Eine fast unendliche Geschichte - 2. Teil

Es war Unsere Liebe Frau von Fatima mit ihrem Unbefleckten Herzen … mit einer Dornenkrone und Flammen …

Maria, Mutter der Gnaden und Miterlöserin

Um die Weihe an dieses Herz zu begründen, muß jedoch zur Erkenntnis der außerordentlichen Würde noch eine weitere Einsicht hinzukommen. In seiner Enzyklika „Mystici corporis“ erklärt Papst Pius XII.:

„Wo es sich darum handelt, den Schatz der Erlösung auszuteilen, läßt Christus seine unbefleckte Braut an diesem Werke der Heiligung nicht nur teilnehmen, sondern will, daß dies sogar in gewissem Sinne durch ihre Tätigkeit bewirkt werde. Ein wahrhaft schaudererregendes Mysterium, das man niemals genug betrachten kann: daß nämlich das Heil vieler abhängig ist von den Gebeten und freiwilligen Bußübungen der Glieder des geheimnisvollen Leibes Jesu Christi, die sie zu diesem Zweck auf sich nehmen, und von der Mitwirkung, die die Hirten und Gläubigen, besonders die Familienväter und Mütter, unserem göttlichen Erlöser zu leisten haben.“

Jeder Katholik ist geheimnisvoll ins gottmenschliche Werk der Erlösung eingebunden. Aber nur wenige entsprechen hierin ganz dem Willen Gottes. Damit nun keine einzige von den Gnaden verlorenginge, die der Erlöser erbetet hat, verdiente, erlitt und durch seinen Opfertod erkaufte, stellte der himmlische Vater neben ihn eine menschliche Person, die mit seinem Erlöserherzen vollkommen eins war: Maria! Maria ist die Gehilfin beim gottmenschlichen Werk der Erlösung. Im Rundschreiben Ad diem illum vom 2. Februar 1904 schreibt Pius X.:

„Durch die Teilnahme am Leiden und Willen Christi verdiente Maria, daß auch sie mit Recht Wiederherstellerin der verlorenen Menschheit genannt wurde und deshalb auch Ausspenderin aller Gnaden, die uns Christus durch seinen Tod und sein Blut erworben hat… Da Maria alle anderen Geschöpfe an Heiligkeit und inniger Verbindung mit Christus überragt und da sie von ihm selbst zur Beteiligung am Erlösungswerk herangezogen wurde, verdiente sie uns billigerweise, was Christus von Rechts wegen verdient hat, und so ist sie die vornehmste Mitwirkerin beim Ausspenden der Gnaden.“

Die Mutter Gottes hat die Nachfolge Jesu so verwirklicht, daß sie uns alles billigerweise verdiente, was Christus von Rechts wegen verdient hat. Darum ist sie die vornehmste Mitwirkerin beim Ausspenden der Gnaden. Mit anderen Worten: Maria ist Miterlöserin.

„Maria hat mit ihrem leidenden und sterbenden Sohne so sehr mitgelitten und ist gleichsam mit ihm gestorben, und sie hat so sehr auf ihre Mutterrechte über ihren Sohn zum Heil der Menschen verzichtet und, soweit es auf sie ankam, diesen ihren Sohn zur Versöhnung der göttlichen Gerechtigkeit geopfert, daß man mit Recht sagen kann, sie habe mit Christus das Menschengeschlecht erlöst.“

(Benedikt XV., Acta Apost. Sedis, tom. 10, 1918, p. 182)

Was ist da geziemender, gerechter, als daß sie nun auch berufen wurde, diese Gnaden an die Menschen auszuteilen? Wie eindrücklich sind die Worte Jesu am Kreuz: „Weib, siehe da deinen Sohn!“ Und zum Apostel Johannes gewendet: „Siehe da, deine Mutter!“ Wir haben schon den hl. Bernhard ausrufen gehört: Welch ein Tausch! Johannes wird dir an Jesu Statt gegeben, der Knecht an Stelle des Herrn, der Schüler an Stelle des Meisters, der Sohn des Zebedäus statt des Sohnes Gottes, ein bloßer Mensch für den wahren Gott. Genauso gut könnte man ausrufen: Welch ein Schmerz, den Sohn des Zebedäus statt des Sohnes Gottes als Sohn zu erhalten! Das war wohl der tiefste Schmerz, der die Seele Mariens während des Leidens ihres göttlichen Sohnes durchdrang. In ihrem Leiden sollte die Schmerzensmutter alles hingeben – auch ihren vielgeliebten Sohn!

