Alte Bücher neu gelesen - Maria, Mutter des Glaubens

Die derzeitigen Ereignisse auf der Welt lassen einen Katholiken unwillkürlich an die Geheime Offenbarung des hl. Apostels Johannes denken. Ja, wir leben in einer apokalyptischen Zeit, d.h. einer außerordentlichen Notzeit, einer Zeit großer, ja größter Bedrängnis. Unsere hl. Mutter Kirche ist zutiefst gedemütigt durch den großen Abfall zunächst der Hirten, sodann auch der Herde. Schon der hl. Papst Pius X. klagte vor inzwischen über hundert Jahren: „Freilich, wir sind in unselige Zeiten hineingeraten. Mit Recht können wir uns mit den Worten des Propheten beklagen: Es gibt keine Wahrheit, kein Erbarmen, kein Wissen um Gott mehr auf Erden. Verwünschung, Mord, Diebstahl und Ehebruch überschwemmen alles.“

Bei diesen Worten fragt man sich, welche Klage würde der Heilige heute erheben, wo die himmelschreienden Sünden ein Ausmaß angenommen haben, das man sich damals noch gar nicht vorstellen konnte? Die allermeisten Menschen wenden sich von ihrem göttlichen Erlöser Jesus Christus ab, wie es der hl. Paulus vorausgesagt hat: „Denn es wird eine Zeit kommen, da man die gesunde Lehre nicht ertragen wird und sich nach den eigenen Begierden eine Menge von Lehrern sucht, um des Ohrenkitzels willen; der Wahrheit verschließt man das Ohr und ergötzt sich an Fabeln.“ (2 Tim. 4, 3 – 4)

Auf diese verstockten Menschen paßt das Wort des Herrn: „Du aber hast nicht gewollt.“ Der barmherzige Gott kann ihnen Gnade um Gnade anbieten — sie lachen darüber. ER kann mit väterlichem Ernst ihnen ins Gewissen reden — sie wenden sich ab. Und selbst wenn alle vier apokalyptischen Reiter gegen sie anstürmen — sie bekehren sich dennoch nicht. Und wenn die Posaunen des Gerichtes laut erschallen, sie dringen nicht bis an ihr Herz. Nein, die Schalen des göttlichen Zornes und alle Plagen des Himmels bringen sie nicht mehr zur Sinnesänderung, im Gegenteil: „diese Plage war überaus schwer, und die Menschen zerbissen sich vor Schmerz ihre Zunge, aber sie hörten nicht auf, Gott zu lästern“ (vgl. Geh. Off. 16,11 u. a.).

Gibt es aber gar keinen Ausweg aus dieser übergroßen apokalyptischen Not? Der hl. Papst Pius X. gibt auf unsere Frage die Antwort, wenn er fortfährt: „Und dennoch! In dieser Sintflut von Übeln steht die mildeste Jungfrau vor unseren Augen als der Regenbogen, gleichsam als die Schiedsrichterin, um Frieden zu schließen zwischen Gott und den Menschen. Meinen Bogen setze ich in die Wolken, und er wird das Zeichen des Bundes sein zwischen mir und der Erde. Der Sturmwind mag wüten, und der Himmel in schwere Nacht sich hüllen. Niemand soll in seinem Herzen unsicher sein. Durch den Anblick Marias wird Gott versöhnt und er wird schonen.“

Der Heilige richtet in dieser Sintflut von Übeln unseren Blick auf Maria, die als Schiedsrichterin an unsere Seite tritt, um erneut Frieden zu schließen zwischen Gott und den Menschen.

Dabei heißt es in dem Rundschreiben des Papstes weiter erklärend: „Ein großes Zeichen erschien am Himmel: Ein Weib, umkleidet mit der Sonne, der Mond unter ihren Füßen und auf dem Haupte eine Krone von zwölf Sternen. Jeder aber weiß, daß jenes Weib Maria bezeichnet, die unser Haupt unversehrt geboren hat.“

Dieses apokalyptische Bild gilt es also zu betrachten und recht zu verstehen, will man inmitten der Prüfungen Gott die Treue halten: „Johannes sah also die heiligste Mutter Gottes, die doch die ewige Seligkeit genießt, dennoch an einer gewissen geheimnisvollen Geburt leiden. An welcher Geburt aber? Offensichtlich an unserer, die wir bis jetzt in der Verbannung festgehalten sind und noch zur vollkommenen Liebe und ewigen Seligkeit geboren werden müssen. Das Leid der Gebärenden aber zeigt den Eifer und die Liebe an, mit der die Jungfrau auf dem himmlischen Throne wacht und in unablässigem Gebete ringt, daß die Zahl der Auserwählten voll werde.“

Ist das nicht eine ergreifend tiefe Erklärung der apokalyptischen Frau, die an unserer Geburt leidet? Aus diesem Leiden kann man den Eifer herauslesen, mit der die Jungfrau auf dem himmlischen Thron wacht und in unablässigem Gebet ringt, daß die Zahl der Auserwählten voll werde.

Was für ein Trost für uns inmitten der täglichen Prüfungen zu wissen, daß unsere himmlische Mutter jederzeit so viel Glaubensmut und Gnadenkraft vermittelt, daß wir bis zum Ende ausharren und ans herrliche Ziel gelangen können: „In der Tat, wenn wir auf Maria vertrauen, wie es (ihrer Stellung im Heilsplane) entspricht, zumal jetzt, da wir ihre unbefleckte Empfängnis mit glühenderem Eifer feiern: jetzt werden wir es auch inne werden, daß sie die ganz mächtige Jungfrau ist, die den Kopf der Schlange mit ihrem jungfräulichen Fuße zertreten hat. … Die Jungfrau wird niemals aufhören, uns beizustehen, selbst in den schlimmsten Lagen. Unaufhörlich wird sie den Kampf verfolgen, den sie schon von ihrer Empfängnis angekämpft hat, sodaß man täglich wiederum sagen kann: Heute ist von ihr der Kopf der alten Schlange zertreten worden.“

Josef Weiger hat ein Buch geschrieben mit dem Titel: Maria, Die Mutter des Glaubens. Je mehr unser hl. Glaube angefeindet wird, desto inniger müssen wir die Mutter des Glaubens darum bitten, uns im Glauben zu bewahren. Diese Zeit ist eine Zeit für Bekenner! Papst Pius XI. sprach das kühne Wort: „Man muß stolz sein, heute leben zu dürfen!“ Dabei fügte er freilich auch die ernste Mahnung bei: „Niemand hat das Recht, in einer solchen Zeit mittelmäßig zu sein!“ Nur die edlen, opferbereiten und leidensmutigen Menschen mit betenden Händen und liebenden Herzen können den Zorn Gottes auffangen und umwenden in Gnade und Erbarmen. Dazu sollen uns die folgenden Gedanken von Josef Weiger über Maria ermutigen.

(Texte aus: Weiger, Josef: Maria, die Mutter des Glaubens. Paul Pattloch Verlag Aschaffenburg 1948)

Mittäterin am Erlösungswerk

Für unsere liebe Frau wird seit einiger Zeit mit wachsender Vorliebe der Ehrentitel „Conredemptrix“ gebraucht: „Miterlöserin“. Wir geben dem Ehrentitel schon fast die Auslegung, wenn wir Maria als „Mittäterin am Erlösungswerk“ bezeichnen. Was will der Ehrenname sagen?

