Eine fast unendliche Geschichte II - 2. Teil

Nach dem Willen unseres göttlichen Heilandes sollte sich der König von Frankreich mit seinem ganzen Hof dem Herzen Jesu weihen. Was von der geforderten Weihe übrigblieb, war eine Privatandacht der königlichen Familie. Wenn auch die Verehrung und Anbetung des heiligsten Herzen Jesu sich durch den Einsatz der Königin in Frankreich verbreitete, das eigentliche Wunder blieb aus, wie die kommenden Jahrzehnte zeigten.

Ludwig XVI., seine Weihe und sein Gelübde an das Herz Jesu

Ludwig XVI. hatte die Regierung Frankreichs im Jahre 1774 angetreten. Schon unter seinen Vorgängern war durch Verschwendungen und Kriege die Staatsschuld ungeheuer angewachsen; andererseits aber untergruben die Jansenisten und ungläubige Gelehrte das Ansehen der Kirche und des Staates, bekämpften das Christentum wie überhaupt jeden religiösen Glauben, und weckten immer mehr die Unzufriedenheit der Untertanen gegen die königliche Regierung. So brach endlich im Jahre 1789 die Revolution los. Der König Ludwig XVI. war ein wohlwollender, menschenfreundlicher, sittenreiner Mann und gläubiger Katholik, aber dem Sturm gegenüber zu schwach und zu nachgiebig. Wiewohl mit innerem Widerstreben unterschrieb er doch viele Gesetze, welche ungerecht, kirchenfeindlich und gottlos waren. Diese Nachgiebigkeit rettete ihn nicht vor dem Untergang. Er wurde von den Revolutionären in seinem eigenen Palast in Paris wie ein Gefangener behandelt. Seine Leibwache war zu Gefangenenwächtern geworden, ohne deren Erlaubnis er nicht hingehen durfte, wo er wollte.

Aller menschlichen Hilfe beraubt, erhob der unglückliche Monarch Augen und Herz zu Gott und suchte Rettung beim Herzen des Heilandes. Es war am 10. Jänner 1790; da unternahm er mit seiner Familie und mehreren Hofdamen einen Spaziergang in der Richtung der Domkirche zu unserer Lieben Frau. Mit Erlaubnis seiner Wächter trat er mit seiner Begleitung in den Dom hinein, warf sich dort vor dem Allerheiligsten nieder und weihte sich, seine Familie und sein Reich dem göttlichen Herzen. Zugleich machte die ganze Familie ein Gelübde, alljährlich zu Ehren des göttlichen Herzens ein reichliches Almosen zu spenden. Auch ließ man zwei Herzen von Gold machen; das eine stellte das hochheiligste Herz Jesu, das andere das reinste Herz Mariä dar. In dieselben wurden die Namen aller bei der Weihe Beteiligten hinterlegt. Diese zwei Herzen werden noch jetzt in der Kirche zu Chartres aufbewahrt.

Diese Weihe verbesserte die Lage des Königs nicht; das Unheil des Unglaubens und der Sittenlosigkeit hatte sich zu tief in das Land eingefressen. So schritt die Revolution mit jedem Tag voran und bedrohte Herrschaft und Leben des Königs. In der äußersten Not nahm der Monarch ein zweites Mal seine Zuflucht zum göttlichen Herzen Jesu. Er machte in den ersten Monaten des Jahres 1792 ein großes, viel umfassendes Gelübde, schrieb es eigenhändig auf, und übergab es dann seinem Beichtvater, P. Hebert, dem Generalobern des Ordens der Eudisten. …

So gut auch der Wille des Königs, so glaubensvoll und gottvertrauend sein Herz, so nützlich diese frommen Gelübde für das Heil seiner eigenen Seele sein mochten, die Strafgerichte der vom ganzen Land schwer beleidigten Gerechtigkeit Gottes vermochten sie nicht abzuwenden. Die Revolutionäre bekamen immer mehr die Oberhand. Im August-Monat desselben Jahres 1792 wurde von ihnen die königliche Würde aufgehoben, und der König mit seiner Gemahlin, mit seiner Schwester Elisabeth und den beiden königlichen Kindern Ludwig und Maria Theresia in das Staatsgefängnis geworfen. Am 3. September veranstaltete der Gemeinderat von Paris ein furchtbares Blutbad in seiner Wut gegen alle, welche noch königlich gesinnt waren.

