Es war sicherlich immer schon nicht leicht gewesen, die katholische Kirche als das zu begreifen, was sie tatsächlich ist, eine übernatürliche Gemeinschaft. In dem derzeitigen Chaos scheint es fast unmöglich, diese eigentliche Wirklichkeit im Blick zu behalten und sie trotz des aktuellen Erscheinungsbildes glaubend zu bewahren. Die allermeisten Katholiken sind in den letzten Jahrzehnten von ihrem Glauben abgefallen und haben sich der während des sog. 2. Vatikanums gegründeten Menschenmachwerkskirche angeschlossen, weil sie schon lange das geheimnisvolle, göttliche Wesen ihrer Kirche nicht mehr begriffen. Der hl. Paulus schreibt im Epheserbrief über das Sakrament der Ehe: „Dieses Geheimnis ist groß; ich meine es aber in seiner Beziehung zu Christus und zur Kirche“ (Eph. 5, 32). Wenn also schon das Geheimnis der Ehe groß ist, um wie viel mehr dann erst das Geheimnis der Kirche, dessen Abbild die Ehe nur ist!
Das Mysterium der Kirche
Diesen Gedanken stellt Matthias Joseph Scheeben in seinem Buch „Mysterien des Christentums“ seiner Abhandlung über „Das Mysterium der Kirche und ihrer Sakramente2 voran, um dementsprechend hervorzuheben:
„Auch die Kirche ist ein großes, wunderbares Mysterium, ein Mysterium in ihrem Wesen, ein Mysterium in ihrer Gliederung, ein Mysterium in ihrer Kraft und Wirksamkeit. Versuchen wir zunächst die Perspektive, unter welcher dasselbe betrachtet sein will, zu bestimmen. Wenn wir sagen, die Kirche sei ein Mysterium, schließen wir damit ihre natürliche Sichtbarkeit aus? Keineswegs; die Kirche ist sichtbar in ihren Gliedern, sichtbar in ihrer äußeren Organisation, sichtbar in dem Verkehr zwischen den Vorgesetzten und Untergebenen. Sie ist nicht weniger sichtbar als jede andere menschliche Gesellschaft. Ja ich sage noch mehr: sichtbar ist die Kirche nicht bloß nach ihrem faktischen Bestande, sondern nach ihrer göttlichen Berechtigung und Einsetzung.
Der wunderbare Ursprung und der ebenso wunderbare Fortbestand und Fortschritt dieser Gesellschaft, die zahllosen moralischen und physischen Wunder, mit denen sie ihren Weg durch die Jahrhunderte und durch alle Teile des Erdenrundes bezeichnet, beweisen es offenbar, daß sie kein bloßes Menschenwerk, daß sie Gottes Werk ist, daß Gott sie eingerichtet hat und sie noch fortwährend als seine Einrichtung anerkennt und bestätigt. Die Kirche ist sichtbar ganz in derselben Weise, wie ihr historischer Stifter und ihr Oberhaupt, wie der Gottmensch sichtbar gewesen ist. Der Gottmensch war sichtbar als ein wahrer Mensch und als ein von Gott gesandter, mit ihm in einer besonderen Beziehung stehender Mensch; die Kirche ist sichtbar als eine Gesellschaft von Menschen und als eine von Gott gegründete und unterhaltene Gesellschaft.“
(Matthias Joseph Scheeben, Mysterien des Christentums, Herder, Freiburg im Breisgau 1941, S. 443)
Der Ursprung der apostolischen, katholischen Kirche
Schauen wir ein wenig auf den wunderbaren Ursprung der Kirche, um dieses Geheimnis einigermaßen zu begreifen. Unser göttlicher Herr und Erlöser Jesus Christus hat Seine Kirche auf den zwölf Aposteln auferbaut. Diese sind die Grundsteine der Kirche, denn auf ihrem Glaubenszeugnis ruht das ganze übernatürliche Glaubensgebäude, weshalb wir auch von der Apostolizität der Kirche sprechen. In der Geheimen Offenbarung des hl. Apostels Johannes wird das himmlische Jerusalem beschrieben, wobei es heißt: „Die Stadtmauer hatte zwölf Grundsteine, auf denen die zwölf Namen der zwölf Apostel des Lammes geschrieben standen“ (Offb. 21, 14).
Im Galaterbrief bezeichnet der hl. Paulus die Apostel Jakobus, Petrus und Johannes als „Säulen“ der Kirche. Diese Wahrheit wurde auch in unseren Kirchbauten zum Ausdruck gebracht, indem man viele Kirchen so baute, daß sie von buchstäblich zwölf Säulen getragen werden. In jeder Kirche erinnern die 12 Apostelleuchter an diese 12 Säulen, wobei bei der Kirchenweihe der Kirchenraum durch den Bischof als Nachfolger der Apostel an diesen zwölf Stellen mit Chrisamöl gesalbt wird. In denjenigen Kirchen, die einem bestimmten Apostel geweiht sind, ist der Leuchter dieses Apostels oft besonders gestaltet. Manchmal werden an den Leuchtern auch die Namen der Apostel genannt oder diese bildlich oder figürlich dargestellt. Die Apostel waren die Erstlinge der Kirche, denn den Aposteln verdankt die Kirche die Übermittlung der göttlichen Offenbarung. Sie haben den kommenden Geschlechtern die geoffenbarte Wahrheit und die übernatürlichen Heilsgüter weitergegeben. Zudem steht die Kirche jedes Zeitalters durch eine ununterbrochene Amtsfolge von Hirten und Lehrern in lebendiger Verbundenheit.
Nach dem heiligen Thomas von Aquin sind die Apostel in einer sekundären Weise Fundament der Kirche. Der Heilige unterscheidet das fundamentum principale (erstes Fundament) und das fundamentum secundarium (zweites Fundament). Das erste Fundament ist selbstverständlich Jesus Christus, das zweite sind die Apostel. Das eine besitzt Festigkeit aus sich selbst wie ein Felsen, auf dem ein Gebäude errichtet wird. Das andere hat seine Festigkeit nicht aus sich, sondern verdankt sie einer fremden Grundlage, wie die Steine, die unmittelbar auf dem gewachsenen Felsen aufgemauert werden. Als ein derartiges Fundament kann man die Apostel ansehen, weil sie durch den Glauben und die Liebe auf Christus aufgebaut wurden (vgl. Eph. 2, 20). Dies gilt wiederum ganz vorzüglich vom hl. Petrus, der sozusagen ausdrücklich Fels vom Felsen Christi ist (Kommentar zu 1 Kor 3, 11 lect. 2; zum Matthäusevangelium, c. 17 und 16).