Was will der Ehrenname nicht sagen? Er will nicht sagen, daß unser Heil auf Maria ruhe; daß die Mutter Jesu die Quelle unserer Heiligkeit sei; daß sie ihre persönliche Heiligkeit aus sich selbst habe; daß sie ein von der Gnade ihres göttlichen Sohnes unabhängiges, übernatürliches Dasein besitze. Der Ehrenname will nicht sagen, daß Maria der Erlösung nicht bedürftig gewesen sei. Befragen wir die Heilige Schrift. Im Brief an Timotheus steht zu lesen: „Einer ist Gott; Einer der Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Christus Jesus, der sich hingegeben hat zum Lösegeld für alle: was zur rechten Zeit bezeugt wird.“ Hier steht es also ganz deutlich: Unser Erlöser ist Christus; unser Mittler ist Christus; er hat uns erlöst durch seinen Tod; und in ihm sind alle erlöst worden; alle, ohne Ausnahme; also auch Jesu heilige Mutter. Gott der Erlöser, weil er der eingeborene Sohn des ewigen Vaters ist; Mittler ist Jesus, weil er eine menschliche Natur angenommen hat; nur als Mensch konnte er das Opfer für unsere Sünden werden in Tod und Untergang; nur als Mensch konnte er den Beweis des Sieges über den Tod antreten in der glorreichen Auferstehung; nur als Mensch sichtbares Haupt einer menschlichen Gemeinschaft werden und diese Gemeinschaft vor Gott menschlich vertreten. So ist Christus Jesus als wahrer Gott und Mensch nur Einer und hat niemanden neben sich, der ihn an Vollkommenheit des Seins und Daseins, an Rang und Würde, an Heiligkeit und Gerechtigkeit überträfe oder ihm gleichkäme. Er, der Mensch Christus Jesus, das Wort, das im Anfang war, ist die Sehnsucht der Schöpfung von Anbeginn; Er ist der Erstgeborene aus den Toten; Er die wesenhafte Heiligkeit; Er der Spender der Vollkommenheit; Er der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater als durch ihn. Was nach ihm am Firmament aufleuchtet, wie die Sterne am Himmel, das wird seine Schönheit und Vollkommenheit von Christus haben, aus der gnadenhaften Einung mit ihm. Da wird kein Heiligenleben mehr sein, in das nicht sein Name eingeschrieben ist; da wird sich keine Seele finden, die nicht freudig bekennen wird, daß sie rein aus der Gnade Christi gelebt und in seiner Gnade sich vollendet hat – auch die heilige Mutter des Herrn wird diesen Glauben verkünden und sich dieses Glaubens rühmen.

Wir sehen, wie der Ehrenname Mariens „Miterlöserin“ nicht zu verstehen ist. Welchen greifbaren Inhalt sollen wir ihm dann geben? Den Inhalt können wir offensichtlich nur aus dem Marienleben erheben; aus dem Wenigen, was die Schrift vom Innenleben Mariens enthüllt. Wenn Maria Mittäterin im Erlösungswerk ist, kann sie es nur durch ihren Glauben sein. Der Glaube Mariens muß also etwas Besonderes sein und in ihrer Glaubenshaltung muß etwas liegen, was schlechthin für jeden vorbildlich ist, der sich künftig Christus und durch Christus dem Vater nahen will. Was ist nun dieses Besondere? Was unterscheidet den Glauben Mariens vom Glauben der Heiligen vor und nach ihr? Was gibt ihrem Glauben seine über den augenblicklichen Vollzug hinausgreifende Bedeutung? Hören wir zunächst den Evangelisten Lukas, das Evangelium der Menschwerdung: „In jener Zeit ward der Engel Gabriel von Gott gesandt in eine Stadt in Galiläa mit Namen Nazareth zu einer Jungfrau, die einem Manne mit Namen Josef verlobt war, aus dem Hause Davids, und die Jungfrau hieß Maria. Und der Engel kehrte bei ihr ein und sprach: „Sei gegrüßt, du Gnadenvolle, der Herr sei mit dir.“ Sie aber geriet in Verwirrung über dem Worte und sann nach, was dieser Gruß bedeute. Und der Engel sprach zu ihr: „Fürchte dich nicht, Maria, denn du hast Gnade gefunden bei Gott. Und sieh, du wirst empfangen in deinem Schoße und einen Sohn gebären und wirst ihm den Namen Jesus geben. Er wird groß sein und der Sohn des Allerhöchsten heißen und Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben und er wird als König herrschen über das Haus Jakob in Ewigkeit, und seines Königreiches wird kein Ende sein.“ Maria aber sagte zu dem Engel: „Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne?“ Und der Engel antwortete und sprach zu ihr: „Der Heilige Geist wird über dich kommen und die Kraft des Allerhöchsten wird dich überschatten; darum wird auch, was da geboren wird, heilig genannt werden, Sohn Gottes. Und sieh, Elisabeth, deine Verwandte, hat gleichfalls einen Sohn empfangen in ihrem Alter und geht jetzt im sechsten Monate, sie, die man unfruchtbar hieß; denn bei Gott ist kein Ding unmöglich.“ Maria aber sprach: „Siehe,- ich bin des Herrn Magd; mir gehe es nach deinem Wort.“ Und der Engel schied von ihr.“

