Unzeitgemäß

In unserem Beitrag „Ois anders“ haben wir uns bemüht aufzuzeigen, daß der Modernismus nicht nur eine Unsumme von Irrlehren ist, sondern in der Wurzel eine ganz andere Glaubens- oder besser Unglaubenshaltung darstellt. Der göttlichen, ewig gleichbleibenden Wahrheit wird die ständig sich ändernde menschliche Meinung entgegengesetzt. Es wird dabei grundsätzlich akzeptiert, daß immer wieder „ois anders“ ist, ja im Grund sein muß. Der göttliche Glaube löst sich darum in eine Vielfalt von unzähligen „Theologen“-Meinungen auf.

„Irrige Dogmen“

Es wirkt immer etwas komisch, wenn traditionelle Modernisten, also sog. Traditionalisten, meinen, dieser Meinungsvielfalt einfach eine unverrückbare Glaubenswahrheit entgegenhalten zu können, indem sie auf ein Dogma, also eine von der Kirche endgültig festgestellte Glaubenswahrheit, verweisen. Diese Leute wollen einfach nicht verstehen, daß ihre „Glaubenswahrheit“ im modernistischen System immer nur ihre ganz persönliche Meinung ist. Man muß sich ständig gegenwärtig halten, was „Kardinal“ Walter Kasper einmal über „Dogmen“ gesagt hat:

„Dogmen können durchaus einseitig, oberflächlich, rechthaberisch, dumm und voreilig sein. Es geht bei den unfehlbaren Sätzen auch nicht um Sätze, die apriori gar nicht falsch sein können, d. h. um Sätze, die losgelöst von der Situation und ihrem Gebrauch gar keinen Irrtum beinhalten können. Dogmen unterliegen der Geschichtlichkeit allen menschlichen Sprechens und sind konkret wahr nur in bezug auf den ihnen entsprechenden Kontext. Sie müssen deshalb immer wieder neu ausgelegt und in neue Situationen hinein übersetzt werden. […] Unfehlbare Dogmen sind nicht unverbesserlich. Sie unterliegen auch nach ihrer Definition noch einer Geschichte der Rezeption, Interpretation und Integration. Sie dürfen deshalb nicht isoliert hochgespielt werden, sondern müssen innerhalb des Gesamtzeugnisses der Schrift und der Tradition interpretiert werden.“

(Kardinal Walter Kasper, Einführung in den Glauben, Mainz 1983, S. 148)

Auflösung der göttlichen Wahrheit in Geschichtlichkeit

Das ist Modernismus pur, Auflösung der göttlichen Wahrheit in Geschichtlichkeit! Wie alle Modernisten verwechselt Walter Kasper den Anlaß, eine Lehre zu verkünden, mit der Lehre selbst. Natürlich hatten die von der Kirche verkündeten Dogmen einen geschichtlichen Anlaß. Wenn Arius nicht die Gottheit Christi geleugnet hätte, hätte man sie nicht als Dogma verkünden müssen, weil sie selbstverständlich von allen Christen geglaubt wurde. Wenn Nestorius die Gottesmutterwürde Mariens nicht bezweifelt hätte, wäre das Dogma der „Gottesgebärerin“ nicht verkündet worden, weil es alle Christen geglaubt haben. Die hl. Kirche mußte zu allen Zeiten die göttliche Wahrheit gegen die Irrtümer der Irrlehrer verteidigen und dabei die wahre Lehre klären. Ein von der Kirche verkündetes Dogma ist keine theologische Eintagsfliege, wie die „Theologen“-Meinung der Modernisten, es ist die aus der Heiligen Schrift und Tradition vollkommen geklärte, absolut sichere Lehre. Ein bestmöglicher sprachlicher Ausdruck der göttlich geoffenbarten Wahrheit. Für den Modernisten Walter Kasper gibt es keine erkennbare göttliche Wahrheit. Darum erscheinen ihm die Dogmen der katholischen Kirche genauso einseitig, oberflächlich, rechthaberisch, dumm und voreilig wie sein eigenes Geschwätz. Er kann nicht mehr zwischen der unfehlbaren Lehre der Kirche und seinem „Theologen“-Geschwätz unterscheiden. Beides scheint ihm gleich einseitig, oberflächlich, rechthaberisch, dumm und voreilig zu sein.

