Betrachtung über die hl. Engel - Insbesondere über die hl. Schutzengel

Wir modernen Menschen haben einen erheblichen Teil unserer geistigen Schaukraft eingebüßt. Inzwischen sind einige Generationen an Skeptikern ins Grab gesunken, aber der Unglaube, den sie gesät haben, lebt weiter. Die Skepsis verdankt ihre verführerische Kraft der erbsündlichen Verwundung des Menschen. Seit der Sünde im Paradies ist unsere geistige Erkenntniskraft stark eingeschränkt und dazu noch unsere Willenskraft erheblich geschwächt. Da wir weder die geistige noch die gnadenhafte Wirklichkeit mit unseren Sinnen wahrnehmen können, ist es seit der erbsündlichen Verwundung unserer Seelenkräfte ziemlich einfach geworden, diese zu leugnen. Denn der Vorwurf, diese seien keine Wirklichkeit, sondern nur Einbildung, ist leicht erhoben, aber relativ schwer entkräftigt. Wer wie der moderne Mensch seine Sichtweise der Welt maßgeblich von der Naturwissenschaft bestimmen läßt, dem kann man leicht einreden, daß all das, was uns unser katholischer Glaube als Wirklichkeit vorstellt, nur von Menschen selber erfundene Märchengebilde sind. Die wichtigsten Lehren unserer hl. Religion beschreiben nicht nur unsichtbare Wirklichkeit, sondern sogar Geheimnisse, die selbst nach ihrer Offenbarung unserem menschlichen Verstand verborgen bleiben. Da ist es leicht zu sagen: Das ist alles nicht wahr.

Wobei es sodann sogleich nicht an jenen fehlt, die behaupten: Die bösen Priester hätten diese Märchen erfunden, um so das Volk unter ihrer Knute zu halten. Bekannt ist der Spruch von Karl Marx: „Die Religion ist das Opium des Volkes.“ In seiner „Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie“ schrieb er: „Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist.“ Zugleich erhob er den Vorwurf, daß die Religion, anstatt die Menschen zu ermuntern und gegen die Ursachen ihrer Not, nämlich die sozialen Ungerechtigkeiten, anzukämpfen, allein aufs Jenseits vertröste. Hierauf fuhr Marx fort: „Die Religion ist das Opium des Volkes.“ Wladimir Iljitsch Lenin formulierte es später etwas revolutionärer: Die Religion sei ein geistiger Fusel, für ausgebeutete Arbeiter ersonnen.

Immerhin können wir rückblickend feststellen, daß der von Marx propagierte Kommunismus nicht nur ein „Opium für das Volk“ war, sondern eine Machtstruktur für eine Elite bot, um das Volk einer vollkommenen Knechtschaft zu unterwerfen. Dabei ist immer wieder daran zu erinnern, daß der Kommunismus vor seinem Zusammenbruch in der sog. Wende durchaus nicht geistig überwunden wurde, sondern schlichtweg wirtschaftlich bankrott ging.

Übrigens hat Klaus Schwab das kommunistische Paradies – daß allen alles gehört – uminterpretiert: Ihr werdet nichts besitzen und dennoch glücklich sein. Diese Formulierung ist zwar ehrlicher als die ursprünglich kommunistische, aber der Nachsatz bleibt dennoch die kommunistische Lüge, formuliert er doch damit eine Sozialutopie, also eine bloße Fabel über ein irdisches Paradies.

Übrigens ist dies nichts Neues: Hört nicht auf das Gerede vom ewigen Leben! Habt keine Furcht vor Göttern, sie können euch nichts anhaben, schrieb schon der Philosoph Lukrez im alten Rom. In Wahrheit komme nach dem Tod gar nichts. Ähnlich soll sich Kaiser Friedrich II. im 13. Jahrhundert geäußert haben: Mose, Jesus und Mohammed seien machtgierige Betrüger im Priestergewand gewesen.

Dieser Kaiser Friedrich II. war übrigens ein äußerst moderner Mensch und zudem eine der umstrittensten Persönlichkeiten seiner Zeit. Für seine Anhänger war er „stupor mundi“ (das „Staunen der Welt“), wohingegen seine Gegner in ihm einen Kirchenverfolger und Ketzer sahen. Im Jahr 1239 vermutete Papst Gregor IX. sogar, der Kaiser sei der Antichrist: „Es steigt aus dem Meer ein Untier. Um die Mauern des katholischen Glaubens niederzureißen, hat es längst die Sturmböcke gerüstet!“ Das Meeresungeheuer ist das erste Tier aus der Apokalypse: „Da sah ich aus dem Meer ein Tier aufsteigen, das zehn Hörner und sieben Köpfe hatte. Auf seinen Hörnern trug es zehn Kronen und auf seinen Köpfen gotteslästerliche Namen.“ (Offb 13,1)

Es war in der Tat so, Kaiser Friedrich II. bezweifelte die Gottheit Jesu Christi, weshalb Jesus in seinen für den göttlichen Glauben blind gewordenen Augen nichts anderes als einer jener machtgierigen Betrüger im Priestergewand war. Wobei es freilich dem Kaiser selber nicht an Machtgier mangelte, versuchte er doch beständig, die Oberherrschaft über ganz Italien zu erringen.

Aber ist das wirklich so? Ist die Botschaft unseres Herrn Jesus Christus eine Erfindung von machthungrigen Priestern? Ist sie nicht vielmehr eine heilige, von Gott geschenkte Frohbotschaft? Schenkt uns diese Botschaft nicht die Möglichkeit, unser Glück und unser Elend recht zu verstehen? Benennt das hl. Evangelium nicht in göttlicher Klarheit unsere Gottverlassenheit, Sünde, Hartherzigkeit und unseren Hochmut? Und es ist sicher ganz wahr, der katholische Glaube schenkt uns eine von Gott verbürgte Schau von Gerechtigkeit und Gnade in unserer Welt – aber nicht, um die Menschen aufzuwiegeln und zu Revolutionären zu machen!

Damit die göttliche Frohbotschaft begreifbar wird, muß der Mensch zunächst einsehen und begreifen, daß unsere irdische, materielle Welt zunächst und vor allem Geist ist, daß das Wesentliche für unsere Augen unsichtbar ist.

Diese Tatsache wird uns ganz besonders durch die hl. Engel vor Augen geführt. Diese sind Personen wie wir, aber ohne einen Leib, Personen als reine Geistwesen. Ein Engel konkretisiert die Tatsache, daß unsere Welt nicht von unten nach oben, sondern nur von oben nach unten richtig verstanden werden kann. Darum ist es selbstverständlich, daß die Materialisten, also diejenigen Menschen, für die alle Wirklichkeit Materie ist, nicht an Engel glauben. Für diese sind sie reine Fabelwesen, für uns hingegen himmlische Freunde.

Daß dies keine Phantasie ist, sondern Wirklichkeit, erfahren wir aus dem Leben vieler Heiliger. Es ist sicherlich mehr als naheliegend, daß der hl. Aloisius von Gonzaga, dem die hl. Kirche den Ehrennamen „Juvenis angelicus“ („Engelgleicher Jüngling“) gegeben hat, ein besonderer Verehrer der hl. Engel war. Ein Freund des Heiligen, P. Girolamo Piatti S.J., hatte das schon bald bemerkt und er berichtet auch von all den Gnadenerweisen eines besonderen Schutzes, die der damalige Novize nach seiner Mitteilung der Wachsamkeit der hl. Engel verdanke.

Es gibt vom hl. Aloisius einen von Hand geschriebenen Text, auf dem er folgende Vorsätze notiert hat:

„Stelle dir vor, du stündest mitten unter den neun Chören der Engel, die vor Gott ihr Gebet darbringen und diesen Hymnus singen („Sanctus Deus, Sanctus fortis, Sanctus immortalis, miserere nobis“ – „Heiliger Gott, Heiliger starker, Heiliger unsterblicher, erbarme dich unser“) so auch wiederhole du ihn neunmal und verrichte mit ihnen ihr Gebet.

Deinem Schutzengel befiehl dich besonders dreimal des Tages, am Morgen mit dem Gebet „Angele Dei“, am Abend mit dem gleichen Gebet und während des Tages, wenn du in die Kirche gehst, die Altäre zu besuchen.

