Zweischneidiges Schwert

Fiducia Supplicans“, das jüngste Dokument aus der Schmiede von Bergoglios „Glaubensbehörde“, hat mit seiner Erlaubnis der „Möglichkeit, Paare in irregulären Situationen und gleichgeschlechtliche Paare zu segnen“, erwartungsgemäß großen Wirbel verursacht. Während naturgemäß von „links“ lauter Beifall zu hören war, ertönten von „rechts“ die obligaten Entsetzensschreie. Soweit alles wie gewohnt.

Daß die Aufregung dieses Mal noch höhere Wellen schlug als etwa vor sieben Jahren bei „Amoris Laetitia“, liegt nach Ansicht von „Novus Ordo Watch“ daran, daß die Sache ein „visuelles Element“ enthält und dadurch gewissermaßen plastischer vor Augen tritt. Sogleich wurde auch ein Foto im Internet verbreitet, welches den „Jesuitenpater“ James Martin im dezenten „Clergy“ bei der „Segnung“ eines Regenbogenpaares ablichtet, das händchenhaltend und geneigten Hauptes in Räuberzivil vor ihm steht.

Diese Komponente mag der Grund dafür sein, daß nicht nur „Traditionalisten“, sondern auch „Konservative“ weltweit sich empörten und nun sogar in der „Konziliaren Kirche“ nicht nur einzelne Priester, Theologen und „Bischöfe“, sondern ganze „Bischofskonferenzen“, „Seelsorgsregionen“ oder „Bruderschaften“ sich überaus kritisch geäußert haben und den Aufstand proben. Die afrikanischen „Bischöfe“ von Sambia beispielsweise haben ihren Priestern sogleich verboten, von der Erlaubnis Gebrauch zu machen, ebenso die „Bischöfe“ Polens oder der Ukraine.

Authentisches Lehramt

„Kardinal“ Fernández, der „Präfekt“ der „Glaubenskongregation“, ließ keinen Zweifel daran, daß der Text seiner „Erklärung“ dem „Heiligen Vater“ vorgelegt und von diesem unterschrieben worden war. Schließlich sei die „Römische Kurie“ primär „ein Instrument in Diensten des Nachfolgers Petri“. „Während der Ausarbeitung des Dokuments fehlte nicht der Austausch mit dem Heiligen Vater“, heißt es in der „Präsentation“ des Textes. „Die Erklärung wurde schlussendlich dem Heiligen Vater vorgelegt, der dieser mit seiner Unterschrift die Approbation gewährt hat.“ Der letzte Paragraph erinnert noch einmal daran, daß sich die Erklärung „im Einklang mit der maßgeblichen [eigentlich: authentischen] Lehre des Heiligen Vaters Franziskus“ befindet.

Louie Verrecchio von „akaCatholik“ geht davon aus, daß die „Tradversativen“ wieder versuchen werden, die Angelegenheit herunterzuspielen als eine „private“ Äußerung des „Glaubenspräfekten“, der nicht mehr Autorität zukomme als dem Vorwort eines Pfarrers im Pfarrblatt. Dem hat Fernández wohl einen Riegel vorschieben wollen, indem er klarmachte, daß es sich um „authentische“ und vom „Heiligen Vater“ approbierte Lehre handle. Ludwig Ott schreibt in seinem „Grundriß der Dogmatik“ (Freiburg, Basel, Wien 1965): „Auch die Entscheidungen der römischen Kongregationen (Hl. Offizium, Bibelkongregation) sind nicht unfehlbar. Gleichwohl sind sie mit einer aus dem Beweggrund des Gehorsams gegen die kirchliche Lehrautorität hervorgehenden innern Zustimmung (assensus religiosus) anzunehmen. Das sog. silentium obsequiosum, d.h. das ehrfürchtige Schweigen genügt im allgemeinen nicht“ (S. 12). Erst recht dürfen derlei Entscheidungen nicht kritisiert oder angegriffen werden.

Der heilige Papst Pius X. hatte in seinem „Motu Proprio ‚Praestantia Scripturae‘“ vom 18. November 1908 eindeutig festgestellt, „daß alle insgesamt durch Gewissenspflicht gebunden werden, sich den Entscheidungen der Päpstlichen Bibelrates (…) ebenso wie den Dekreten der Heiligen Kongregationen, die sich auf die Lehre beziehen und vom Papst bestätigt wurden, zu unterwerfen; und daß sie nicht der Rüge sowohl des verweigerten Gehorsams als auch der Leichtfertigkeit entgehen und deswegen von schwerer Schuld freibleiben können, wenn sie ebendiese Entscheidungen mündlich oder schriftlich angreifen; und dies abgesehen von dem Ärgernis, durch das sie Anstoß erregen, und dem übrigen, für das sie vor Gott angeklagt werden können, wenn sie, wie meistenteils, in diesen Dingen leichtfertig und irrigerweise anderes vortragen“ (DH 3504; Hervorhebung von uns).