Wir wollen das Evangelium jetzt nicht zergliedern; wir fragen: Wie hat die Erscheinung und ihr Inhalt als Ganzes auf Maria gewirkt? Wie hat ihr Inneres darauf geantwortet? Ist die Seele der Jungfrau ohne Zögern auf die Botschaft eingegangen? Der Wortlaut des Evangeliums spricht eine klare Sprache. Maria hat gezögert; das Ungewöhnliche des Begebnisses konnte ihre Selbstbestimmung, ihre Selbstverfügung nicht aufheben. Sie hat den Glauben ihres jungfräulichen Herzens nicht leichthin wegverschenkt; hat Botschaft und Boten geprüft, ob sie aus Gott seien. Und keinen geringeren Maßstab für echt und unecht, für göttliche Botschaft oder ihr Trugbild hat sie angelegt, als die Lauterkeit des eigenen Wesens. So wird der Glaubensvollzug dieser Stunde vom Innersten her frei. Ohne diese Freiheit vom Innersten her hätte Maria nicht hinnehmen können noch dürfen, was vom Himmel her an sie kam. Und was kam an sie? Gott will, daß sie an die Menschwerdung des Ewigen Wortes glaube; daß sie sich mit ihrer Person und Ehre für den Ratschluß Gottes einsetze; daß sie sich mit einemmal in die wahre Mitte der Heilsgeschichte versetzt glaube. Gott bindet also seinen Willen an den Willen eines seiner Geschöpfe; des erlesensten freilich und des begnadetsten, immerhin: Es soll der Wille eines Menschen den Heilsratschluß Gottes mitentscheiden helfen; Gott macht das Heil der Welt abhängig von der freien Zusage oder Absage eines menschlichen Herzens. Und wieder müssen wir uns klar machen, Maria ist nicht irgend eine Beliebige ihres Geschlechtes. Maria ist die von Ewigkeit Erwählte und Vorherbestimmte. Maria ist einmal; von ihrem Ja und Nein hängt das Heil der Welt mit ab; so hat es Gott gewollt. Der allmächtige und allweise Gott hätte auch eine Zweite ihres Ranges erschaffen können. Allein wichtiger und dringlicher bleibt die Frage, was Gottes würdig ist. Und es wäre Gottes nicht würdig, von Ewigkeit her einen Menschen zur höchsten Würde im Reiche Gottes zu erheben, um dann, wenn sich die Erwählte seinen Gnadenerweisen entzieht, sich in einer alles entscheidenden Stunde ihrem Herrn und Gott versagt, einfach eine andere zu berufen. Es war aber die Stunde der Botschaft der Augenblick, um dessentwillen Maria alle Gnaden vorher und nachher empfangen hat. Dürfen wir dem heiligen Gott zumuten, daß er von neuem alle göttliche Vorherliebe und Vorhersorge an eine Zweiterwählte verschwendet hätte, als ob soviel nicht zu bedeuten habe, daß im Reiche Gottes mit höchsten Gnadenerweisen ausgewirtschaftet wird? Das setzt voraus, daß ungewöhnliche Gnaden jederzeit sicher und fraglos zu erhalten sind, während doch nach allgemeiner geistlicher Erfahrung und nach einem ernsten Worte der Schrift Hebr. 6, 4 große, außergewöhnliche Gnaden einmal verscherzt, so leicht nicht wiederkehren. Und mit der Berufung zur göttlichen Mutterschaft sollte es sich anders verhalten? In der Größe dieser Gnade lag es begründet, daß sie nur einmal angeboten werden konnte; und mit der Größe dieser Gnade verschmolz auch der Glaube Mariens zu einem heilsgeschichtlichen Vorgang von einmaliger Bedeutung. Vom Ja oder Nein der Jungfrau hat die göttliche Weisheit unsere Erlösung mit abhängig gemacht. Der Erlöser wollte sich dem Menschen nicht aufzwingen, sich nicht ihm gegenüber mit den Rechten und Möglichkeiten seiner Allmacht durchsetzen. Das Heil der Welt sollte im Glauben und durch den Glauben eines jungfräulichen Herzens Wirklichkeit werden; Mittäterin am Erlösungswerk sollte Maria sein. Das ist der Sinn des Ehrentitels: „Conredemptrix“, Miterlöserin. Ohne den Glauben der Jungfrau nicht die Erlösung durch Christus. Durch ihren Glauben hat Maria dem Wort Gottes eine menschliche Heimat gegeben. Die Menschwerdung des Herrn und der Glaube der Jungfrau bilden ein unteilbares Ganze.

Wie unterscheidet sich also der Glaube Mariens vom Glauben der anderen Heiligen? Der Glaube Mariens war notwendig zum Vollzug des allgemeinen Heiles in Christus; das dürfen wir sonst vom Glauben keines einzigen Menschen mehr behaupten. Der Glaube der übrigen Menschen ist notwendig zum Vollzug des persönlichen Heiles; dagegen setzt er den Glauben der Jungfrau und das Werk des Sohnes als vollzogen voraus; er ist ohne den Glauben Mariens und den Tod und die Verherrlichung Christi gar nicht möglich; er lebt sich auf einer ganz anderen Ebene dar, als der Glaube der Jungfrau. Darum kann auch der Unglaube eines Menschen das allgemeine Heil der Welt, die Erlösung durch Christus, nicht mehr in Frage stellen. Der Unglaube eines Menschen schadet zuerst ihm selbst; er schlägt auch dem Leib Christi, der Kirche, seine tiefen Wunden; aber an die erlösende Tat Christi in Tod und Auferstehung reicht er nicht heran. Umgekehrt baut der Glaube der Heiligen den Leib Christi in der Welt, die Kirche, mit auf; ersteigert durch seine Empfänglichkeit für die Gnade die geschichtliche Fruchtbarkeit des Werkes Christi; allein die Bedeutung dieses Werkes kann er nicht erhöhen; seine Notwendigkeit nicht ersetzen; und in eine andere Glaubenshaltung treten zu dem Gott, der den Erlöser gesandt hat, als Maria, kann er auch nicht. Der Glaube an die Mittäterschaft der Mutter Jesu am Erlösungswerk schließt den Glauben an die unersetzbare Vorbildlichkeit der Glaubenshaltung Mariens in sich. So unzählbar und unüberschaubar auch sein mögen die Wege, auf denen Menschen zu Christus stoßen; so mannigfaltig auch die Tat der Glaubenszustimmung in jedem einzelnen Fall gebaut sein mag, das Wesentliche dieser Tat finden wir zu beispielloser, einmaliger Bedeutung erhoben in der Glaubenszustimmung der Jungfrau.

Der Glaube Mariens steht am Anfang unseres Heiles. Nur weil sie glaubend den unergründlichen Ratschluß Gottes angenommen und bejaht hat, konnte das göttliche Wort, der ewige Sohn des Vaters, aus Maria Fleisch werden. Glaubend umfaßt sie das vom Engel verkündete Geheimnis und stellt sich Gott rückhaltlos als Magd des Herrn zur Verfügung. Dadurch nimmt sie in einzigartiger Weise Teil am Erlöserwerk Jesu Christi, was sich in ihrer fürbittenden Macht erweist.

Auf dem Wege zur allgemeinen Fürbittschaft

In Kana sehen wir Maria zum erstenmal für ihre Mitmenschen Fürbitte einlegen. Schwesterlich gesellt sie sich zu dem Brautpaar und den Gästen und nimmt sich der Sorgen der Hausfrau an. Ihr wachsames Auge entdeckt auch zuerst, daß der Wein ausgeht. Unauffällig wendet sich die Mutter an den Sohn. Nur zwischen Sohn und Mutter wandern die Worte hin und her. Der Sohn wundert sich über die Frage der Mutter. Das ist der Sinn der oft gedeuteten Worte: „Was [ist] dir und mir? Meine Stunde ist noch nicht gekommen.“ Die Worte finden sich auch anderswo im Sprachgebrauch der Bibel und können auf ihren ursprünglichen Sinn nachgeprüft werden. Von einer Verleugnung der Zusammengehörigkeit von Mutter und Sohn kann gar keine Rede sein. Wie könnte der Sohn die Mutter verleugnen in einem Augenblick, da sie zum erstenmal den Fuß auf einen Weg setzt, der sie an das Ziel ihrer weltzeitlichen Sendung führen soll, die große Fürbitterin aller bei ihrem göttlichen Sohne zu sein?

Maria wendet sich also an ihren Sohn. Sie sucht keinen anderen Weg der Hilfe. Menschlich gesehen hätte es natürlich einen solchen Weg gegeben, so gut als bei der Brotvermehrung, wo wir die Apostel sagen hören: „Schicke die Leute in die umliegenden Dörfer!“ Allein hier spricht die Mutter des Glaubens. Und wie demütig bringt sie ihr Anliegen vor; wie zurückhaltend! Aus ihrem Wort spricht eine unendliche Ehrfurcht vor der Person ihres göttlichen Sohnes. Maria bittet Jesus und bittet ihn doch nicht geradezu und ohne Umschweife. Sie deutet nur hin auf die Verlegenheit der Brautleute; spricht nur ehrerbietig aus, was auch dem Herrn nicht entgehen konnte.

