Vorsätze des hl. Leonhard von Porto Maurizio - Eine außerordentliche Hilfe, den Alltag zu meistern

Im letzten Sankt-Josefs-Blatt haben wir uns mit denjenigen Vorsätzen des hl. Leonhard von Porto Maurizio befaßt, die uns zur Einstimmung ins neue Jahr besonders geeignet schienen, also eher allgemeiner Art waren. Ob es die Selbsterkenntnis ist, das Vertrauen auf Gottes allgegenwärtige Hilfe, das hl. Meßopfer und das Gebet oder die drei göttlichen Tugenden, diese Vorsätze gelten für alle und unser ganzes Leben hindurch und müssen Tag für Tag mühsam und beharrlich verwirklicht werden, sonst bringen sie keine Früchte hervor.

Das Sprichwort sagt: „Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert.“ Womit daran erinnert wird, daß viele Vorsätze schnell wieder in Vergessenheit geraten und keinen Erfolg zeitigen. Insofern sind es eigentlich gar keine „guten Vorsätze“, sondern nur sehr oberflächlich gut gemeinte, also letztlich nachlässige Vorsätze. Mit diesen vernachlässigten Vorsätzen ist der Weg zur Hölle gepflastert.

Es ist nun sicher jedem beim Lesen der Vorsätze des Heiligen aufgefallen, daß diese von ihm sehr ernst genommen und zudem mit allem Nachdruck ausgeführt worden sind. Dabei haben diese einen Umfang, den keiner von uns bewältigen könnte. So viele Vorsätze auf einmal beständig halten, da wäre jeder von uns weit, ja man möchte sagen himmelweit überfordert. Wie schon angesprochen, zeigt sich gerade darin die heroische Tugend des Heiligen. Mit der Hilfe der göttlichen Gnade vermag dieser in seiner Tugendübung die Fähigkeiten der Natur wesentlich zu übersteigen. Was von Natur aus unmöglich erscheint, wird dadurch möglich. Es wäre deswegen vermessentlich, würde sich jemand vornehmen: Ich mache es genauso wie der hl. Leonhard. Wie schon letztes Mal eigens erwähnt, wäre das im höchsten Maße unklug. In dieser Beziehung gilt, man muß die Heiligen bewundern, dürfe sie aber nicht in allem nachahmen. Anderseits müssen wir selbstverständlich die Heiligen als Tugendvorbilder nachahmen, aber immer zugeschnitten auf das Maß unserer Fähigkeiten.

Wenn wir nun noch auf die weiteren Vorsätze des hl. Leonhard von Porto Maurizio eingehen, wird es noch deutlicher, welch schwindelerregend hohe Tugend dieser besaß. Sein ganzes Tageswerk war durch Vorsätze bis aufs Kleinste geregelt. Man spürt aus all dem heraus, was der hl. Paulus an die Korinther schreibt: „Denn die Liebe Christi treibt uns, die wir überzeugt sind: Einer ist für alle gestorben, also sind alle gestorben.“ (2. Kor. 5, 14) Das Maß und die Kraft der Vorsätze entspricht letztlich dem Maß und der Kraft unserer Gottesliebe. Je mehr wir Gott lieben, desto mehr werden wir dazu gedrängt, IHM in allem zu dienen. Davon sind wir gewöhnlich recht weit entfernt, Gott in allem zu dienen, kommt er doch im Alltag nicht selten an letzter anstatt an erster Stelle.

Carpe diem!

Im Lateinischen gibt es den Sinnspruch „Carpe diem“. Dieser läßt sich mit „Pflücke den Tag“ oder „Genieße den Tag“ übersetzen. Er stammt aus der Ode „An Leukonoë“, welche vom antiken Dichter Horaz um 23 v. Chr verfaßt wurde. Horaz (65 v. Chr. – 8 v. Chr), der eigentlich Quintus Horatius Flaccus hieß, gilt neben Vergil, Properz, Tibull sowie Ovid als einer der bedeutendsten lateinischen Dichter. In der letzten Verszeile der Odenstrophe heißt es: […] carpe diem, quam minimum credula postero. – Genieße den Tag, und vertraue möglichst wenig auf den folgenden.

Der Ausspruch ist sprichwörtlich geworden und wird zuweilen auch mit „Nutze den Tag“ übersetzt, was aber nicht ganz die Aussageabsicht trifft, die Horaz mit den Wörtern „carpe diem“ verfolgte. Der Dichter will sagen, man müsse das eigene Leben im Augenblick leben und nicht unnötig an das Morgen zu denken, denn wer weiß, was das Morgen mit sich bringt? Im Lateinischen heißt „carpe“ (carpere) grundsätzlich „pflücke“ (pflücken). Man soll also den Tag pflücken, wie man einen reifen Apfel pflückt.

Die ganze Strophe der Ode heißt übrigens:

„Frage nicht (denn eine Antwort ist unmöglich), welches Ende die Götter mir, welches sie dir, Leukonoe, zugedacht haben, und versuche dich nicht an babylonischen Berechnungen!

Wie viel besser ist es doch, was immer kommen wird, zu ertragen! Ganz gleich, ob Jupiter dir noch weitere Winter zugeteilt hat oder ob dieser jetzt, der gerade das Tyrrhenische Meer an widrige Klippen branden läßt, dein letzter ist, sei nicht dumm, filtere den Wein und verzichte auf jede weiter reichende Hoffnung!

Noch während wir hier reden, ist uns bereits die mißgünstige Zeit entflohen:

Genieße den Tag, und vertraue möglichst wenig auf den folgenden!“

Es ist doch erstaunlich, welch tiefe Einsicht der heidnische Dichter ins göttliche Lebensgefüge gewonnen hat. Unser Leben ist in der Hand der Götter – wobei die heidnischen Götter durchaus nicht so wohlwollend waren wie der wahre Gott. Und dennoch muß sich der Mensch in sein Schicksal fügen – und das Beste daraus machen, indem er den Wein filtert und sich keine falschen Hoffnungen macht, sondern den heutigen Tag genießt.

Suchet zuerst das Reich Gottes!

Unser göttlicher Lehrmeister sagt etwas ganz Ähnliches wie der römische Dichter: „Seid nicht so besorgt um den morgigen Tag; denn der morgige Tag wird für sich selbst sorgen. – Jeder Tag hat genug seiner eigenen Plage.“ (Mt. 6, 34)

Im hl. Evangelium steht freilich diese Aufforderung in einem anderen Zusammenhang als bei den Heiden, vorher heißt es nämlich:

„Seid also nicht besorgt und fragt nicht: Was sollen wir essen? Was sollen wir trinken? Womit sollen wir uns bekleiden? Denn nach all dem trachten die Heiden.