Nach Kardinal Torquemada ist ein weiterer Grund für diese Benennung der Kirche als apostolisch die beständige Aufrechterhaltung des Glaubens, der Predigt und Lehre, der Gewalt und Autorität der Apostel in der Kirche. Allzeit hat man in der wahren Kirche Jesu Christi die Mahnung des Heiligen Geistes befolgt, die uralten Grenzen nicht zu verrücken, welche die Altväter gesetzt haben (vgl. Spr. 22, 28). Nach einer Bemerkung des heiligen Augustinus und des hl. Hieronymus zu Ps 44, 17 sind diese Altväter die Apostel, deren Söhne hinwiederum die Bischöfe sind. Durch diese wird die Kirche geleitet. Die Beobachtung der uralten Grenzen geschieht nach Torquemada durch die Bewahrung der von den Aposteln überlieferten Glaubenslehren – denn die Kirche werde nicht durch Wände, sondern durch die Wahrheit ihrer Lehren zusammengehalten. Wer den Glauben der Kirche, den Glauben der Apostel, den Glauben an Christus besitze, gehöre der Kirche an.
Die apostolische Sukzession
Es ist sofort ersichtlich, daß mit der Bindung des Katholiken an die Lehre der Apostel unlösbar die Notwendigkeit der apostolischen Nachfolge bezüglich der Weihen zusammenhängt. Die Apostel haben die ihnen von Christus übertragenen Weihen und Aufgaben an andere weitergegeben, so daß diese in einer ununterbrochenen Reihe bis zu den jeweils gegenwärtigen Bischöfen gelangt sind. Jeder rechtmäßige Bischof der Kirche nimmt am Bischofsamt teil, indem er der Nachfolger eines Apostels ist. Das kann er wiederum nur sein, wenn er dem Glauben der Apostel unverbrüchlich anhängt und ihn verteidigt. Für den Bischof von Rom läßt sich die ununterbrochene Nachfolgerreihe, die sog. apostolische Sukzession am deutlichsten nachweisen. Da er das Haupt der Kirche und der Träger der kirchlichen Unfehlbarkeit ist, genügt dieser Nachweis, um sagen zu können: Dort, wo der wahre Nachfolger des Petrus ist, ist die apostolische Kirche. In der alten Kirche hat man auf die auf der Nachfolge gründende Apostolizität größtes Gewicht gelegt.
Leider ist das Wissen um diese Zusammenhänge nunmehr schon seit Jahrzehnten verdunkelt oder gar ganz ausgelöscht. Der wahre, übernatürliche, göttliche Glaube spielt in der Tat gegenwärtig keine Rolle mehr. Die meisten Katholiken sahen schon lange vor dem sog. Konzil in ihrer Kirche nur noch eine große Religionsgemeinschaft, die ihnen durch die Sakramente das ewige Heil vermitteln sollte. Die Glaubenslehre als solche war dagegen zweitrangig geworden. Dies hatte sich nach der sog. Liturgiereform, also der Einführung der sog. Neuen Messe noch verstärkt. Diejenigen, die der „alten“ Kirche treu bleiben wollten, suchten sich Priester, die an der „alten“ Messe festhielten. Wenn sie weiterhin ihre Sakramente empfangen konnten und seelsorglich betreut waren, waren sie zufrieden. Wenn dieses Verhalten auch aus der Not verständlich war, so war es dennoch viel zu kurzsichtig, ja letztlich falsch. Gehorsamsbereitschaft gegenüber einer imaginären Autorität Um das besser verstehen zu können, seien hierzu einige Gedanken von J. A. Möhler aus seinem Buch „Symbolik“ zum „Begriff der Kirche“ angeführt. In § 36 spricht er über die „Durchdringung von Göttlichem und Menschlichen“ in der Kirche. Bezüglich Martin Luther stellt er fest:
„Was Luther betrifft, so hatte er keineswegs vor allem den Glauben an die katholische Lehre von der Kirche und dem Verhältnis desselben zur Heiligen Schrift in sich zerstört, und hierauf erst, was er als Dogma der Kirche tadelnswert fand, verändert; noch weniger bediente er sich der Grundsätze, nach welchen er seinen Begriff von der Kirche bildete, um alles Übrige aus denselben abzuleiten; vielmehr verhält er sich in beiderlei Beziehungen geradezu umgekehrt. Es ist, was die erste Behauptung anlangt, bekannt, wie die früheren Bewegungen Luthers durchaus nicht gegen den Begriff der katholischen Kirche und ihre Autorität gerichtet waren, ja wie er sich anfänglich bereit erklärte, seine besonderen Lehren dem Urteil derselben zu unterwerfen, und einen schweren, von ihm selbst sehr anziehend beschriebenen Kampf gegen sein Gewissen zu bestehen hatte, bis er endlich den traurigen Sieg errang, und der Geist betrübt von ihm wich.“
(Dr. J. A. Möhler, Symbolik, Druck und Verlag von Florian Kupferberg, Mainz 1843, S. 329 f.)
Zwar hatte Luther in seiner frühen Zeit schon den übernatürlichen Glauben verloren, aber noch nicht seine Anhänglichkeit an die Kirche. Er fühlte sich immer noch unter deren großem Dach geborgen, auch wenn er vieles an ihr schon tadelnswert hielt. Genauso war es bei den Traditionalisten nach dem sog. Konzil, d.h. im Grunde erst nach der Einführung der sog. Neuen Messe, als die Skandale immer mehr und die öffentlichen Ärgernisse immer unerträglicher wurden. Der Widerstand war durchaus nicht gegen den Begriff der katholischen Kirche und ihre Autorität gerichtet. Und man erklärte sich zumindest theoretisch weiterhin bereit, seine besonderen Lehren dem Urteil derselben zu unterwerfen. In der Folge zeigte sich jedoch genauso wie bei Luther, daß diese Bereitschaft nur einer imaginären Autorität galt und nicht der wirklichen in Rom. Möhler sagt bezüglich Luther: „Hätte sich die katholische Kirche zur Anerkennung seiner Lehre verstanden, er seinerseits würde auch sie fortwährend anerkannt haben.“
Synthese des Widersprüchlichen
Durch eine Anerkennung der Lehre Luthers durch die Kirche wäre seine eigentliche, innere, geheime Häresie niemals offenbar geworden. Diese bestand letztlich darin, daß er in der Tat seinem eigentlichen Urteil allein zutraute, die Wahrheit des Evangeliums zu kennen. Sein Urteil hätte also im Fall einer Anerkennung nur zufällig mit dem Urteil der Kirche übereingestimmt, der eigentliche Konflikt wäre nicht zutage getreten. Möhler weiß: „Gewiß, was ihn betrifft, so fand er kein Hindernis, zwei sich so ganz widersprechende Dinge, als da waren sein Dogma und die katholische Kirche, zu vereinigen, und was ihm schon oft gelungen war, zwei sich innerlich entgegengesetzte Dinge als ein friedliches Paar zusammenzugeben, würde er auch hier versucht haben.“
Damit ist zugleich ganz trefflich das Verhalten der meisten Traditionalisten beschrieben. Diese gewöhnten sich ebenfalls daran, zwei sich so ganz widersprechende Dinge, als da waren [ihr] Dogma und die katholische Kirche [d.h. die Menschenmachwerkskirche, die sie für die katholische Kirche halten], zu vereinigen. Auch verstehen es diese Traditionalisten vorzüglich, zwei sich innerlich entgegengesetzte Dinge – ihr Papst und ihre Lehre! – als ein friedliches Paar zusammenzugeben, indem sie sich auf einen rein imaginären Papst berufen, der ihnen irgendeinmal recht geben und ihren Widerstand rechtfertigen wird.