In der Festmesse vom 15. September beten wir mit der Kirche um diese Gnade: „O Gott, bei Deinem Leiden drang, wie Simeon es geweissagt hat, ein Schwert des Schmerzes durch das allergütigste Herz der glorreichen Jungfrau und Mutter Maria; verleihe uns, die wir in frommem Gedanken ihre Schmerzen verehren, die Gnade, die selige Wirkung Deines Leidens zu erfahren.“

Unter dem Kreuz empfängt Maria in ihrem Mutterherzen eine überirdische Liebe, die so stark, so glühend, so zart, so weltweit ist, daß sie alle ohne Ausnahme umfassen kann, die ihr Jesus als Kinder anvertraut hat, bis an die Grenzen der Erde und bis zum Ende der Zeiten. Der größte Schmerz Mariens wandelt sich in eine unerschöpfliche Gnade. Das Mitleiden Mariens mit dem Leiden Christi, um Sühne zu leisten für die Sünden der Welt, macht sie zur Gnadenmutter. Indem sie mit ihrem Sohn alles hingab, wurden ihr unzählige Kinder als Frucht ihres Opfers geschenkt. Fortan sind alle Kinder Gottes ausdrücklich der Obhut Mariens anvertraut, sie ist wahrhaft unsere himmlische Mutter. Wir können und dürfen uns jederzeit zuversichtlich ihrem reinsten Herzen zuwenden und sie um ihre Fürsprache am Throne Gottes bitten. Wie wunderbar kommt dies im „Memorare“ des hl. Bernhard zu Ausdruck:

„Gedenke, o gütigste Jungfrau Maria, es ist noch nie gehört worden, daß jemand, der zu Dir seine Zuflucht nahm, Deinen Beistand anrief und um Deine Fürbitte flehte, von Dir verlassen worden ist.
Von diesem Vertrauen beseelt, nehme ich meine Zuflucht zu Dir, o Jungfrau der Jungfrauen, meine Mutter, zu Dir komme ich, vor Dir stehe ich als ein sündiger Mensch.
O Mutter des ewigen Wortes, verschmähe nicht meine Worte, sondern höre sie gnädig an und erhöre mich. Amen.“

Am Ende seiner Enzyklika „Mystici corporis“ faßt Pius XII. nochmals diese Lehre zusammen:

„Maria hat, frei von jeder persönlichen oder erblichen Verschuldung und immer mit ihrem Sohn aufs innigste verbunden, ihn auf Golgotha zusammen mit dem gänzlichen Opfer ihrer Mutterrechte und ihrer Mutterliebe dem ewigen Vater dargebracht als neue Eva für alle Kinder Adams, die von dessen traurigem Fall entstellt waren. So ward sie, schon zuvor Mutter unseres Hauptes dem Leibe nach, nun auch auf Grund eines neuen Titels des Leids und der Ehre im Geiste Mutter aller seiner Glieder. Sie war es, die durch ihre mächtige Fürbitte erlangte, daß der schon am Kreuz geschenkte Geist des göttlichen Erlösers am Pfingsttage der neugeborenen Kirche in wunderbaren Gaben gespendet wurde. Sie hat endlich dadurch, daß sie ihr namenloses Leid tapfer und vertrauensvoll trug, mehr als alle Christgläubigen zusammen, als wahre Königin der Märtyrer, ergänzt, was an den Leiden Christi noch fehlt für seinen Leib, die Kirche. Sie hat den geheimnisvollen Leib Christi, der aus dem durchbohrten Herzen des Heilandes geboren war, mit derselben innigen Mutterliebe und Sorge begleitet, womit sie das Jesuskind in der Krippe und an ihrer Brust umhegte und nährte.“

Ein Herz von Dornen verwundet?

Der reinsten Liebe des unbefleckten Herzen Mariens steht die Herzlosigkeit des heutigen Massenmenschen gegenüber. Nein, nicht mehr die Liebe zu Gott bewegt die Massen, sondern die Leidenschaften und die Sündenlust! Der nackte Egoismus ist zum Maß aller Dinge für privates und öffentliches Leben geworden. Der breite Weg zur Hölle ist überlaufen, wohingegen der steile Weg in den Himmel nur noch von wenigen gegangen wird. Wie zahlreich und wie groß müssen die Schmerzen sein, die die Dornen unserer Sünden dem reinsten Herzen Mariens bereiten!

Man könnte nun den Einwand erheben, Mariens Herz sei jetzt verklärt, es sei schon in der ewigen Glorie des Himmels und darum keines Schmerzes mehr fähig. Somit können wir ihr Herz gar nicht mehr „mit Dornen verwunden“, wie es in der Botschaft heißt. Sicherlich ist das verklärte Herz der Gottesmutter, wie übrigens auch das Herz Jesu, im Himmel leidensunfähig. Und dennoch entspricht dem Bild eine Wirklichkeit: Das Bild des dornendurchstochenen Herzens macht uns wenigstens ein wenig verständlich, wie sehr unsere Sünden der Heiligkeit und Liebe ihres mütterlichen Herzens widersprechen.

