Die abenteuerliche Reise der drei Weisen

Von jeher hatten die drei geheimnisvollen Männer, die einem Stern gefolgt waren, von dem sie zum Christkind geführt wurden, eine Faszination ausgeübt. Vielleicht war es das Fremde, Orientalische, was wenigstens den Europäer unvermittelt ansprach und neugierig machte. In Deutschland denkt man bei den Heiligen Drei Königen immer auch an Köln. Sind doch die drei Weisen aus dem Morgenland auf ihrem abenteuerlichen Zuge durch die Geschichte sozusagen Deutsche geworden. Vielleicht nicht ganz freiwillig, aber dennoch durch die Umstände bewogen, kamen sie schließlich über die Alpen an den Rhein.

In seinem Festbüchlein zur Feier des 700-jährigen Jubiläums der Übertragung der hll. Könige nach Köln (1864) berichtet uns M. J. Scheeben darüber folgende Einzelheiten:

Im Morgenland, wo sie ihr Leben beendet, wurden sie von den Christen beigesetzt. Aber wie diese ersten Gläubigen aus der Heidenwelt einst aus dem Morgenlande nach Westen hin zu der Krippe des neugeborenen Erlösers gewandert waren, so ging auch der Zug ihrer heiligen Gebeine von Osten zu dem Abendlande. Denn diese wurden zuerst aus dem fernen Morgenlande von einer Heiligen, an welche am Rheine so viele Erinnerungen sich knüpfen, nämlich von der Kaiserin Helena, nach der neuen Kaiserstadt Konstantinopel gebracht. Von Konstantinopel kamen die h. Reliquien nach Mailand und wurden dort in der Kirche des h. Eustorgius, eines Erzbischofs von Mailand aus dem vierten Jahrhundert, welchem auch von mehreren Mailändischen Geschichtsschreibern die Erlangung dieses Heiligtums zugeschrieben wird, ehrfurchtsvoll beigesetzt. Noch jetzt erblickt man dort das steinerne Denkmal, in welchem die drei Schreine mit diesen h. Reliquien gegen achthundert Jahre aufbewahrt wurden. Noch jetzt erglänzt an der alten Stelle der goldene Stern; aber die dem Sterne folgten, haben seitdem nach dem Willen der Vorsehung ihre Wanderung noch weiter in das Abendland hinein, bis zu uns, fortgesetzt. Dieses geschah aber so.

Die Stadt Mailand in Ober-Italien hatte sich gegen Friedrich Rotbart von Neuem empört, und dieser Kaiser zog nun mit seiner und vieler Reichsfürsten Heeresmacht, darunter auch Kölnische Truppen, nach Italien, wo er die aufrührerische Stadt eroberte, und bis auf die Kirchen zerstörte.

Von Mailand nach Köln

Aus Besorgnis für ihren heiligsten Reliquienschatz hatten die Mailänder die Leiber der hll. drei Könige schon vorher aus der Kirche des h. Eustorgius in die Kirche des h. Georg gebracht und dort verborgen. Sie wurden aber nach der Eroberung entdeckt - nach mehreren Mailändischen Geschichtsschreibern soll dieses durch eine vornehme Dame geschehen sein, welche dadurch das Leben ihres Bruders retten wollte - und nun erhielt der Kanzler des deutschen Reiches, unser Erzbischof Reinald, als den besten Teil der Kriegsbeute und zum Danke für die großen dem Kaiser geleisteten Dienste, dies Heiligtum für seinen Dom. Alsbald entbot Reinald der Geistlichkeit und der gesamten Bürgerschaft von Köln von Bercelli aus seinen Gruß und teilte ihnen in seinem Schreiben vom 10. Juni 1164 mit, daß sein sehnlichster Wunsch erfüllt sei.

Als Reinald, nach glücklicher Vermeidung aller Nachstellungen, welche ihm auf dem Wege drohten, am kölnischen Ufer landete, wurde er von so dichten Scharen empfangen, daß es bis heute im Munde der Kölner die Erinnerung an dieses Gedränge sich erhalten hat. Der Ort, wo das Schiff landete war wahrscheinlich in der Nähe des Domes, und das Frankentor, welches vor wenigen Jahren der neuen Brücke weichen mußte, dasjenige, wodurch der Zug mit den hll. drei Königen in ungemessener Freude und unter feierlichen Gesängen die Stadt betrat. Wohl nicht mit Unrecht werden die drei eisernen, einst vergoldeten Kronen, welche dieses Thor bis zum Abbruche zierten, mit diesem Einzuge der hll. drei Könige in Verbindung gebracht. „Und das Heiligtum ward,“ so berichtet die kölnische Chronik, „von der Geistlichkeit und von den Bürgern gebracht in den alten Dom, und von der Zeit hat die Stadt Köln zugenommen an Ehre und zeitlichen Gütern, beides in dem geistlichen und in weltlichen Stande, wie das offenbar zu merken ist an den Wohnungen und Häusern binnen Köln, die vormals also schlecht waren gebaut, deren noch ein Teil zu Köln ist. Aber die Häuser in den neuen Bauten sind sehr kostbar und jene weit übertreffend. Und des gleichen war es auch mit andern Dingen.“

Der Kölner Dom

Die Wanderschaft der drei Weisen endete also nicht mit ihrem Tod. Über Konstantinopel und Mailand zogen sie schließlich bis nach Köln. Hier fanden sie ihre letzte Ruhestätte. Hier wurden sie auch hoch verehrt und um das Wunderwerk des Dreikönigsschreins bauten die Kölner noch das viel größere, gewaltige Wunderwerk des Domes.