Euer himmlischer Vater weiß ja, daß ihr dies alles nötig habt. Sucht vielmehr zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit, und dies alles wird euch hinzugegeben werden.“

(Mt. 6, 31 - 33)

Wir sollen uns somit von den weltlichen Sorgen nicht vereinnahmen lassen, so vereinnahmen lassen, daß uns die Sorge um das Reich Gottes aus den Augen gerät. Um nun aber beharrlich zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit suchen zu können, braucht es viele gute Vorsätze. Diese grundlegende Einsicht steht letztlich auch hinter allen Vorsätzen unseres Heiligen, die er sodann mit der ganzen Kraft seiner Seele ausführt, was uns nur selten gelingt. Dennoch sollen wir uns durch die vielen Mißerfolge nicht entmutigen lassen, sondern im Vertrauen auf die Gnadenhilfe Gottes jeweils wieder einen neuen festen Vorsatz fassen, wozu uns die kommende Fastenzeit besonders drängen sollte.

Vorsätze zur Gottesliebe

Wie ordnet nun der hl. Leonhard von Porto Maurizio seinen Alltag? (Alle folgenden Texte sind wiederum genommen aus: Vorsätze des seligen Leonardus von Porto Maurizio, aus dem Orden der reformierten Minderbrüder des heiligen Franziskus, Nasse’sche Verlagsbuchhandlung, Soest 1872; die Sprache wurde angepaßt.)

Ab dem § 11 entwirft der Heilige einen Tagesplan. Hierzu faßt er eine ganze Reihe von Vorsätzen, die er „jeden Tag, jede Woche, jeden Monat und jedes Jahr und in jeder Zeit“ beachten möchte, „um mich nun immer mit der Liebe zu Gott, meinem höchsten Gute, beschäftigt zu halten.“ Wir sehen, das letzte Ziel all dieser Bemühungen ist die Gottesliebe. Der Vorsatz ist nicht um des Vorsatzes willen da, die Tugend nicht um der Tugend willen, das Fasten nicht um des Fastens willen, sondern „damit in allem Gott verherrlicht werde durch Jesus Christus, dem Herrlichkeit und Macht gebührt in alle Ewigkeit. Amen.“ (1. Petr. 4, 11)

Wie also möchte der hl. Leonhard seinen Tag verbringen?

Jeden Tag will ich, sobald ich des Morgens aufwache, sogleich mein Herz zu Gott erheben und die göttliche Barmherzigkeit anrufen, indem ich mehrmals spreche: „Mein Jesus, Barmherzigkeit,“ und so Gottes Hilfe zu allen Handlungen des Tages anflehe. Sodann werde ich die obengenannte Hingabe an Gott machen, indem ich zu Ihm mit allem nur möglichen Eifer, als wäre es der letzte Tag meines Lebens, Ihn lieben, und in allen Dingen nur sein hl. Wohlgefallen erzielen wolle. Dann werde ich auf den Knien und zur Erde gebeugt die Akte des Glaubens, der Hoffnung der Liebe, der Reue und der Aufopferung erwecken und das Cilizium [Bußgürtel] mir anlegen. Dann besprenge ich mich mit Weihwasser und begebe mich zum Chore [in die Kirche], unterwegs den Psalm betend: Deus, Deus meus, ad te de luce vigilo [Du, o Gott, bist mein Gott! Dich suche ich.] (Ps. 62) …

Die gute Meinung

So lehren es alle Lehrer des inneren Lebens: Der erste Gedanke am Morgen sollte sogleich Gott gehören. IHM soll man den kommenden Tag anempfehlen, den uns die drei göttlichen Tugenden allzeit gegenwärtig halten. IHN soll man in allem suchen.

Als Katholiken wissen wir um die übernatürlichen Schätze, die uns vor allem durch die hl. Kirche zugeteilt werden. Darum faßt der hl. Leonard einen eigenen Vorsatz bezüglich der an diesem Tag zu gewinnenden Ablässe:

§ 13. Jeden Morgen nach dem Akt der Aufopferung will ich die Intention machen, alle hl. Ablässe gewinnen zu wollen, die ich gewinnen kann, wenn ich auch nicht wissen sollte, daß an die Werke, die ich tun werde, hl. Ablässe geknüpft sind; und bei denjenigen Ablässen, welch auch für die Abgestorbenen gewonnen werden können, beabsichtige ich, einen für die heiligste Seele im Fegfeuer, die andern für diejenigen zu gewinnen, gegen welche ich größere Verpflichtung habe, sei es aus Pflicht der Liebe oder der Gerechtigkeit, z.B. meine nächsten Verwandten und Wohltäter, oder auch für jene, die auf dieser Welt Gott oder die seligste Jungfrau Maria mehr geliebt haben, und somit für ihr ewiges Heil mehr besorgt waren.

Täglich schöpfen aus dem Gnadenschatz der Kirche

Die Ablässe stammen aus dem Gnadenschatz unserer hl. Kirche. Dieser Gnadenschatz wird uns aufgrund bestimmter von der Kirche vorgeschriebener Werke und Gebete zugeteilt. Für die Armen Seelen im Fegfeuer, die sich selber nicht mehr helfen können, ist jeder Ablaß eine unvorstellbare Wohltat. Der Heilige möchte diese Wohltat ganz besonders denjenigen zukommen lassen, gegenüber denen er irgendeine Pflicht des Dankes hat. Damit man die Ablässe gewinnen kann, muß man sie gewinnen wollen. Deswegen hat es einen außerordentlichen Wert, folgenden Vorsatz zu machen.

§ 14. Ich will auch den genugtuenden Wert aller guten Werke, die ich während 24 Stunden verrichten werde, für die heiligste Seele und die übrigen eben genannten aufopfern; und so werde ich dann jeden Morgen, ohne noch andere Unterscheidungen zu machen, sagen: Ich beabsichtige alle hl. Ablässe, die ich an diesem Tag gewinnen kann, und alle Genugtuung meiner guten Werke für die armen Seelen im Fegfeuer nach meiner Gewohnheit aufzuopfern. Dreimal am Tag will ich den Ablaß der sechs Vaterunser und Ave Maria nebst Ehre sei dem Vater zu gewinnen suchen.

In unserm Rahmen ist es nicht möglich, aber auch gar nicht sinnvoll, auf alle Vorsätze des Heiligen einzugehen, denn manche von ihnen betreffen ausschließlich seine priesterlichen Pflichten. Wir wählen darum jene aus, die für jeden von uns Bedeutung haben.

Tiefe Verehrung Mariens

Zunächst ordnet der Heilige, der doch schon als Ordensmann ein recht umfangreiches Gebetspensum hat, seine täglichen Gebete:

§ 16. Jeden Tag will ich den Rosenkranz von den sieben Freuden der Mutter Gottes beten, und sollte ich wegen Geschäfte nicht Zeit dazu haben, so will ich sieben Akte des Wohlgefallens und der Mitfreude mit den sieben Freuden des hl. Herzens Mariä erwecken.

Für jeden wahren Katholiken war der Rosenkranz immer schon ein treuer Wegbegleiter zum ewigen Ziel, dem Himmel. Dem hl. Leonhard lag die Betrachtung der Freuden Mariens besonders am Herzen. Um die sieben Freuden der Mutter Gottes zu betrachten und sich mitzufreuen an ihrem himmlischen Gnadenvorzug, möchte er jeden Tag einen Rosenkranz beten. Es fällt bei dem Heiligen die Verehrung des Herzens Mariä auf, zu dem er sich außerordentlich hingezogen fühlte, wie wir noch sehen werden.