Dogma und Zeitgeist

Etwas anders ausgedrückt kann man im Sinne Kaspers sagen: Dogmen können durchaus unzeitgemäß sein. Der Modernist würde erklärend hinzufügen: So etwas kann man dem modernen Menschen nicht mehr zumuten. Eine solche Lehre paßt nicht mehr in unsere moderne Welt. Das muß heute anders verstanden werden. Der Katholik entgegnet: Wie man leicht erkennen kann, hat Herr Kasper seinen katholischen Glauben verloren, er glaubt nicht mehr mit übernatürlich-göttlichem Glauben an die von der Kirche unfehlbar gelehrten Sätze, weshalb diese immer wieder neu ausgelegt und in neue Situationen hinein übersetzt werden müssen.

Der Modernist ist freilich nicht so ehrlich, seinen Glaubensabfall einfach zuzugeben. Er wird deshalb nur äußerst selten offen bekennen: Ich bin kein Katholik mehr. Vielmehr umschreibt er seinen Unglauben als eine ständig neue Rezeption, Interpretation und Integration des katholischen Glaubens aus und in der Geschichte. Natürlich steht für ihn der Heilige Geist dem kirchlichen Lehramt bei unfehlbaren Entscheidungen nicht zur Seite, um sie vor Irrtümern zu bewahren – so etwas erscheint ihm als tiefster Aberglaube aus dem Mittelalter. Für den Modernisten ist die Kirche reines Menschenmachwerk. Gott ist nur ein frommes Anhängsel, das man ganz gut vernachlässigen kann. Infolgedessen sind alle „Dogmen“ nicht vom Lehramt, sondern vom Theologen innerhalb des Gesamtzeugnisses der Schrift und der Tradition zu interpretieren – d.h. bei den Modernisten, in nichts aufzulösen. In der Menschenmachwerkskirche darf man alles glauben, nur nicht an die von Gott geoffenbarte ewige göttliche Wahrheit.

Progressiver Modernismus mit Tradition

In der Auseinandersetzung mit den progressiven Modernisten vergessen die traditionellen Modernisten gewöhnlich, die inzwischen recht lange zurückreichende modernistische Tradition zu berücksichtigen. Meistens wird diese an der Zeitenwende vorkonziliar – nachkonziliar festgemacht, so als wäre der Modernismus während des sog. Konzils einfach vom Himmel gefallen – wohingegen er in Wirklichkeit schon seit mehr als einem Jahrhundert aus der Unterwelt emporstiegen war. Schon vor mehr als einem Jahrhundert war der Modernismus fast allgegenwärtig, er war über die modernen Philosophien unterschwellig ins Denken der Katholiken eingedrungen. Auf uns Spätgeborenen wirken daher Zeitzeugnisse aus den Anfängen des Modernismus recht ernüchternd, verdeutlichen sie doch spontan die durchschlagende Wirkung der modernistischen Wühlmäuse. Der Modernismus ist genau betrachtet schon ganz schön alt geworden, wobei er es dennoch bis heute schafft, immer noch als modern angesehen zu werden. Der heutige Mensch ist viel zu geschichtslos, als daß er dieses Kuriosum durchschauen könnte. Wie unzeitgemäß, verstaubt, ja kindisch kommt einem etwa die oben wiedergegebene Bemerkung Walter Kaspers zu den Dogmen aus dem Jahr 1983 vor. Kann ein vernünftiger Mensch solchen Unsinn schreiben? Nein, ein vernünftiger Mensch nicht, aber ein Modernist wie Walter Kasper jederzeit.

„Verstaubte Wahrheit“

Wie der Katholik wissen sollte, war zur Zeit des hl. Pius X. die erste Modernismuskrise. Dieser heilige und darum auch prophetische Papst erkannte die eminente Gefahr, die von dieser Irrlehre ausging und bemühte sich darum mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln, diese im Keim zu ersticken. Im Laufe seines entschiedenen Kampfes gegen die Modernisten mußte Pius X. jedoch einsehen, daß er mit all seinen Maßnahmen den Modernismus nicht mehr würde besiegen können. Die Geister waren schon zu stark mit dem modernen Geist infiziert. In den Gemütern vieler Katholiken war die ewige göttliche Wahrheit alt geworden – was eine furchtbare Katastrophe ist.