Bedenke wohl, daß du von deinem Engel wie ein Blinder geführt werden mußt, der die Gefahren der Straße nicht sieht und sich darum völlig der Sorge dessen überläßt, der ihn mit Hilfe des Stockes führt.“

Vom hl. Aloisius ist uns auch eine „Betrachtung über die Engel“ überliefert. Am Ende des dritten Teiles seiner Lebensbeschreibung des Heiligen stellt Virgilio Cepari einleitend fest:

„Im Verlaufe der Lebensgeschichte ist gesagt worden, daß der sel. Aloysius auf Drängen des P. Vincenzo Bruno eine Betrachtung über die Engel verfaßte, da er dessen große Verehrung zu den hl. Engeln kannte sowie die edlen Empfindungen, die er zu ihnen hegte, und grade darum die Abfassung durch ihn zu erreichen suchte, damit sie in ihren schönen und erhabenen Gedanken niedergeschrieben würde und auch anderen zugute käme. Damit nun jeder sie zugleich mit seinem Leben lesen kann, will ich sie hier bringen und sie lautet folgendermaßen.“

Hierauf gibt er den Text, wie sie in den früheren Ausgaben als Anhang beigegeben war, wieder – und wir tun das Gleiche:

ERSTER TEIL - VON DEN ENGELN IM ALLGEMEINEN

Erwägungen

1. Erwäge, wie Christus unser Herr aus der großen Liebe, die er zu uns, seinen Geschöpfen, trägt, nicht versäumt, uns immer neue Gelegenheiten anzubieten, durch die wir seine Gnade erwerben und in den Tugenden fortschreiten können, um dann schließlich das Ziel der ewigen Seligkeit zu erreichen, das er uns bereitet hat. Darum war sein Wille, daß in seiner Kirche alle Geheim­nisse unserer Erlösung gefeiert werden sollten, damit sich von Zeit zu Zeit in uns das Gedenken alles dessen auffrische, was der Herr aus Liebe zu uns getan und gelitten hat, und damit wir angeeifert werden, ihn zu lieben und ihm zu dienen und auch alle unsere Handlungen dem Vorbild anzugleichen, das er uns in seinem heiligsten Leben hinterlassen hat. Hiermit noch nicht zufrieden, hat er auch gewollt, daß wir im besonderen seiner hochheiligen und gebenedeiten Mutter, wie auch aus allen Ordnungen der Heiligen einiger der Hervorragenderen besonders gedenken sollten, auf daß sie unsere Beschützer seien und mit ihren Gebeten in unseren geistlichen und zeitlichen Nöten uns helfen und auch Gelegenheit uns bieten, ihre Tugenden und das Beispiel ihres heiligen Wandels nachzuahmen. Zugleich wollte er (da ja die Kirche und wir alle vermittels der Heiligen Engel so viele und so fortdauernde Wohltaten von seiner Majestät erlangen), daß auch deren Gedächtnis mit einer gewissen Feierlichkeit begangen werde.

Und es geziemte sich wohl, daß die Menschen ihnen gegenüber etwas Dankbarkeit erwiesen, da sie ja unser Heil so sehr wünschen und darum sorgen. Deshalb also feiert die heilige Kirche das Andenken des glorreichen hl. Michael, ihres besonderen Schützers, und all der übrigen Engel und Erzengel der himmlischen Hierarchien; denn alle sind uns, wie der Apostel sagte, zum Dienst bestellt und mühen sich in irgendeiner Weise um das Heil der Erwählten (Hebr. l). Jene seligen Geister halten es nicht für unter ihrer Würde, zum Dienst des Menschen niederzusteigen, der doch so tief unter ihnen steht, denn sie schauen, wie der große Gott, dem sie mit solcher Begierde und Seligkeit dienen, sich so sehr erniedrigt hat, um zum Heil der Menschen selbst Menschengestalt anzunehmen. Und sie weisen es nicht ab, ihn zum Gefährten zu haben, noch daß aus diesen Würmchen von so gemeinem Staub die Mauern des himmlischen Jerusalem erbaut (Ps. 50) und ihre Trümmer aufgerichtet werden, denn hoch über sich beten sie den gleichen menschgewordenen Gott an. Und schau, mit wie gutem Grunde die Heilige Kirche am Fest dieses sieghaften Erzengels das vorstehende Evangelium von der Tugend der Demut verliest. Denn wie der hochmütige Luzifer, weil er göttliche Ehre sich anmaßen wollte, vom höchsten Throne im Himmel in die Tiefe der Hölle geschleudert wurde, so wurde der demütige Michael mit der ganzen Schar der guten Engel von Gott so sehr erhöht und zu Ehren gebracht, weil sie ihrem Schöpfer untertan blieben und aus Eifer für seine Glorie jener stolzen Schlange widerstanden (Offb. 12). Das gleiche Evangelium wird auch am Fest aller Engel vorgelegt, da sie gemeinsam mit dem Heiligen Michael durch die Tugend der Demut die Krone der Glorie erwarben. Daraus aber sollen die Menschen Gottes unfehlbaren und ewigen Beschluß erkennen, daß gar niemand auf anderem Wege in die Glorie, die den Engeln zueigen ist, eingehen kann, als auf dem Wege der Demut, den sie vorgegangen sind. So hat auch sogar unser Heiland Christus durch eben diese Tugend die Verherrlichung seines geheiligten Leibes erworben, wie der Apostel es sagt: „Humiliavit semetipsum factus obediens usque ad mortem etc.“ „Propter quod et Deus exaltavit illum etc.“ (Philipp. 2). „Da er sich selbst erniedrigte und gehorsam ward bis zum Tode, darum hat Gott ihn so hoch erhoben und verherrlicht“. Aus diesem Grunde wäre es ungeheuerlich, wenn die Glieder, seine Gläubigen, durch eine andere Pforte eingehen wollten, als durch die ihr Haupt einging.

2. Erwäge nun die hohe Auszeichnung dieser himm­lischen Hofleute, dieser Fürsten des Paradieses; wohl vermag unser Verstand sie nicht in voller Fülle zu verstehen und zu begreifen, immerhin aber können wir von der ihnen durch den Herrn verliehenen Würde und Glorie etwas erfassen in dem wenigen Lichte, das uns durch ihre Vermittlung zum Erkennen der irdischen Dinge mitgegeben wurde. Drei Dinge machen für gewöhnlich den Hof oder das Heer eines großen Fürsten berühmt. Zuerst der Adel der Personen. Zweitens deren Zahl. Drittens die Rangordnung, die bei ihnen herrscht. Alle diese drei Dinge strahlen in einzigartiger Weise bei den Engelsgeistern wider. Betrachtest du sie zunächst ihrer Natur nach, so sind sie die würdigsten Gebilde, die die Hand des großen Meisters Gott geschaffen hat: sie sind rein geistigen Seins und darum unverderblich von Natur und vollkommener als jedes andere Geschöpf; sie sind so hohen Verstandes, daß sie in den natürlichen Dingen weder irren noch nicht wissen können: und diesem größeren Lichte des Verstandes entsprechend ist ihnen zugleich ein festerer und vollkommenerer Willen zu eigen, der von keiner Leidenschaft verwirrt werden kann. Und wenn du dich nun hinwendest, über ihren Zustand nachzudenken, in dem sie sich jetzt durch die Gnade befinden, so haben sie in steter Sündenlosigkeit die Glorie und ewige Seligkeit errungen. Überdies sind sie in ihrem ganzen Sein mit dem Gewand der göttlichen Gnade angetan, das sie in den Augen des Herrn schön und wohlgefällig macht. Ihr Verstand ist mit der leuchtenden Klarheit der Glorie erhellt, in der sie ihren Schöpfer von Angesicht zu Angesicht schauen, und ihr Wille ist umkleidet mit dem Gewande der Liebe, in dem sie Gott mit einer Liebe vollkommener Freundschaft lieben, die sie zu Kindern und Freunden des gleichen Gottes erhebt. Wohlan denn, meine Seele, betrachte die Schöne dieser Himmelsbewohner, die wie Morgensterne und strahlende Sonnen in der Gottesstadt erglänzen und in denen wie in klarsten Spiegeln die göttlichen Vollkommenheiten widerstrahlen, die unbegrenzte Allmacht, die ewige Weisheit, die unsagbare Güte und des Schöpfers glühendste Liebe. O wie sind doch diese seligen Geister so an­mutig, so rein und so liebenswert, so eifrig um die Glorie ihres Herrn bemüht und so voll Sehnen und Sorge um unser Heil, und wie sehr verdienen sie darum, von uns besonders geliebt und geehrt zu werden. Wenn nun (nach der Ausdrucksweise der Philosophen) die Ehre in einer Huldigung besteht, die einem (Wesen) ob seiner Vortrefflichkeit oder Tugend irgendwie zukommt, und wenn unter Menschen, die doch alle gleicher Natur sind, gleichwohl die sosehr geachtet und geehrt zu werden pflegen, welche durch eine dieser Gaben die anderen überragen, um wieviel mal mehr müssen da wir, so niedere Kreaturen im Vergleich zu jenen, sie in Ehrfurcht ver­herrlichen, da doch ein jeder aus ihnen, und mag sein Anteil an obigen Gaben und Tugenden noch so klein sein, auch den bevorzugtesten aller Menschen weit überragt? Wenn weiterhin die heiligen Engel, an Natur und Gnade über alle anderen Kreaturen erhabene Geschöpfe, sich erniedrigen und dem Menschen Ehre geben, weil Gott ihn liebte und ehrte, scheint es da nicht viel geziemender, daß wir kleine Würmchen mit allen Gefühlen der Ergebenheit jene ehren, die Gott im Himmel so sehr ehrt und erhöht? Denn sie sind ja jene geliebten Söhne, die immer das Antlitz des Vaters schauen, die weißen und reinen Lilien, unter denen er weidet, und die von duftigen Wohlgerüchen übersäten Berge, auf denen der himmlische Bräutigam wandelt und sich erquickt (Mt. 18,10; Cant. 2,16 und 8,14).