(Franz Hattler SJ, Großes Herz-Jesu-Buch für die christliche Familie, 1897, S. 686 – S. 688)

Das Ende der französischen Monarchie

So ist es also den französischen Königen ergangen, die der Forderung unseres gütigsten Heilandes nicht nachgekommen waren. Die persönliche Frömmigkeit des letzten Königs konnte die Schuld nicht mehr wiedergutmachen. Anstatt daß das Heiligste Herz Jesu regiert hätte, übernahmen die Revolutionäre die Macht und errichteten eine wahre Schreckensherrschaft.

Fast 1000 Jahre war Frankreich eine Monarchie. Ludwig XIV., der Sonnenkönig, hatte den absoluten Herrschaftsanspruch des Königs auf die Spitze getrieben. Er und sein Nachfolger Ludwig XV. galten als die mächtigsten Herrscher Europas. Als Ludwig XVI. im Jahr 1774 den königlichen Thron bestieg, dachte niemand, daß dieser 19 Jahre später hingerichtet werden würde. Aufgrund der immer höheren Ausgaben der prunksüchtigen Vorgänger war der Staat Ende der 1780er-Jahre bankrott. Ludwig XVI. mußte deswegen die Generalstände einberufen, um einen Ausweg aus der Finanzmisere zu finden – das war jedoch der Anfang der Revolution, die dem König schließlich den Kopf kostete.

Am 21. Januar 1793 um 8.30 Uhr setzte sich die Kutsche vom Temple zum Place de la Révolution in Bewegung. Fast 80.000 Bewaffnete und zahllose Zuschauer säumten den Weg. Gegen zehn Uhr erreichte der Zug den Hinrichtungsplatz. „Welch ein Anblick! Den Enkel Ludwigs XIV., vor Kurzem den Mächtigsten der Könige, in einem Wamse, mit gefesselten Händen, in der Gebärde eines Missetäters, vor einem unerbittlichen Volke dastehen zu sehen“, berichtete ein Augenzeuge.

Ein Königstreuer namens Bernard beschrieb die Ereignisse des Tages in einem Brief an seine Mutter: „[Der König] wollte vom Gerüst aus mit den Menschen sprechen, wurde jedoch von einem Trommelwirbel unterbrochen und von den Henkern ergriffen, die ihn direkt unter die tödliche Klinge schoben. Er konnte diese Worte nur mit starker Stimme sagen: ‚Ich vergebe meinen Feinden. Ich vertraue darauf, dass mein Tod für das Glück meines Volkes sein wird, aber ich trauere um Frankreich und fürchte, sie könnte den Zorn des Herrn erleiden.‘ Der König zog am Fuße des Gerüsts seinen Mantel aus. Als jemand ihm helfen wollte, sagte er fröhlich: ‚Ich brauche keine Hilfe.‘ Auf dem Gerüst band der Henker seine Hände hinter den Rücken und schnitt [ihm] dann die Haare. Nach seinem Tod wurden sein Körper und sein Kopf zum Pfarrfriedhof gebracht und in eine 15 Fuß tiefe Grube geworfen, wo sie mit Branntkalk verzehrt wurden.“

Nach der Hinrichtung fand unter dem Schafott ein merkwürdiges Volksfest statt, bei dem nicht nur gesungen und getanzt, sondern auch „widersittliches Unwesen getrieben“ wurde, wie ein anderer Augenzeuge, der deutsche Journalist Oelsner berichtete. Manche malten sich mit dem aufgefangenen Blut des Königs Schnurrbärte an. „Die Weiber wollten Königsblut auf ihren Fingern, die Männer auf ihren Säbeln haben, einige füllten die Scheiden damit an. Die Kleider des Delinquenten wurden in die ersinnlich kleinsten Fetzen geteilt, die Haare des Catogans [Haartracht für Männer mit Zopf im Nacken] büschelweise und sehr teuer verkauft.“