Eigentlich müßte man überprüfen, ob es nicht auch bei den meisten heutigen Traditionalisten auch so ist. Ist nicht auch bei ihnen die göttliche Wahrheit alt geworden, weil sie diese vom lebendigen Lehramt der Kirche losgekoppelt haben? Eine Wahrheit, die nur noch in Büchern steht, verstaubt allmählich, sie hört auf zu leben. Nur durch das lebendige, das tägliche Lehramt kann die Wahrheit auf Dauer vor Verdrehungen und Verirrungen geschützt werden. Wenn der Bezug des Glaubens zum unfehlbaren lebendigen Lehramt der Kirche fehlt, erscheint plötzlich die Glaubenswahrheit alt – unzeitgemäß! So hat man gestern geglaubt, aber wie glaubt man heute?

Selbst den Teufel als unzeitgemäß abgeschafft…

Im Tagebuch der Mechthild Thaller findet sich am 20. 7. 1912 folgende Aufzeichnung:

Heute Vormittag kam ein hochgestellter Geistlicher aus der Münchner Diözese zu uns. Ein paarmal fiel aus seinem Mund das Wort: „unzeitgemäß“, und zwar an verkehrter Stelle. Wenn ein Laie um den Segen eines Priesters bittet, soll das „unzeitgemäß“ sein. (Ich habe diesen Priester nicht um diese „unzeitgemäße“ priesterliche Handlung gebeten). Die Niederlassung von Redemptoristen in München ist „unzeitgemäß“. Die Kapuziner sind ein „unzeitgemäßer“ Orden. Auf einmal riß mir die Geduld und ich sagte zuerst so ruhig, daß sich mein Vis-a-vis täuschen ließ: „O ja! Es ist vieles unzeitgemäß.“ Dann, nach kurzer Pause: „Ganz und gar ist es auch ‚unzeitgemäß‘, wenn gegenwärtig ein Katholik über religiöse Bräuche, priesterliche Handlungen, religiöse Orden abweisend urteilt. Ganz und gar ‚unzeitgemäß‘ finde ich es aber, wenn ein Geistlicher diese Dinge ‚unzeitgemäß‘ findet und für diese seine ganz unzeitgemäße Meinung auch noch Propaganda macht, namentlich bei altmodischen, also ganz unzeitgemäßen Leuten, die in jedem Priester den Stellvertreter Christi sehen und deshalb mit Freuden jede Gelegenheit ergreifen, den priesterlichen Segen zu erhalten. Himmelschreiend unzeitgemäß ist es aber, wenn ein Geistlicher die ‚Unzeitgemäßheit‘, also ‚Überflüssigkeit‘ der religiösen Orden betont. Die Anwendung des Ausdrucks ‚unzeitgemäß‘ in der eben erwähnten Art hat der Teufel erfunden. Doch bitte ich demütigst um Verzeihung, den Teufel erwähnt zu haben, er ist jedenfalls als höchst ‚unzeitgemäß‘ auch abgeschafft.“

(Irmgard Hausmann, Die Vertraute der Engel, Miriam – Verlag, Jestetten 1992, S. 239 f.)

Eine abgebrochene Brücke

Man muß es sich ganz nüchtern vergegenwärtigen: Diese Zeilen sind vor mehr als 100 Jahren geschrieben worden – inmitten der sog. ersten Modernismuskrise. Man möchte es fast nicht glauben, daß „ein hochgestellter Geistlicher aus der Münchner Diözese“ schon damals so sprechen konnte. Und doch war dieser Geistliche kein Einzelfall, für viele war der „alte“ Glaube „unzeitgemäß“ geworden, weil sich nämlich deren Denken unbewußt der Moderne angepaßt hatte. Dem modernen Denken aber gelten die katholischen Glaubenslehren als äußerst unzeitgemäß. Das moderne Denken ist nämlich die Verabsolutierung des Irdischen. Darum werden zunächst ganz spontan all jene Wahrheiten abgelehnt, die diesem Irrtum direkt entgegenstehen.

