Das Drama unserer Erlösung

Jahr für Jahr folgen wir vom ersten Advent bis zum letzten Sonntag nach Pfingsten dem liturgischen Festkalender. Den Höhepunkt all dieser Festfeiern bildet die Karwoche. Vom Palmsonntag bis zum Ostermorgen begleiten wir unseren Herrn Jesus Christus bei Seinem Leiden, Sterben und Auferstehen. Das Leben Jesu vergegenwärtigend erleben wir das Aufeinanderprallen der Macht Gottes mit der Macht Satans. In diesem gewaltigsten aller Kämpfe wird der Löwe Judas siegen, aber dieser Sieg kostet Ihn das Leben. In der Präfation vom heiligen Kreuz singt der Priester: „Dein Wille war es, daß vom Kreuzesholze das Heil des Menschengeschlechtes ausgehe: von einem Baume kam der Tod, von einem Baume sollte das Leben erstehen; der am Holz siegte, sollte auch am Holze besiegt werden.“

Damit verbunden ist die ganz und gar grundlegende Einsicht: Auch unser irdisches Leben bildet in seiner ungesicherten Lage ein Schlachtfeld. Dabei ist unser eigener, persönlicher Kampf mit dem großen kosmischen Drama verflochten, das sich zwischen dem Reich Jesu Christi und dem des Satans abspielt. Nur aus dieser umfassenden Perspektive kann man die Gottesdienste der Karwoche verstehen. Die Erlösung am Kreuz ist zugleich eine Neuordnung der Welt aus der wiedergewonnenen Gnade.

Das Drama der Menschengeschichte beginnt schon im Paradies mit der Versuchung Adams und Evas durch Satan. Satan gelingt es, zunächst Eva, dann auch durch Eva Adam zu täuschen und zur Sünde zu verführen. Dementsprechend beginnt übrigens auch das öffentliche Leben Jesu mit der Versuchung durch den Teufel. Während der Teufel aber Adam und Eva besiegte, wird er von Jesus, dem neuen Adam, besiegt.

Der Sündenfall hat unsere Welt grundlegend verändert. Mit der Sünde kam nicht nur der Tod in die Welt, diese wurde zudem entheiligt. Was das letztlich bedeutet, können wir nur schwer fassen, weil wir auf keine Paradieseserfahrung zurückgreifen können. Wir sind auf die wenigen Informationen der Heiligen Schrift angewiesen. Dabei erscheint uns das Paradies wohl eher als ein Traum als eine Wirklichkeit.

Der Kampf gegen den „Fürsten dieser Welt“

Seit dem Sündenfall steht der Mensch unter der Herrschaft Satans. Unser göttlicher Heiland nennt Satan unumwunden den „Fürsten dieser Welt“ (Joh. 12, 31 u. 16, 11) und der hl. Paulus sogar „Gott dieser Welt“ (2 Kor. 4, 4). Nach dem hl. Apostel Johannes „liegt die ganze Welt in der Gewalt des Bösen“ (1. Joh. 5, 19). Diesem Reich erklärt unser Herr Jesus Christus den Krieg. Der hl. Apostel Johannes erklärt: „Dazu ist der Sohn Gottes erschienen, daß er die Werke des Teufels zunichte mache“ (1 Joh. 3, 9). Und dasselbe hebt der hl. Paulus im Hebräerbrief hervor: „Denn der, um dessentwillen und durch den das All ist, fand es, da er viele Söhne zur Herrlichkeit führen wollte, angemessen, den Urheber ihres Heils, durch Leiden zu vollenden; denn sowohl der Heiligende als auch die Geheiligten stammen alle von einem. Darum schämt er sich auch nicht, sie ‚Brüder‘ zu nennen. Weil nun die Kinder Anteil bekommen haben an Blut und Fleisch, erhielt auch er in gleicher Weise daran Anteil, damit er durch den Tod den zunichte mache, der die Macht über den Tod hat, nämlich den Teufel, und die befreie, die durch Furcht vor dem Tod das ganze Leben lang in Knechtschaft waren“ (Hebr. 2, 10-11 u. 14-15).

Diese Einsicht steht über dem Tor, das zu den Geheimnissen der Karwoche führt. Ohne das Wissen über den Sündenfall und die aus der Sünde folgende Macht Satans über den Menschen kann man das Geheimnis der Erlösung am Kreuz nicht wirklich verstehen. Dies erschließt Eugen Mederlet in seinem Buch „Hochzeit des Lammes“ seinen Lesern recht eindringlich aus dem Leben des hl. Franziskus:

„Wenn wir den Spuren dieser Zusammenhänge nachgehen, führen sie uns ins Geschehen des Paradieses zurück. Da erkennen wir, dass die Schlange, der Teufel, dem Menschen Erkenntnisse anbietet und ihn dadurch zutiefst beeinflusst und gefangenhält. Franziskus sagt: ‚Ein einziger böser Geist hat von den himmlischen Dingen mehr gewusst und weiss jetzt noch mehr von den irdischen Dingen als alle Menschen‘ (Schriften S. 102 f.). Diese Macht, den Menschen durch Erkenntnis zu verführen, hat der Teufel aber nicht, weil er von Gott abfiel, sondern weil er Engel ist und nun seine Engelkräfte in Zerstörung verkehrt. Was er kann, das können die himmlischen Engel in unermesslich höherer Weise. Es liegt also in der Vollmacht und der Sendung der Engel, den Menschen in die verborgenen Geheimnisse der Schöpfung und der Ratschlüsse Gottes einzuführen. Die menschliche Ratio allein kann die geheimen Kräfte und Zusammenhänge der Erde und ihre Beziehung zum jenseitigen Leben nicht erkennen. Die Grundfrage ist, welchen Geistern der Mensch sich zur Erlangung der Erkenntnis öffnet: den himmlischen oder den gefallenen Engeln. Im Paradies hat sich der Mensch für den Teufel entschieden, und seither beherrscht dieser die Völker durch seine Inspiration.“

(Eugen Mederlet OFM, Die Hochzeit des Lammes, Christiana-Verlag, Stein am Rhein 1983, S. 64 f.)

Es ist immer zu bedenken, daß konkret und geschichtlich gesprochen das sittliche und physische Übel nicht einfach dem bösen Willen des Menschen entsprungen ist, sondern hinter diesem bösen Willen stand von Anfang an der teuflische Einfluß. Der der Gnade und der präternaturalen Gaben beraubte Mensch verfiel der Knechtschaft Satans, d.h. sein Denken wurde nunmehr maßgeblich vom Teufel inspiriert, was etwa beim Turmbau von Babel besonders greifbar wird: Der Mensch, der aus eigener Kraft und mit seiner Technik den Himmel erobern will. Nach der Vertreibung aus dem Paradies zeigt sich, daß in allen Folgen der Erbsünde, in allen physischen, psychischen und moralischen Übeln, denen der Mensch und die Welt unterworfen sind, sich der Einfluß und die Macht Satans und dessen Feindschaft gegen das Reich Gottes äußern. Die Erlösung ist somit nicht nur eine einmalige geschichtliche Tatsache, sie ist zugleich eine bleibende, dauernde Aufgabe.

Die präternaturalen Gaben vor dem Sündenfall

Dabei denken wir heute viel zu wenig daran, welche Folgen der Verlust der präternaturalen Gaben nach sich zog. Vor dem Sündenfall war der Mensch unsterblich, er kannte keine Krankheiten, und sein Geist erfreute sich einer souveränen Herrschaft über den Leib und die Leidenschaften, er war frei von der bösen Begierlichkeit. Dazu besaß er eine eingegossene natürliche Kenntnis und übernatürliche Erkenntnis. Adam und Eva hatten also nicht nur eine viel tiefergehende Kenntnis der natürlichen und übernatürlichen Welt als wir, sie lebten in einer uns nicht vorstellbaren Harmonie mit der ganzen Schöpfung. Es gab im Paradies kein Leid, keine Not, keine mühevolle Arbeit und keinen Tod. Seit dem Sündenfall befindet sich somit der Mensch in einem Zustand, der nicht mehr seiner ursprünglichen Lage und dem Willen Gottes entspricht. Weil nun bei der Taufe die Seele zwar wieder mit der heiligmachenden Gnade beschenkt wird, aber die präternaturalen Gaben nicht mehr zurückgeben werden, verbleibt der getaufte Christ in einer außerordentlichen Gefährdung. Das Fehlen der präternaturalen Gaben muß durch viele helfende Gnaden ausgeglichen werden, damit der Mensch in den vielen Prüfungen durch Leid und Not und Tod standhalten kann.

