Der „Sedisvakantismus“ ist nichts als eine „persönliche Meinung“, eine „rein spekulative“ akademische Spintisiererei, ähnlich wie das der „Scholastik“ immer zugeschriebene abgehobene Wolkenkuckucksheim-Luxus-Problem, wie viele Engel wohl Platz auf einer Nadelspitze hätten. Nun ist die Frage nach dem Papst als unserer Glaubensregel für uns Katholiken jedoch kein „rein spekulatives“ Luxus-Problem für Orchideen-Sammler, sondern von ganz praktischer und essentieller Bedeutung. Nichts weniger als unser Seelenheil hängt davon ab. Und es gibt in dieser Frage – zum Glück – nicht nur „persönliche Meinungen“, sondern klare Antworten der Kirche. Eine davon hat der Abbé uns selber oben gegeben mit seinem Zitat aus dem Vatikanischen Konzil.

Persönliche Meinung

Die „Traditionalisten“ aber beharren auf der „persönlichen Meinung“, um den „Sedisvakantismus“ damit, wie sie meinen, leicht unterkriegen zu können. Denn einer Meinung, so der Pater, fehle „per definitionem“ die „Gewissheit“ (was nicht richtig ist, denn eine Meinung kann durchaus auf so sicheren Gründen beruhen, daß sie den Grad der Gewißheit hat). Auch „wenn bestimmte Elemente den Verstand auf eine Seite neigen lassen“, so sind diese nach Ansicht des Abbés „nicht ausschlaggebend genug, um ihn zu verpflichten und somit zu binden“. Die Wahrheit reicht demnach nicht, um den Verstand „zu verpflichten und somit zu binden“? Das scheint uns eine typisch liberale Haltung zu sein, die sich selbst gegenüber der Wahrheit noch die Freiheit bewahren möchte, ob sie ihr zustimmt oder lieber einen Irrtum festhalten will. Von dieser Art ist die liberale „Meinungsfreiheit“, das „Recht auf Irrtum“.

„Aus diesem Grund bleiben bei jedem Theologen, der diesen Namen verdient, die persönlichen Meinungen, auch wenn sie in jeder Hinsicht die Daten des Glaubens respektieren, dennoch dem Urteil der Kirche unterworfen: In der übernatürlichen Ordnung ist sie allein Herrin des Lebens.“ Wohl wahr! Wenn die „Traditionalisten“ das endlich einmal respektieren würden! „Sie allein bringt Gewissheit, indem sie durch ihr Lehramt das geoffenbarte Material erläutert. Niemals kann also eine theologische Meinung, noch dazu, wenn sie nicht allgemein anerkannt ist, als entscheidendes Prinzip gelten.“ Das erinnert uns ein wenig an die „Traditionalisten“ der alten Art wie Bonald, Lamennais und Ventura, die behaupteten, „daß etwas der menschlichen Vernunft äußerlich und objektiv Gegenüberstehendes der alleinige Grund der Gewißheit sei, nämlich das Ansehen oder die Autorität einer von uns verschiedenen Persönlichkeit“ (Wetzer und Welte’s Kirchenlexikon, 4. Band, Freiburg i.Br. 1886, Sp. 785). „Nach ihnen halten wir also eine Wahrheit deshalb für gewiß, weil sie uns entweder durch die Offenbarung Gottes oder durch die Autorität der ganzen Menschheit bezeugt und verbürgt ist“ (ebd.).