Die Frage der Mutter wirft ein Licht auf das Verhältnis von Mutter und Sohn in der Stille von Nazareth. Diese Mutter denkt groß von ihrem Sohne. Sie hat also Beweise seiner Größe und Herzensgüte neben den übernatürlichen Erfahrungen, die sie, die Mutter, als ihr großes Geheimnis in treuem Herzen verwahrt. Nun glauben wir aber nicht, daß Jesus vor den Augen seiner heiligen Mutter oder des heiligen Josef Wunder getan hat. Maria und Josef hatten Größeres erlebt; sie bedurften der bestätigenden Zeichen nicht. Nach allem, was uns das Evangelium von den heiligen Absichten Jesu wissen läßt, dürfen wir nicht annehmen, daß Jesus in der Zeit seines verborgenen Lebens Wunder gewirkt habe. Maria beschwört mit ihrer Bitte nicht den Wundertäter. Ihr Wort ist ein Wort grenzenlosen Vertrauens ohne alle Nebenabsichten. Maria spricht, wie nur die Liebe spricht, die glaubt, ohne viel zu bedenken; wie nur die Liebe bittet, die mehr aus dem Geliebten als aus sich selbst lebt. Und trotzdem wundert sich der Herr über die Frage der Mutter. Mit der Liebe ist es so: Liebe hat bedrängende Gewalt. Und so süß die Gewalten der Liebe auch sein mögen, sie setzen der Freiheit und Selbstverfügung Grenzen; in sich und im andern. Von der Macht Jesu, wenn es nur auf diese ankam, konnte die Mutter nicht genug verlangen; und was sie auch von der gebietenden Allmacht ihres Sohnes erflehen mochte, es blieb immer noch gering gegen das, was diese gewähren konnte. Ihre Bitte begehrt von seiner Macht nicht viel; vielleicht denkt sie gar nicht an diese Macht; allein ihr bittend Wort rührt notwendig an die Freiheit und Selbstbestimmung ihres göttlichen Sohnes. „Meine Stunde ist noch nicht gekommen“, antwortet Jesus; noch war er nach dem Willen des Vaters vor den Augen der Welt und der Synagoge verborgen. In diese Verborgenheit hinein flüchtet nun die Bitte der glaubensstarken Mutter - um der Menschen willen.

Der vierte Evangelist erzählt von Jüngern, die dem Herrn angesonnen haben, seine Verborgenheit aufzugeben. Sie haben, vorlaut genug, Jesus den Rat erteilt: „Zeige dich vor der Welt“ (Joh. 7, 4). Sie haben dabei eine schlimme Absicht gehabt; der heilige Johannes schreibt über sie: „Selbst seine Brüder glaubten nicht an ihn“ (Joh. 7, 5). So kann ein und derselbe Wunsch aus einer reinen und unreinen Quelle aufsteigen. Worte und Gedanken weisen den Menschen noch lange nicht als vertrauenswürdig aus. Der schönen Worte hatte die Welt zu allen Zeiten viele und der schönen Gedanken noch mehr. Gott sieht aufs Herz.

Die Mutter Jesu spricht hinein in das Geheimnis der Liebessendung ihres Sohnes und eben dieses Geheimnis war den „Brüdern Jesu“ verborgen; Maria aber lebt aus dem Glauben an dieses Geheimnis. Der Sohn hat sie in die göttlichen Verborgenheiten seines Herzens eingeweiht. Gott hat seinen Sohn in die Welt gesandt, daß er die Liebe des Vaters den Geschöpfen offenbare; im Sohne ist die Liebe des Vaters anschaubar geworden und seine Macht nur soweit, als sie im Dienste der Liebe steht. Wenn der Herr also eingeht auf die Fürbitte der Mutter, wird er mehr offenbaren als die umschaffende Macht seines Wortes. Er wird sein höheres Selbst enthüllen und mit ihm die Menschenfreundlichkeit Gottes; er wird die Frühlingsstunde einer neuen Liebe heraufführen, deren vielsagendes Sinnbild der reichlich gespendete wunderbare Wein ist, und mit der neuen Liebe einen neuen Glauben, dem die verwandelnde Kraft des Wortes Gottes und seiner ewigen Liebe innewohnen soll. . . Vorerst freilich wird alles nur Anfang bleiben; noch laufen von Kana keine sichtbaren Fäden hinaus in die Völkerwelt und die kommenden Zeiten, an denen sich die weltumgestaltenden Begebnisse herfühlen ließen, die einmal mit dem hochgebenedeiten Namen Jesus gezeichnet sein werden. Und trotzdem wäre es höchst merkwürdig, wenn einer so heiligen Seele wir der Fürbitterin Maria keine, aber auch gar keine Ahnung aufgestiegen wäre von der Bedeutung der eben wesenden Stunde. Haben doch weniger heilige Seelen wie Kaiphas nach des Evangelisten Johannes Zeugnis das Gewicht einer gotterfüllten Stunde gefühlt und Dinge gesagt, die weit größer waren als sie selbst. Wir glauben also, daß der Geist Gottes die Mutter Jesu vermocht hat, ihre Fürbitte für die Hochzeitleute einzulegen und keinen darf es wundern, wenn sich der Herr erstaunt: „Meine Stunde ist noch nicht gekommen!“ Denn die Fürbitte der Mutter ist nach Gottes Willen im Leben des Herrn zum prophetischen Zeichen geworden, in dem Jesus den Anfang seiner Wunder machen sollte in Kana in Galiläa (Joh. 2, 11).