Louie Verrecchio konkludiert: „Es ist höchste Zeit, dass die Kapitäne der tradservativen Medien, deren Geschäftsmodell darin besteht, ihr Geschäft auf der zweifelhaften Annahme aufzubauen, daß Jorge Bergoglio das sichtbare Oberhaupt der Heiligen Römisch-Katholischen Kirche ist, entweder nachgeben – das heißt, mit innerer Zustimmung das Geschwätz akzeptieren, das aus dem konziliaren Rom fließt, als käme es vom Ort der übernatürlichen Autorität auf Erden – oder öffentlich die zunehmend unbestreitbare Wahrheit anerkennen, daß die konziliare Kirche eine gefälschte Kirche ist, die von einem Anti-Papst geleitet wird.“ Das ist korrekt.

Anerkennung des Papstes

Uns Katholiken kann die ganze Affäre an sich gleichgültig sein und allenfalls ein Achselzucken entlocken. Sie ist nur ein weiteres Sichtbarwerden dessen, was wir längst wissen: Bergoglio ist kein Papst und seine „Synodale Kirche“ ist nicht unsere katholische Kirche. Aber den „Traditionalisten“ und „Konservativen“ sollte sie zu denken geben. Ihr altes „Argument“, daß Bergoglio Papst sein müsse, weil alle ihn als solchen anerkennen, bricht mehr und mehr in sich zusammen. Wer erkennt ihn denn überhaupt noch als Papst an, wenn alle Welt sich erlaubt, seine Entscheidungen zu bewerten, sei es positiv oder negativ, sie gegebenenfalls auch zu kritisieren, zu zerfetzen, zu ignorieren oder sich ihnen zu widersetzen? Wer ihn wirklich für seinen Papst ansieht, müßte seinen Lehren „innere Zustimmung“ leisten, ob sie ihm behagen oder nicht. Da wir gehalten sind, auch dem „authentischen“ Lehramt zuzustimmen, kann es nicht sein, daß der Papst uns auf diese Weise sündhafte und verderbliche, „neue“ Lehren beibringen will. Ein weiterer Beweis, daß Bergoglio nicht Papst ist.

Wir halten die Zulassung eines Mannes wie „Papst Franziskus“ dennoch für ein Geschenk, weil durch ihn „die Gedanken vieler offenbar“ werden und er „wie ein zweischneidiges Schwert“ zur Entscheidung zwingt: für oder gegen den Papst, für oder gegen die Kirche. Wie Bischof Sanborn in seinem letzten „Newsletter“ festgestellt hat, häufen sich in jüngster Zeit die „traditionalistischen“ Stimmen und Organe, die nicht nur das „Zweite“, sondern auch das „Erste Vatikanum“ angreifen und ihm „Übertreibung“ der päpstlichen Gewalten vorwerfen. Eine „traditionalistische“ Seite im Internet soll sogar den „Häretiker und Vorläufer der Modernisten“, den exkommunizierten Ignaz Döllinger, zustimmend zitiert haben, der „zum Begründer einer Sekte wurde, die als Altkatholiken bekannt sind“ und das Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes zurückwiesen, welches das Vatikanische Konzil 1870 feierlich verkündet hatte.

Den Grund für das zunehmende Abgleiten des „Traditionalisten“-Lagers zu solchen häretischen Positionen sieht Sanborn darin, daß ihr System angesichts der „Radikalität“ Bergoglios an Glaubwürdigkeit verliert. Ihre „Sedisphobie“, also ihre affektive Abscheu vor dem „Sedisvakantismus“ zwingt sie, die päpstliche Autorität zu beschränken, um ihr System zu retten. Sie greifen sogar zu den alten Begriffen und nennen Katholiken, die am Papst festhalten wollen, „Ultramontane“, wie das die Liberalen im 19. Jahrhundert getan haben.

Im Grund unterscheide sich der moderne „Traditionalismus“ nicht von Schisma und Häresie. Zu allen Zeiten haben sowohl Häretiker als auch Schismatiker den Papst „anerkannt“. Die griechischen Schismatiker (vulgo „Orthodoxe“) begrenzten die päpstliche Gewalt auf den lateinischen Ritus und wiesen eine Jurisdiktion zurück, die sich auf die gesamte Kirche bezieht. Luther bestritt nie, daß der Papst wirklich Papst sei, aber er leugnete seine Gewalt, im Namen Christi zu lehren. Die Gallikaner anerkannten den Papst als solchen, vertraten jedoch die Auffassung, daß er keine Gewalt über die Kirche in Frankreich habe. Die Anglikaner erkannten den Papst als Bischof von Rom an, der aber keine Gewalt über die Kirche in England habe. Die Febronianer anerkannten den Papst, beschränkten jedoch seine Macht auf die eines bloßen Aufsehers und Inspektors einer von den Bischöfen geleiteten Kirche. Von dieser Art ist auch die „Anerkennung“ der „Traditionalisten“. „Der Papst ist der Papst“, aber ihnen hat er nichts zu sagen, über die „Tradition“ hat er keine Autorität. Deshalb wollte schon Lefebvre zwar „dem Papst unterworfen“ sein, aber „mit Autonomie“, „so wie wir sind“. „Aber wenn Rom die Absicht hat, uns eine wirkliche Autonomie zu geben, so wie wir sie jetzt schon haben und dem Heiligen Vater unterworfen, wären wir einverstanden“, schrieb er am 3. Oktober 1987. Unnötig zu erwähnen, daß all dies mit der wahren Anerkennung des Papstes als Papst nichts zu tun hat.

