Eine fast unendliche Geschichte II - 1. Teil

Betrachtet man die kirchliche Situation bis zum Ende des Pontifikates von Papst Pius XII., so ahnt man immer mehr, die Botschaft von Fatima paßt nicht mehr in die neu anbrechende Zeit. Die im Hintergrund agierenden Kräfte drängen zu einer Öffnung hin zur Welt. Die Kirche soll sich dem Geist der Welt angleichen, um auch weiterhin die Menschen erreichen zu können, so die Forderung der Modernisten.

Wie wir gezeigt haben, hat Pius XII. versucht, den Forderungen von Fatima nachzukommen, die diesem neuen Kurs entgegenstehen, aber es ist dann doch nicht zur der ausdrücklichen Weihe Rußlands an das unbefleckte Herz Mariens gemeinsam mit allen Bischöfen der Welt gekommen. Um den weiteren Verlauf unserer fast unendlichen Geschichte verstehen zu können, müssen wir uns nochmals auf den Ursprung zurückbesinnen, denn nach Pius XII. beginnt tatsächlich eine neue Zeit, eine ganz neue Zeit sogar.

Die Erscheinungen von Fatima beginnen im Jahr 1916 mit der Erscheinung des Engels und setzen sich dann im Jahr 1917 fort, wobei sie im Oktober enden. Meist weist man darauf hin, daß in diesem Jahr die kommunistische Revolution in Rußland begann, die zusammen mit dem Ersten Weltkrieg zu einer gewaltigen Umgestaltung der politischen Landschaft in ganz Europa führte – die hinwiederum schon die Vorbereitung des Zweiten Weltkriegs in sich barg.

Der heilsgeschichtliche Kontext der Botschaft von Fatima

Auch wenn in der Botschaft von Fatima die Rede von Irrtümern Rußlands ist, so ist damit nicht allein der Kommunismus gemeint. Dem Himmel geht es um den wahren, katholischen Glauben und um das Heil der Seelen – nicht um Politik. Anders ausgedrückt: Der Himmel interessiert sich nicht für die Profangeschichte, sondern allein für die Heilsgeschichte. Damit man das nicht aus dem Auge verliert und die ausdrückliche Erwähnung Rußlands richtig versteht, muß man auf den geistesgeschichtlichen Zusammenhang achten. Die katholische Kirche befand sich damals inmitten der sog. Modernismuskrise, die jedoch durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs wieder in den Hintergrund gedrängt wurde. Wie wir schon vielmals dargelegt haben, ist der Modernismus nicht einfach nur eine Irrlehre, sondern er ist ein irriges Denken, d.h. er ist zunächst ein irriges philosophisches System und erst dann ein ganzer Schwarm von theologischen Irrtümern.

Auf dem Vatikanischen Konzil vom 8. Dezember 1869 bis 20. Oktober 1870 wurden die dem Modernismus zugrunde liegenden Irrtümer – vor allem der sog. Naturalismus – verurteilt. Die Irrlehre des Naturalismus bedeutet zumindest eine indirekte Leugnung der Übernatur, also der gesamten Gnadenwirklichkeit. Es wird die Gesamtwirklichkeit auf die bloße Natur reduziert, d.h. im Naturalismus ist die Gnade kein göttliches Geschenk mehr, sondern eine Wirkung der Natur, sie ist keine Wirklichkeit mehr, sondern eine fromme Einbildung des Menschen. Dieser Naturalismus ist nichts anderes als der Vorläufer des Modernismus.

Wenn die Gnade keine von Gott geschenkte Wirklichkeit ist, ist keine Erlösung mehr notwendig, vielmehr „erlöst“ sich der Mensch selbst – und zwar, indem er einfach die Sünde leugnet! Insofern ist der Kommunismus, der das Paradies auf Erden verspricht, konsequent zu Ende gedachter Naturalismus bzw. Modernismus! Auffallend ist jedenfalls, daß die meisten Modernisten eine außergewöhnliche Sympathie für den Kommunismus haben. Die Theologiestudenten sind seit Jahrzehnten mehrheitlich extrem links orientiert.