Der erste Schritt der Mutter Jesu auf dem Wege zu ihrem Weltberuf der allgemeinen Fürbittschaft hat demnach eine große Geschichte; bedeutend nicht durch den äußeren Ablauf des Geschehens, sondern durch den inneren geistlichen Weg, den die ewige Weisheit Maria geführt hat. Bis jetzt war Maria die Mutter des Fleisches gewesen und hatte sich um ihren leiblichen Sohn gesorgt. Jetzt dehnt sie ihre Sorge aus auf die weitere menschliche Umgebung Jesu, auf den geistlichen Leib, der dem Herrn nach Gottes Ratschluß durch die Weltzeiten zuwachsen und für den Maria einmal sein soll, was sie für ihren Sohn in Bethlehem und Nazareth gewesen ist; die treu besorgte, liebende Mutter. Kana sah nur den bescheidenen, fast verschämten stillen Anfang einer nachfolgenden, von himmlischer Glorie umflossenen, tausendfach beanspruchten, bestätigten und gesegneten Fürbittschaft; und daß diese Fürbittertätigkeit einsetzen mußte bei einer Hochzeit, bei einem Feste der Liebe, und daß die erbetene Gabe eine Gabe der Liebe sein mußte im Dienste irdischer Freuden, wie nah rücken uns diese Umstände das Bild der Mutter und des Sohnes; wie nah das Bild des Reiches Gottes, das gewiß nicht von dieser Welt ist und nicht von ihren Mitteln, aber doch für diese Welt und ihre leidenden Bewohner. Und daß Jesus den Anfang seiner Wunder machte bei einer Gelegenheit, die, menschlich gesprochen, noch andere Möglichkeiten der Hilfe offen ließ, und nicht wie später bei unheilbar Kranken oder Toten jede Aussicht auf Hilfe abschnitt; daß seine liebe Mutter einfach aus dem Glauben handelt, ohne andere, naheliegende Erwägungen anzustellen - wieviel verrät dies alles vom Sein und Weben des „Reiches der Himmel“ und von jener Liebe, die dem Glauben gleich Berge versetzen könnte, wenn sie nur wäre, wie jener sie meinte, der sie gebracht hat. Vielleicht, daß der eine und andere denkt, die Situation habe doch nicht gelohnt, die Kräfte des Glaubens einzusetzen; wo sich einer selbst helfen kann, brauche er Gott und seine Heiligen nicht zu bemühen. Allein, wie hätte denn die äußere Lage aussehen sollen, die den Einsatz des Glaubens und der Fürbittschaft Mariens gelohnt hätte? Als ob es nicht zum Eigensten der göttlichen Liebe gehörte, nicht auf die großen Gelegenheiten zu warten, die angeblich allein den Einsatz des Glaubens lohnen sollen, sondern die kleinen Gelegenheiten in große zu verwandeln. Wohl ist der Wein kostbarer als das Wasser; aber das Wasser ist notwendiger. Gott spart seine Hilfe nicht auf für die sogenannten großen Gelegenheiten; er gibt sie in den Dienst jeder Stunde, damit aus der Treue im kleinen die Treue im großen werde. Und wenn Gott einmal einem Menschen eine ganz große Gnadenhilfe zuteilwerden lassen will, wer sagt dann, daß das nur bei einer großen Gelegenheit geschehen könne? Den Anfang seiner Wunder hätte Jesus auch mit einer Totenerweckung machen können und Maria brauchte ihre Fürbittertätigkeit nicht im Kreise froher Festgäste zu beginnen, sondern im Gefolge trauernder, leidgebeugter Menschen. Dann wäre die große Gelegenheit dagewesen und die vollkommene Aussichtslosigkeit menschlicher Hilfe. Die erste Gelegenheit zum Anfang seiner Wunder und zum Beginn der Fürbittertätigkeit Mariens sollte aber nach Gottes Absichten so viel anspruchsloser und unauffälliger sein als eine Totenerweckung, und es sollte diesen Anfängen sogar fehlen die übermächtigende Gewalt unausweichlicher Notwendigkeit. Leise hebt die allgemeine Fürbittschaft Mariens an, und leise ergeht das Schöpfungswort Christi über das Wasser in den Krügen. Gottes Wege sind nicht unsere Wege. Sollten Wasser und Wein nicht einmal zu stofflichen Trägern der Erlöserliebe im Sakrament werden? Und die Abwesenheit jeder unaufhebbaren Notwendigkeit, ist sie nicht ein großartiges stellvertretendes Zeichen für die Freiheit und Unbegrenzbarkeit göttlicher Liebeshuld und ein freundliches Sinnbild der allumfassenden, uneingeschränkten Fürbittschaft Mariens? Wie armselig stehen die Einwände eines ärgerlich und argwöhnisch sich selbst behauptenden Verstandes vor den Taten, den Preisgaben und Opfern der Liebe schon im bloß Menschlichen; wie kümmerlich nehmen sie sich erst aus gegen die Werke der ewigen Liebe.

Gottes Werke beginnen gewöhnlich im Verborgenen. Eines der allergrößten Werke Gottes ist unsere himmlische Mutter, die als Mutter ihres göttlichen Sohnes zugleich unsere Gnadenmutter ist. Hier ist unser Glaube gefordert, denn Maria hilft ja nach unserem Vertrauen in ihre fürbittende Macht. Im Laufe der Jahrhunderte wächst die Schar derer, die Maria für ihre Hilfe danken ins Unermeßliche. Wieder und wieder kann man es hören, lesen, sehen: Maria hat geholfen!

Dabei sind selbstverständlich jene Hilfen am Bedeutendsten, welche die Seelen zum ewigen Heil verhelfen. Maria steht immer an der Seite ihres Sohnes, unseres Erlösers…