§ 17. Jeden Tag will ich zwölf tiefe Verneigungen zu Ehren der zwölf Vorzüge und Gnaden machen, welche die allerheiligste Dreieinigkeit der Mutter Gottes gewährt hat, indem ich die seligste Jungfrau als meine große Herrin in tiefster Ehrfurcht verehre und ihr herzlich Glück wünsche, daß sie unbefleckt und rein erschaffen und zu der erhabenen Würde einer Gottesmutter auserwählt ist. Bei jeder Verneigung erflehe ich von ihr eine englische Reinheit des Leibes und der Seele, die allertiefste Demut und die Bekehrung aller Sünder und beteuere ihr, daß ich sie als meine erhabene Gebieterin von Herzen liebe und sie bis zum letzten Atemzug lieben will.

Maria ehren heißt immer auch dem dreieinigen Gott danken, für ihre unbeschreiblichen Gnadenvorzüge. Diese werden zusammengefaßt in ihrer unbefleckten Empfängnis. Der hl. Leonhard hatte einen für die damalige Zeit noch ungewöhnlich erleuchteten und festen Glauben an dieses Glaubensgeheimnis. Von der allerreinsten Jungfrau und Gottesmutter erwartet er auch die Gnade einer englischen Reinheit seines Leibes und seiner Seele. Maria ist seine Gebieterin, die er von ganzem Herzen liebt und die allertiefste Demut, sowie die Bekehrung der Sünder erwartet. Damit all das nicht leere Worte bleiben, nimmt sich der Heilige überdies vor:

§ 18. So oft die Uhr schlägt, will ich ein Ave Maria beten, und zugleich der seligsten Jungfrau innigst Glück wünschen, daß sie ohne Makel der Erbsünde erschaffen und zur erhabenen Gottesmutter auserkoren ist, auch der heiligsten Dreieinigkeit danken, daß sie ihr so große Gnadenvorzüge erteilt hat. Auch werde ich meinen hl. Schutzengel grüßen und ihm danken, daß er mir in der verflossenen Stunde beigestanden hat, und ihn bitten, in der folgenden Stunde mir beistehen zu wollen, auf daß ich in allem Gott treu sei. Für die Stunden der Nacht in denen man die Uhr hört, will ich die Ave Maria zu einer anderen Zeit beten.

Versetzen in die Gegenwart Gottes

Die alltägliche Erfahrung lehrt uns, es ist während des Tages notwendig, sich immer wieder in die Gegenwart Gottes zu versetzen, will man die übernatürliche Gesinnung auch während der vielfältigen Beschäftigungen lebendig halten. Ein Mittel, das viele Lehrer empfehlen, ist bei jedem Stundenschlag ein bestimmtes, kurzes Gebet zu sprechen. Der hl. Pfr. von Ars etwa hat sich schon vor seiner Priesterweihe vorgenommen, beim Stundenschlag ein Ave Maria zu beten und dazu: „Gepriesen sei die heiligste und Unbefleckte Empfängnis der seligsten Jungfrau Maria, der Muttergottes. O Maria, mögen doch alle Nationen dich verherrlichen und der ganze Erdkreis dein Unbeflecktes Herz anrufen.“

Dabei bietet es sich außerdem an, sich an den hl. Schutzengel zu erinnern und sich für die vielen heimlichen Aufmerksamkeiten zu bedanken und sich wieder ausdrücklich seinem Schutz anzuempfehlen.

Ein weiteres, den Tag heiligendes Gebet ist der dreimalige „Engel des Herrn“:

§ 19. Dreimal des Tages, nämlich dann, wenn das übliche Zeichen zum Englischen Gruß gegeben wird, bete ich auf den Knien die gewöhnlichen Gebete: Der Engel des Herrn usw., jedoch mit folgendem Zusatz: nach dem ersten Ave Maria will ich in die Hände des Kindleins Jesu das Gelübde der Armut erneuern, nach dem zweiten in die Hände der seligsten Jungfrau das des Gehorsams, nach dem dritten in die Hände des hl. Josef das der Keuschheit, indem ich zugleich beim Verbum caro factum est (und das Wort ist Fleisch geworden) tief mich verneige, weil das ewige Wort sich so tief für uns erniedrigt hat.

Die drei Gelübde der Armut, des Gehorsams und der Keuschheit sind zunächst an den Ordensstand gebunden, aber sicher auch für jeden von uns ein Ansporn, in der Armut des Geistes sich ganz dem göttlichen Willen gehorsam zu fügen, um mit reinem Herzen IHN allein zu lieben.

Beachtenswert sind auch die äußeren Gebetsübungen des Heiligen. Der Mensch ist Leib und Geist, darum sind diese äußeren Gesten immer eine zusätzliche Hilfe, insofern sie vom Geist belebt sind.

Abtötung, um Gott zu gefallen

Ohne Opferbereitschaft kann man Gott auf Dauer nicht treu bleiben, denn unser Leben in dieser Welt fordert notwendigerweise Opfer. Opferbereitschaft bedeutet „Abtötung“.

§ 21. Ich werde alle Tage beim Morgengebete den Vorsatz erneuern, mich in jeder Gelegenheit und in allen den kleinsten Dingen der Abtötung des eigenen Willens, des eigenen Urteils und aller bösen Neigungen zu befleißigen, immer der Eigenliebe zuwider zu handeln und fortwährend das Messer der Abtötung in der Hand halten, um alles abzuschneiden, woran die Eigenliebe sich hängen könnte, z.B. alle Blicke auf gefährliche oder doch solche Dinge, welche die Neugierde reizen; - alle Worte, die müßig, eitel und nicht notwendig sind; - alles Aufsuchen und Anhören von Neuigkeiten und Dingen, die mich nichts angehen; am meisten aber will ich darauf beim Essen bedacht sein. Alle diese Abtötungen will ich jedoch verrichten aus dem Beweggrunde, Gott zu gefallen.