Die Umdeutung theologischer Begriffe

Freilich leugnen die Modernisten die Übernatur nicht direkt und unmißverständlich, sondern sie umschreiben ihre Irrlehren, indem sie den „alten“ Begriffen Natur, Gnade, Freiheit, Erlösung, Sünde neue Bedeutungen unterschieben. Letztlich stellt der Naturalismus und folglich auch der Modernismus – beides wiederum Früchte der französischen Revolution! –, den Menschen und seine Vernunft über Gott. Der Mensch ist nunmehr das Maß aller Dinge, nicht mehr Gott. Insofern man Gott nicht direkt leugnet – an sich endet der Naturalismus konsequent zuende gedacht im Atheismus – ist dieser nur noch ein Gedanke und keine Wirklichkeit mehr. Jeder macht sich seinen eigenen Gott, sind doch der Phantasie keine Grenzen gesetzt, wie Bastian Balthasar Bux es in Phantásien erlebt.

Dabei ist immer zu bedenken, hinter all diesen „neuen“ Gedanken steht letztlich eine konkrete Interessengruppe, eine antichristliche Macht, nämlich die Geheimgesellschaften der Freimaurerei, deren Ziel es seit jeher ist, die katholische Kirche zu zerstören und eine neue, antichristliche Weltordnung aufzubauen – deren Speerspitze wiederum der Kommunismus war und ist, propagieren doch die Kommunisten schon immer die Weltrevolution.

Der Bund der Blauen Loge

Im Rituale der Blauen Loge zu Freiburg im Breisgau heißt es:

„Welches ist die Endabsicht des Bundes? — Der Bund will das menschliche Geschlecht durch die Macht des inneren Menschentums emporheben und dadurch es zu seinem Endziel führen.“
„Wie lautet sein Losungswort? — Durch die Emporhebung seiner selbst und seiner nächsten Umgebung zur Emporhebung der Menschheit!“
„Was für eine Sendung hat also der Bund? — Er hat die allerhöchste und die umfassendste Sendung, nämlich die, an allen Punkten des Erdenrundes und mit gemeinschaftlichen Kräften an der Welterlösung im modernen Sinn zu arbeiten.“
„Welches Neue und Gewichtige bringen wir der Welt? — Wir bieten ihr: … 4. anstatt des Strebens nach der Seligkeit unseres lieben Ichs im Jenseits das Streben nach der Beglückung des Menschengeschlechts auf der Erde; 5. anstatt der verschiedenen, sich einander verdammenden Kirchen einen Tempel für alle religiösen Richtungen, worin die Intoleranz und der Fanatismus keinen Platz mehr findet; im Gebiet der Moral: 6. anstatt des noch egoistischen Gebotes: ‚Liebe deinen Nächsten wie dich selbst‘ das humanistische Gebot: Liebe in einem Jeden und in dir die Menschheit.“
„Wohin muß der Bund zielen? — Alleinige Weltreligion, alleinige Weltmoral, und alleinige Weltpolitik zu werden.“

(G. M. Pachtler SJ, Der Götze der Humanität, 1875, S. 130 – S. 132)

Heute erleben wir überall, was geschieht, wenn man an die Stelle des konkreten Nächsten ein Abstraktum, die Menschheit, setzt! Was hat nun die Botschaft von Fatima damit zu tun?

