Eine fast unendliche Geschichte - 1. Teil

Der Titel unserer Arbeit erinnert sicherlich den einen oder anderen Leser an „Die unendliche Geschichte“ von Michael Ende. Dieser hatte Ende der 1960er Jahre mit „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ einen Bestseller gelandet, der inzwischen unter den Kinderbüchern ein Klassiker geworden ist. Der Autor verließ Deutschland und zog in die Nähe von Rom, wo ihm mit seinem Buch „Momo“ nochmals ein großer Erfolg gelang. Hierauf legte Michael Ende eine Schaffenspause ein, bis eines Tages sein Verleger bei ihm vorbeischaute und nach der nächsten Geschichte fragte. Der Schriftsteller überlegte kurz und griff sodann in einen Schuhkarton mit Zetteln, auf die er in der Vergangenheit seine Ideen notiert hatte. Auf dem herausgenommenen Zettel stand: „Ein Junge gerät während des Lesens buchstäblich in die Geschichte hinein und findet nur schwer wieder heraus.“ Dem Verleger gefiel die Idee, und Michael Ende begann sofort zu schreiben. Aus den ursprünglich angedachten 100 Seiten wurden mehrere hundert. Der Autor erklärte später: „Mir ist diese Geschichte förmlich unter den Händen explodiert.“ Wie es eine unendliche Geschichte nun einmal in sich hat, wurde sie immer länger und ein Ende war nicht in Sicht. Der Abgabetermin mußte mehrmals verschoben werden, weil der Junge, der während des Lesens unversehens in ein Phantasieland geraten war, selbst immer noch nicht daraus wieder herausgefunden hatte.

Ein Kinderbuch für Erwachsene

Schließlich warf Michael Ende, des Schaffens müde geworden, etwa vier Fünftel seines Buches in den Papierkorb, wobei immerhin noch rund 500 Seiten übrigblieben. In der Geschichte zieht ein geheimnisvolles Buch Bastian Balthasar Bux, einen etwa elfjährigen unsportlichen, ängstlichen und etwas dicklichen Schüler, in seinen Bann: Die unendliche Geschichte. Zusammen mit dem Helden Atréju nimmt er an wilden Abenteuern teil. Es geht darum, das Traumreich Phantásien und seine Herrscherin, die Kindliche Kaiserin, zu retten. Je mehr Bastian sich in das Buch hineinliest, desto mehr erkennt er, daß er nicht mehr einfach nur ein unbeteiligter Zuschauer ist. Plötzlich findet er sich in Phantásien wieder.

Hier trifft er auf die „Kindliche Kaiserin“, die Herrscherin von Phantásien, die aber leider krank ist. Ihre Krankheit bedroht nicht nur ihr eigenes Leben, sondern zudem die Existenz ihres Landes. Ein Junge vom Stamm der Grünhäute, Atréju, der „Sohn aller“, soll Hilfe holen. Atréju wird seinerseits von dem Glücksdrachen Fuchur unterstützt. Auf ihren Abenteuern begegnen sie dem Werwolf Gmork, der Mauleselin Jicha, der Riesenschildkröte Morla, den drei mönchischen Tief-Sinnenden und der geheimnisvollen Dame Aiuola. In Phantásien gilt als Herrscherprinzip: „Tu was du willst!“ Bastian erkennt beinahe zu spät, was dieser Satz eigentlich bedeutet, er hatte nämlich inmitten der vielen Abenteuer vergessen, daß er Phantásien nicht beherrschen, sondern aus diesem wieder herausfinden soll. Wo aber ist der Ausgang aus einem Reich, das so grenzenlos ist wie unsere Phantasie? Am Ende der Unendlichen Geschichte steht die Erkenntnis, Phantásien ist aus den vergessenen Träumen der Menschen errichtet worden.

Die „Unendliche Geschichte“ kam 1979 auf den Büchermarkt und wurde weit über Deutschland hinaus bekannt. Das „Kinderbuch“ erreichte weltweit eine Auflage von etwa zehn Millionen und wurde in 40 Sprachen übersetzt. Es waren letztlich nicht die Kinder, sondern die Erwachsenen, die das Buch zum Bestseller machten – ein Kinderbuch für Erwachsene also. (Wobei wir uns der esoterischen und okkultistischen Hintergründe durchaus bewußt sind.)