Die Traditionalisten waren und sind gezwungen, auf einen imaginären Papst auszuweichen, weil jeder Blinde sehen mußte und muß, daß der Herr in Rom nicht auf der Seite der Traditionalisten steht, daß er nicht ihre Lehre vertritt, sondern sich höchstens bemühte, aus reiner Diplomatie einen Bruch zu vermeiden. Die Traditionalisten hingegen versuchten und versuchen genauso wie Luther, gegen ihren Papst ihre Auffassung von Glauben und Kirche zu verteidigen. Dabei bemerkten sie in keiner Weise, daß sie damit Protestanten geworden waren und überaus tapfer ihrem Papst widerstehen. Im Unterschied zu Luther stützten sie sich in ihrem Irrglauben nur nicht allein auf die Heilige Schrift, sondern allein auf die Tradition - freilich ihre Tradition. Objektiv betrachtet war die Lage freilich umgekehrt als bei Luther, der Widerspruch ergab sich daher, daß Rom in die Hände der Feinde gefallen und zum Sammelbecken aller Häresien geworden war. Man konnte fortan den katholischen Glauben nur dann noch verteidigen, wenn man die Tatsache der papstlosen Zeit einsah. Bei Luther war noch es so:
„Allein die Organe der Kirche bemerkten gesunden Blickes, daß durch ihn auflösende Stoffe dem kirchlichen Leben beigemischt würden; aufgefordert nun, entweder die ihm eigentümliche Rechtfertigungslehre mit den dieselbe bedingenden oder durch sie bedingten Sätzen als Irrtum zu verwerfen, oder sich fürder nicht zu schmeicheln, ein Sohn der Kirche zu sein, fühlte er die Notwendigkeit, wie der Erzeuger eines neuen Dogma, so auch der Vater einer neuen Kirche zu werden; ehrenvoller erschien ihm ohnedies, auszuführen, wozu ihn sein Geist trieb: lieber als Vater zu gebieten, denn als Sohn zu gehorchen.“
Die Installation einer Parallelkirche
Auch die meisten Traditionalistenführer, die unbelehrbar und hartnäckig die Häretiker, Apostaten und Götzendiener in Rom für Päpste hielten, wurden aufgrund des unüberbrückbaren Widerspruchs durch die Logik der Tatsachen dazu getrieben: lieber als Vater zu gebieten, denn als Sohn zu gehorchen. Es zeigte sich nämlich im Eifer des Gefechtes schnell, ihr Gehorsam gegenüber dem unfehlbaren Lehramt der Kirche war schon lange eine Farce. Das gilt ganz besonders für Marcel Lefebvre, der mit seinem Werk eine Parallelkirche installiert hat, in der jeder machen kann, was er will, weil der Herr in Rom sowieso nichts zu sagen hat. Leider sind diese Traditionalisten, selbst gezwungen durch die Tatsachen, nicht so ehrlich wie damals Martin Luther, der immerhin noch die Notwendigkeit [fühlte], wie der Erzeuger eines neuen Dogma, so auch der Vater einer neuen Kirche zu werden. Gerade die Lefebvristen spielen nun schon seit Jahrzehnten ganz selbstverständlich Parallelkirche, wobei sie zugleich behaupten, gehorsame Söhne der Kirche zu sein. Da nämlich ihr Papst praktisch niemals unfehlbar ist und sein muß, können sie sich Tag für Tag einbilden, ihr imaginärer Papst sei mit allem vollkommen einverstanden, was sie machen und sagen. Was ist da passiert?
Ein rein natürlicher Kirchenbegriff
Das Wissen um den apostolischen Glauben ist verloren gegangen, das Wissen um das übernatürliche Fundament der Kirche. Wer den Düngehaufen, der sich zur Zeit immer noch „katholische Kirche“ nennt, in Wirklichkeit aber ein inzwischen völlig heruntergekommenes Menschenmachwerk ist, für die wahre katholische Kirche hält, beweist damit, daß er von der kirchlichen Lehre keinerlei Ahnung mehr hat. Für ihn ist die Kirche nur noch ein rein natürlicher Zusammenschluß religiöser Menschen, mehr nicht. Das erkennt man unzweideutig an dem Gerede von der kranken Kirche.
Das übernatürliche innere Wesen der katholischen Kirche
Weil diese Wahrheit so eminent bedeutsam ist, möchten wir einen weiteren Text aus den „Mysterien des Christentums“ von Matthias Joseph Scheeben anführen, der mit aller nur wünschenswerten Klarheit den Unterschied zwischen einer rein natürlichen und einer übernatürlichen Auffassung der Kirche darlegt:
„Das innere Wesen der Kirche ist eben ein absolut übernatürliches wie das des Gottmenschen; das ist der Grund, weshalb es so verborgen und geheimnisvoll ist, weshalb die Kirche, obgleich in ihrer äußeren Einrichtung mit andern menschlichen Gesellschaften übereinkommend, doch in ihrem Innern einen wesentlich andern Charakter hat als diese, weshalb ihre Einheit, ihre Kraft und ihre Einrichtung eine so eigentümliche, erhabene, unbegreifliche ist.