Schließlich verletzten unsere Sünden tatsächlich auch noch unser eigenes Herz. Jede schwere Sünde stürzt uns in ein namenloses Unheil, trennen wir uns doch durch diese von Gott und unserer himmlischen Mutter. Je verblendeter wir durch die eigenen Sünden geworden sind, desto weniger Eindruck macht die Sünde auf uns. Da kann es sein, daß uns der Gedanke an das dornendurchstochene Mutterherz zur Besinnung bringt. Im Spiegel dieses dornendurchstochenen Mutterherzens sehen wir die Abscheulichkeit und die für uns verheerenden Wirkungen unserer Sünden eindrucksvoller als an unserer eigenen Seele.

Darüber hinaus entspricht dem Bild eine weitere erschreckende Wirklichkeit: Aufgrund der ununterbrochenen Leidensgemeinschaft zwischen der Mutter und dem Sohn traf jeder Geißelhieb zugleich auch ihr Herz, genauso wie jeder Dorn der Dornenkrone es durchstach. Die Nägel und die Lanze durchbohrten ebenfalls ihre heiligste Seele. Unsere Sünden haben somit ihr reinstes und empfindsamstes Herz gleichsam mit Dornen umwunden und tatsächlich mit unvorstellbarem Leid erfüllt. Unsäglich hat sie genauso wie ihr Sohn besonders bei dem Gedanken gelitten, daß so viele Seelen trotz all dieser unsagbaren Leiden verlorengehen werden.

Das Erlösungsleiden unseres göttlichen Herrn wird im Leib der Kirche geheimnisvoll fortgesetzt. Sie hat endlich dadurch, daß sie ihr namenloses Leid tapfer und vertrauensvoll trug, mehr als alle Christgläubigen zusammen, als wahre Königin der Märtyrer, ergänzt, was an den Leiden Christi noch fehlt für seinen Leib, die Kirche, hat Pius XII. geschrieben. Die Schmerzensmutter ist somit besonders mit all jenen Seelen zutiefst vereint, die sich wie sie aus Liebe zu Gott und dem Nächsten Gott als Sühneopfer anbieten. Es ist hier gleichfalls wahr, was unser göttlicher Erlöser sagt: „Was ihr dem geringsten einer meiner Brüder getan, das habt ihr mir getan!“

Mittlerin aller Gnaden

In der Leitung der Welt ist Gott ganz und gar frei. Er ist niemanden Rechenschaft schuldig, wie und wann Er jemandem Seine Gnaden schenkt. Aus der Offenbarung wissen wir, daß Gott jedem genügend Gnade dafür gibt, gerettet zu werden. Es hat nun Gott gefallen, bei der Verteilung Seiner Gnadengaben Maria als Mittlerin einzusetzen. Am Fest Mariens, Mittlerin aller Gnaden, heißt es im zweiten Nachtgebet im Responsorium: „Zur Herrscherin bestellt über alle, regiert sie ihr Haus und alles, was ihr übergeben ist. Ohne ihren Befehl soll in der ganzen Welt niemand Hand oder Fuß bewegen.“

Zur Krönung des Gnadenbildes von Fatima am 13. Mai 1946 hat Pius XII. in seiner Radiobotschaft gesagt: „Jesus ist durch seine Natur und auf Grund eines erworbenen Rechtes der König der Ewigkeit. Durch ihn, mit ihm, in Abhängigkeit von ihm ist Maria Königin aus Gnade auf Grund ihrer Verwandtschaft mit Gott, auf Grund eines erworbenen Rechtes und besonderer Erwählung. Und ihr Reich erstreckt sich auch so weit wie das ihres Sohnes und Gottes; denn nichts ist ihrer Herrschaft entzogen.“ Und Papst Leo XIII. ist gleichfalls überzeugt: „Von ihrem göttlichen Sohne mit dem Sternendiadem geschmückt, sitzt Maria an seiner Seite als Königin und Herrin des Weltalls“ (Enzyklika Jucunda semper).