Evidenz und sichere kirchliche Lehre

In Wirklichkeit jedoch genügt unserer Vernunft die Evidenz einer Sache, um ihre Wahrheit mit Gewißheit zu verbürgen. Wenn wir einerseits ein Dogma der Kirche haben wie das des Vatikanischen Konzils, das der Abbé oben erwähnte, welches uns zeigt, was ein Papst ist und wie er handelt, andererseits aber die offensichtlichen Fakten, die er ebenfalls nennt und die uns zeigen, daß die „Päpste der letzten Zeit“ ganz anders sind und ganz anders, ja völlig entgegengesetzt handeln als ein Papst das tut, dann brauchen wir bloß zwei und zwei zusammenzuzählen und haben die Gewißheit, daß diese Herren nicht Päpste sein können. Dazu brauchen wir keine weitere Autorität. Kommt hinzu, daß wir uns in unserem Fall nicht nur auf eine „theologische Meinung“, sondern auf eine sichere kirchliche Lehre stützen können, wenn wir daran festhalten, daß ein Häretiker nicht Papst sein kann, da offenkundige Ketzerei den Betreffenden aus sich heraus vom Leib der Kirche trennt, weshalb er kein Amt im Mystischen Leib Christi innehaben, noch viel weniger ihr sichtbares Haupt sein kann. Dieses Prinzip ist so gesichert und in der Kirche so allgemein gelehrt und anerkannt, daß es „temerär“, d.i. verwegen wäre, es zurückzuweisen.

Man kann nur staunen, wie es den „Traditionalisten“ gelungen ist, eine sichere katholische Lehre, die vom Mittelalter an von den angesehensten Theologen, von Päpsten wie Innozenz III. und Paul IV., von heiligen Kirchenlehrern wie dem heiligen Robert Bellarmin oder dem heiligen Alphons von Liguori immer und immer wieder übereinstimmend vertreten wurde, die schließlich als selbstverständlich und unhinterfragt in die theologischen Lehrbücher (wie z.B. die „Moraltheologie“ von Prümmer) und kirchlichen Lexika des 19. und 20. Jahrhunderts Eingang fand (so stand etwa noch im LThK von 1960, Bd. 8, Sp. 45 zu lesen: „Die Amtsvollmacht des rechtmäßig gewählten Papstes wird durch persönliche Sündhaftigkeit nicht aufgehoben (wohl aber durch öffentliche Häresie und Schisma von seiner Seite, da er nur als Glied der Kirche ihr Haupt sein kann)“, eine Wahrheit, die selbst der Erzketzer Küng noch kannte: „Nicht die Sünde, nur der Unglaube trennt von der Gemeinschaft der Glaubenden“ und macht damit unfähig zu einem kirchlichen Amt), innerhalb von nur wenigen Jahrzehnten verflüchtigt zu haben zu einer „persönlichen Meinung“ irgendwelcher „Sedisvakantisten“.

Moralisierende Argumente

„Genau das haben die Sedisvakantisten vergessen“, meint der Abbé, und es ist genau umgekehrt: Genau das haben die „Traditionalisten“ vergessen (oder wollen es nicht wissen bzw. wahrhaben). „Sie erheben ihre persönliche Meinung, die zudem noch zerbrechlich ist, zum absoluten Urteil“, wirft der Pater in seiner Unwissenheit – und wiederum in „Projektion“ – den „Sedisvakantisten“ vor, obwohl diese oft genug und geradezu „mit Engelszungen“ vorgetragen haben, wie sich die Sache wirklich verhält, und kommt zu dem vernichtenden moralisierenden Urteil: „Darin liegt ihr Stolz, darin liegt ihre erste Abweichung…“

Es ist, wie es der Briefeschreiber erkannt hat: Die „Priester der Bruderschaft St. Pius X.“ weichen der Debatte aus, um sich „in moralisierende Argumente zu flüchten, die die Progressiven nicht versäumt haben zu verwenden, wenn es darum ging, die Tradition zu verunglimpfen“. Das Moralisieren ist, wie wir wissen und heute in Politik und Gesellschaft überall erfahren müssen, eine beliebte Methode, um der Wahrheit und der sachlichen Auseinandersetzung aus dem Wege zu gehen. Man macht den verhaßten „Sedisvakantisten“ ganz einfach den „Stolz“, die Ursünde Satans und unserer Stammeltern, zum Vorwurf und hat sie damit moralisch vernichtet. Frage: Wer erhebt hier seine „persönliche Meinung, die zudem noch zerbrechlich ist, zum absoluten Urteil“ - noch dazu zu einem moralischen Verwerfungsurteil über Personen? „Sedisvakantisten“ tun so etwas gewöhnlich nicht.