3. Nach der Würde und Auszeichnung dieses himmlischen Hofes erwäge nun die Zahl und Rangordnung der Hofleute. Ihre Zahl zunächst ist so groß, daß sie nicht nur größer ist als die Zahl aller jetzt lebenden Menschen, sondern auch all derer, die je gewesen oder bis zum Tage des Gerichtes sein werden. Die Menge dieser seligen Geister ist wie der Sand am Meer und wie die Sterne, die nach dem Worte des Weisen unzählbar sind. Und wie der hl. Dionysius Areopagita versichert, ist die Zahl der Engel größer als irgendwelche Zahl, die es in stofflichen Dingen auf Erden geben kann. „Millia millium (sagte der Prophet) ministrabant ei et decies centena millia assistebant ei“. (Prd. l,15); Dionys.Areop.de caeles. Hierar. cap. 9; Dan. 7,10). „Tausende Tausend dienten dem Herrn und zehntausend Millionen standen ihm zur Seite.“ Wo die Hl. Schrift die bestimmte Zahl statt der unbestimmten zu setzen pflegt und die größte Zahl wählt, die es bei Menschen gibt, soll das so verstanden werden, daß diese Zahl nur von Gott selbst gezählt werden kann, und daß, was bei Gott zählbar ist, für die Menschen unendlich und unzählbar ist. Daher lesen wir bei Job: „Numquid est numerus militum eius?“ (Job 25,3) „Hat denn die Heerschar des Herrn eine bestimmte Zahl?“ Von ihrer Menge sprach auch der königliche Prophet, als er von den Engeln sagte: „Currus Dei decem millibus multiplex millia laetantium, Dominus in eis in Sina in sancto“ (Ps. 67,18). „Die Wagen Gottes zehntausendmal, viel Tausende Festgäste, unter denen der Herr auf seinem heiligen Berge Sinai wohnt.“ Nun sagt (nach der Apokalypse) (Offb. 7,9) der heilige Evangelist, er habe eine große Schar von Heiligen aus allen Völkern, Sprachen und Nationen ge­schaut, die vor dem Angesichte Gottes standen und die von niemand und auf keine Weise gezählt werden konnten. Wenn diese Zahl der Auserwählten, die nach unserm Wissen den kleineren Teil der Menschen ausmachen, schon so groß ist, daß sie nicht gezählt werden kann, wie groß glauben wir dann wohl, wird die Zahl der Engel sein, die zehnmal mehr sind als die Menge aller Menschen? Und es hat schon seinen guten Grund, daß die Hofleute jenes himmlischen Monarchen in so großer Zahl sind, denn wie der Weise sagt: „In multitudine populi dignitas regis, et in paucitate plebis ignominia principis“ (Prov. 14,28), „In der Menge der Völker steht die Größe und Würde des Königs und eine geringe Zahl der Untertanen ist dem Fürsten Schande und Unehre“, so war es wohl geziemend, daß Gott als der höchste Fürst, als König der Könige und Herr der Herren, eine ganz große Familie und einen zahlreichen Hofstaat in seinem weiträumigen Reiche und unermeßlichen Himmelspalast zueigen habe. (Tim. 6,15; Offb. 17,18) Welcher Trost und Jubel, meine Seele, eine Schar solch herrlicher Geschöpfe schauen zu können, so würdig von Natur, so edel durch die Gnade und so selig in der Glorie? O wäre dir jemals jenes große Glück beschieden, dich wiederfinden zu können bei jenen himmlischen Heerscharen, in Gemeinschaft so vieler Fürsten und Gotteskinder, ja so vieler deiner Brüder! Damit nun diese erhabenen und in Liebe glühenden Geister sich nicht scheuten, die Menschen zu Brüdern zu haben, ist ihr Herr selbst nicht davor zurückgeschreckt, nicht bloß dem Namen nach, sondern gar in Wirklichkeit (da er menschlichen Leib annahm) unser Bruder zu sein (Hebr. 2,17). O wie gerne würdest auch du im Verein mit den Stimmen der Engel deinem Herrn lobsingen und ihn benedeien ob so großer empfangener Wohltat!