Wenn es nur ein irdisches Leben gibt, braucht man selbstverständlich keinen Priester, der ja ein Brückenbauer zur übernatürlichen Welt ist, wofür etwa seine Segensgewalt Ausdruck ist. Der priesterliche Segen ist seinem Wesen nach „transzendental“, fließt er doch aus der göttlichen Welt auf unsere Menschenwelt herab. Jeder katholische Priester erhält bei seiner Priesterweihe die Segensgewalt und den Segensauftrag. Der katholische Priester soll den Menschen zum Segen werden. Den Modernisten war dies ein Dorn im Auge, war doch ihr „Priester“ ein Mensch wie jeder andere. Er durfte zwar noch der Gemeindeversammlung vorstehen und diese moderieren, aber er durfte nicht mehr Mittler sein zwischen Gott und den Menschen. Der modernistische „Priester“ steht darum nicht Gott zugewandt am Altar, sondern den Menschen zugewandt am Tisch wie ein Showmaster auf der Bühne. Direkt konnte man das freilich damals – 1912! – noch nicht sagen. Aber man konnte es schon einmal als „unzeitgemäß“ hinstellen, wenn „ein Laie um den Segen eines Priesters bittet“. Außerhalb der Sakristei wenigstens sollte der Priester ein Mensch sein wie jeder andere auch. Er sollte untergehen in der modernen Masse.

Eine direkte Provokation für den modernen Menschen stellen die religiösen Orden dar – ganz besonders die beschaulichen Orden, die nichts anderes tun als beten. Schon zur Aufklärungszeit hatte man diese Orden unterdrückt und sodann während der Säkularisation weitgehend aufgehoben. Überleben durften nur diejenigen Orden, die auch noch etwas für die Gemeinschaft taten. Der Geistliche aus der Münchner Diözese war zwar noch nicht gegen alle Orden, aber zumindest die Redemptoristen und die Kapuziner waren in seinen Augen „unzeitgemäß“. Wohl erschien ihm deren Lebensstil zu radikal, zu sehr oder auch einseitig auf Gott ausgerichtet – wobei diese beiden Orden ganz besonders durch ihre Seelsorge über Jahrhunderte außerordentlich segensreich gewirkt haben. Weshalb also sollten sie für einen Katholiken mit einem Mal „unzeitgemäß“ sein? Nein! – Die Anwendung des Ausdrucks „unzeitgemäß“ in der eben erwähnten Art hat der Teufel erfunden. Doch bitte ich demütigst um Verzeihung, den Teufel erwähnt zu haben, er ist jedenfalls als höchst „unzeitgemäß“ auch abgeschafft.

Es war durchaus nicht erst Herbert Haag (+ 2001), der 1969 in seinem Buch den „Abschied vom Teufel“ verkündet hatte, solch glaubenslose Vorstöße gab es schon lange vorher. Es ist sicher wahr, der Teufel hat den Ausdruck „unzeitgemäß“ ins Spiel gebracht und sich zugleich selbst als „unzeitgemäß“ abgeschafft. Seitdem beherrscht er fast vollständig unsere moderne Welt.

Rechenschaft über die verliehenen Talente

Aber kommen wir nochmals kurz zurück auf das Tagebuch von Mechthild Thaller. Dort liest man weiter:

Trotz meiner Grobheit unterhielten wir uns doch noch über den unzeitgemäßen Reichtum der hiesigen Kirche. Es wäre viel zeitgemäßer, wenn sich die Geistlichen mehr an die hohen Gewalten erinnern würden, deren Verwalter sie sind. Es ist noch nicht lange her, da sagte mir eine arme Priesterseele, sie müsse noch Wochen im Fegfeuer schmachten wegen der Mißachtung, die sie auf Erden dem priesterlichen Segen und der Weihegewalt entgegengebracht habe. Eine Gewalt besitzen und sie nicht ausüben — besonders wenn es aus Bequemlichkeit geschieht — wird mit strengem Fegfeuer bestraft. Ehe ein Priester um eine besondere Weihevollmacht anhält, soll er überlegen, ob er auch gewillt ist, von dieser Vollmacht ausgiebigen Gebrauch zu machen. Eine ganz besondere Kraft liegt auch im sogenannten »Maurussegen«. Aber wer die Vollmacht dazu hat, soll sie möglichst oft ausüben, namentlich bei Sterbenden, die der Maurussegen erleichtert. Nicht daß einst der Herr kommt und sagt: „Was hast Du mit deinem Talent getan?“ Und die Antwort kommen muß: „Ich habe es vergraben.“