Eigentlich wollten wir nur eine kurze Bemerkung zur neuerlichen Weihe an das Unbefleckte Herz Mariens schreiben, die im Tradiland z.T. so begeisterte Zustimmung und Nachahmung gefunden hat. Dabei ist es uns jedoch so ergangen wie dem Autor der unendlichen Geschichte, die Geschichte ist uns unter den Händen förmlich explodiert. Auch in unserer fast unendlichen Geschichte kommen Kinder vor, deren Geschichte durch die Erwachsenen weltbekannt gemacht wurde. Und wenn man nicht aufpaßt, verliert man sich in dieser Geschichte und findet nicht mehr heraus. Aber fangen wir mit dem Anfang an, wie es sich gehört.

1. Wie alles begann…

Unsere Geschichte ereignete sich in einem kleinen Dorf in Portugal, Fatima genannt, oder noch etwas genauer bzw. noch kleiner: Aljustrel. Dort wohnten die drei Kinder, die gleichfalls weltbekannt wurden. Unsere Kinder sind jedoch keine Romanfiguren wie Bastian, die „Kindliche Kaiserin“ und Atreju, sondern echte Kinder: Lucia, Jacinta und Francisco.

Da sicherlich den allermeisten Lesern die Erlebnisse dieser drei Kinder, besonders ihre Erscheinungen und was damit sonst noch alles zusammenhing, bestens bekannt sind, wollen wir uns hier auf das Wichtigste beschränken. Unsere Kinder waren Schafhirten. Die älteste, Lucia, übernahm mit etwa neun Jahren den Hütedienst von ihrer Schwester Karolina, weil diese nun schon groß und kräftig genug war, auf dem Feld mitzuhelfen. Da die drei Kinder meistens beisammen waren, um miteinander zu spielen, waren Jacinta und Francisco überaus unglücklich, ihre Spielkameradin zu verlieren. Sie baten deswegen die Mutter inständig um die Erlaubnis, mit Lucia mitgehen zu dürfen. Erst nach längerer Zeit gaben die Eltern der beiden ihren Widerstand auf und erlaubten dies, sofern sie versprachen, nicht leichtfertig herumzustreifen, sondern immer bei Lucia zu bleiben. Darum kennen wir die drei als die drei Hirtenkinder von Fatima. Die drei Kinder hüteten natürlich nicht nur die Schafe, sie wußten diese eintönige Arbeit mit allerlei Spiel und auch mit Gebet kurzweiliger zu machen.

Die Erscheinung des Engels

Die eigentliche Geschichte begann im Frühling 1916. Die Kinder wurden beim Hüten der Schafe von einem Gewitter überrascht, weshalb sie am Abhang eines Hügels, der Cabesso heißt, bei einigen großen Steinblöcken Zuflucht suchten, unter denen sie vom Regen geschützt waren. Als es von der Dorfkirche her Mittag läutete, packten die Kinder ihre mitgebrachten Käsebrote aus und beteten anschließend den Rosenkranz. Hierauf schauten sie nach den Schafen und begannen wieder zu spielen– die Sonne war inzwischen wieder aus den Wolken hervorgetreten. Plötzlich wurden sie von einem heftigen Windstoß aufgeschreckt. Unwillkürlich blickten sie auf und sahen voller Erstaunen eine menschliche Gestalt auf sich zukommen. Sie sah aus wie eine Statue aus strahlendem Schnee und glich einem Jüngling von etwa 14 Jahren. „Habt keine Angst, ich bin der Engel des Friedens. Betet mit mir.“ Die Erscheinung kniete nieder, berührte mit der Stirn den Boden und lehrte den Kindern das bekannte Gebet. Bei der dritten und letzten Erscheinung im Herbst reichte der Engel den drei Kindern die heilige Kommunion.

Die Erscheinungen in der Cova d’Ira

Mit dem 13. Mai 1917 begannen die Erscheinungen der wunderbaren Frau, die über den Zweigen einer zierlichen jungen Eiche steht, in der Cova d’Ira, der Mulde von Ira, in der Lucias Vater ein Grundstück hatte. Die Erscheinungen dauern bis zum Oktober, wobei sich bei der letzten Erscheinung das angekündigte „Sonnenwunder“ ereignet.