Man könnte versucht sein, das Wesen der Kirche zu äußerlich nach Analogie anderer Gesellschaften unter den Menschen aufzufassen und den wesentlichen Unterschied von diesen nur darein zu setzen, daß sie eine religiöse und von Gott gestiftete Gemeinschaft sei. Beides ist sie ohne Zweifel, aber damit allein wäre sie nichts besonders Erhabenes und für die Vernunft Unbegreifliches. Wie sich die Menschen zu andern Zwecken zusammentun, so können sie sich auch zur gemeinschaftlichen Religionsübung miteinander vereinigen; darin liegt nichts Übernatürliches. Ja Gott selbst kann durch eine positive Einrichtung die Bildung einer solchen Gesellschaft anordnen, ihr Gesetze geben, ihr besondere Rechte und Privilegien verleihen, die Menschen andererseits auf dieselben verpflichten und in Bezug auf die Erfüllung ihrer religiösen Bedürfnisse an dieselbe anweisen, wie dies im Alten Bund durch die mosaischen Institutionen geschehen ist. Ohne eine übernatürliche, außerordentliche Einwirkung Gottes wird eine solche Gesellschaft nicht zustande kommen; aber in ihrem Wesen wird sie darum noch immer nicht übernatürlich und geheimnisvoll sein. Die Gottesverehrung wäre ja immer eine bloß natürliche, nur durch bestimmte Normen geregelte und geleitete; und wenn Gott an die priesterlichen und regierenden Funktionen der Gesellschaft eine besondere Wirksamkeit knüpfte, so nämlich, daß durch jene die Sündenvergebung und andere Gnaden verliehen, durch diese die Untergebenen mit voller Sicherheit in der Ausübung ihres religiösen Lebens geleitet würden: so wäre auch das zwar etwas Außerordentliches, die Wirkung einer speziellen gnädigen Vorsehung, aber keineswegs etwas wahrhaft Mystisches, Übernatürliches. Das ganze Institut der Kirche reduzierte sich auf eine von Gott geregelte Erziehung und Leitung der Menschen und eine rechtmäßige Vermittlung ihres Verkehrs mit Gott; ihre ganze Einheit, ihre ganze Wirksamkeit wäre eine bloß moralische, nach Analogie der übrigen menschlichen Gesellschaften.“
Der mystische Leib Christi
„Der Glaube zeigt uns in ihr unendlich mehr. Im Glauben erkennen wir die Kirche als eine Anstalt, die nicht bloß zur Erziehung und Leitung des natürlichen Menschen bestimmt ist, sondern dem Menschen ein neues Sein und Leben, eine ganz neue, übernatürliche Stellung und Bestimmung gibt und ihn im Streben nach dieser Bestimmung tragen, stärken und leiten soll. Dem Glauben ist die Kirche nicht bloß von Gott oder von einem göttlichen Gesandten gestiftet und legitimiert, sondern auf den Gottmenschen gebaut, ihm eingegliedert, zu seiner Höhe emporgehoben, von seiner göttlichen Würde und Kraft getragen und erfüllt; sie ist der Leib des Gottmenschen, in welchem alle, die in ihn eintreten, zu Gliedern des Gottmenschen werden, um, in ihm und durch ihn aneinandergekettet, an dem göttlichen Leben, der göttlichen Herrlichkeit ihres Hauptes Anteil zu haben. Dem Glauben ist endlich die Kirche nicht bloß eine Dienerin Gottes oder des Gottmenschen, die bloß einen gewissen Verkehr Gottes mit den Menschen vermitteln soll: sie ist als der mystische Leib Christi zugleich seine wahre Braut, die, von seiner göttlichen Kraft befruchtet, ihm und seinem himmlischen Vater himmlische Kinder gebären, diese Kinder mit der Substanz und dem Lichte ihres Bräutigams nähren und sie über die ganze geschaffene Natur hinaus in den Schoß seines himmlischen Vaters hinaufführen soll.“
(Matthias Joseph Scheeben, Mysterien des Christentums, Herder, Freiburg im Breisgau 1941, S. 444 f.)
Eine evolutive Modernisten-„Kirche“
Man kann es wohl die Versuchung schlechthin der Traditionalisten nennen, was Scheeben anführt: Man könnte versucht sein, das Wesen der Kirche zu äußerlich nach Analogie anderer Gesellschaften unter den Menschen aufzufassen und den wesentlichen Unterschied von diesen nur darein zu setzen, daß sie eine religiöse und von Gott gestiftete Gemeinschaft sei. Das ist in der Tat die Kirche der Modernisten und inzwischen auch der allermeisten Traditionalisten, eine an sich rein menschliche Gemeinschaft, die allerhöchstens noch göttliche Elemente einschließt. Dies zeigt sich übrigens deutlich in der Auffassung der Modernisten, die Kirche hätte sich gemäß rein menschlichen Gesetzen evolutiv entwickelt. Am Anfang war alles noch ganz einfach, um nicht zu sagen primitiv – eben ganz und gar menschlich! Es gab nur christliche Gemeinden, die sich darum bemühten, daß die Sache Jesu weitergehe. Natürlich waren die Apostel noch keine Bischöfe, wie wir das heute verstehen, sondern sie waren nur Gemeindevorsteher. Es hat sich erst allmählich eine hierarchische Ordnung gegen die ursprünglich demokratische Ordnung durchgesetzt. Auch die Sakramente wurden erst mit der Zeit festgelegt – schließlich auf sieben, denn sieben ist eine heilige Zahl! Das was wir heute hl. Messe nennen, war noch eine ganz einfache Erinnerungsfeier an das letzte Abendmahl. Von einem Opfer wußten die ersten Christen selbstverständlich noch gar nichts. Diese Märchen haben erst die Theologen im Laufe der Jahrhunderte erfunden. So das Geschwafel der Modernisten.
Protestantische Tradis
Eines fällt einem auf, wenn man diese modernistische Konzeption der Urkirche bedenkt: Petrus und die Apostel hatten genauso wenig zu sagen wie die Bischöfe und der Papst bei Luther und den Traditionalisten. Im Herzen sind sie eben doch Protestanten bzw. Modernisten, unsere Tradis. Wie anders hört sich dagegen das an, was Scheeben zu sagen weiß:
„Dem Glauben ist die Kirche nicht bloß von Gott oder von einem göttlichen Gesandten gestiftet und legitimiert, sondern auf den Gottmenschen gebaut, ihm eingegliedert, zu seiner Höhe emporgehoben, von seiner göttlichen Würde und Kraft getragen und erfüllt; sie ist der Leib des Gottmenschen, in welchem alle, die in ihn eintreten, zu Gliedern des Gottmenschen werden, um, in ihm und durch ihn aneinandergekettet, an dem göttlichen Leben, der göttlichen Herrlichkeit ihres Hauptes Anteil zu haben.“
Diese Worte sollte man durchaus in aller Ruhe mehrmals lesen und auf sich wirken lassen. Wenn man sie für wahr hält, für einen treffenden Ausdruck unserer katholischen Glaubenslehre, wie könnte man da noch in die Versuchung kommen, die Menschenmachwerkskirche für die katholische Kirche zu halten? Fügt man sodann noch die weitere Erkenntnis hinzu: sie ist als der mystische Leib Christi zugleich seine wahre Braut, die, von seiner göttlichen Kraft befruchtet, ihm und seinem himmlischen Vater himmlische Kinder gebären, diese Kinder mit der Substanz und dem Lichte ihres Bräutigams nähren und sie über die ganze geschaffene Natur hinaus in den Schoß seines himmlischen Vaters hinaufführen soll – so wird es einem direkt unheimlich bei dem Gedanken, diese dämonisierte Menschenmachwerkskirche für die wahre Braut Jesu Christi zu halten. Bei vielen Traditionalisten fehlt es eindeutig am Geist! Unbemerkt haben sie das evolutionistische, naturalistische Erklärungsmuster der Modernisten übernommen, wodurch ihre „Kirche“ ihrem wahren, ihrem göttlichen Ursprung vollkommen entraten ist. Die Kirche dieser Tradis ist zu einer bloßen Sakra-mentenspendeanstalt degeneriert. Wo ist da noch der göttliche, der apostolische Ursprung geblieben? Er hat sich ganz und gar verflüchtigt.