Am Quirinustag des Jahres 1248, also am 30. April war die alte Kölner Kathedrale, „die Mutter aller deutschen Dome“, unglücklicherweise beim Beginn des Neubaus des Domes abgebrannt. Baumeister Gerhard wollte den östlichen Teil des Hildebold-Doms abreißen lassen, wozu die Holzbalken, die in der Baugrube das alte Gemäuer stützten, angezündet wurden. Dabei griff jedoch das Feuer auf den gesamten Hildebold-Dom über, der fast vollständig ausbrannte. Nur der Dreikönigsschrein, der bereits in die Nähe der Tür gerückt worden war, um ihn vor dem beabsichtigten Einsturz zu schützen, konnte aus dem Rauch gerettet werden. Die übrige Ausstattung, darunter zwei goldene Kronleuchter und vermutlich auch die originale, aus Mailand stammende Mailänder Madonna, verbrannten.

Am 15. August desselben Jahres, also Maria Himmelfahrt, war die Grundsteinlegung des neuen Domes. Seine Bauzeit sollte Jahrhunderte dauern. In ihrem Aufsatz, „Der Stern der Weisen über Deutschland“ macht sich Martha Rohrbach einige Gedanken über diese lange Zeit:

Der grandiose Bauplan des Bischofs Konrad von Hochstaden für den gotischen Dom wurde mit beispielloser Kraft in Angriff genommen. Die schweren geschichtlichen Katastrophen, die folgten, angefangen mit dem Interregnum, scheinen das Feuer der Herzen nicht berührt zu haben. Aber das Projekt war so groß, daß die wagenden Generationen des Hochmittelalters es nicht bewältigen konnten. Die langsamen inneren Veränderungen in den Menschen über die Jahrhunderte hin brachten den mächtigen Strom der mittelalterlichen Glaubensgefühle schließlich zum Stehen. Im Jahre 1560 wurden die Bauarbeiten eingestellt. Allen sind die Bilder des riesigen Bautorsos bekannt, der 300 Jahre lang das Bild der Stadt Köln bestimmte: Das zauberhafte Chor, der südliche Turmstumpf mit dem ragenden Kran, dazwischen die große Lücke.

Die Geschichte des Doms – Teil der deutschen Geschichte

Wie nichts neben der Geschichte gebaut werden kann, sondern alle Architektur notwendig ihre Zeit ausspricht, so mischte sich in die Vollendung des Domes im 19. Jahrhundert die unheilvolle Verfälschung der deutschen Geschichte. Der moderne europäische Nationalismus entwickelte sich in Deutschland von Preußen her. Eine der Verwirrungen, die er bei den Deutschen hervorrief, war die heute kaum noch verständliche Tatsache, daß Kölner Bürger den preußischen König Friedrich Wilhelm IV. baten, ihren Dom fertigzubauen. Damit wurden innerste Gesetze verschoben. Der Dom, der seit je den Ruhm Gottes kündete, er kündete im 19. Jahrhundert den Ruhm der Nation. Aus dem Dom des Glaubens wurde nach außen ein Monument des Nationalstolzes. Und dies nicht durch einen Übergriff der preußischen Könige, sondern durch eine Entscheidung des katholischen Volkes am Rhein. In Zeiten, wo nacheinander zwei Kölner Erzbischöfe in preußischen Staatsgefängnissen saßen, waren die preußischen Hohenzollern mit der Schutzherrschaft über den Kölner Dombau beehrt. Mit jenem weißen Zorn, den nur der Sehende und Reine kennt, hat damals die Droste, die nicht der nationalen Romantik verfallen war, ihre bitteren Verse über die Vorgänge am Rhein ausgegossen. In dem Gedicht «Die Stadt und der Dom (Eine Karikatur des Heiligsten)» fragt sie, wo bei dieser neuen Begeisterung für das Monument die Demut bleibe und wo das Gebet. Mahnend weist sie auf den Untergang Palmyras und Roms hin.

„Ob eures Babels Zinnenhag zum Weltenvolk euch stempeln mag? Schaut auf Palmyrens Steppenbrand, wo scheu die Antilope schwebt; die Stadt schaut an, wo, ein Gigant, das Kolosseum sich erhebt.“ Und in einer anderen Strophe desselben Gedichtes heißt es: „So baut denn, baut den Tempel fort, mit ird’schem Sinn den heil’gen Hag, daß euer bess’rer Enkel dort für eure Seele beten mag.“

Viele werden sich erinnern, mit welch unbehaglichem Gefühl man schon als Kind die hohe, kahle Straße des Langhauses hinaufschritt, bis sich in der Vierung der Zwiespalt löste und man im schwebenden Gold des Chores und seiner lebendigen Versammlung der Heiligen plötzlich zu Hause war. Der Stolz kann sich nicht mit der Liebe verbinden, er schreitet über die Menschen hinweg. Und so riß das 19. Jahrhundert blind und erbarmungslos die von menschlichem Atem durchwärmten und an den Fuß des Domes hingedrängten kleinen Häuser weg, um den Dom auf einen riesigen Sockel zu stellen, als sei er ein kolossales Reiterstandbild.

Inzwischen ist viel geschehen. In elementarer Eindeutigkeit hat sich auch an Deutschland das Wort des heiligen Augustinus bewahrheitet, daß jeder ungeordnete Geist sich selbst zur Strafe wird. Am 15. August dieses Jahres 1948 aber, 700 Jahre nach der Grundsteinlegung des gotischen Domes, erfuhr man unter den wogenden Glocken und dem einfachen und starken Gebet des Volkes sinnfällig, daß ein neues Kapitel in der Geschichte des Kölner Domes begonnen hat. An diesem Tage, wenn nicht schon längst, wurden die Steine des Domes wirklich durchbetet, ohne Feindschaft gegen das Vergangene, das wir Heutigen nicht zu richten haben. …

Flucht des Dreikönigsschreins vor den Franzosen

Unlösbar mit dem Schicksal des Domes haben auch die Reliquien der Heiligen Drei Könige bewegte Zeiten durchlebt. Ganz gemäß dem Glaubenseifer der Zeitgenossen war auch die Wallfahrt zum Dreikönigsschrein in Köln. Es gab Zeiten der Blüte und des Niedergangs. Aber trotz dem Auf und Ab der Geschichte blieb das Wissen lebendig: Die Heiligen Drei Könige sind unter uns. Sie haben sich das Geschick unseres Landes zueigen gemacht in ihrer himmlischen Glorie und sind unsere himmlischen Schutzherren geworden. Zweimal mußten die Heiligen Drei Könige aus dem Dom und der Stadt fliehen. Als die Truppen des französischen Revolutionsheeres gegen Köln vorrückten, brachte man am 29. September 1794 den Dreikönigsschrein zusammen mit dem Großteil des Domschatzes, der Dombibliothek und des Domarchives ins Kloster Wedinghausen bei Arnsberg. Die Reliquien der Heiligen Drei Könige waren für sich verpackt worden und den Reliquienschrein selbst hatte man auseinandergenommen und in zwei separate Kisten verpackt. Schon wenige Tage später, am 6. Oktober, wurde Köln von den französischen Truppen besetzt.

