Beten lernen…

Für jeden von uns ist eine Zeit der Besinnung öfter notwendig, wenn er nicht im Grau des Alltags ganz untergehen möchte. Ab und zu gilt es, in das eigene Haus einzukehren, damit ist das Haus der Seele gemeint, jene inwendige Welt, die man im Getriebe des Alltags nur allzu leicht und allzu schnell aus dem Auge verliert. „Wir bedenken nicht, daß es im Innern eine eigene Welt gibt“ (Burg, 4 W 1, 9), mahnt die hl. Teresa von Avila – und wie recht hat sie damit! Sobald wir versuchen, diese Wahrheit recht zu bedenken, um sodann den Schritt in diese zunächst ganz verborgene innere Welt zu vollziehen, begegnen wir verschiedenen Schwierigkeiten, deren größte heutzutage wohl die dauernde Unruhe ist, dieser beinahe Zwang zu ununterbrochener Geschäftigkeit, wodurch man die Stille schon gar nicht mehr ertragen kann. Man nennt diesen Zwang zu Unruhe und dauernder Geschäftigkeit „Streß“. Dieses Hindernis gilt es also zuerst zu überwinden, will man in das Haus der eigenen Seele Einlaß finden – und der notwendige Schlüssel dazu ist die Stille, das regelmäßig und ausdrücklich geübte Schweigen. Ohne dieses Schweigen bleibt uns die innere Welt vollkommen fremd, ja wir vergessen sogar darauf, daß wir eine Seele haben. Dieses Vergessen hat sich inzwischen bei den meisten Zeitgenossen zu der zumindest praktischen Leugnung erhärtet, daß es überhaupt eine Seele, eine inwendige, geistige Welt gibt.

Blickt man auf den fast überall gegenwärtigen Lärm, so ahnt man, wie trostlos es in den allermeisten Seelen aussehen muß. Die Seelenhäuser stehen öde da und wie unser göttlicher Seelenkenner uns belehrt: „Wenn ein unreiner Geist aus einem Menschen ausgefahren ist, schweift er durch die Wüste und sucht eine Ruhestätte, findet aber keine. Da denkt er: Ich will in mein Haus zurückkehren, aus dem ich ausgezogen bin. Und wenn er kommt und es leer, ausgefegt und geschmückt vorfindet, geht er hin und holt noch sieben andere Geister, die schlimmer sind als er selbst. Sie ziehen ein und lassen sich darin nieder. Und die letzten Dinge jenes Menschen werden schlimmer sein als die ersten“ (Mt. 12, 43-45).

Die Gefahr der inneren Leere

Dieses Risiko möchte sicherlich keiner von uns eingehen, daß der unreine Geist mit noch sieben anderen, die schlimmer sind als er selbst, zurückkehrt und Wohnung nimmt in der Seele. Dann wären in der Tat die letzten Dinge schlimmer als die ersten. Wir sollten es ab und zu eingehend erwägen: Die innere Leere ist eine dauernde Einladung an den ruhelos umherirrenden Teufel, Wohnung zu nehmen in der Seele. Wir müssen uns darum ernsthaft bemühen, unser Seelenhaus – oder auch Seelenburg, wie die hl. Teresa vom Avila es nennt – nicht leer, ausgefegt und geschmückt zu lassen. Damit wir dies vermögen, müssen wir zunächst lernen, diese Wirklichkeit, die wir Seele nennen, wahrzunehmen. Die hl. Teresa ermahnt ihre Schwestern ausdrücklich dazu: „Es ist nämlich sehr wichtig, Schwestern, daß wir die Seele nicht für etwas Dunkles halten; da wir sie nicht sehen, kommt es einem gemeinhin ja so vor, als gäbe es kein anderes, kein innerliches Licht, sondern nur das, welches wir mit den Augen gewahren, und wir meinen leicht, in unserer Seele herrsche eine Art Finsternis“ (Innere Burg. 7 W 1,3; in der Folge „Burg“).

Stille und Gebet

Wenn wir die Seele nicht mit unseren irdischen Augen sehen können, dann muß es noch andere „Augen“ geben, die uns dies Unsichtbare sichtbar machen. Man spricht von den geistigen Augen der Seele, die von unserem hl. Glauben erleuchtet werden. Belehrt durch unseren hl. Glauben wird unsere Seele Gegenstand unserer Betrachtung, unseres Gebetes. „Nach meiner Erfahrung sind das Gebet und die Betrachtung das Tor, durch das man die Burg betreten kann“ (Burg, 1 W 1, 5. 7), lehrt die hl. Teresa. Während die Stille der Schlüssel zur Türe ist, ist die Türe selber das Gebet. Das nachdenkliche, aufmerksame, also betrachtende Gebet öffnet die Türe zur inneren Welt der Seele. Jedes wahre Gebet ist immer zunächst einmal geistige Einkehr, Bewußtwerden der inwendigen Welt Gottes. Denn sobald uns die heiligmachende Gnade in der hl. Taufe geschenkt wird, sind wir Kinder Gottes. Die Heilige Schrift spricht in aller Klarheit und voller Anmut vom Geheimnis der wesenhaften Einwohnung Gottes in der Seele. Schon im Alten Bund wird das kommende Gnadenreich angekündigt, das der göttliche Erlöser uns wiederschenken wird: „Ich gebe euch ein neues Herz und senke einen neuen Geist in euer Inneres. Ich nehme das steinerne Herz aus eurem Leibe und gebe euch ein fleischernes Herz. Ich senke in euer Inneres meinen Geist.“ (Ez. 36, 26f) So der Prophet Ezechiel. Beim Propheten Jeremias liest man: „Ich lege mein Gesetz in ihr Herz und schreib es in ihre Seele. So werde ich ihr Gott sein, und sie sollen mein Volk sein“ (Jer. 31, 33).

Wißt ihr nicht, daß ihr Gottes Tempel seid?

Der Neue Bund spricht selbstverständlich noch viel deutlicher von der Liebestätigkeit unseres göttlichen Erlösers, die Er in unserer Seele entfaltet und von der innigen, gegenseitigen Beziehung, die daraus erwächst. „Wißt ihr nicht, daß ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt?“ (1 Kor 3, 16) schreibt der hl. Paulus an die Korinther. Und an die Römer: „Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist“ (Röm 5, 5) In den Abschiedsreden beim hl. Evangelisten Johannes sagt der Herr: „Wenn jemand mich liebt, wird er an meinem Wort festhalten; mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und bei ihm wohnen“ (Joh 14, 23).

An sich weiß das jeder Katholik und natürlich wissen auch wir um diese Wahrheit. Aber was für einen Einfluß übt diese Wahrheit konkret auf unser Alltagsleben aus? Welch geringe Bedeutung hat diese übernatürliche, aber unseren Sinnen verborgene Tatsache auf unser Denken, Reden und Tun? Die hl. Teresa berichtet von ihren eigenen Erfahrungen, wie schwer es ihr fiel, dieser Tatsache zunächst einmal gedanklich Herr zu werden.