So hat es die göttliche Vorsehung gewollt, Maria herrscht an der Seite ihres Sohnes als Königin und Herrin über die ganze Welt, denn nichts ist ihrer Herrschaft entzogen. Den letzten Grund für dieses außerordentliche Vorrecht nennt Pius IX. in der Bulle „Ineffabilis“: „Gott überhäufte sie weit vor allen Engeln und Heiligen so wunderbar mit der Fülle aller Gnaden und Gaben, daß sie eine solche Fülle der Unschuld und Heiligkeit besitzen sollte, wie sie nach Gott weder größer gedacht noch von irgend jemand, außer von Gott allein, begriffen werden kann.“

Alle wahren Kinder Mariens freuen sich mit ihrer himmlischen Mutter über diesen erhabenen Gnadenvorzug. Ob dieser Fülle der Unschuld und Heiligkeit…, wie sie nach Gott weder größer gedacht noch von irgend jemand, außer von Gott allein, begriffen werden kann, preisen alle Geschlechter Maria selig und erkennen sie als Mittlerin aller Gnaden an. Unser Vertrauen in die Gnadenhilfe Mariens kann niemals groß genug sein. Es ist ganz wahr, Maria allein kann uns noch aus dieser übergroßen Not retten. Sie ist die Siegerin in allen Schlachten Gottes, besonders aber in dieser endzeitlichen Schlacht. Dies kommt auch in der in Fatima geforderten Weihe an das Unbefleckte Herz Mariens zum Ausdruck. Alle Katholiken sollen sich um ihre Mutter scharen und alles von ihrer himmlischen Fürsprache und Hilfe erwarten. Die Not ist zwar übergroß, aber die notwendige Hilfe ist versprochen.

5. Pius XII. und Fatima

Eigentlich hätte man erwartet, daß unsere Geschichte schnell ein zufriedenstellendes Ende findet, was aber durchaus bis heute nicht der Fall ist. Wir warten immer noch auf das glückliche Ende unserer Geschichte – die sich in den letzten Jahrzehnten immer mehr in einem Gestrüpp von Vermutungen verwirrte. Die allermeisten heutigen Verteidiger der Erscheinungen von Fatima finden aus ihrer Unendlichen Geschichte nicht mehr heraus, so kann man sicher sagen. Haben sie etwas Wesentliches übersehen? Haben sie den gottgewollten Ausgang der Geschichte aus den Augen verloren, weil sie den eigentlichen Sinn verkannten oder immer noch verkennen?

Wir wenigstens, die wir von einer fast unendlichen Geschichte sprachen, wollen versuchen, eine hinreichende Erklärung des bis jetzt Geschehenen zu finden.

„Teile meinen Dienern mit…“

Am 29. August 1931, während ihrer Ferien in der spanischen Küstenstadt Rianjo (in der Nähe von Pontevedra), empfing Schwester Lucia eine weitere Botschaft, um die Dringlichkeit der Weihe Rußlands zu unterstreichen: „Teile meinen Dienern mit, daß sie – da sie dem Beispiel des Königs von Frankreich folgen, indem sie die Ausführung meiner Bitte verzögern – ihm auch im Unheil folgen werden. Nie wird es zu spät sein, bei Jesus und Maria Zuflucht zu suchen.“ Im Jahr 1936 – also immer noch unter Pius XI. – hörte Schwester Lucia die erneute Mahnung: „Sie wollten meiner Bitte nicht gehorchen. Wie der König von Frankreich werden sie bereuen, und sie werden sie ausführen, aber es wird spät sein. Rußland wird schon seine Irrtümer über die Welt verbreitet, sowie Kriege und Verfolgungen der Kirche hervorgerufen haben; der Heilige Vater wird viel zu leiden haben.“

Mit dem König von Frankreich war Ludwig XIV. gemeint, dem die heilige Margareta Maria Alacoque die himmlische Bitte vortrug, Frankreich dem Heiligsten Herzen Jesu zu weihen, wozu dieser sich jedoch aus diplomatischen Rücksichten nicht entschließen konnte. Die Folge davon war, 100 Jahre danach brach die Revolution aus, 1793 wurden König Ludwig XVI. und seine Gattin, die vielverleumdete Marie Antoinette, von den Revolutionären ermordet. Ludwig XVI. führte zwar den gewünschten Weiheakt noch aus, aber es war für Frankreich zu spät.

Pius XII. weiht die Welt dem Unbefleckten Herzen Mariens

Am 10. Februar 1939, also kurz vor Ausbruch des 2. Weltkriegs, verstarb Pius XI. unerwartet, und in einem der kürzesten Konklave der jüngeren Kirchengeschichte wurde am 2. März 1939 Eugenio Pacelli zum Papst gewählt, der sich Pius XII. nannte. Im Jahr 1936 gab Kardinal Eugenio Pacelli folgende Erklärung ab:

„Die Botschaften der Heiligen Jungfrau an Lucia von Fatima machen mir Sorge. Diese Beharrlichkeit Marias über die Gefahren, die die Kirche bedrohen, ist eine Warnung des Himmels vor dem Selbstmord, den Glauben in seiner Liturgie, in seiner Theologie und in seiner Seele zu verändern.