In Fatima stellt die Gottesmutter dieser Irrlehre des Naturalismus und Modernismus, also des sich selbst verherrlichenden Menschen, die Forderung nach Buße, Rosenkranzgebet und der Weihe Rußlands an ihr Unbeflecktes Herz entgegen. Damit wird der übernatürliche Glaubensgeist nicht nur gefestigt, er wird erneut als das Fundament unseres katholischen Glaubens in Erinnerung gerufen und zudem in der Tat der Weihe ausdrücklich eingefordert. Mit anderen Worten gesagt: In Fatima stellt die Gottesmutter dem sich selbst vertrauenden und erlösenden Menschen den ganz und gar auf Gott vertrauenden und auf Seine Allmacht und Güte bauenden Menschen entgegen. Für den Katholiken ist die Gnadenwelt keine Wunschvorstellung, sondern eine von Gott bezeugte Wirklichkeit, die er nicht in Zweifel ziehen darf. Derartiger Glaubenszweifel ist für einen Katholiken eine schwere Sünde. Unser göttlicher Lehrmeister belehrt uns, daß wir den Heiligen Geist, den Er senden wird, in unserer Menschenwelt an Seinen Wirkungen sicher erkennen können. Denn der Heilige Geist wird „der Welt beweisen, daß es eine Sünde, eine Gerechtigkeit und ein Gericht gibt“ (Joh. 16, 8).

Der Verlust der von Gott geschenkten Glaubensgewißheit

Sobald man diesen dreifachen Beweis nur ein wenig bedenkt, erkennt man, wie geistlos unsere Zeit geworden ist. Letztlich steht dieser Beweis jedem Menschen vor Augen, wie gesagt ist er dem Katholiken eine Glaubensgewißheit. Aber was ist aus dieser übernatürlichen, von Gott geschenkten Glaubensgewißheit geworden? Das übernatürliche Licht der Glaubenserkenntnis ist in den letzten Jahrzehnten allenthalben erloschen, weshalb fast niemand mehr um die Sünde, die Gerechtigkeit und das Gericht weiß. Diese erscheinen vielmehr dem heutigen aufgeklärten Menschen wie Ammenmärchen. „Tue, was du willst!“, das ist – wie in der Unendlichen Geschichte von Michael Ende! – die Maxime unserer Tage. Wir modernen Menschen akzeptieren keine Gebote, keine Verbote, keine Normen, keine Vorschriften mehr – wir tun, was wir wollen, denn dann sind wir angeblich frei! Wir fühlen uns wie Götter, die sich ihre eigene Welt schaffen, eine Welt ganz nach eigenem Geschmack. So wie Bastian Balthasar Bux schaffen wir uns unser Phantásien und finden aus diesem nicht wieder heraus. Nur daß es bei unserem Phantásien um eine Ewigkeit geht.

Diesem modernen Irrwahn hält die Gottesmutter in Fatima die Wahrheit entgegen, die der Heilige Geist jedem Menschen bezeugt: Es gibt eine Sünde – und darum gibt es auch eine Hölle! Maria zeigt am 13. Juli den drei Seherkindern die Hölle und erklärt: „Ihr habt die Hölle gesehen, in die die Seelen der armen Sünder kommen. Um sie zu retten, will Gott die Verehrung meines unbefleckten Herzens in der Welt einführen.“

Gottes Gerechtigkeit …

Die Hölle ist die ausgereifte Todsünde, diejenige Sünde, die Gottes Gerechtigkeit mit einer ewigen Strafe bestrafen muß. Die Hölle beweist: Es gibt eine Gerechtigkeit! Dies sollte man sich in unseren Tagen öfter vor Augen halten, denn überall scheint das Unrecht zu siegen, was jedoch, wenn es eine Gerechtigkeit gibt, immer nur vorübergehend sein kann. Es sind vor allem die Zulassungen Gottes, die wir so schwer verstehen können. Gott duldet die Sünde, er läßt viel Unrecht zu, weil Er dem Menschen die Freiheit gegeben hat – und zwar duldet Gott viel mehr Unrecht als wir dulden und zulassen würden. Und dennoch gibt es eine Gerechtigkeit, Gott fordert letztlich von jedem Einzelnen Wiedergutmachung für all seine Sünden. Er fordert diese Wiedergutmachung entweder schon in dieser oder aber erst in der anderen Welt, Gott rechnet ganz genau nach Heller und Pfennig ab.