„Anfangs war ich in einer gewissen Unwissenheit befangen. Ich wußte nämlich nicht, daß Gott in allen Dingen ist, und es schien mir unmöglich, daß er mir so innig gegenwärtig sei, wie es mir vorkam; doch konnte ich den Glauben nicht aufgeben, daß Gott mir wirklich gegenwärtig ist, da ich meinte, seine persönliche Gegenwart fast klar in mir erkannt zu haben. Ungelehrte sagten mir zwar, Gott sei uns bloß durch seine Gnade gegenwärtig; aber ich konnte es nicht glauben, weil mir, wie gesagt, schien, er selbst sei in mir gegenwärtig. Diese Ungewißheit war mir schmerzlich. Da half mir aber ein sehr gelehrter Mann (P. Barón OP) aus meinem Zweifel: Dieser sagte mir, daß Gott wirklich in mir gegenwärtig sei.“

(Buch des Lebens, 18,15; in der Folge Leben)

Ströme lebendigen Wassers

Es ist schon recht merkwürdig und zudem sehr geheimnisvoll: Wir sind durch die heiligmachende Gnade Tempel der Allerheiligsten Dreifaltigkeit, aber wir spüren davon gewöhnlich überhaupt nichts! Wir nehmen diese unglaubliche Wirklichkeit nur mit Hilfe unseres Glaubens wahr. Die hl. Kirche bemüht sich, uns diesen Übergang vom Sklaven der Sünde zum Kind Gottes durch den Gottesdienst, die Andachten und Gebete auszudeuten und dadurch begreiflich und lebbar zu machen. Das geht jedoch nur mit unserer eifrigen Mitwirkung. Am Jakobbrunnen hat unser Herr Jesus ein Gespräch mit einer Samariterin, die gekommen ist, Wasser aus dem Brunnen zu schöpfen. Jesus bittet sie: „Gib mir zu trinken.“ Das erstaunt die Frau sehr, denn gewöhnlich meiden die Juden die Samariter: „Wie? Du, ein Jude, bittest mich, eine Samariterin, um einen Trunk?“ Hierauf entgegnet unser Herr: „Wenn du die Gabe Gottes kenntest und den, der zu dir sagt: ‚Gib mir zu trinken!‘, so hättest du ihn gebeten, und er hätte dir lebendiges Wasser gegeben.“ Die Frau ist wie wir, sie versteht die geistig gemeinten Worte Jesu rein fleischlich: „Herr, du hast keinen Eimer, und der Brunnen ist tief. Woher nimmst du denn das lebendige Wasser? Bist du etwa größer als unser Vater Jakob, der uns den Brunnen gegeben und selbst daraus getrunken hat, er, seine Söhne und seine Herden?“

Gibt es nun ein lebendiges Wasser, das nicht aus dem Brunnen Jakobs stammt, das man nicht einfach aus dem Brunnen schöpfen kann? Mit dem Wasser aus diesem Brunnen kann man zwar den Durst von Mensch und Tier stillen, aber nicht den Durst der Seelen. Deswegen erklärt unser göttlicher Lehrmeister der Samariterin: „Jeden, der von diesem Wasser trinkt, wird wieder dürsten. Wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm gebe, den wird in Ewigkeit nicht mehr dürsten. Vielmehr wird das Wasser, das ich ihm gebe, in ihm zu einer Quelle Wassers, das fortströmt ins ewige Leben“ (Joh. 4, 7-14). Was sollen wir uns nun aber unter einer Quelle Wassers, das fortströmt ins ewige Leben, vorstellen? Woher kommt dieses geheimnisvolle Wasser, das aus der Quelle fließt und ewiges Leben schenkt? Die hl. Mechthild von Hackeborn hatte einmal folgende Schau:

„In der Heiligen Nacht ehrte sie so viel sie vermochte die höchste Dreifaltigkeit mit ihrem Lobpreis. Da erblickte sie in der Entrückung des Geistes einen lebendigen Brunnen, glänzender als die Sonne, der, in sich selber und aus sich selber strömend, einen wundersamen Wohlgeruch von sich ausgehen ließ. Das Brunnenhaus war aufs gediegenste und kostbarste gearbeitet, und der Brunnen hatte sein Schöpfgefäß in sich selber; er trank sich selber, ohne Vermittlung eines menschlichen Werkes, und er teilte sich allen Wesen verschwenderisch mit. Im festgegründeten Brunnenhaus sah sie einen Hinweis auf die Allmacht des Vaters; im Schöpfgefäß einen solchen auf die ungeschaffene Weisheit des Sohnes Gottes, der sich seinem Wohlgefallen gemäß allen freiwillig hinverströmt, und sich jedem nach seinem Willen ausschenkt und mitteilt; die Süße des Wassers aber stellte dar die unsagbare Süßigkeit und Güte des Heiligen Geistes. Die herrliche Luft besagte, daß Gott das Leben aller Dinge ist, denn wie der Mensch nicht leben kann ohne Luft, so lebt keine Kreatur ohne Gott.“

(Mechthild von Hackeborn, Das Buch vom strömenden Lob, Johannes Verlag, Einsiedeln 1955, S. 21)

Gott ist das Leben auch unserer Seele. ER ist die Quelle in unserem Herzen, denn nur aus IHM leben wir, bewegen wir uns und sind wir. Wobei dieses Leben unserer Seele sogar gnadenhaft erhöht ist und uns Anteil gibt am innersten Geheimnis Gottes, an den unendlichen dreifaltigen Strömen, wie es die Heilige weiter sah:

„Im Umkreis des Brunnens, an seiner Fassung angebracht, waren sieben Säulen mit Kapitalen aus Saphir; zwischen ihnen flossen sieben Bäche hervor zu allen Heiligen hin: dergestalt, daß einer zu den Engeln, ein zweiter zu den Propheten, ein dritter zu den Aposteln, ein vierter zu den Märtyrern, ein fünfter zu den Bekennern, ein sechster zu den Jungfrauen, ein siebter zu allen übrigen Heiligen sich ergoß. Sie alle, in allen Gütern ersättigt, hauchten einander wundersamen Wohlgeruch zu, den jeder mit ehrfürchtigem Eifer in sich sog. Das deutete an, daß die Heiligen ihre Freude und alle ihre in Gott besessenen Güter einander in strömender Hingabe mitteilen.“

(Ebd.)

Die Seele unserer Seele

Die Ströme lebendigen Wassers quellen aus dem ewigen Urgrund der Allerheiligsten Dreifaltigkeit, um von dort aus sich zu den Engeln, den Propheten, den Aposteln, den Märtyrern, den Bekennern, den Jungfrauen und allen übrigen Heiligen – und von dort aus zu allen Seelen, die in der heiligmachenden Gnade leben – zu ergießen.

Wen nach diesem lebendigen Wasser dürstet, der muß zu Jesus Christus kommen, denn nur ER allein ist der Mittler zwischen Gott und den Menschen. ER sendet tatsächlich Seinen Geist in unser Herz, insofern wir an IHN glauben, d.h. der Heilige Geist wird zur Seele unserer Seele. Wir kennen sicher alle die Worte des hl. Paulus: „Denn ihr habt nicht einen Geist empfangen, der euch zu Sklaven macht, so daß ihr euch immer noch fürchten müßtet, sondern ihr habt den Geist empfangen, der euch zu Söhnen macht, den Geist, in dem wir rufen: Abba, Vater! So bezeugt der Geist selber unserem Geist, daß wir Kinder Gottes sind. Aber auch wir, obwohl wir als Erstlingsgabe den Geist haben, seufzen in unserem Herzen und warten darauf, daß wir mit der Erlösung unseres Leibes als Söhne offenbar werden“ (Röm 8, 15. 16. 23). „Denn alle, die sich vom Geist Gottes leiten lassen, sind Söhne Gottes“ (Röm 8, 14).

Eine strahlende Burg

Die hl. Teresa hatte als Kind in ihrem kleinen Zimmer ein Bild hängen, das Jesus und die Samariterin am Jakobsbrunnen darstellte. Gerne verrichtete die Heilige ihre kindlichen Gebete davor und sie wird wohl öfter darüber betend nachgedacht haben: „Wenn du die Gabe Gottes kenntest und den, der zu dir sagt: ‚Gib mir zu trinken!‘, so hättest du ihn gebeten, und er hätte dir lebendiges Wasser gegeben.“ Da ist es ihr immer mehr aufgegangen, was diese Gabe Gottes ist und daß es ein „Geheimnis des Inneren“ gibt, das wir Seele nennen und wie schwer es ist, dieses Geheimnis auch nur einigermaßen zu begreifen.

Später, als Ordensgründerin und Lehrmeisterin ihrer Schwestern, gebraucht die hl. Teresa die prächtigsten Bilder, um den „großen Wert“ (Burg, 1 W 1, 2), die erhabene Würde und Schönheit der Seele, den „Palast, wo der König weilt“ (Ebd., 1 W 2, 8), zu veranschaulichen. Die Seele ist ihr wie „eine Burg, die ganz aus einem Diamant oder einem sehr klaren Kristall besteht“ (Ebd., 1 W 1, 1). Gott macht aus ihr diesen funkelnden Kristall, „diese schöne und strahlende Burg, diese orientalische Perle, diesen Baum des Lebens, der inmitten der lebendigen Wasser des Lebens, also in Gott, gepflanzt ist“ (Ebd., 1 W 2, 1). Und sie fügt hinzu: „Ich finde nichts, mit dem sich die große Schönheit einer Seele, ihre Weite und ihre hohe Befähigung vergleichen ließe“ (Ebd., 1 W 1, 1).