Glaubenslose Sozialarbeiter

Es wird wohl so gewesen sein, daß die Priester zuerst ihre Talente aus Bequemlichkeit vergraben haben und sich sodann die Lehre durchgesetzt hat, daß der Priester ein Mensch wie jeder andere auch ist. Es erschauert einen, wenn man an die „Ausbildung“ der „Priester“ der Menschenmachwerkskirche denkt. Wobei einem unwillkürlich der Gedanke kommt: Im Grunde ist es besser, daß die Bischofsweihen und Priesterweihen ungültig sind, denn wie viele Sakrilegen werden dadurch verhindert. Jedem noch gültig geweihten Priester aber ist es eine äußerst ernste Mahnung zu hören: Eine Gewalt besitzen und sie nicht ausüben — besonders wenn es aus Bequemlichkeit geschieht — wird mit strengem Fegfeuer bestraft.

Darum hat sich die katholische Kirche zu allen Zeiten besonders um eine gute Priesterausbildung bemüht. Alle Reformen waren immer auch Reformen der Priesterausbildung. Welche Katastrophen ereigneten sich dagegen in den Priesterseminaren nach dem sog. Pastoralkonzil. Von wegen Reform der Priesterausbildung! Scharenweise wurden die Priester ihrer Berufung untreu und die Seminare begannen sich zu leeren. Und was aus diesen Seminaren hervorging waren glaubenslose Sozialarbeiter, die vom Wesen der übernatürlichen Religion und somit vom Wesen der katholischen Sakramente keinerlei Ahnung mehr hatten. Darum hat auch Montini, alias Paul VI., alle Sakramentsriten neu erfinden lassen. Die neue Menschenmachwerksreligion brauchte selbstverständlich ihre eigenen Riten. Die Kunst dabei war nur, diese den Leuten als katholische Riten verkaufen zu können.

Ein klagender Hausengel

Auch hierzu wollen wir mit der Vertrauten der Engel einen Blick in die Vergangenheit werfen. Wie schaute es damals in den Priesterseminaren aus? Das Tagebuch vom 24.5.1907 hat folgenden Eintrag:

Heute Nachmittag gegen fünf Uhr sah ich den Hausengel des Klerikalseminars. Er gehört zum Chor der „Throne“. Er ist von überwältigender Majestät, voll erhabener Würde, voll heiligen Ernstes. Seine Augen schauen zum Himmel empor, zu Jesus, dem ewigen Hohenpriester, der sich für uns opferte. Er trägt ein herrliches Gewand und seine Krone strahlt eine Helle und ein Licht aus, vor dem ich meine Augen schließen muß. Er ersuchte mich, des Klerikalseminars täglich zu gedenken in meinen Gebeten und Leiden. Mit ergreifenden Worten empfahl er mir alle seine „Hausgenossen“, insbesondere die Vorstände des Hauses, des Pater B., der nichts anderes kennt als Opfer zu bringen und sich selbst zu opfern. Ich fragte diesen wunderbaren himmlischen Fürsten, ob er schon da war, als Deus dedit [ihr Beichtvater] und Servus Dei [ein ihr bekannter Priester] im Klerikalseminar waren. Da sprach er: ,“Ja, ich bin im Hause seit dessen Gründung. Ich kenne Deine geistlichen Freunde und grüße sie im Namen Jesu! Sie gehören zu denjenigen, die mir Freude bereiten, aber bedenke, wieviel Kummer ich schon ertragen mußte, wenn ich bei der Priesterweihe sah, daß ein Teil der Neugeweihten verloren gehen werde. Niemand gedenkt meiner, niemand ruft mich an, und ich bin doch da, um ständig für mein Haus und seine Bewohner zu beten. Und mir ist doch von Gott so große Macht gegeben!“ Dann fragte ich, wie es bei der kommenden Priesterweihe wäre, ob viele zukünftige Heilige darunter wären. Da lächelte der Engel und sprach: „Viele? Was ist das für ein Begriff? Einer ist dieses Jahr darunter, und das ist viel, denn manchmal vergehen Jahre, ohne daß ich wieder eine solche Freude habe.“ Dann fragte ich um das Jahr von Deus dedit’s Priesterweihe. Da sprach der Engel: „Damals waren es drei! Pax tecum!“ Und ich sah nichts mehr.

