Ein neu begonnenes Jahr ist immer auch ein Gedankenanstoß – unwillkürlich beginnt man über das vergangene nachzudenken und Ausschau zu halten, was wohl das Neue Jahr bringen werde. Was ist aus den Hoffnungen, Erwartungen und Befürchtungen des letzten Jahres geworden? Wie sehe ich jetzt die Ängste und Freuden, die mir damals lebendig vor Augen standen? Eines ist sicher: Das alte Jahr ist schließlich doch in der Vergangenheit versunken wie alle Jahre vorher. Was bleibt davon zurück? Was rettet man hinüber ins Neue Jahr? Was ist überhaupt wert, hinübergerettet zu werden? Für uns Katholiken kommt selbstverständlich bei der Betrachtung der Vergangenheit ein Aspekt hinzu, der alles andere überragt: Was bleibt vor Gott, was kann vor IHM bestehen, der in der Ewigkeit wohnt? In der morgendlichen Prim betet der Priester während der Weihnachtszeit: „Sie werden vergehen, doch Du wirst bleiben. Alle werde veralten wie ein Gewand. Wie einen Mantel wirst Du sie wechseln, doch Du bleibst derselbe; Deine Jahre nehmen kein Ende.“
Wie sieht wohl Gott mein vergangenes Jahr? Was kann ich aus dem letzten Jahr lernen? Bin ich im Angesicht der Ewigkeit mit dem Ergebnis zufrieden? Wie steht es mit dem Soll und Haben in der himmlischen Buchführung?
Um diesen Fragen nachzugehen, folgen wir den Gedanken von P. Considine S.J. aus seinem Buch „Gott liebt uns“ und dem hl. Leonhard von Porto Maurizio in seinem Buch: „Vorsätze“.
Drei Arten des Zurückschauens
Der begnadete Exerzitienprediger, P. Considine S.J., verweist darauf, daß es drei Arten des Zurückschauens gibt.
Eine Gruppe von Menschen sagt: „Ich habe allen Grund, mit mir zufrieden zu sein. Ich habe ungewöhnlich viel Gutes getan.“ Von solchen Menschen steht zu befürchten, daß sie sich ihr Ziel sehr tief gesteckt haben. Ihr Rückblick ist oberflächlich und leichtsinnig.
Andere sagen: „Das letzte Jahr glich sehr dem vorhergehenden, und das nächste wird auch nicht viel anders sein. Ein eintöniges, langweiliges Jahr!“ Von allen hoffnungslosen Menschen, mit denen man zu tun hat, sind solche am schlimmsten dran. Es sind jene, die niemals herzhaft zupacken. Gott sagt in der Geheimen Offenbarung: „Ich wollte, du wärest heiß oder kalt.“ — Wärest du kalt, dann wäre noch Aussicht, daß diese Tatsache dich zur Besinnung brächte und daß du versuchtest, warm zu werden. Aber da du lau bist, fühlst du nicht die Kälte, und daher verlangst du nicht nach mehr Wärme. Du lungerst durchs Leben hin, du gähnst und jammerst und sagst: „Vermutlich muß ich auch in der Zukunft dieselbe alte Tretmühle von Pflichten treten.“ Unser Herr aber sagt: „Was hast du denn im vergangenen Jahr für mich getan? Welche Siege hast du errungen? Liebst du mich? Hast du versucht, dich zu überwinden? Andern zu helfen? Bist du ein besserer Mensch geworden? Hast du mehr Willenskraft als zuvor? Wieviel Zeit hast du in nutzlosen Phantasien verbracht?“
Die dritte Gruppe von Menschen pflegt zu sagen: „Es war so manches nicht richtig. Es tut mir mehr leid, als ich sagen kann; aber sogar in meiner Selbsterniedrigung bin ich Dir dankbar, daß Du mich die Fehler sehen läßt.“ — Das ist der Geist Gottes.
Damit stellt sich jedem von uns die Grundfrage: Zu welcher Gruppe von Menschen gehöre ich? Bin ich selbstzufrieden, ohne die Vorsehung Gottes zu beachten, ohne zu bedenken, was womöglich Gott durch mich bewirken möchte?
Oder bin ich einer jener langweiligen Menschen, die sich niemals über ihr eigenes Schneckenhaus hinausgewagt haben und hinauswagen und darum gar nicht erst auf die Idee kommen, Großes für das Reich Gottes zu tun. Nun ist es durchaus etwas Großes, in den Himmel kommen zu wollen, wie unser göttlicher Lehrmeister ganz eindringlich hervorhebt: „Tretet ein durch die enge Pforte! Denn weit ist die Pforte und breit ist der Weg, der ins Verderben führt, und viele gehen auf ihm. Wie eng ist die Pforte und wie schmal der Weg, der zum Leben führt, und nur wenige finden ihn.“ (Mt. 7,13 f.)
Wir dürfen uns darum von unseren Schwachheiten nicht entmutigen lassen, sondern müssen aufrichtig bekennen: „Es war so manches nicht richtig. Es tut mir mehr leid, als ich sagen kann; aber sogar in meiner Selbsterniedrigung bin ich Dir dankbar, daß Du mich die Fehler sehen läßt.“
Wahre Selbsterkenntnis
Jede Gewissenserforschung ist immer auch das Bemühen um wahre Selbsterkenntnis. Wahre Selbsterkenntnis heißt: Erkenne, wie Du im Spiegel der Ewigkeit aussiehst! Darauf verweist auch unser Jesuit:
Vielleicht sagst du: „Andere sind neidischer, selbstsüchtiger, leichtsinniger, träger als ich.“ Dann vergleichst du dich nicht mit den richtigen Personen. Mag schon sein, daß andere Personen mehr Fehler haben als du, aber ich glaube, sie sind nicht so eingebildet. Vergleiche dich mit unserem Herrn — und dann sieh, wie es mit dir steht! Welches waren deine Befürchtungen und Hoffnungen zu Beginn des letzten Jahres? In dem und dem Monat warst du von der und der Furcht gepackt. Wie viele von diesen vorausgenommenen Sorgen nahmen wirklich Gestalt an? Wieviel Zeit haben wir vergeudet dadurch, daß wir uns mit solchen Sorgen abquälten?
Wenn uns eine befreundete Seele um Rat fragte, ging es uns dann wirklich darum, zu hören und zu helfen? Oder wollten wir bloß liebenswürdig erscheinen, ohne wirkliches Interesse für das, was not tat? Warum tragen wir immer eine Maske — selbst vor Gott? Wer von uns kann sagen, daß er nicht sehr beeinflußt wurde durch den Gedanken: „Was werden die andern sagen? Was wird der oder jener von meinem Entschluß denken?“
Wenn wir doch endlich einmal diese Feigheit beiseitesetzen wollten und uns bemühten, immer das zu tun, was wir für richtig halten! Selbst wenn es denen weh tut, die wir herzlich lieben. Ist es nicht besser, dem Schöpfer zu gefallen als dem Geschöpf?
Herr, öffne unsere Augen, damit wir auch aus unangenehmen Wahrheiten Nutzen ziehen! Laß uns im guten Sinne unabhängig werden!