Als der 1916 in Fatima erscheinende Engel die Kinder beim Spielen antraf, fragte er sie: „Was macht ihr? Betet! Betet viel! Die heiligsten Herzen Jesu und Mariens wollen euch Barmherzigkeit erweisen. Bringt dem Allerhöchsten ständig Gebete und Opfer dar. Bringt alles, was ihr könnt als Opfer dar, als Akt der Wiedergutmachung für die Sünden, durch die Er verletzt wird und als Bitte für die Bekehrung der Sünder. Gewinnt so für euer Vaterland den Frieden. Ich bin sein Schutzengel, der Engel Portugals. Vor allem nehmt an und tragt mit Ergebung die Leiden, die der Herr euch schicken wird.“

… fordert Sühne

Bei der ersten Erscheinung der Gottesmutter am 13. Mai 1917 fragt diese die Kinder: „Wollt ihr euch Gott darbieten, um alle Leiden zu ertragen, die Er euch schicken wird, zur Sühne für die Sünden, durch die Er beleidigt wird und als Bitte um die Bekehrung der Sünder?“ Ohne entsprechende Sühne gibt es keine Bekehrung und Rettung der Sünder. Gottes Barmherzigkeit hebt Seine Gerechtigkeit nicht auf, wie es die Modernisten lehren, die die Barmherzigkeit Gottes gegen Seine Gerechtigkeit ausspielen. Sie verharmlosen die Sünde und lehren wie schon Martin Luther das vermessentliche Vertrauen auf Gottes Barmherzigkeit. Dieses ist eine Sünde gegen den Heiligen Geist!

Mit dieser äußerst gefährlichen Irrlehre verführen die Modernisten viele Menschen zum Leichtsinn. Gott ist barmherzig, heißt für sie: Ich kann ruhig weitersündigen. Gott versteht doch, daß wir Menschen schwach sind – und im Grunde meint es jeder Mensch gut. Außerdem ist heutzutage sowieso alles anders als im dunklen Mittelalter, als man noch an die Hölle geglaubt hat. Nein, Gott ist kein nach Rache dürstendes Ungeheuer, er ist ein Gott der Liebe…

… und Gericht

Was für eine Täuschung! Über jeden Sünder hält Gott Gericht, was der Heilige Geist ebenfalls jedem Menschen beweist. D.h. niemand kann schuldlos das göttliche Gericht leugnen. Die göttliche Gerechtigkeit fordert das Gericht – das persönliche Gericht beim Tod und das letzte Gericht am Ende der Zeiten. Letztlich wird jeder mit der Gerechtigkeit Gottes konfrontiert werden, ob er es glaubt oder nicht, ob er es will oder nicht. Beim Tod und beim letzten Gericht wird alles offenbar werden, was im Verborgenen geschah, alle Gedanken, Worte und Werke der Menschen. Der Heilige Geist beweist nun schon seit fast 2000 Jahren allen Menschen, daß es eine Sünde gibt, „weil sie an Mich nicht geglaubt haben; eine Gerechtigkeit, weil Ich zum Vater gehe und ihr Mich nicht mehr sehen werdet; ein Gericht, weil der Fürst dieser Welt schon gerichtet ist“ (Joh. 16, 9-11).