Weisheit

Der Abbé gibt sich ganz devot und lehramtstreu. „Die katholische Seele“, salbadert er, „noch dazu eine Theologin, hat nicht das Ziel, ihre eigene Weisheit als Lebensprinzip zu etablieren, und schon gar nicht als Lebensprinzip, das für alle verbindlich ist. Ihr Streben zielt darauf ab, in Übereinstimmung mit der Weisheit Gottes zu leben, die durch das beständige Lehramt der Kirche vermittelt wird.“ Ein solches Verhalten sähen wir gerne bei den „Traditionalisten“ und wüßten gerne von ihnen, wann uns das „beständige Lehramt der Kirche“ beispielsweise vermittelt hat, es sei in Ordnung, dem Papst „quasi systematisch“ (Mgr. Fellay) Widerstand zu leisten. Erzbischof Lefebvre selber hatte einmal (am 5.10.1978) gestanden, „mit einer gewissen Weisheit, einer gewissen Klugheit zu handeln, die ein wenig im Widerspruch scheinen können mit gewissen Prinzipien [und zwar „in der Tradition fest verankerten“ Prinzipien, wie er vorher erläutert hatte], und nicht rein logisch zu sein“. Überdies hatte er zugegeben, nicht „absolut sicher“ zu sein, „in der Haltung, die ich einnehme, richtig zu liegen“. Wo blieb da die doch so notwendige Gewißheit, die uns allein das „Urteil der Kirche“ geben kann, wo das Streben, „in Übereinstimmung mit der Weisheit Gottes zu leben, die durch das beständige Lehramt der Kirche vermittelt wird“? Hat Lefebvre nicht vielmehr „die eigene Weisheit als Lebensprinzip“ seiner Bruderschaft „etabliert“?

In völliger Unkenntnis des Sachverhalts – wie bei „Traditionalisten“ leider üblich – behauptet der Pater, das „Lehramt der Kirche“ habe sich „nie zu diesem Thema geäußert, und das nicht nur, weil es keine Gelegenheit gab“. „Das einzige, was die Offenbarung sagt (Gal 2,11-14), ist, dass Petrus, als er einmal Papst war, nicht immer in der Wahrheit wandelte, und dass Paulus es für seine Pflicht hielt, ihn öffentlich zurechtzuweisen.“ Nein, das ist nicht „das einzige, was die Offenbarung sagt“, es ist nur die einzige Stelle der Heiligen Schrift, welche die „Traditionalisten“ immer für sich herauspicken, um sie in gänzlicher Verdrehung und Entstellung sowohl des Wortsinns als auch des geistigen Sinnes in den Dienst ihrer Ideologie zu stellen. Oft genug haben „Sedisvakantisten“ die Fehlinterpretation dieser Stelle durch die „Traditionalisten“ aufgeklärt und richtiggestellt, ohne daß diese das jemals zur Kenntnis genommen hätten. Wir wissen ja inzwischen vom Abbé, daß sich „die Priester der Piusbruderschaft üblicherweise nicht an einer solchen Debatte beteiligen“, weshalb man auch nicht erwarten kann, daß sie sich auf dem aktuellen Stand des Diskurses befinden. Als gute „Traditionalisten“ leben sie noch in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts (und selbst da war ihre Schriftinterpretation längst widerlegt).