Laßt uns lieber zu Gott als zur Welt gehen, um Rat und Mut zu erhalten!
Der moderne Mensch – und wir sind doch auch moderne Menschen! – hat seine liebe Mühe zu solchem Gottvertrauen, darum verwechselt er, insofern er noch fromm ist, gewöhnlich Selbstverwirklichung mit dem Streben nach Heiligkeit und ersetzt den Glauben durch das Erleben. Wie anders klingt dagegen das, was der hl. Leonhard von Porto Mauritio zur Grundlage all seiner Vorsätze macht! (Alle Text genommen aus: Vorsätze des seligen Leonardus von Porto Maurizio, aus dem Orden der reformierten Minderbrüder des heiligen Franziskus, Nasse’sche Verlagsbuchhandlung, Soest 1872, Sprache angepaßt.)
Mißtrauen gegen sich selbst
§. 1. Die Grundlage für alle meine Vorsätze sei das Mißtrauen gegen mich selbst. So oft ich nämlich in große oder kleine Sünden und Fehler gefallen bin, war es mein Stolz, meine Eitelkeit, mein aufgeblasenes Herz, der innere Hochmut und das Vertrauen auf meine Kraft und Tüchtigkeit, die jene Fehler verursachten. Ich erkenne in aller Wahrheit und bekenne gemäß meiner Erfahrung, daß ich ohne eine neue Gnade und eine neue Hilfe von Seiten Gottes keinen Seufzer ausstoßen und noch viel weniger einen guten Gedanken bilden, oder nur im Geringsten mich heilsam zu Gott hinwenden kann. Demnach bekenne ich in aller Aufrichtigkeit und Wahrheit, daß ich unwissend, unvermögend, schwach, wertlos und zu Nichts nutze bin. Und diesen Gedanken, Nichts zu haben und Nichts zu können, will sich vor jeder Handlung, wenigstens vor den wichtigeren, z. Bsp.: Predigen, Beichte hören, Rat erteilen und ähnlichen, mir vorführen; denn ich bekenne und erkenne auch auf das Klarste aus der Erfahrung, daß alles Gute von Gott kommt, daß Gott die vor allem wirkende Ursache ist, und daß Ihm allein alle Ehre und aller Ruhm gebührt. Eben diese meine Vorsätze sehe ich nur an als ein Tröpflein des Gnadenmeeres der Barmherzigkeit Gottes; - und ich erkenne es sehr wohl, daß ich ohne seine wirkliche (aktuelle) Gnade nichts davon in Ausführung bringen, vielmehr gerade das Gegenteil tun werde. Deshalb nehme ich mir denn vor, in gründlichem Mißtrauen gegen mich selbst zu jeder meiner Handlungen, sei sie groß oder klein, im Geistlichen wie im Zeitlichen, wenn nicht immer mündlich, wenigstens innerlich die Hilfe Gottes anzurufen, indem ich oft wiederhole: „Mein Jesus, Barmherzigkeit.“
Damit ist das Fundament des übernatürlichen Gnadenlebens – bzw. die eine Hälfte davon, wie wir gleich noch sehen werden – benannt. Der Mensch kann nur dann segensreich für das Reich Gottes wirken, wenn er einsieht, daß er ohne die Hilfe Gottes und Seiner Gnade dies nicht zuwege bringen kann. Das falsche, also das Selbstvertrauen des modernen Menschen, das letztlich Stolz ist, ist die Ursache unzähliger Fehler und Sünden. Je mehr wir davon überzeugt sind, daß wir unwissend, unvermögend, schwach, wertlos und zu Nichts nutze sind, auf desto festerem, übernatürlicherem Fundament steht unsere Tugend. Das klingt freilich zunächst paradox, so als wäre es ein Widerspruch, ist aber dennoch wahr. Ganz wahr wird diese Einsicht jedoch nur dann, insofern man sie gemäß P. Considine folgendermaßen ergänzt: „Je mehr wir uns GOTT überlassen, desto mehr kann er mit uns machen. Und niemals befinden wir uns so ganz unter SEINER Leitung, als wenn wir uns selbst am wenigsten vertrauen und uns völlig hingeben, um von IHM geführt zu werden.“
Auch der hl. Leonhard fügt seinem ersten Paragraphen demgemäß sogleich den zweiten hinzu:
Vertrauen auf Gott
§. 2. Wenn ich mich also durch gänzliches Mißtrauen gegen mich selbst vor Gott vernichtet habe, will ich mich wieder erheben durch festes Vertrauen auf Ihn und Seinen göttlichen Beistand, und will es mit aller Zuversicht für ganz gewiß halten, daß der Allmächtige, mein Gott und Herr, mir helfen will. Ja, ich halte es für ganz unzweifelhaft, daß der Herr, wenn ich Ihn nur oft mit den genannten Worten: „Mein Jesus, Barmherzigkeit,“ um Seinen Beistand anflehe, mir die allerkräftigste Gnadenhilfe verleihen wird, die hl. Vorsätze wirklich auszuführen, die ich jetzt machen will einzig zu seiner Ehre und Glorie und um Seinen heiligsten Willen zu erfüllen, Sein göttliches Wohlgefallen zu gewinnen und den Einsprechungen zu gehorchen, mit denen er, wie immer, so besonders in dieser hl. Einsamkeit mich gleichsam stachelt. In ihr habe ich jetzt auch den festen Entschluß gefaßt, mit Seiner Gnade kräftig mitzuwirken, als wäre es der letzte Gnadenruf für mich. Und ich hoffe, daß ich nicht ferner untreu sein werde, wie ich’s leider in der verflossenen Zeit gewesen bin; vielmehr will ich im Vertrauen auf Seinen göttlichen Beistand alles pünktlich in’s Werk setzen; und solle ich zuweilen mich dagegen verfehlen, so werde ich sofort, wie schon oben besagt ist, mir eine Buße dafür auflegen.
Drei Hauptrichtungen sind es täglich, die ich mit möglichst großer Pünktlichkeit, Sorgfalt und Aufmerksamkeit zu vollbringen mich bemühen werde, und das sind: Die hl. Messe, das Chorgebet und das innerliche (betrachtende) Gebet.
Ehe wir auf diese drei Hauptrichtungen der Betätigung eingehen, soll uns P. Considine helfen, die richtige Grundeinstellung angesichts des neuen Jahres einzunehmen. Wie hat der Katholik mit der ihm von Gott geschenkten Zeit umzugehen, wie sieht es aus mit
Vergangenheit, Gebenwart und Zukunft
Es gibt Menschen, die scheinen mit einem Auge in die Zukunft zu blicken und mit dem andern in die Vergangenheit, aber für die Gegenwart haben sie keinen Blick. Gott gibt uns nicht Gnade für die Vergangenheit noch für die Zukunft; und wenn du noch so darüber jammerst, so wird dir deshalb die Gnade nicht wiedergegeben, die du in der Vergangenheit versäumt hast.
Sage nicht: „Ich wäre jetzt ein guter Mensch, hätte ich früher dieses oder jenes nicht getan.“ Im selben Augenblick, in dem wir bereuen, verzeiht uns Gott.