Das Apostelamt
Lassen wir uns alles, was zum Amt der Apostel gehört, einmal ganz kurz zusammenfassen, um wieder besser zu begreifen, woher wir stammen: Die Apostel sind:
- Gesandte Jesu (Jo 20, 21; 2 Kor 5, 20), gesandt unmittelbar von Jesus (auch Paulus: Gal 1, 1, u. Matthias: Apg 1, 26) an die ganze Welt (Mt 28, 18 f), um a) Jesu Leben, Lehre u. bes Auferstehung zu bezeugen (Apg 1, 8. 22), u. zwar als Augenzeugen (1 Kor 9, 1; Gal 1, 12 f), b) die Kirche zu bilden (Menschenfischer: Mt 4, 19), die Gläubigen zu lehren u. durch Gesetze u. Strafen zu leiten (Mt 18, 18; 1 Kor 5, 5). —
- Die A. sind Gesandte Jesu in dem Sinn, in welchem Jesus Gesandter Gottes ist (Jo 20, 21; 2 Kor 5, 20). Sie führen Jesu Lebenswerk weiter u. nehmen teil an Jesu Lebenszweck u. Vollmachten. Deshalb sind sie ähnlich wie Jesus beglaubigt durch die Wundergabe (Mk 16, 17) u. persönl. Heiligkeit (1 Kor 4, 16). Gegen ihre Lehre gibt es keinen Einspruch (Mk 16, 16) gegen ihre Gesetze keine Berufung, nicht einmal an Gott (Mt 18, 18). Jesus hat die Menschheit an die Vermittlung der A. gewiesen; wie niemand zum Vater kommt ohne Jesus, so niemand zu Jesus außer durch die A. Von Anfang an, nicht erst seit den Kämpfen mit den Gnostikern (Harnack), sind sie deshalb aufs höchste in der Kirche geehrt (Klemens v. Rom, 1 Kor 42, 1). —
- Ihre Vollmacht üben die A. aus in einem einheitl. Verband unter Petrus als dem Haupt (Mt 16,18); sie bilden also ein organisiertes Kollegium. —
- Dieses besteht bis zum Ende der Welt (Mt 28, 18), muß sich also immerfort ergänzen: Verband der Bischöfe. Mit Ausnahme des Nachfolgers Petri ist indes kein einzelner Bischof Nachfolger eines einzelnen A. Vor dem Bischof hat der A. außer der Wundergabe usw. die persönl. Unfehlbarkeit u. universelle Jurisdiktion voraus.
(Dr. Michael Buchberger, Lexikon für Theologie und Kirche, Herder, Freiburg 1930, Band I.)
Die wahrhaft apostolische Kirche muß also immer ein Spiegelbild dessen sein, was die Apostel gewirkt haben. Sie muß eins sein im Glauben und in den Sakramenten, sie muß die Heiligkeit predigen und wirken und sie muß allzeit bedenken: Jesus hat die Menschheit an die Vermittlung der Apostel gewiesen; wie niemand zum Vater kommt ohne Jesus, so niemand zu Jesus außer durch die Apostel! Und nicht zuletzt gilt es allzeit zu berücksichtigen, was abschließend gesagt ist: Mit Ausnahme des Nachfolgers Petri ist indes kein einzelner Bischof Nachfolger eines einzelnen Apostels. Vor dem Bischof hat der Apostel außer der Wundergabe usw. die persönliche Unfehlbarkeit und universelle Jurisdiktion voraus.
Die Bischöfe sind anders als die Apostel nicht für sich als einzelne unfehlbar, sondern nur zusammen und in Unterordnung unter den Papst. Da unser Herr Jesus Christus die Apostel in die Welt hinausgesandt hat, um das hl. Evangelium allen Geschöpfen zu predigen, mußte er jedem einzelnen die persönliche Unfehlbarkeit verleihen. Der Glauben der Apostel ist absolut verpflichtend, er ist letztlich das Fundament unserer hl. Tradition. Dies ist wiederum nur im übernatürlichen Glauben erfaßbar, der leider fast schon überall fehlt.
Der heiligmäßige P. Surin S. J. weist in seinem „Geistlichen Katechismus“ (Regensburg, Manz 1838; 2. Bd. 5. Teil, 5. Kap. S. 201 ff) auf die Notwendigkeit des himmlischen Lichtes hin, um jene himmlische Wirklichkeit zu erfassen, von der dir hl. Kirche übervoll ist: „Um wie viel die menschliche Vernunft den Instinkt der Tiere übersteigt, um so viel übertrifft jenes himmlische Licht die menschliche Vernunft; deswegen muß der Mensch es so hoch schätzen, daß er im Vergleiche mit demselben seine Weisheit und seinen natürlichen Scharfsinn für gar nichts halte. Die Heiligen, welche jener Gabe teilhaftig geworden sind, wissen dieselbe nicht hoch genug anzuschlagen und zu ehren; denn sie halten dieselbe für die wahre Weisheit und gleichsam für die Mittagshöhe der Gnade.“
Natürliche Vernunft und die Tugend der Demut
Weil unser Glaube die natürliche Vernunft vollkommen übersteigt, deswegen ist jene Gabe, allen voran den Theologen notwendig, wollen sie wirklich Licht ins Dunkel bringen. Dementsprechend fährt der Jesuit weiter: „Diese Erinnerung ist vorzüglich Gelehrten und Weltweisen nötig, welche meinen, während sie ihren Überlegungen folgen, könnten sie gar nicht fehlen, und welche auf sich selbst und auf eigenen Scharfsinn sich zuviel verlassen. Möchten sie doch bedenken, daß es nebst dem Lichte der Vernunft noch ein anderes gebe, das weit gewisser und sicherer ist, nämlich die Erkenntnis und Einsicht, welche von Gott gewöhnlich den Seelen gegeben wird, die wahre Demut haben, sich selbst mißtrauen und in zweifelhaften Dingen zu Gott ihre Zuflucht nehmen.“
Die trügerische Freiheit der Wissenschaft
Letztlich leiden alle Modernisten an dieser Selbstüberhebung ihrer eigenen Einsicht. Sie nennen das „Freiheit der Wissenschaft“. Als ob es gegenüber der göttlichen Wahrheit eine Freiheit der Meinung gäbe. In dem „Geistlichen Katechismus“ wird sodann die Frage gestellt: „Gibt es demnach eine größere Sicherheitsregel, als in allem der Vernunft folgen?“ Die Antwort lautet folgendermaßen: „Wenn man unter Vernunft die Wahrheit selbst versteht, so gibt es wahrhaft nichts Besseres, und gibt es keine größere Sicherheitsregel, als der Vernunft d. h. der Wahrheit folgen. Wenn man aber von dem Gebrauche der Vernunft im Überlegen und Schlüsseziehen redet: so kann die in solchem Sinne genommene Vernunft keineswegs verglichen oder gleich gehalten werden dem übernatürlichen Lichte, welches dem Menschen auf dem Wege der Vollkommenheit vorleuchtet, und ohne welches sogar der scharfsinnigste Mensch auch bei der besten Vernunft oft in Irrtum fällt.“