Das hört sich ziemlich hart und sehr negativ an, wie man heute zu sagen pflegt. Damit man das Gesagte nicht mißversteht, gilt es, eine Unterscheidung zu treffen: Mit „Abtötung des eigenen Willens“ ist der ungeordnete Wille gemeint, den man auch mit dem Wort „Eigenwillen“ benennt. Seit der Erbsünde ist unser Wille mehr zum Bösen als zum Guten geneigt. Die unmittelbare Folge davon ist: Das Gute kostet uns gewöhnlich Anstrengung, wohingegen sich das Böse oft als sehr verführerisch zeigt. Diesem Eigenwillen und diesem Fehlurteil gilt es beharrlich und energisch entgegenzuwirken. Im Buch der Prediger liest man:

„Das ist das Böse bei allem, was unter der Sonne geschieht: Alle trifft das gleiche Los. Darum ist auch das Herz der Menschen so voll des Bösen. In ihrem Herzen wohnt Torheit ihr Leben lang. Und hernach – geht es hinab zu den Toten!“ (Koh. 9, 3)

Wir können es nicht oft genug bedenken, selbst nach der Taufe und der Wiedereingießung der heiligmachenden Gnade in die Seele bliebt ein Rest der bösen Begierlichkeit zurück. Ohne Abtötung kann man diese nicht überwinden, wie nochmals der Prediger mahnt: „Verübe Böses nicht, dann trifft dich auch nichts Böses; bleibe der Sünde fern, dann zieht sie weg von dir.“ (Koh. 7, 1 - 2) Ganz dementsprechend betet der Psalmist: „Laß mein Herz sich nicht neigen zum Bösen, daß ich nicht Schändliches begehe…“ (Ps. 141, 4) Auch der hl. Paulus mahnt: „Haltet euch fern von jeder Art des Bösen!“ (1. Thess. 5, 22) Deswegen ist es notwendig, schon jede Gelegenheit zur Sünde zu meiden: „Laß dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse durch das Gute!“ (Röm. 12, 21)

Entscheidend ist der letzte Gedanke des hl. Leonhard. Das ganze Bemühen von dem, das wir mit dem Wort „Abtötung“ benennen, zielt darauf, Gott zu gefallen!

Besondere Mäßigung beim Essen

Woran man bei dem Wort „Abtötung“ wohl zuerst denkt, ist das Fasten, also das Enthalten von Speise:

§ 29. Die Erstlinge der Früchte, die bei Tische gegeben werden, will ich Gott opfern und nichts davon essen; von den folgenden aber werde ich immer die eine oder die andere, zu der ich am meisten Appetit fühle, liegen lassen.

§ 30. Ich will mäßig sein im Weintrinken und darauf sehen, daß immer die Hälfte, und eher mehr als weniger, Wasser sei.

Um beim Essen nicht allzu sehr sich der Gaumenfreude hinzugeben, lenkt das Tischgebet unsere Gedanken zum Geber alles Guten:

§ 32. Ich will die Tischgebete vor und nach dem Essen immer verrichten, und zwar langsam und mit Ruhe, ohne diese so notwendige Danksagung gegen Gott zu übereilen, mag nun die Ordensfamilie im Refektorium sein, oder nicht. …

Gewissenserforschung

Sehr viele Katholiken machen nur vor der jeweiligen Beichte eine Gewissenserforschung. Wenn die Beichte einigermaßen regelmäßig ist, also etwa einmal im Monat, wird die Gewissenserforschung immerhin helfen, einen einigermaßen brauchbaren Vorsatz zu fassen. Wird diese noch seltener geübt, dann wird es kritischer, weil die daraus folgende Selbsterkenntnis letztlich nur recht oberflächlich sein kann.

Der hl. Leonhard übt, wie es in den allermeisten Orden üblich war, zweimal am Tag Gewissenserforschung, die er in seinen Vorsätzen ziemlich ausführlich beschreibt:

§ 37. Ich will zweimal am Tage, nämlich gegen Mittag und am Abend, eine Gewissenserforschung halten. Bei der Gewissenserforschung am Mittag werfe ich in Kürze einen Blick in mein Herz, um zu sehen, ob es den inneren Frieden, dessen Grundlage die hl. Demut und feurige Gottesliebe ist, bewahrt habe. Ich erforsche mich dann kurz, ob und worin dieser hl. Friede sich getrübt habe, um ihn sofort durch Akte der Reue und eifrige Bitten um die Liebe Gottes wieder herzustellen, indem ich mehrmals wiederhole: „Mein Jesus Barmherzigkeit!“ Um diesen inneren Frieden und den Geist eifriger Liebe in mir zu erhalten, sind mir, wie ich klar erkenne, hauptsächlich vier Dinge notwendig, und ich nehme mir vor, sie in Übung zu bringen:

  1. Tot zu sein der Welt, den Geschöpfen, mir selbst und alle dem, was nicht Gott ist, indem ich mein Herz so losgeschält von allem bewahre, daß ich alles, was nicht Gott oder Gottes ist, weniger achte, als ein Sandkörnchen.

  2. Immer mich in die Arme der göttlichen Vorsehung werfen, ihr mich ganz und gar zu überlassen, und alle Ereignisse des Tages, die großen und die kleinen, die günstigen und die widrigen, immer als Anordnungen der göttlichen Vorsehung anzuerkennen und darum fest zu glauben, daß es so am besten und nützlichsten, sowohl für das, was für die Ehre Gottes, als was für mein eigenes Heil ist.

  3. Lieb zu haben alle Leiden, die innerlichen wie die äußerlichen, besonders wenn uns Erniedrigungen und Verachtungen widerfahren, oder alles uns verläßt. – Das Paradies des Himmels besteht im Genuß der Freuden, das Paradies dieser Erde im Ertragen von Leiden. Kommt mir deshalb ein Gefühl des Widerwillens gegen Verachtung, Krankheit und andere Leiden, so werde ich sofort einen Blick auf meinen gekreuzigten Jesus werfen, der zu seinen vertrauten Gefährten den höchsten Schmerz, die tiefste Erniedrigung und die äußerste Armut gehabt hat.

  4. Nicht viele, wenn auch sonst gute Geschäfte unternehmen, sondern allein jene, welche gemäß der Anordnung des Gehorsams mein Amt mit sich bringt; - und vor allem nie zu handeln mit Hast und Ungestüm, sondern mit Ruhe und Bescheidenheit, und diese hl. Bescheidenheit in Worten, in Gebärden und im ganzen Wandel an den Tag zu legen.

Herzensfrieden

Ist das nicht ein wunderschöner und zugleich niemals genug zu beachtender Gedanke: Bei der Gewissenserforschung am Mittag werfe ich in Kürze einen Blick in mein Herz, um zu sehen, ob es den inneren Frieden, dessen Grundlage die hl. Demut und feurige Gottesliebe ist, bewahrt habe. Das Leben in der Gnade, d.h. das Leben in der Gottesfreundschaft ist inwendiger Frieden, wie der hl. Paulus beteuert: „Durch den Glauben gerechtfertigt, haben wir Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christus.“ (Röm 5, 1) Diesen Frieden gilt es in der Trübsal dieser Zeit zu bewahren. Nur, wer dem Kreuz nicht aus dem Weg geht, wird den wahren Frieden des Herzens finden, denn das Paradies dieser Erde besteht im Ertragen von Leiden. Um jedoch den Frieden im Herzen inmitten der Leiden, Prüfungen und Versuchungen bewahren zu können, müssen wir eins sein mit unserm Herrn Jesus Christus. Denn ER ist der Frieden unseres Herzens, weshalb der hl. Paulus wünscht: „Der Gott der Hoffnung erfülle euch durch den Glauben mit lauter Freude und Frieden, damit ihr überströmt an Hoffnung durch die Kraft des Heiligen Geistes.“ (Röm. 15, 13)

Damit er in seinen Vorsätzen ja nicht wankend werde, nimmt sich der hl. Leonhard vor:

Ich werde also jeden Tag um die Mittagszeit Rundschau halten, ob in meinem Herzen sich nicht etwa der Friede getrübt habe, und der hl. Eifer in etwa erkaltet sei; und wenn ich finde, daß ich in einem dieser vier Punkte mich verfehlt habe, so will ich gleich es herzlich bereuen und den Vorsatz der Besserung erwecken.