Ich höre um mich herum Erneuerer, die die Haupt-Kapelle demontieren wollen, die universelle Flamme der Kirche zerstören, ihre Auszeichnungen zurückweisen und ihnen Gewissensbisse über ihre historische Vergangenheit eingeben wollen.

Es wird ein Tag kommen, an dem die zivilisierte Welt ihren Gott leugnen wird, an dem die Kirche zweifeln wird, wie Petrus zweifelte. Sie wird versucht sein zu glauben, daß der Mensch Gott geworden ist.

In unseren Kirchen werden die Christen vergebens nach der roten Lampe suchen [dem ewigen Licht, d. Verf.], wo Gott auf sie wartet. Wie Maria Magdalena, weinend vor dem leeren Grab, werden sie fragen: „Wo haben sie ihn hingelegt?“

(Monsignore Georges Roche und Philippe Se Germain, Pius XII. Devant l’Histoire, Laffont, Paris, 1972, S. 52-53)

Dem neuen Papst war also die Botschaft von Fatima wohlbekannt. Zusätzlich zeigte ihm der Krieg die Dringlichkeit der Sache. Darum entschloß sich Pius XII. inmitten der völkermordenden Katastrophe, gemäß der Botschaft von Fatima die ganze Menschheit dem Unbefleckten Herzen Mariens zu weihen, es war der 31. Oktober 1942. Der Papst hatte auch die Bischöfe der ganzen Welt aufgefordert, dasselbe zu tun.

„Als gemeinsamer Vater der großen christlichen Familie, als Stellvertreter dessen, dem alle Gewalt gegeben ist im Himmel und auf Erden (Matth. 28, 18), der Uns die Sorge für alle Seelen in der ganzen Welt, die durch sein Blut erlöst sind, anvertraut hat, wenden Wir Uns in dieser schicksalsschweren Stunde der Menschheitsgeschichte an Dich, an Dein unbeflecktes Herz. Dir, Deinem unbefleckten Herzen vertrauen Wir an, übergeben und weihen Wir nicht nur die heilige Kirche, sondern auch die ganze Welt. … Wir bitten für die durch Irrtum und Zwietracht getrennten Völker, vornehmlich für diejenigen, die dir eine besondere Andacht bezeugen. Gib ihnen den Frieden! Führe sie zurück zum einen Schafstall Christi unter dem einen und wahren Hirten! Erflehe Frieden und volle Freiheit der heiligen Kirche Gottes! Halte die wachsende Flut des Neuheidentums auf!“

Hochfeierlich hat Pius XII. als Stellvertreter des Königs der Könige in Seinem Namen Maria ans Herz gelegt, alle Macht, Weisheit und Liebe ihres Herzens aufzubieten, um die Menschen in dieser schicksalsschweren Stunde zu retten und „uns von Gott jene Gnaden zu erlangen, die imstande sind, in einem Augenblick die Menschenherzen umzuwandeln, jene Gnaden, die den Frieden vorbereiten, gewinnen und sichern, den Frieden in der Wahrheit, in der Gerechtigkeit, in der Liebe Christi… den Ungläubigen die Sonne der Wahrheit aufgehen zu lassen… die Irrgläubigen und Schismatiker, insbesondere Rußland zurückzuführen zum einen Schafstall und zum einen Hirten… der Kirche Frieden und volle Freiheit zu erwirken, der Sündflut des Neuheidentums Einhalt zu gebieten .. . den Gläubigen Liebe zur Reinheit, praktische Übung des christlichen Lebens und apostolischen Eifer einzuflößen.“

Der Papst bittet also als Stellvertreter des Königs der Könige in seiner Weihe Maria für die durch Irrtum und Zwietracht getrennten Völker, vornehmlich für diejenigen, die dir eine besondere Andacht bezeugen (womit wohl Rußland gemeint ist) und darum, die Irrgläubigen und Schismatiker, insbesondere Rußland zurückzuführen zum einen Schafstall und zum einen Hirten. Am 8. Dezember 1942 wiederholte Pius XII. diese Weihe.