Loskauf der Schöpfung

Nur insofern man das ernst nimmt, begreift man in der rechten Weise, daß die von unserem Herrn Jesus Christus zurückerkämpften Gaben nicht einfach die Krönung und Vollendung einer Gott gegenüber indifferenten und neutralen Welt und Natur – wie der Naturalismus meint – sind, sondern im wahrsten Sinne des Wortes eine „Erlösung“, ein „Loskauf“, eine „Befreiung“ des Menschen und des ganzen Kosmos. Wobei nochmals zu betonen ist: Befreiung nicht bloß von einem Gott abgewandten Zustand, sondern vor allem von einer gottfeindlichen Person. „Gott hat uns errettet aus der Macht der Finsternis und uns in das Reich seines geliebten Sohnes versetzt“ (Kol. 1, 13), so der hl. Paulus.

Entgegen der heutigen Verharmlosung dieser Tatsache gilt es also zu begreifen: Nach dem Sündenfall befindet sich der Mensch nicht mehr in einem normalen Zustand gegenüber Gott, sondern in einer katastrophalen, von Gott abgewandten Lage. Er ist in das gewaltige kosmische Ringen zwischen Gottesreich und Satansreich hineingezogen. Mit der Taufe werden wir als Kinder Gottes zwar in den Leib Christi eingegliedert, was uns jedoch nicht dem Einfluß Satans und seiner Helfershelfer entrückt. Mit anderen Worten: Unser Weg zum Himmel ist kein Sonntagssparziergang wie im Paradies mehr, sondern dauernder Kriegsdienst.

Rückfall in die Magie

Die Verweigerung dieser ganz und gar grundlegenden Einsicht steht am Beginn der modernen Zeit, wie nochmals Eugen Mederlet tiefsinnig darlegt:

„Unsere Zeit aber steht in besonderer Gefahr, sich wieder ganz in der Dämonie zu verlieren; und diese neue Magie ist viel gefährlicher als die des alten Heidentums. Dort glaubte der Mensch irgendwie an das göttliche Wesen, dem er sich beugte; hier aber reisst der Mensch alles an sich selbst und er versachlicht die Magie in nüchterne Selbstsicherheit. Der Rückfall in die Magie begann schon in der Renaissance, sie schritt voran in der Reformation, welche die Heiligung der Erde ablehnte, in der französischen Revolution, welche die ‚Göttin Vernunft‘ auf den Altar hob. Heute, in einem Raum ohne Bindung an Gott, blühen alle Arten von Spiritismus, von parapsychischen Praktiken auf; eine literarische Bewegung macht das alte Wissen der Indianer und anderer heidnischen Völker wieder zugänglich; vor allem aber suchen die Anthroposophie und die ihr verwandten Wege ausdrücklich Philosophie und Wissenschaft mit okkulten Erkenntnissen zu durchdringen. Sie macht ihre Adepten durch eine besondere Schulung fähig, schlummernde Keime in der Seele zu wecken und zu entwickeln, mit denen sie den Umgang mit den Geistern pflegen und durch sie geistiges Wissen erlangen können. Das ist tatsächlich möglich, weil eben der Mensch zur Gemeinschaft mit den Engeln geschaffen ist, auf diese Weise aber die Teufel erreicht, die sich in Engel des Lichtes kleiden (vgl. 2.Kor. 11,14). Diese neue Magie wird die grosse Bedrängnis der Endzeit sein (vgl. Offb. 13,11 — 18).“

(Ebd. S. 67)

Die Herrschaft des Antichristen

Das hier erwähnte 13. Kapitel der Geheimen Offenbarung des hl. Apostels Johannes beschreibt zunächst ein unheimlich anzuschauendes Tier, das aus dem Meer aufsteigt, „das hatte zehn Hörner und sieben Köpfe und auf seinen Hörnern zehn Diademe und auf seinen Köpfen Namen der Lästerung“. Der Drache übergibt diesem Tier seine Macht und seinen Thron und seine große Gewalt. Schließlich heißt es: „Auch wurde ihm gegeben Krieg zu führen mit den Heiligen und sie zu besiegen. Ebenso wurde ihm Macht gegeben über alle Stämme und Völker und Sprache und Nationen.“ Dieses Tier ist der Antichrist, der die ganze Welt beherrschen und sich schließlich als Gott anbeten lassen wird.

Die moderne Technik und die Magie

Sodann sieht Johannes ein zweites Tier, das aus dem Festland aufsteigt. „Es hatte zwei Hörner gleich einem Lamm, redete aber wie ein Drache. Es übt die ganze Macht des ersten Tieres vor dessen Augen aus. Es bringt die Erde und ihre Bewohner dazu, daß sie das erste Tier anbeten, dessen Todeswunde geheilt wurde. Auch tut es große Zeichen, so daß es sogar Feuer vom Himmel herabfallen läßt. So verführt es die Bewohner auf Erden durch die Zeichen, die ihm gegeben worden, sie vor den Augen des Tieres zu wirken.“ Hierauf zielt die Bemerkung von Eugen Mederlet: Diese neue Magie wird die große Bedrängnis der Endzeit sein. Wenn man dies nüchtern und ernsthaft bedenkt, ahnt man allmählich, es könnte hinter der modernen Technik doch etwas mehr als nur Technik stecken. Immerhin kommt ein Großteil davon aus der Alchimie, also aus dem okkulten Bereich der Wissenschaft.

Die Herrschaft des Lammes

Im 14. Kapitel der Geheimen Offenbarung liest man von einem Gegenbild zu diesen zwei unheimlichen Tieren: „Hierauf schaute ich, und siehe, das Lamm stand auf dem Berge Sion und mit Ihm hundertvierundvierzigtausend, die seinen Namen und den Namen des Vaters auf ihrer Stirne geschrieben trugen.“ Diese jungfräulichen Seelen singen ein neues Lied vor dem Thron Gottes und vor den vier Lebewesen und den Ältesten. „Sie sind es, die dem Lamme folgen, wohin es immer geht. Diese sind erkauft aus den Menschen als Erstlinge für Gott und das Lamm. Auch fand sich in ihrem Munde kein Falsch; untadelig sind sie.“

Es gilt also, dem Lamme, das wie geschlachtet war und deswegen würdig befunden wurde, die sieben Siegel der Buchrolle zu lösen, die Treue zu halten und sich vor der Verführung der beiden Tiere wohl zu hüten. Nur dann wird man mit dem Sieger am Kreuz in den Himmel einziehen, um mit Myriaden und Myriaden von Engeln und Heiligen zu singen: „Würdig ist das Lamm, das geschlachtet wurde, zu empfangen Kraft und Ruhm und Ehre und Lobpreis. Dem, der auf dem Thron sitzt, und dem Lamme sei der Lobpreis und der Ruhm und die Ehre und die Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit.“

Der verheißene Erlöser

Allein im Glauben an den verheißenen Erlöser konnte der Mensch des Alten Bundes dem Sklavenjoch Satans entrinnen. Die Gerechten des Alten Bundes harrten voller Sehnsucht auf das Kommen des Messias, war doch dem auserwählten Volk von Gott verheißen: „Nicht weicht das Zepter je von Juda und nie der Herrscherstab von ihm, bis sein Ersehnter kommt, auf den die Völker hören. Sein Eselsfüllen bindet er an einen Weinstock und an die Edelrebe seiner Eselin Junges. Er wäscht in Wein sein Kleid, im Traubenblute seinen Mantel“ (Gen. 49, 10 f.). Im diesem Bild wird schon der Keltertreter erahnt. Messias heißt ja Retter! Er rettet uns durch Seinen Tod, wie schon der Prophet Isaias verkündet: „Darum mach ich ihn zum Herrn über Große und gebe ihm zur Beute Mächtige, weil er sein Leben dem Tode dahingab und unter die Übeltäter gezählt wurde“ (Is. 53, 12).