Im Grunde ist also alles ganz einfach und vollkommen klar. Wer immer den Heiligen Geist in seiner Seele wirken läßt, wird dies einsehen und mit göttlichem Glauben für wahr halten. Er wird infolgedessen Zuflucht nehmen zu den Herzen Jesu und Mariä, denn nur dadurch kann er mit Hilfe der geschenkten Gnade seine Seele vor der ewigen Strafe der Hölle bewahren. Schwester Lucia schrieb einmal einem Seminaristen: „Seien Sie nicht verwundert, daß ich mit Ihnen über die Hölle spreche. Das ist eine Wahrheit, die in der heutigen Zeit vielen Menschen in Erinnerung gerufen werden muß, weil man sie vergißt. Die Seelen fallen wie in einem Strudel in die Hölle. Oh! Was? Und ihr meint, daß all die Opfer, die man bringen muß, um nicht in die Hölle zu kommen und zu verhindern, daß viele andere Menschen dorthin kommen, nicht gut verwendet sind?“ Am 19. August flehte die Gottesmutter in Fatima: „Betet, betet viel und bringt Opfer für die Sünder. Viele Seelen kommen nämlich in die Hölle, weil sie niemanden haben, der für sie Opfer bringt und für sie betet.“

Um die Menschen vor der ewigen Verdammnis zu retten, fordert die allerseligste Jungfrau und Gottesmutter Maria Buße, also Sühne und Gebet, vor allem Rosenkranzgebet und die Verehrung ihres unbefleckten Herzens. Damit tritt sie dem modernistischen Geist entgegen, der sich in den kommenden Jahrzehnten immer mehr verbreiten, alle unangenehmen Wahrheiten verdrängen und somit den Glauben allmählich auslöschen wird. Der Modernismus versetzt vor allem durch seine Allerlösungslehre die Menschen in ein geistiges Delirium, denn wenn sowieso alle Menschen gerettet werden und in den Himmel kommen, dann ist das Leben nicht mehr besonders ernst, dann kann tatsächlich jeder machen, was er will, ohne daß das schwerwiegende Folgen hätte.

Die Forderung der Weihe Rußlands an das unbefleckte Herz Mariens

Aber das ist nur die eine Seite der Botschaft von Fatima. Zur Forderung von Buße und Gebet kommt noch eine weitere, ebenfalls ganz konkrete Forderung hinzu. Welchen Sinn hat diese? Offenbar haben sich die allerwenigsten Fatimaexperten mit dieser Forderung ernsthaft auseinandergesetzt. Man beklagte zwar oft und zutiefst bedauernd, daß diese Forderung noch nicht erfüllt worden ist, aber man vergaß vollkommen, die dafür angedrohten Konsequenzen zu bedenken und ernst zu nehmen. Diese Konsequenzen hatte Gott Schwester Lucia ebenfalls, wie wir schon gezeigt haben, offenbart.

Wir sprechen von der Forderung der Weihe Rußlands an das Unbefleckte Herz Mariens durch den Papst zusammen mit allen Bischöfen der Welt und der damit verbundenen Drohung, daß es, wenn dies nicht geschehen sollte, den Päpsten wie den Königen von Frankreich ergehen würde. Es ist direkt befremdlich, feststellen zu müssen, daß in der Tat fast niemand ernsthaft diese angedrohte Konsequenz in Erwägung gezogen hat. Die allermeisten Fatimaexperten haben sich ins Getümmel des Scheingefechtes um das sog. Dritte Geheimnis von Fatima gestürzt – eine wahrhaft unendliche Geschichte – und dabei das Wesentliche ganz aus den Augen verloren! Ein äußerst schlauer Schachzug des Teufels, wie wir später noch zeigen werden.

Versuchen wir wenigstens, zunächst den Sinn der himmlischen Forderung zu verstehen, um damit auch die angedrohte Konsequenz richtig begreifen zu können. Was bedeuten sie im ewigen Plan der göttlichen Vorsehung?

Wo sind die Katholiken?

Seit vielen Jahrzehnten erleben wir es nun schon, daß die ehemals katholische Welt fast vollständig im Irr- oder Unglauben versinkt. Laut Statistik gibt es derzeit auf der ganzen Welt 1,2 Milliarden Katholiken! Eine unübersehbare Armee im Dienst des Christkönigs, so müßte man meinen. Aber nein, es hat wohl noch niemals in der Weltgeschichte eine zahlenmäßig so große Gruppe gegeben, die so wenig gesellschaftlichen Einfluß hatte. Unwillkürlich denkt man an das Sendschreiben an die Gemeinde von Sardes in der Geheimen Offenbarung: „So spricht, der die sieben Geister Gottes und die sieben Sterne hat: Ich kenne deine Werke. Du hast den Namen, daß du lebst, und doch bist du tot“ (Offb 3, 1).