Immer noch während des Zweiten Weltkriegs, 1944, weihte derselbe Papst noch einmal das ganze Menschengeschlecht dem Unbefleckten Herzen Mariens. Und im Laufe dieser Zeremonie verkündete er außerdem für die ganze Kirche die Einführung eines Festes zu Ehren des Unbefleckten Herzens Mariens, um durch die Fürbitte der allerseligsten Jungfrau und Gottesmutter „den Frieden der Nationen, die Freiheit der Kirche, die Bekehrung der Sünder, die Liebe zur Reinheit und die Ausübung der Tugenden zu erhalten“. Das Datum für dieses Fest setzte Pius XII. für den 22. August, den Oktavtag des Festes Maria Himmelfahrt, fest.

Am 7. Juli 1952, also 10 Jahre nach der ersten Weihe, weihte der Papst in seinem Apostolischen Schreiben „Sacro Vergente Anno“ ausdrücklich Rußland dem Unbefleckten Herzen Mariens, ohne jedoch den Weltepiskopat miteinzubeziehen – man hätte ihn nämlich nicht darüber informiert, daß dies notwendig sei. Außerdem empfahl Pius XII. in seiner Enzyklika „Auspicia quaedam“ 1948 – gemäß dem Wunsch Mariens – allen Katholiken die Weihe an das Unbefleckte Herz Mariens.

Zweifelt Pius XII. gegen Ende seines Pontifikats an Fatima?

In den letzten Jahren seines Pontifikats hat sich der Papst, wohl beeinflußt durch einige Jesuiten, immer mehr von Fatima distanziert. Der flämische Jesuit Eduard Dhanis (1902-1978) hatte sich schon 1944 für die Unterscheidung eines „glaubwürdigen“ Teils der Fatima-Botschaft (nämlich die Erscheinungen von 1917, die er notgedrungen anerkennen mußte) von den angeblichen „Erfindungen“ von Sr. Lucia (Botschaften von Pontevedra 1925 und Tuy 1929) ausgesprochen. Überzeugten womöglich Pius XII. die Argumente der Jesuiten? Jedenfalls hat er etwa im Rahmen einer Ansprache an das Portugiesische Kolleg in Rom am 14. März 1957 lediglich die Unbefleckte Jungfrau von Fatima, deren Schutz das Kolleg besonders anvertraut ist, erwähnt, ohne mit einem Wort auf die Erscheinungen und Botschaften von Fatima einzugehen. Als vom 8. bis 14. April 1958 der erste portugiesische Kongreß für Ordensleute in Lissabon stattfand, richtete Pius XII. zwar einen langen Brief an die Teilnehmer, erwähnte dabei jedoch Fatima mit keinem Wort. Und schließlich bewahrte bei der Einweihung der für die Fassade der Basilika bestimmten Statue der Fatima-Madonna – es waren an der Cova da Iria eine halbe Million Pilger anwesend! – der Vatikan vollkommenes Schweigen.

Am 16. April 1957 kam der versiegelte Umschlag mit dem dritten Teil des Geheimnisses von Fatima in Rom an. Der Briefumschlag wurde im Büro von Papst Pius XII. in eine kleine Schatulle mit der Aufschrift „Secretum Sancti Officii“ gelegt. Pius XII. selbst hat das Dokument niemals vom Heiligen Offizium angefordert, das es in Verwahr genommen hatte. Über diese Tatsache haben wir Sicherheit, weil von Kard. Ottaviani und Mgr. Capovilla, dem Sekretär Angelo Roncallis alias Johannes XXIII., berichtet wird, daß das Siegel des Umschlags, als dieser 1959, ein Jahr nach dem Tod von Pius XII., Roncalli aushändigt wurde, noch unversehrt war. Hatte Pius XII. kein Interesse mehr an dem letzten Geheimnis von Fatima, welches die ganze katholische Welt in Atem hielt? Dieses Schweigen ist umso verwunderlicher und auffallender, als der Legat des Papstes, Kardinal Tedeschini, folgendes berichtete:

„Ich werde Euch, meinen gegenwärtigen und meinen alten portugiesischen Freunden und Pilgern eine ebenso wunderbare Tatsache mitteilen…, aber unter meiner persönlichen Verantwortung. Ich werde euch sagen, daß eine andere Person dieses Wunder gesehen hat: sie hat es außerhalb Fatimas gesehen, sie hat es viele Jahre später gesehen, sie hat es in Rom gesehen. Der Papst, unser Pontifex selbst, Pius XII., hat es gesehen! War dies ein Zeichen eine Genugtuung Gottes, der an der Definition des Dogmas der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel Wohlgefallen hatte? War dies ein himmlisches Zeugnis, das die Verbindung des Wunders von Fatima mit dem Mittelpunkt, dem Haupt der Wahrheit und des katholischen Lehramtes, authentisch bestätigte? Es waren alle drei Momente zusammen! Es waren die vier Nachmittage vom 30. Oktober, 31. Oktober und vom 1. November des vergangenen Jahres 1950, es waren dieselben Stunden des Oktavtages des 1. November, d.h. des Tages der Glaubens-Verkündigung der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel (d.h. also am 8. November), als der Heilige Vater von den Vatikanischen Gärten den Blick zur Sonne wandte und sich vor seinen Augen das Wunder dieses Tales und Tages erneuerte. Die Sonnenscheibe, umgeben von ihrem Strahlenhof, wer könnte die Augen fest auf sie heften? Aber Er konnte es; an allen vier Tagen konnte er diese Bewegungen der Sonne unter dem Beistand Mariens beobachten. Der Sonne, die bewegt und ganz im Wanken begriffen, die verwandelt war in ein Bild des Lebens, in ein Schauspiel himmlischer Bewegungen, vermittelnd stumme aber dennoch beredte Botschaften an den Stellvertreter Christi. Ist dieses Fatima nicht in den Vatikan versetzt und ist dieser Vatikan nicht in ein Fatima verwandelt worden?“