Unser göttlicher Lehrmeister erinnert selbst die Apostel daran: „Ihr forschet in den Schriften, weil ihr glaubt, darin das ewige Leben zu finden; doch gerade diese legen Zeugnis von mir ab“ (Joh. 5, 39). Schon im Buch Deuteronomium heißt es: „Ich lasse aus ihrer Brüder Mitte einen Propheten wie dich erstehen und lege ihm meine Worte in den Mund. Er kündet ihnen alles, was ich ihm befehle. Hört jemand nicht auf die Worte, die er in meinem Namen kündet, den ziehe ich zur Rechenschaft“ (Dt. 18, 18).

Nachdem der Sohn Gottes Mensch geworden ist, ist, wie der hl. Petrus vor dem Hohen Rat bekennt, „in keinem anderen … das Heil. Denn es ist kein anderer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, durch den wir das Heil erlangen sollen“ (Apg. 4, 12). Auch in der Geheimen Offenbarung lesen wir: „Ich bin das Alpha und das Omega, spricht der Herr, der da ist und der da war und der wiederkommt, der Allherrscher“ (Apk. 1, 8).

Der Beginn der Karwoche

Ohne an den verheißenen Messias zu glauben, kann man nicht gerettet werden, denn ohne Ihn gibt es keine Rettung aus der Macht der Sünde und Satans. Darum fordert Er uns auf, unser Kreuz auf uns zu nehmen und Ihm nachzufolgen.

Die Karwoche beginnt mit dem Palmsonntag. Beim Propheten Zacharias liest man: „Dein König kommt zu dir, gerecht und sieghaft, sanftmütig und auf einem Esel reitend, auf dem Füllen einer Eselin“ (Zach. 9, 9). Der Siegeszug des Christkönigs am Palmsonntag ist jedoch voller Wehmut. Denn nur ein paar Tage später wird das Volk, das jetzt jubelt und feiert, fordern: Ans Kreuz mit Ihm!

Dennoch hatte es die göttliche Vorsehung so gefügt. Nach dem Wunder der Auferweckung des Lazarus war das Volk außer sich. Sie feierten ihren Wundertäter. Die einen als großen Propheten, die anderen als Messias. Die Schriftgelehrten und Pharisäer aber schäumten vor Wut, wie der hl. Johannes berichtet: „Da beriefen die Hohenpriester und die Pharisäer eine Ratsversammlung und sagten: ‚Was fangen wir an, da dieser Mensch so viele Zeichen wirkt? Lassen wir ihn so gewähren, dann werden alle an ihn glauben - dann kommen die Römer und nehmen uns Land und Leute.‘ Einer aber von ihnen, Kaiphas, der in jenem Jahr Hoherpriester war, sagte ihnen: ‚Ihr versteht nicht und bedenkt nicht, daß es für euch besser ist, wenn ein Mensch für das Volk stirbt, als wenn das ganze Volk zugrunde geht.‘ Das sagte er aber nicht aus sich selbst. Vielmehr weissagte er als Hoherpriester jenes Jahres, daß Jesus für das Volk sterben werde“ (Joh. 11, 47-51).

Voller Liebe freut sich unser Herr, daß nun „die Stunde“ gekommen ist zu leiden. Jetzt beginnt der Entscheidungskampf gegen Satan, den Fürsten dieser Welt. In dieser Stunde wird Er den endgültigen Sieg über Satan erringen, den Er mit Seinem bitteren Leiden und Sterben aus Seinem Reich verjagen wird. Am Ende der Abschiedsreden im Abendmahlsaal sagt Jesus zu den Aposteln: „Ich werde nicht mehr viel mit euch reden; denn es kommt der Fürst der Welt. Gegen mich vermag er nichts; aber die Welt soll erkennen, daß ich den Vater liebe und so handle, wie der Vater mir aufgetragen hat. – Steht auf! Laßt uns aufbrechen!“ (Joh. 14, 30 f.).

„Vater, verherrliche Deinen Namen“

Am Palmsonntag, nach Seinem triumphalen Einzug in die Stadt, wollten mehrere Heiden Jesus sehen und sprechen. Als Andreas und Philippus dies dem Herrn mitteilten, gab ihnen dieser zur Antwort: „Die Stunde ist gekommen, da der Menschensohn verherrlicht wird. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es für sich allein. Wenn es aber stirbt, bringt es viele Frucht. Wer sein Leben liebhat, verliert es; wer dagegen sein Leben in dieser Welt haßt, wird es für das ewige Leben retten. Wer mir dienen will, der folge mir. Wo ich bin, da soll auch mein Diener sein. Wer mir dient, den wird mein Vater ehren. Jetzt ist meine Seele erschüttert. Soll ich nun sagen: Vater, rette mich aus dieser Stunde? Doch gerade wegen dieser Stunde bin ich gekommen! Vater, verherrliche deinen Namen.“ Da erscholl eine Stimme vom Himmel: „Ich habe ihn verherrlicht und will ihn wieder verherrlichen.“ Das Volk, das dabeistand und dies hörte, meinte, es habe gedonnert. Andere sagten: „Ein Engel hat mit ihm gesprochen.“ Jesus hingegen sagte: „Nicht meinetwegen erscholl diese Stimme, sondern euretwegen. Jetzt ergeht das Gericht über diese Welt, jetzt wird der Fürst dieser Welt hinausgestoßen. Ich aber werde, wenn ich von der Erde erhöht bin, alle an mich ziehen“ (Joh. 12, 21-32).

Wer Jesus nachfolgen will, der muß die Welt verlassen, d.h. er muß sich vom Fürsten dieser Welt lossagen, den Er hinausgestoßen hat. Das Bekenntnis zu Jesus bedeutet immer auch: Wer sein Leben liebhat, verliert es; wer dagegen sein Leben in dieser Welt haßt, wird es für das ewige Leben retten. Es ist also ein Bekenntnis zum Gekreuzigten.

Weihe der Palmzweige

Bei der Weihe der Palmzweige heißt es: „Denn schon damals ahnte die beglückte Volksmenge den vorbildlichen Sinn: Unser Erlöser werde aus Erbarmen mit dem Elend der Menschen für das Leben der ganzen Welt mit dem Fürsten des Todes kämpfen und sterbend über ihn triumphieren. Und darum brachten sie zur Huldigung jene Zweige herbei.“ Bei der letzten Oration der Weihe betet der Priester: „Herr, wir bitten, segne diese Palm- und Ölzweige und gib, daß Dein Volk, was es heute äußerlich zu Deiner Verehrung tut, geistig mit ganzer Hingebung vollbringe: daß es nämlich den Sieg erstreite über den Feind und das Werk Deiner Barmherzigkeit innigst liebe.“ In der 7. und 8. Lesung des 3. Nachtgebetes vom Gründonnerstag lehrt der hl. Ambrosius:

„Es hat eine schöne Bedeutung, daß der Herr, als er die Juden verlassen und in den Herzen der Heiden Wohnung nehmen wollte, zum Tempel hinaufstieg. Denn das ist der wahre Tempel, wenn dort der Herr nicht nach dem Buchstaben, sondern im Geiste angebetet wird. Das ist der Tempel Gottes, wenn ihn die Kette der Glaubenswahrheiten, nicht ein Steinbau begründet. Die ihn haßten, die wurden also verlassen, und erwählt wurden die, die ihn lieben werden. Deswegen kam er zum Ölberge, um auf der Höhe der Tugend neue Ölbäumchen zu pflanzen, die aus jenem Jerusalem stammen, das droben ist. Auf diesem Berge ist jener himmlische Landmann tätig, damit alle, die im Hause Gottes eingepflanzt sind, Mann für Mann sagen können: Ich aber bin wie ein kostbarer Ölbaum im Hause des Herrn. Vielleicht ist Christus selbst dieser Berg. Denn wer könnte sonst diese Früchte hervorbringen an den Ölbäumen, die sich nicht biegen ob der Überfülle süßer Beeren, sondern wegen der Fülle des Geistes unter den Völkern? Er ist es, durch den wir emporsteigen und zu dem wir hinaufsteigen. Er ist die Tür; er ist der Weg, er ist es, der geöffnet wird, bei dem die Eintretenden anklopfen, den die anbeten, die es verdient haben.“

Verkauft und verraten

Die Karwoche lehrt uns: Sieg über den Feind erstreiten heißt, mit Jesus Christus den Kreuzweg gehen. Sobald man die hl. Evangelien etwas eingehender studiert, erkennt man: Bei den Leidensberichten steht der Kampf gegen Satan im Vordergrund. Der hl. Lukas schließt seinen Bericht über die Versuchung Jesu mit den Worten: „Da nun der Teufel mit seiner ganzen Versuchung zu Ende war, ließ er — bis zu gelegener Zeit — von ihm ab“ (Lk. 4, 13). Nun, der von Satan abgewartete günstige Moment kam zur Zeit der Gefangennahme auf dem Ölberg, als Jesus selbst den Anführern der Juden bestätigte: „Das ist nun eure Stunde und die Macht der Finsternis“ (Lk. 22, 53). Satan hatte sich ausgebeten, die Jünger und vor allem den Petrus „wie Weizen zu sieben“ (Lk. 22, 31). Bei der Siebung während des Leidens Jesu schüttelte es die Apostel gewaltig und einer fiel sogar durch das Sieb: Judas.

In der Leidensgeschichte des Palmsonntags wird noch die Salbung in Bethanien mitberichtet. Damals ereiferte sich Judas über die Verschwendung der kostbaren Salbe durch Maria Magdalena. „Hierauf ging einer von den Zwölfen, der Judas Iskariot hieß, zu den Hohenpriestern und fragte: ‚Was wollt ihr mir geben, wenn ich Ihn euch verrate?‘ Sie zahlten ihm dreißig Silberlinge. Von da an suchte er eine Gelegenheit, Ihn zu verraten.“ Der Schott bemerkt zu den dreißig Silberlingen noch: Etwa 80 Mark. Der damalige Preis für eine Sklaven! Für was für einen erbärmlichen Lohn verschachert Judas seinen Meister! Wie tief muß er schon gesunken sein, sich dafür herzugeben. Der Teufel ist also inzwischen ganz gut aufgestellt: Er hat den Hohen Rat auf seiner Seite und einen Verräter unter den Aposteln. Am Beispiel des Verräters können wir gut erkennen, wie unser Herr gegen den Teufel kämpft. Judas bleibt bis zum Schluß beim Herrn, obwohl sich seine Diebereien in der gemeinsamen Kasse wohl kaum gelohnt haben werden. Es ist doch anzunehmen, daß wie bei vielen Heiligen die Kasse aufgrund der Freigebigkeit unseres Herrn meist leer war. Womöglich hatte Judas doch noch auf einen politischen Erfolg gehofft. Immerhin sprach Jesus oft vom kommenden Reich. Hatte Er vielleicht doch noch vor, ein solches zu errichten? Die Enttäuschung wuchs, je länger nichts passierte.

So kam es in der Nacht vor Seinem Tod zum letzten Abendmahl – und Judas war immer noch dabei. Es wird ihm jedoch nicht besonders wohl zumute gewesen sein, dem Judas. Das Verrätergeld in der Tasche lauerte er seit Tagen auf eine Gelegenheit, Jesus dem Hohen Rat ausliefern zu können. Jesus weiß selbstverständlich um den Verrat: „Einer von euch wird mich verraten.“ Er stellt die Tatsache einfach in den Raum. Judas erschrickt wohl bei diesen Worten und geht innerlich in Deckung. Er nimmt nicht mehr wahr, wie sehr der göttliche Erlöser um seine Seele ringt. Bei der Fußwaschung kniet er sich auch vor Judas nieder und schaut ihn mit flehendem Blick an. Es ist ein Blick voller Liebe, Wohlwollen und Freundschaft. Der Blick sagt Judas: Gehe doch in Dich. Laß ab von deinem Verrat. Bereue deine Tat und kehre um. Aber das Herz des Judas ist schon allzu sehr verhärtet. Ihm ist die Zeremonie der Fußwaschung nur lästig. Er ärgert sich darüber, weil sie ihm als Zeitverlust erscheint. Schließlich erweist ihm der göttliche Erlöser noch eine Auszeichnung, die damals der Gastgeber besonders lieben Gästen und Freunden gegeben hat: Er tunkt einen Bissen in die Schüssel und gibt ihn dem Judas. Aber selbst an dieser Auszeichnung kann Judas sich nicht mehr freuen, vielmehr steigert sie seine Wut noch mehr. Sobald er den Bissen genommen hatte, „da fuhr der Satan in ihn“. Innerlich ganz aufgebracht stürzt er hinaus – es war aber Nacht. Augenblicklich ist das letzte Licht in seiner Seele erloschen. Es bleibt kein guter Wille, nichts Herzliches, Verzeihendes zurück.

Was für ein verborgener Schmerz muß es für Jesus gewesen sein, den Verräter in dieser vertrauten Stunde unter Seinen Aposteln zu sehen. Die Evangelien heben es immer wieder erschüttert hervor: Einer von den Zwölfen! Der Teufel hat sogar einen der Vertrautesten Jesu auf seine Seite gezogen und ins ewige Verderben getrieben.

In ihren Schauungen sieht Anna Katharina Emmerich, wie die Apostel, als die Schergen mit Judas heranzogen, diesen zunächst festhielten und mit ihm stritten. Als die Wachen sich jedoch gegen die Apostel wandten, wurde er frei, und Judas ging auf Jesus und küßte ihn mit den Worten: „Meister, sei gegrüßt.“ Jesus sagte: „Judas, mit einem Kusse verrätst du den Menschensohn?“ Und nun traten die Kriegsknechte um Jesus in einen Kreis, und die herannahenden Schergen legten Hand an Ihn. Judas wollte jetzt fliehen; die Apostel aber hielten ihn auf, drängten auf die Soldaten, und schrieen: „Herr, sollen wir mit dem Schwerte dreinschlagen?“ Petrus aber eifriger, griff nach dem Schwerte und hieb nach Malchus, dem Knechte des Hohenpriesters, der sie zurückdrängen wollte, und hieb ihm ein Stück vom Ohr ab, so daß er zu Boden stürzte, wodurch die Verwirrung noch größer wurde (P.C.G. Schmöger, Das arme Leben und bittere Leiden unseres Herrn Jesu Christi und seiner heiligsten Mutter Maria nebst den Geheimnissen des alten Bundes nach den Gesichten der gottseligen Anna Katharina Emmerich, Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 1881, S. 922 f.).

Judas verzweifelt

Es war schon außerordentlich gemein von Judas, Seinen Meister mit einem Kuß zu verraten. Er hätte einfach auf ihn zeigen und sagen können: Der ist es, ergreift Ihn! Aber der Teufel treibt ihn in der Bosheit immer weiter voran. Im Psalm 111 heißt es im letzten Vers: „Der Sünder wird schon sehen. Dann wird er ergrimmen, dann wird er mit den Zähnen knirschen. Er wird vergehen vor Verlassenheit, und die Sehnsucht des Sünders wird zuletzt umsonst sein.“ Genauso war es auch bei Judas, er kam zu spät zur Einsicht: „Ich habe gesündigt. Ich habe unschuldiges Blut verraten!“ (Mt. 27, 4). Die Pharisäer liebten zwar den Verrat, aber haßten den Verräter, weshalb sie eiskalt entgegnen: „Was geht uns das an? Sieh du selber zu!“ Das treibt Judas endgültig in die Verzweiflung, er nimmt sich das Leben, er erhängt sich.