Rechenschaft am Abend

Am Ende des Tages möchte unser Heiliger sich nochmals Rechenschaft über das vollbrachte Tagewerk geben. Obwohl man spontan denkt, aufgrund der mittäglichen Gewissenserforschung könne diese schnell erledigt werden, notiert der hl. Leonhard:

§ 38. Die abendliche Gewissenserforschung wird ein wenig länger dauern. Ich versetze mich zuvor in die Gegenwart Gottes und bitte um Licht, alle Fehler, die ich am Tage begangen habe, zu erkennen. Dann gehe ich in meinem Gedächtnis kurz alle Handlungen von Bedeutung durch, indem ich mir die Orte, die Personen und die vollführten Geschäfte vorführe, um zu wissen, wie ich mich im Reden, Denken, … Beten… und im Umgang mit anderen verhalten habe…

Wenn ich dann viele Fehler gefunden habe, will ich wohl bedenken, daß ich noch viel mehr begangen, die ich nicht einmal erkenne; denn selbst die guten Werke werden von der Eigenliebe befleckt sein, indem ich mehr mich, als Gott suchte und nicht die gebührende reine und lautere Meinung hatte, oder den Wert derselben durch die Kälte des Herzens, mit der ich sie vollbrachte, vernichtete. Und so werde ich starken Grund zur Selbstbeschämung haben und Gott herzlich in wahrer Zerknirschung mit dem festen Vorsatz der Besserung um Verzeihung bitten.

Bei diesen letzten Akten werde ich mich jedoch länger aufhalten, als bei der bloßen Erforschung des Gewissens; aber vor allem darauf achten, sofort beim Anfang mich lebendig in die Gegenwart Gottes zu versetzen; denn sonst machen sich leicht zerstreuende Gedanken geltend, und die Zeit vergeht, ohne daß etwas Gutes geschieht.

Die Gewissenerforschung soll nicht in eine Selbstbespiegelung ausarten, sondern stets auf das eigentliche Ziel hingelenkt bleiben: Die Selbstbeschämung und Zerknirschung des Herzens, um zu einer tiefen Reue und einem festen Vorsatz zur Besserung zu gelangen. Wer bei der Gewissenserforschung immer nur rückwärts schaut, also allein die Sünden ins Auge faßt, der wird schnell mutlos werden. Es gilt vor allem vorwärts zu schauen, die Reue muß uns anspornen, Gott wieder ganz aus Liebe zu dienen. Damit das eigentliche Ziel erreicht werden kann, ist es nötig, in der Gegenwart Gottes zu verweilen – denn letztlich ist alles Gnade, freies Geschenk der göttlichen Güte.

Das Abendgebet des hl. Leonhard

Wie sieht nun aber das eigentliche Abendgebet des hl. Leonhard aus?

§ 39. Bevor ich des Abends mich zur Ruhe begebe, empfehle ich mich allen meinen hll. Patronen in Form einer Litanei…

Daraus mache ich die Akte des Glaubens, der Hoffnung, der Liebe und der Reue mit der Erklärung, leben und sterben zu sollen im heiligen römisch-katholischen Glauben und meine Seele mit einem Akt der brennenden Liebe zu Gott auszuhauchen. Sodann mache ich die Todesübung des hl. Vincentius. Ich empfehle nämlich meine Seele dem lieben Gott, als wäre diese Nacht für mich die letzte und als müßte ich in ihr sterben. Ich spreche also dreimal: In deine Hände, o Herr, empfehle ich meine Seele. Darauf bete ich das De profundis (Aus der Tiefe rufe ich, o Herr, zu Dir), und bitte Gott, daß Er es mir für die Zeit, wann ich wirklich tot sein werde, aufbewahre. Und um die Gnade zu haben, wohl versehen mit den hl. Sakramenten der Buße und des Altars zu sterben, empfehle ich mich mit einem Vater unser der hl. Barbara. Dann rufe ich meinen Schutzengel an, daß er während der ganzen Zeit meines Schlafes mir beistehe, indem ich spreche: Angele Dei [Engel Gottes] etc.; besprenge sodann meine Zelle mit Weihwasser und mache die Meinung, daß alle Atemzüge während der Ruhe der Nacht ebenso viele Akte der Liebe zu Gott sein sollen. Darauf lege ich mich mit aller Sittsamkeit auf mein Lager von Brettern, nehme in die Hand das Kreuz meines Rosenkranzes oder das Kreuz, das ich auf meiner Brust trage, und werde, indem ich mehrmals wiederhole: Mein Jesus Barmherzigkeit“, zu schlafen suchen, doch erst, wenn ich das Gebet des hl. Vincentius um einen seligen Tod gebetet habe.

So gerüstet wird die Nacht sicherlich vom göttlichen Segen überschattet, sodaß der nächste Tag sofort wieder in aller Ruhe und innerer Festigkeit begonnen werden kann.

Müßiggang ist aller Laster Anfang

Während der moderne Mensch stets auf den Feierabend und den Urlaub hin lebt, flieht der Heilige den Müßiggang, insoweit es nur möglich ist. Denn, wie das Sprichwort sagt: „Müßiggang ist aller Laster Anfang.“ Anderseits haben wir aber auch schon gehört, daß der Heilige sich vornahm: „…vor allem nie zu handeln mit Hast und Ungestüm, sondern mit Ruhe und Bescheidenheit“. Der Heilige ist kein „Gschaftlhuber“, sondern er hat gelernt in Ruhe und Bescheidenheit beharrlich für das Reich Gottes zu wirken. Der Heilige redet nicht viel, aber er tut viel Gutes. In der Heiligen Schrift heißt es: „Sei nicht wie die, die große Worte machen, aber träge und lässig sind in ihren Taten.“ (Jesus Sirach 4,34)