4. Erwäge ferner die wunderbare Rangordnung, in der die göttliche Vorsehung diese glorreichen Geister im Verhältnis zu ihrem Schöpfer, untereinander und zu den übri­gen Geschöpfen dieser Welt gerichtet und geordnet hat. Und betrachtest du sie zuerst in ihrem Verhältnis zu Gott, so ist unter ihnen kein Unterschied, denn alle achten und ehren gleichen Sinnes ihn als den alleinigen Fürsten und Herrn dieser himmlischen Stadt. Erwägst du sie in ihren Beziehungen zueinander, so wirst du bei der so großen Zahl heiliger Engel keine Spur eines Wirrwarrs bemerken, sondern strengste Ordnung und wunderbare Gliederung, den verschiedenen Graden ihres Erkennens entsprechend, der eine ist höher und würdiger als der andere, je nach dem Maße, wie Gott ihnen seine göttlichen Geheimnisse enthüllt und sich ihrer Mitwirkung zum Heile der Menschen bedient. Wenden wir uns nun dem einzelnen zu, so teilt sich die ganze Schar der seligen Geister in drei Hierarchien, die höchste, die mittlere und die niedere. Ferner ist jede dieser Hierarchien gleicherweise in drei Chöre von Engeln gegliedert, den höchsten, den mittleren und den niederen. Die erste hievon umfaßt die Seraphim, Cherubim und Thronen. Aus ihren Namen ist leicht ihr Amt zu ersehen, in dem sie dienen, denn das ist gerade Gott eigen, daß er seinen Geschöpfen den Namen gibt nach dem Amt, das er ihnen anvertraut. Betrachte also als ersten Chor den der Seraphim, die als die geheimen und vertrautesten Kämmerer des Himmelskönigs ihrem Namen entsprechend von Liebe erfüllt und entbrannt sind, ja wie zu einem geistigen Feuer geworden ständig in göttlicher Liebe glühen und zugleich mit diesem Feuer ihrer Liebe die ihnen untergeordneten Engel entzünden und durchglühen. Betrachte alsdann die Cherubim, so genannt nach der Fülle des Wissens und dem größeren Lichte ihres Erkennens, das ihnen vor all den anderen niederen Geistern eigen ist, damit sie Gott klarer schauen und in ihm mehr Dinge erkennen. Darum sind sie wie Räte des himmlischen Königs, voll des Wissens und der Weisheit, die sie ebenso den ihnen niederen Engeln mitteilen. Betrachte sodann die Thronen, die als die nächsten und vertrautesten Diener Gottes mit diesem Namen begnadet sind, gleichsam als Sitze und Throne des Königs, auf denen in einem gewissen Sinne die Göttliche Majestät sich niederläßt und ruht, und die sie alsdann wie auf einem hohepriesterlichen Stuhle mit sich tragen, wohin sie auch gehen. Steige alsdann herab zur zweiten Hierarchie, die drei andere Chöre der Engel umfaßt, Herrschaften, Kräfte und Mächte, die besonders zur allgemeinen Leitung der niederen Dinge beauftragt sind. Und zuerst betrachte die Herrschaften, die den Herrschaftsbereich jenes höchsten Fürsten umfassen und wie königliche Statthalter den ihnen Untergebenen gebieten und ihnen die gottgewollten Ämter der Regierung des Weltalls zuschreiben. Alsdann betrachte die Kräfte, die in ihrer Macht und Kraft die unendliche Gewalt des Herrn der Kräfte ahnen lassen, alle besonders schwierigen Aufgaben ausführen und in seinem Dienst in den Geschöpfen Wunderbares wirken. Betrachte drittens die Mächte, die als Richter die Autorität und Macht des höchsten Allrichters darstellen; ihr Auftrag ist, die Mächte der Lüfte zu zügeln und von den Menschen alles fernzuhalten, was sie belästigen oder behindern könnte, damit sie besser ihr Heil zu wirken vermögen. Schließlich wende dich tiefer der dritten und letzten Hierarchie zu, die drei weitere Chöre, Fürstentümer, Erzengel und Engel einbeschließt und betrachte als ersten und höchsten die Fürstentümer. Sie tragen diesen Namen, weil von dieser letzten Hierarchie, die von Gott zur Ausführung seiner göttlichen Weisungen an die Geschöpfe beordert ist, die Engel des ersten Chores jenen höchsten Fürsten vertreten und von ihm zur Herrschaft über verschiedene Landesteile und einzelne Königreiche eingesetzt sind. Sie als die vornehmsten empfangen unmittelbar von Gott die Weisungen und geben sie den andern untergeordneteren Engeln weiter und leihen ihnen Hilfe bei deren Ausführung. Es folgen sodann die beiden anderen Chöre, Erzengel und Engel, die ihren Namen gemäß als Gesandte und Boten von Gott aus verschiedenen Gründen in die Welt entsandt und auch zur Schutzwacht für einzelne Orte und Personen abgeordnet werden. Und kein anderer Unterschied ist zwischen ihnen, als daß die Erzengel für größere Dinge und Pläne abgeordnet werden und die Engel für die kleineren. Dies alles ist das wenige, was wir von jenem göttlichen Aufbau und der Ordnung des Hauses Gottes begreifen können. Wenn daher das Auge unseres Verstandes darüber hinaus weiteres entdecken und Natur und Amt eines jeden Engels noch mehr im einzelnen erschauen könnte, so würde er finden, daß diese im himmlischen Jerusalem besonderen Auftrag und Dienst haben und dadurch in einer ganz besonderen Weise die Schar der Seligen und den Hofstaat des himmlischen Königs über alles Maß herrlich gestalten. Und wie wir unser Himmelsgewölbe mit so vielen Sternen geschmückt und ausgezeichnet sehen durch die Zahl der Planeten in den verschiedenen Sphären und durch die Zahl der Himmelskörper, die sich in so wunderbarer Ordnung bewegen und ihre Einflüsse zur Erde senden, so auch umfaßt jener unsichtbare Himmel der Geister in noch viel wunderbarerer göttlicher Ordnung, wie viele leuchtende Sterne, eine solche Mannigfaltigkeit von Engeln, durch deren Vermittlung, wie durch so viele Planeten, der Herr des Weltalls die Einflüsse seiner Gaben und geistigen Gnaden auf unsere Erde niedersendet. (3 Kg. 10, 1-13) Wohlan denn, meine Seele, da die Königin (von) Saba die Weisheit Salomons vernommen und die Pracht seines Palastes, die Menge und Rangordnung seiner Dienerschaft geschaut hatte, geriet sie nach den Worten der Hl. Schrift, in einem Übermaß des Staunens über die Klugheit dieses weisesten Königs fast außer sich und sprach zu ihm: Glückselig die in deiner Nähe weilen und glückselig die Diener, die würdig befunden, dein Antlitz zu schauen und deiner Weisheit zu lauschen; o wenn du dahin gelangtest, die Würde, Erhabenheit und Rangordnung des Hofes jenes wahren Salomon zu erfassen, der nach seiner ewigen Weisheit und Macht ihn so wohl geordnet und gerichtet hat, wievielmal mehr hättest du da Gelegenheit, nicht etwa mit jener Königin dich in Bewunderung zu ergehen, sondern mit jenem guten Propheten in Verlangen und Liebe nach dieser seligen Wohnung aufgelöst zu werden? Welcher Trost und Jubel würden dir zuteil, wenn nach Ablauf des gegenwärtigen Lebens auch du dahin gelangen könntest, im Verein mit diesen seligen Geistern dem Herrn Ehre zu erweisen und ihm zu huldigen, dem sie dienen: „et cui servire regnare est?“ (Vgl. Röm. 5,17)

O ihr heiligen und reinen Engel, ihr wahrhaft Glückseligen, immerdar steht ihr vor Gottes Thron und schauet in solchem Jubel das Antlitz des himmlischen Salomon, der euch mit solcher Weisheit erfüllt, solcher Glorie gewürdigt und mit solchen Vorrechten begnadet hat. Ihr leuchtenden Sterne, ihr selig erglänzenden im hohen Himmelssaal, gießet, ich bitte euch, eure heilsamen Eingebungen in meine Seele, bewahret mein Leben ohne Makel, meine Hoffnung stark, meine Führung ohne Schuld, meine Liebe ganz Gott und dem Nächsten zugewandt. Ich bitte euch, ihr seligen Engel, lasset euch herab, durch euren Beistand mich gleichsam an der Hand den königlichen Weg der Demut zu führen, den ihr selbst zuerst gegangen, auf daß ich wert befunden werde, nach diesem Leben im Verein mit euch das Antlitz des ewigen Vaters zu schauen und von ihm euch beigezählt zu werden an Stelle eines jener Sterne, die wegen ihres Hochmuts vom Himmel herunterstürzten.

ZWEITER TEIL - VON DEN ENGELN IM EINZELNEN

5. Nach der Betrachtung der Engelshierarchien geziemt es sich wohl, die Glorie jenes sieghaften Führers der himmlischen Heere, des Erzengels Michael zu betrachten, der wegen seines großen Eifers und der Treue von Gott zum Fürsten über alle jene Engel gesetzt wurde, die zu verschiedenen Dienstleistungen zur Erde entsandt werden. Es wurde der heilige Michael mit diesem seinem Namen geehrt, der da bedeutet: „Quis ut Deus“; denn als sich jener hochmütige Luzifer erhob, sich Gott gleich zu machen, da vermochte unser tapferer Erzengel ein solches Unrecht gegen seinen Herrn nicht zu ertragen und von glühendstem Eifer durchflammt rief er aus: „Quis ut Deus, Quis ut Deus?“ das heißt: wer ist so kühn und mächtig, daß er Gott gleich werden könnte? womit er sagen wollte: nicht ist im Himmel noch im ganzen Weltall einer unserm Gotte gleich. O starker Michael, in Wahrheit dieses Namens würdig, du bist gepriesen unter allen Engeln, und unter den Menschen verdienst du alles Lob und alle Ehre, weil du so getreu warst und so voll Eifer für die Ehre deines Schöpfers. Diesem glorreichen Erzengel wurden von Gott nicht allein in der triumphierenden, sondern auch in der streitenden Kirche viele Vorrechte verliehen. So wurde er zuerst im Alten Bunde zum Schutzherrn und Schirmer der Synagoge bestellt und dann im Neuen Testament zum Fürsten und Schutzherrn der Kirche Gottes. Er ist der tapfere Herzog und Oberst, dessen hoher Mut und Eifer die ganze heilige Schar der guten Engel nach sich zog, sich der Tollkühnheit des giftigen Drachen entgegenwarf, ihm den Kopf zerschmetterte, den Sieg errang und ihn zugleich mit seinem ganzen Anhang vom Himmel hinabstürzte. (Offb. 12,7) Fernerhin war in allen Gelegen­heiten, sooft irgendwie Hilfe zu leisten und für das Heil des gläubigen Volkes zu streiten war, der sieghafte Michael immer zur Stelle. In Ägypten kämpfte er für das Volk Gottes und befreite es durch viele Zeichen und Wunder aus der Knechtschaft des Pharao. Er war der Engel, der in jener furchtbaren Nacht auf Weisung Gottes alle Erstgeburt Ägyptens schlug. Er zog vierzig Jahre lang vor den Kindern Israels als Führer und Geleiter her, er ließ das sie verfolgende Heer des Pharao im Roten Meere untergehen, er erschlug und vernichtete soviele Völker und Heere, die ihnen feindlich waren und führte sie schließlich heil in jenes Land, das Gott ihnen verheißen. (Deut. 34,6) Ja, als nach dem Tode des Moses der arglistige Dämon das Volk Gottes zum Götzendienst an diesem heiligen Leichnam zu verführen trachtete, da setzte sich dieser starke, für die Ehre Gottes und das Heil jener Seelen so eifervolle Erzengel ihm tapfer entgegen und wies ihn zurück. Und als schließlich das Volk Israel in die Gefangenschaft nach Babylon abgeführt wurde, da eilte er, nachdem die vor­geschriebene Zeit seines Elendes abgelaufen, zu seiner Hilfe herbei und räumte alle Hindernisse seiner Befreiung hinweg. Und wenn auch bei einigen dieser Gelegenheiten und Taten der Name Michael nicht ganz ausdrücklich genannt wird, so darf man doch, da er von Gott zum Schützer und Schirmer jenes Volkes eingesetzt worden, als ganz sicher annehmen, daß entweder er persönlich ihm zu Hilfe kam oder aber im Auftrage des Fürsten Michael andere Engel es taten.