(Ebd. S. 117 f.)

Es macht einen schon sehr nachdenklich, wenn man den Engel – anders als die Modernisten glauben wir Katholiken selbstverständlich an die Existenz der hll. Engel und sind nicht überrascht, wenn sie da und dort erscheinen! – sagen hört: „Viele? Was ist das für ein Begriff? Einer ist dieses Jahr darunter, und das ist viel, denn manchmal vergehen Jahre, ohne daß ich wieder eine solche Freude habe.“

Kann es sein, daß sich schon damals so wenig Heiligkeit in den katholischen Priesterseminaren fand? Es kann natürlich sein und es wurde sodann immer noch schlimmer. Wir erinnern nur an unseren Beitrag über Henri de Lubac und Teilhard de Chardin in der Zeitschrift „Antimodernist“. Welch modernistischer Geist beherrschte damals schon die jesuitischen Ausbildungsstätten! Man kann es im Nachhinein kaum glauben. Wir schrieben in dem Artikel unserer Zeitschrift Henri de Lubac - Der Vater der „Neuen Theologie“: „Es ist durchaus nicht müßig, sich diese Tatsache ausdrücklich zu vergegenwärtigen: Schon 1930 war der katholische Glaubenssinn in vielen Priesterseminaren erloschen. Die Neuerungssucht hatte die Geister erfaßt. Der Modernismus war in den Herzen der Studenten angekommen. Die modernistischen Irrlehren waren nicht mehr falsch, sondern interessant – und die Irrlehrer wurden zu Glaubenshelden im Kampf gegen das kirchliche Lehramt. Was für eine verkehrte Welt!“

Was mußten sich die Hausengel der Klerikalseminare damals schon alles mit ansehen. Wenn ein Engel weinen könnte, hätte er wohl nicht mehr aufhören können, solch abgrundtiefen Unglauben zu beweinen.

Die verborgene Arbeit des Teufels

Unsere Visionärin weiß uns auch hierüber nähere Auskunft zu geben. Am 22.6.1907 liest man in ihrem Tagebuch:

Mein Archangelus sagte mir auch, ich soll Pater B. sagen lassen, er möchte sich der Ordination des für heute ausgeschlossenen Alumnus so viel in seiner Macht steht, widersetzen. Auf alle Entgegnungen soll er beharrlich dabei bleiben, daß sich dieser Kandidat seiner Ansicht nach absolut nicht für den Priesterstand eigne. Er soll diese Ansicht bei maßgebenden Persönlichkeiten vertreten, aber niemals die Quelle seines Wissens nennen. Der Betreffende möchte sogar in eine andere Diözese übertreten, er will absolut Priester der katholischen Kirche werden, und zwar zu ihrem Schaden. Gegenwärtig arbeitet der Teufel heimlich an der Irreführung der Seelen. Es wird vorläufig kein zweiter Luther aufstehen. Jetzt ist der Teufel gewitzigt und arbeitet daran, in den jungen und zukünftigen Priestern die Moral und Glaubensüberzeugung zu lockern. Man wird die Existenz der Engel anfechten, die Verehrung der allerseligsten Jungfrau als anmutige Sentimentalität betrachten, ihre Unbeflecktheit und Jungfräulichkeit als hysterische und überspannte Anschauung behandeln. Das Dogma von der unbefleckten Empfängnis wird als Vergöttlichung der Mutter Gottes bezeichnet werden, und es werden sogar priesterliche Dozenten und priesterliche Lehrer aufstehen, die vom Übermaß der Marien- und Heiligenverehrung reden und die Gläubigen ermahnen, sich direkt an Gott zu wenden und sich nicht immer dieser kindlichen, einfältigen Heiligen-Verehrung und -Vermittlung hinzugeben in ihren Gebeten. Dieser heimliche Kampf und diese verborgene Arbeit des Satans währt nun schon ein paar Jahre. Auch in unserer Diözese arbeitet er unverdrossen. Der Teufel wird mehr Erfolg haben als zur Zeit der Reformation. Er ist wachsam, und wer seine Pläne zu durchkreuzen sucht, den wird er verfolgen bis zum Äußersten. Im nächsten Jahr soll Pater B. acht haben, er wird manche der oben angedeuteten Ansichten bei den Alumnen vertreten finden. Das Gift ist ihnen eingegeben worden, ohne daß sie es als Gift erkannten. Der arme Pater B. wird schauen, was er alles erfahren wird an Gleichgültigkeit im Glauben und gedankenlosem Nachbeten von fast irreligiösen Ansichten. Pater B. war schon von Anfang an bestimmt, in dieser schweren Zeit diesen verantwortungsvollen Posten zu bekleiden. Er soll ruhig sein, die Gnade Gottes ist mit ihm.