Erst im Juni 1803 kehrten die Kisten mit dem Dreikönigsschrein nach Köln zurück. Dieser war allerdings schwer beschädigt, zudem waren die Reliefs der unteren Dachflächen in Arnsberg zurückgeblieben und dort im September 1803 eingeschmolzen worden. Die Reliquien der Heiligen Drei Könige kamen im Januar 1804 nach Köln zurück. Vorübergehend wurden sie in einer Holzkiste aufbewahrt, bis der Schrein 1807/08 durch den Goldschmied Wilhelm Pullack wiederhergestellt worden war.

Während des Zweiten Weltkrieges wurde der Dreikönigsschrein zunächst im Dom eingelagert, im Juli 1942 jedoch nach Schloß Pommersfelden bei Bamberg gebracht. Im September 1944 kam er nach Siegen, wo der Schrein in einem Hochbunker gesichert werden sollte. Es stellte sich aber heraus, daß der Schrein nicht durch die Bunkertüre paßte, weshalb er nach Köln zurückgebracht und in einem eigenen Kunstbunker unter dem Nordturm verwahrt wurde.

Die Zerstörung Kölns im Zweiten Weltkrieg – ein Zeitzeugenbericht Frau Dr. Martha Rohrbach war Zeitzeuge der Zerstörung der Stadt Köln während des Krieges. In ihrem schon erwähnten Aufsatz, 1949 in der Schweizer Rundschau veröffentlicht, liest man:

Jede Erscheinung auf Erden kann so wesenhafte Züge annehmen, daß sie symbolisch wird. Das gilt auch von der Zerstörung. Köln ist keine zerstörte Stadt, Köln ist das Bild der Vernichtung selbst. Was immer menschliche Phantasie bei diesem Wort aufbieten mag, es bleibt freundlich und harmlos gegenüber der Wirklichkeit. Köln ist buchstäblich in den Staub gesunken. Wer im Jahre 1945 oder 1946 dort war, kann sich wohl nie mehr ganz von dem Blick in diesen Abgrund der Welt erholen. Nur die dunkle Masse des Domes stand riesig in der weiten Wüste, wie ein vom Feuer durchglühtes und dann schwarz und kalt gewordenes Gebirge. Ohne Zweifel ein Symbol erster Ordnung, ohne Zweifel nicht das Symbol irgendeiner Humanität.

Es ist ein Zeichen sehr tief liegender, daher niemals greifbarer aber starker Vorgänge im Menschen, daß schon bald nach dem Krieg mit den Wiederherstellungsarbeiten am Kölner Dom begonnen wurde. Während die Perlen rheinischer Romanik, Sankt Aposteln, Sankt Gereon, Groß Sankt Martin samt ihren leuchtenden Geschwistern im Schutt des 20. Jahrhunderts erloschen, hielt die Steinmasse des Domes, von deren Wucht keine Abbildung auch nur eine ungefähre Vorstellung gibt, den Explosionen stand. Vierzehn Sprengbomben und neunzehn Granaten trafen den Bau, viele Schauer von Brandbomben gingen auf ihn herunter, aber in seiner Gesamtheit steht er. Erst aus der Nähe sieht man, wie wund der Domkörper ist. Aus der schweren Einschlagstelle an der Flanke des Nordturmes sprudelte das Gestein wie Blut, bis man, um den Turm standfest zu halten, das Loch mit einer großen Ziegelplombe schloß. Das Domdach, eine Bleifläche von fünf Morgen, war abgerissen; es ist inzwischen, durch eine Zinndecke ersetzt. Von den Gewölben waren dreizehn ins Innere hinabgestürzt, die übrigen versehrt, die Maßwerke der Fenster ohne Ausnahme zerbrochen. So hat der Kölner Dom, absolut genommen, mehr Schäden erlitten als jede andere Kirche der Stadt. Von den 10000 qm der gläsernen Wände gingen mehr als 8000 qm, also gut 4/5 verloren. Einzig die kostbaren Fenster des Chores aus dem 13.—16. Jahrhundert wurden gerettet. Man hob sie unter dem Nordturm in einem Bunker auf, der wegen seiner eigentümlichen Beschaffenheit «Bienenkorb» heißt. Zum Domfest wurden sie wieder eingesetzt. …