Das Geheimnis

Bei der Erscheinung am 13. Juli 1917 zeigte die Erscheinung den Kindern die Hölle und teilte ihnen im Anschluß daran folgendes Geheimnis mit:

„Ihr habt die Hölle gesehen, auf welche die armen Sünder zugehen. Um sie zu retten, will der Herr die Andacht zu meinem unbefleckten Herzen in der Welt einführen. Wenn man das tut, was ich euch sage, werden viele Seelen gerettet, und der Friede wird kommen.

Wenn man aber nicht aufhört, den Herrn zu beleidigen, wird nicht lange Zeit vergehen, bis ein neuer, noch schlimmerer Krieg beginnt. Wenn ihr eines Nachts ein unbekanntes Licht sehen werdet, so wisset, es ist das Zeichen von Gott, daß die Bestrafung der Welt für ihre vielen Verbrechen nahe ist: Krieg, Hungersnot, Verfolgungen der Kirche und des Heiligen Vaters… Um das zu verhindern, werde ich kommen, damit man die Welt meinem unbefleckten Herzen weihe und die Sühnekommunion am ersten Samstag des Monats einführe … Wenn man meine Bitten erfüllt, wird Rußland sich bekehren, und es wird Friede sein. Wenn nicht, so wird Rußland in der Welt seine Irrtümer verbreiten, wird Kriege und Verfolgungen der Kirche hervorrufen; viele Gute werden gemartert; der Heilige Vater wird viel zu leiden haben; mehrere Nationen werden vernichtet werden… Am Ende wird mein unbeflecktes Herz triumphieren! Der Heilige Vater wird mir Rußland weihen, das sich bekehren wird, und eine Zeit des Friedens wird der Welt geschenkt werden.“

2. Wie alles immer komplizierter wurde

Hiermit beginnt unsere fast unendliche Geschichte. Hätte die Erscheinung wie in Lourdes nur ihren Namen genannt und den Bau einer Kapelle verlangt – „Man soll hier eine Kapelle bauen. Ich bin die Königin des Rosenkranzes!“ – dann wäre die Geschichte nicht so ausgeufert, die Sache wäre schnell erledigt gewesen. Fatima wäre eine leicht überschaubare Geschichte wie Lourdes. Aber in Fatima gab es neben der Forderung der Rosenkranzkönigin, eine Kapelle zu bauen, zudem noch das Geheimnis, das in drei Teilen veröffentlicht werden sollte und über dessen letzten Teil bis heute heftig gestritten wird. Darüber hinaus gab es noch die Forderung, Rußland dem Unbefleckten Herzen Mariens zu weihen und die Sühnekommunion am ersten Samstag des Monats einzuführen. Ob diese beiden Forderungen richtig erfüllt worden sind, darüber ist man sich gleichfalls nicht recht einig.

Es ist also durchaus mit der Geschichte von Fatima ein wenig so wie in der unendlichen Geschichte, wer sich zu sehr damit einläßt, der findet nicht mehr heraus. Er steht vor einer Flut von Berichten, Vermutungen, Ernüchterungen und wird von diesen gleichsam absorbiert. Nüchtern betrachtet fragt man sich: Welchen Sinn hat eigentlich solch endloses Forschen? Je mehr man die Sache durchschaut, desto mehr gewinnt man den Eindruck, vieles davon ist ein Ablenkungsmanöver. Aber folgen wir zunächst weiter den faßbaren Tatsachen.

3. Fatima und Rom

Wer die hl. Kirche kennt, weiß, daß die Anerkennung einer Privatoffenbarung nicht von heute auf morgen möglich ist. Eine Erscheinung zu prüfen und zu beglaubigen braucht nun einmal seine Zeit. Der für Fatima zuständige Bischof von Leiria hat in einem Prozeß, der 13 Jahre dauerte, alles geprüft und die Erscheinungen als glaubwürdig erklärt. Wie aber war es mit Rom? Wie kam das Anliegen zum Heiligen Vater?