§ 40 Um alles, was ich jeden Tag zu tun haben, zu vollbringen, will ich Sorge tragen, nicht nur den äußeren Müßiggang zu fliehen, indem ich mit Abscheu mich davor hüte, irgendwelche Zeit durch Unterhaltungen und Plaudereien mit Brüdern oder Weltleuten über unnütze und eitle Dinge zu verlieren, es sei denn, daß Anstand und Herablassung in einem seltenen Falle unumgänglich mich dazu nötigen, - sondern noch viel mehr will ich allen inneren Müßiggang der Seele vermeiden. Deshalb will ich, mag ich durch’s Kloster gehen, oder durch die Straßen, immer mit Eingezogenheit wandeln und öfter das Schußgebetlein: „Mein Jesus Barmherzigkeit“, wiederholen. Wo immer ich Kreuze finde, werde ich sie küssen und sprechen: O Crux ave spes unica! (O Kreuz, sei gegrüßt, du meine einzige Hoffnung!) So oft ich nur kann, will ich mich mit Weihwasser besprengen und dafür Sorge tragen, solches immer auf der Zelle und zur Zeit der Mission auf meinem Zimmer zu haben; und wenn ich dasselbe nehme, will ich einen Akt der Reue erwecken und sprechen: „Weil ich, o mein Gott, unendliche Güte, Dir gesündigt und Dich nicht über alles geliebt habe, so will ich Dich jetzt über alles lieben, und verabscheue über alles meine Sünden. Keine Sünde mehr! Erbarme Dich meiner!“ Wenn ich ein Bild des leidenden Jesus, oder ein Werkzeug seines Leidens erblicke, will ich sagen: „Das Leiden unseres Herrn Jesu Christi möge immer in meinem Herzen sein!“ Sehe ich ein Bild der allerseligsten Jungfrau Maria, so will ich ein Ave Maria beten, und tief mich verneigend, innerlich sprechen: „Du bist meine innigst Geliebte.“ Begegne ich jemanden, so werde ich mit den Worten grüßen: „Gelobt sei Jesus Christus!“ Diesen Gruß will ich auf den Missionen überall zu verbreiten suchen, auf daß unser Herr Jesus Christus immerdar gepriesen und gelobt werde. Und auf solche Weise werde ich es stets mir angelegen sein lassen, den guten Jesus zu loben und zu bewirken, daß andere Ihn loben.

Dem Fliehen des Müßiggangs entspricht der Vorsatz, allezeit in der Sammlung zu verbleiben, also in der Gegenwart Gottes zu wandeln. Vor allem soll einem Jesus immer vor Augen stehen, denn ER ist der Weg zum Vater. Die Liebe zum menschgewordenen Gottessohn öffnet das Tor zum dreifaltigen Geheimnis Gottes. Wie es am Ende des Kanons der hl. Messe so ergreifend und feierlich heißt:

„Durch IHN und mit IHM und in IHM wird Dir, Gott, allmächtiger Vater, in der Einheit des Heiligen Geistes alle Ehre und Verherrlichung von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“

Der Schlüssel zur Heiligkeit – die reine Meinung

Diese Gesinnung im Herzen lebendig erhalten, nennen wir die Erweckung der guten Meinung. Der hl. Leonhard weiß, daß darin der Schlüssel zur Heiligkeit sich birgt, denn: „Diese Reinheit der Meinung ist es, welche Gott gewissermaßen das Herz raubt, und Ihm das größte Lob darbringt; sie eben heiliget die Seele und macht sie vollkommen; sie macht alle anderen Tugenden kostbar vor Gott und erhebt sie zum höchsten Grade der Verdienstlichkeit; denn sie ist ja die Blüte der göttliche Liebe.“

§ 41. Bei allen diesen hl. Übungen, die ich mir für alle Tage vorgeschrieben habe, wird nun mein Hauptbestreben sein, sie alle nicht nur in der rechten, sondern in einer ganz reinen und lauteren Meinung zu vollbringen, auf daß sie in hohem Grade verdienstlich und der göttlichen Majestät wohlgefällig werden. Ich gestehe es, daß ich hierauf alle nur mögliche Sorgfalt verwenden muß: denn, wohlgemerkt, vor Gott gilt ein Akt, der mit einer reinen und ungetrübten Meinung vollbracht wird, mehr, als hundert andere, die mit einer getrübten Meinung geschehen. Diese Reinheit der Meinung ist es, welche Gott gewissermaßen das Herz raubt, und Ihm das größte Lob darbringt; sie eben heiliget die Seele und macht sie vollkommen; sie macht alle anderen Tugenden kostbar vor Gott und erhebt sie zum höchsten Grade der Verdienstlichkeit; denn sie ist ja die Blüte der göttliche Liebe. Ich will mir daher mit der Gnade Gottes alle Mühe geben, um dahin zu gelangen, alle genannten Übungen mit dieser reinen und einfältigen Meinung zu vollbringen, die eben darin besteht, in allen Dingen allein das Wohlgefallen Gottes, ohne alle Beimischung untergeordneter Zwecke, zu suchen. Soll diese hl. Meinung meine einzige Triebfeder bei allen Handlungen sein, so muß ich auf alle Geschöpfe, auf alle Bequemlichkeiten und Vorteile und menschliche Rücksichten vergessen, muß vielmehr aus allen verschiedenen Geschäften gleichsam ein einziges machen, d.h.: ich muß in allem einzig und allein das Wohlgefallen Gottes erstreben und alles in Gott, mit Gott und für Gott tun. Es ist nämlich viel edler, viel verdienstlicher und Gott weit gefälliger, die Tugenden in Gott und für Gott, als aus Liebe zu Gott zu üben. Wer nämlich die Tugenden aus Liebe zu Gott übt, kann noch irgendein ungeordnetes Ziel mit untermischen, wer sie aber in Gott und für Gott allein übt, schließt damit jeden anderen Zweck aus; auf solche Weise kommt die reine Meinung, die Gott das Herz raubt, zu Stande. Ich nehme mir also vor, bei allen oben genannten Werken diese reine Meinung haben zu wollen. Um sie zu machen, werde ich vor jeder Handlung in der Spitze meines Geistes den Glauben recht zu erwecken und zu beleben suchen, und in diesem Glauben Gott den Dreieinen drinnen in meinem Herzen, im Zentrum meiner Seele anschauen, auf Ihn allein die Handlung, die ich eben beginnen will, beziehen und allein sein göttliches Wohlgefallen erzielen, indem ich innerlich spreche: „O mein Gott, alles für Dich!“ Und ich hoffe, es wird mir gelingen, wenn ich mich nur jenes inneren Herzensfriedens, von dem ich eben gesprochen habe, erfreue. Ich werde deshalb bei der Gewissenserforschung am Mittag darüber nachdenken, ob ich bei meinen Handlungen innerlich jenen Blick auf Gott getan und einzig sein hl. Wohlgefallen in allem gesucht habe. Und finde ich, daß ich mich dagegen verfehlt habe, so werde ich es bereuen, mir eine Buße dafür auferlegen und den Vorsatz der Besserung fassen. Und da es sich um die allerwichtigste Sache handelt, die die Seele des geistlichen Lebens ist, so bitte ich Gott und Maria, die hl. Jungfrau, mir doch beistehen zu wollen, daß ich hierin zur vollkommenen Ausführung komme. Es ist mein Verlangen, diese hl. Meinung in allen Handlungen aktuelle (d.i. in wirklicher Übung) zu haben; und wo diese schwierig ist, wenigstens virtuell (d.i. der Kraft nach, wenn nämlich die einmal gemachte Meinung fortfährt, auf die Handlung einzufließen); zum allerwenigsten aber konventionell (d.i. der Übereinkunft nach, gemäß der man durch Aussprechung jenes Schußgebetes die reine Meinung zu erneuern, vorher beabsichtet), indem ich beim Anfang der Handlung sage: „Mein Jesus, Barmherzigkeit.“ So oft ich denn diese hl. Worte spreche, beabsichtige ich ein für allemal, diese heiligste reine und einfältige Meinung zu erneuern, die in allem bloß auf Gott sieht und sein hl. Wohlgefallen allein erzielt.