Mit der Hinrichtung Ludwig XVI. hatten die „Königsmörder“ alle Brücken zum Ancien Régime abgebrochen. Nach der Revolution gab es keine Könige im alten Stil mehr, nach der Revolution kam Napoleon, der Kaiser, der sich selbst krönte. Was blieb, war der revolutionäre Geist und die überhandnehmende Gottlosigkeit. Die Königin Marie Antoinette wurde am 16.10.1793 ebenfalls hingerichtet. So erging es also den französischen Königen, die sich, ihre Herrschaft und damit das Land nicht dem Herzen Jesu weihen wollten. Ein unbeschreibliches Elend traf ganz Frankreich.

Verfolgung der Herz-Jesu-Verehrer durch die französischen Revolutionäre

Der Haß der Umsturzmänner gegen alle Religion hatte sich in besonderer Weise gegen das göttliche Herz Jesu und seine Verehrung gerichtet. Und so geschah es, daß sie dieselben verspotteten, mit strengen Gesetzen die Andacht verboten, die Verbreitung von Herz-Jesu-Bildern unter Todesstrafe untersagten. Einer der ärgsten und wütendsten Blutmenschen der Revolution war ein gewisser Marat. Er forderte einmal, nicht weniger als 200 000 Adeligen und zwei Drittel der Reichsrat-Abgeordneten die Köpfe abschlagen zu dürfen; dann erst, sagte er, würde Frankreich glücklich und mächtig werden. Nun wurde er im Jahre 1793 selbst ermordet. Seine Freunde, die schlechtesten Kerle von Paris, begruben seinen Leichnam wie den Leib eines Heiligen. Sie errichteten ihm in einer Kirche einen Altar, legten sein Herz in ein kostbares geraubtes Kirchengefäß und stellten es auf den Altar. Dabei sangen sie eine ganz gottlose Litanei, worin nebst Anderen auch die schrecklichen, gotteslästerlichen Worte vorkamen: „O Herz Jesu, o Herz Marat‘s! O heiliges Herz Jesu, o heiliges Herz Marat‘s! Ihr habt beide dasselbe Recht auf unsere Verehrung.“

Am 2. September 1792 wurden auf einmal nicht weniger als 208 Priester ermordet. Unter ihnen war auch der Beichtvater des unglücklichen Königs Ludwig XVI. Bei mehreren derselben fand man Bilder des göttlichen Herzens, was für die Blutmenschen ein besonderer Grund war, sie grausam abzuschlachten. Im Jänner 1794 wurde der Spitalkaplan Benard hingerichtet. Seine Richter hatten dies Urteil über ihn verhängt, weil er, wie sie sagten, Zeichen des Aufruhrs und einer durch das Gesetz verbotenen Schwärmerei bei sich getragen. Diese Zeichen waren aber die Bilder der Herzen Jesu und Mariä. Als Benard diese Anklage und sein Urteil gehört hatte, sprach er mutig: „Ich danke Gott, daß ich deswegen sterben kann, weil ich diese Zeichen meines Glaubens und Vertrauens getragen habe.“

Im selben Jahr wurde in Paris ein sehr braver junger Mann gemartert, weil er seine christliche Gesinnung nicht verleugnete und einen Brief mit einem Siegel verschlossen hatte, auf welchem das heiligste Herz eingegraben war.