(Ebd. S. 124 f.)

Angriffsziele des Teufels: Engelglaube und Marienverehrung

Das war der Anfang: Jetzt ist der Teufel gewitzigt und arbeitet daran, in den jungen und zukünftigen Priestern die Moral und Glaubensüberzeugung zu lockern. Vieles am katholischen Glauben erschien mit einem Mal als „unzeitgemäß“. Dieses grundlegende Fehlurteil war letztlich allein schon der dämonische Todesstoß für die einzige wahre, göttliche Religion, für unseren heiligen katholischen Glauben. Sobald ein Katholik die Moral und Glaubensüberzeugung der Kirche als übertrieben empfindet, hat er schon einen anderen Glauben angenommen – aus dem göttlichen Glauben ist ein menschlicher Glauben geworden. Er ist nicht mehr wesentlich und mit ganzem Herzen Katholik, sondern nur noch so nebenbei – Auchkatholiken, wie Scheeben solche Leute nannte.

Erste Angriffsziele des Teufels waren die hll. Engel und die Gottesmutter. Der Teufel weiß, welch mächtige Gegner die hll. Engel sind. Sobald er erfolgreich Zweifel an der Existenz der Engel gesät hat, beginnt in den Menschenherzen die unsichtbare, übernatürliche Welt zu zerbrechen. Der geistige Kampf versandet in einer immer mehr um sich greifenden Gleich-Gültigkeit. Diesem Zweifel an der Engelwelt folgt der Zweifel an der außergewöhnlichen Würde Mariens. Wie es der Teufel bei den Protestanten erfolgreich erprobt hat, wird die Marien- und Heiligenverehrung zu einem Umweg, wenn nicht sogar Irrweg erklärt. Nein, der Christ soll sich direkt an Gott wenden und sich nicht immer dieser kindlichen, einfältigen Heiligen-Verehrung und -Vermittlung in seinen Gebeten hingeben. Damit bricht neben der Welt der Engel auch noch die Welt der Heiligen in sich zusammen. Der moderne „Katholik“ steht einsam vor einem Gott, den er nicht mehr kennt.

Würdige Räume für den Kult der Menschenmachwerkskirche

Es hatte noch eine Weile gedauert, ehe dieser verderbliche Samen ganz aufging. Aber gleich nach dem sog. Konzil ist der Damm gebrochen. Man hat die Kirchen ausgeräumt und – wo es möglich war – dem neuen Glauben entsprechend Gebetsräume geschaffen, in denen kein Katholik mehr beten konnte. Wenn der Denkmalschutz nicht gewesen wäre, gäbe es nur noch lauter leere Betonbunker mit irgendwelchen okkulten Symbolen und Gestalten, die man Kunstwerke nennt. Nun, das sind die würdigen Räume für den Kult der Menschenmachwerkskirche. In unseren altehrwürdigen Gotteshäusern erkennt man meist an den modernistischen Umbauten den vollkommenen Widerspruch zwischen der neuen Religion und dem katholischen Glauben.

Mechthild Thaller sah es schon im Jahr 1907 ganz klar voraus: Der Teufel wird mehr Erfolg haben als zur Zeit der Reformation. Er ist wachsam, und wer seine Pläne zu durchkreuzen sucht, den wird er verfolgen bis zum Äußersten.