Am 13. Juni 1929 befand sich Schwester Luzia in der Kapelle der Dorotheenschwestern in Tuy, einer spanischen Kleinstadt in Galizien nahe der Grenze zu Portugal. Während der „Heiligen Stunde“ am Donnerstag zwischen 23 Uhr und Mitternacht, erstrahlte plötzlich ein helles Licht. Sie sah „im oberen Teil des Kreuzes das Antlitz und den Oberkörper eines Menschen, über der Brust eine Taube, ebenfalls aus Licht, und an das Kreuz genagelt den Körper eines anderen Menschen. Ein wenig unterhalb der Taille, in der Luft schwebend, sah man den Kelch und eine große Hostie, auf die einige Tropfen Blut fielen, die vom Angesicht des Gekreuzigten und aus einer Brustwunde herabliefen. Von der Hostie herabgleitend fielen diese Tropfen in den Kelch. Unter dem rechten Arm des Kreuzes stand Unsere Liebe Frau. Es war Unsere Liebe Frau von Fatima mit ihrem Unbefleckten Herzen … mit einer Dornenkrone und Flammen … Unter dem linken Arm des Kreuzes bildeten einige große Buchstaben, die auf den Altar zuliefen, gleichsam als wären sie aus kristallklarem Wasser, die Worte: ,Gnade und Barmherzigkeit‘. Ich verstand, daß mir das Geheimnis der Heiligsten Dreifaltigkeit gezeigt worden war … Anschließend sagte mir Unsere Liebe Frau: ,Es ist der Augenblick gekommen, in dem Gott den Heiligen Vater auffordert, in Vereinigung mit allen Bischöfen der Welt die Weihe Rußlands an mein Unbeflecktes Herz zu vollziehen. Er verspricht, es durch dieses Mittel zu retten. So viele Seelen werden von der Gerechtigkeit Gottes wegen der Sünden verdammt, die gegen mich begangen werden, so daß ich um Sühne bitte: Opfere dich in dieser Meinung auf und bete‘. Ich berichtete das meinem Beichtvater, der mir auftrug, niederzuschreiben, was Unsere Liebe Frau wünschte.“

Als Schwester Lucia im Jahre 1930 von ihrem Beichtvater Pater José Bernardo Gonçalves SJ über die Rolle Rußlands in den Botschaften von Fatima befragt wurde, antwortete sie: „Wir hatten nur von Galiziern (in Nordwestspanien) und Spaniern sprechen gehört … Ich kannte den Namen keines anderen Volkes. Aber was wir während der Erscheinungen Unserer Lieben Frau wahrnahmen, blieb dermaßen eingeschrieben in uns, daß man es nie vergaß. Aus diesem Grunde weiß ich gut und mit Gewißheit, daß Unsere Liebe Frau im Juli 1917 ausdrücklich von Rußland gesprochen hatte.“

In ihrem Brief an Pater Gonçalves vom 29. Mai 1930 fügte Schwester Lucia noch hinzu: „Der gute Gott verspricht, die Verfolgung in Rußland enden zu lassen, wenn der Heilige Vater sich würdigt, einen feierlichen und öffentlichen Akt der Wiedergutmachung und der Weihe Rußlands an die heiligsten Herzen Jesu und Marias durchzuführen, sowie anordnet, daß dies auch die Bischöfe der katholischen Welt unternehmen.“

Pater José Bernardo Gonçalves SJ sorgte schließlich dafür, daß diese Botschaft Papst Pius XI. tatsächlich erreichte. Pius XI. war jedoch kein Freund von Privatoffenbarungen und ließ die Sache auf sich beruhen – zumal sie auch zu politischen Verwicklungen führen konnte. Im Juni 1938 trafen sich die portugiesischen Bischöfe zu ihren jährlichen geistlichen Exerzitien in Fatima. Es war inzwischen mehr als ein Jahr vergangen, seit Erzbischof da Silva die Bitte um die Weihe Rußlands an den Heiligen Vater weitergeleitet hatte. Angesichts des beharrlichen Schweigens Roms sandten die Bischöfe eine gemeinsame Bitte an Pius XI., die Welt an das Unbefleckte Herz Mariens zu weihen:

Heiligster Vater,

Der Kardinalpatriarch von Lissabon und alle Erzbischöfe und Bischöfe Portugals haben sich im Heiligtum von Fatima zu Füßen der Heiligsten Jungfrau versammelt, um die Weihe zu erneuern, die sie vor einiger Zeit Ihrem Unbefleckten Herzen gemacht haben. Sie dankten ihr dafür, daß sie Portugal vor allem in den letzten zwei Jahren vor der Gefahr des Kommunismus gerettet hat, und jubeln mit Freude über einen so großen und wundersamen Segen, den die göttliche Mutter schenkte.