Was nehmen wir von dieser unvergleichlichen Schönheit in unseren Gebeten wahr? Leider meistens gar nichts, oder höchstens nur den geringsten Schein eines schwachen Schattens. Die hl. Angelo von Foligno erzählte einmal folgendes:

„Während dieser unbeschreiblichen Offenbarung Gottes in der Seele wurde dieser einmal am Fest Mariä Lichtmeß, als die geweihten Kerzen für die Prozession zur Darstellung des Gottessohnes im Tempel ausgeteilt wurden, ihr eigenes Ich dargestellt. Und sie sah an sich so große Würde und Erhabenheit, daß sie niemals gedacht hätte, ihre eigene Seele, oder auch die Seelen des Paradieses besäßen und könnten überhaupt solche Würde besitzen. Und meine Seele konnte sich selber nicht begreifen. Wenn also eine Seele, geschaffen, begrenzt und umschrieben wie sie ist, sich selber nicht begreifen kann, um wieviel weniger kann sie dann den unermeßlichen und unbegrenzten Schöpfer Gott begreifen!“

(Angelo von Foligno, Zwischen den Abgründen, Johannes Verlag, Einsiedeln 1955, S.48)

Gebet zwischen zwei Abgründen

So steht denn unser Geist bei jedem Gebet zwischen zwei Abgründen: Dem Abgrund der eigenen Seele und des schaudererregenden Abgrundes Gottes. Das nimmt freilich nur derjenige wahr, der nicht nur Gebete hersagt, sondern mit dem Herzen betet. Unsere Heilige ist selbstverständlich eine solche Beterin, weshalb sie uns aus eigener Erfahrung lehren kann:

„Das Gebet ist nichts anderes als eine Offenbarung Gottes und seiner selbst, ist also die vollkommene und wahre Verdemütigung. Denn die Seele befindet sich im Zustand der Demut, wenn sie Gott sieht und sich selbst; dann ist sie in tiefer Demut, die ihrerseits die Gnade Gottes in der Seele vergrößert und vertieft. Denn je mehr die göttliche Gnade die Seele in der Verdemütigung erniedrigt, um so mehr kann sie darin selber wachsen; und je mehr die göttliche Gnade wächst, um so tiefer kann sie in der wahren Demut gründen und ruhen. Durch ein andauerndes gutes Gebet werden in der Seele das göttliche Licht und die Gnade vermehrt; und diese wiederum verankern die Seele immer tiefer in der wahren Demut, indem sie ohne Unterlaß das Leben des Gottmenschen Jesus Christus liest. Nichts Größeres kann ich erkennen als dies Offenbar-werden Gottes und seiner selbst. Aber das Zusammentreffen von beiden wird nur den rechtmäßigen Kindern Gottes geschenkt, die wahrhaft beten.“

(Ebd. S. 53)

Aber gerade das fällt uns recht schwer. Wann gelingt es uns schon, andächtig, gesammelt, aufmerksam in der Gegenwart Gottes zu verweilen? Je ernster wir versuchen, richtig zu beten, mit dem Herzen uns Gott zuzuwenden, desto mehr spürt man das Leid der eigenen Unfähigkeit. Die vielen Zerstreuungen werden uns zur Qual und es dünkt uns eine große Undankbarkeit oder gar Ehrfurchtslosigkeit, daß wir Gott nur so wenig lieben, daß wir IHM nicht einmal die Zuwendung schenken, die wir doch gewöhnlich selbst jedem Menschen schenken, der zu uns zu Besuch kommt.

„Ach, daß ich mich immer nur an der Oberfläche meiner Seele bewege“, klagte der Priester Auguste Joseph Alphonse Gratry einmal, „in die Tiefe, dorthin, wo du bist, Heiliger Geist, der du im Allheiligsten wohnst, in der Mitte des Abgrundes, tauche ich nicht hinab. Und doch, mein Gott, hast du mich einst in diesem Abgrund blicken lassen, in den Wurzelgrund, wo du dich verbirgst…“

Ein unfehlbarer Reisebegleiter

Wer kann uns helfen und führen, den verborgenen, geheimnisvollen Weg ins Innere unserer Seele zu finden? Gerade als der junge Tobias seine weite Reise antreten will, trifft er einen, „der den Weg nach Medien weiß“. Was für ein Glückfall für ihn, nunmehr nicht ins Ungewisse aufbrechen zu müssen! Wir wissen, der Reisegefährte des jungen Tobias war ein Engel, was aber Tobias gar nicht wußte: „Als alles beisammen war, was sie mitnehmen sollten, nahm Tobias Abschied von seinem Vater und von der Mutter; dann machte er sich mit dem Engel auf den Weg…“ (Tob. 5, 5 ff).

Auch wir müssen uns auf den Weg zur ewigen Heimat machen und auch uns begleitet ein Engel auf diesem Weg, ein Bote von der himmlischen Welt. Wenn also Tobias den Erzengel Raphael fragt: „Kennst du den Weg, der ins Land Medien führt?“ Und dieser ihm antwortet: „Ja, ich kenne ihn; oft schon bin ich all diese Wege gegangen“, dann erweist er sich als himmlischer Führer auf den Wegen Gottes. Wobei er uns ganz sicherlich wieder und wieder auf Eines aufmerksam machen wird: Daß wir Tempel des Heiligen Geistes, Tempel der Allerheiligsten Dreifaltigkeit sind. Der Heilige Geist, der verborgen in unserer Seele thront, als göttliches Lebensprinzip, das mit der heiligmachenden Gnade in unsere Seele eingegossen wird. Wenn wir also zum Beten gehen, trennen wir uns niemals von unserem himmlischen Führer – und vor allem nicht vom Heiligen Geist. Hören wir auf Seine leisen Anregungen in unserer Seele. Bedenken wir nur: Der Heilige Geist ist unser göttlicher Kampfgenosse, der uns den sicheren Sieg verleihen wird, wenn wir IHM nur in allem gehorchen.

Ein lästiger Störenfried

Jeder eifrige Beter macht ganz sicher folgende Erfahrung: Sobald ich mit bemühe, andächtig, gesammelt, aufmerksam, also recht zu beten, spüre ich schnell einen inneren Widerstand aufsteigen. Es ist, als träte plötzlich ein Störenfried an unsere Seite, der das Beten schwer macht, ja es einem mit aller Gewalt verleiden will.

Als Katholiken wissen wir, dieser Störenfried ist der Teufel, dem man nüchtern und beständig widerstehen muß, wie uns der hl. Petrus ermahnt: „Brüder, seid nüchtern und wachsam! Euer Widersacher, der Teufel, geht wie ein brüllender Löwe umher und sucht, wen er verschlingen kann. Widersteht ihn fest im Glauben!“ (1. Petrus 5, 8-9).

Da könnte man freilich versucht sein einzuwenden: Leichter gesagt als getan! Denn immerhin können wir den Teufel nicht sehen. Umso notwendiger ist eine gewisse Aufmerksamkeit, um seine unsichtbaren Angriffe entdecken zu können. Hierbei kann wiederum vor allem das regelmäßige und beharrliche Gebet sehr hilfreich sein. Denn wie gesagt, sobald wir richtig zu beten beginnen, können wir sicher sein, daß sich der Teufel einmischt.

Der hl. Petrus gibt die Weisung: „Widersteht ihm fest im Glauben!“ Das ist leicht begreiflich, denn nur mit Hilfe des Glaubens lernen wir den Teufel „sehen“ und durchschauen seine hinterhältigen Listen. Unser hl. Glaube gibt uns nämlich genügend Informationen über seine Wesensart als gefallener Engel, um sein Vorgehen gegen uns Menschen durchschauen zu können.