Da war eine schlimme Sünde deines heftigen Temperaments. Wenn zur Gewohnheit geworden, haftet es tief und verlangt eine größere Anstrengung, als wenn du nie der Versuchung nachgegeben hättest. Aber Gott wird dir eine besondere Gnade geben.
Wie töricht, sich um die Zukunft zu sorgen! Probier‘s einmal, Leute zu trösten, die diese üble Gewohnheit haben. „Ach ja“, werden sie sagen, „aber was ist dann in sechs Monaten?“
Sei nicht so töricht! Mache dir keine Sorgen um das, was kommen wird. Gott gibt dir nicht schon heute die Gnade für morgen. Laßt uns jetzt unser Bestes tun!
Die Heiligen leben nicht in der Vergangenheit, noch in der Zukunft, sondern sie bemühen sich, stets bereit zu sein für jeden Wink Gottes.
Mache dir keine Sorgen, ob du morgen dein Temperament zügeln könntest. Gott läßt uns auch schon deshalb unsere Todesstunde nicht voraussehen, damit wir nicht in die Zukunft starren. Die Kraft der Konzentration, an sich eine große Gabe, kann unsere ganze Aufmerksamkeit auf das lenken, was vor uns liegt. Aber die Zukunft ist in Gottes Hand. Und wir fürchten noch, daß sie uns fehlgehe?
Wie einfältig, zu meinen, wir könnten Besseres für unsere Zukunft tun, als zur gegenwärtigen Stunde den Willen Gottes zu erfüllen!
Vertrauen auf die Gnadenhilfe Gottes
Denke dir Gott als die Güte und bilde dir eine gute Meinung von Ihm! Er kann unmöglich grausam, hart oder lieblos sein. Es wäre kindisch und ungerecht, zu meinen, daß Gott nicht dein Bestes wolle und dir nicht gern helfe in deinen Schwierigkeiten.
Je mehr du einen Menschen liebst, desto mehr ist dir an seiner guten Meinung von dir gelegen. So auch Gott. Es mißfällt ihm, wenn wir klein von ihm denken und ihm zutrauen, er wolle unseren Herzenswunsch nach etwas Gutem nicht gern erfüllen. Wenn wir groß denken von Gott, ist uns alles möglich.
Zur Zeit ist die Versuchung sicher sehr, sehr groß, viel an die Zukunft zu denken und sich darüber Sorgen zu machen, was demnächst passiert. Auch wenn es nicht unbedingt falsch ist, Informationen über die Lage in der Welt einzuholen, so ist es doch auch wiederum vollkommen sicher, daß wir dadurch nichts ändern können. Die Zukunft liegt in Gottes Hand, das sagt uns unser hl. Glaube. Daraus folgt aber: „Wie einfältig, zu meinen, wir könnten Besseres für unsere Zukunft tun, als zur gegenwärtigen Stunde den Willen Gottes zu erfüllen!“
Mit dieser Einsicht, erhellt sich auch der Sinn der drei Hauptrichtungen des Vorsatzes des hl. Leonhard. Für ihn als Priester ist es unabdingbar, will er in der gegenwärtigen Stunde den Willen Gottes erfüllen, daß der seine Pflichten bezüglich der hl. Messe, dem Chorgebet und dem innerlichen (betrachtenden) Gebet pünktlich und treu erfüllt.
Bevor wir uns diesen drei Hauptrichtungen und den Vorsätzen des Heiligen zuwenden, ist es notwendig, eine Bemerkung aus dem Vorwort des Herausgebers wiederzugeben.
Es bedarf übrigens keiner näheren Erörterung, daß diese Vorsätze, eben weil sie für eine Seele, die schon einen heroischen Grad der Tugenden erreicht hatte, geschrieben sind, nicht ohne weiteres zu einer Nachahmung ohne Diskretion empfohlen werden können. Das hieße sich eine Rüstung anlegen, die, für einen Riesen berechnet, eine gewöhnliche Kraft nur zu Boden drücken würde. Auch sind die Wege im geistigen Leben bei aller Einheit des Zieles gar verschieden, und nicht alles paßt für alle, namentlich nicht eine so außerordentliche Strenge in äußeren Abtötungen. Indes wen auch der heroische Grad, in dem der hl. Leonhardus alle Tugenden übte, nur sehr wenigen erreichbar ist, der echt christliche und echt priesterliche Geist, von dem sein Leben ganz durchdrungen ist, die Tugenden, die er übte, die allgemeinen Mittel, die er dazu anwandte, bleiben für alle Zeiten, Länder und Personen. Alle müssen dasselbe Ziel wie er erstreben, nämlich Gott allein; Alle auch denselben Weg dahin einschlagen, nämlich, in steter Selbstverleugnung das Niedere opfern, um das Höchste zu gewinnen. Und in diesem Sinne müssen die Vorsätze dieser heiligen Seele uns allen ein Spiegel, ein Sporn, ein Vorbild sein.
Ernst machen mit dem letzten Ziel
Es ist ein recht ansprechendes Bild: „Das hieße sich eine Rüstung anlegen, die, für einen Riesen berechnet, eine gewöhnliche Kraft nur zu Boden drücken würde.“ Das gilt es in den folgenden Vorsätzen immer zu beachten, für uns Normalsterbliche sind sie nicht eins zu eins umzusetzen, was aber durchaus nicht heißt, daß sie gar nicht für uns passen. Diese von einer heroischen Seele aufgezeichneten Vorsätze führen uns vor Augen, was es heißt, ganz ernst zu machen mit dem letzten Ziel, denn: „Alle müssen dasselbe Ziel, wie er, erstreben, nämlich Gott allein; Alle auch denselben Weg dahin einschlagen, nämlich, in steter Selbstverleugnung das Niedere opfern, um das Höchste zu gewinnen.“ Letztlich hat keiner eine Ausrede, denn auch für ihn gilt, daß er Gott, den Herrn, mit ganzen Herzen lieben muß, mit ganzer Seele und mit ganzem Verstand – und den Nächsten wie sich selbst. Die Vorsätze des Heiligen sind vor allem auch ein Echo dieses „ganz“.
Folgen wir dem Heiligen zunächst einmal in seinem Bemühen, dem Geheimnis des hl. Meßopfers gerecht zu werden.