Der Herr kämpft in Seinem furchtbaren Leiden gegen den Teufel, und Er verliert dabei einen Seiner Apostel! Welch ein Seelenschmerz muß das für Ihn gewesen sein! Im kirchlichen Stundengebet heißt es während der 2. Nachtstunde im Zwischengesang nach der 4. Lesung: „Mein Freund hat mich durch einen Kuß verraten: Den ich küssen werde, der ist es, den ergreift! In seiner Bosheit gibt er ihnen dies Zeichen und vollbringt mit seinem Kuß eine Mordtat. Der Unglückliche wirft am Ende doch den Blutpreis weg und erhängt sich mit einem Strick. Besser wäre es für diesen Menschen, wenn er nicht geboren wäre.“

Der Gedanke an den Verräter durchzieht dieses Nachtgebet des Gründonnerstags, wie er die Seele des göttlichen Erlösers nicht losgelassen hat – denn auch ihn, auch den Judas hat Er geliebt und sich für ihn hingegeben. Im Zwischengesang nach der 8. Lesung klagt unser Herr: „Konntet ihr nicht eine Stunde mit mir wachen, die ihr euch selbst angeboten habt, für mich zu sterben? Oder seht ihr den Judas nicht, wie er nicht schläft, sondern eilends kommt, mich den Juden auszuliefen? Was schlaft ihr? Steht auf und betet, daß ihr nicht in Versuchung fallet.“ Das göttliche Erlöserherz zerbricht faßt bei dem Gedanken, der so umtriebige Teufel könnte Ihm auch noch die anderen Apostel rauben. Deshalb spornt Er sie an zu wachen und zu beten, denn der Geist ist zwar willig, aber das Fleisch ist schwach. In Seiner göttlichen Allwissenheit weiß Er natürlich, wie viele es sind und sein werden, an denen Sein Erlösungswerk keine Frucht bringen wird. Aber Er weiß auch, wer sein Herz Ihm zuwenden wird. Die Schau der großen Visionärin geht folgendermaßen weiter:

So war alles umher, eben als Petrus den Malchus niedergehauen hatte und Jesus zugleich sagte: „Petrus, stecke dein Schwert ein; denn wer das Schwert nimmt, soll durch das Schwert umkommen; oder meinst du, daß Ich nicht könnte meinen Vater bitten, daß Er Mir mehr als zwölf Legionen Engel schicke? Soll ich den Kelch nicht trinken, den Mir mein Vater gegeben hat? Wie würde dann die Schrift erfüllet werden, wenn es nicht so geschehen müßte?“ Er sagte aber auch: „Lasset Mich, daß Ich den Menschen heile!“ Und Er nahte dem Malchus, rührte ihm das Ohr an und betete; da war es heil. Es waren aber die Wache um Ihn und die Schergen und die sechs Beamten; und diese höhnten Ihn, zu der Schaar sprechend: „Er hat mit dem Teufel zu tun; durch Zauberei schien das Ohr verletzt und durch Zauberei ist es heil.“

Malchus bekehrt sich

Da sprach Jesus zu ihnen: „Ihr seid gekommen mit Spießen und Stangen, Mich wie einen Mörder zu fangen. Ich habe täglich bei euch im Tempel gelehrt, da habet ihr nicht gewagt, die Hand an Mich zu legen; aber jetzt ist eure Stunde, die Zeit der Finsternis.“ Sie befahlen Ihn zu fesseln, und höhnten Ihn, sprechend: „Uns hast Du nicht niederwerfen können mit deiner Zauberei!“ Und so sagten auch die Büttel: „Wir wollen Dir deine Künste vertreiben!“ Jesus antwortete noch Einiges, was ich nicht mehr weiß; die Jünger aber flohen von allen Seiten. Die vier Schergen und die sechs Pharisäer waren nicht gefallen und daher auch nicht wieder aufgestanden. Dieses war, wie mir eröffnet war, weil sie ganz in den Banden des Satans und in einem Range mit Judas gewesen, der auch nicht fiel, obschon er bei den Kriegsleuten stand; den es seien auch alle diejenigen, die gefallen und wieder aufgestanden, nachher bekehrt und Christen geworden; und das Fallen und Wiederaufstehen sei das Vorbild ihrer Bekehrung. Diese Kriegsleute haben auch Jesus nicht berührt, sondern nur umgeben. Malchus war nach seiner Heilung schon dermaßen bekehrt, daß er nur der Ordnung wegen seiner Dienste noch fort tat, und schon in den folgenden Stunden des Leidens Christi zu Maria und andern Freunden als Bote ab- und zulief, Nachricht zu bringen, was alles geschehe.

(Ebd. S. 923 ff.)

Ein recht eindrückliches Bild des verborgenen Kampfes des Lammes Gottes gegen die teuflische Schlange und ihren Anhang, das uns hier vor Augen gezeichnet wird. Wie beeindruckend ist die Sorge Jesu für seine Apostel und den Malchus. Dabei geht es Ihm nicht so sehr um den Leib, sondern um die Seele, die es zu retten gilt. Das Herz des Malchus ist nicht zu Stein erstarrt wie das Herz des Verräters und der Pharisäer. Diese fallen bei den Worten Jesu „Ich bin es!“ nicht auf den Boden. Diese rührt die göttliche Barmherzigkeit nicht mehr an. In ihrer Bosheit unterstellen sie Ihm sogar, er hätte es mit dem Teufel zu tun. Aber manche von den Soldaten und Dienern erkennen die Unschuld Jesu und den Haß Seiner Feinde. Sie ziehen sich immer mehr zurück und bekehren sich schließlich.

Die Nacht der Gefangennahme Jesu

Nach der Gefangennahme Jesu und der Zerstreuung der Apostel sieht Anna Katharina Emmerich in einem Bild den göttlichen Sinn dieses Geschehens:

Die Stille der Nacht wird immer mehr durch das Geräusch um Kaiphä Richthaus her unterbrochen. Diese Gegend schimmert von Fackeln und brennenden Pechpfannen; rings um die Stadt aber ertönt das Gebrüll der vielen Last- und Opfertiere, die von den unzähligen Fremden jetzt in die Osterlager gebracht sind. Und wie unschuldig rührend schallet das hilflose, demütige Blöcken der unzähligen Lämmer durch die Nacht, welche morgen am Tempel geschlachtet werden sollen! Eines aber nur ist geopfert, weil es selbst gewollt, und tut seinen Mund nicht auf wie ein Schaf, das zur Schlachtbank geführt wird, und wie ein Lamm, das vor dem Scheerer verstummt, tut es seinen Mund nicht auf, das reine, makellose Opferlamm – Jesus Christus.

Die Hölle ist los…

Über alles dieses hin ist ein wunderbar ängstlicher Himmel ausgespannt, und wandelt der Mond, drohend, seltsam durch Flecken getrübt, und gleichsam krank und entsetzt, als zage er, voll zu werden; denn dann ist Jesus gemordet. Draußen aber an der Mittagsseite der Stadt im steilen Tal Hinnom, herumgepeitscht vom bösen Gewissen, wo es unwegsam und unheimlich ist, an verfluchtem Ort, bei Sumpf und Unrat und Auswurf, einsam, ohne Gesellen, den eigenen Schatten fliehend, irrt vom Teufel gehetzt Judas Iskariot, der Verräter – und tausende von bösen Geistern eilen umher und treiben und verwirren die Menschen zur Sünde. Die Hölle ist los und treibt zur Sünde überall. Und die Last des Lammes steigt. Und der wachsende Grimm des Satans verdoppelt, verwirrt und verwickelt sich. Das Lamm nimmt alle Last auf sich; der Satan aber will die Sünde. Und sündiget dieser Gerechte auch nicht, fällt dieser vergeblich Versuchte auch nicht, so sollen seine Feinde doch in ihrer Sünde verderben.