Am 15. August waren das mittelalterliche Hochchor mit dem Kapellenkranz, das östliche Querschiff und das erste Joch des Langhauses notdürftig wieder hergerichtet. Eine rohe Wand aus Preßplatten trennt den Dom vorläufig wieder in zwei Teile, das Langhaus ist noch eine Trümmerstatt. Und eine einzige, unermeßliche Schutthalde ist nach wie vor die Stadt ringsum. Es ist nicht so, als habe hier jetzt eine Stadt, ein Volk oder gar die europäische Christenheit «Auferstehung gefeiert». Etwas anderes ist geschehen. Mitten im Chaos unserer Zeit, dem weithin offenen und teilweise noch verdeckten Chaos, ist eines der unverlierbaren Symbole der Menschheit, das Haus Gottes, vom Licht der Ewigkeit angestrahlt worden, und zwar in einer Weise, daß in vielen Herzen die Hoffnung auf den lebendigen Gott wieder wachgeworden ist. Schon die beiden Vortage lagen im Licht doppelter Wirklichkeit. Als ich am Freitagabend aus der alten Bahnhofhalle trat, blieb ich mitten im Strudel der Straßen erst eine lange Weile auf der Verkehrsinsel stehen, ganz gefangen von der Verwandlung des in den letzten Jahren so toten Domes. Die nördlichen Portale waren geöffnet, über die breiten Treppen flossen helle Bäche, von einem Schwarm weißgeflügelter Vinzentinerinnen aus winzig erscheinenden Eimern hinabgeschüttet. Hinter diesem zarten Taubenschwarm eifrig putzender Klosterfrauen sah man im dunklen Innern des Domes einen großen zischenden Feuerregen aus dem Gewölbe niederschießen. Auf den Gerüsten wurde noch fieberhaft geschweißt, während sich draußen das Geröll mit den ersten grünen Tannenketten und bunten Tuchbahnen bekränzte.

Nach der düsteren Zeit der Diktatur und des Krieges lag die Stadt zerstört, ja ver-nicht-et da. Aus dem unübersehbar großen Trümmerfeld hob sich gespenstisch das zwar ebenfalls schwer beschädigte, aber dennoch genügend intakte Mauerwerk des Domes heraus. Die Dommauern ließen den uralten Bau ahnen und waren darum ein unübersehbares Zeichen für den mühevollen Wiederaufbau der Stadt. Unser Dom steht noch, also gibt es auch eine Zukunft für uns und unsere Stadt!

Martha Rohrbach beschreibt auch die Feierlichkeiten zur 700 Jahrfeier der Grundsteinlegung des Domes im Jahr 1948, an denen sie persönlich teilnahm.

Die Reliquienprozession

Am frühen Morgen des 15. August 1948 liegt Köln unter den Klangwogen der Domglocken. Sie läuten eine volle Stunde: die Pretiosa von 1448, die Speziosa von 1449, die Ursulaglocke, die Karlsglocke, die Aveglocke und die anderen. Damit kein Unglück geschieht, stehen alle Verkehrsmittel still. Per pedes apostolorum ziehen die Gläubigen Kölns, die Pilger der Kölner Diözese, Deutschlands, Europas, der Welt in die Innenstadt und hinab an den Dom. Der leichte graue Himmel hängt über dem Tag wie ein seidenes Sonnenzelt. Ich finde im Gewände der westlichen Pforte des Schauportals einen Platz, von dem der Blick frei nach Süden schweift. Ein Engel könnte von hier bis nach Rom hinuntersehen. Drunten vom Heumarkt herauf soll die Prozession kommen. Aber bis sie sichtbar wird, vergehen fast zwei Stunden.

Wie schön sind sie! Auf das Schmettern der Domfanfaren wird es weit und breit still. Von irgendeiner der Domgalerien herab singen die Chöre Kölns, ein Priester spricht die Orationen des Festes, erhabene Stellen aus den Psalmen, und betet dazwischen mit dem Volk, dessen Zahl niemand zu schätzen imstande ist. Die Ruinenfelder haben sich in große lebende Hügel verwandelt, die Todeslandschaft der Stadt ist zugedeckt von Menschen, Gesicht an Gesicht. Alle sehen zum Dom, und einen Augenblick lang befällt den Zuschauer eine leise Ahnung von der Größe der Szenen, die sich einst bei der letzten Epiphanie entfalten werden. Nun fangen die Hügel an zu singen. In großartiger Rhythmik und Kraft wallen alte Choräle, von den Zinnen des Domes herab durch Bläser begleitet. Und dann betet das Volk auf den Trümmern. Schlicht und stark steigt das Gloria zum Himmel, von hunderttausend Lippen einstimmig gesprochen. Bis in die höchsten Firmamente, so denkt man, sei dies Wort für Wort zu verstehen, eine reine Huldigung der deutschen Zunge. Man erfaßt auf einmal, daß die liturgische Erneuerung zu Anfang dieses Jahrhunderts die gnadenhafte Rüstung der Kirche in Deutschland wurde, mit der sie die Finsternis bestand. Es folgt das Vaterunser der Menge, es folgt das Ave Maria für die Gefangenen, die noch nicht heimgekehrt sind, ein zweites Ave Maria, daß die himmlische Mutter alle Welt vor einem neuen Krieg bewahren möge. Es folgt das Kredo. Man vergißt die Zeit, so echt und einzig ist das Erlebnis der betenden Christenheit.

Das Erklingen der Petersglocke

Plötzlich fahren alle aus der Sammlung auf: Die Deutsche Glocke schlägt an, die Petersglocke, und den perlmutternen Rhein hinauf zieht das weiße Schiff «Frieden». Beides ist Zeichen, daß sich die Prozession mit den Reliquien in Bewegung setzt. Die folgenden Augenblicke sind schwer zu beschreiben. Die Petersglocke ist die größte noch klingende Glocke der Welt. Alles beginnt sich in den Tiefen ihres Klanges aufzulösen, der ganze Kosmos scheint ins Tönen zu kommen, zum erstenmal seit vielen Jahren erliegt man der Übermacht des Guten!

Auf einmal biegen Reiter in das Blickfeld ein, ihnen folgt die Spitze der Prozession, die sich drunten am Strom an der alten Schifferkirche Maria Lyskirchen formiert, eben an der Stelle, wo Reinald von Dassel vor fast 800 Jahren mit den Gebeinen der hl. Dreikönige an Land kam. Eine rotweiße Flut von Meßdienern mit Vortragskreuzen und schaukelnden Laternen macht den Anfang. Es folgen Wälder von Fahnen, eine einzige Musik der Farben. Es sind nicht mehr die steifbestickten Fahnen unserer frühen Kindheit, sondern die meistens nur mit dem Christussymbol gezeichneten weich wehenden Banner der Jugend. Ihnen schließt sich in starkem Kontrast der dunkelernste Zug der Mönche an, ihnen wieder folgen die Weltpriester in weißen Rochetts. Erst dann kommt der Stadtklerus von Köln, die Pfarrer in Chormänteln, die Kapläne in Dalmatiken. Jedes der acht Dekanate führt einen Heiligenschrein mit. Die nun anhebende Schönheit des Bildes ist kaum noch mit Worten zu fassen.