Übung und Andacht des Gebetes
§. 3. Mit äußerster Sorgfalt will ich mich zur hl. Messe vorbereiten. Zu dem Ende [Ziel] werde ich täglich zweimal beichten und mir dazu die zur Vorbereitung nötige Zeit nehmen. Wenn ich zuweilen, sei es wegen vieler Beschäftigung, oder weil ich keinen Beichtvater zur Hand habe, zu den Füßen des Priesters die Beichte nicht ablegen könnte, so will ich sie im Geiste zu den Füßen Jesu ablegen, indem ich dieselben Akte erwecke und mir eine Buße auflege, als hätte ich wirklich gebeichtet. Alles dies tue ich, um mich dem Altar mit aller Reinheit des Herzens zu nähern, so wie auch, um die Gnade zu vermehren, die ich mit einer einzigen hl. Beichte mehr zu mehren hoffe, als mit vielen anderen guten Werken, welcher Art sie auch sein mögen. Wenn die Zeit es erlaubt, so will ich die von der Kirche verordneten Psalmen beten, wenn nicht, so will ich dafür innere Akte erwecken; nie jedoch will ich es unterlassen, 33mal das hl. Blut Jesu dem ewigen Vater aufzuopfern, auf daß dieses kostbare Blut zur Abwaschung meiner armen Seele diene. … Ich will mich bemühen, auf das genaueste alle Zeremonien, Rubriken, Kreuze und Kniebeugungen zu beobachten, ohne auch nur eine einzige zu übergehen; zugleich will ich mich der höchsten Eingezogenheit im Äußern und wahren Sammlung im Innern befleißigen, will aufmerken auf den Sinn der Worte und das göttliche Opfer zu jenen vier Hauptzwecken darbringen, nämlich: um zu loben die göttliche Majestät, die unendlichen Lobes würdig ist, um Gott für so viele mir erwiesenen Wohltaten zu danken, um Genugtuung zu leisten für so viele Sünden, und um Ihn, den Spender aller Gnaden, demütig um neue Gedanken zu bitten. … Im Augenblick der hl. Kommunion will ich in meinem Herzen Akte des lebendigen Glaubens, der Liebe, der Reue und des innigsten Verlangens, mich ganz in Jesus umzuwandeln, erwecken; zugleich will ich jeden Morgen die hl. Kommunion als meine letzte Wegzehrung empfangen. Nach der hl. Messe halte ich die übliche Danksagung und verrichte die üblichen Gebete. … Stets will ich vor Augen haben, daß zur würdigen Vorbereitung und Danksagung am allermeisten ein reines und demütiges Herz, das erleuchtet von einem lebendigen Glauben, viele Akte von innerlicher Demut, von Aufopferung, Lob, Liebe und Reue erweckt, erforderlich ist. Und da die hl. Messe der größte Schatz ist, dessen wir uns auf dieser Welt erfreuen, so will ich so viele hl. Messen anhören, als ich nur kann und meine Geschäfte mir erlauben; und jeden Morgen, wenn ich den Akt der Aufopferung mache, erneuere ich das Verlangen und Meinung, alle hl. Messen zu hören, welche an dem Tag auf der ganzen Welt gelesen werden.
Das hl. Meßopfer
Das hl. Meßopfer ist das Geheimnis des Glaubens, die Vergegenwärtigung des vollkommenen Opfers des einzig wahren Hohenpriester nach der Ordnung des Melchisedech auf unseren Altären. Durch dieses wahre Opfer werden unsere Sünden gesühnt und die Ehre Gottes wiederhergestellt. Dieses Opfer wird dem himmlischen Vater in der Form des Ritus der heiligen katholischen Kirche dargebracht, weshalb diesem höchste Ehrfurcht gebührt. Der Priester ist nur Diener Jesu Christi und Seiner Kirche. Damit er würdig an den Altar treten kann, muß er sich entsprechend vorbereiten, um sich „dem Altar mit aller Reinheit des Herzens zu nähern“. Nach der hl. Wandlung ist Jesus Christus als Opferfrucht des Neuen Bundes mit Gottheit und Menschheit, mit Fleisch und Blut auf dem Altar gegenwärtig. Deswegen nimmt sich der Heilige vor: „Im Augenblick der hl. Kommunion will ich in meinem Herzen Akte des lebendigen Glaubens, der Liebe, der Reue und des innigsten Verlangens, mich ganz in Jesus umzuwandeln, erwecken.“ Bei so vielen unaussprechlichen Gnaden, die mich ganz in Jesus umwandeln sollen, nimmt letztlich der Dank kein Ende. Das soll wenigstens durch eine kurze Danksagung nach der hl. Messe zum Ausdruck gebracht werden. Um wie viel gnadenvoller wäre das hl. Meßopfer für uns, wenn wir diesen Vorsätzen des hl. Leonhard folgen würden.
Das innerliche Gebet
Wir übergehen § 4 und 5, die über das Chorgebet im Kloster handeln, und kommen zu §. 6.
Was das innerliche Gebet angeht, so will ich mich bestreben, es mir ganz vertraut zu machen, auf daß es mein tägliches Brot sei. Deshalb werde ich nie die gewöhnlichen drei Stunden des innerlichen Gebetes, die unser Institut vorschreibt, unterlassen; und kann ich sie wegen vieler Geschäfte nicht bei Tage halten, so will sich die Stunden der Nacht dazu nehmen. Wenn ich mich durch den hl. Gehorsam außerhalb des Konventes beschäftigt finde, sei es, daß ich auf Reisen bin oder andere Angelegenheiten verhandle, will ich zu den bestimmten Zeiten des innerlichen Gebetes Stillschweigen beobachten und innerlich mich gesammelt halten; und bin ich mit dem Ordensbruder, der mich begleitet, allein, so werde ich ihn bitten, mich nicht zu stören. Dies nehme ich mir unerschütterlich vor, und zwar im Vertrauen auf die göttliche Gnade, wohl wissend, daß ich ohne ihren Beistand nichts von allen diesen heiligen Vorsätzen halten werde. … Ja, alles, was mir an Zeit übrig bleibt von meinen gewöhnlichen Beschäftigungen, sei es im Kloster oder auf der Mission, alles das will ich aufs Gebet verwenden, und wären es auch noch so kleine Zeitteilchen, indem ich in hl. Zwiegesprächen mit Gott mich beschäftige, innerlich mich in seiner göttlichen Gegenwart gesammelt halte und entweder verschiedene innere Akte, wie oben gesagt ist, erwecke, oder bloß im Innersten der Seele liebend zu Ihm aufblicke und Seine allerliebenswürdigste Gegenwart im vertraulichen Umgang genieße. Deswegen werde ich die Weltleute fliehen, wofern nicht die reine Notwendigkeit mich zwingt, mit ihren Angelegenheiten mich zu befassen; ich will daher mich gar nicht darum kümmern, daß man mich für grob und ungeschliffen hält, wenn ich sie nicht besuche und mit ihnen verkehre; vielmehr will ich die Zelle lieben, oder einen Winkel im Chor, wenn ich im Konvent, und mein Zimmer, wenn ich auf Mission bin.
Die Sammlung üben
Der Umgang mit Gott, das innerliche Gebet, erfordert eine ständige Sammlung der Seelenkräfte. Natürlich ist das für Menschen, die in der Welt leben, nicht in gleicher Weise möglich wie für einen Ordensmann. Aber dennoch ist es auch für den Katholiken in der Welt notwendig, die Sammlung zu üben, will er gut beten lernen. Dazu ist es mehr als im Kloster, das doch vom weltlichen Getriebe und Lärm weitgehend abgeschirmt ist, notwendig, alles zu meiden, was die Seele zerstreut. Wie will etwa jemand beten können, wenn bei ihm zuhause den ganzen Tag das Radio läuft? Bei einer solchen Dauerberieselung mit Lärm, kann das Gebet nur oberflächlich und schlecht sein.