Grundsätzliches bezüglich der Versuchungen

Zunächst gilt es diese grundsätzliche Lehre bezüglich der Versuchungen zu erwägen:

„Lässt die Vorsehung diese Angriffe zu, so geschieht es nach dem allgemeinen Grundsatz, dass Gott nicht nur die Seelen direkt leitet, sondern auch durch die Vermittlung zweiter Ursachen, indem er den Geschöpfen eine gewisse Betätigungsfreiheit lässt. Übrigens ermahnt er uns, auf der Hut zu sein. Er sendet seine guten Engel, besonders unsern Schutzengel, zu Hilfe und zum Schutze, ohne von dem Beistand zu reden, den er selbst oder sein Sohn uns gewährt. Aus diesem Beistand ziehen wir Nutzen und besiegen den Teufel, erstarken in der Tugend und erwerben Verdienste für den Himmel. Dieses wunderbare Walten der Vorsehung zeigt uns deutlicher, welch’ hohe Bedeutung wir unserem Seelenheil und unserer Heiligung beimessen sollen, da Himmel und Hölle daran Anteil nehmen. Um den Preis des ewigen Lebens spielen sich außerhalb und zuweilen auch in unserer Seele heiße Kämpfe himmlischer und höllischer Mächte ab.“

(Ad. Tanquerey, Grundriss der aszetischen und mystischen Theologie, Desdlée & Co. Paris 1934, S. 169 f.)

Sind wir einmal ganz ehrlich, was nehmen wir eigentlich von diesen heißen Kämpfen zwischen den himmlischen und höllischen Mächten um unsere Seele wahr? Wohl nur ganz ganz wenig! Erschreckend wenig, insofern man die Wichtigkeit derselben bedenkt.

Die wichtigste Lehre bezüglich der Versuchungen ist wohl die: Gott läßt uns niemals über unsere Kräfte versucht werden. Wobei man sofort hinzufügen muß, daß uns das rein gefühlsmäßig, unserer Empfindung nach oft ganz anders vorkommt. Aber dies ist schon wieder eine der Täuschungen des Teufels – oder unserer eigenen Sinnlichkeit.

„Man darf nicht glauben“, belehrt uns der hl. Thomas von Aquin, „alle Versuchungen, die wir verspüren, kämen vom Teufel.“ Vielmehr ist unsere durch frühere Gewohnheiten und gegenwärtige Unvorsichtigkeiten erregte Begierlichkeit oft die alleinige Ursache. „Keiner sage, wenn er versucht wird: Ich werde von Gott versucht; denn Gott kann nicht zum Bösen versucht werden, und er versucht selbst niemanden! Wer versucht wird, wird von der eigenen Begierde gereizt und gelockt. Hat dann die Begierde empfangen, so gebiert sie die Sünde; die Sünde aber, wenn sie vollendet ist, gebiert den Tod“ (Jak. 1, 13-15).

Es wäre somit falsch, unsere eigenen Unvorsichtigkeiten auf den Teufel abzuwälzen. Dieses Vorgehen entspränge dem eigenen Stolz, der die eigenen Fehler nicht eingestehen möchte. Andererseits wäre es auch wieder verwegen zu behaupten, der Teufel übe keinerlei Einfluß auf uns aus. Das widerspräche der Heiligen Schrift und der ganzen Überlieferung.

Wie nun kann uns eigentlich der Teufel versuchen? Welche Möglichkeiten hat er als gefallener Engel, auf unseren Geist einzuwirken? Das zu wissen ist letztlich überlebensnotwendig. Das zu bedenken und sodann in unserm Kampf anzuwenden ist die Voraussetzung unseres Sieges.

Grundsätzlich gilt: Der Teufel kann nicht unmittelbar auf unsere höheren Fähigkeiten, Verstand und Willen, einwirken. Nur Gott allein hat unmittelbaren Zugang zum Heiligtum unserer Seele. Daraus folgt zudem: Gott allein kann unseren Willen direkt anregen, ohne uns Gewalt anzutun. ER bewegt unseren Willen in Freiheit.

Der Wille bleibt immer frei

Der Teufel hingegen kann unmittelbar auf unseren Leib einwirken, d.h. auf unsere äußeren und inneren Sinne. Was dabei besonders zu bedenken ist: Der Teufel kann auf unsere Einbildungskraft und unser Gedächtnis einwirken. Auch unsere Leidenschaften kann er über das sinnliche Empfindungsvermögen beeinflussen. So kann er etwa (sinnliche) Freude oder Angst erzeugen, wodurch er wiederum indirekt auf unseren Willen einwirkt, der durch die verschiedenen Regungen des Empfindungsvermögens bedrängt wird, seine Zustimmung zu geben. Dabei bleibt aber der Wille stets frei, wie der hl. Thomas hervorhebt: „Der Wille bleibt immer frei, den Leidenschaften zuzustimmen oder zu widerstehen.“ Mit anderen Worten: Der Teufel kann uns niemals zur Sünde zwingen! Das widerspräche übrigens der Sünde als eine wissentliche und willentliche Tat des Menschen, also eine mir entsprechender Einsicht und mit freiem Willen vollzogene Handlung.

Denken und Vorstellungskraft vs. Verstand

Diese Grundlehre über unseren Seelenstand auf unser tägliches Gebet anzuwenden ist äußerst wertvoll. Dadurch werden wir nämlich unmittelbar mit unseren seelischen Schwächen konfrontiert – und den tatsächlichen Versuchungen durch den Teufel!

Denken wir nur einmal an die beinahe erdrückende Unfähigkeit, beim Beten die Gedanken zu beherrschen, sie nicht einfach hilflos hin- und herwandern zu lassen. Bekommt man bei diesem alltäglichen Kampf nicht zuweilen arge Bedenken, ob man überhaupt Herr im eigenen Seelenhaus ist? Wenn wir nichts dagegen unternehmen, werden wir von unseren Stimmungen, Sorgen, dem täglichen Ärger wie das Schifflein Petri im Sturmwind umhergetrieben, so daß auch wir wie die Apostel voller Furcht rufen: „Herr, rette uns, wir gehen zugrunde!“ (Mt 8, 25). Auch die große hl. Teresa kannte diese Erfahrung:

„Ich habe mich manchmal sehr verängstigt in diesem Tumult des Denkens umherbewegt, und es ist wohl kaum mehr als vier Jahre her, daß ich durch Erfahrung zu der Erkenntnis kam, daß das Denken oder die Vorstellungskraft – um es verständlicher zu sagen – nicht der Verstand ist. Ich fragte einen Gelehrten, und der bestätigte es mir, was keine geringe Freude für mich war. Denn da der Verstand eine der Seelenkräfte ist, kam es mich hart an, daß er zuweilen so unbeständig schien, während das Denken für gewöhnlich so schnell umherfliegt, daß nur Gott es aufzuhalten vermag (…).“

(Burg, 4 W 1, 8)

Überwindung tut not

Eine nicht unwichtige Beobachtung für das Gebet: Wir sind nur begrenzt fähig, unsere Vorstellungskraft, also unsere Phantasie zu beherrschen. Wir können uns jedoch trotz dieses Tumults des Denkens mit unserem Verstand an der Wahrheit der Gegenwart Gottes festhalten, was eine nicht geringe Überwindung kosten kann. Nicht wenige geben nämlich schon hier den Kampf auf und sind zufrieden mit ihren mehr oder weniger andächtigen täglichen Gebetsübungen. Selbstverständlich wird auch der Teufel alles aufbieten, um uns vom rechten Beten abzuhalten. Selbst unsere Heilige gesteht ganz aufrichtig:

„Sooft ich konnte, dachte ich über diese Glaubenswahrheiten nach. Doch während mehrerer Jahre gab ich sehr oft mehr darauf acht, ob nicht möglichst bald die Gebetszeit, zu der ich verpflichtet war, zu Ende ging, und beschäftigte mich mehr mit dem Schlag der Uhr als mit anderen guten Gedanken; und ganz oft kam mir in den Sinn, daß ich wohl lieber eine schwere Buße auf mich genommen hätte, als mich zu sammeln und zu beten. (…) Die Traurigkeit, die mich beim Betreten des Chors überkam, war so unerträglich, daß ich meines ganzen Mutes bedurfte - der, wie man sagt, nicht gering ist, und wovon mir Gott, wie man gesehen hat, viel mehr gegeben hat als sonst einer Frau, nur habe ich ihn schlecht eingesetzt -, um mich zum Beten zu zwingen.“

(Leben 8, 7)

Diese Worte der hl. Teresa, dieser großen Beterin, sind womöglich ein wenig Trost für uns kleine Beter, die sich sicherlich nicht mir ihrem Mut messen können. Aber wie wir schon wissen, läßt uns Gott niemals über unsere Kräfte versucht werden.