In der Provinz Vendee hatte sich das katholische, königstreue Volk erhoben, um seine Religion und seinen König zu verteidigen. Ihr Kriegsheer nannte sich das „katholische“, ihr Losungswort war. „Für Gott und König!“ Als Abzeichen dieser ihrer katholischen, königstreuen Gesinnung wählten sie das Bild des heiligsten Herzens. Man trug es auf Waffenrock an der Brust eingestickt oder eingenäht. In der Schlacht wurde ein Kreuz voran getragen, auf welchem zu den Füßen des Gekreuzigten zwischen Palmenzweigen zwei Herzen angebracht waren. Sie stellten die doppelte Absicht dar, mit welcher die Herzen des Volkes in den Kampf zogen, Verteidigung des hl. Glaubens und des Königs. Daher trugen die Herzen auch die Umschrift: „Der Eifer für den Herrn verzehrt mich!“ Das war für die Revolutionäre Grund genug, jeden, der das Bild des göttlichen Herzens bei sich trug, grausam hinzumorden.

Ein alter Rittmeister in dieser Provinz Vendee sandte von seinem Schloss aus an seine Tante einen Brief, welchem er ein Dutzend Bilder des heiligen Herzens Jesu beilegte. Er hatte sie selbst auf Papier gemalt und dazu geschrieben: „Ich sende Ihnen einen kleinen Vorrat von Herz-Jesu-Bildern, die ich nach Ihrer Absicht gezeichnet habe. Sie wissen, daß Personen, welche diese Andacht zum heiligsten Herzen pflegen, in all ihren Unternehmungen gesegnet sein werden.“ Dieser Brief wurde von den Revolutionären aufgefangen, und da diese in den Bildern das Abzeichen des katholischen Heeres erblickten, wurde das Schloß als Herd der Verschwörung betrachtet und sollte in Brand gesteckt werden.

Im Jahre 1791 überfielen die Unmenschen ein Frauenkloster in der Bretagne. Sie stellten an die Klosterfrauen die Anforderung, die gottlosen Gesetze zu beschwören. Alle verneinten es und so wurden sie aus dem Kloster vertrieben. Unter ihnen war auch eine junge Nonne, M. Viktoria mit Namen. Sie hatte die Malerei gelernt und benützte jetzt ihre Kunst, Bilder des göttlichen Herzens zu malen. Sie ersann immer wieder neue Weisen, es recht schön und anziehend darzustellen, und es dann ihren Verwandten und Freunden zukommen zu lassen, und so die Andacht zum göttlichen Herzen Jesu zu verbreiten.

Eines dieser Bilder schenkte sie dem Hausarzt. Der Doktor nahm es mit Freuden an und bat sie um ein zweites für seinen Bruder; dieser war Schiffskapitän. Viktoria übergab ihm auch dieses Bild mit den Worten: „Herr Doktor! Sagen Sie Ihrem Bruder, er solle sein Vertrauen auf dieses Bild setzen; es wird den Segen des Himmels über ihn herabrufen.“ Der Doktor versprach es und ging. – Ein Herz-Jesu Bild in den Händen eines Soldaten konnte zu einer Zeit nicht leicht verborgen bleiben, wo man alles Heilige zu zerstören suchte. Und so wurde bald nach dem Urheber und Geber dieses Bildes gesucht, Viktoria entdeckt und vor Gericht gezogen. Nach einigen gleichgültigen Vorfragen sagte der Richter: „Warum haben Sie solche Gemälde, solche Bilder des Aberglaubens gemalt, und warum haben Sie dieselben verteilt?“ – Viktoria erwiderte offen: „Sie wissen, ich bin eine Klosterfrau; Sie dürfen sich also nicht wundern über meine Arbeit, und daß ich mich beschäftige, heilige Bilder zu verfertigen.“ Dies Geständnis genügte den Blutmenschen, Viktoria zum Tode zu verurteilen. Sie wurde am 19. Juli 1794 mit ihren Eltern hingerichtet.

So sehr sich nun die Feinde der Religion auch bemühten, die Andacht zum göttlichen Herzen gründlich zu vernichten, so vermochten sie doch nicht aufzukommen gegen die treue, mächtige Verheißung des Heilandes, die er der seligen M. Alacoque getan: „Ich werde herrschen trotz meiner Feinde!“ Die Revolution in Frankreich ging nach den furchtbarsten Greueltaten vorüber, die Verehrung des göttlichen Herzens aber blühte erst recht im schönsten Schmuck auf.