Was in den Vorsätzen des hl. Leonhard noch besonders deutlich wird, das innerliche Gebet braucht Zeit. Sein Vorsatz bezüglich der Aufgaben außerhalb des Klosters, gelten sicher auch in gewisser Weise für uns: „Wenn ich mich durch den hl. Gehorsam außerhalb des Konventes beschäftigt finde, sei es, daß ich auf Reisen bin oder andere Angelegenheiten verhandle, will ich zu den bestimmten Zeiten des innerlichen Gebetes Stillschweigen beobachten und innerlich mich gesammelt halten; und bin ich mit dem Ordensbruder, der mich begleitet, allein, so werde ich ihn bitten, mich nicht zu stören.“
Liebesverkehr mit Gott
Wie hat aber der Heilige gebetet? Wie war sein Gebet aufgebaut, was hat er dabei beachtet?
Die gewöhnliche Weise meines Gebetes wird sein, innerlich in mich einzukehren, Gott drinnen in mir zu suchen und für gewöhnlich mit einem der Geheimnisse des bitteren Leidens des Herrn, besonders mit der Betrachtung Jesu des Gekreuzigten, zu beginnen. Wenn ich dann durch verschiedene Anmutungen der Demut, Reue und Liebe mein Herz bereitet habe, will ich eingehen in das Innerste des Herzens meines gekreuzigten Erlösers, das ja der Mittelpunkt meiner Seele ist, und darin die Größe und Erhabenheit bald dieser, bald jener Seiner göttlichen Eigenschaften betrachten. Und wenn ich so mehrere Mal aus- und eingegangen bin, werde ich endlich ruhig verweilen in einer allgemeinen Aufmerksamkeit auf Gott, welche im oberen Teil der Seele die Liebe zu Ihm anregt. Darauf soll ja alles Gebet lediglich hinzielen, nämlich das Herz beständig im Liebesverkehr mit Gott zu erhalten. Zu diesem hl. Ziel kenne ich kein geeigneteres Mittel, als jene innere Sammlung des Gemütes, verbunden mit Stillschweigen und Losreißung von allen Geschöpfen. Und ich flehe zu Gott, daß er mich eher des Lebens berauben wolle, als dieses geheimen Verkehrs meiner Seele mit Ihm, der ja mein kleines Paradies auf Erden ist. Wenn ich mich dagegen verfehlen und Ihm durch meine Lauheit, oder irgendwelche kleine Anhänglichkeit an die Geschöpfe und an die Dinge dieser Welt Hindernisse legen sollte, so will ich es sogleich bereuen, mich deshalb verdemütigen und dem geistlichen Vater meine Schuld bekennen, um so dem Übel abzuhelfen.
Das Bittgebet
Mit diesen Gedanken hat jeder reichliche Anregungen für sein persönliches Gebetsleben. Der hl. Leonhard fügt noch einen eigenen Paragraphen über das Bittgebet an, der seine vorherigen Ausführungen ergänzt.
Bezüglich des Bittgebetes werde ich, um von Gott in allen meinen Handlungen Hilfe und Beistand zu erhalten, mir jenes Stoßgebet: „Mein Jesus, Barmherzigkeit“, vertraut, ja ganz vertraut machen. Ich habe schon mit Gott gleichsam ein Bündnis geschlossen, daß ich, so oft ich jene hl. Worte ausspreche, die Meinung mache, Ihn um die wirksame Gnade Seiner hl. Liebe zu bitten, und auch die reine Meinung erneuere, Ihm allein in allem gefallen und Seinen allerheiligsten Willen erfüllen zu wollen. Deshalb werde ich dieses Stoßgebet den Tag über mehrere tausendmal mündlich innerlich aussprechen; und diese wird auch noch ein schönes Mittel sein, mein Herz stets in Gott gesammelt zu halten, was doch das Geschäft aller Geschäfte ist. Damit dies mir leichter und besser gelinge, muß ich, was ich wohl erkenne, die drei Vermögen der Seele: Verstand, Gedächtnis und Willen, durch die drei göttlichen Tugenden: Glaube, Hoffnung und Liebe, noch mehr zu läutern und zu reinigen suchen.
Unser göttlicher Heiland ermuntert uns: „Bittet, und es wird euch gegeben; sucht, und ihr werdet finden; klopft an, und es wird euch aufgetan.“ (Mt. 7,7) Es ist der Wille Gottes, daß wir IHN um all Seine Gaben, ganz besonders um die zum Heil notwendigen Gnaden bitten. Gott will das, obwohl ER in Seiner Allwissenheit natürlich sogar besser als wir weiß, was wir brauchen. Warum ist das so? Um unseretwillen! Denn durch unsere ständigen Bitten wenden wir uns Gott zu, erkennen unsere eigene Unfähigkeit und Armut an und machen uns für die Gnaden bereit. Der hl. Leonhard von Porto Maurizio hat all seine Bitten in einem Stoßgebet zusammengefaßt: „Mein Jesus, Barmherzigkeit!“ Dieses will er tagsüber wieder und wieder still im Herzen beten, – mehrere tausendmal mündlich innerlich aussprechen – um dadurch sein Herz stets gesammelt in Gott zu halten.
Wohl alle Lehrer des inneren Gebetes weisen auf den großen Segen der Stoßgebete hin. Auf die Frage der römischen Witwe Proba im Jahr 130 n. Chr an den hl. Augustinus, was „unablässig beten“ (1. Thess. 5, 17) bedeute, antwortete dieser: „Man sagt, daß die Mönche in Ägypten fast unablässig beten, doch sind es sehr kurze Gebete, so wie Pfeile. Dadurch wollen sie vermeiden, daß die für die Beter so notwendige Wachsamkeit nachlassen könnte und sich verflüchtige, wenn das Gebet zu lange dauert … Es sollte auch nicht allzu viele Worte enthalten, sondern voll Hingabe sein; so kann es in wacher Aufmerksamkeit verharren.“
Jeder Leser wird wohl aus den Worten des hl. Leonhard seine Liebe zu Gott und seinen übergroßen Eifer für die Ehre Gottes heraushören, aber zugleich auch spüren, wie weit beides über unser gewöhnliches Maß hinausgeht. Kann man sich also einfach damit beruhigen: Das ist eben ein Heiliger – und ich bin keiner! Soll man sich mit dem eigenen, bescheidenen Maß abfinden und damit womöglich die Lauheit gutreden? Sicher nicht! Jeder muß immer wieder sich darüber Rechenschaft ablegen, was ihm Gott tatsächlich wert ist. Der Beginn des Jahres ist der richtige Anlaß, mit P. Considine unsere Lebenszeit zu überschauen:
Unsere Lebenszeit
Wir müßten sehr dumm oder sehr eigensinnig sein, wollten wir behaupten, jedes kurze Leben sei ein Fehlschlag, jedes lange dagegen ein Erfolg. Der wahre Maßstab für unser Handeln ist nicht seine Dauer, sondern seine Kraftfülle. „Eine vollausgefüllte Stunde ruhmreichen Lebens ist ein Menschenalter ohne Namen wert.“ Dieses Sprichwort ist nicht nur schön, sondern auch wahr. Kein Leben, das erfüllt hat, was Gott von ihm verlangte, das die Frucht getragen, für die er es geschaffen, dürfen wir für unvollendet halten, noch sein Ende vorzeitig nennen. Selbst die alten Heiden begriffen, daß ein langes Leben nicht immer ein Segen ist. Deshalb prägten sie das Sprichwort: „Jung stirbt, den die Götter lieben.“ Sie sahen und spürten die Mühen des Lebens und schätzten jene glücklich, die ihnen entronnen waren. Um wieviel mehr darf der Christ glauben, daß Gott aus Güte, nicht aus Rache die Spanne des Menschenlebens verkürzen kann, um seine Schönheit und Reinheit zu steigern, nicht etwa zu verringern, so daß sich die Worte aus dem Buch der Weisheit bewahrheiten: „Er ward hinweggenommen, damit nicht die Bosheit seinen Sinn verkehrte noch Trug seine Seele täuschte. Denn der Zauber der Eitelkeit verdunkelt das Gute, und die unstete Begierlichkeit verkehrt auch arglosen Sinn.“
Die vergängliche Welt ist lustig genug, solange sie dauert — voll glitzerndem Tand und schimmerndem Schein, voll Flittergold und Talmi [Falschgold], hinter dem nichts Echtes steckt. Ihr Lachen klingt hohl, ihre Beteuerungen unaufrichtig. Selbst wenn sie ihr Bestes gäbe, es könnte die hungrige Seele nicht sättigen. All ihre heißbegehrten, heißumstrittenen Güter können nur dazu dienen, den Hunger, den sie stillen sollten, noch zu steigern. Die Reichen sehnen sich nach immer größerem Reichtum. Die Ehrgeizigen greifen nach immer größerer Macht. Wenn wir unsern Blick nicht über den Horizont dieser Welt mit all ihrer Pracht erheben, wenn wir, betört von ihrem Geschwätz, dem Götzendienst an ihren Altären frönen, werden wir wenig Herzensfreude, wohl aber viel Geistesverwirrung ernten.