Zur Erklärung wird dann folgende Begebenheit angeführt: „Karl von Lothringen, Bischof zu Verdun, besuchte einst im Kollegium zu Löwen den P. Lessins, als derselbe eben in der Bibliothek sich befand. Indem er nun diese, die reich mit Büchern ausgestattet war, dem Fürsten zeigte, sagte er: Scheint es Ihnen nicht ein ungemeines Glück zu sein, wenn man alles, was hier in so vielen Büchern enthalten ist, weiß und versteht? Und doch möchte ich lieber glauben, nur der geringste Strahl des oberen Lichtes, das von Gott zugesandt wird, sei weit mehr wert, als dies alles. So sprach P. Lessius.“ Danach wird bemerkt: „Wahrlich! das ist der unschätzbare Wert des Lichtes, welches Gott bisweilen einer armen Magd, oder einem Laienbruder, welcher die häuslichen Geschäfte im Konvente besorgt, verleihet; ein solcher Erleuchteter geht den größten Lehrern seines Ordens an Weisheit vor. Sehr wahrscheinlich war P. Franz Suarez dieser Gabe teilhaft geworden; und deswegen pflegte er zu sagen, recht gerne wolle er alle seine Wissenschaft mit dem Gebete einer Stunde vertauschen.“
Sankt Bartholomäus
Allein in diesem übernatürlichen Licht des Glaubens werden die Apostel als das Fundament der Kirche erkannt und ihre von Gott so außerordentlich gesegnete Wirksamkeit begriffen. Nimmt man das oben im Lexikon für Theologie und Kirche über die Apostel Gesagte in diesem Geiste ernst, wird einem auch sofort einleuchten, daß das Leben jedes einzelnen Apostels überaus wunderbar war. Heute verbannt man all diese Wunder ins Reich der Sagen und Märchen. Wir wollen das nicht tun, sondern voller Glauben einen Blick ins Leben des hl. Apostels Bartholomäus werfen, wie es in der östlichen Liturgie im Troparion zum Fest des hl. Apostels Bartholomäus besungen wird: „Du bist als Sonne der Kirche erschienen, durch die Strahlen deiner Lehren. Du verklärst durch furchterregende Wunder die, welche dich besingen, o Bartholomäus, Apostel des Herrn.“
In den Evangelien erfahren wir äußerst wenig über den hl. Apostel Bartholomäus. Außer von seiner Berufung zum Apostelamt, das Evangelium mit den andern den verlorenen Schafen des Hauses Israel in Judäa und Galiläa zu verkündigen, ist von ihm nicht mehr die Rede. Bartholomäus war ein Galiläer, gleichwie auch die übrigen Apostel, und nach Theodorets Bericht gleichfalls ein Fischer. Etliche aber glauben, er sei von fürstlichem Stamm gewesen, und ein Neffe des Königs von Syrien.
Der Name Bartholomäus ist wahrscheinlich aramäischen Ursprungs und heißt: „bar Talmay“, was „Sohn des Talmay“ bedeutet. „Bartholomäus“ wird jedoch traditionsgemäß mit „Natanaël“ gleichgesetzt, was „Gott hat gegeben“ bedeutet. Schon im frühesten christlichen Altertum wurde Natanaël für eine und dieselbe Person wie Bartholomäus gehalten.
Die Berufung Nathanaels
Über die Berufung des Natanaël berichtet uns das Johannesevangelium. Es war in Kana in Galiläa. Nathanael ruhte im Garten von der Fischerarbeit aus. Da trat sein Freund Philippus aus Bethsaida zu ihm und berichtete begeistert: „Gefunden haben wir Den, von welchem Moses im Gesetz und die Propheten geschrieben haben, Jesus, den Sohn Josephs von Nazareth!“ Nathanael, so unvermittelt aus seinen Gedanken gerissen, schaute den Freund verwundert an und wendet trocken ein: „Kann wohl von Nazareth etwas Gutes kommen?“ Philippus ließ sich aufgrund seiner Freude in kein langes Gespräch ein, um dem Freund die Wahrheit seiner Nachricht zu erweisen, er faßte ihn einfach bei der Hand und sprach: „Komm und sieh selbst.“ Nathanael erhebt sich gemächlich und geht mit ihm. Als Jesus ihn kommen sieht, ruft Er ihm als Willkommensgruß entgegen: „Siehe da, ein echter Israelit ohne Falsch und Arg!“ Nathanael fragt verwundert über diesen Gruß: „Herr, woher kennst du mich?“ Jesus entgegnet: „Ehe Philippus dich gerufen, da du unter dem Feigenbaum warst, habe ich dich gesehen.“ Es wird nicht verdeutlicht, was damit genau gesagt ist, aber aus der Reaktion Nathanaels zeigt sich seine innere Erschütterung: „Rabbi, Du bist Gottes Sohn, der König von Israel.“
Eine Schau der Anna Katharina Emmerich
Weil es gar so schön ist, soll hier angeführt werden, was Anna Katharina Emmerich geschaut hat:
„Philippus hatte zuvor nie mit Nathanael von Jesus gesprochen, weil dieser nicht mit den andern zu Gennabris gewesen war. Er war gut mit ihm bekannt und sprach sehr begeistert und freudig von Jesus. Er sei der Messias, vom dem die Weissagungen sprechen. Sie hätte Ihn nun gefunden, Jesus von Nazareth, den Sohn Josephs! Nathanael war ein heiterer, rascher, doch fester und auf seiner Meinung bestehender Mann, dabei aber sehr redlich und aufrichtig. Er sagte zu Philippus: „Was kann von Nazareth besonders Gutes kommen?“ denn er kannte wohl den Ruf der Nazarethaner, daß da ein widerwärtiger Geist und nicht viel Weisheit in den Schulen war. Er dachte, ein Mann, der dort seine Bildung geholt habe, könne höchstens seine gutmütigen einfacheren Freunde, nicht aber ihn und seine Ansprüche an Gelehrsamkeit befriedigen. Philippus aber sagte zu ihm, er solle kommen und sehen, wer Er sei; Er werde gleich auf dem Weg nach Kana hier vorbeiziehen. Nun ging Nathanael mit Philippus herab auf dem kurzen Weg, an dem das Haus von der Landstaße nach Kana abseits lag, und Jesus stand mit einigen Jüngern still, wo dieser Weg in die Landstraße einläuft. Philippus war sehr erfreut und vertraulich, seit ihn Jesus gerufen hatte, so schüchtern er vorher gewesen; er sagte laut, indem er sich mit Nathanael Jesus näherte: „Rabbi, da bringe ich den, welcher fragte, was kann Gutes aus Nazareth kommen?“ Jesus sprach aber zu den Jüngern, die bei Ihm standen, indem Nathanael vor Ihn trat: „Sieh da! ein wahrer Israelit, in dem kein Falsch ist!“ Das sagte Jesus ganz freundlich und liebevoll, und Nathanael sagte: „Woher kennst Du mich?“ Er wollte damit sagen: woher weißt Du, daß ich wahr und ohne Falschheit bin, da wir uns nie gesprochen haben? Das sagte Jesus zu ihm: „Eh dich Philippus gerufen hat, sah ich dich, als du unter den Feigenbaum standest“ und bei diesen Worten blickte ihn Jesus auf eine ganz rührende, erinnernde Art an.