(„Osservatore Romano“, Sonntag, den 14. Oktober 1951, Seite 1, Spalte 2-4)

Kommunikationsprobleme?

Es ist schon recht seltsam, der Papst, der von den vatikanischen Gärten aus das Sonnenwunder sehen durfte, distanziert sich am Ende seines Pontifikats von Fatima. Er zeigt sogar keinerlei Interesse an dem Geheimnis, das seit 16. April 1957 in dem Archiv des Heiligen Offiziums aufbewahrt wird. War etwa ein Grund für die Zweifel des Papstes das Verhalten der letzten noch lebenden Seherin, Schwester Lucia? Diese hatte gemäß einem Bericht des Bistumsblatts der Diözese Rottenburg vom 21. Juli 1946 nach 29 Jahren wieder einmal ihr Heimatdorf besucht. Aus diesem Anlaß wurde ein Brief veröffentlicht, den sie am 20. April 1943 an den Bischof von Gurza geschrieben hatte. Darin heißt es: „Gott hat die Weihe des Heiligen Vaters und der Bischöfe gerne angenommen, er beklagt sich aber bitter über die noch geringe Zahl derer, die bereit sind, auf alles zu verzichten, was die Beobachtung seines Gesetzes von ihnen verlangt. Die Buße, die Gott von jedem fordert, besteht nicht in strengen Abtötungen, sondern in der Erfüllung der Pflicht jedes einzelnen und in der Beobachtung der göttlichen Gebote.“

Drei Jahre später, am 15. Juli 1946, interviewte der Historiker und Schriftsteller William Thomas Walsh Schwester Lucia. Das Interview findet sich in seinem Werk Our Lady of Fatima (1947). In diesem Interview fragte Walsh die Seherin bezüglich der Vorgangsweise für die geforderte Weihe: „Lucia machte klar, daß Unsere Liebe Frau keine Weihe der Welt an Ihr Unbeflecktes Herz verlangte. Was Sie spezifisch verlangte, war die Weihe Rußlands. Sie kommentierte freilich nicht die Tatsache, daß Papst Pius XII. 1942 die Welt, nicht Rußland, dem Unbefleckten Herzen geweiht hatte. Aber sie sagte öfter als einmal, und das mit Nachdruck: ‚Was Unsere Liebe Frau wünscht, ist, daß der Papst und alle Bischöfe der Welt Rußland Ihrem Unbefleckten Herzen an einem bestimmten Tag weihen. Wenn das gemacht wird, wird sich Rußland bekehren und es wird Frieden geben. Wenn das nicht gemacht wird, werden sich die Irrtümer Rußlands in alle Länder der Welt ausbreiten.‘“

Ganz eindeutig waren also die Bemerkungen Schwester Lucias zur Weihe des Heiligen Vaters nicht. Was war somit davon zu halten? Hat nun Gott die Weihe des Heiligen Vaters und der Bischöfe gerne angenommen – oder wünscht Unsere Liebe Frau immer noch, daß der Papst und alle Bischöfe der Welt Rußland Ihrem Unbefleckten Herzen an einem bestimmten Tag weihen? Gab es womöglich Kommunikationsprobleme zwischen dem Vatikan und Schwester Lucia, da Pius XII. sich beklagte, man hätte ihn nicht darüber informiert, daß dies notwendig sei?