Leichtsinnig und gefährlich

Der besorgte „Pius“-Mann fährt fort: „Selbst wenn man also zu einer spekulativen sedisvakantistischen Meinung neigt, wäre es leichtsinnig und gefährlich, in einem so ernsten und theologisch komplexen Punkt eine praktische Richtlinie daraus zu machen.“ Ah ja, es ist immer „leichtsinnig und gefährlich“, die erkannte Wahrheit in die Praxis umzusetzen. Wie „leichtsinnig und gefährlich“ war es doch für die antiken Christen, aus ihrer „spekulativen Meinung“ in einem „so ernsten und theologisch komplexen Punkt“, daß Jesus Christus der einzig wahre Gott sei, eine „praktische Richtlinie“ zu machen und dem Kaiser das Weihrauchopfer zu verweigern! „Noch stolzer wäre es, sie allen aufzwingen zu wollen, indem man behauptet, dass nur non una cum-Messen (die sich weigern, den Papst im Kanon der Messe zu zitieren) Gott wohlgefällig sind.“ Wie „stolz“ war es von diesen Märtyrern, ihre „Meinung“ auch noch „allen aufzwingen zu wollen“, indem sie laut verkündeten, daß nicht Götzenopfer, sondern nur die christlichen Opfer „Gott wohlgefällig sind“, und sich dafür umbringen ließen!

Eine kleine Nebenfrage: Wem und auf welche Weise sollten denn die „Sedisvakantisten“ versuchen, ihre „Meinung“ „aufzuzwingen“? Vielleicht ein „sedisvakantistischer“ Familienvater, der seine Angehörigen, oder ein „sedisvakantistischer“ Chef, der seine Angestellten – mit vorgehaltener Pistole oder wüsten Drohungen – nötigt, keine „una-cum-Messen“ mehr zu besuchen? Und noch eine kleine Nebenfrage: War es nicht „leichtsinnig und gefährlich“, daß ein Erzbischof Lefebvre aus seiner eigenen „spekulativen Meinung“ in „einem so ernsten und theologisch komplexen Punkt“ wie der Papstfrage trotz seiner eingestandenen Unsicherheit und Ungewißheit eine „praktische Richtlinie“ gemacht hat? Und war es nicht „noch stolzer“, daß er sie allen seinen Seminaristen „aufzwingen“ wollte, indem er diese per Unterschrift und feierlichem Versprechen vor dem Allerheiligsten (!) darauf verpflichtete, andernfalls er sie nicht weihte und anstandslos aus der „Piusbruderschaft“ wies?

Entscheidend sprechen

Für den Pater de La Rocque „erklären“ seine bisherigen Ausführungen, „warum sich die Priester der Priesterbruderschaft St. Pius X. gewöhnlich weigern, sich an der spekulativen Debatte zu beteiligen, die von sedisvakantistischen Kreisen geführt wird“. Das können wir in keiner Weise nachvollziehen. Eher umgekehrt: diese „Weigerung“ erklärt, warum die „Priester der Priesterbruderschaft St. Pius X.“ gewöhnlich gar keine Ahnung haben von der wahren „Debatte“, „die von sedisvakantistischen Kreisen geführt wird“. „Diese Debatte ist unfruchtbar“, befindet der Abbé, ohne sie zu kennen, „da sie mangels eines lehramtlichen Arguments niemals zu einer Gewissheit und damit zu einer Handlungsanweisung führen wird.“ Wieder ist es umgekehrt: Diese Debatte könnte durchaus fruchtbar sein, weil sie von den „Sedisvakantisten“ gerade mit „lehramtlichen Argumenten“ geführt wird, was die „Traditionalisten“ stets vermeiden. Vielleicht gehen sie gerade deshalb dieser „Debatte“ aus dem Weg, weil sie unweigerlich unterliegen müßten. Sind sie vielleicht doch „feige“, wie der Briefadressat vermutet hat? „Es ist zwar nicht auszuschließen“, räumt der Pater ein, „dass die Kirche eines Tages aufgrund fehlender Beweise [wieso ausgerechnet „aufgrund fehlender Beweise“??] diesen oder jenen, der seit einem halben Jahrhundert auf dem Stuhl Petri sitzt, zum Gegenpapst erklärt, aber niemals wird ein Laie, ein Priester oder ein Bischof, egal wie ‚wissend‘ er zu sein vorgibt, in diesem Bereich entscheidend sprechen können.“