(Franz Hattler SJ, Großes Herz-Jesu-Buch für die christliche Familie, 1897, S. 691 – S. 693)

Und die Päpste?

Soweit das geschichtliche Vorbild. Wie war es nun mit dem Nachbild? Wie verhielten sich die Päpste seit 1917 gegenüber der Forderung der Gottesmutter in Fatima? Benedikt XV. war sicherlich zunächst noch durch den Ersten Weltkrieg und seine Folgen mit anderen Sorgen belastet. Aber auch im weiteren Verlauf seines Pontifikates wird nicht berichtet, daß er von den Botschaften in Fatima etwas vernommen hätte. Jedenfalls geschah unter seinem Pontifikat überhaupt nichts bezüglich der geforderten Weihe.

Sein Nachfolger Pius XI. wurde, wie schon berichtet, ganz sicher über die Forderung des Himmels in Kenntnis gesetzt. Er ließ jedoch die Sache auf sich beruhen, d.h. Rom wartete wie üblich zunächst einmal ab. Wie ebenfalls schon dargelegt, war es dem Lehramt eigentümlich, gegenüber Privatoffenbarungen zunächst zurückhaltend zu sein, denn die jeweilige Sache mußte vorerst hinreichend geprüft werden, ehe man ein sicheres Urteil fällen konnte. Dennoch läßt sich hiergegen einwenden: Kann es nicht Ausnahmen geben? Wäre in diesem Fall nicht eine besondere Dringlichkeit erkennbar gewesen? Es ließe sich etwa denken, daß Gott dem Papst, wie damals bei der Anerkennung des Franziskanerordens, dies persönlich in einer Vision mitteilt. Warum griff der Himmel nicht (mehr) in dieser außerordentlichen Weise ein?

Verhängnisvolles Schwanken zwischen übernatürlicher Weisheit und politischer Klugheit

Die Päpste schwankten in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts zwischen übernatürlicher Weisheit und politischer Klugheit hin und her. Während der hl. Pius X. noch ganz konsequent etwa in Frankreich auch die politischen Schlußfolgerungen aus dem Widerspruch zwischen Freimauerei und Kirche zog und eine Verfolgung der Kirche durch die freimaurische Regierung in Kauf nahm, schwenkten seine Nachfolger eher hinüber zur Seite der menschlichen Klugheit. Eine der tragischsten politischen Fehlentscheidungen war diejenige Pius XI. bezüglich der Christeros in Mexiko. Seine Nachgiebigkeit gegen die Freimaurerei und seine Naivität bezüglich der Versprechen der freimaurerischen Regierung forderte mehr als hunderttausend Menschenleben und stürzte das ganze Land in ein unbeschreibliches Elend. Wer waren die Berater des Papstes? Saßen die Verräter schon damals im Vatikan?

Unter Pius XII. konnte man die freimaurerische Unterwanderung der kirchlichen Institutionen schon nicht mehr übersehen. Überall zeigte sich der „neue“ Geist. Es war schließlich nur noch der Papst, der einer feindlichen Übernahme der Institutionen im Wege stand. Pius XII. hatte versucht zu retten, was noch zu retten war – es war aber nicht mehr viel zu retten. Ältere Zeitgenossen können sich noch an eine Radioansprache des Papstes erinnern, in der er zum Gebet für ihn aufrief, weil ihm in Vatikan niemand mehr gehorche. Was für eine innere Not verbirgt sich hinter einer solchen Bitte des Stellvertreters Christi auf Erden! Pius XII. befürwortete die Botschaft von Fatima, und, wie schon berichtet, erlebte er in den Vatikanischen Gärten das Sonnenwunder. Deshalb wollte er auch die Weihe vollziehen. Dennoch ist es Tatsache: Im Grunde sind alle der Überzeugung, daß die von Pius XII. vollzogene Weihe nicht so war, wie es die Gottesmutter in Fatima forderte.