Die Notwendigkeit der Sammlung

Unser Mut zeigt sich zunächst in unserem täglichen Gebet, das wir nicht dem Zufall überlassen dürfen. Wer nur dann betet, wenn ihm danach zumute ist, der hat vorneweg verloren. Jeder hat die Aufgabe, für seinen Tag einen Gebetsrahmen zu schaffen, der es ihm ermöglicht, aus Gott und Seiner Gnade zu leben, d.h. die täglichen Pflichten, Aufgaben, Tätigkeiten, Erlebnisse als Ausdruck des Willens Gottes zu begreifen. Damit ist die Notwendigkeit der Geistes-Sammlung beschrieben, die zu einem guten Gebet unabdingbar ist. Wir haben schon von der Stille gesprochen, die die äußere Voraussetzung der Geistes-Sammlung ist. Ein streßgeplagter Mensch hat es äußerst schwer, sich zum Gebet zu sammeln. Es wird ihm kaum gelingen, die unzähligen Gedanken, Eindrücke, Gemütsbewegungen von einem Augenblick zum anderen zum Schweigen zu bringen, um sich unbeschwert mit Gott unterhalten zu können. So etwas zu erwarten ist schlichtweg absurd. Insofern dieser streßgeplagte Mensch überhaupt betet, wird er nur sehr zerstreut beten können – außer Gott gewährt ihm außerordentliche Gnaden, die ihn ermutigen sollen, das Leben besser zu ordnen, um mehr und besser beten zu können.

Jeder Geisteslehrer weiß um diese besondere Schwierigkeit des modernen Menschen. Der überaus begabte Exerzitienprediger, P. Daniel Considine S.J., tröstete seine Zuhörer schon vor über 60 Jahren:

„Es ist ganz klar, daß wir den Tumult der Welt nicht nach Belieben zum Schweigen bringen können. Wenn wir aus dem Lärm der Straße in das Schweigen einer Kirche eintreten, können wir die Gedanken nicht einfach an der Tür stehen lassen. Es wäre Torheit, so etwas zu erwarten. Wir können uns aber daran gewöhnen, Zerstreuungen geduldig zu ertragen, wenn es uns schon nicht gegeben ist, sie auszuschalten.

Wir beten mit unserm Herzen. Auch wenn die Zerstreuungen Unordnung in unsern Geist bringen, so können sie doch nicht dorthin gelangen, wo Gott wohnt und unsere ungesagten Wünsche hört. Wenn dein Herz in Ordnung ist und mit Gott auf gutem Fuß steht, mußt du dich gegen zufällige Gedanken nicht lange wehren. Solange unser Vorsatz zu beten besteht, beten wir Gott in Wahrheit an, einfach dadurch, daß wir treu in seiner Gegenwart bleiben, auch wenn unsere Phantasie, der wir nicht befehlen können, tausend Meilen weit umherirrt. Er, der unsern Geist geschaffen hat, hat ihm auch seine Gesetze gegeben. Unsere Gedanken können nicht vorwärts oder rückwärts gestellt werden wie Uhrzeiger. Sie gehorchen jedem Antrieb, oft ohne unser Wissen oder unsern Befehl. Sie zwingen zu wollen ist verlorene Mühe, oft sogar gefährlich.“

(P. Daniel Considine S.J., Vertrauen und Zuversicht, Verlag Ars Sacra, München 1966, S. 74 f.)

Von derselben Erfahrung berichtet die hl. Teresa von Avila. Sobald jemand regelmäßig betet, werden die Zerstreuungen zur Versuchung:

„O Herr, halte uns zugute, was wir aus Unwissenheit auf diesem Wege durchmachen! Alles Leid kommt daher, daß wir, weil wir meinen, wir müßten nur an Dich denken und brauchten nichts zu wissen, nicht einmal die zu fragen verstehen, die das Wissen haben; und daß wir überhaupt nicht begreifen, was es da zu fragen gibt. So erleben wir schreckliche Leiden, weil wir uns selbst nicht verstehen, und halten das, was nicht schlecht, sondern gut ist, für eine große Schuld. Daher stammen die Kümmernisse, unter denen viele Menschen leiden, die sich dem Gebet widmen. Hier liegt der Grund jener Klagen über innere Beschwerden, zumindest eines großen Teils von ihnen, die man von Leuten mit mangelndem Wissen hört. Und daher kommen die Schwermutsanwandlungen, der Schwund der Gesundheit. Dies kann manchmal so weit führen, daß man alles aufgibt, nur weil man nicht bedenkt, daß es im Innern eine eigene Welt gibt.“

(Burg, 4 W 1, 9)

Wie rettet man sich aus dieser großen Seelennot? Die hl. Teresa fordert ihre Schwestern dazu auf: „Richtet (…) eure Augen auf die Mitte, die das Gemach und der Palast ist, wo der König weilt (…).“

Dasselbe rät P. Considine:

„In seiner Bergpredigt empfiehlt uns der Herr, ‚in das Kämmerlein‘ zu gehen und im geheimen den Vater anzubeten. Und unser Vater, der ins Verborgene sieht, wird uns antworten. Unser Herz ist das ‚Kämmerlein‘, wo Gott unsere Gebete hört; er kennt unsere Wünsche, bevor wir sie ausgesprochen haben. Wie wenig wissen wir davon, was in diesem ‚Kämmerlein‘ vor sich geht. Auch wenn unser Kopf vollgestopft ist mit ungeeigneten Gedanken – Gott reinigt sie und bildet sie um. Wir werden von einem unsichtbaren Manna ernährt, unser Geist erneuert sich an der Gegenwart Gottes.

Ich glaube, wir begehen im geistlichen Leben viele Fehler. Aber vielleicht ist kein Fehler so schädlich wie derjenige, zu glauben, Gott beachte unsere Anstrengungen nicht. Die Wahrheit ist, daß er sie mit höchstem Wohlgefallen betrachtet.“

(P. Considine, S. 75)

Beim Beten Gott nicht vergessen!

Wir sollten es wahrlich nicht vergessen: Beten heißt, Einkehr halten im „Kämmerlein“ der eignen Seele, in dem in der Mitte, das Gemach und der Palast des Königs ist, der auf uns wartet. So seltsam es klingen mag, so ist es doch leider eine Erfahrungstatsache: Beim Beten ist es das Wichtigste, nicht auf Gott zu vergessen. P. Daniel Considine S.J. erinnert uns:

„Sinne, Einbildungskraft, Gefühl müssen also von ihm erfüllt sein. Sie müssen auf ihn konzentriert sein, um sich zu ihm zu erheben. Wenn wir dies nicht klar erkennen, werden wir in eine Menge Schwierigkeiten hineingeraten. Wir mögen große Schritte tun, aber wir gehen in der verkehrten Richtung.

Die Liturgie beginnt ihre Gebete gewöhnlich mit der Anrufung eines der Attribute Gottes: ‚Allmächtiger, ewiger Gott…‘ Sie nimmt mit Vorliebe jene Attribute auf, die Gottes Majestät preisen. Das mag manchem nebensächlich scheinen, doch ist es sehr bedeutsam. Es besagt, daß die erste Idee, die sich mit dem Gottesbegriff verbindet, jene der Allmacht ist, der Macht, die alles regiert.

Ja, Gott ist der Allmächtige, der Allsehende und Richter der ganzen Welt. Aber er ist mehr als das: Er ist der All-Große, der All-Liebende.