Rein weltlich betrachtet gibt es in der Menschenmachwerkskirche eine emsige Umtriebigkeit, es gibt Synoden, Tagungen, Schulungen, unzählige Veranstaltungen, Exerzitien, Vereine, Bruderschaften, Wallfahrten, usw. Immer ist etwas los – und doch bist du tot! Wenn man genau hinschaut, wie viele von diesen 1,2 Milliarden „Katholiken“ sind tatsächlich katholisch? Insofern man den verschiedenen statistischen Erhebungen der letzten Jahrzehnte Glauben schenkt, in denen genauer festgestellt werden soll, was diese „Katholiken“ tatsächlich glauben bzw. nicht glauben, wird diese Zahl verschwindend klein. Jeder moderne „Katholik“ bastelt sich letztlich seinen eigenen Glauben zusammen: Der eine glaubt das, der andere jenes, der eine das nicht, der andere jenes nicht. Mit anderen Worten: Der katholische Glaubenssinn ist vollkommen zerstört worden. All diese Leute, die sich immer noch „katholisch“ nennen und wenigstens z.T. noch als „Katholiken“ fühlen, haben keinen übernatürlichen, göttlichen Glauben mehr, sondern nur noch einen natürlichen, menschlichen – oder auch gar keinen. Im Grunde sind sie, insofern sie noch christlich sind, Protestanten oder gar Neuheiden. Jegliches übernatürliche Glaubensleben ist erloschen: Du hast den Namen, daß du lebst, und doch bist du tot. Das gilt zunächst für die vermeintlichen Hirten, sodann für den Großteil der Herde.

Dieser verheerenden Entwicklung wollte Gott durch die ausdrückliche Forderung der Weihe Rußlands an das Unbefleckte Herz Mariens in Fatima frontal entgegenwirken. Die Rettung aus der apokalyptischen Not sollte ausdrücklich nicht durch natürliche Mittel erfolgen, sondern durch unzweifelhaft übernatürliche. Es sollte jedem unübersehbar vor Augen geführt werden: Gott rettet uns durch Maria aus der apokalyptischen Not! Diese Forderung erscheint den irdisch gesinnten, natürlich denkenden Menschen absurd. Warum sollte sich Rußland aufgrund einer solchen Weihe bekehren? Ist diese politisch betrachtet nicht sogar eine äußerste Provokation? Es kommt hinzu, daß in Fatima gefordert wird, der Papst solle zusammen mit allen Bischöfen der Welt diese Weihe vollziehen. D.h. alle von Gott mit Jurisdiktion – also gottgeschenkter Gerichtsbarkeit und darum Verantwortlichkeit – ausgestatteten kirchlichen Autoritäten sollten zusammen diesen Weiheakt vollziehen und somit zusammen einen öffentlichen Akt vollkommenen übernatürlichen Glaubens setzen. Mit diesem öffentlichen Akt vollkommenen übernatürlichen Glaubens sollten der Papst zusammen mit den Bischöfen den Irrtümern Rußlands entgegentreten und von Gott dessen Bekehrung erwarten.