Alle Versuche dieser Welt, das Glück zu erlangen, leiden unter einem unheilbaren Fehler: Sie sind so kurzlebig wie ihr Ursprung. Wir sind in ihrer Art erzogen und atmen ihre Luft. Es fällt uns schwer, sie anders einzuschätzen, als sie selbst sich einschätzt. Sie kriecht vor uns, wenn wir sie verachten, und tritt uns mit Füßen, wenn wir sie fürchten. Sie macht uns hundert Versprechungen. Denn sie denkt nie daran, sie einzulösen. Sie setzt sogar die Maske der Frömmigkeit auf, um uns besser täuschen zu können. Sie geht ein großes Stück Weg mit uns, um dann einen Seitenweg einzuschlagen und uns in die Irre zu führen. Uns abzulenken, von ernsten Gedanken fernzuhalten, die Augen zu verbinden, daß wir nicht sehen, wohin die Reise geht, ist ihre planmäßige Politik und das Geheimnis ihrer Macht. …
Wir stehen im Geist hoch oben im Himmel und schauen herab auf die Erde oder auf den Raum, wo sie einst kreiste. Im Licht, das von dem großen weißen Thron ausstrahlt, liegen alle Dinge klar vor uns. Die Nebel der Erde teilen sich und ziehen von dannen. Der Schein der Welt, ihre Heuchelei, ihre falschen Maßstäbe werden zuschanden. Nur die Wahrheit, nur die Tugend, nur der sittliche Mut, vor allem aber der heldenhafte sittliche Mut findet nun seinen Lohn, einen ewigen Lohn.
Die Kraft des Glaubens
Uns modernen Menschen fehlt die Kraft des Glaubens. Diese Kraft des Glaubens kommt von seinem göttlichen Ursprung. Unsere Glaube ist göttlich verbürgte Wahrheit. Darum gibt es kein Wenn und Aber, insofern es um diesen Glauben geht. Für uns moderne Menschen geht es konkret darum, aus dem Glauben als einer reinen Hypothese, also einem Hirngespinst, wieder eine Schau der Wirklichkeit zu machen. Die uns von Gott geoffenbarten und von der hl. Kirche unfehlbar vorgelegten Glaubenswahrheiten sind deswegen absolut sicher, weil sie die göttliche Beschreibung der Wirklichkeit sind. Diese übernatürliche Glaubenssicherheit gilt es, sich durch dauernde Übung anzueignen.
Übung des Glaubens
§. 8. Ein wohlgeläutertes Glaubens-Auge bringt die Seele zur Herrschaft über sich selbst, und führt sie sichern Weges zur ewigen Seligkeit. Ich will mich daher nicht mit einem gewöhnlichen und, um mich so auszudrücken, spekulativen Glauben begnügen, sondern will mich in allen Dingen eines außerordentlichen Glaubens befleißigen, der nicht bloß lebendig ist, sondern auch ganz zur Tat und Ausführung kommt, der Gott in allen Dingen schaut, und auf Gott sie alle bezieht und ordnet. Mit diesem lebendigen, ganz zur Tat gewordenen Glauben (fides actuata), der seinen Sitz hat im oberen Teil der vernünftigen Seele, Intelligenz genannt, will ich alle Dinge abmessen. Vor allen meinen Handlungen, besonders vor den wichtigeren, werde ich ein wenig anhalten und einen Akt recht lebendigen Glaubens an die Gegenwart Gottes in mir erwecken, und so wird meine Seele große Kraft gewinnen, um mit Eifer zu wirken. Und es ist gewiß, je lebendiger unser Glaube an die übernatürlichen Wahrheiten ist, je mehr derselbe die Festigkeit hat, als sähen wir dieselben wirklich mit unseren Augen, um so größer wird auch der Eifer unseres Willens zum Wirken sein. Ich will mir also im Geiste gleichsam eine Einöde bilden, die ich das Land des Glaubens zu nennen pflege, und in der ich, vergessend auf alle Geschöpfe, mit Gott allein mich unterhalten und verkehren und in hl. Staunen seiner unendlichen Größe und Glorie anbeten werde. Ich will Ihn nicht anderswo suchen, als da drinnen in mir, im Zentrum meiner Seele, und das besonders zur Zeit des Gebetes, wie oben gesagt ist. Dann will ich, auf alle Dinge der Sinnenwelt vergessend, im Lichte des Glaubens Gott, dem Allerhöchsten, mit dem Auge der Liebe anschauen, mit Ihm einsam und allein mich unterhalten, und so mich gänzlich, so viel ich nur kann, in Ihn umzugestalten suchen. Auch außer der Zeit des Gebetes werde ich mich daran gewöhnen, in allen Geschöpfen die Güte meines Gottes zu betrachten; auf ihre äußere Hülle will ich gar kein Gewicht legen, sondern nur Den schätzen, welcher in der Kreatur gegenwärtig ist, Gott. Ich hoffe, daß mir, wenn ich also meinen Verstand durch die Tugend des nach Möglichkeit in steter Übung gehaltenen Glaubens geläutert habe, die Übung aller Tugenden besser gelingen werde. Um also den Glauben zu lebendiger Übung in mir zu bringen, werde ich häufig Akte desselben erwecken und alle Geheimnisse als unfehlbare Wahrheiten darum annehmen, weil sie uns von der ersten untrüglichen Wahrheit geoffenbart sind.