Im Leben des Christen sind Gefühlsmangel und Angstvorstellungen fehl am Platz; an ihre Stelle sollten Herzenswärme und Vertrauen treten. So wie es die Heiligen übten: sie taten ihr Bestes und überließen alles Gott.“

(Ebd. S. 25 f.)

Gerade letzteres – sie taten ihr Bestes und überließen alles Gott – ist die Frucht des beharrlichen Gebetes. Denn gewöhnlich vertrauen wir nur solange auf Gott, als alles nach unseren Wünschen verläuft. Sobald etwas schief läuft, sinkt unser Vertrauen und wächst das Mißtrauen und der Vorwurf: Wie kann Gott so etwas zulassen?! Dann zeigt sich sogleich, rechtes Beten ist immer ein Abenteuer, denn Gott ist immer mehr als unser Denken von IHM: Er ist der All-Große, der All-Liebende. P. Considine erinnert uns nochmals daran:

„Beten, sich zu Gott in lebendige Beziehung setzen, heißt in eine andere Welt eintreten. Beten ist ein Ausflug ins Land des Geistes, ins Land der Unendlichkeit. Es ist kein leichtes Unterfangen, in diese Höhe aufzusteigen. Unsere gewohnte Art zu denken und zu fühlen steht dagegen; sie macht unsere Beziehung zu Gott kraftlos und unsicher. Auch wenn es uns gelänge, die Hindernisse, die von der Angst und den Gewissensbissen kommen, auszuschalten, so würde uns doch ein Gefühl der Fremdheit in so ungewohnter Umgebung bleiben. Ich weiß, wie ich mich jemandem gegenüber verhalten muß, der gleich mir Mensch ist; wie ich mich mit ihm unterhalte, welche Beweismittel ich brauche, um ihn zu überzeugen; was ich vorbringen kann und welche Fragen ich vermeiden muß. Aber wie soll ich mich im Angesicht meines Schöpfers benehmen?“

(Ebd. S. 50 f.)

IHM vertrauen!

Im Grunde sollte sich der Beter regelmäßig diese Frage stellen und eine Antwort darauf suchen: Aber wie soll ich mich im Angesicht meines Schöpfers benehmen? Wobei der Jesuit sofort noch eine Korrektur anbringt: „Der Ausdruck ‚benehmen‘ zeigt deutlich genug, was für eine Fehlhaltung dahintersteht. Ich fürchte, wir ziehen nie viel Nutzen aus unserm Gebet, wenn wir es in solchem Geist beginnen. Wer aber möchte leugnen, daß diese Fehlhaltung sich sehr häufig findet, und daß gerade deswegen das Gebet nicht stärker verbreitet ist?“

Nein, wir sollen uns vor Gott nicht nur „benehmen“, also eine mühsam eingespielte Rolle vor Gott spielen, sondern wir sollen Seine Kinder sein! Ein Kind aber vertraut sich ganz und gar seinem Vater an, es erwartet alles von ihm, weil es weiß: Der Vater liebt mich, deshalb liebe auch ich ihn über alles. Deswegen fordert unser göttlicher Lehrmeister: „Wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr nicht umkehrt und wie die Kinder werdet, werdet ihr keinesfalls in das Himmelreich eingehen“ (Mt 18, 3).

Darin wird das Grundvertrauen, das notwendig ist, Gott vollkommen zu dienen, angesprochen. Nur wenn wir IHM vertrauen, wie ein Kind seinem Vater vertraut, können wir ins Himmelreich eingehen:

„Vielleicht können wir tiefere Gründe entdecken, warum das Gefühl der Abhängigkeit so wichtig ist für jene, die sich auf der Wanderung zur ewigen Heimat befinden.

Hier müssen wir uns erinnern, daß nicht wir es sind, die große Dinge für Gott tun, sondern daß Gott es ist, der mittels unserer Tätigkeit große Dinge tut. Er bedient sich unser, das ist gewiß, und wir haben teil am Ergebnis, auf Grund der Freiheit, kraft derer wir Gott eingeräumt haben, sich unser zu bedienen. Aber wir sind nur seine Werkzeuge: Er gibt uns die Kraft und leitet uns, damit wir geneigt werden, uns seiner Führung zu unterstellen.

Er ist allmächtig, aber er paßt sich unserer Schwachheit an. Er wird unsern Willen nicht zwingen; er wird sich damit begnügen, ihn anzuziehen. Wenn wir wollen, können wir in einem Augenblick den Zufluß seiner Hilfe vermehren oder vermindern und können uns wie ein unartiges Kind benehmen, das durch seine Launen dem Vater Sorgen bereitet.“

(Ebd. S. 82 f.)

Wenn ihr nicht werdet, wie die Kinder…

Wir müssen uns darum bekehren und wieder werden wie die artigen Kinder, die freudig ganz ihren Willen dem Willen des Vaters unterordnen, weil sie auf seine Güte vertrauen. Nur in diesem Vertrauen kann die so notwendige Hilfe der göttlichen Gnade in uns wirksam werden. Dazu ermuntert uns P. Considine ebenfalls:

„Das einfache Wissen darum, daß mein Geschick in meinen Händen liegt, hält meinen Geist aufrecht und beruhigt ihn. Wenn ich davon überzeugt bin, daß die Menge meiner nicht gewollten Zerstreuungen mich in Wirklichkeit nicht von Gott trennt, höre ich auf, Angst zu haben, und sie quälen mich nicht mehr. Ich bin dann Herr meiner selbst. Ich weiß, daß mein Herz fest ist in Gott, daß Gott nichts anderes von mir fordert. Ganz allmählich wird der Geist der Führung des Herzens folgen und ich werde die Entdeckung machen, daß das wahre Gebet, die heilsame und stärkende Zwiesprache mit meinem himmlischen Vater immer möglich ist, nicht nur in der Kirche oder am Morgen und am Abend, sondern auch in den überfüllten Straßen, an jedem Ort und zu jeder Zeit.

Mach den Versuch! Probier es einmal, zweimal! Probiere, bis es dir gelingt, und du wirst auf Erden die Schlüssel des Paradieses in Händen halten.“

_(Ebd. S. 75 f.)

Anwendung auf das Rosenkranzgebet

Versuchen wir nun einmal, unsere soeben gewonnenen Einsichten auf das Rosenkranzgebet anzuwenden und so fruchtbar machen. Denn es sollen keine rein theoretischen Erwägungen bleiben, sondern Lebenshilfen werden, d.h. in unserem Zusammenhang: Gebetshilfen!

Wenn man den Rosenkranz in die Hand nimmt, gilt es zunächst einmal, aus dem Alltag mit all seinen Gedanken, Sorgen und Aufregungen herauszufinden und sich in die Welt Gottes zu begeben. Dazu braucht man ein stilles Plätzchen, eine Kapelle, einen Herrgottswinkel oder eine Gebetsecke. Sobald wir uns niedergekniet und etwas gesammelt haben, beginnt das Abenteuer – „Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes…“

Normalerweise ist uns Katholiken der Rosenkranz ein recht vertrautes Gebet. Den allermeisten wohl schon so vertraut, daß es uns schon wieder zur Gefahr, zur Routine wird. Damit uns diese Routine nicht zum Nachteil wird, sei ein Gedanke der hl. Teresa vorangestellt:

„Ich möchte, daß ihr davon fest überzeugt seid: Um das Vaterunser gut zu beten, darf man sich nicht von der Seite des Meisters entfernen, der es uns gelehrt hat.