Die Irrtümer Rußlands

Wobei man sofort etwas genauer nachfragen muß: Was waren eigentlich die Irrtümer Rußlands? Jeder einigermaßen gebildete Europäer sollte wissen, daß der Kommunismus niemals eine spezifisch russische Irrlehre war, waren doch Karl Marx und Friedrich Engels Deutsche. Außerdem waren auch die meisten Revolutionäre in Rußland keine Russen, sondern eine vom Ausland finanzierte Elite. Wie sich im Laufe eines Jahrhunderts sodann zeigte, war der östliche Kommunismus einfach das baugleiche politische Gegenstück zum westlichen Kapitalismus, beide strebten nach der Weltherrschaft, wenn auch auf verschiedene Art und auf verschiedenen Wegen. Das gemeinsame Ziel war dabei – jeder bibelkundige Katholik sollte es wissen – die Weltherrschaft des Antichristen zu ermöglichen.

Insofern steht also „Rußland“ in Fatima bloß als Teil für das Ganze. Heutzutage würde die Gottesmutter anstatt von den Irrtümern Rußlands sicherlich von den Irrtümern Chinas sprechen. Denn seit dem Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums ist Rußland kein spezifisch kommunistisches Land mehr. Es ist übrigens bezeichnend, wie reibungslos das russisch-kommunistische Reich in ein kapitalistisches überging, in denen einige superreiche Oligarchen das Sagen haben. Wie im Westen war und ist es letztlich das Geld, das die Welt regiert und nicht das Volk.

Wie wir schon gehört haben, hat die Forderung der Gottesmutter in Fatima ein geschichtliches Vorbild. Pater Franz Hattler SJ berichtet darüber in seinem Buch: Großes Herz-Jesu-Buch für die christliche Familie:

Frankreichs Könige und die Herz-Jesu-Andacht

Es war im Jahre 1689, ein Jahr vor dem Tod der seligen Margaretha Alacoque. Da offenbarte der Heiland dieser seiner Dienerin die Absichten, welche er bezüglich der Andacht zu seinem göttlichen Herzen mit dem königlichen Hof in Frankreich habe. Die Selige berichtet hierüber in drei Briefen an eine ihrer früheren Oberinnen. In einem derselben schreibt sie: „Das sind die Worte, die ich in Bezug auf diese Angelegenheit vernommen habe: Laß den König wissen, daß er, wie seine Geburt durch die Verehrung meiner heiligen Kindheit erlangt wurde, so seine Wiedergeburt zur Gnade und ewigen Herrlichkeit erlangen werde durch die Weihe an mein anbetungswürdiges Herz. Dies Herz will triumphieren über sein Herz und durch seine Vermittlung über die Herzen der Großen dieser Erde. Es will herrschen in seinem Palast und verlangt, daß das Bild des Herzens auf seinen Fahnen angebracht und in sein königliches Wappen eingegraben werde, um ihn zum Sieger über alle seine Feinde zu machen.“

In einem späteren Brief vom August 1689 schrieb sie wieder: „Der ewige Vater will dem anbetungswürdigen Herzen seines göttlichen Sohnes einen Ersatz leisten für die Bitterkeiten und Beängstigungen, welche dasselbe in den Häusern der Fürsten dieser Erde durch die Verdemütigungen und Verspottungen während seines Leidens erfahren mußte. Er will daher das Reich dieses Herzens aufrichten im Herzen unseres großen Monarchen; und will sich seiner bedienen zur Ausführung seines Willens; er will aber, daß eine Kirche gebaut und in demselben das Bild des göttlichen Herzens aufgestellt werde, und daß es dort die Weihe und Huldigung des Königs und seines ganzen Hofes empfange. Ferner will dies göttliche Herz sich zum Beschützer und Verteidiger seiner geheiligten Person gegen alle seine Feinde machen. Darum hat es ihn erwählt, daß er ihm treulich diene zur Bewilligung der Messe von Seite des apostolischen Stuhles und zur Erlangung aller andern Privilegien, welche die Andacht zu diesem göttlichen Herzen erhalten soll.“