Die Vollkommenheit, die Gott das Herz raubt

Das sind große Gedanken! Gedanken, die bis ins Innere der göttlichen Wirklichkeit vordringen. Wenn der hl. Apostel Johannes in seinem ersten Brief lehrt: „Und wir haben die Liebe, die Gott zu uns hat, erkannt und an sie geglaubt. – Gott ist Liebe; wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott, und Gott bleibt in ihm“ (1. Joh. 4, 16), sagt er genau dasselbe wie unser Heiliger, wenn auch mit anderen Worten: „Es ist nämlich viel edler, viel verdienstlicher und Gott weit gefälliger, die Tugenden in Gott und für Gott, als aus Liebe zu Gott zu üben. Wer nämlich die Tugenden aus Liebe zu Gott übt, kann noch irgendein ungeordnetes Ziel mit untermischen, wer sie aber in Gott und für Gott allein übt, schließt damit jeden anderen Zweck aus; auf solche Weise kommt die reine Meinung, die Gott das Herz raubt, zu Stande.“

In der steten Bewahrung der reinen Meinung besteht die Vollkommenheit, denn diese raubt Gott das Herz! Was für ein wunderschöner und zugleich kühner Gedanke! Aber dieser ist ganz und gar wahr. Unser göttlicher Lehrmeister versichert uns in seinem hohepriesterlichen Gebet: „Ich habe ihnen deinen Namen kundgetan und werde ihn weiter kundtun, damit die Liebe, mit der du mich geliebt hast, in ihnen sei und ich in ihnen.“ (Joh 17, 26)

Wir müssen ganz in Jesus eintauchen durch die übernatürliche Gottesliebe, so daß ER in uns und wir in IHM sind. Dadurch wird uns das Unmögliche möglich, sagt doch unser göttlicher Heiland: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer an mich glaubt, wird die Werke, die ich tue, ebenfalls tun; ja er wird noch größere als diese tun. Denn ich gehe zum Vater.“ (Joh. 14, 12) Und zudem verspricht ER: „Alles, um was ihr in meinem Namen bittet, werde ich tun, damit der Vater im Sohn verherrlicht wird.“ (Joh. 14, 13)

Deshalb besteht der hl. Leonhard so fest darauf: „Und da es sich um die allerwichtigste Sache handelt, die die Seele des geistlichen Lebens ist, so bitte ich Gott und Maria, die hl. Jungfrau, mir doch beistehen zu wollen, daß ich hierin zur vollkommenen Ausführung komme.“

Voranschreiten in ruhiger Beharrlichkeit

Noch eine Anregung für die kommende Fastenzeit:

§ 42. Jede Woche werde ich mir eine Tugend zur Übung auswählen und am Mittag über dieselbe eine Gewissenserforschung halten. Für gewöhnlich wird es der Friede des Herzens sein, gegründet in der Demut und verbunden mit jener reinen Meinung in allem, von der ich soeben geredet habe. So will ich allen Fleiß aufbieten, um mir diese hl. Übung zur Gewohnheit zu machen, nämlich immer das Herz im Frieden zu bewahren und die Meinung immer auf Gott allein gerichtet zu halten. Darum will ich, wenn die Uhr schlägt und ich in oben gesagter Weise das Ave Maria bete, zugleich einen Blick in mein Herz werfen, um zu sehen, ob die Uhr im Innern gut geht, und ob da irgendwelche Unruhe Fuß gefaßt habe, die dann sogleich gehoben werden muß, damit der Frieden wieder hergestellt werde.

Je aufmerksamer und bedächtiger man all diese Vorsätze liest, desto mehr sieht man ein, ein so hohes Gut muß mit der ganzen Kraft der Seele erobert werden, wie das Sprichwort weiß: „Ohne Fleiß kein Preis!“ Dabei gilt es jedoch zu beachten, trotz aller Anstrengung muß man immer den Frieden des Herzens bewahren. Im Leben mit Gott soll es gerade trotz der beharrlichen Anstrengung keinen Streß geben, sondern wir sollen mit ruhiger Beharrlichkeit auf dem Weg der Vollkommenheit vorwärtsschreiten. Dieses ruhige Vorwärtsschreiten wollen die Vorsätze des hl. Leonhard von Porto Maurizio absichern, das darf man nicht vergessen zu beachten, um nicht einen ganz falschen Eindruck zu erhalten.

§ 43. Jeden Monat will ich diese meine Vorsätze durchlesen und sehen, ob ich auch meinem Gott getreu bin; und zwar soll dies am ersten Tag jeden Monats geschehen. Bin ich aber an diesem wegen vieler Geschäfte verhindert, was mir gewöhnlich begegnet, wenn ich auf der Mission bin, so werde ich mir dazu den Tag im Monat auswählen, an welchem ich am freiesten von Geschäften bin. Überdies werde ich jeden Monat einen Tag geistlicher Einsamkeit halten, um mich zum Tode auf eben jene Weise vorzubereiten, welche das von mir für Ordensschwestern verfaßte Buch: Manuale Sacro [Heiliges Handbuch] angibt. …

Die rechte Ordnung des Tages

Soweit die Vorsätze des Heiligen betreffend der Tagesordnung. Sie helfen uns zu begreifen, wie viel es im Grunde in unserem Tag zu ordnen gibt. Dabei ist zunächst das Wichtigste, sich einen Vorsatz herauszugreifen und diesen über längere Zeit ernsthaft auszuführen. Auch wenn wir nicht jeden Monat Zeit und Gelegenheit finden, einen Einkehrtag zu halten, so sollten wir dennoch regelmäßig etwas Zeit investieren, um unsere Vorsätze zu überprüfen und wieder zu erneuern.

Abschließend seien drei Texte angeführt, die unser Verhältnis zu Gott betreffen. Denn nichts hat der Modernismus so sehr verändert wie die Gottesverehrung. Über allem steht die unendliche Majestät Gottes, der wir uns vollkommen unterwerfen müssen. Aber hören wir den hl. Leonhard:

Übung der Tugend der Gottesverehrung

§ 48. Ich will mich zu jeder Zeit bestreben, auf besondere Weise die drei Tugenden zu üben, die nach den drei göttlichen die herrlichsten und würdigsten sind, die im Leben am meisten zur Anwendung kommen und mir insbesondere am allernotwendigsten sind, nämlich die Tugend der Gottesverehrung, die hl. Demut und Nächstenliebe.