Alle Engel aber zagen zwischen Trauer und Freude, sie möchten vor Gottes Thron flehen, helfen zu können; vermögen aber nur staunend das Wunder der göttlichen Gerechtigkeit und Barmherzigkeit anzubeten, das im Allerheiligsten des Himmels von Ewigkeit da war und jetzt in der Zeit auf der Erde zu geschehen beginnt; denn auch die Engel glauben in Gott den Vater, allmächtigen Schöpfer Himmels und der Erde, und in Jesum Christum seinen einigen Sohn, unseren Herrn, der empfangen ist von dem Heiligen Geist, geboren aus Maria der Jungfrau, der heute Nacht zu leiden beginnt unter Pontius Pilatus, der morgen gekreuzigt, sterben und begraben werden wird; der auffahren wird gegen den Himmel, wo Er sitzet zur rechten Hand Gottes, des allmächtigen Vaters, von dannen Er kommen wird, zu richten die Lebendigen und Toten; denn auch sie glauben an den Heiligen Geist, eine heilige allgemeine Kirche, Gemeinschaft der Heiligen, Ablaß der Sünden, Auferstehung des Fleisches und ein ewiges Leben! Amen.

Alles dieses ist nur ein kleiner Teil der Eindrücke, welche ein armes sündenvolles Herz mit Angst, Reue, Trost und Mitleid bis zum Zerspringen erfüllen müßten, wenn sich die Betrachtung, gleichsam Hilfe suchend, auf wenige Minuten von der grausamen Gefangenführung unseres Heilandes weg und über Jerusalem hinwendete in dieser ernstesten Mitternacht der endlichen Zeit, in der Stunde, da die unendliche Gerechtigkeit und die unendliche Barmherzigkeit Gottes, sich begegnend, umarmend und durchdringend, das heiligste Werk der Gottes- und Menschenliebe begannen, die Sünden der Menschen zu strafen an dem Gottmenschen und zu sühnen durch den Gottmenschen. – So war es umher, als der liebe Erlöser zu Annas geführt wurde.

(Ebd. S. 934 f.)

Das Drama der Karwoche

Das ist das Drama, das uns die Karwoche vergegenwärtigt: Im bitteren Leiden des gottmenschlichen Erlösers begegnen sich göttliche Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. Der gottmenschliche Krieger tritt in den Kampf, um die Sünden am eigenen Leib zu strafen und zu sühnen, um der Barmherzigkeit Raum zu schaffen. Die Hölle ist im allergrößten Aufruhr. Luzifer versammelt sein Heer, um Jesus zu vernichten. Immer wieder stockt er in seiner Wut, weil er die Geduld, die Sanftmut, die Ruhe, die ungebrochene Hingabe in seinem Stolz nicht verstehen kann. Aber sein Haß treibt ihn voran, Jesus muß wie der schändlichste Verbrecher am Kreuz sterben. Folgen wir dem Lamm Gottes ein klein wenig auf Seinem Leidensweg. Unsere Seherin beschreibt uns das Leiden des Heilandes im Kerker unter dem Gerichtshaus des Kaiphas, ehe er dem Hohen Rat vorgeführt wurde:

Auch hier ließen die Peiniger dem Herrn keine Art von Ruhe. Sie banden Ihn in der Mitte des Kerkers an eine niedere Säule und vergönnten Ihm nicht, sich anzulehnen, so daß Er auf seinen ermüdeten, vom Fallen und dem Aufschlagen der Kette, die bis zu den Knieen herniederhing, verwundeten und geschwollenen Füßen hin und her schwankte. Sie hörten nicht auf Ihn zu verhöhnen und zu mißhandeln; und so die beiden anwesenden Schergen ermüdeten, wurden sie von zwei anderen abgelöst, welche eintretend neue Bubenstreiche vollzogen… Am Tage des Gerichts wird alles offenbar werden, da werden wir alle sehen, wie wir an der Mißhandlung des Sohnes Gottes, da Er als Sohn des Menschen in der Zeit war, teil hatten durch unsere Sünden, die wir fort und fort noch begehen, und die fortgesetzt eine Art von Einwilligung und Anschließung zu den Mißhandlungen Jesu durch jene teuflische Rotte sind. Ach! Wenn wir das recht bedächten, wir würden mit weit größerem Ernste als bisher jene Worte beten, die in vielen Bußgebeten vorkommen: „Herr, lasse mich lieber sterben, als daß ich Dich nochmals durch Sünde beleidigen sollte!“

In diesem Kerker stehend betete Jesus fortwährend für seine Quäler, und als sie zuletzt ermüdet etwas ruhiger wurden, sah ich Jesum an dem Pfeiler lehnend, ganz von Licht umgeben. Es brach der Tag an, der Tag seiner unendlichen Leiden und Genugtuung. Der Tag unserer Erlösung blickte durch eine Öffnung oben an der Kerkerwand zaghaft auf unser heiliges mißhandeltes Osterlamm, welche alle Sünden der Welt auf sich genommen. Und Jesus hob seine gefesselten Hände empor dem jungen Tag entgegen und betete laut und vernehmlich zu seinem Vater im Himmel ein sehr rührendes Gebet, worin Er Ihm für die Sendung dieses Tages dankte, nach welchem sich die Altväter schon gesehnt, nach welchem Er seit seiner Ankunft auf Erden so sehnlich geseufzt hatte, daß Er sprach: „Ich muß Mich taufen lassen mit einer Taufe, und wie sehr drängt es Mich, bis sie vollbracht werde.

Nur die Engel haben Mitleid

Es ist schon ein unermeßlich großes Geheimnis, die Gerechtigkeit Gottes vollzieht sich am gottmenschlichen Opferlamm ohne jegliches Mitleid. Für den Erlöser gibt es keine Schonung! Sein Leiden ist voller Übermaß, ein Übermaß, das unser Begreifen weit überragt, wie auch die Sünden der Menschen, die zahllos sind und in den Augen Gottes so furchtbar. Die üblichen Grausamkeiten bei einer Hinrichtung genügen den Feinden Jesu bei weitem nicht, spornt sie doch der teuflische Haß an. Sie lassen ihn geiseln und mit Dornen krönen und dabei maßlos verspotten. Aus all diesen Grausamkeiten spürt man den teuflischen Haß heraus. Alle nur mögliche Gemeinheit scheint hier versammelt zu sein, um sich an dem einen Opfer auszutoben. Jesus aber erträgt alles betend und sühnend, voller Erbarmen für die Sünder.

Selbst die heiligen Engel erschaudern ob dieses grausamen Schauspiels: Ich sah mehrmals während der Geißelung, als erschienen Engel um Jesus; und ich hörte sein Gebet, wie Er unter dem Hagel der bitteren, schimpflichen Pein sich fortwährend ganz Seinem Vater für die Sünden der Menschen hingab. Jetzt aber, da Er in seinem Blute an der Säule lag, sah ich einen Engel, der Ihn erquickte. Es war, als gäbe er Ihm einen leuchtenden Bissen“ (S. 976).

Die Klage des Propheten Jeremias

Die hll. Evangelien berichten uns nur die wichtigsten Ereignisse des bitteren Leidens und Sterbens unseres göttlichen Erlösers. Dennoch sind sie nicht einfach nur ein geschichtlicher Bericht, sondern Erzählung des größten Geheimnisses der Weltgeschichte. Gott, der nicht leiden kann, leidet als Mensch zur Sühne für unsere Sünden. Es ist eine Geschichte voll größter Dramatik, wobei jedoch das meiste davon unseren irdischen Augen verborgen ist. Man muß das Leiden Christi oft betrachten, um es so verstehen zu können, wie es uns die Gottesdienste der Karwoche deuten.