Wohl zum erstenmal in der Kirchengeschichte werden die Reliquien nicht von Diakonen getragen, sondern auf Lastwagen bewegt. Diese haben sich in große Blumenbahren verwandelt, auf denen hoch die goldenen Särge stehen, leuchtend über allem Volk. Jeder kann sie sehen. Wie Goldbarken kommen sie einen unsichtbaren Strom heraufgeschwommen, dicht vor mir ist eine Anlegestelle an die Domtreppen gezimmert. Dort werden die geheimnisvollen Gondeln von ihren Gefährten heruntergehoben und wartenden Knaben auf die Schultern gestellt. Diese tragen einen Schrein nach dem andern fünf Schritte vor mir die Stufen hinan und durch die neue Pforte in die Kathedrale. Still steigen sie ans Ufer unserer armen Zeit, die Brüder und Schwestern aus den himmlischen Fernen.

Die Prozession der Heiligen

Zuerst fährt der Schrein der heiligen Ursula heran, der britannischen Königstochter, die, von Rom heimkehrend, bei Köln überfallen und getötet wurde. Der zweite Schrein ist der des hl. Albertus Magnus, des «Fürsten der Philosophen», der im Jahre 1248, also ebenfalls vor siebenhundert Jahren, in Köln die Ordensuniversität der Dominikaner gründete, die Vorläuferin der späteren Kölner Universität. Im dritten Schrein ruht Sankt Severin, der große letzte Bischof aus der römischen Ära (um 400), im vierten sein Freund und Nachfolger Evergislus († 418), im fünften Sankt Kunibert (†663), einer der bedeutendsten Bischöfe der spätfränkischen Zeit. Der sechste Schrein enthält die Reste des hl. Agilolf, eines Zeitgenossen des hl. Bonifatius. Der heilige Heribert († 1021), dessen Gebeine folgen, hat einen der schönsten Schreine, ein Originalwerk aus dem 12. Jahrhundert. Der letzte Schrein in der langen Reihe ist der des hl. Engelbert, der wie Sankt Ursula von Mörderhand fiel († 1225).

Kaum sind die kleinen goldenen Häuser, in zarter Mystik erstrahlend, unter dem Bogen des Portals verschwunden, da taucht in der Tiefe des Bildes der Stern auf, der die Standarte der hl. Dreikönige ziert. Das Meer der Menschen murmelt auf in höchster Erwartung. Und dann wird es sichtbar, das von Kostbarkeit erglühende Gehäuse der drei Magier. Es ist der größte Heiligenschrein, den die Erde hat. Man glaubt, von ihm ströme die Innigkeit der Anbetung in Bethlehem auf die schauenden Mengen über und das göttliche Kind sei den Volksscharen nahe. Eben, als das Heiligtum der Heiligtümer Kölns an den Stufen des Domes ankommt, bricht die Sonne durch, schlägt gleißendes Feuer aus den Goldflächen des Schreines und macht aus der Szene ein einmaliges Schauspiel des Himmels und der Erde. Denn nun läuft das einmal entzündete Licht über das Königsgefolge der drei Weisen hin. In langer Kette schreiten die Äbte, Bischöfe, Erzbischöfe und Kardinäle, 46 Mitraträger aus allen fünf Erdteilen. Räume und Zeiten stehen geöffnet. Etwas vom Schimmer ewiger Schönheit hat sich auf das Bild herabgesenkt, vor dessen Leben und Tiefe die großen Schöpfungen der Maler verblassen. Selbst Werke wie die Disputa Raffaels sind wie Schatten neben diesem Licht. …

Das Volk ist sichtlich von tiefer Freude bewegt, von wahrer, ungewohnter Freude. Sie malt sich in den Gesichtern und Händen. Aber sie bleibt stumm. Es ist erschütternd, daß die Freude des ‚Volkes so an das Leid gebunden bleibt, daß sie keine Stimme mehr hat. Ein dünnes Händeklatschen am Rande der dichten Menge hin — sonst nichts. Welch eine Sprache, so die Sprache verloren zu haben! Und das in Köln, wo den Menschen der herzliche Jubel immer so locker im Halse saß. Das Schweigen verleiht der Menge einen edlen Zug. Ein junger Mann faßt mich plötzlich am Arm: «Glauben Sie mir, ich zittere bis in die Füße, so packt mich das», bringt er leise heraus. Ich sehe ihn an. Seine Augen haben sich mit Tränen gefüllt. Es sind die großen Augen der «Heimgekehrten» in einem weißen Gesicht. «Mein Bruder ist noch in Rußland. Beten Sie doch für ihn», fügt er hinzu, und wendet sich wieder ab.

Einzug in die Kathedrale

Der Zug, der die ecclesia militans mit der ecclesia triumphans vereinigte, ist in die Kathedrale eingezogen. Das Volk brandet jetzt um die ehrwürdigen Mauern bis an die sich schließenden Portale. Ich gehe tiefer in die Nische meines Portals hinein. Das beschädigte Bronzetor steht einen Spalt weit offen, man sieht in die gotischen Hallen hinein. Drinnen beginnt das Pontifikalamt. Die achtstimmige Bruckner-Messe in e-moll füllt den Raum, quillt aus den Türen und Fensteröffnungen, verbreitet sich über die Plätze und Straßen. Die Bronzeflügel tönen, die Steine tönen, die Luft tönt, die Kathedrale ist wie ein gewaltiges Musikinstrument, eine Orgel der Welt. Zwischen den immer Unruhigen sieht man viele Menschen knien, die das Opfer Christi in einer Versunkenheit mitfeiern, daß die Hoffnung nicht vermessen erscheint, diese Einzelnen seien stark genug, die ungezählten Gefangenen ihrer Verzweiflung, die von diesem und keinem Fest mehr berührt werden, mit in die Barmherzigkeit Gottes hinüberzutragen. …

Der Erzbischof von Köln, Kardinal Frings, deutet darauf in seiner Predigt die Heiligenprozession dieses Morgens. «Wir alle folgten dem Stern.» Es ist der Stern des Glaubens an Christus in einer Zeit, die dem Unglauben verfallen ist. Die erste heilige Opferfeier im Kölner Dom nach seiner vorläufigen Wiederherstellung soll ein feierlicher Akt der Anbetung vor dem Weltenheiland sein. Er allein gibt den Frieden.