‚Demütig zu Füßen Eurer Heiligkeit niederwerfend, drängen sie darauf, daß, wenn Eure Heiligkeit es für zweckmäßig hält, auch die ganze Welt diesem reinsten Herzen geweiht wird, damit es ein für allemal von so vielen Gefahren befreit wird, die es aus allen Richtungen bedrohen, und daß der Friede Christi im Reich Christi herrschen kann, durch die Vermittlung der Mutter Gottes.‘ (Es folgen die Namen aller Prälaten.)“

Wie in solchen Angelegenheiten üblich, ließ man sich in Rom dennoch Zeit. Normalerweise müssen „neue“ Andachtsformen zunächst ausgiebig theologisch geprüft werden, ehe sie von der Kirche allgemein anerkannt werden können. Es mußte gezeigt werden, daß die Andacht letztlich gar nicht „neu“ war, sondern in der Lehre der Kirche immer schon enthalten und damit wohlbegründet. Handelte es sich aber bei der Botschaft von Fatima um einen solchen normalen Fall oder drängte die Not der Zeit nicht vielmehr zur Eile? Der Papst war offenbar der Meinung, daß es keinen Grund gab, etwas zu überstürzen. Was wußten also die Theologen dazu zu sagen?

4. Die kirchliche Lehre über das unbefleckte Herz Mariens und die Schmerzensmutter

Es war Unsere Liebe Frau von Fatima mit ihrem Unbefleckten Herzen … mit einer Dornenkrone und Flammen …

Die Verehrung des unbefleckten Herzens Mariens war 1917 durchaus keine neue Andacht, diese hatte vielmehr schon eine jahrhundertlange Vorgeschichte, die letztlich sogar bis zu den Kirchenvätern zurückging. Im Mittelalter waren es etwa die hl. Mechthild von Hackeborn und die hl. Gertrud von Helfta, die diese Verehrung pflegten und verbreiteten. In der Spanischen Mystik des 13. Jahrhunderts findet man ebenfalls Anregungen zur Verehrung des reinsten Herzens Mariens. Im 17. und 18. Jahrhundert entfaltete sich diese Verehrung immer mehr zur vollen Blüte. Es war besonders der hl. Johannes Eudes, der sie theologisch vertiefte und mit der Herz-Jesu-Verehrung verband. Nach ihm förderten die Päpste Leo XIII. und der hl. Pius X. diese Andacht nachdrücklich.

Ungewohnt war in Fatima jedoch die Darstellung des Unbefleckten Herzens Mariens zusammen mit dem Symbol einer Dornenkrone. Diese ordnet man gewöhnlich dem Herzen Jesu zu, wohingegen das Herz Mariä immer nur mit einem Kranz von Rosen umwunden und einer Flamme darüber dargestellt wird. Zuweilen bildet man das Herz Mariä zusätzlich zum Kranz von Rosen noch mit einem Schwert durchbohrt ab, wodurch das Thema des Unbefleckten Herzens mit dem der Schmerzensmutter verbunden wird. Diese wird ja mit einem Schwert oder auch sieben Schwertern, die ihr Herz durchbohren, abgebildet. In Fatima hingegen sehen die Kinder das Herz Mariä mit einer Dornenkrone umwunden; es wird somit das Thema des unbefleckten Herzens mit dem des Leidens Christi vereint, was, soweit uns bekannt, keine Vorbilder hat.