Am Karfreitag liest man nach den Klageliedern des Jeremias, die jeweils mit der flehentlichen Bitte enden: Jerusalem, Jerusalem, bekehre dich zum Herrn, deinem Gott“: „Du warst mein auserlesener Weinberg, ich habe dich gepflanzt. Wie bist du nun ausgeartet, daß du mich ans Kreuz schlägst, den Barabbas aber freigibst?“ Und im Zwischengesang nach der 6. Lesung des Nachtgebetes heißt es: „Ich gebe mein Leben, das mir lieb ist, in die Hand meiner Feinde; mein Erbteil [das auserwählte Volk] ist geworden wie ein Löwe im Walde; er brüllt wider mich und ruft: Sammelt euch und eilt herbei, ihn zu zerreißen! In eine öde Wüste haben sie mich geführt und das ganze Land trauert über mich. Niemand kennt mich, niemand tut mir Gutes. Herzlose Männer stehen auf wider mich und schonen nicht einmal mein Leben.“

Der Entscheidungskampf

Wenn wir das Leiden Christi recht betrachten wollen, müssen wir bedenken: Das Geschehen umfaßt die ganze Weltgeschichte und alle Völker aller Zeiten. Beide Reiche prallen aufeinander und führen den Entscheidungskampf. Das, was hier geheimnisvoll geschieht, faltet sich sodann in der Geschichte der Erlösung immer mehr aus. Anna Katharina Emmerich sieht neben dem äußeren Geschehen immer auch das verborgene:

Wenn ich bei solchen Anschauungen meine Gedanken auf die Gemüter des Volkes und der Richter, und auf die heiligsten Seelen Jesu und Mariä richte, so wird mir oft alles, was mit ihnen vorgeht, in Erscheinungen gezeigt, welche die Leute damals freilich nicht gesehen haben, deren Inhalt aber sie alle fühlten. Ich sehe dann eine unzählige Menge von Teufelsgestalten, jede ganz nach dem Laster, die sie bedeutet, geformt, in schrecklicher Tätigkeit unter der Menge. Ich sehe sie laufen, hetzen, verwirren, in die Ohren flüstern, in den Mund fahren; ich sehe sie aus der Volksmasse einzeln in großer Zahl hervorstürzen, sich vereinigen und die Menschen gegen Jesus antreiben; dann wieder vor dessen Liebe und Geduld erbeben und von Neuem unter der Menge verschwinden. Aber ich sehe in allem ihrem Tun etwas Verzweifeltes, Verwirrtes, sich selbst Zerstörendes, ein wirres, unsinniges Hin- und Herzerren. Über und um Jesus und bei Maria und allen den wenigen Heiligen sehe ich auf ähnliche Weise viel Engel in Tätigkeit. Ich sehe diese auch nach ihren verschiedenen Aufgaben in mannigfaltiger Form und Kleidung; und so erscheinen auch ihre Handlugen bald als Trost, als Gebet, als Salbung, Speisung, Tränkung, Bedeckung, oder als andere Werke der Barmherzigkeit.

Jesu fortwährendes Opfer

In gewissem Sinne kann man sagen, daß unser Herr auch heute noch für uns leidet und am Kreuz stirbt, ist doch das hl. Meßopfer ein wahres, wenn auch unblutiges Sühneopfer für unsere Sünden. Anna Katharina Emmerich war bei ihrer Schau in der ersten Adventwoche des Jahres 1819 ganz erschüttert: „Ich sah unsern Herrn Jesus Christus kreuzigen. Ich zitterte durch Mark und Bein; denn es waren lauter Menschen aus unserer Zeit. Es war eine weit ärgere und gräßlichere Marter des Herrn als zur Zeit der Juden. Gott sei Dank, es war nur ein Bild. ‚So würden sie‘, sagte mein Führer, ‚jetzt mit dem Herrn umgehen, wenn er noch leiden könnte.‘ Ich sah zu meinem Entsetzen sehr viele Leute dabei, die ich kannte, selbst Priester. Es zogen sich nach diesem Orte sehr viele Linien und Adern der Finsterwandelnden hin. Auch sah ich meine Verfolger, wie sie mit mir umgehen würden, wenn sie mich in ihre Macht bekämen. Sie würden mich mit der Tortur zu zwingen suchen, ihre verkehrte Meinung mit Lügen zu bestätigen.“

Mariens Mitleiden

Am innigsten nahm selbstverständlich die Gottesmutter am Leiden Jesu Anteil. Wer kann den Schmerz beschreiben, der ihr reinstes Herz angesichts dieser überaus grausamen Folter durchdrang? Die Prophezeiung Simeons erfüllte sich nun: „Aber auch deine Seele wird ein Schwert durchdringen, damit offenbar werden die Gedanken vieler Herzen“ (Lk. 2, 35). Im letzten Zwischengesang des Nachtgebetes des Karfreitags hören wir die Klage der Gottesmutter: „Meine Augen sind schon ganz verdunkelt vor lauter Weinen. Denn der mich trösten könnte, ist fern von mir. Ihr Völker alle schaut: Ob ein Schmerz ist gleich meinem Schmerz. O ihr alle, die ihr vorübergeht am Wege, habet acht und schauet! Ob ein Schmerz ist gleich meinem Schmerz.

Und dennoch ist in all dem Leid auch Freude, weil jeder aus Liebe zu Jesus ertragene Schmerz zur Gnade wird. Bei der Enthüllung des Kreuzes singen wir dreimal: „Seht das Holz des Kreuzes, woran das Heil der Welt hing. Kommt, laßt uns anbeten.“‘ Und in der Antiphon vor dem Hymnus *Pange lingua betet die hl. Kirche:

„Dein Kreuz verehren wir, o Herr; wir preisen und verherrlichen Deine heilige Auferstehung; denn sieh, durch das Holz entstand Freude in aller Welt. Gott möge Sich unser erbarmen und uns segnen; Er lasse Sein Antlitz über uns leuchten und erbarme Sich unser.“

Hierauf beginnt der Hymnus:

„Von dem lorbeerreichen Streite
Töne meiner Stimme Klang,
Auf des Kreuzes Siegeszeichen
Sing’ sie den Triumphgesang,
Wie der Weltheiland Sich opfert
Und als Lamm den Tod bezwang. …“

Kreuzerhöhung

Nach der Aufrichtung des hl. Kreuzes beschreibt unsere Visionärin den schauderhaften und zugleich ergreifenden Anblick:

Es war ein erschreckender und zugleich rührender Eindruck, als unter dem Hohngeschrei der Schergen und Pharisäer und des entfernter stehenden Volkes, das Jesum nun auch sehen konnte, das Kreuz emporschwankte und erschütternd niederstieß; aber auch fromme, wehklagende Stimmen erhoben sich zu Ihm. Die heiligsten Stimmen der Erde, die seiner betrübtesten Mutter, der heiligen Frauen, des Lieblings-Apostels und aller, die reinen Herzens waren, begrüßten das am Kreuz erhöhte, ewige, fleischgewordene Wort mit rührender Wehklage. Alle Hände der Liebenden streckten sich bange, als wollten sie helfen, empor, da der Heiligste der Heiligen, der Bräutigam der Seelen, lebendig an das Kreuz genagelt, in den Händen der tobenden Sünder emporschwankte. Als aber das Kreuz mit lautem Hall aufrecht in die Standgrube hineinsank, trat ein kurzes Schweigen ein. Alles schien von einem neuen, nie dagewesenen Gefühl überrascht. Selbst die Hölle fühlte den Stoß des sinkenden Kreuzes mit Schrecken und bäumte sich nochmals in ihren Werkzeugen mit Hohn und Fluch gegen dasselbe; bei den armen Seelen aber und in der Vorhölle war eine bang harrende Freude, sie horchten auf jenen Stoß mit sehnsüchtiger Hoffnung; er tönte ihnen wie das Pochen des nahenden Siegers an den Toren der Erlösung. Das heilige Kreuz stand zum ersten Male in Mitte der Erde aufgerichtet wie ein anderer Baum des Lebens im Paradiese, und aus den erweiterten Wunden Jesu träufelten vier heilige Ströme auf die Erde nieder, ihren Fluch zu sühnen und sie Ihm, dem neuen Adam, zu einem Paradiese zu befruchten.