Unser heiliger katholischer Glaube ist keine reine Theorie, darum will ich mich „nicht mit einem gewöhnlichen und, um mich so auszudrücken, spekulativen Glauben begnügen“. Unser heiliger katholischer Glaube ist die Offenbarung der uns in Jesus Christus verheißenen ewigen Glückseligkeit, dem nie endenden Vollbesitz der Herrlichkeit des unendlichen Gottes. Unser heiliger katholischer Glaube ist aber zugleich auch die Offenbarung des Weges, der uns zu dieser ewigen Glückseligkeit führt, darum will ich „mich in allen Dingen eines außerordentlichen Glaubens befleißigen, der nicht bloß lebendig ist, sondern auch ganz zur Tat und Ausführung kommt, der Gott in allen Dingen schaut, und auf Gott sie alle bezieht und ordnet“.
In der Tat und mit der Tat glauben
Bedenkt man, was der hl. Leonhard von Porto Maurizio erklärt, könnte man angesichts unserer modernen Welt beinahe verzweifeln: „Mit diesem lebendigen, ganz zur Tat gewordenen Glauben (fides actuata), der seinen Sitz hat im oberen Teil der vernünftigen Seele, Intelligenz genannt, will ich alle Dinge abmessen.“ Diese Intelligenz scheint fast vollständig ausgestorben zu sein. Dem modernen Menschen gilt der Atheist als besonders intelligent, einem mittelalterlichen Menschen erscheint er einfach als Dummkopf. So hat sich die Sichtweise verändert. Insofern wir selber immer auch moderne Menschen sind, fällt es uns ganz schön schwer, in der Tat und mit der Tat zu glauben. Um uns wieder ganz zu bekehren, um den wahren, katholischen Standpunkt zurückzuerobern, rät uns der Heilige: „Ich will mir also im Geiste gleichsam eine Einöde bilden, die ich das Land des Glaubens zu nennen pflege, und in der ich, vergessend auf alle Geschöpfe, mit Gott allein mich unterhalten und verkehren und in hl. Staunen seine unendliche Größe und Glorie anbeten werde.“
Nein, Gott ist kein bloßer Gedanke, ER ist die allerwirklichste Wirklichkeit, von der alle anderen Dinge unserer Welt abhängen, denn ER ist ihr Schöpfer. Wir sollen in allen Dingen letztlich „Den schätzen, welcher in der Kreatur gegenwärtig ist, Gott“.
Der Glaube ist eine Tugend, weswegen er ständig geübt werden muß: „Um also den Glauben zu lebendiger Übung in mir zu bringen, werde ich häufig Akte desselben erwecken und alle Geheimnisse als unfehlbare Wahrheiten darum annehmen, weil sie uns von der ersten untrüglichen Wahrheit geoffenbart sind.“
Ein lebendiger Glaube drängt zur Tat, wozu ihn zudem die Tugend der Hoffnung zur Seite steht.
Übung der Hoffnung
§. 9. Die hl. Hoffnung erstrebt den Besitz Gottes, insofern er unsere höchste Seligkeit ist. Obwohl nun meine Sünden unzählig sind, so will ich sie doch alle in das Kostbare Blut Jesu versenken, und in meinem Herzen die hl. Hoffnung recht oft erwecken. Die unumstößlichen Grundsäulen meines Vertrauens, daß der Herr mein Heil will, sind: Seine Gerechtigkeit, Treue, Barmherzigkeit und Allmacht; und auf sie mich stützend, will ich mein ewiges Heil für moralisch sicher halten. Noch mehr: auf daß die Hoffnung Zuversicht werde, die eben ein sehr großes und starkes Vertrauen ist, will ich mir die Barmherzigkeit Gottes so groß vorstellen, daß sich, auf Grund der unendlichen Verdienste meines Herrn Jesu Christi, die ich mir häufig zuwenden und dem Allerhöchsten aufopfern will – und wegen des großen Wertes der hl. Ablässe, Meßopfer und Reueakte, die ich oft im Herzen erwecken will – sogar die Hoffnung fasse, zu meinem ewigen Heile zu gelangen, ohne auch nur das Fegfeuer zu berühren, obwohl ich bereit bin, in dem selben gerne, ja mit Danksagung, bis zum jüngsten Gericht, wenn es Gott so gefällt zu leiden. Dieses außerordentliche Vertrauen wird mir keineswegs zum Schaden, sondern großen Nutzen bringen; denn es schließt nicht die hl. kindliche Furcht aus, es gereicht zur größeren Ehre Gottes und macht mich in allen Werken sorgfältiger und umsichtiger. Um jenes Ziel zu erreichen, nehme ich mir vor, nicht nur die läßlichen Sünden, sondern auch die geringsten Unvollkommenheiten zu vermeiden, und mir alle Mühe zu geben, um recht viele Ablässe zu gewinnen, recht viele hl. Messen zu hören, und in allem, was meinen geistlichen Fortschritt angeht, genau und pünktlich zu sein. Um nun eine so schöne Gnade zu erhalten, will ich häufig die Barmherzigkeit Gottes mit dem Stoßgebetlein: „Mein Jesus, Barmherzigkeit“ anrufen. Ja, ich werde mich dieses kleinen Gebetes als eines kräftigen Mittels bedienen, um alle Gnaden vom Herrn zu erlangen. Gott spendet ja mit größter Barmherzigkeit, Treue und Freigebigkeit uns Seine Gnaden, die ich, so oft ich die Worte sage: „Mein Jesus, Barmherzigkeit“, von Gott zu erflehen die Meinung habe, ist es besonders die Gnade der Beharrlichkeit bis zum Ende und die wirksame Gnade, Ihn vollkommen zu lieben; denn wohlgemerkt, ist einmal in einer Seele die wahre Liebe zu Gott entzündet, so ist auch bald die Seele ganz umgewandelt, gereinigt und mit Gott vereint.
Die hl. Hoffnung ist wie der hl. Glaube eine göttliche Tugend, eine uns von Gott mit der heiligmachenden Gnade geschenkte Tugend. Sie wirkt wie ein Samenkorn in unserer Seele, aber sie muß erst zum Wachsen und zum Reifen gebracht werden. Unsere hl. Religion schenkt uns dazu so viele Mittel, wobei der hl. Leonhard wiederum ganz besonderes Vertrauen in sein Stoßgebet: „Mein Jesus, Barmherzigkeit“ hat.