Ich will mir also die Tugend der Gottesverehrung, die in dem Bekenntnis der Größe und Erhabenheit Gottes und in einer wahren und demütigen Unterwerfung unter seine unendliche Majestät besteht, innigst vertraut zu machen suchen, und zwar zunächst durch innere Akte, indem ich mich vor Gott tief verdemütige, Ihn als meinen Herrn und den Gebieter meiner Seele anerkenne und mich bis in den Staub vor einer so erhabenen Majestät vernichte. Ich werde solche Akte zur Zeit des Gebetes oftmals wiederholen, und mache ein für alle Mal jetzt die Intention, eben diese Akte so oft erneuern zu wollen, als ich die Erde küsse, vor dem allerheiligsten Sakrament die Knie beugte, vor den Bildnissen Jesu, Mariä und der Heligen mich verneige, das Weihwasser nehme, das Confiteor oder andere Gebete spreche, vor Gott auf meinen Knien liege. Insbesondere so oft ich innerlich und mündlich spreche: „Mein Jesus Barmherzigkeit“, beabsichtige ich, seine Barmherzigkeit als das unermeßliche Meer aller Güter anzuerkennen. Und weil ich diese hl. Worte häufig ausspreche und nicht immer ausdrücklich solches dabei denken kann, so mache ich jetzt für immer mit Gott die Übereinkunft und beteuere es, daß ich Ihm, so oft ich diese Worte sagen werde, die gebührende Anbetung und Verehrung darbringen will. Ja, ich möchte, wäre es möglich, jeden Augenblick die unendliche Größe einer so erhabenen Majestät mit dem Geiste, dem Willen, der Zunge und mit all‘ meinen inneren und äußeren Sinnen anerkennen und anbeten.

Die Andacht zur Gottesmutter

Wie überspringen die Gedanken des Heiligen über das Leiden unseres Herrn Jesus Christus und die Andacht zum allerheiligsten Altarsakrament und kommen zur Verehrung der allerseligsten Jungfrau und Gottesmutter Maria. Diese lag dem hl. Leonhard außerordentlich am Herzen:

§ 52. Zur allerseligsten Jungfrau möchte ich gern die allerzärtlichste Andacht haben, und ich bekenne es feierlich, daß ich in ihre hl. Hände das große Geschäft meines ewigen Heils niedergelegt habe; ich liebe sie mit innigster Liebe und mit der Liebe eines Kindes gegen seine teure Mutter, und ich verlange, daß alle sie lieben und aus allen Kräften ihr dienen mögen. Ich werde daher mit ganz besonderem Eifer die Marien-Predigt halten, und mit dem sehnlichsten Wunsch, daß doch alle von der Liebe zu einer so erhabenen Herrin erfüllt werden möchten. Ich will besonders zu dem Geheimnis ihrer unbefleckten Empfängnis die größte Andacht tragen und keine Mühe scheuen, sondern auf allen nur möglichen Wegen und Weisen, und sollte es auch Blut und Leben kosten, dahin arbeiten, daß dies Geheimnis zu einem Glaubensartikel erhoben werde. (Dieser sehnlichste Wunsch des hl. Leonard ist in Erfüllung gegangen, als Papst Pius IX. am 8. Dezember 1854 dieses das Geheimnis der Unbefleckten Empfängnis der allerseligsten Jungfrau und Gottesmutter Maria feierlich als Dogma erklärte.)

Ich will auch auf der Brust nahe beim Herzen ein Bild der unbefleckten Empfängnis tragen, mit dem ich die Kranken zu segnen pflege; ich will es oft in meine Hand nehmen, gegen dasselbe meine Anmutungen ergießen und es andächtig küssen. Die Andachtsübungen, die ich mir oben vorgeschrieben habe, will ich niemals unterlassen, und überdies werde ich noch die Novenen der unbefleckten Empfängnis, der Geburt und der Himmelfahrt Mariens halten. Sie sollen darin bestehen, daß ich jeden Tag neunmal das Magnificat mit neun Kniebeugungen bete und bei jeder Kniebeugung drei Akte erwecke, nämlich einen Akt der Danksagung gegen die allerheiligste Dreieinigkeit für die Gnaden, die sie in dem bezüglichen Geheimnis der Mutter Gottes erwiesen hat, - einem Akt der Liebe zu Gott und der hl. Jungfrau. Vor den übrigen Festen der Mutter Gottes werde ich eine dreitägige Andacht mit denselben Gebeten halten. Ich will überdies eine besondere Andacht zu der Schmerzhaften Jungfrau tragen, oft an ihre Schmerzen denken und Mitleid mit ihren Peinen haben, deswegen auch auf der Brust, wie oben gesagt, ein Kreuzchen mit sieben Nagelspitzen tragen, um stets eine örtliche Erinnerung an die Leiden einer so erhabenen Königin zu haben.

Das ist echte, ganz aus dem katholischen Glauben geformte Marienverehrung. Was für ein ergreifendes und anregendes Vorbild für uns alle! Jeder von soll das Geschäft seines ewigen Heils in die Hände seiner himmlischen Mutter legen, der wir immerdar mit innigster Liebe und mit der Liebe eines Kindes gegen seine teure Mutter zugetan sein sollen.

Andacht zum hl. Schutzengel

Wenden wir uns mit dem Heiligen nun noch dem hl. Schutzengel zu:

§ 53. Ich will auch mit großer Andacht meinen hl. Schutzengel verehren, oftmals mit ihm mich unterhalten, ihn um Rat in meinen Zweifeln und um Hilfe in allen meinen geistlichen Übungen anflehen, auf daß er zur gehörigen Zeit mich erinnere an die hl. Vorsätze, die ich zur Ehre Gottes gemacht habe. Ich werde ihn besonders vor dem Beginn der Predigt und ehe ich mich in’s Gebet begebe, anrufen, damit er mir behilflich sei, zu einer vollkommenen Vereinigung mit Gott zu gelangen. Alle Abende will ich zu seiner Ehre das Gebetlein: Angele Dei verrichten, auf daß er während des Schlafes mir beistehe und mich beschütze; eben dasselbe werde ich am Morgen beten, um seinen Beistand während des Tages zu erlangen.

Man kann all diese Vorsätze sicher nicht lesen, ohne zutiefst beeindruckt zu sein. Das Leben der Heiligen ist nun einmal eine ständige Mahnung, im Eifer nicht nachzulassen, sondern vielmehr beständig im Vertrauen auf die Gnadenhilfe Gottes gegen unsere Schwachheiten zu kämpfen, indem wir beharrlich die entsprechenden Tugenden üben. Ganz in diesem Sinne gesteht der hl. Leonhard:

Weil aber die Tugenden Gaben Gottes sind, nehmen ich mir vor, wie ein Armer stets an die Türen der göttlichen Barmherzigkeit zu klopfen, um von ihr wirksame Gnade zu erhalten.

Der hl. Leonhard schließt diese seine Vorsätze mit seiner Unterschrift und dem unumstößlichen Entschluß:

Ich, Bruder Leonhard, armer Sünder habe den Willen und den festen Vorsatz, alle hier niedergeschriebenen Vorsätze zur Ehre Gottes, der allerseligsten Jungfrau Maria, meines hl. seraphischen Vaters Franziskus, meines hl. Patrons Vinzentius Ferrerius und meiner übrigen heiligen Patrone zu beobachten.