Und doch erlaubt sich jeder „Traditionalist“, ob Laie, Priester oder Bischof, „in diesem Bereich entscheidend“ zu sprechen, indem er im heiligsten Augenblick, im Kanon der Heiligen Messe, feierlich bekennt, daß Bergoglio sein „Papst Franziskus“ ist. Spätestens in diesem Moment, beim Gebet „Hanc igitur“, kommen wir nicht umhin, „in diesem Bereich entscheidend zu sprechen“ und zu bekennen, ob Bergoglio unser Papst und damit unsere Glaubensregel ist oder nicht. Freilich müßte man dann auch konsequent handeln und ihm als Glaubensregel folgen oder nicht. Die „Sedisvakantisten“ sind da konsequent und handeln nach ihrem Bekenntnis. Für sie ist Bergoglio nicht der Papst, wird daher im Kanon der Hl. Messe nicht genannt und gilt nicht als ihre Glaubensregel. Und die „Traditionalisten“? Für sie ist Bergoglio der Papst, sie nennen ihn im Kanon der Heiligen Messe, aber sie folgen ihm in keiner Weise als Glaubensregel. Dennoch bildet der Abbé sich ein: „Diese Ablehnung der Diskussion seitens der Priesterbruderschaft St. Pius X. ist keineswegs eine feige Ausflucht, sondern lediglich eine Frage der elementaren Demut, die den Sedisvakantisten leider fehlt.“ Was für eine „elementare Demut“ spricht doch aus diesen törichten Worten! Wahrhaft eine, die „den Sedisvakantisten“ – zum Glück – „leider fehlt“. Wir würden sie auch eher „ignorante Arroganz“ nennen als „elementare Demut“.

Die „Sichtbarkeit der Kirche“

Bis hierher ist es dem Pater leider nicht gelungen, „ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen“, zumal er bislang kein einziges der „Argumente der Sedisvakantismus-Befürworter neu beleuchtet“ hat. Er hat überhaupt keine „Sedisvakantismus-Befürworter“ zu Wort kommen lassen und kein einziges ihrer Argumente angeführt und „beleuchtet“, sondern nur die alten anti-sedisvakantistischen Vorurteile aufgetischt und dabei herummoralisiert, wie „stolz“ doch diese „Sedisvakantisten“ sind, wie sie es an der „elementaren Demut“ fehlen lassen und ihre eigene „persönliche Meinung“ allen „aufzwingen“ wollen. Die Belege für auch nur eine einzige seiner Aussagen ist er uns schuldig geblieben. Wir hingegen werden ihn weiterhin ausführlich selber zu Wort kommen lassen, denn im Gegensatz zu den „Traditionalisten“ scheuen wir die „Debatte“ nicht, weil es uns um die Wahrheit geht und nichts als die Wahrheit.