Als unser Heiland an dem Kreuz aufgerichtet stand, und das Hohngeschrei auf wenige Minuten durch ein schweigendes Staunen unterbrochen war, schallte der Ton vieler Trompeten und Posaunen vom Tempel herüber und kündete das begonnene Schlachten des Osterlammes, des Vorbildes, an, indem er das Hohn- und Wehgeschrei um das wahre geschlachtete Lamm Gottes mit ahnungsreicher Feierlichkeit unterbrach. Manches harte Herz ward erschüttert und dachte an die Worte des Täufers: „Siehe das Lamm Gottes, welche die Sünden der Welt auf sich genommen hat!“

(S. 1014)

Wie ergreifend ist es wahrzunehmen, als das Kreuz mit dem Lamm Gottes aufgerichtet worden war, begann das Schlachten des Osterlammes im Tempel. Nun wird das uralte Vorbild Wirklichkeit … In der vorletzten Strophe des Hymnus Pange lingua singen wir:

„Du allein warst auserlesen
Zu des Lammes Schlachtaltar,
Zu der Arche, die entrissen
Uns des Untergangs Gefahr,
Zu den Pfosten, der vom Blute
Heil’gen Lamms bezeichnet war.

Den Juden ein Ärgernis, den Heiden eine Torheit

Es läßt sich kein größerer sichtbarer Gegensatz denken als der Tod des göttlichen Erlösers am Kreuz: Ein Sieg, der als vollkommene Niederlage, ja Vernichtung erscheint. Rein menschlich gesprochen muß man feststellen: Wer so gedemütigt und verachtet stirbt, der steht nicht mehr auf. Die göttliche Allmacht ist gebunden in der menschlichen Ohnmacht und scheinbar besiegt durch einen unsagbar grausamen Tod.

Darum ist bis heute Christus der Gekreuzigte für die „Juden ein Ärgernis und den Heiden eine Torheit“ (1 Kor. 1, 23). Ohne ein gnadenhaftes Umdenken kann man Gottes „Torheit“ nicht begreifen, die weiser ist als die Menschen – und stärker als die Menschen ist Gottes „Schwachheit“ (vgl. 1 Kor. 1, 25), weshalb der hl. Paulus fragt: „Wo bleibt der Weise, wo der Schriftgelehrte, wo der Redekünstler dieser Welt? Hat Gott nicht die Weisheit dieser Welt als Torheit erwiesen?“ (1 Kor 1, 20). Laßt uns also mit der Gnade Gottes umdenken und begreifen: „Das Wort vom Kreuz gilt freilich denen, die verlorengehen, als Torheit, uns aber, die gerettet werden, als Gottes Kraft“ (1 Kor 1, 18).

Ostern

Diese Einsicht erhält jeder, der an Jesus Christus als den Sohn Gottes und Erlöser des Menschengeschlechtes am Ostermorgen glaubt. Sobald der verklärte Leib des Auferstandenen sichtbar wird, weiß man, Sein Tod war keine Niederlage, sondern er war der Sieg. Darum ist Ostern für uns der größte Festtag, weil die Auferstehung „uns wieder zur Unsterblichkeit geführt hat“, wie der hl. Papst Gregor erklärt. Wie gerne würde man wie die Frauen und Apostel den Auferstandenen sehen, um eine unbändige Osterfreude zu erfahren. Das ist uns nicht vergönnt, aber im hl. Glauben wissen wir: Jesus lebt und mit Ihm auch ich. Unsere Visionärin sieht die Auferstehung Jesu wieder verbunden mit einem erklärenden Bild:

Die heiligste Seele Jesu schwebte in großem Glanze zwischen zwei kriegerischen Engeln, von vielen Lichtgestalten umgeben, von oben durch den Grabfelsen auf den heiligen Leichnam nieder. Es war, als beuge sie sich über denselben und zerschmelze mit ihm. Ich sah die Glieder sich in der Einhüllung bewegen, und den leuchtenden, lebenden Leib des Herrn mit Seel und Gottheit wie aus der Seite der Leichenverhüllung hervorgehen, als steige er aus der Seitenwunde hervor. Der Anblick erinnerte an Eva, die aus Adams Seite stieg. Alles war voll Licht und Glanz.

Nun hatte ich die Anschauung, als winde sich die Erscheinung eines Drachen mit Menschenhaupt aus der Tiefe, wie unter dem Grablager empor. Er bäumte seinen Schlangenschweif, und wendete sein Haupt grimmig gegen den Herrn. In der Hand hielt der erstandene Erlöser einen feinen Stab mit wehendem Fähnchen. Er trat auf das Drachenhaupt und stieß dreimal mit dem Stabe auf seinen Schweif. Das Ungeheuer zog bei jedem Stoße sich enger zusammen und endlich verwand es, bis zuletzt das Drachenhaupt ganz in den Grund getreten war und das Menschenangesicht allein emporschaute. Eine ähnliche Schlange sah ich auch bei Christi Empfängnis lauern. Das Wesen dieser Schlange erinnerte mich an die Schlange im Paradies und ich meine, es bezieht sich dieses Bild auf die Verheißung: ‚Der Same des Weibes soll der Schlange das Haupt zertreten.‘ Es schien das Ganze nur ein Sinnbild vom Besiegen des Todes für mich zu sein; denn während ich das Zertreten des Drachenhauptes sah, sah ich das Grab des Herrn nicht mehr.

(S. 1064)

Die Wut des Teufels

Heute leben wir in einer Welt, in der das Reich Satans überall dominiert. Nach der Beschreibung des Kampfes zwischen dem Erzengel Michael und dem Drachen im Himmel heißt es in der Geheimen Offenbarung: „Er wurde gestürzt auf die Erde und seine Engel wurden mit ihm gestürzt. Hierbei hörte ich eine gewaltige Stimme im Himmel rufen: Nun ist gekommen das Heil und die Macht und das Reich unseres Gottes und die Gewalt seines Gesalbten. Denn gestürzt ist der Ankläger unserer Brüder, der sie vor unserem Gott verklagte Tag und Nacht. Und zwar haben sie ihn besiegt kraft des Blutes des Lammes und kraft des Wortes ihres Zeugnisses. Ja, sie haben ihres Lebens nicht geachtet bis in den Tod. — Darum freuet euch, ihr Himmel, und die ihr darin wohnt! Doch wehe der Erde und dem Meere! Denn der Teufel ist zu euch hinabgefahren und hat grolle Wut, weil er weiß, daß er nur noch kurze Frist hat“ (Offb. 12, 9-12).

Hierzu ergänzend noch ein Bild aus dem Tagebuch des Clemens Brentano vom 1.-2. April 1820. Ostersonntag: „Sie hatte den ganzen Tag und auch am folgenden Tag häufige Bilder, wie der Herr vielen Tausenden heute erschienen sei und das Brot mit ihnen breche, sie mit sich selbst speise und erquicke. Sie sah dabei immer den Zustand der Menschen, welchen dieses bei Empfang des österlichen Abendmahls geschah, und war dabei in beständiger christlicher Tätigkeit, um für die Unwürdigen und Unbereiteten zu beten und mit Leiden und Gelübden genugzutun. So sah sie auch hier wieder die ewige historische Wahrheit der Kirchenfeste. Sie sah das, was die Kirche feiert, für den Menschen in der Zeit als wirklich geschehend an, und zwar für den erleuchteten Glaubenden, der außer der Zeit in der ewigen Wahrheit lebt.“