Werfen wir abschließend noch einen kurzen Blick auf die
Übung der Liebe zu Gott
§. 10. Die Liebe, die auf Gott schaut als das höchste Gut, ja als das unermeßliche Meer aller Güter, das alle möglichen Vollkommenheiten in sich enthält und deshalb um Seiner selbst willen geliebt werden muß – die Liebe, das beteuere ich – will ich in meinem Herzen als das Endziel aller meiner Gedanken und Erstrebungen, Bewegungen und Werke beständig bewahren. Ja, ich beteuere es, ich will keine Sache mit Überlegung wollen, die irgendwie der hl. Liebe zu Gott widerstrebt. … Damit es mir gelinge, von jedem, auch dem kleinsten Fehler mich ganz rein zu erhalten, werde ich ununterbrochen in der Gegenwart Gottes wandeln, meinen Eigenwillen und alle bösen Neigungen auch in den kleinsten Dingen abtöten, dagegen als wahre Schätze ansehen alle Verachtungen, Verdemütigungen, Widersprüche, Schmerzen und die Armut mit all‘ den Beschwerden und Unbequemlichkeiten, die ein armes und büßendes Ordensleben mit sich bringt, und die ich alle, groß oder klein, willig ertragen will. Ja, ich werde mich bemühen, immer mehr Liebe und Neigung zu einem strengen Bußleben und zu all dem, was der verdorbenen Natur zuwider ist, zu gewinnen und ein weichliches, bequemes Leben verabscheuen. … Ich werde daher vielmals in meinem Herzen Akte der Liebe erwecken, nämlich: Akte der Liebe des Wohlgefallens, indem ich an Seiner unendlichen Vollkommenheit mich erfreue; – Akte der Liebe des Wohlwollens, indem ich innigst verlange, daß alle Ihn lieben und benedeien; – Akte der Liebe und Hochschätzung, indem ich Ihn höher achte, als das ganze Weltall, ja für ein Nichts ansehe alles, was nicht Gott ist; – endlich auch Akte der schmerzlichsten Reue, daß ich Ihn so sehr beleidigt habe. Ja, bei allem, was ich denke und tue, habe ich die Meinung, es mit Überlegung zu dem einzigen Ziel zu tun, Gott zu lieben und Gott zu gefallen; und ich werde darauf achten, keinen Akt unüberlegt zu vollbringen, sondern alles, so viel ich kann, mit wirklicher Überlegung oder doch dem Willen nach (aktuell oder virtuell) deswegen zu tun, Gott zu lieben und in Liebe mich ganz aufzulösen. Deshalb will ich alle Zeit, die mir von meinen gewöhnlichen Beschäftigungen erübrigt, ganz zum Gebete verwenden, um mich mit Gott in steter Vereinigung zu erhalten und so Seine Gnade immer mehr in mir zu vermehren; auch will ich fortwährend in alle meine Handlungen Akte des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe einflechten. Das soll mein innerliches, mir ganz vertrautes und fast unaufhörliches Geschäft sein. …
Und ich erkläre hiermit, daß alle diese Vorsätze, die ich mache, einzig nur jene Liebeseinigung mit Gott bei Tag und bei Nacht und bei allen Unternehmungen und Beschäftigungen zum Endzweck haben. Und ich bitte die heiligste Jungfrau Maria, mir diese Gnade erlangen und diesen meinen Willen segnen zu wollen, auf daß er nie mehr sich umändere in Ewigkeit. Amen.
Die Königin aller Tugenden
Die Gottesliebe ist die Königin aller Tugenden. Der hl. Paulus beteuert: „Und wenn ich die Prophetengabe hätte und alle Geheimnisse durchschaute und alle Erkenntnis besäße, und wenn ich allen Glauben hätte, so daß ich Berge versetzte, hätte aber die Liebe nicht, so wäre ich nichts.“ (1 Kor. 13,2) Daraus ergibt sich der Vorsatz des hl. Leonhard: „…die Liebe, das beteuere ich – will ich in meinem Herzen als das Endziel aller meiner Gedanken und Erstrebungen, Bewegungen und Werke beständig bewahren.“ Dabei kann man Gott niemals genügend lieben, denn die Liebe zu Gott kennt kein Maß, kein Genug, keine Sättigung in diesem Leben. Um aber diese Wahrheit begreifen zu können, muß man beten und beten und nochmals beten. Deshalb will ich alle Zeit, die mir von meinen gewöhnlichen Beschäftigungen erübrigt, ganz zum Gebete verwenden, um mich mit Gott in steter Vereinigung zu erhalten und so Seine Gnade immer mehr in mir zu vermehren.
Die allerseligste Jungfrau und Gottesmutter Maria aber soll uns dazu helfen, in unserem Willen so gefestigt zu sein und zu bleiben, daß uns am Ende unseres Lebens durch die Gottesliebe Gott alles in allem sein wird. Der hl. Leonhard wählte sie zu seiner ganz besonderen Beschützerin, Mutter, Herrin und Patronin.
Doch kehren wir nochmals kurz zurück zu unserem jesuitischen Exerzitienmeister. Für jeden von uns ist es letztlich entscheidend, den Platz zu finden, den uns Gott in Seiner allweisen Vorsehung in dieser Welt zugewiesen hat.
Jeder hat seinen Platz
Wir wollen hier die Eigenschaften überdenken, die derjenige haben muß, der „Gottes Werk tun will“ (1 Korinther 3,9).
Obenan steht der Eifer. In Amerika pflegt man einem jungen Arbeiter zu sagen: „Leg dich hinein.“ Leg Hand ans Werk, laß dich von ihm fesseln! Apostel sein heißt: sich hineinlegen, sich einsetzen für Gott. Etwas von diesem Einsatz findet sich auf allen Gebieten des Lebens. Er besteht darin, nicht den ganzen Tag auf der Bühne der Weltgeschichte müßig dazustehen; nicht zu warten, bis vielleicht einer kommt und uns dingt, ohne daß wir seine Aufmerksamkeit auf uns ziehen, unsere Geschicklichkeit und unsere Kräfte zeigen.
Es gibt keine überflüssigen Hände, keinen Mann und keine Frau, die zufällig auf dieser Erde sind, so daß sie ihre Zeit damit verbringen könnten, neugierig herumzustehen. Gott hat uns allen einen Platz angewiesen, eine Aufgabe zugeteilt. Wir alle müssen unsern Teil leisten. …
„Arbeitet, bis ich wiederkomme!“ sagt der Herr Seinen Jüngern. Wuchert mit den Talenten! Bleibt nie müßig! Sucht immer neue Arten, neue Systeme, die Talente einzusetzen! Sucht neue Wege, um himmlischen Lohn zu gewinnen!
Unser Leib und unsere Seele bleiben Eigentum Gottes. Wir müssen darauf achten, sie gut zu gebrauchen, um eine für uns günstige Bilanz vorweisen zu können, wenn wir in der Stunde des Todes Rechenschaft ablegen müssen. Wie seltsam kommt uns im Lichte dieser Wahrheit das Geschrei vieler Menschen vor: „Das Leben ist eine Last! Das Leben verdient nicht, gelebt zu werden! Wozu bin ich geschaffen worden?“
Das Leben ist nur für jene eine Last, die sich selbst zum Mittelpunkt ihres Lebens machen, die nicht über sich selbst hinaussehen. Solche Menschen empfinden Ekel und Überdruß, und das mit Recht. Ein französischer Schriftsteller schrieb: „Nur über eines sind alle Menschen gesprächig: über sich selbst.“ Kann sein, aber auch dieser Gegenstand ist bald ausgeschöpft! Das Leben wäre eine Enttäuschung, würden wir seinen Sinn nicht erfassen. In Wirklichkeit ist es interessant und anregend. Wir müssen uns nur zurechtfinden, uns einsetzen, die Kunst eines würdigen Lebens lernen und lehren!