Das neue Heidentum unter christlicher Verbrämung

Es war gerade erst 14 Jahre später, als derselbe Kardinal Frings auf dem sog. 2. Vatikanum mit seiner berühmt-berüchtigten Rede den Startschuß zur Revolution gab. Inspiriert von seinem Berater Joseph Ratzinger, folgte er nicht mehr dem Stern der Weisen, sondern dem Irrlicht des Modernismus, das jegliches göttliche Licht in den Menschenherzen zum Erlöschen brachte. Fortan glaubte jeder, was er wollte und fühlte sich dennoch katholisch. Auf die Frage nach der Echtheit der Reliquien der Heiligen Drei Könige gibt der Kölner Kunsthistoriker Helmut Fußbroich zur Antwort: „Aber da kann man, ohne rot zu werden, sagen, nä, die können nicht echt sein, weil es sich eben um eine Geschichte handelt, die keine Historie erzählen will, sondern eine religionspädagogische Absicht dahinter steckt, nämlich um zu zeigen, dass die Heiden begriffen haben, wer da geboren worden ist, während die Juden das eben noch nicht begriffen hatten. Darum geht es dem Evangelisten Matthäus.“

Das ist reinster modernistischer Unglaube, das ist das neue Heidentum unter christlicher Verbrämung, das Sammelbecken aller Häresien. Denn in der Tat, solche „Argumente“ haben früher nur die Heiden oder vielleicht noch die Juden vorgebracht. Für die Heiden und Juden stand vorneweg fest: Jesus Christus ist nicht der wahre und einzige Sohn des lebendigen Gottes, deswegen kann all das, was in den hll. Evangelien darüber berichtet wird, keinen Anspruch auf Wirklichkeit erheben. Nach diesen glauben wir Katholiken bloßen Märchen. Märchen, die, wenn auch mit religionspädagogischer Absicht erzählt, letztlich Lügen sind. Es ist nur seltsam, daß die gelehrtesten Männer der Welt über fast 2000 Jahre diese Märchen ganz selbstverständlich für geschichtliche Tatsachen gehalten haben und felsenfest daran glaubten.

Die Bedeutung der drei Gaben

Der hl. Papst Gregor der Große etwa erklärt:

„Die Weisen bringen also Gold, Weihrauch und Myrrhen. Das Gold paßt für den König, der Weihrauch wird Gott geopfert, mit Myrrhen werden die Leichname einbalsamiert. Die Weisen beten ihn an und verkünden ihn zugleich durch ihre bedeutungsvollen Geschenke, durch das Gold als ihren König, durch den Weihrauch als ihren Gott, durch die Myrrhe als einen dem Tode Geweihten. Nun gibt es manche Irrgläubige, die zwar an seine Gottheit glauben, aber keineswegs glauben, daß er überall regiert. Diese opfern ihm zwar Weihrauch, aber das Geschenk des Goldes verweigern sie ihm. Andere verehren zwar sein Königtum, leugnen aber seine Gottheit; sie bringen ihm also die Gabe des Goldes, opfern ihm aber keinen Weihrauch.

Ferner gibt es solche, die ihn als Gott und König anerkennen, aber leugnen, daß er einen sterblichen Leib angenommen hat. Diese opfern ihm Gold und Weihrauch, wollen ihm aber nicht die Myrrhe für die sterbliche Natur, die er angenommen, darbringen. Wir wollen nun dem neugeborenen Herrn Gold opfern und damit bekennen, daß er überall regiert; wir wollen ihm Weihrauch darbringen und damit bekennen, daß er, der in der Zeit erschienen ist, Gott war von Ewigkeit; wir wollen ihm Myrrhe darbringen und damit bekennen, daß er, obwohl er, wie wir glauben, seiner Gottheit nach leidensunfähig war, seine Menschheit nach dem Tode unterworfen war.“

Wie jeder weiß, verweigern die Modernisten ihrem Jesus der Geschichte alle drei Gaben. Sie gestehen diese Gaben höchstens ihrem Märchenprinzen zu, den sie Jesus des Glaubens nennen. Diese Herren leben nun einmal in Absurdistan und erwarten tatsächlich, daß ein vernünftiger Mensch ihnen irgendeinen Glauben schenkt.

Die Hirten zu Bethlehem…

Kehren wir jedoch aus diesem Absurdistan zurück ins Land der geschichtlichen Tatsachen. Die Heiligen Drei Könige waren Fremde, waren Pilger aus dem fernen Morgenland. Bei ihnen war es nicht so wie bei den Hirten, die einfach um die Ecke wohnten. Diese lebten mit ihren Herden draußen auf den Feldern von Bethlehem. Sie bilden den Kontrast zu den Menschen in der Stadt, den Weltmenschen – die keinen Platz für die hl. Familie hatten und auch nicht bereit waren, Platz dafür zu schaffen. So wichen der hl. Josef und Maria aus und sie fanden einen Grottenstall. Das hl. Geschehen sollte sich außerhalb der Stadt der Menschen ereignen. Die Welt im biblischen Sinne verstanden ist nun einmal gottfern und gottfremd. In dieser Welt kann darum Christus nicht geboren werden, weil Er darin keinen Glauben findet.