Im Weltdienste der Erlösung

Wenn wir sagen, Gott habe Maria keine Gnade versagt, die er Eva gewährt hat, so sagen wir zu wenig. Die geistliche Mutter der Menschheit steht nicht bloß ebenbürtig neben deren leiblicher Mutter. Maria überragt im Werke des Heiles alle anderen Diener Gottes, weil sie die Mutter Christi und Wegbereiterin seines Vorüberganges ist. Die Ewige Weisheit hat Maria in ihr Amt eingeweiht mit einer Gnadenüberfülle, die Eva nicht ihr eigen nennen konnte. Es ist ihr eine Nähe zu Gott beschieden gewesen, wie sie auch der paradiesische Mensch nicht gehabt hatte. Wir glauben das, weil wir uns nicht vorstellen können, Gott habe irgendeine Gnadenerhöhung derjenigen vorenthalten, die beim Werk der Erlösung als Stellvertreterin der Menschen das mitentscheidende Wort gesprochen hat. Maria war ja nicht bloß leidendes Werkzeug der Menschwerdung; sie hat am Vollzug der Menschwerdung tätig mitgewirkt, und zwar so, daß ohne ihren Glauben und ihre Treue das Heil der Welt verscherzt worden wäre. Im Brief an die Hebräer steht das schwerwiegende Wort: „Es ist ja unmöglich, daß solche, die schon einmal erleuchtet waren, die von der Himmelsgabe gekostet hatten, die des Heiligen Geistes teilhaftig geworden waren, die das herrliche Gotteswort verkostet und die Kräfte jener künftigen Welt in sich erfahren hatten, und die dann abgefallen sind, zür Buße wiederum erneuert würden; sie haben ja, soweit es auf sie ankommt, den Sohn Gottes aufs neue gekreuzigt und ihn zum Gespött gemacht“ (Hebr. 6, 4-6). Hier steht klar und ernst geschrieben, daß es Gnaden gibt, die, einmal verscherzt, nicht wiederkehren. Die Kirche hat, wie wir an den Fürbitten des Karfreitags und an ihrer ganzen Haltung sehen, die Grenzen der Barmherzigkeit Gottes so weit hinausgerückt, daß sie kein menschliches Auge mehr sehen kann; weiter, als der Wortlaut unserer Stelle zu gehen scheint, wenn wir sie nur für sich allein nehmen, ohne auf den Geist zu achten, der im Ganzen der Schrift webt. Allein die Anschauung bleibt im Rechte, nach der es Gnaden gibt, die, einmal mißachtet, für immer verloren sind. Und wenn wir das von einer Gnade behaupten dürfen, ohne vom Geiste der Schrift abzufallen, dann ist es die Gnadenüberfülle, die Gott der Jungfrau und Mutter des Erlösers angeboten hat. Die Gnadenfülle Mariens war so groß, daß wir uns in ihrer Einschätzung sehr täuschen würden, wollten wir glauben, Gott hätte sie ein zweitesmal zur Verfügung gehalten. Aus dem menschlichen Bereiche ein Gleichnis: Seelen von höchstem Adel des Wesens lieben nur einmal; und wenn diese Liebe verschmäht wird, oder wenn sie ihr schönes oder schmerzliches Ende gefunden hat, ist sie vorbei für immer. Maria empfängt ihre Erhöhung als Mutter des Christus. „Maria war nicht ein bloßes Werkzeug des Mittlertums“ (Newman); nein; sie hat dem Gottmenschen das Dasein gegeben; sie ist die wahrhaftige Ursache, daß der Sohn Gottes ein menschliches Antlitz annehmen und uns mit einem Leib erscheinen konnte, der menschlicher Herkunft ist. Geistlich und dem Leibe nach hat niemand eine größere Nähe zu Christus als Maria. Wie unbeschreiblich groß und innig muß die übernatürliche Liebe der Mutter Gottes gewesen sein, die innere Bindung an den Gott ihres Herzens. Hätte sie nicht die größte übernatürliche Liebe gehabt, deren ein menschliches Herz fähig ist, wäre sie der Aufgabe nicht gewachsen gewesen; das Schicksal ihres Sohnes zu teilen. Dieses Schicksal war furchtbar; aber in seiner Furchtbarkeit (wenn wir einmal so allgemein vom Leiden Christi sprechen wollen) bewährte sich der Glaube, die Liebe und die Treue der Mutter; nicht bloß die Liebe der leiblichen Mutter; eine solche Liebe bleibt immer noch innerhalb der natürlichen menschlichen Grenzen; das Leiden Jesu Christi offenbarte vielmehr die Herzensmächtigkeit der Mutter des Glaubens; der heiligsten und treuesten Jüngerin ihres Sohnes. Wenn irgendeine Gnade Maria hoch über Eva erhebt, so ist es gewiß diese ihre Berufung, an den Leiden ihres und unseres Christus teilzunehmen, und die Glaubenstreue, mit der sie dem Rufe Gottes gedient hat. So wenig sich die Mutter des Glaubens bei der Menschwerdung Christi bloß leidend verhalten hat, so wenig unter dem Kreuze. Maria hat das Leiden Jesu im Glauben mitvollzogen; sie hat die Notwendigkeit, die Heiligkeit und den Segen dieses Leidens erkannt und die Marter ihres Herzens auf den Altar des Kreuzes als Opfergabe gelegt. Sie war unter dem Kreuze die würdigste Stellvertreterin der ganzen Menschheit. Wie sie im Tempel ihr Kind Gott geopfert hat, damals, vor vielen, vielen Jahren, bei den schweren Worten des Propheten Simeon, mit dem gleichen ungebeugten Geist der Bereitschaft opfert sie jetzt ihr Kind wieder; überzeugt, daß er, der Gekreuzigte und Ausgestoßene, sein werde, was Simeon von ihm gerühmt hatte, ein Licht zur Erleuchtung der Heiden und zur Verherrlichung seines Volkes Israel. Nicht auf einmal, stellen wir uns vor, hat Maria die Tatsache der Erlösung durch das welterlösende Leiden ihres Sohnes in den gläubigen Blick bekommen und nicht sofort in vollkommener Deutlichkeit. Auf langen, stillen Wegen hat Gott die heiligste Seele in das Schwerste Geheimnis des Lebens Jesu geführt und wie es ihrem Geiste eigen war, hat sich Maria unaufhörlich mit dem beschäftigt, was von Gott her an sie drang; sie hat es betend in sich aufgenommen und behütet mit den stillen Kräften der übernatürlichen Liebe, bis sie eins geworden war mit den göttlichen Inhalten ihres Glaubens, Opfer und Opfernde zugleich. Es gibt geistliche Schriftsteller, die meinen, Maria habe Fortschritte gemacht vom Unvollkommenen zum Vollkommenen. Wir denken darüber anders. Wir glauben, Maria hat im geistlichen Leben begonnen, wo andere geendet haben. Das soll aber nicht heißen, daß im geistlichen Leben der Mutter Jesu keine Entwicklung nachzuweisen sei. Sonnenklar sind die Worte der Schrift, welche sagen, daß die göttliche Weisheit Maria nach und nach in den Reichtum Christi eingeweiht hat; daß die heilige Mutter Jesu nicht von Anfang an über alles und jedes im Leben Jesu volle Klarheit hatte. Wenn wir trotzdem im Leben Mariens keine Entwicklung vom Unvollkommenen zum Vollkommenen annehmen, so deswegen, weil wir das Leben eines Heiligen nicht darnach beurteilen, wie er sich die Glaubensinhalte nach und nach aneignet, sondern nach der Liebe und Opferfähigkeit, durch die er sich Gott angenehm gemacht hat. Im übrigen, stand das Glaubensleben der Mutter Jesu unter anderen Bestimmungen als das irgend eines anderen Heiligen. Glaube wurde von der Mutter der Gnade nicht bloß gefordert in der Stunde, da sie sich zur göttlichen Mutterschaft entschließen mußte; jener unerhörte Glaubensvollzug sollte der Inhalt ihres geistlichen Lebens bleiben. Wir denken wohl manchmal, daß uns ein schweres Opfer auferlegt sei mit dem Glauben an die Gegenwart Christi im Sakrament unter den Zeichen von Brot und Wein. Allein versetzen wir uns doch einmal in die Lage der Mutter Gottes, die den Herrn der Herrlichkeit in der Krippe und am Kreuz beladen sieht mit allen Zeichen menschlich-leiblicher Armseligkeit und Schwäche, die Jesus aus Liebe zum Menschen mit uns geteilt hat. Es ist doch wahrlich leichter, an den verborgenen Gott zu glauben, als ihn zu glauben in der Mitte menschlicher Anfälligkeit und Preisgegebenheit – doch wir sprachen von der Vollkommenheit. Vollkommenheit ist Sache der Liebe, nicht der Aufarbeitung von Glaubensinhalten. Der Weg der Vollkommenheit ist immer der Weg der sich opfernden Liebe. Wir möchten also nicht sagen, Maria sei den Weg vom Unvollkommenen zum Vollkommenen gegangen. Der Engel begegnet in Nazareth keiner noch Unvollkommenen; sondern einer in der Liebe Vollendeten. Der Weg Mariens hat auch seinen Anstieg; aber nicht vom Niederen zum Hohen; sondern vom Hohen zum Höchsten. Ihre Entwicklung läuft innerhalb der Grenzen der Vollkommenheit. Denn auch die Vollkommenheit hat eine ihr wesenseigene Bewegung; es gibt die Vollkommenheit des Kindes; es gibt die Vollkommenheit des Mannes; beides ist Vollkomenheit. Maria war zum Selbstopfer der Liebe bereit von früher Kindheit an; sie hat es gebracht von Nazareth bis Golgatha, und unverständlich wird ihr Leben und abwegig das Urteil über es, wenn wir nicht die Vollkommenheit ihrer Liebe zum Maße ihres Lebens machen. Gott prüft unsern Glauben nicht an den Glaubensinhalten, die wir uns angeeignet zu haben einreden; Gott sieht aufs Herz; er will sehen, wieviel wir für unsern Glauben wagen; jeder wahre und tiefe Glaube zieht nach sich das Opfer der Liebe und erst in der opferbereiten Liebe werden wir eins mit dem Gegenstand unseres Glaubens. Eins ist Maria geworden mit Christus durch Glaube und Liebe. Sie darf sprechen wie der Apostel: „Ich lebe, doch nicht ich, sondern Christus lebt in mir.“ Maria ist wie keine Seele vor und nach ihr eins geworden mit dem Urheber der Gnade. Wegen dieser ihrer gnadenvollen Verbindung mit Christus rufen wir sie an als die Mutter der göttlichen Gnade. Wir glauben, daß die Gnade des Hauptes Christus uns durch ihre Hände zukommt; daß sich in dieser innigsten Anteilnahme an der Ausspendung der Gnade Christi auswirkt die unsagbar innige Verbundenheit von Sohn und Mutter, von Meister und Tochter, von Erlöser und Ersterlöster, von Gottgesandtem und Mitträgerin seines Schicksals, eine Verbundenheit in Glaube, Liebe und Lebensschicksal, die Maria unter den Heiligen und Auserwählten Gottes zu einer nie wiederholten und nur ihr eigenen Tätigkeit im Erlöserbereiche ihres Sohnes vorherbestimmt und in den Weltdienst der Erlösung berufen hat.