Weiterhin hat dieser glorreiche Erzengel außer der allgemeinen Schutzherrschaft über die Heilige Kirche noch das besondere Amt, alle Seelen der Gerechten zu empfangen, die aus dieser Welt scheiden und in das andere Leben hinübergehen, sie gegen die Nachstellungen und Anfechtungen des bösen Feindes zu verteidigen und sie vor den Richterstuhl Christi zu führen, damit sie den Lohn empfangen, der nach den Verdiensten eines jeden ihnen von Gott zuerteilt wird. Und wenn das Ende der Welt herankommt, dann wird auch dieser gewaltige Erzengel wieder erscheinen, um gegen den Antichrist zu kämpfen, der mit falschen Wundern die Gläubigen zu verwirren sucht, und um die Kirche Gottes gegen diese furchtbare Verfolgung zu verteidigen (1 Thess. 4,16). Und wenn er dann diesen Sieg errungen und den Fürsten der Finsternis in der Tiefe des höllischen Abgrundes in Ketten geschlagen, dann wird dieser Erzengel die furchtbare Posaune blasen, bei deren Schall alle Toten wieder auferstehen und vor dem ewigen Richter erscheinen werden, um den letzten Urteilsspruch zu vernehmen, durch den die Gerechten mit ewiger Glorie belohnt, die Sünder aber zu ewiger Qual ver­dammt werden. Alsdann ist nicht mehr die Zeit des Erbarmens und der Gnade, sondern einzig einer strengen Gerechtigkeit und es werden alle durch gerechtes Gericht Gottes dem Orte überwiesen, den ein jeder in dieser Welt sich verdient haben wird.

O sieghafter Fürst und treuester Schirmherr der Kirche Gottes und der gläubigen Seelen, du hast dich immer mit so viel Liebe und Eifer in zahlreiche Kämpfe hineingeworfen und mancherlei Mühen auf dich genommen, nicht um dir selbst Ruhm und Ansehen zu erringen, wie die Kapitäne dieser Welt es zu tun pflegen, sondern um die Glorie und Ehre, die wir alle unserm Gott schulden, zu mehren und zu sichern, und du tatest so zugleich auch aus Verlangen nach dem Heil der Menschen: komm meiner Seele zu Hilfe, so flehe ich zu dir, die ständig und unter großer Gefahr so von ihren Feinden, dem Fleische, der Welt und dem Teufel bedrängt wird. Und wie du dem Volke Israel Führer in der Wüste warst, so sei auch mein getreuer Führer und Geleiter durch die Wüste dieser Welt, bis du mich dann sicher in jenes glückliche Land der Lebendigen geleitest, jenes selige Vaterland, nach dem unser aller Pilgerfahrt hinzielt. O meine Seele, wenn diese letzte Stunde deiner Tage kommen wird, wenn du vor jenem schrecklichen und gefahrvollen Schritt stehst, wo du genötigt bist, dich von deinem sosehr geliebten Leibe zu lösen und nackt und bloß hindurchzuschreiten durch jene entsetzlich schmale Pforte der Todesnot und durch so große Heerlager höllischer Mächte, deine gefährlichsten Feinde, die dich umringen werden wie vor Hunger brüllende Löwen, sprungbereit, dich zu ergreifen und zu verschlingen. O wenn in jenem Augenblick unser sieghafter Erzengel, da er sich doch stets bereitwillig erwies in allen Nöten der gläubigen Seelen, sich nun herbeilassen würde, mit seiner ruhmvollen Schar dir noch einmal Hilfe zu bringen, für dich sich zu schlagen, mit dem gewaltigen Schilde seiner Schutzherrschaft dich zu decken und dich mitten durch deine Feinde sicher hindurchschreiten zu lassen! Und wenn er dann noch vor dem Richterstuhl jenes gestrengsten Richters deine Verteidigung übernähme, für dich antworten und dir durch seine Bitten die Verzeihung deiner Sünden erwirken und dann zum Ende seinem siegreichen Banner dich zugesellen und dich zu jenem heiligen und beseligenden Lichte hinzuführen würde, in dem er und alle Engel und alle erwählten Kinder des Lichtes in ewiger Jubelfeier vor ihrem Schöpfer erstrahlen. O welche Erquickung würde dich erfüllen und mit welchem Trost und Herzensfrieden würdest du dann von dieser Welt scheiden.

6. Nach dem glorreichen Fürsten Michael betrachte die Würde und die erhabenen Vorrechte des Erzengels Gabriel, der zwar in der Hl. Schrift nur ein Engel genannt wird, gleichwohl aber nicht als ein Engel des untersten Grades gedacht werden kann, die vor allem zu Hilfe und Dienst der Menschen ausgesandt werden, sondern der mehr ist als ein Engel, das ist aber Erzengel, und unter den Erzengeln der erste. Denn der Auftrag, den er zu verkünden kam, war kein gewöhnlicher Dienst und Auftrag, sondern der herrlichste und erhabenste, den Gott jemals gegeben hat. Daraus darf man schließen, daß dieser himmlische Bote einer der höchsten und würdigsten ist, die in jener Hierarchie ihren Platz haben. Er ist der getreue Freund des himmlischen Bräutigams, der von ihm zum Mitwisser des tiefen Geheimnisses seiner Menschwerdung gemacht wurde, und er war der erste, der es der Welt offenbarte (Lk. 1,26). Er war auch der anmutvolle Brautwerber, der zum Mittler wurde zwischen dem höchsten Gott und der demütigen kleinen Jungfrau von Nazareth, zwischen dem ewigen Wort und unserer menschlichen Natur. Um nun die Würde dieses Erzengels besser zu erfassen, erwäge im einzelnen die Ämter, die ihm vom Herrn anvertraut wurden. Vor allem darf man (wie einige Heilige versichern), den frommen Glauben hegen, daß er der allerseligsten Jungfrau zum besonderen Schutze beigegeben wurde. Und da Gott weder im Himmel noch auf Erden ein anderes so reines Geschöpf hatte, das er mehr geliebt und das würdiger gewesen wäre als die Jungfrau Maria, so darfst du mit Recht annehmen, daß wie die Fürsten der Welt ihr Teuerstes nur den treuesten Hofleuten zur Hut anvertrauen, an diesem Himmelshofe der glorreiche Gabriel dem König des Himmels einer der ihm Liebsten und Bevorzugtesten sein mußte.

Betrachte alsdann das weitere Amt dieses heiligen Erzengels, der von der Allerheiligsten Dreifaltigkeit als Botschafter ausgesandt wurde für ein so hohes und bedeutungsvolles Werk, wie es die Menschwerdung des Eingeborenen Sohnes Gottes für die Erlösung und das Heil der ganzen Welt war. So kommt ihm mit Recht dieser heilige Name Gabriel zu, dieser wahrhaft geheimnisreiche Name, der da bedeutet „Vir Deus“ [Gottesmann]; denn er verkündet der Welt Christum, der Gott und Mensch zu­gleich sein sollte. Überdies wird dieser Name Gabriel noch eigentlicher „Kraft Gottes“ übertragen, und das um des gleichen Werkes willen, das er der Welt verkündete, und das war das starke dreifache Band, die innigste Verbindung der göttlichen Natur mit dem Leibe und der heiligsten Seele Christi in der ganz einfachen Hypostase und Person des Ewigen Wortes, wie geschrieben steht: „Funiculus triplex difficile rumpitur.“ (Prd. 4,12) „Die dreifache Schnur wird nicht so leicht zerrissen.“ Auch deshalb noch wird er Kraft Gottes genannt, weil er durch seine Botschaft uns die göttliche Kraft vermittelte, da Gott mit der menschlichen Natur zugleich auch unsere Schwachheit auf sich nahm. Da wurden die Menschen dank dieser Kraft so mutvoll und stark, daß sie daraufhin Werke über alle Menschenkraft und -vermögen wirkten (Lk. 11,20). Du wahrhaft starker Engel, du hast ja mit deiner Botschaft den Menschen nicht allein die göttliche Kraft, sondern Gott selber uns gebracht, den starken über alle Starken, der dem Starken in Waffen die Beute nahm und ihn aus der Welt verjagte, die dieser so viele Jahre als Tyrann beherrscht hatte, wodurch er uns aus seiner Knechtschaft erlöste und die Freiheit der Kinder Gottes uns wiedergab.