De La Rocque kommt nun zum nächsten Punkt, den das „Traditionalisten“-Lehrbuch im Kampf wider die „Sedisvakantisten“ vorsieht: die „Sichtbarkeit der Kirche“. Denn „abgesehen davon, dass sie [„sie“, das sind die „Sedisvakantisten“] zur Gewissheit erheben, was aus rein spekulativer und nicht praktischer Sicht höchstens eine mögliche Meinung ist“, hätten „die sedisvakantistischen Thesen noch den Fehler, dass sie ihre Überlegungen auf eine partielle Bestandsaufnahme stützen, was ihr Urteil entsprechend verzerrt“. Das täte uns leid und wir hoffen, daß der Abbé uns aufzuklären vermag, wo genau der Fehler liegt. „Sie“ – das sind wieder die „Sedisvakantisten“ – „sie“ also „stellen zwar die Tiefe und Schwere der Krise der Kirche fest, vergessen aber allzu sehr, was die Kirche ist, wie sie von unserem Herrn Jesus Christus gegründet wurde, und vernachlässigen einige ihrer wesentlichen Merkmale, unter anderem ihre Sichtbarkeit.“ Da haben wir’s. Wie aber das, M. l’abbé? Er erklärt: „Es ist in der Tat ein Glaubensgrundsatz, dass die Kirche eine sichtbare Gesellschaft ist.“ Ja, richtig. Und? „Dies ist in der Offenbarung verankert, wenn Paulus sagt, dass die Kirche für Christus das ist, was der Leib für das Haupt ist, und mehr noch in der Tatsache selbst, dass unser Herr die Kirche auf Petrus gebaut hat.“ Auch richtig. Es ist aber auch „ein Glaubensgrundsatz“, daß die Kirche als sichtbare Gesellschaft an ihren Merkmalen erkennbar ist. Wir bekennen feierlich im „Credo“, daß wir an die „eine, heilige, katholische und apostolische Kirche“ glauben und nicht an irgendeine andere. Leider muß man feststellen, daß die „Konziliare Kirche“ keines dieser Kennzeichen aufzuweisen hat. Sie ist zwar sichtbar, sie ist aber deutlich erkennbar nicht die wahre Kirche, denn sie trägt nicht deren Merkmale, sie ist nicht der Mystische Leib Christi. Somit ergibt sich doch wohl, daß sie nicht „auf Petrus gebaut“ ist und der Mann, der als ihr Chef fungiert, nicht der Nachfolger Petri sein kann. Oder?

Böse Bischöfe

Der Abbé ist sich wieder zu fein, auf diese „Debatte“ einzugehen, und weicht stattdessen auf jene finsteren Mächte aus, welche die Sichtbarkeit der Kirche „zu allen Zeiten angegriffen“ haben, da es „zu allen Zeiten“ die „Tendenz“ gegeben habe, „die Kirche auf die Gesellschaft der Guten zu reduzieren“. „Da die innere Güte jedoch unsichtbar ist, lehnten diese Schismatiker und Häretiker de facto die Sichtbarkeit der Kirche ab“, belehrt er uns. Die „Donatisten“, später „Wicleff“ und „Huss“ hätten „von sich aus böse Bischöfe aus der Kirche“ ausgeschlossen, „was immer zum selben Ergebnis führte: Sie reduzierten die Kirche auf eine rein geistige, wenn auch praktisch organisierte Gesellschaft, die der ‚Reinen’.“ Es sei „zu befürchten, dass der heutige Sedisvakantismus von diesen Klippen nicht unberührt bleibt“.

Ach ja, der alte „Katharer“-Vorwurf. Auch nicht neu. Wurde von den „Sedisvakantisten“ schon oft genug „beleuchtet“. Geht aber völlig am Thema vorbei. Möge uns der Abbé einen einzigen „Sedisvakantisten“ nennen, der „von sich aus böse Bischöfe aus der Kirche“ ausgeschlossen (wie sollte er das überhaupt machen und was sind „böse Bischöfe“ eigentlich? Sind das solche, die ihren Chauffeur oder Sekretär schlagen?) oder die Kirche auf eine Gesellschaft der „Reinen“ reduziert hätte. Nur daran halten die „Sedisvakantisten“ fest, daß die sichtbare Kirche Christi auch notwendig deren vier Kennzeichen aufweisen müsse, die wir genannt haben. Was sollte daran falsch sein? Daß zur streitenden Kirche auf Erden „Gute und Böse“ gehören, hat keiner von „ihnen“ je geleugnet. Und wenn, dann möge man uns den Beleg anführen.