Da erwachte auf diesen Blick plötzlich die Erinnerung in Nathanel, daß Jesus derjenige Vorüberwandelnde sei, dessen ernster warnender Blick ihn mit einer wunderbaren Stärkung getroffen, als er unter einem Feigenbaume auf den Spielplätzen der warmen Bäder mit Versuchung kämpfend nach schönen Frauen geschaut hatte, welche an einer Seite der Wiese um Früchte spielten. Die Gewalt des Blickes und der Sieg, den Nathanael ihm zu verdanken hatte, war ihm gegenwärtig geblieben, das Bild jenes Mannes vielleicht nicht; oder hatte er auch Jesum gleich wieder erkannt, so konnte er sich doch nicht denken, daß jener Blick Absicht desselben gewesen. Jetzt aber, da sich Jesus darauf berief und ihn wieder scharf anblickte, war er sehr erschüttert und gerührt; er fühlte, daß Jesus vorüberwandelnd damals seine Gedanken gesehen und ihm ein schützender Engel gewesen; denn er war so reinen Herzens, daß ein unreiner Gedanke ihn schon sehr betrübte. Er sah daher augenblicklich in Jesus seinen Retter und Heiland, und dieses Erkennen seiner Gedanken durch Jesus war seinem aufrichtigen, raschen und dankbaren Herzen genug, Ihn augenblicklich freudig vor allen Jüngern anzuerkennen. ER demütigte sich vor Jesus gleich nach jenen Worten und sagte: „Rabbi, Du bist Gottes Sohn; Du bist der König Israels!“ Da sagte Jesus: „Du glaubst schon, weil Ich sagte, Ich hätte dich unter dem Feigenbaume gesehen; wahrlich, du wirst Größeres als das sehen!“ und dann sagte Er noch beteuernd zu allen: „Wahrlich! wahrlich! ihr werdet den Himmel sich auftun sehen und die Engel Gottes über dem Menschensohn auf- und niedersteigen!“
(P.C.E. Schmöger, Das Arme Leben und bittere Leiden unseres Herrn Jesus Christus und seiner heiligsten Mutter Maria nebst den Geheimnissen des alten Bundes nach den Gesichten der gottseligen Anna Katharina Emmerich, Friedrich Pustet, Regensburg 1881, S. 310 f.)
Soweit unsere Visionärin.
Die Mission des hl. Bartholomäus
In der östlichen Liturgie heißt es im Troparion: „Vom Heiligen Geist wurdet ihr erfüllt, der in Gestalt feuriger Zungen auf euch gekommen. Ihr verkündigtet überall die Ankunft des Gottessohnes, des Wortes im Fleische. Für ihn wurde der eine gekreuzigt und der andere gesteinigt. Ihr seid die Zierde des Apostelstandes, o Bartholomäus und Barnabas, darum verehren wir euer Gedächtnis und rufen: Bittet Christus, unsern Gott, uns unsere Sünden zu vergeben.“
Dieses liturgische Gebet zeugt von der rechten Glaubensschau des Lebens eines Apostels. Wie nämlich die Legende erzählt, haben die Apostel nach dem Pfingstfest die damals bekannte Welt unter sich als Missionsgebiet aufgeteilt. Der hl. Apostel Bartholomäus hatte sich hierauf zuerst nach Licaonien begeben, um das hl. Evangelium zu predigen. Von dort aus wendet er sich nach Syrien und in die oberen Teile von Asien und schließlich nach Indien. Die Jahrbücher melden, daß Panthenus, Lehrer von Alexandrien, als er ungefähr hundert Jahre danach an denselben Ort gekommen war, das Evangelium nach Matthäus, welches Bartholomäus dort hingebracht und die Inder in ihrer Muttersprache gelehrt hatte, gefunden, und mit sich genommen habe.
Bartholomäus befreit die Armenier vom Götzendienst
Zuletzt hat der hl. Bartholomäus das Evangelium in Groß-Armenien verkündet. Er wirkte in diesem Lande große Wunder an Kranken und Besessenen. Als der König Polymius davon hörte, bat er den Apostel zu sich, daß er seine Tochter, die wegen ihrer Wutanfälle in starke Ketten gelegt werden mußte, heilen möchte. Bartholomäus kam und befreite durch ein kurzes Gebet die Prinzessin vom bösen Geist. Außerordentlich war die Freude über dieses Wunder in der ganzen Stadt. Der überglückliche König wollte dem Apostel Geschenke aus Gold und Edelsteinen aufnötigen, der aber wies alles mit den Worten zurück: „Nicht das Verlangen nach Gold und Silber hat mich in dieses Land geführt, sondern das Verlangen nach Rettung der Seelen. Nicht wünsche ich, daß du mir die Schätze deines Reiches gebest, sondern daß du die Schätze des Himmelreiches von mir annehmest, indem du dem Götzendienst entsagst und den Einen Gott des Himmels und der Erde anbetest.“ Dann verkündete er dem ganzen Hof Jesus, den Gekreuzigten und fügte bei: „Zum Beweis, daß eure Götter nur Teufel sind, die aus euern toten Bildern reden, wollen wir in den Tempel gehen, und ich will den Teufel zwingen, daß er die Wahrheit meiner Worte öffentlich selbst bestätigt.“ Das Anerbieten gefiel allen Anwesenden und der König mit sehr vielem Volk begleitete ihn in den Haupttempel der Göttin Astaroth. Im Namen Jesu befahl ihr Bartholomäus, laut zu bekennen, wer sie sei. Mit gräßlichem Geheul gestand sie: „Ich bin ein Teufel und habe bisher den König und sein Volk betrogen: es gibt nur einen Gott, den dieser euch verkündet.“ Bartholomäus befahl nun diesem Teufel, daß er alle Götzenbilder der ganzen Stadt zerschlage. Und siehe, zur selben Stunde fand man in allen Tempeln die Götzenbilder zertrümmert. Auf diese Begebenheit hin ließen der König, seine Familie und sehr viele Einwohner des Reiches sich taufen.