Die Schmerzensmutter

Im Nachtgebet des Festes der Sieben Schmerzen der seligen Jungfrau Maria wird in der 4. Lesung eine Predigt des hl. Abtes Bernardus betrachtet, in der es heißt: „Das Martyrium der Jungfrau wird sowohl bei der Weissagung Simeons wie beim Bericht über das Leiden des Herrn selbst hervorgehoben. ‚Dieser ist gesetzt‘, so sprach der heilige Greis über das Jesuskind, ‚zum Zeichen, dem man widersprechen wird; und deine Seele‘, so sagte er zu Maria, ‚wird ein Schwert durchdringen.‘ Wahrhaftig, selige Mutter, es hat deine Seele durchdrungen. Denn hätte es sie nicht durchdrungen, hätte es auch den Leib deines Sohnes nicht durchbohrt. Denn nachdem dein lieber Jesus seinen Geist ausgehaucht, konnte die harte Lanze, die seine Seite öffnete, seine Seele wahrlich nicht treffen. Doch deine Seele hat sie wirklich durchdrungen. Denn seine Seele war nicht mehr da; doch deine konnte sich von dort nicht trennen.“

Die Leiden Mariens während des Kreuzwegs ihres vielgeliebten Sohnes sind unaussprechlich groß. Die Schmerzensmutter ist aufgrund ihres Mitleidens mit ihrem grausam gemarterten Sohn noch untröstlicher als die Tochter von Jerusalem im Klagelied des Propheten Jeremias: „Wem soll ich dich nur vergleichen, wem dich ähnlich nennen, du Tochter von Jerusalem? Wen dir zur Seite stellen, um dich zu trösten, Jungfrau, Tochter Sions? Denn unermeßlich wie das Meer ist dein Schmerz.“

Ganz ergeben in den Willen des Vaters erträgt Maria dieses Meer der Schmerzen. Sie will alle Schmerzen ihres Sohnes zur Sühne für die Sünden der Menschen mitleiden, darum geht sie dem furchtbaren Geschehen nicht aus dem Weg. Maria steht unter dem Kreuz und erleidet geheimnisvoll den Tod Jesu mit, was nochmals der hl. Bernhard in seiner Predigt so erklärt: „Deine Seele durchdrang also der heftige Schmerz. Nicht mit Unrecht preisen wir dich darum mehr als einen Märtyrer. Denn bei dir überstieg das Gefühl des Mitleids den körperlichen Schmerz. Oder war für dich nicht schlimmer als ein Schwert jenes Wort, das wahrhaftig deine Seele durchdrang und vorstieß bis zur Scheidung von Seele und Geist: ‚Weib, sieh da deinen Sohn!‘? Welch ein Tausch! Johannes wird dir an Jesu Statt gegeben, der Knecht an Stelle des Herrn, der Schüler an Stelle des Meisters, der Sohn des Zebedäus statt des Sohnes Gottes, ein bloßer Mensch für den wahren Gott. Wie sollte dieses Wort, das du hörtest, nicht deine empfindsame Seele durchdringen, da die bloße Erinnerung unsere, wenn auch steinerne und eiserne, Herzen durchschneidet!“

Obwohl Maria nicht im strengen Sinn des Wortes das Martyrium erlitten hat, übertreffen doch ihre Liebe und ihr Opfermut weitaus die Liebe und den Opfermut aller Märtyrer. Ihr Schmerz ist größer als jener der Märtyrer, denn mitleidend mit ihrem Sohn hat sie mehr als diese zusammen die erdrückende Last der Sünden der Welt getragen. Darum ist sie Märtyrin in einem höheren Sinn, obwohl sie es nicht im eigentlichen Sinn ist. Im Kommunionlied der Festmesse wird die Schmerzensmutter mit den Worten gepriesen: „Glückselig die Schmerzen der heiligen Jungfrau Maria, die unter dem Kreuze des Herrn ohne Tod die Märtyrerpalme verdiente!“

„Mein unbeflecktes Herz wird deine Zuflucht sein und der Weg, der dich zu Gott führt.“

In ihrem Bericht über die zweite Erscheinung schreibt Lucia:

„Mein unbeflecktes Herz wird deine Zuflucht sein und der Weg, der dich zu Gott führt. Während U. L. Frau diese Worte sprach, öffnete sie die Hände. Aus ihnen strahlte eine Lichtflut über die Kinder aus, in welcher sie sich selbst in Gott sahen. Vor der rechten Hand der Erscheinung sah man ein Herz, das von Dornen umgeben war, die von allen Seiten hineinstachen. Wir erkannten, daß es das unbefleckte Herz Mariens war, das durch die vielen Sünden der Welt verwundet wird und nach Buße und Wiedergutmachung verlangt. Jenes Licht bezweckte, unseren Seelen Kenntnis vom unbefleckten Herzen Mariens zu geben und besondere Liebe zu ihm uns einzuflößen. Wir haben auch tatsächlich von jenem Augenblick an eine glühende Liebe zu ihm empfunden.“