Ihr werdet nun einwenden, dies heiße ja Betrachten; ihr aber könntet und wolltet nur mündlich beten. (…) Gewiß habt ihr recht, wenn ihr sagt, dies sei bereits inneres Gebet. Aber wahrhaftig, ich weiß nicht, wie man das eine vom anderen trennen kann, wenn es ein gutes mündliches Gebet sein soll und wir begreifen wollen, mit wem wir reden. Außerdem ist es unsere Pflicht, uns zu bemühen, aufmerksam zu beten.“

(Weg der Vollkommenheit, 24, 4. 5; in der Folge „Weg“)

Wir müssen ganz davon überzeugt sein, sobald wir von der Seite unseres göttlichen Meisters weichen, verliert sich unser Rosenkranzbeten ins Banale, ins bloße Herunterbeten der „Vaterunser“ und „Gegrüßet seist du Maria“. Wie es uns die hl. Angela von Foligno schon ans Herz gelegt hat: Durch ein andauerndes gutes Gebet werden in der Seele das göttliche Licht und die Gnade vermehrt; und diese wiederum verankern die Seele immer tiefer in der wahren Demut, indem sie ohne Unterlaß das Leben des Gottmenschen Jesus Christus liest. Wenn wir den Rosenkranz beten, sollen wir ohne Unterlaß das Leben des Gottmenschen Jesus Christus lesen, also ganz darin eintauchen.

„Theologie der Muttergottes“

„Der Rosenkranz“, die „Theologie der Muttergottes“, ist keine wissenschaftliche Abhandlung über Gott. In ihr wird zwar über Gott geredet – das ist ja Theologie –, aber nicht in der Art des Erörterns, sondern der des Betens. Ihre Ausrichtung zielt mehr auf das Herz – das sucht ja Gott – als auf die erwägende Vernunft. Diese „Theologie der Muttergottes“ will uns nicht so sehr menschliches Wissen um Gott und um die geoffenbarten Geheimnisse vermitteln, als vielmehr aufgrund der Offenbarung Gottes durch Wort und Tat Liebe zu Ihm erwecken. So gesehen ist der Rosenkranz die „praktische Theologie“ der Muttergottes – oder auch ihr Brautkranz, den sie uns zugeworfen hat.

Es gibt ein Büchlein, „Der Rosenkranz – Theologie der Muttergottes“, von Tibor Gallus S.J. In der Einleitung erinnert der Jesuitenpater uns daran, daß man ohne Glauben nicht beten kann, d.h. für uns selbstverständlich, ohne den katholischen Glauben. Wir haben schon davon gesprochen, das rechte Gebet setzt den wahren Glauben voraus. Aber hören wir ein wenig, was P. Gallus dazu zu sagen weiß:

„Die Gotteserfahrung des auserwählten Volkes hat sein religiöses Leben grundlegend geformt. Die Gotteserfahrung des Neuen Bundes durch die Menschwerdung übertrifft weitaus die des auserwählten Volkes. Jesus hat durch Lehre und Wunder nicht nur seine Sendung vom Vater unwiderlegbar erwiesen, sondern in Ihm war Gott selbst sichtbar gegenwärtig. ‚Philippus,‘ - hat Er zu seinem Apostel gesagt – ‚wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen! Glaubst du nicht, daß ich im Vater bin und der Vater in mir ist?‘ (Jo 14, 9-10). Der heutige Mensch sehnt sich nach Gotteserfahrung, zu der er von der modernen Schriftauslegung und Theologie nicht hingeleitet wird. Die ‚Theologie der Muttergottes‘, der Rosenkranz, kommt seinem Wunsch entgegen. Der Beter wird einer Gotteserfahrung konfrontiert. Durch die Rosenkranzgeheimnisse erlebt er mit, was Gott in Jesus und durch Jesus für ihn getan hat und noch tut.“

(Tibor Gallus SJ, Der Rosenkranz – Theologie der Muttergottes, Verlag Carinthia, Klagenfurt 1978, S. 9 ff.)

Beten und Betrachten mit der Muttergottes

Beten heißt immer auch, eine Gotteserfahrung machen. Denn unser Gott ist ein lebendiger Gott und zudem ein Gott, der sich uns geoffenbart hat in der Menschwerdung des Sohnes Gottes. Wir dürfen es nicht vergessen, wenn wir nicht im rein irdischen Geschehen hängen bleiben wollen: …wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen! Glaubst du nicht, daß ich im Vater bin und der Vater in mir ist?

Doch Herr, wir glauben das! – Aber wir vermögen nur äußerst mühsam, durch Deine heilige Menschheit auf den Vater zu sehen. Gerade dafür sind die Geheimnisse unseres hl. Rosenkranzes uns gegeben, in Jesus und mit Jesus und durch Jesus Gotteserfahrung zu gewinnen und dem Vater jene Ehre zu erweisen, die IHM mit dem Sohn im Heiligen Geist gebührt. Wie Tibor Gallus uns erklärt, sind die Rosenkranzgeheimnisse „knappe Kurzformen der Ereignisse aus dem Leben Jesu mit einer Fülle von Gegebenheiten, die dahinterstecken. Wenn man beim Beten nur an die Kurzform des Geheimnisses denkt, wird man leicht zerstreut, gedankenlos, oder man landet bei ganz anderen Gedanken, die mit den Geheimnissen wenig oder gar nichts zu tun haben. Die reichen Gegebenheiten hinter den einzelnen Geheimnissen müssen aus der Kurzform herausgeschält und ausgeschöpft werden. Das geschieht dadurch, daß man die Geheimnisse in ihrem Werdegang, im Zusammenhang, in ihrer Tragweite für den Beter betrachtet. In aufmerksamer Beobachtung will mein Herz in das Geheimnis eindringen, es ‚auskosten‘, soweit meine Fähigkeiten, gestärkt durch die Gnade, ausreichen. Freilich muß man und kann man nicht bei jedem Rosenkranzgeheimnis den Inhalt völlig ‚auskosten‘. Es ist schon viel geschehen, wenn die Seele nur an einem Gesichtspunkt des zu betrachtenden Geheimnisses ‚zu nagen‘ fähig war. Ein anderes Mal kann sie ‚weiternagen‘ und in das Geheimnis tiefer eindringen. Der Beter kann sich freuen, wenn er sich während des Betens von der Muttergottes geleitet weiß, die ihn zu den wichtigsten Lebensgeheimnissen ihres göttlichen Sohnes hinführen will. Sie betet ja mit ihm während des Rosenkranzgebetes.“

Wir sagten es schon: Jeder Rosenkranz ist ein Abenteuer. Eigentlich ein wunderbares Abenteuer, aber zuweilen auch ein recht gefährliches. „Gefährlich“ in dem Sinne, daß wir den Rosenkranz zuende gebetet haben, aber unsere Gedanken waren ganz woanders. Unmerklich haben wir die „Geheimnisse“ aus den Augen verloren – und da war es wieder, dieses Gewurrle von Erlebnissen und Sorgen und Ängsten und unerledigten Arbeiten… Es gibt sie zweifelsohne und sie ist notwendiger denn je in dieser so unruhigen und beunruhigenden Zeit: Die Gebetsarbeit. Der ernste Beter, derjenige, der die Geheimnisse Gottes still ahnt, weiß darum und er scheut sich nicht, die tägliche Mühe auf sich zu nehmen, den Himmel betend zu erstürmen. Worauf aber kommt es letztlich an? Was darf man niemals aus dem Auge verlieren, will man den Himmel erstürmen?