7. Nun verbleibt uns noch, nachdem wir den Eifer und die glänzenden Taten des Fürsten Michael und die geheimnisvolle Kraft des Erzengels Gabriel betrachtet haben, in gleicher Weise die werktätige Liebe des Engels Raphael zu erwägen, den wir für einen der vornehmsten Engel des Himmels halten, da er ja nach seinen eigenen Worten zu jenen sieben Geistern zählt, die immer vor dem Angesichte Gottes stehen (Tob. 12,15). Und folgend werden wir dann die vielen Wohltaten betrachten, die ein jeder an Leib und Seele von seinem Schutzengel erfährt. Denn dieser glorreiche Raphael war nach dem Namen, den er trägt, wie auch durch die Liebesdienste, die er dem alten und dem jungen Tobias erwies, Muster und ausgesprochenes Vorbild für all das, was uns die Schutzengel erweisen (Tob. 6 und 11). Und zunächst kam ihm sehr wohl der Name Raphael zu, der „Heilmittel Gottes“ bedeutet, um der Wirkung willen, die er durch Heilmittel erzielte, durch geistige bei dem jungen Tobias und durch körperliche bei seinem alten Vater, dem er das Augenlicht wiedergab. Und welch anderes Amt übt der Schutzengel bei dir, wenn nicht das des Arztes, eines Arztes für Leib und Seele, wie es weiter unten noch dargelegt wird. Um das besser zu würdigen, erwäge, wie das menschliche Leben in drei Abschnitte sich gliedert: der eine, wo der Mensch im Schoße der Mutter sich befindet. Der zweite, von seiner Geburt bis zu seinem Tode und dem besonderen Gericht über seine Seele. Der dritte, der nach dem Tode folgt. Betrachte nun für jeden dieser Abschnitte an den Taten des Engels Raphael die besonderen Dienste, die dir dein Schutzengel erweist. Und für den ersten Lebensabschnitt, da erzählt die Hl. Schrift, wie der alte Tobias seinen Sohn auf die weite Reise schicken wollte und sichere Begleitung suchte, in der er ihn ziehen lassen konnte (Tob. 5,4). Ehe nun der wackere Jüngling aus dem Vaterhause schied, sandte Gott seinen Engel, der in menschlicher Gestalt vor ihm erschien und sich ihm als Führer und Begleiter für die ganze Wanderschaft anbot. O unermeßliche Liebe und mehr als väterliche Sorge des Schöpfers, bevor du noch aus dem Schoße deiner Mutter hervorgingest und ehe du noch Kenntnis hattest von deinen Feinden und den Gefahren, die auf dich warten, gebot er als Gott einem jener seligen Geister, die immerdar das göttliche Antlitz in Freuden schauen, und gerade jenem, der vor dem Schutzengel deiner Mutter gewesen, die Sorge für dich zu übernehmen und schon von jenem zarten Zustande an, wo du so vielen Gefahren ausgesetzt warst, dich mit der Mutter zu hüten, damit du nicht behindert würdest, sicher zur Taufgnade zu gelangen und der Zahl der Gotteskinder zugeschrieben zu werden. Doch was sage ich?, dein Schöpfer habe, als du noch im Mutterschoße weiltest, so für dich gesorgt und deines Wohles gedacht, da Gott sogar schon „ab aeterno“ (von Ewigkeit her) sich deiner erinnert, noch ehe er die Engel schuf, noch ehe er im Anfang irgend ein Werk wirkte, ehe noch die Abgründe wuchsen und die Fundamente des Himmels gelegt wurden. Armseliges Menschenkind, da war er schon für dein Heil eifrig besorgt. Und wenn er auch in seinem ewigen Wissen deine Undankbarkeit und Unwürdigkeit voraussah, so hat er gleichwohl aus reiner Güte, ohne irgendein vorausgehendes Verdienst von deiner Seite, sich entschlossen, dir jenen Beistand zu leisten und dir auch alle Wohltaten zu erweisen, die du vom Augenblicke deiner Empfängnis an erhalten und in Zukunft noch empfangen wirst bis zu jener letzten und größten aller Wohltaten, deine ewige Seligkeit.

8. Für den zweiten Abschnitt deines Lebens alsdann, nachdem du hervorgetreten bist an das Licht dieser Welt, erzählt die Heilige Schrift weiterhin, wie der Engel Raphael mit Tobias aus dem Vaterhause schied, wie er versprach, ihn wohlbehalten zu geleiten und wie er ihm dann auf jener ganzen Reise treuer Begleiter war. Gleicherweise hat Gott dir sofort bei deiner Geburt einen dieser Himmelsbürger zum Begleiter gegeben, damit er als dein besonderer Hüter und Unterweiser deinen Schutz übernehme und im Himmel bei seiner Majestät dir Fürsprecher sei. Denn in diesem Leben sind wir alle wie Kinder und bedürfen eines Vormundes und Erziehers (Gal. 4,12), der uns führe und uns zuweilen bei der Hand fasse und uns stütze, damit unsere Füße nicht etwa an dem Stein einer Sünde straucheln und zuweilen gar in eine Gefahr hineintappen; der uns auf seinen Armen trage, damit wir sicher gehen und der Gefahr erst innewerden, wenn wir sie bereits hinter uns haben.

Zweitens, wie der Engel Raphael den jungen Tobias auf jener Reise führte (Tob. 12,1 ff.), ihm gute Ratschläge und Mahnungen gab, und vor allem, als er die Gattin heimführen wollte, ihn darin unterwies, wie er sich darauf vorbereiten und sich beim Beginn der Ehe verhalten sollte, nicht etwa wie die fleischlich gesinnten Menschen, sondern in heiliger Gottesfurcht und unter vielem Gebet; so auch gibt dein Schutzengel dir immerfort gute Ratschläge und Weisungen und leitet dich recht in allen deinen Handlungen. Darum eifert und spornt er dich zu vielen guten Werken an, die du ohne diese Hilfe nicht zuwege bringen würdest, und bald gibt er dir dazu Freude an dem Beispiele Christi unseres Herrn und seiner Heiligen, bald entflammt er deinen Willen durch Hinweis auf die Güte Gottes und seiner unendlichen Wohltaten, und bald hellt er deinen Verstand auf in der Furcht vor dem künftigen Gericht und den höllischen Strafen.

Drittens fährt die Schrift damit fort, die Wohltaten aufzuzählen, die Tobias in eigener Person wie auch an zeitlichen Gütern durch den Engel Raphael empfing (Tob. 10,10). Und zuerst, als Tobias zum Fluß Tigris gekommen war und ein Bad nehmen wollte, wurde er von einem großen Fisch angefallen, der ihn zu verschlingen suchte, doch der Engel schützte ihn und befreite ihn aus dieser Gefahr und wollte, daß er die Galle dieses Fisches nehme, um seinem blinden Vater vermittels dieser das Augenlicht wiederzugeben. Und mehr noch: der Engel selbst brachte für Tobias die Summe Geldes ein, derenthalben er dorthin geschickt war, und erwirkte ihm auch alle Güter seines Schwiegervaters Raguel als Erbgut. Was aber tun unsere Schutzengel anders, als ständig über uns wachen, um uns in unserer Bedrängnis beizustehen, gerade wie es eine Mutter tut, deren Auge immer auf ihr kleines Söhnchen Obacht hält, damit es nicht etwa falle oder sich irgendwie Schaden antue? Bedenke nur, vor wie vielen Gefahren des Leibes er dich behütet, in die du (wie viele andere) hättest hineinlaufen können: und ferner, wie er sich darum sorgte, dir zeitliche Güter wie Gesundheit, Kraft und andere Mittel zu verschaffen, damit du dein Leben deinem Stande gemäß führen könntest, und zwar so, wie er wußte, daß es deinem Heil am förderlichsten sei.

Viertens, wie auch der Engel Raphael (nach seinen eigenen Worten) dafür Sorge trug, die Gebete und guten Werke des Tobias vor Gott zu bringen (Tob. 12,12), so wirkt auch unser Schutzengel als Fürsprecher vor dem Angesichte Gottes und trägt vor ihn deine Gebete, deine Wünsche und das bißchen, was dir an guten Werken gelingt, und bringt dafür deiner Seele von Gott immer irgendeine Gabe und eine göttliche Gnade zurück. O wer doch schauen könnte, mit welcher Emsigkeit die hei­ligen Engel über unseren Häuptern auf- und niedersteigen gleichwie auf jener Leiter, die der Patriarch Jakob schaute (Gen. 28,12). Sie steigen hinauf, um unsre Bedürftigkeit darzustellen, den himmlischen Vater zu bitten und Erbarmen für uns zu erflehen; dann steigen sie hernieder und bringen uns vom Vater selbst heilige Eingebungen, gute Gedanken und andere göttliche Hilfe wieder und zuweilen auch wohl eine väterliche Zurechtweisung, um uns aufzuwecken und uns zur Einkehr zu bringen, damit wir nicht zugleich mit dieser Welt verdammt werden (1 Kor. 11,32).