Die Kinder sahen also ein menschliches Herz von Fleisch und Blut, ein leibliches Herz, das von Dornen umgeben war, in dem sie das Herz Mariens erkannten. Wie bei der Herz-Jesu-Verehrung soll der Gegenstand der Herz-Mariä-Verehrung zunächst das leibliche Herz der Gottesmutter sein. Auch wenn dieses nicht wie das heiligste Herz Jesu hypostatisch mit der Gottheit vereinigt und darum nicht anbetungswürdig ist, so ist es dennoch das Herz der Mutter des Allerhöchsten. Durch das Herzblut der Mutter sollte das Herz des göttlichen Heilandes gebildet werden und durch den Herzschlag dieses Mutterherzens sollte der menschgewordene Gottessohn neun Monate hindurch leben. Deswegen ist das Unbefleckte Herz Mariens unvergleichlich verehrungswürdiger als alle übrigen Menschenherzen, die Unbefleckte steht über allen Engeln und Heiligen.

Die Kinder sahen das Herz zudem von Dornen durchstochen: Wir erkannten, daß es das unbefleckte Herz Mariens war, das durch die vielen Sünden der Welt verwundet wird und nach Buße und Wiedergutmachung verlangt. Diese „Dornen“ sind also geistige Dornen, welche selbstverständlich kein materielles, sondern nur ein geistiges Herz verletzen können. D.h. unsere Sünden verwunden Mariens Liebe zu Gott und zu uns Menschen. Die Makellose erkennt sonnenklar das unbeschreibliche Übel der Sünde und deren unerbittliche Folgen, deren schrecklichste die Hölle ist. Wie groß muß darum Mariens Leid sein, wenn sie uns in unseren Nöten nicht helfen kann, weil wir uns nicht helfen lassen wollen! Die meisten Menschen weisen heutzutage die hilfreiche Hand der himmlischen Mutter zurück und gehen blind den Weg ewigen Verderbens: Ihr habt die Hölle gesehen, auf welche die armen Sünder zugehen.

Der heilige Johannes Eudes

Der heilige Johannes Eudes war der Prophet der Verehrung der vereinten Herzen Jesu und Mariens, denn er hatte erkannt: „Wir dürfen nicht trennen, was Gott so vollkommen geeint hat. Jesus und Maria sind so eng miteinander verbunden, daß der, welcher Jesus sieht, Maria sieht, der, welcher Jesus liebt, Maria liebt, und der, der Jesus verehrt, [auch] Maria verehrt.“ In seinem Gebet „Ave Cor“ bringt der hl. Johannes Eudes dieses geheimnisvolle Zusammenspiel folgendermaßen zum Ausdruck:

„Sei gegrüßt, Du heiligstes Herz
Sei gegrüßt, Du sanftmütigstes Herz
Sei gegrüßt, Du demütigstes Herz
Sei gegrüßt, Du reinstes Herz
Sei gegrüßt, Du ganz hingegebenes Herz
Sei gegrüßt, Du weisestes Herz
Sei gegrüßt, Du geduldigstes Herz
Sei gegrüßt, Du gehorsamstes Herz
Sei gegrüßt, Du wachsamstes Herz
Sei gegrüßt, Du treuestes Herz
Sei gegrüßt, Du glückseligstes Herz
Sei gegrüßt, Du barmherzigstes Herz
Sei gegrüßt, Du liebenswürdigstes Herz Jesu und Mariä!“