Im Reich der Gnade ist alles wunderbar, weil freies Geschenk der göttlichen Güte. Und Gott kann nichts Niedriges, Unbedeutendes schenken, ER schenkt letztlich alles, ER schenkt uns Seinen Sohn. Wer aber könnte diesem näherstehen, als Seine Mutter? Maria ist wie keine Seele vor und nach ihr eins geworden mit dem Urheber der Gnade. Wegen dieser ihrer gnadenvollen Verbindung mit Christus rufen wir sie an als die Mutter der göttlichen Gnade. Wir glauben, daß die Gnade des Hauptes Christus uns durch ihre Hände zukommt.

Nach diesen eher theoretischen Überlegungen lassen wir abschließend einen Text aus dem glaubensfrohen und glaubensstarken Mittelalter folgen. Lassen Sie sich einfach entführen in eine Welt, in der der Himmel dem Menschen noch viel näher war als heute, weil der Glaube noch viel lebendiger, frischer, froher war. Um diesen lebendigen, frischen, frohen Glauben müssen wir Tag für Tag ringen, dann werden wir die Welt überwinden.

Thomas von Kandelberg

Laßt es euch nicht verdrießen, eine kurze Geschichte anzuhören, mit der ich euch einen Dienst erweisen möchte.

Es gibt ja viele wackere Leute, die gern lauschen, wenn ihnen auf artige Weise etwas erzählt wird, und daraus ziehen sie dann größeren Nutzen als jene grobklotzigen Menschen, denen niemand etwas nahebringen kann.

Meine Geschichte lautet so: Zwölf Scholaren saßen einmal an einem Sonntag beisammen, tranken und aßen und waren fröhlich und guter Dinge. Jeder dieser Jünglinge war auf seine Weise mit Anstand vergnügt. Da sprach einer von ihnen (er war der Sohn eines reichen Herrn): „Ich habe mir etwas Herrliches ausgedacht, und wer dabei nicht mitmachen will, den soll auf der Stelle das Unheil treffen!“

Sogleich fragten die anderen wie aus einem Munde, worauf er denn hinauswolle.

„Das behalte ich so lange für mich“, antwortete er, „bis ihr mir alle gelobt habt, daß ihr euch nicht weigert mitzutun.“

Darauf wollten sie sich nicht einlassen, aber er bat sie so lange, bis sie um ihrer Freundschaft und des Spaßes willen schworen, sich an der Sache zu beteiligen, wie immer sie auch ausgehen möchte.

„So will ich’s euch sagen. Wir wollen in acht Tagen wieder zusammenkommen und von Liebe und Schönheit singen und sagen, und ein jeder bringe von der Frau seines Herzens ein Liebesgeschenk mit. Wer das geringste vorweist, habe den Schaden davon, der soll an diesem Tage für uns alle die Zeche bezahlen.“

Unter großem Hallo gelobten sie durch Handschlag, mit von der Partie zu sein, und setzten ihre Ehre zum Pfand. Keiner von ihnen wollte dieses Gelübde brechen, sondern alle, die es versprochen hatten, wollten ihr Wort treulich halten.

Es gab unter ihnen aber einen, der seinen Sinn bislang überhaupt noch nicht auf eine Frau gerichtet hatte. Er war gütig und ohne jeden Falsch, sein Herz gehörte allein einer Jungfrau, in deren Dienst er sich mit ganzer Seele gestellt hatte. Darin konnte er sich nicht genug tun, und wie sehr sollte ihm das zum Vorteil werden!

Die Jungfrau, die ich meine, war die edle, keusche, heilige und erhabene Gottesmutter Maria, die jeden erhört und die jedem ihre Hilfe zuteil werden läßt, der sie um Gnade bittet. Die Macht dazu ist ihr gegeben, und sie ist so voller Gnaden wie ein randvoller Becher, der überläuft, wenn man ihn mit dem Finger nur antippt. Auf solche Weise sollen auch wir sie anstoßen, denn sie vermag es, unsere Verehrung wie unsere Sünde dem nahezubringen, der uns geschaffen hat, das heißt unserem lieben Heiland, auf den all unsere Zuversicht gerichtet ist. Der möge uns seine Gnade schenken, auf daß wir des ewigen Lebens teilhaftig werden, das Freude ohne Ende ist. Dazu möge uns Christus im Himmel verhelfen! Als die Scholaren sich getrennt hatten, rang der Jüngling, der kein Liebchen hatte, die Hände, setzte sich ins Gras und dachte: „Ich muß doch verrückt gewesen sein, mich mit meinen Gesellen auf eine solche Sache einzulassen. Was ich mir da aufgeladen habe, kann man mir mit Recht als eine große Narrheit anrechnen. Wieso konnte ich Unglücksmensch überhaupt auf so ein Gelübde eingehen? Weh mir, daß ich geboren wurde! Womit soll ich an dem festgesetzten Tage aufwarten? Ich wäre erledigt, wenn ich das Geld, von dem ich sonst ein ganzes Jahr lebe, auf einmal für die gesamte Zeche aufbringen müßte. Dann wäre ich ärmer als jeder meiner Gefährten!“

Sein Klagen hätte einen Stein erbarmt, wenn dieser es nur hätte hören können.

Er überlegte nun, wie er dieser schweren Bürde bis zum Ende der Woche ledig werden könnte, bis zum Sonntag nämlich, wenn alle zusammenkämen, die ihr Versprechen halten und das bewähren wollten, was sie zu leisten gelobt hatten. Es war ihm leid um sein mühsam zusammengehaltenes Geld, das er nun so rasch verlieren sollte.

„Jetzt erkenne ich wohl“, sagte er sich, „daß ich einen schweren Fehler gemacht habe.“

Nach der Messe, als die Gläubigen die Kirche verlassen hatten, sann er nach und dachte bei sich: „Ich bin in so schlimmer Lage, daß ich vor Marias Bild hintreten und die Barmherzige um Beistand bitten will, habe ich doch oft sagen hören, daß sie in ihrer unendlichen Gnade unsere Klagen entgegennimmt, und deshalb hoffe ich, daß sie mir zugutehält, wie sehr ich ihr immer gedient habe.“

Er trat also vor das Bildnis Unserer Lieben Frau und flehte sie an: „Maria, Jungfrau und Mutter, ich klage dir meinen Kummer, der schwer auf mir lastet. Sei dessen eingedenk, daß dir mein Herz immer zugewandt war und daß darin Zeit meines Lebens nie eine andere Frau Platz gefunden hat. Mochte eine solche auch noch so schön sein, sie ist mir immer gleichgültig geblieben. Tag und Nacht habe ich meine Gedanken nur auf dich gerichtet, und so wenig ich armer Sünder auch bete, dich habe ich dabei nie vergessen.“