Was war aber die Konsequenz davon? Wir haben es schon gehört: „Teile meinen Dienern mit, daß sie – da sie dem Beispiel des Königs von Frankreich folgen, indem sie die Ausführung meiner Bitte verzögern – ihm auch im Unheil folgen werden.“ Wie damals in Frankreich unter Ludwig XVI. war es nun auch hier zu spät. Die Revolution konnte nicht mehr aufgehalten werden. Und genauso wie die Revolutionäre den König beseitigten, beseitigten sie nun auch den Papst – was jedoch nicht ganz ohne besonderes Aufsehen geschehen sollte.

Der Leibarzt Pius‘ XII.

Der Tod Pius‘ XII. war nicht nur ein riesiges Medienspektakel, er war zudem ein außerordentlicher Skandal. Dafür sorgte sein Leibarzt Riccardo Galeazzi-Lisi (1891–1968). Dieser behandelte den Papst seit 1939. Der in Rom geborene Riccardo Galeazzi-Lisi war von Beruf Augenarzt, Ehrenmitglied der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften und der Halbbruder des einflußreichen Ingenieurs und Bankiers Graf Enrico Pietro Galeazzi, der von Pius XII. „Achitetto dei sacri palazzi“ (Architekt des hl. Palastes, also des Vatikans) genannt wurde. Man muß sagen, Riccardo Galeazzi-Lisi war eine recht schillernde Gestalt. Was uns besonders interessiert, sind seine ungewöhnlichen Bekanntschaften. Eine äußerst merkwürdige Bekanntschaft kam durch einen Skandal im Jahre 1953 ans Tageslicht, der lange Zeit ganz Italien in Atem hielt.

Ein ungelöster Kriminalfall: Der Tod der Wilma Montesi

Am 11. April 1953 wurde die Leiche von Wilma Montesi am Strand von Torvaianica südlich von Rom aufgefunden. Schon wenige Tage darauf hatte die Polizei das Untersuchungsergebnis veröffentlicht: Wilma Montesi sei nach Ostia gefahren, um ihre aufgeschundenen Füße im heilsamen Meerwasser zu baden; dabei sei sie plötzlich ohnmächtig geworden, in das Wasser gestürzt und von den (wie später festgestellt wurde, nicht vorhandenen) Strömungen nach dem 30 Kilometer entfernten Strand von Torvaianica abgetrieben worden. Nach fünf Tagen war der Fall abgeschlossen: Es war nichts weiter als ein tragischer Unfall. Dennoch sprachen allein schon folgende Indizien eindeutig gegen einen tragischen Unfall: Die Leiche war nur halbbekleidet gefunden worden, ihre restlichen Kleider jedoch nicht.

Nichtdestotrotz blieb diese ziemlich abenteuerliche amtliche Darstellung zunächst unwidersprochen. Nach den römischen Gassengerüchten sollte es allerdings bei dem Tode des Mädchens nicht mit rechten Dingen zugegangen sein. Im Zusammenhang mit dem Fall Montesi wurde immer wieder der Name des Piero Piccioni genannt, dessen Vater, Attilio, damals Außenminister war. Sohn Piero hatte kein Interesse an Politik, er arbeitete als Komponist und Jazzmusiker unter dem Namen Piero Morgan. Mit in den Fall hineingezogen wurde zudem der Marchese (Markgraf) Ugo Montagna.

Da aufgrund der Verhandlungen der Sumpf der römischen Politik für kurze Zeit an die Oberfläche gespült wurde, was eine fast hysterische Sensationslust aufstachelte, bemühte man sich, weiterführende Ermittlungen mit allen Mitteln zu verhindern.