Ob diese Wünsche und Absichten des Heilandes dem damaligen König Ludwig XIV. je mitgeteilt worden seien, ist nicht bekannt; aber gewiß ist, daß weder dieser König noch sein Nachfolger, der sittenlose Ludwig XV., den Willen des Herrn vollzogen haben. Um so eifriger nahm sich die fromme Gemahlin des Letzteren, die polnische Prinzessin Maria Leczinska, der Ausbreitung der Herz-Jesu-Andacht an. Sie schrieb im Jahr 1740 an den Papst die dringende Bitte, eine Messe zu Ehren des göttlichen Herzens zu bewilligen. Der heilige Vater Benedikt XIV. schickte ihr einige Zeit nachher eine Anzahl von Herz-Jesu-Bildern, die mit Gold auf roter Seide gestickt waren. Kaum war im Jahre 1765 vom Papst Klemens XIII. die Bewilligung einer eigenen Messe und von Tagzeiten für das Fest des göttlichen Herzens gegeben, als die fromme Königin die Bischöfe Frankreichs, die eben in Paris versammelt waren, dringend bat, daß sie in ihren Bistümern das Fest des göttlichen Herzens einführen möchten. Alle kamen dem Wunsch der Fürstin nach und erließen ein Rundschreiben an die abwesenden Bischöfe zur Teilnahme an dem gemeinschaftlichen Entschluß.

Durch die Königin wurde die Andacht zum göttlichen Herzen auch in der königlichen Familie eingeführt. Ihr Sohn, der Kronprinz, Ludwig, ließ in der königlichen Residenz zu Versailles eine Kapelle zu Ehren des göttlichen Herzens erbauen, wo er mit seinen Kindern oft der Andacht zu demselben oblag. Von diesen Kindern haben sich besonders zwei als Verehrer des göttlichen Herzens ausgezeichnet, nämlich der Kronprinz und später so unglückliche König Ludwig XVI. und seine Schwester, die Prinzessin Elisabeth.

(Franz Hattler SJ, Großes Herz-Jesu-Buch für die christliche Familie, 1897, S. 685 – S. 686)

Nach dem Willen unseres göttlichen Heilandes sollte sich der König von Frankreich mit seinem ganzen Hof dem Herzen Jesu weihen – damals regierte Ludwig XIV. während 72 Jahren, der Sonnenkönig! Was für ein geschichtlicher Kontrast: Dieser absolute Monarch mit seiner intriganten Politik und seinen Mätressen und die Forderung, sich dem Herzen Jesu zu weihen! Was wäre geschehen, wenn Ludwig XIV. diese Weihe vollzogen – und gelebt hätte? Welch segensreichen Einfluß hätte ein wahrhaft katholisches Königshaus von Frankreich auf alle anderen Königs- und Fürstenhöfe in ganz Europa ausüben können. So aber war Ludwig XIV. während seiner Regierungszeit in 30 Kriege verwickelt und hat durch seinen Größenwahn Frankreich in den finanziellen Ruin getrieben. Je größer die Prunksucht der Könige, desto ärmer wurde das Volk, was genau hundert Jahre später zur Katastrophe, nämlich zur Französischen Revolution von 1789 führte.

Es ist zwar nicht bekannt, ob die Forderung des Himmels überhaupt dem König bekannt gemacht worden ist, womöglich hatte niemand den Mut, dem Sonnenkönig eine solche himmlische Forderung mitzuteilen; bekannt ist aber, daß die Forderung niemals erfüllt wurde. Der nachfolgende, sittenlose Ludwig XV. hätte, insofern er davon Kenntnis bekommen hätte, wohl niemals gewagt, solches zu tun, war er doch zu einem willigen Werkzeug seiner berühmtberüchtigten Mätresse, Madame Pompadour, verkommen.

Was von der geforderten Weihe übrigblieb, war eine Privatandacht der königlichen Familie. Wenn auch die Verehrung und Anbetung des heiligsten Herzen Jesu sich durch den Einsatz der Königin in Frankreich verbreitete, das eigentliche Wunder blieb aus, wie die kommenden Jahrzehnte zeigten.

Fortsetzung folgt