Nein, die Hirten auf den Feldern waren keine Weltmenschen, sie waren wahre Israeliten, durch und durch vom göttlichen Glauben geprägt. Sie kannten selbstverständlich die großen Prophezeiungen Gottes über den kommenden Messias. Bei ihnen rannte der Engel mit seiner Botschaft sozusagen offene Türen ein. Die Weltmenschen hätten den Engel erst gar nicht gesehen, geschweige denn seine Worte gehört.

Aber nicht nur das, die Hirten machten sich sofort auf den Weg, den Heiland zu suchen. Eilens brachen sie nach Bethlehem auf. Wohl kannten sie die Stallgrotte in der Nähe der Stadt ganz gut und ahnten schon, daß dort das Kind in der Krippe liegen würde. Und wirklich, sie fanden den Heiland der Welt, den Trost Israels, wie ihnen der Engel verheißen hatte.

Die Hirten sind ein Bild all jener Menschen, die den Glauben gleichsam mit einem Blick erfassen und sogleich festhalten. Wie ein Lichtblitz überkommt sie die Erkenntnis: Das ist die göttliche Wahrheit. Alle weiteren Glaubenserkenntnisse erscheinen ihnen nur wie eine Ausfaltung dieses ursprünglichen Glaubensaktes. Ihr Glaube wächst ganz harmonisch, er wird von Tag zu Tag tiefer und stärker.

…und der Stern am Himmel

Anders war das bei den Heiligen Drei Königen. Ihr Glaube formte sich in einem langen inneren Prozeß, lebten sie doch fern vom hl. Land, fern von der göttlichen Offenbarung. Ihre Situation ist vergleichbar mit jemanden, der fern von der katholischen Kirche aufwächst. Dieser muß in dem Vielerlei der Irrtümer mühsam die göttliche Wahrheit suchen. So war es auch für die Heiligen Drei Könige viel mühsamer, zur göttlichen Wahrheit zu finden als für die Hirten. Gott sei Dank waren sie Weise.

Als solche forschten sie fleißig in den alten Schriften und fanden darin die Vorhersage von dem Stern des Königs. Des einen Königs, des Friedensfürsten, dem die ganze Welt huldigen sollte, also ein recht außergewöhnlicher König. Den drei weisen Königen kam das recht geheimnisvoll vor. Noch geheimnisvoller wurde diese Auskunft, als ihnen klar wurde, daß dieser König der König der Juden war. Die Juden waren ein kleines Volk unter römischer Fremdherrschaft, was sollte dieser König Besonderes sein, was sollte er schon vermögen? Sollte er etwa gegen den römischen Kaiser antreten und Rom erobern? Nein, das war absurd! – Also mußte das mit dem König anders verstanden werden. Es gab jedenfalls für die drei weisen Männer viel zum Nachdenken und Nachlesen und zum Beten. Sie flehten sicher oft, Gott möge sie das Geheimnis des Sterns und des verkündeten Königs verstehen lassen. Als der Stern irgendeinmal tatsächlich am Nachhimmel zu sehen war, waren die drei Weisen recht verwirrt. Es ist bekanntermaßen etwas ganz anderes, wenn man etwas nur theoretisch erwägt, also nur mit Gedanken spielt, als wenn es plötzlich Tatsache wird. Der Tatsache kann man normalerweise nicht ausweichen – und unsere drei Männer wären auch niemals auf diese Idee gekommen, weil sie Weise und Heilige waren.

Aber zunächst waren sie äußerst überrascht. Da stand er plötzlich am Nachhimmel, der Stern! Ganz ruhig stand er dort oben, irgendwie herausfordernd. So, als wollte er zu den drei Männern sagen: Na Kaspar, Melchior und Balthasar, was gedenkt ihr jetzt zu tun? Die Zeit ist bald erfüllt, das Kind wird bald geboren.

Die drei kratzten sich ein wenig hinter den Ohren – alle gleichzeitig, daß sie lachen mußten – und gingen von ihrer Dachterrasse ins Haus hinunter. Vielleicht haben sie noch lange miteinander gesprochen, aber viel wahrscheinlicher ist es, daß sich jeder in sein eigenes Gemach zurückgezogen hat, um in aller Ruhe das Licht des Sternes in der eigenen Seele wirken zu lassen.

Sie erkannten – woran, das wissen nur die Weisen selber – daß es noch nicht eilte. Der Stern ließ ihnen noch etwas Zeit zur Entscheidung. Sie konnten ihn in aller Ruhe betrachten und versuchen, seine geheimnisvolle Sprache zu erlernen.

Eines ist seltsam: Die drei Weisen hätten doch durchaus schon einmal Boten nach Jerusalem vorausschicken können, die ihnen hätten auskundschaften und melden können, ob denn dort überhaupt ein Königssohn zu erwarten sei. Das taten sie nicht – seltsamerweise wie gesagt.

Die Erklärung dafür ist gar nicht so einfach. Am naheliegendsten ist jedoch die: Sie erkannten, daß es mit einem Boten nicht getan ist, sondern sie selber auf die Reise gehen mußten. Sie mußten dem König persönlich jene Huld erweisen, die Ihm gebührte. Denn das wußten sie inzwischen mit Sicherheit: Er war nicht irgendein König. Nicht so sicher wußten sie, was Er denn dann eigentlich war? Alle drei kamen nach vielen Gesprächen miteinander zumindest soweit überein, daß sie bezeugten: Er war ein Gottesgeschenk.

Der Aufbruch zur Reise

Um die Frage ganz und eindeutig zu beantworten, brachen sie also auf. Die Theorie half hier nicht mehr weiter, jetzt war es Zeit zur Tat. Ein langer Zug von drei Königen formierte sich! Wenn nur jeder König etwa 100 Leute als Gesinde bei sich hatte, waren das mindestens 300 Mann. Wohl noch etwas mehr, sagen wir 500. Eine stattliche Heermacht war das schon, die sich hier auf den Weg machte – eine Heermacht aber ganz ohne Waffen. Das sprach sich schnell herum. Diese Kunde ging dem königlichen Zug in Windeseile voraus. Und dennoch wagte es niemand, die königliche Karawane anzugreifen, selbst die verwegendsten Wüstenfürsten nicht, denn der Stern wachte über sie. Es war eine lange Reise mit Geschenken von Gold, Weihrauch und Myrrhe. Von der Reise selber wissen wir nicht viel Zuverlässiges, weshalb wir mit den Drei Heiligen Königen gleich zum Ziel eilen.