Vom Atheismus zum Dämonenkult

Wie naiv klingt es dagegen, wenn die Traditionalisten von einer bloßen Protestantisierung der „Kirche“ oder auch der „Messe“ sprechen. Nein, der Modernismus geht viel weiter als der Protestantismus. Der Protestantismus ließ noch einen Rest vom christlichen Glauben übrig, wohingegen der Modernismus jeglichen Glauben zerstört und zum Atheismus führt. Wobei dieser Atheismus zur Zeit immer mehr sich in Götzendienst wandelt, was letztlich der ganz normale Gang der Dinge ist. Die Gottlosigkeit führt letztlich immer zur Anbetung der Dämonen. Den chemisch reinen Atheisten gibt es nun einmal nicht.

Heutzutage hat der Teufel nicht mehr viel Gegenwind. Die wenigen Katholiken, welche in dieser papstlosen Zeit übriggeblieben sind, kann er ziemlich leicht durch Verschweigen ausschalten. Den Rest macht die menschliche Natur – ohne Papst gibt es keine Einheit. Das gilt übrigens für die Modernisten und die Restkatholiken gleicherweise, denn selbstverständlich können die derzeitigen Pseudopäpste in Rom keine Glaubenseinheit gewähren. Vielmehr gewähren sie eine Unglaubenseinheit, eine Einheit in der allgemeinen Apostasie.

Genauso wie es der hl. Pius X. erkannt hatte, kam nunmehr das Unheil von innen, nicht von außen. Die Modernisten verließen trotz, oder wohl eher gerade wegen ihres Irrglaubens die katholische Kirche nicht, wollten sie diese doch von innen her zerstören, d.h. transformieren, pervertieren, dämonisieren. Mechthild Thaller sah es ganz deutlich: Im nächsten Jahr soll Pater B. acht haben, er wird manche der oben angedeuteten Ansichten bei den Alumnen vertreten finden. Das Gift ist ihnen eingegeben worden, ohne daß sie es als Gift erkannten.

Diese Beobachtung rührt an etwas Unheimliches. Kann ein Mensch so blind sein, daß er den absoluten Widerspruch nicht mehr wahrnimmt, der zwischen dem katholischen Glauben und dem Modernismus besteht? Jawohl, er kann so blind sein, was die allermeisten Traditionalisten täglich beweisen, die die Menschenmachwerkskirche immer noch für die katholische Kirche halten, trotz eines Bergoglio und seines Wahnsinns hoch drei in Rom. Und noch etwas kann man täglich beobachten, was unsere Visionärin feststellte: Der arme Pater B. wird schauen, was er alles erfahren wird an Gleichgültigkeit im Glauben und gedankenlosem Nachbeten von fast irreligiösen Ansichten.

Das wird wohl damals so gewesen sein wie in nicht wenigen Tradiseminaren. Unter der äußerst dünnen Eisdecke wartet ein Meer von modernen Anschauungen, die nur noch von ein wenig Frömmigkeit verdeckt werden. Ein bißchen alte Messe und Marienfrömmigkeit reicht schon aus, um bei den allermeisten Tradis auch schon als katholisch zu gelten. Dabei hört man zwischen den Zeilen oder auch in mehr profanen Gesprächen heraus, wie viel an Gleichgültigkeit im Glauben und gedankenlosem Nachbeten von fast irreligiösen Ansichten schon alltäglich geworden ist – ganz besonders durch die Gleichsetzung des katholischen Priesters mit dem modernistischen Religionsdiener und des hl. Meßopfers mit der sog. Neuen Messe, die ja immerhin noch gültig ist oder sein kann, wie man nicht müde wird hervorzuheben. Wenn man genau hinschaut, erkennt man, Bergoglio hat auch noch die sowieso schon äußerst dünne Eisdecke zerbrochen…

Wir schließen unsere Gedanken mit einer ganz und gar „unzeitgemäßen“ Bemerkung Mechthild Thallers zur Würde des katholischen Priesters: „Die Erkenntnis der Macht des Priestertums gehört zu den Seligkeiten des Himmels. Man würde sterben und niemand würde es wagen Priester zu werden, wenn man die wahre Größe des Priesters recht erkennen würde“ (Irmgard Hausmann, Die Vertraute der Engel, Band 2, Miriam – Verlag, Jestetten 1984, S. 164).