Fünftens, wie der Engel Raphael den Tobias darüber belehrte, auf welche Weise er den Dämon forttreiben sollte, damit er nicht Gewalt über ihn gewänne, jenen Dämon, gegen den schon der Engel selbst zur Verteidigung des Jünglings kämpfte (Tob. 8,3), ebenso steht auch unser Schutzengel auf der Wacht, wie ein treuer Befehlshaber, dem eine Festung zur Verteidigung anvertraut wurde, damit der Feind nicht durch Gewalt oder durch List über uns den Sieg gewinne. So sind diese heiligen Engel die getreuen Wächter, die nach den Worten des Herrn auf die Mauern Jerusalems hinbeordert sind, um in den Nachtwachen seine Herde zu hüten, damit nicht etwa der höllische Wolf, unser Feind, nach Löwenart unsere Seele raube (Is. 62,6). Von unseren Schutzengeln gelten auch die Worte der Apokalypse: „Esto vigilans et confirma“ (Offb. 3,2), „sei wachsam und mache stark“; denn es steht der Schutzengel gegen den Dämon für uns auf der Wacht, stellt sich seinem Ansturm entgegen, wehrt seinen Schlägen und schwächt deren Kraft, auf daß er nicht so große Gewalt über uns habe. Andererseits macht er uns stark und hält bald die Gelegenheiten der Sünde von uns fern oder zieht uns von vielen Lastern und Sünden zurück, in die wir ohne seine Hilfe leicht hineingeraten wären, bald weist er uns an, wie wir uns in den Versuchungen helfen sollen, bald stärkt er uns und macht uns Mut, wenn wir von der Versuchung geplagt und gequält werden, und schließlich erwirkt er uns vom Herrn Mehrung der Kraft und Gnade, um widerstehen und den Sieg davontragen zu können.

Sechstens, wie der Engel Raphael den Dämon faßte, ihn fesselte und in eine Wüste ihn verbannte, damit er Tobias nicht töte, wie er es mit den anderen Gatten seines Weibes getan, so auch steht uns unser guter Engel vor allem in unsrer Todesstunde bei, um uns in dieser Stunde mehr als je zu schützen, und uns aus den Nachstellungen und Bedrohungen des Dämons zu befreien, der dann mehr als zu andrer Zeit umhergeht, suchend, wen er verschlinge. Dabei bewahrt uns der Engel besonders vor jenen Sünden, denen wir in jenem Augenblicke am meisten ausgesetzt sind, wie dem Unglauben und der Verzweiflung (1 Petr. 5, 8, 9), auf daß wir befreit von dem Elend dieser Welt in das himmlische Vaterland eingehen können. Wenn dann unsere Seele aus dem Leibe geschieden ist, dann gibt der Engel ihr das Geleite, tröstet und ermutigt sie, vertrauensvoll vor den Richterstuhl zu treten, indem er sie an die kostbarsten Verdienste Jesu Christi mahnt, auf die wir in jener Stunde des Gerichtes vertrauen müssen. Und wenn sie dann durch göttlichen Richterspruch dazu bestimmt ist, sich von den Überbleibseln der Strafe im Fegfeuer zu reinigen, dann sucht er sie dort häufig auf, tröstet sie durch die Mitteilung von den Fürbitten, die hier auf Erden für sie dargebracht werden und durch die Zusicherung ihrer kommenden Erlösung.

9. Was nun deinen dritten und letzten Lebensabschnitt angeht, so betrachte, was der Engel Raphael zum Schlusse tat, als er dem jungen Tobias eine Frau vermittelte, ihm sämtliche Güter seines Schwiegervaters verschaffte und ihn dann mit vielen reichen Geschenken beladen wieder in das Vaterhaus zurückführte (Tob 6 und 10), wo er mit umso größerer Freude aufgenommen wurde, je größer die Trauer über sein Ausbleiben und die Angst, ihn verloren zu haben, gewesen war. Nun betrachte in gleicher Weise das Amt deines getreuen Hüters. Wenn deine Seele von jeder Makel gereinigt am Ziele ihrer langen gefahrvollen Pilgerfahrt angelangt ist, und dein guter Engel als himmlischer Brautwerber den glücklichen Bund geschlossen hat, nicht zwar zwischen dir und der Tochter Raguels, sondern zwischen deiner mit vielen Geschenken und göttlichen Gnaden ausge­schmückten Seele und ihrem himmlischen Bräutigam, dann wird er sie freudvoll in den Himmel, jenes erhabene Jerusalem, das unsere Mutter ist, führen (Gal. 4,26) und in großem Freudenfest aller Engel und Heiligen des Paradieses, von denen sie schon so lange vorher erwartet worden, wird er sie vor das Angesicht ihres himmlischen Vaters führen, damit sie aus seinen göttlichen Händen die Krone der Glorie und jener Glückseligkeit empfange, die ihr „ab aeterno“ (von Ewigkeit her) bereitet war und um derentwillen wir Elenden alle noch seufzen und stöhnen in diesem Tale der Tränen (Röm. 8,22). O tausendmal glückliche Seele, die ihrem Schöpfer getreu und den guten Ratschlägen ihres Schutzengels gehorsam gewesen und ihre Lebensjahre in Ehren verbracht hat und von diesem Engel in jenes glückselige Vaterland, in jene geheimnisvollen Wohnungen der Gerechten eingeführt wird (Offb. 21,9). Dort wird die wahre Hochzeit des Lammes mit seiner geliebten Braut gefeiert werden, dort wird die Fülle der Freude, vollkommener Friede und Ruhe ohne Ende sein. Du aber, meine Seele, was hast du in deinem ganzen Leben anderes getan, als deinen Schöpfer zu beleidigen und deinen guten Schutzengel zu betrüben, sprich, worin kann er Trost finden, wenn er dich vor deinen Vater hinführen wird? Und mit welcher Stirn wirst du je vor ihm erscheinen können? O mein Gott, so muß ich also verzweifeln? So noch nicht; da ich aber weiß, daß eure Erbarmungen ohne Zahl sind und daß ihr wie der gute Vater im Evangelium den zur Buße heimgekehrten Sohn mit solcher Liebe aufgenommen habt (Lk. 15,11-32), so vertraue ich, daß ihr mich nicht von euch weiset, wenn ich in Schmerz und Reue zu euch, meinem Vater, zurückkehre, sondern als barmherziger Vater mich aufnehmen werdet, wenn auch nicht als gehorsamen, so doch als reuigen Sohn. Was aber können wir dem Herrn vergelten für so große und so viele Wohltaten, die wir von seiner Majestät empfangen haben? (Ps. 115,12) Denn, was wir jenen seligen Geistern verdanken, durch deren Vermittlung wir es erhalten haben, das alles verdanken wir ja dem Schöpfer, der seinen Engeln befahl, daß sie uns auf allen unseren Wegen behüten sollten (Ps. 90,11), gleichwohl aber haben wir auch gegen unseren Schutzengel selbst eine gar große Dankesschuld. Darum denke ein wenig, welche Gegenleistung du deinem getreuen Hüter geben könntest und was deine Pflicht ihm gegenüber erheischt.

Und zwar zuerst schuldest du deinem Engel für seinen Beistand Ehrfurcht, Ergebenheit und Hochachtung und darum mußt du dich hüten, vor seinen Augen etwas zu tun, was du in Gegenwart eines dir Vorgesetzten nicht tun würdest. Darum wehe dir, wenn dieser heilige Engel durch deine Unterlassungen und Sünden erzürnt dich seiner Gegenwart und der Heimsuchung eines Engels für unwürdig halten würde. Darüber hinaus aber sind der Tugenden viele, die das Wohlgefallen der heiligen Engel erregen, die sie gerne in unseren Seelen sehen würden und die wir mit fleißigem Bemühen erringen sollen. Und das sind Mäßigung, Keuschheit, freiwillige Armut und viele Seufzer unter frommen Tränen und heißen Gebeten. Über allem aber sind Eintracht, Friede und brüderliche Liebe die Tugenden, welche die Engel des Friedens am meisten bei uns suchen.