Damit fiel er vor ihr auf die Knie. „Sollte ich jetzt meinen Gesellen Bescheid tun müssen“, fuhr er fort, „so käme ich in große Not und erwürbe Schande. Ach, lieber Herrgott, veranlasse deine gütige Mutter, daß sie heute auf irgendeine Art meiner gedenkt und mir zum Erfolg verhilft, denn Maria ist die mächtigste von allen Frauen, davon bin ich fest überzeugt. Sollte ich an diesem Tage verlieren, so wäre das für mich ein Kummer ohne Ende.“

Da antwortete ihm die himmlische Königin aus dem Bilde: „Steh auf, mein treuer Diener, und tritt näher.“

Der Scholar sprang freudig auf und dankte Gott und dessen Mutter, aus deren Munde er so liebreiche Worte vernommen hatte. Im Schoße Unserer Lieben Frau saß das Jesuskindlein, und es hatte eine schön bemalte kleine Büchse in der Hand. Als der Scholar um Gnade gebeten hatte, zögerte Maria nicht, sie ihm zu geben.

„Liebster Sohn, Herr und Vater“, sprach sie zu ihrem Kinde, „sei so gütig und überlaß mir das Büchslein, damit ich es dem schenke, der so oft weinend meine Füße geküßt hat.“

„Dann rate ich dir, ihn zu erhören“, sprach der Heiland darauf und gab die Büchse seiner Mutter in die Hand. „Reiche sie deinem treuen Diener, Tochter und liebe Mutter, und erzeige ihm damit deine Gnade.“

Dieser liebreichen Worte freute sich der Scholar, und Maria gab ihm das Büchslein, indem sie sprach: „Wenn deine Gefährten die Geschenke ihrer Frauen vorweisen, so sollst du dies zeigen und sie es betrachten lassen.“

Der Scholar nahm das Geschenk und küßte es unter Freudentränen wohl ein Dutzend mal. Noch nie hat eines Menschen Mund so herrliche Worte gefunden wie der Jüngling in diesem Augenblick. Seine Rede, mit der er der himmlischen Königin dankte, auf die sein Sinn von Kind an gerichtet gewesen, kam aus der Tiefe seines Herzens.

Inzwischen hatten sich die Scholaren zum Essen niedergesetzt, und das tat unser Jüngling auch. Danach versammelten sich alle zu Frohsinn und Spiel. Man stellte fest, ob alle da seien, und unser Scholar war auch unter ihnen.

Da wies der erste das Geschenk seines Liebchens vor, einen goldenen Ring. Der zweite hatte zwei seidene Gewänder mitgebracht, der dritte ein Badelaken aus kostbarem Stoff, der vierte einen schön besetzten Gürtel, den er seiner Freundin zu Ehren tragen sollte. Dieser zeigte einen golddurchwirkten Beutel vor, der voll duftender Kräuter war, jener eine Haube aus Seide, wieder ein anderer eine goldene Spange. Alles war sehr schön anzusehen.

Da fragten sie unseren Scholaren nach seiner Freundin und spotteten alle, indem sie sprachen: „Was ist denn dein Geschenk?“ Und sie fügten hinzu: „Uns scheint, daß du in dieser Sache den Schaden hast.“ Da zog er sein Büchslein hervor und sagte: „Das habe ich von meiner Frau bekommen, der ich immerdar Glück wünsche.“

Damit öffnete er die Büchse, und es entströmte ihr ein himmlischer Duft wie aus dem Paradies. Der erregte solches Wohlgefallen, daß man das Büchslein für ein herrliches Geschenk erachtete.

Aber der Scholar zog aus ihm noch eine Kasel hervor, die von den anderen ebenfalls hoch geschätzt wurde. Edelstein und Gold waren in Fülle auf ihr, und wenn einer sie ebenso prächtig hätte anfertigen lassen wollen, hätte er wohl mehr als fünfhundert Pfund Silber oder gar Gold für dieses Priestergewand aufwenden müssen. Das stimmte den Jüngling von Herzen froh.

Was soll ich noch weiter darüber sagen?

In seinem Büchslein befand sich aber auch noch ein Meßgewand, wie es die Priester anlegen, wenn sie an den Altar treten, um Gottes Wort zu verkünden. Alle, die dieses Gewand sahen, bekannten, daß sich nirgendwo auf Erden eines fände, das diesem zu vergleichen sei. Jedenfalls hätten sie von einem solchen nie gehört.

„Woher hast du das?“ fragten ihn alle. Da antwortete er: „Ich bekam es von einem sehr Gütigen und von dessen lieber Mutter, die die Krone des Himmels ist und die alle Schönheit überstrahlt.“

Als sie erfahren hatten, wer ihm dieses Gnadengeschenk gemacht hatte, fielen sie ihm zu Füßen und entboten ihm ehrerbietig ihren Gruß.

„Wir haben unseren Scherz mit dir getrieben“, sprachen sie, „verzeih uns das um Gottes willen. Wir werden es nie wieder tun.“

Dann nahmen sie das Meßgewand feierlich auf und trugen es unter Gesängen dorthin, wo es ihm die Himmelskönigin in ihrer Güte gereicht hatte. All das ereignete sich in Rom. Der Jüngling konnte über diese Gnadentat mit Recht beglückt sein.

Sie wurde auch weithin bekannt. Kurze Zeit darauf weihte man den Scholaren zum Priester, und alle, die darum wußten und die dazu herbeigekommen waren, zeigten große Freude, als er seine erste Messe hielt. Es gab um ihn ein großes Gedränge, da jeder das Meßgewand betrachten wollte, das er aus den Händen der Herrscherin Himmels und der Erde empfangen hatte.

Kurz danach starb der Bischof eines angesehenen Bistums. Als die Nachricht an den päpstlichen Hof in Rom gelangte, sprach der heilige Vater: „Diese Mitra. muß der Kaplan Unserer Lieben Frau morgen auf seinem Haupte haben!“

Am andern Tag in aller Frühe versammelte der Papst seine Kardinäle, und da wurde unser Jüngling unter großen Ehren zum Bischof geweiht und verherrlicht für den Gewinn der ewigen Seligkeit.

Als Bischof hat er es durch seine Amtsführung verdient, daß ihm im Himmelreich sein Platz angewiesen wurde. Fürwahr, ich bekenne, wüßte ich seinen Namen, ich würde ihn bitten, mir vor Gott, dem alles Lob gebührt, durch Fürbitte Gnade zu erwirken, der wir alle bedürfen. Möge uns der Schöpfer des Himmels und der Erde dazu verhelfen, daß wir Verehrer der Gottesmutter werden und sie und ihr liebes Kind anschauen. Das mögen Gott und seine heilige Dreieinigkeit walten! Nun laßt uns alle „amen“ sprechen.

Der, von dem diese Geschichte handelt, ist der heilige Thomas von Kandelberg (hl. Thomas Becket). Möge Gott es fügen, daß wir einst mit ihm das Himmelreich besitzen!

(Aus: Mutter der Barmherzigkeit. Mittelalterliche deutsche Mirakelerzählungen von der Gottesmutter. Ausgewählt aus dem Altdeutschen; übertragen von Manfred Lemmer. Verlag Styria, Köln 1987, S. 95 ff.)