Die Aufnahme der Ermittlungen durch die Carabinieri

Durch den Journalisten und Herausgeber der kleinen Zeitschrift „Attualità“, Silvano Muto, der im Oktober 1953 einen auf Hörensagen beruhenden Artikel veröffentlichte, in dem er – ohne Namen zu nennen – die Gerüchte um eine Beteiligung der oben genannten Prominenten und anderer Mitglieder der römischen High Society aufgriff und weiterspann, erwachte das Interesse an dem Fall neu. Und das im Grunde genommen durch die Schuld der italienischen Polizei, die aus lauter Angst Muto festnahm und dem Untersuchungsrichter vorführte.

Der Untersuchungsrichter überredete den Journalisten, ein Formular zu unterschreiben, in dem er seinen Artikel als Phantasieprodukt bezeichnete. Hierauf wurde sofort gegen Muto Anklage erhoben, weil er mit unwahren Geschichten die Öffentlichkeit beunruhigt habe, wohingegen die Untersuchung über den Todesfall der Montesi schon kurze Zeit später niedergeschlagen wurden.

In dieser schwierigen Situation meldete sich bei Silvano Muto eine neue Zeugin in dem Fall: Die Mailänder Aristokratin Anna Maria Moneta Caglio. Anna Maria hatte dem Vatikan und auch dem damaligen Innenminister Amintore Fanfani eine Kopie der ersten Fassung ihrer „römischen Erlebnisse“ zukommen lassen. Fanfani hatte die kurze Denkschrift an den Untersuchungsrichter weitergeleitet, wo es offensichtlich niemals eingetroffen ist, da es in den Akten fehlt. Innenminister Fanfani tat aber noch etwas Anderes, völlig Ungewöhnliches: Er betraute mit der weiteren Untersuchung des Falls Wilma Montesi den Carabinieri-Oberst Pompei – und nicht die Polizei. Damit kamen die Untersuchungen neu in Gang, sonst wären sie sicherlich einfach wieder im Sande verlaufen.

Marchese Ugo Montagna und seine Freunde

Neben den Hauptverdächtigen richtete sich das Interesse vor allem auf den Marchese Ugo Montagna di San Bartolomeo. Was hat der umtriebige Carabinieri-Oberst Pompei über diesen zu Tage gefördert? In seinem Bericht führte er unter anderem an: Ugo Montagna war viermal wegen Kreditbetruges und Wechselfälschung vorbestraft. Am 8. Mai 1941 sei Montagna polizeilich aufgefordert worden, die Orgien, die er in seiner damaligen römischen Wohnung in der Via Rabirio 1 organisierte, einzustellen. Wörtlich heißt es: „Montagna pflegte Frauen mit sehr zweifelhaftem Lebenswandel einzuladen, um die Lust hoher politischer Persönlichkeiten jener Zeit zu befriedigen.“ Und: „Es konnte nicht eindeutig festgestellt werden, ob zu Montagnas zahlreichen und unklaren Geschäften auch Rauschgifthandel gehört. Es ist aber nicht auszuschließen, daß bei den Zusammenkünften, die Montagna in Capocotta veranstaltete, Rauschgift verabreicht wurde und daß Montagna durch seine Bekanntschaften und Beziehungen den Rauschgifthandel gefördert hat.“

Weiter stellte der Bericht Pompeis fest, Montagna habe hochgestellte Freunde. Zu ihnen gehörten: Der päpstliche Leibarzt Galeazzi Lisi, der Präfekt Mastrobuono, ehemaliger Kabinettschef im Industrieministerium, der liberale Abgeordnete Bellavista, Großmeister der Freimaurerei, Anwalt Bernardini, Verteidiger vor der Sacra Rota, dem höchsten Kirchengericht, und hoher vatikanischer Würdenträger, Enrico Galeazzi, Gouverneur der Vatikanstadt, der Sohn Piero des Außenministers Piccioni.

Hinzu kam noch folgendes: Aus öffentlichen Mitteln wurde für Gut und Schloß Montagnas bei Fiano Romano eine Straße gebaut. Das Wasser für das „Haus Montagna“ wurde mit dem Tankwagen der Stadt Rom hinausgefahren. In Fiano Romano war Montagna, dessen Grafentitel, wie sich herausstellte, erschlichen war, eine Art moderner Feudalherr geworden.