Ungültige Weihen

Der Abbé aber sieht diese „Tendenz“ bei den „Sedisvakantisten“ „umso ausgeprägter, wenn einige von ihnen dazu übergehen, die Gültigkeit von Priesterweihen und Bischofsweihen, die nach dem neuen Ritus vorgenommen wurden, zu bestreiten“. Was hat jetzt die Gültigkeit der Weihen mit der „Gesellschaft der Reinen“ zu tun? Für den Pater steht fest, „dass eine solche Behauptung jeder ernsthaften Grundlage entbehrt und von eindeutigen Fakten untermauert wird“. Wie jetzt? Sie „entbehrt jeder ernsthaften Grundlage“, obwohl sie „von eindeutigen Fakten untermauert wird“? Verstehen wir nicht. Der „Pius“-Mann geht auch gar nicht weiter darauf ein, sondern verweist uns auf zwei Fußnoten, die wir uns vielleicht später ansehen wollen. Jedenfalls sieht er darin die Gefahr „einer praktischen Verneinung der Sichtbarkeit der Kirche“. Da hat er wieder sein eigenes „tradideologisches“ Vorurteil hineingemixt. Für die „Traditionalisten“ ist die „Konziliare Kirche“ mit der Kirche Christi identisch, und darum muß es – armselig genug – wenigstens theoretisch noch gültige Sakramente in ihr geben. Für „sie“, die „Sedisvakantisten“, ist die „Konziliare Kirche“ jedoch eine häretische und schismatische Sekte, und das wird u.a. gerade daran sichtbar, daß ihr die gültigen Weihen fehlen, wie bei den Anglikanern. Weit entfernt davon, damit die Sichtbarkeit der Kirche zu verneinen, bestätigen „sie“ vielmehr, daß gültige Sakramente zur Sichtbarkeit der Kirche gehören.

Der Abbé aber kennt die Tücken der „Sedisvakantisten“ und warnt: „Natürlich werden sie [die „Sedisvakantisten“!] Ihnen sagen, dass sie diese nicht leugnen, sondern sie in der Tatsache finden, dass es in ihren Augen noch einige Bischöfe und einige gültig geweihte Priester gibt.“ Wie bitte? Und wo soll es „in ihren Augen“ diese wenigen Bischöfe und gültig geweihten Priester noch geben? In der „Konziliaren Kirche“, weshalb diese dann doch „sichtbar“ die katholische wäre, oder außerhalb? Der Pater fährt jetzt sein ganzes spärliches Theologenwissen auf und belehrt uns: „Aber das ist noch lange keine Rechenschaft über die Sichtbarkeit der Kirche. Die Päpste Leo XIII. (Enc. Satis Cognitum) und Pius XII. (Enc. Mystici corporis) erklärten in Übereinstimmung mit der Tradition, dass die Kirche nicht nur durch die Sichtbarkeit ihrer Glieder, sondern vor allem durch ihre Verfassung selbst sichtbar ist.“ Eben. Und die „Verfassung“ der „Konziliaren Kirche“ ist es gerade, die aufgrund der „neuen Weiheriten“ keine gültig geweihten Bischöfe und Priester mehr hervorbringt. Gerade weil es um die „Verfassung“ geht und nicht um „einige Bischöfe und einige gültig geweihte Priester“, die sich vielleicht in der „Konziliaren Kirche“ noch herumtummeln mögen, ist es offensichtlich, daß diese „Afterkirche“ nicht die Kirche Christi ist.