O meine Seele, o schönstes Ebenbild des Schöpfers, wenn du um deine Würde wüßtest, wie sehr du von Gott geliebt und geschätzt wirst und wie sehr die Engel dich achten, du würdest dich gewiß nicht so leicht mit Schmutz und Häßlichkeit der Sünde besudeln und entehren, um nicht den zu beleidigen, der dich so sehr ehrte, und um deinem getreuesten Hüter nicht diesen Verdruß zu bereiten (Mt. 18,10). Wenn nun um der Bekehrung eines Sünders willen bei allen Engeln im Himmel eine solche Freude sein wird, so kannst du dir die Trauer und das Leid vorstellen, die dein guter Engel empfinden wird, wenn du durch eine Sünde bei Gott in Ungnade fällst. Und hätte er Blut, es zu vergießen, und ein Leben, das er hingeben könnte, o wie gerne würde er es in der Nachfolge seines Herrn für dein Heil dahingeben! Sorge darum und schmücke dich baldigst mit jenen Tugenden, die den Engeln Freude und deinem Schöpfer Ehre machen, damit du aus diesen Samen kostbarer Ver­dienste den Tugenden der Engel gleiche süßeste Frucht ernten kannst, ähnlich dem Lohne eben dieser Engel.

Colloquium (Zwiesprache)

Bitte Gott unsern Herrn, der in so wunderbarer Ordnung die Ämter und Dienste seiner Engel zum Heil der Menschen verteilte, er möge gnädigst auch dir gewähren, daß von all den seligen Geistern, die im Himmel seiner Göttlichen Majestät immer dienend zur Seite stehen, dein Leben ständig behütet und gegen deine grausamen Feinde verteidigt werde. Und wie er jenen so reiche Gnadenfülle gewährte, so wolle er durch ihre Gebete auch dir die Gnade verleihen, ihrer Demut, Liebe und Reinheit nachzufolgen, damit, wenn du hienieden auf Erden schon das Leben eines Engels führst, du auch dort droben würdig befunden werdest, den Engeln gleich gestellt zu werden und mit ihnen gemeinsam dich ihres ersehnten und beseligenden Schauens zu erfreuen.

Anwendungen

I. Es sagt der Herr (Mt. 18, 3), daß wir nicht in den Himmel eingehen werden, wenn wir nicht werden wie die Kinder; denn, wie er selbst an andrer Stelle sagte (Mt. 19, 14), gehört ihnen das Reich der Himmel.

Wenn wir also gerettet werden wollen, müssen wir jene Eigenschaften erwerben, die den Kindern eigen sind, und in unsrer Lebensführung so sein, wie jene in ihren Jahren sind. Die Kinder sind einfältig, ohne Bosheit und ohne Tücke, an Leib und Seele sind sie rein und gegen Ehre und Unehre gleichgültig, sie fügen den andern kein Unrecht zu und rächen sich nicht für das, was ihnen getan wird: Sie streiten nicht mit andern, sondern geben allen nach, endlich sind sie schüchtern und ihren Oberen gerne untertan. Das sind christliche Tugenden, die Christus selbst übte und in denen er uns zur Nachfolge mahnt, wenn er sagte (Mt. 11, 29): „Lernet von mir, denn ich bin sanftmütig und demütig von Herzen“; in diesen beiden Tugenden sind alle oben genannten Eigenschaften enthalten.

II. Auch sagt der Herr (Mt. 18, 4): Wer sich selbst demütig macht wie ein Kind, der wird der Größere sein im Reich der Himmel. O wie wahr sagt der Apostel, daß das Sinnen des Fleisches demjenigen Gottes feindlich und entgegen ist! Denn in der Welt werden diejenigen für die Größten gehalten, die am peinlichsten ihre genaue Rang- und Ehrenstellung zu wahren wissen: diesen aber schenkt Gott in gar keiner Weise Beachtung. Im Gegenteil sind in den Augen Gottes diejenigen die wahrhaft Großen, die mehr danach trachten, sich zu erniedrigen und sich den anderen unterzuordnen und sie werden im Himmel auch größer sein als die anderen, nach dem Ausspruch des Weisen (Eccli. 3, 20): „So groß du auch bist, demütige dich in allem, und du wirst vor Gott Gnade finden.“

III. Um so viel kleiner der Mensch sich als die anderen macht, um so viel größer wird er sein: denn je demütiger einer ist, um so viel ähnlicher und näher ist er Christo, der über allen ist. Wenn dem nun so ist, dann sollten die Christen und die geistlichen Personen nicht um den Vortritt und den ersten Platz streiten, sondern vielmehr um den letzten: denn wer den ersten Platz auf Erden haben will, der wird im Himmel beschämt werden. Seien wir also nicht darum besorgt, mehr scheinen zu wollen als die anderen, sondern uns niedriger zu machen als alle: Denn nicht derjenige ist gerechter oder besser, der mehr geehrt ist, sondern umgekehrt: Je gerechter einer ist, um so größer und ehrenwerter ist er.

IV. Wenn wir den heiligen Schutzengeln so große Ehrfurcht schulden, daß wir aus Achtung gegen sie nach der Weisung des Herrn (Mt. 18,10) uns hüten müssen, einen andern Menschen zu mißachten, so gering oder niedrig er auch sein mag, und wenn so auch der Apostel die Frauen mahnte (1 Kor. 11,10), in den Kirchen das Haupt bedeckt zu halten, damit sie nicht durch Mangel an Sittsamkeit und durch Eitelkeit die für das Heil der Menschen sehr besorgten Engel beleidigen; um wieviel mehr müssen wir uns hüten, unseren Nächsten eine Beleidigung oder eine noch schwerere Kränkung anzutun! Denn wenn wir sie kränken, kränken wir ihre Engel, die als Freunde und vertraute Hausgenossen Gottes Sühne von uns fordern und sie ohne Zweifel auch nehmen werden.

V. Wie die Engel mit so viel Mühe und Sorge den Schutz der Menschen übernehmen und dennoch niemals ablassen, mit ihrem geistigen Auge das Antlitz des himmlischen Vaters betrachtend zu schauen und nie von der göttlichen Liebe sich trennen, da ja ihre sorgende Mühe um uns dieser Liebe selbst untergeordnet und um ihretwillen von ihnen übernommen worden ist, so auch sollen die geistlichen Personen, die Sorge und Arbeit in äußeren Dingen haben, sie so anzufassen trachten, daß diese den inneren Angelegenheiten nicht im Wege stehen, sondern vielmehr ihrem geistigen Fortschritt und der Hingabe an den Dienst Gottes helfen. Dieses wird dann sein, wenn sie nach dem Beispiel der Engel dafür sorgen, daß ihre äußeren Handlungen aus den inneren Leben und Wirksamkeit gewinnen und von diesen geordnet und geregelt werden, daß sie also nicht etwa zu anderen Zwecken, sondern allein nur um der Liebe Gottes willen übernommen werden.

VI. Die, welche Sorge tragen, Seelen den Weg der Buße zu führen, müssen achten, von diesem Werk niemals abzulassen, weil sie daraus Verdruß haben, noch auch, weil sie an dem guten Gelingen bei denen zweifeln, denen sie geistlichen Beistand leihen. So belehren uns die Schutzengel durch ihr Beispiel, da sie niemals Sorge und Schutz für einen Sünder aufgeben, auch wenn sie durch deren Sünden großen Verdruß erleiden und von Gott Offenbarung und Gewißheit erhalten würden, daß die, für die ihre Sorge geht, nicht zur Umkehr gelangen werden. Niemals lassen sie ab, sie zur Buße anzutreiben, solange sie noch in diesem Leben weilen und die Möglichkeit haben, zur Buße und zu Gott zurückkehren zu können.

VII. In einem Briefe rät der heidnische Philosoph Seneca einem seiner Freunde, um selbst immer über seinen eigenen Handlungen und Worten zu stehen, müsse er sich vorstellen, daß Cato als strenger Richter immer bei ihm sei. Nach dieser Lehre sollten wir Christen mit noch viel größerem Rechte uns richten, und uns bei allen unseren Handlungen vorstellen, daß wir immer die Schutzengel als unsere gestrengen Richter zur Seite haben, damit diese Vorstellung uns helfe, uns in der Gewalt zu haben und auf alles zu achten, was wir tun und reden. Denn wenn wir anders handeln, ist zu befürchten, daß die, die jetzt unsere Fürsprecher bei Gott sind, alsdann am Tage des Gerichtes unsere Ankläger sein werden.

(Aus: Briefe und Schriften des hl. Aloysius von Gonzaga, Verlag Josef Kösel & Friedrich Pustet, München 1928)