Papst Pius IX. schrieb in „Quartus Supra“ vom 6. Januar 1873 gegen die Armenier: „Denn die katholische Kirche hat immer all jene als schismatisch betrachtet, die sich hartnäckig der Autorität ihrer rechtmäßigen Prälaten und besonders ihres obersten Hirten widersetzt haben, und jeden, der sich weigert, ihre Befehle auszuführen und sogar ihre Autorität anzuerkennen.“ In seiner Enzyklika „Quae in patriarchatu“ vom 1. September 1876 führte er aus: „Was soll denn die feierliche Anerkennung des Dogmas in bezug auf den Vorrang des hl. Petrus und seiner Nachfolger? Was sollen denn die häufigen Erklärungen in bezug auf den katholischen Glauben und auf den Gehorsam gegenüber dem apostolischen Stuhl, wenn diesen schönen Worten durch die Taten widersprochen wird? Mehr als das, ist die Auflehnung nicht dadurch unentschuldbar geworden, daß man diesen Gehorsam als eine Pflicht anerkennt? Erstreckt sich denn außerdem die Autorität des apostolischen Stuhles nicht auch auf die Strafmaßnahmen, die wir ergreifen mussten, oder aber genügt es denn, in Glaubenseinheit mit dem apostolischen Stuhl zu stehen ohne die Unterwerfung im Gehorsam, was man nicht behaupten kann, ohne dem katholischen Glauben Abbruch zu tun? Ehrwürdige Brüder und geliebte Söhne, es geht darum, dem apostolischen Stuhl Gehorsam zu leisten oder zu verweigern – es geht darum, seine höchste Autorität selbst über eure Kirchen anzuerkennen, und zwar nicht nur in bezug auf den Glauben, sondern auch in bezug auf die Disziplin: wer diese Autorität leugnet ist häretisch (quam qui negaverit, haereticus est); wer sie anerkennt, ihr aber hartnäckig den Gehorsam verweigert, ist des Anathemas würdig (qui vero agnoverit, eique obedire contumaciter detrectet, anathemate dignus est).“ (Hervorhebungen von uns.)

Nur zwei Möglichkeiten

Sanborn kommt – wie Verrecchio – zu dem Schluß, daß es nur zwei Möglichkeiten gebe, die ein Katholik gegenüber den „Konziliaren Päpsten“ einnehmen kann, da sie beide auf dem Boden des Dogmas von der Unfehlbarkeit und Indefektibilität der Kirche stehen, dem wir durch unsere Taufversprechen mit göttlichem Glauben verpflichtet sind. Die erste Position besagt, daß die „Päpste“ von „Johannes XXIII.“ bis „Franziskus“ echte katholische Päpste waren und sind. Da die Kirche jedoch in all ihren Lehren, ihrer Liturgie und universalen Disziplin unfehlbar und indefektibel ist, folgt daraus, daß das „II. Vatikanum“ und alle daraus hervorgegangenen „nachkonziliaren“ Reformen in völliger Übereinstimmung sind mit der katholischen Lehre, Liturgie und Disziplin und von uns angenommen werden müssen als von der Autorität Christi selbst angeordnet. (Freilich wäre diese Haltung zwar konsistent mit der katholischen Lehre, würde aber die Fakten ignorieren.)

Die andere Position stellt fest, daß das „II. Vatikanum“ und dessen „Reformen“ dem überlieferten Glauben, der Liturgie und der Disziplin der Kirche widersprechen und schließt daraus, daß die „Päpste“ von „Johannes XXIII.“ bis „Franziskus“ unmöglich die Päpste der katholischen Kirche sein konnten und können. Denn wollte man ihnen zubilligen, echte Päpste zu sein im Vollbesitz der päpstlichen Macht und Autorität, so wäre das gleichbedeutend mit der Behauptung, daß die Kirche in Irrtümer und Sünde gefallen sei, was häretisch ist. Ein „dritter Weg“, wie ihn der „Traditionalismus“ versucht mit seinem „Recognize and Resist“, ist nicht gangbar und nicht möglich. Es ist eben ein „zweischneidiges Schwert“, kein „dreischneidiges“.

Es wäre schön, wenn die ganze Aufregung um Bergoglios „Fiducia“ wenigstens dazu dienen würde, vielen irregeleiteten „Traditionalisten“ die Augen zu öffnen. Das wäre unser Wunsch zu Weihnachten und zum Neuen Jahr.