Während in Capocotta Orgien stattfanden, wurden im dortigen Schlößchen Montagnas – so berichten Einwohner Fiano Romanos – vertrauliche politische Besprechungen der christlich-demokratischen Parteiführung abgehalten, wobei der Herr „Graf“ als großzügiger Gastgeber auftrat. Oft wurde der Minister Spataro, ein paarmal Scelba gesehen. In Rom sprachen einige Leute höhnisch von der „Nebenregierung von Fiano Romano“.

Der politische Führer der Illuminaten

Bei der Verhandlung gegen den römischen Journalisten Muto wurde das Testament Anna Maria Caglios, genannt der „schwarze Schwan“, verlesen. Das Testament hatte die Caglio geschrieben, weil sie einen Mordanschlag befürchtete. Ihr Vater hatte mehrere Detektive angestellt, die seine Tochter schützen sollten, ehe sie sich in einem Kloster versteckte.

In dem Testament war zu lesen: „Graf Montagna ist der Bandenführer, Piero Piccioni der Mörder Wilma Montesis.“ Als sie der Richter hierzu befragt: „Stehen Sie zu diesen Worten? Können Sie etwas dazu sagen?“, springt der der Staatsanwalt wie von einer Tarantel gestochen von seinem Sitz auf und beantragt die Vertagung und Wiederaufnahme der gerichtlichen Untersuchungen über die Ursachen des Todes der Montesi, ehe die Caglio auch nur ein Wort sagen konnte.

Was kaum einmal erwähnt wird, was aber den wahrhaft unheimlichen Einfluß Montagnas schlagartig erklärt: Der Scheingraf Montagna war der politische Führer der Illuminaten von Bayern in Italien! Nach Guy Carr, in seinem Buch „The Red Fog over America“, einem der führenden Experten für Freimaurerei, benutzte Ugo Montagna „schwarze Post, um viele Menschen zu zwingen, sich dem Willen der Meister, der Illuminaten, zu beugen“. Mit „schwarzer Post“ wird das Mittel der Erpressung umschrieben, das durch die Teilnahme der Erpressungsopfer an den von Montagna veranstalteten schwarzen Messen und Orgien möglich wurde.

Der Gerichtsmediziner Pellegrini zum Mordfall Montesi

Ergänzend zum Mordfall selber sei abschließend noch erwähnt: In einer umfassenden Expertise des berühmten Gerichtsmediziners der Universität Padua, Professor Pellegrini, stellt dieser grundsätzlich fest, daß die gerichtsmedizinische Untersuchung der Montesi mit merkwürdiger Leichtfertigkeit durchgeführt worden ist. Insbesondere beanstandete er, man habe nicht das Hirn seziert, wo auch noch nach dem Tod noch Kokain nachweisbar gewesen wäre. Außerdem wurden alle deutlichen Hinweise übersehen, die klar beweisen, daß Wilma nicht ertrunken ist, sondern ertränkt wurde. Vor allem aber sei auf Grund ganz eindeutiger Befunde an den Geschlechtsteilen und Oberschenkeln des Mädchens ein Lustverbrechen eines Sadisten die wahrscheinlichste Hypothese des Todes.

Das Ende des Gerichtsprozesses

Es ist leicht vorstellbar, welch reges öffentliches Interesse an dem Prozeß bestand, der ungewollt die ganze politische Spitze aufs Korn nahm, der den Außenminister und den Polizeichef zum Rücktritt zwang – und daß bei dieser schon hysterisch zu nennenden Aufgeregtheit der Mord an Wilma Montesi nur noch ein unbedeutender Nebenschauplatz war. Der Prozess endete 1957, wie nicht anders zu erwarten war, mit dem Freispruch der Angeklagten „wegen erwiesener Unschuld“. Bis heute ist der Tod von Wilma Montesi ungeklärt.

Fortsetzung folgt