Mehr als verdächtig

Die „Pius“-Patres sind große Meister im Erzählen von Gleichnissen und Parabeln, so auch de La Rocque. Darum will uns dieser nun anhand eines Bildes „helfen, diese Unterscheidung zu verstehen“, und das geht so: „Wenn man sagt, dass jedes Haus von Natur aus (wesensmäßig) sichtbar ist, dann nicht nur aufgrund der Tatsache, dass seine Fensterläden oder Dachziegel sichtbar sind. Man kann sie nämlich auch anderswo als an einem Haus sehen, zum Beispiel bei einem Baustoffhändler. Das Haus ist also nicht nur sichtbar, weil seine Elemente sichtbar sind (materieller Aspekt), sondern auch und vor allem als Haus (formaler Aspekt), weil seine Struktur von Natur aus sichtbar ist: Erdgeschoss, eventuell Obergeschoss, Dach etc.“ Ah, Materie und Form – sehr nett und kindlich erklärt! Doch jetzt die Übertragung: „So verhält es sich auch mit der Kirche. Um ihre Sichtbarkeit zu bekräftigen, reicht es nicht aus, zu sagen, dass ihre Mitglieder sichtbar sind, dass es noch einige Bischöfe und einige gültig geweihte Priester gibt. Es wird der Sichtbarkeit der Kirche so wenig gerecht, dass es auch außerhalb der Kirche Bischöfe und gültig geweihte Priester gibt (z. B. bei den Orthodoxen), genauso wie es Fensterläden und Dachziegel auch außerhalb des Hauses gibt.“ Sehr richtig. Das sagen „sie“ auch immer. Die „Konziliare Kirche“ wird nicht deshalb zur „sichtbaren Kirche“ Christi, weil es in ihr womöglich noch ein paar „Bischöfe und gültig geweihte Priester gibt“.

Der Abbé doziert weiter: „Die Behauptung, die Kirche sei sichtbar, bedeutet also nicht nur, dass ihre einzelnen Mitglieder sichtbar sind, sondern auch und vor allem, dass die Kirche in sich selbst sichtbar ist, von Natur aus, unter anderem und in erster Linie aufgrund ihrer hierarchischen Verfassung, wie sie von Christus festgelegt wurde: Papst, Bischöfe, Priester, Gläubige etc. Diese sichtbare Kirche, die die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche ist, hat die Verheißung der Unzerstörbarkeit erhalten: Die Pforten der Hölle sollen nicht gegen sie errichtet werden (Mt 16,18).“ Wie wahr, wie wahr! Er sagt es selber: die „eine, heilige, katholische und apostolische Kirche“ ist die „sichtbare Kirche“, nicht die „Kirche des II. Vatikanums“ und des „Neuen Advent“ (Wojtyla). Und wer ist der Felsengrund ihrer Unzerstörbarkeit? Kein anderer als der Papst! Wenn aber nun dieser Felsengrund selber durch Häresie zerstört wäre, wo bliebe dann die sichtbare Kirche? Mithin kann es nicht sein, daß der Papst durch Häresie überwältigt würde. Das haben schon die Kirchenväter so gesehen, und nichts anderes sagen „sie“ auch. Was ist daran falsch?

Dennoch bildet sich der Pater ein: „Die sedisvakantistischen Thesen können die Sichtbarkeit der Kirche in ihrem wahren Sinn nicht mehr wiedergeben.“ Er kennt halt die „sedisvakantistischen Thesen“ nicht, hat sie nie gelesen. Sonst wüßte er, daß nicht „sie“ es sind, sondern die „Traditionalisten“, welche „die Sichtbarkeit der Kirche in ihrem wahren Sinn nicht mehr wiedergeben“ können. Für sie genügt es vollkommen für die „Sichtbarkeit der Kirche“, daß in Rom ein Mann in weißer Soutane herumläuft, den alle „Papst“ nennen können, ohne sich sonst im geringsten um ihn zu kümmern. Somit gilt nicht „ihnen“, sondern den „Traditionalisten“ des Paters Verdikt: „Dies macht ihre Meinung mehr als verdächtig, da, wie wir bereits gesagt haben, eine theologische Meinung, die diesen Namen verdient, in jeder Hinsicht die Daten des Glaubens respektieren muss und gleichzeitig dem Urteil der Kirche unterliegt.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

Fortsetzung folgt