Der Schlüssel des Herzens

An einem Palmsonntag wünschte sich die hl. Gertrud einmal, den Heiland so bei sich zu Gast zu empfangen zu dürfen, wie an diesem Tag Lazarus, Maria und Martha IHN empfingen. Alsbald vernahm sie den göttlichen Gast in ihrem Herzen zu sich sagen: „Da bin ich. Was wirst du mir vorsetzen?“ „O du mein einziges Heil!“ antwortete sie, „ich habe zwar in meinem ganzen Wesen nichts, was deiner Größe entspräche; aber alles, was ich bin, biete ich dir an. Richte dir selber in mir an, was dir wohl gefallen mag.“ Darauf der göttliche Seelengast: „Dann mußt du mir den Schlüssel deines Herzens geben.“ Und die Heilige zögernd: „Was für einen Schlüssel denn?“ Da erklärt ihr der Herr: „Das ist dein Wille.“

Der Wille ist der Schlüssel zu unserem Herzen, weil er der Schlüssel zur Gottesliebe ist. Denn Gott mit ganzem Herzen lieben heißt nichts anderes, als all das und nur das wollen, was ER will. Der flämische Theologe und Mystiker Jan Ruysbroeck drückt es so aus: „In was immer für einem Stand wir leben und welches Kleid wir auch tragen, jedes von uns muß ein Heiligtum Gottes werden. Solange wir uns selber sicherstellen wollen, solange unser Willen seinen Launen folgt, statt sich dem Willen Gottes anzuschließen, solang wir zwischen Ja und Nein unentschieden schwanken, solang sind wir im Zustand des Kindes, solang gehen wir auf den Wegen der Liebe nur mit trippelnden Kinderschritten. Das Feuer der Liebe hat noch nicht alle Schlacken verzehrt; das Gold ist noch nicht ganz rein. Wir suchen uns immer noch selber, unsere Feindschaft gegen Gott ist noch nicht ganz ausgebrannt.“

Hier ist mit „Zustand des Kindes“ etwas anderes gemeint, als das, was wir schon gehört haben. Dieses Kindsein eines Erwachsenen meint, kindisch sein, nur mit trippelnden Schritten die Wege der Gottesliebe gehen, wo wir doch auf diesen Wegen voll Freude mit Riesenschritten voraneilen sollen. Wenn wir den Rosenkranz beten, schauen wir auf Jesus, „der einzig wahrhaft Fromme“, wie IHN J.J. Olier genannt einmal hat. Nur vereint mit IHM kann Religion wahrhaft geübt werden, denn ER ist der Weg, die Wahrheit und das Leben, ER allein. Man kann das Wesen der Gottesverehrung in zwei Sätzen zum Ausdruck bringen:

Einerseits bietet sie dem Vater in einem fort Jesus Christus dar; anderseits bietet sie uns selber in Jesus Christus dem Vater dar, in restloser Unterordnung unter IHN, so daß wir ganz in IHM sind und ER in uns.

Geduld und Übung

Es hilft nichts, es gilt wieder und wieder zurückzukehren und die Gottesmutter zu bitten, daß sie fest mitbetet und hilft, mit dem Herzen bei Jesus zu bleiben. P. Gallus kennt sie auch, diese Not:

„Die Hauptsache beim Rosenkranzbeten ist, daß bei der Lippenbewegung im Rezitieren des „Gegrüßt seist du, Maria“ die Geheimnisse „geschaut“, „gehört“, „miterlebt“ werden so, als ob man selbst dabei wäre. … Man soll nicht sofort kapitulieren, die Bemühung aufgeben, wenn es auf das erste Mal nicht gelingt! Auch hier braucht man viel Geduld und Übung. Außerdem werden wir die menschliche Unzulänglichkeit, Gebrechlichkeit, Zerstreuung beim Beten nie ganz überwinden können. Es gelingt einmal besser, ein anderes Mal weniger gut. Wenn wir aber trotzdem auf dem eingeschlagenen Weg ausharren, ist schon sehr viel geschehen.“

Liebe zu Gott ist Gottes-Dienst

Im Rosenkranz betrachten wir die freudenreichen, schmerzhaften und glorreichen Geheimnisse des Lebens Jesu an der Hand unserer himmlischen Mutter. Wenn wir nur beharrlich bleiben, werden uns diese Geheimnisse immer vertrauter werden, so daß wir sie immer besser ins eigene Leben übersetzen können. Wir sollen doch unserm Herrn treu nachfolgen. Legen wir also den Schlüssel zu unserem Herzen in Seine Hände, dann wird ER aus unserer Seele ein Wunderwerk Seiner göttlichen Erlöserliebe machen. Wobei wohl zu bedenken ist, was die hl. Teresa vielmals erfahren hat: „…es ist ganz sicher, daß die Liebe zu Gott weder in Tränen noch in Beseligungen oder einem zärtlichen Gefühl der Zuneigung besteht – wenngleich wir uns gerade dies meistens wünschen und uns damit trösten –, sondern darin, daß wir ihm in Gerechtigkeit, Starkmut und Demut dienen“ (Leben 11, 14).

Wir dürfen fest hoffen, mit dem Rosenkranz in der Hand gelingt uns dieser Dienst, wie uns P. Gallus versichert, viel besser:

„Das Rosenkranzbeten bewirkt eine wunderbare Stärkung und Beglückung der Seele.

Der freudenreiche Rosenkranz sollte den Beter mit Freude erfüllen, so daß es aus ihm ausstrahlt und er auf die Frage „Was ist heute mit dir? Du schaust so fröhlich aus!“ einfach antworten kann: „Ich habe den Rosenkranz gebetet!“ Er hat seine Seele in die „überwältigende Freude“ eingetaucht: „Heute ist“ für ihn „der Retter geboren!“ (Die Botschaft des Engels an die Hirten.)

Der schmerzhafte Rosenkranz sollte mich tiefst erschüttern. Der Sohn Gottes hat ein Übermaß von seelischem und körperlichem Leiden meinetwegen ertragen. Das soll mich mit der Liebe Jesu so tief erfüllen und mich stärken, daß ich der Sünde nein sage und bereit bin, für Jesus alles zu ertragen, Schmach, Spott, Hohn, Lieblosigkeit, und auch das größte Opfer nicht scheue, mein Kreuz in Demut ergeben gerne täglich auf mich zu nehmen und dem gekreuzigten Herrn zu folgen.

Der glorreiche Rosenkranz soll mich mit Jubel erfüllen über den Sieg des Auferstandenen, über seine Herrlichkeit im Himmel, wo auch mein Name verzeichnet (Hebr 12, 22) und wo von Jesus für mich Wohnung bereitet ist. Ich sehne mich mit lebendiger Erwartung nach seiner Wiederkunft – „Komm, Herr Jesus!“ (1 Kor 16, 22) –, wenn er mich mit auferwecktem, verklärtem Leib heimführen wird vor das Angesicht Gottes in dem auf die neue Erde herabgekommenen himmlischen Jerusalem. Der Heilige Geist treibt den Beter zu diesem überströmenden Jubel, so daß man auf ihn als den glücklichsten Menschen zeigen kann, der ein lebendiges „Transparent“, ein Leuchtbild, der himmlischen Freude ist und Zeuge dafür, daß der Rosenkranz aus dem Beter einen Menschen des Jubels und der Freude macht.

Gelingt es, jeden Tag alle drei Rosenkränze zu beten, so freut man sich danach „wie ein Held, der durchläuft seine Bahn!“ (Ps 19/18, 6). Diese Bahn ist die tägliche Aufgabe mit aller Mühseligkeit und Last, die er beseelter auf sich nimmt und trägt.

Der Rosenkranz scheint wie ein „Sakrament der Muttergottes“ zu sein, das wirksamste Gnadenmittel nach den Sakramenten und nach dem heiligen Meßopfer. Selig, der es „empfängt“ und daraus lebt!“

(Tibor Gallus SJ, Der Rosenkranz – Theologie der Muttergottes, Verlag Carinthia, Klagenfurt 1978, S. 89 f.)

Der große Rosenkranzpapst, Leo XIII., schreibt in seiner Enzyklika „Supremi apostolatus“ vom 1. September des Jahres 1883:

„Wenn Euch also, ehrwürdige Brüder, die Ehre Mariens und das Wohlergehen der menschlichen Gesellschaft am Herzen liegt, so trachtet danach, den frommen Sinn des Volkes immer mehr auf die selige Jungfrau hinzulenken und das Vertrauen auf sie zu heben. Wir halten es fürwahr für eine gnädige Fügung Gottes, daß selbst diese für die Kirche so stürmisch bewegte Zeit nicht die fromme Verehrung der Heiligen Jungfrau bei der Masse des katholischen Volkes erschüttern und beeinträchtigen konnte, im Gegenteil. Eure Worte nun sollen Unsere Ermahnungen aufgreifen, damit das christliche Volk sich von Tag zu Tag mehr unter Mariens treuen Schutz begebe und den Rosenkranz lieb gewinne, den unsere Ahnen nicht nur in Notzeiten zu beten pflegten, sondern der für sie das hervorragendste Erkennungszeichen ihrer christlichen frommen Gesinnung bedeutete.“