Da begegnen wir doch einen ganz anderen Geist als in der Menschenmachwerkskirche mit ihrem interreligiösen Wahn. Was wäre etwa geschehen, wenn man beim götzendienerischen Treffen in Assisi 1986 einen Exorzismus gebetet hätte, vielleicht hätten sich die Götzen dann ebenfalls offenbaren müssen. Da aber Karol Wojtyla, alias Johannes Paul II., selber ein begeisterter Götzendiener war, war an so etwas natürlich nicht zu denken. Anders als die modernen Verführer in Rom hat der hl. Apostel noch weitere zwölf Städte in derselben Landschaft, in welchen dem Teufel durch den Götzen Astharoth gedient wurde, von der Abgötterei befreit und mit der Erkenntnis Jesu Christi und des einzige wahren, dreifaltigen Gottes erleuchtet. Die Götzenpriester wandten sich daraufhin in ihrer Wut an Astyages, dem feindlichen Bruder des Polymius. Dieser schickte eintausend Soldaten aus, die den hl. Bartholomäus gefangen nahmen und in die heutige Stadt Baku in Aserbajdschan brachten.
Als nun Bartholomäus vor dem König stand, wurde er von ihm gescholten, weil er seinen Bruder verführt und den Gottesdienst im Lande wankend gemacht habe. Deshalb drohte er ihm mit dem Tode, wenn er nicht aufhören würde, Christus zu predigen und sich weigerte, seinen Göttern zu opfern. Auf diese Beschuldigungen antwortete der hl. Apostel, er habe seinen Bruder nicht verführt, sondern vielmehr ihn zum wahren Gott bekehrt und in seinem Land den wahren Gottesdienst geschenkt. Deswegen sei er bereit, lieber sein Zeugnis mit seinem Blut zu besiegeln, als den geringsten Schiffbruch seines Glaubens oder Gewissens zu erleiden. Hierauf wurde er vom König verurteilt, erst viel gepeinigt und mit Stöcken geschlagen zu werden; daraufhin sollte er mit dem Kopf nach unten an ein Kreuz aufgehängt, lebendig die Haut abgezogen und ihm endlich mit dem Beil das Haupt abgeschlagen werden. Nachdem der Apostel dies alles tapfer erlitten hatte, durfte er in die Freude seines Herrn eingehen.
Wenn die Legende zudem beifügt, der heilige Apostel habe, nachdem die Haut ihm abgezogen war, noch voll Begeisterung gepredigt und die Umstehenden zum Glauben und zur Liebe Jesu aufgemuntert, so war ganz gewiß der Anblick seiner heroischen Geduld und Standhaftigkeit die überzeugendste Predigt dafür, daß alle Leiden dieses Lebens für Nichts zu achten seien im Vergleich zur ewigen Seligkeit, welche Jesus seinen treuen Dienern im Himmel verheißen hat. Der Enthauptung des Heiligen folgte sogleich die furchtbare Strafe Gottes für seine Peiniger. Astyages und die Götzenpriester wurden von bösen Geistern besessen, dreißig Tage lang schrecklich gequält und dann getötet.
Der hl. Bartholomäus, die große Sonne
Hören wir nochmals in die östliche Liturgie hinein, wie sie unseren Apostel preist. Im Kondakion betet sie: „Du erschienest für die Welt als große Sonne. Durch die Strahlen der Lehren und furchtbaren Wunder erleuchte die dich Ehrenden, o Bartholomäus, Apostel des Herrn.“
Es ist schon wahr, die zwölf Apostel waren wie zwölf Sonnen, aus denen der göttliche Glaube hell und rein erstrahlte und die Welt wunderbar mit dem göttlichen Licht erleuchtete, das Jesus Christus ist. Und Gott würdigte sich, mit furchtbaren Wundern die verkündete Frohbotschaft der Erlösung durch Jesus Christus zu untermauern. Würden sich doch auch heute noch die Menschen diesem Lichte zuwenden, wie anders sähe unsere Welt aus. Der heilige Leib des Apostels wurde von den Christen ehrenvoll begraben. Später kam er nach Dora in Mesopotamien, wo Kaiser Justin eine prachtvolle Kirche zu seiner Ehre erbaute. Zur Zeit der Sarazenen gelangte er nach Benevent. Von dort brachte Kaiser Otto II. mehrere seiner Reliquien nach Rom. Die Armenier verehren den hl. Bartholomäus als den Apostel ihrer Nation. Bei uns verbreitete sich die Verehrung des Heiligen im 10. Jahrhundert vor allem in Ostdeutschland, in Böhmen und in Mähren. Vom Beginn des 13. Jahrhunderts an trägt Bartholomäus in den Darstellungen das Messer, die abgezogene Haut findet sich als feststehendes Attribut erst in den zahlreichen Darstellungen der folgenden Zeit.
Eines der ganz großen Kunstwerke Michelangelos ist das Jüngste Gericht in der Sixtinischen Kapelle. Gönnt man sich genügend Muße, so beginnt man allmählich die vielen Details wahrzunehmen. Eines davon ist die irgendwie schaurige Darstellung eines Heiligen, der seine eigene Haut in der linken Hand hält. Es ist der heilige Apostel Bartholomäus. Das Antlitz auf der von Bartholomäus getragenen Haut gilt als das Selbstbildnis Michelangelos.
Patronat des hl. Bartholomäus
Der hl. Apostel Bartholomäus wird besonders als der Patron der Sünder verehrt. Weil er nämlich unter allen Märtyrern das Grausamste und Schmerzlichste gelitten, übt er die erhabenste Großmut, indem er vorzüglich für die Bekehrung der Sünder betet. Zudem gilt er als Patron der Fischer, Bergleute, Gipser, Bauern, Winzer, Hirten, Lederarbeiter, Gerber, Sattler, Schuhmacher, Schneider, Bäcker, Metzger, Buchbinder und (in Florenz) der Öl- und Käsehändler. Auch als Patron gegen Haut- und Nervenkrankheiten, Zuckungen und böse Geister wir er angerufen. Im Kirchengebet des Festtages heißt es:
„Allmächtiger, ewiger Gott, Du hast uns am heutigen Tag die heilig, festliche Freude der Gedächtnisfeier Deines heiligen Apostels Bartholomäus bereitet; wir bitten Dich nun: laß Deine Kirche lieben, was er geglaubt, und verkünden, was er gelehrt hat…“
Es zeigt sich wieder einmal, die hl. Liturgie ist immer gebteter Glaube. Die wahre Kirche soll und kann nur das lieben, was der Apostel geglaubt hat, und nur das verkünden, was er gelehrt hat. Nur dann ist sie eine wahrhaft apostolische Kirche und keine Menschenmachwerkskirche. Haben doch die Apostel ganz und gar im Auftrag Christi gewirkt und unfehlbar im Heiligen Geist gewirkt.