Im Anschluß an die Psalmstelle (44, 14): „Alle die Pracht der Königstochter ist innerlich“, erklärt er: „Alle ihre Glorie, alle ihre Gnaden, alle Heiligkeit, alles das, was es überhaupt an Großem und Erhabenem gibt an dieser Königin des Himmels, nimmt seinen Ursprung aus ihrem Herzen. Deshalb haben wir die Pflicht, diese hochheilige Jungfrau zu verehren, nicht etwa bloß in einem ihrer Geheimnisse und einer ihrer Taten und einer ihrer Eigenschaften…, sondern wir haben an ihr zu verehren erstlich und hauptsächlich die Quelle und den Ursprung der Würde und Heiligkeit aller ihrer Geheimnisse, aller ihrer Handlungen und Taten, aller ihrer Eigenschaften und ihrer Person selbst… und das ist ihre Liebe.“

Das reinste Herz Mariens ist die Quelle tiefster Geheimnisse. Darum preisen wir dieses Herz im Graduale der heiligen Messe vom reinsten Herzen Mariens als „Abglanz des Ewigen Lichtes, als Spiegel ohne Makel der Herrlichkeit Gottes und Bild seiner Güte“ (Weish. 7, 26). Kein anderes, bloßes Geschöpf kann sich mit dem Herzen Mariens vergleichen. Maria ist so rein, so heilig, daß das ewige Licht in ihr Mensch werden konnte und wollte. Das Herz Mariens ist darum auch Abglanz, Spiegel und Bild des gottmenschlichen Herzens Jesu. Dies gilt schon von der leiblichen Vollkommenheit des Herzens Jesu. „Ganz schön bist Du, und keine Makel ist an Dir“, dieser Vers aus dem Hohelied bezieht sich nicht allein auf die Seele, sondern auch auf den Leib der Braut. Mariens Leib war ganz vollkommen, sie war die Schönste von allen. Das war letztlich notwendig, damit die über alle Maßen begnadete Seele ein vollkommenes Werkzeug für ihre Tätigkeit hatte. Wir glauben deswegen, daß auch Mariens leibliches Herz in jeder Hinsicht ohne Fehl und Makel gewesen sein muß, war doch Maria die Gnadenvolle. Zudem hatte Jesus, wie jedes andere Kind, selbstverständlich die leiblichen Anlagen von Seiner Mutter geerbt, und zwar von Seiner Mutter allein, da Er keinen leiblichen Vater hatte.

„Maria voll der Gnaden“

Wie der Dominikaner P. E. Hugon in seinem Buch „Maria voll der Gnaden“ darlegt, finden viele Gottesgelehrte im Psalm (86, 1), wo der Heilige Geist durch Prophetenmund von Sion sagt: „Seine Fundamente sind auf den heiligen Bergen, es liebte der Herr die Tore Sions mehr als alle Gezelte Jakobs“, ausgedrückt, daß Maria die Gnadenfülle aller Engel und Menschen zusammengenommen weit überragt. „Sion“ ist das Vorbild Mariens. Die heiligen Berge sind die Heiligen. So ergibt sich als Sinn des Psalmvers: Wo die Heiligkeit der Heiligen endet, beginnt erst die Heiligkeit Mariens. Schon im ersten Augenblick der Erschaffung ist das Herz Mariens die Pforte zu allen kommenden Wundern der Gnade.

Die Gottesgelehrten begründen ihre Lehre mit dem Hinweis auf das Ziel, das durch die Entwicklung der Gnade einmal erreicht werden soll. Maria war von Anbeginn dazu bestimmt, würdige Mutter Gottes, Braut Christi im Erlösungswerk und Mutter aller Kinder Gottes zu werden!

Wie der hl. Thomas von Aquin hervorhebt, kann diese Braut zwar keine Göttin werden, aber durch ihre Gottesmutterwürde steigt sie dennoch empor „usque ad fines Deitatis“ — „bis zu den Grenzen der Gottheit“, d.h. des Gottselberseins von Natur, wie Cajetan, der tiefste Erklärer des heiligen Thomas, den Sinn des Gedankens des engelgleichen Lehrers ausgedrückt hat. „Die allerseligste Jungfrau hat dadurch, daß sie Mutter Gottes ist, eine gewisse unendliche Würde erlangt durch Teilnahme an dem unendlichen Gute, das Gott ist, und in dieser Hinsicht ist nichts Vollkommeneres möglich“, lehrt der heilige Thomas (S. Th. I. q. 25 a. 6). Diese Lehre ist letztlich auch die Rechtfertigung für die besondere Verehrung des unbefleckten Herzens Mariens.

Wird fortgesetzt