Am 26. Dezember 1957 – also nachdem der letzte Teil des Geheimnisses schon in Rom war –, führte P. Augustin Fuentes ein langes Gespräch mit Sr. Lucia, wobei diese u.a. sagte: „Die allerseligste Jungfrau ist sehr traurig, weil niemand, weder die Guten noch die Bösen, ihrer Botschaft Beachtung schenkten. Die Guten setzen ihren Weg fort, ohne sich mit der Botschaft zu beschäftigen. Ich vermag über keine Einzelheiten zu sprechen, da es noch ein Geheimnis ist. Nur der Heilige Vater sowie der Bischof von Fatima können es nach dem Willen der allerseligsten Jungfrau erfahren. Aber sie wollten es nicht, um nicht von ihm beeinflußt zu werden!“

Wahrscheinlich hatte sich Pius XII. entschieden, mit der Veröffentlichung des letzten Teils des Geheimnisses von Fatima bis 1960 zu warten. Aber am 9. Oktober 1958 verstarb der Pastor Angelicus, ohne das Geheimnis gelesen zu haben. Dieses sollte frühestens 1944 oder spätestens 1960 bekannt gemacht werden, weil, wie Schwester Lucia erklärte, „es zu der Zeit klarer werden würde“.

Die Dokumentation einer Marienerscheinung füllt „dreizehn dickleibige Bände“?

War es aber tatsächlich so? Ist alles mit der Zeit klarer geworden? Schwester Luzia begann während ihres Aufenthaltes bei den Dorotheenschwestern in Tuy mit der Niederschrift der ihr gemachten Offenbarungen. Während all der Jahre war sie immer wieder durch verschiedene kirchliche Autoritäten ausgiebig befragt worden. Eine Studiengruppe von kirchlichen Gelehrten hat eine erste kirchlich-offizielle Geschichte über die Geschehnisse in Fatima zusammengestellt, die inzwischen auf insgesamt dreizehn dickleibige Bände angewachsen ist, von denen allein zehn ausschließlich Reproduktionen von Dokumenten enthalten. Was so einfach in Fatima begann, ist also durchaus zu einer fast unendlichen Geschichte ausgeufert. Ob da nicht auch die Hand des Diabolus, des Durcheinanderwerfers, im Spiel war? Wird in manchen Begebenheiten nicht der allgegenwärtige Zweifel der Modernisten an allem Übernatürlichen greifbar? Wir werden sehen, wie unsere fast unendliche Geschichte nach dem Tod von Pius XII. fortgeschrieben wurde. In der unendlichen Geschichte von Michael Ende, findet die Kindliche Kaiserin inmitten des Schicksalsgebirges den Alten in einer Behausung, die einem Ei gleicht. Dieser „Alte“ ist der Chronist von Phantásien, der alles weiß, was bis zu diesem Zeitpunkt geschehen ist. Der Alte kann jedoch in der Unendlichen Geschichte, wie sein Werk heißt, nicht vorblättern. Aber auf Wunsch der Kindlichen Kaiserin beginnt der Chronist wenigstens seine Geschichte von vorne zu erzählen. Dadurch kommt Bastian Balthasar Bux seinem Wunsch, ein Teil der Geschichte zu werden, näher.

Sobald er den neuen Namen der Kindlichen Kaiserin, Mondenkind, laut ruft, wird diese aus dem Eihaus befreit. In dem Augenblick, als das Eihaus zerplatzt, wird Phantásien neu geboren und Bastian Balthasar Bux wird Schlag Mitternacht mit unwiderstehlicher Gewalt ins Buch hineingezogen. Er landet inmitten der neu gewordenen Welt, die er nunmehr nach seinen eigenen Wünschen gestalten kann – hat doch Bastian von der Goldäugigen Gebieterin der Wünsche, der Kindlichen Kaiserin, ein Sandkorn erhalten, in dem wie beim Urknall aus Wünschen die gesamte Welt von seinem Phantásien entstehen wird.

Wir werden des weiteren sehen, daß auch in unserer fast unendlichen Geschichte durch die Wünsche der Menschen – der Menschen und nicht Gottes, muß man hinzufügen! – einiges passiert, was die Sache in eine ganze andere Richtung drängt als ursprünglich beabsichtigt. Die Menschen haben sich tatsächlich in den letzten Jahrhunderten ein Phantásien erbaut, das jedoch zur Zeit am Zerbrechen ist. Da ist es umso wichtiger zu wissen, daß die Geschichte Gottes durch die Wünsche der Menschen nicht einfach ausgelöscht werden kann, wenn sie auch für uns schwerer zu verstehen ist. Wir werden uns deswegen bemühen, anhand der Geschehnisse um die Botschaft von Fatima herum die dahinterstehende Geschichte Gottes wieder ans Licht zu bringen. Dabei hoffen wir, den einen oder anderen Leser aus seinem Eihaus befreien zu können – damit er, sobald dieses zerplatzt, sich in der wahren Welt Gottes wiederfindet.