Ankunft in Jerusalem

Eines Abends kam der Königszug in Jerusalem an. Man machte außerhalb der Stadt Halt. Eine beeindruckende kleine Zeltstadt entstand da vor den Augen der neugierigen Einwohner und inmitten der vielen Zelte standen die drei großen Zelte der Könige. Diese machten sich bereit, am nächsten Tag sogleich in die Stadt zu ziehen, um mit dem König zu sprechen. Unsere drei Weisen scheinen keine Weltweisen gewesen zu sein, denn dann wären sie sicher nicht zu Herodes gegangen, die Begegnung mit diesem Tyrannen wäre ihnen viel zu riskant gewesen. Jeder in Jerusalem und ganz Juda wußte, wie gefährlich Herodes wurde, wenn er auch nur den leisesten Verdacht hegte, jemand könnte ihm seine Herrschaft streitig machen. Das haben bis jetzt alle – ob der Verdacht wahr war oder nicht – mit dem Leben bezahlt!

Eigentümliches am Hofe des Herodes

Unsere Könige gingen also etwas blauäugig zu Herodes und fragten ihn direkt und ohne lange Umschweife, wo denn der neugeborene König der Juden sei? Nun scheint Herodes diese Frage gar nicht so konkret verstanden zu haben, wie man erwartet, denn er hätte ja auf einen seiner eigenen Söhne verweisen können, von denen er jedoch vier hatte hinrichten lassen. Dem noch lebenden Rest traute er wohl keinen Stern zu.

Herodes denkt ganz offensichtlich bei der Frage der drei Fremden nach dem neugeborenen Königssohn an keinen seiner eigenen Söhne, er denkt – was doch verwunderlich genug ist – sofort an den verheißenen Messias. Das ist schon recht seltsam, denn Herodes war bleileibe kein frommer Mann. Der Gedanke an den kommenden Messias muß also damals im Volk umgegangen sein, weshalb Herodes die Schriftgelehrten rufen ließ, die Genaueres wissen mußten und auch tatsächlich die richtige Antwort kannten. Ihre Antwort scheint jedoch in der Art einer Auskunft aus dem Telefonbuch gewesen zu sein, denn sie zeigten keinerlei persönliches Interesse an der Frage – der Frage aller Fragen für einen Juden, so müßte man meinen! Nein, sie ließen die drei Fremden einfach wieder wegziehen – Messias hin oder her, so könnte man sagen. Kein einziger schloß sich den drei Weisen aus dem Morgenland an, um mit ihnen zusammen den neugeborenen Messias zu suchen. Nochmals seltsam!

Für unsere die drei Weisen muß jedenfalls dieses Erlebnis am Hofe des Herodes überaus enttäuschend gewesen sein. Sie sind tausend Kilometer gewandert und dem Stern gefolgt und hier will niemand etwas von dem Königssohn wissen – außer Herodes, der freilich für den Fall der Fälle seinen Mordplan schon fertig hat.

Der Stern, der treue Reisebegleiter

Es ist irgendwie vergleichbar mit heute. Die Gleichgültigkeit überwiegt bei weitem das Interesse an der göttlichen Wahrheit, die uns in Jesus Christus sichtbar erschienen ist.

Als die drei Weisen die Stadt wieder verlassen und zu ihren Zelten zurückkommen, werden sie getröstet: DER STERN ist wieder da! Da erleuchtet das Licht des hl. Glaubens wieder ihren Geist und sie sind sofort bereit aufzubrechen. Die Menschen im Judenland zeigen kein Interesse an ihrem Königssohn, aber der Stern kennt den Weg und ist ihr treuer Reisebegleiter. Darum hatten sie eine überaus große Freude, als sie den Stern sahen. Auch das ist heute noch so, man braucht zuweilen einen Stern, der einem den rechten Weg zeigt, den Weg zum göttlichen Königskind. Aber solche Sterne sieht man nur noch selten. Es scheint, früher war das öfter der Fall. Das hängt wohl daran, daß die sog. Wissenschaftler den Sternenhimmel in ein Chaos verwandelt haben. Jeder denkfähige Mensch weiß, daß man in einem Chaos nichts erkennen kann, weil darin nichts ist, was man sicher unterscheiden könnte.

Es ist schon beeindruckend, der ganze morgenländische Troß macht sich wieder auf den Weg, mehr und mehr entfernt er sich von Jerusalem und verschwindet hinter einem Hügel. – Eigentlich wissen wir gar nicht genau, wohin er sie führte, der Stern. Aber gehen wir mit den meisten Erklärern davon aus, daß die hl. Familie immer noch in Bethlehem war.

Selige Ankunft!

Über dem Stall macht der Stern halt. Vielleicht leuchtet er nochmals ganz ganz hell auf und dreht sich im Kreis vor Freude und vergeht schließlich wunderschön wie ein riesiges Feuerwerk – wir wissen es ebenfalls nicht, aber vorstellen kann man sich das schon.

Bei diesem Aufleuchten und wunderbaren Verschwinden des Sterns geht den drei Königen das Herz über. Sie ahnten schon lange, daß dieser König mehr war als nur ein König, daß ein großes Geheimnis um IHN herumgewoben war. Dennoch sind sie zutiefst erschüttert, als der hl. Josef die Türe öffnet und sie hereinbittet. Die Mutter hat das Kind auf ihrem Schoß.

Unwillkürlich fallen alle drei, getroffen vom Licht göttlicher Erkenntnis, zu Boden. Die Welt um sie herum versinkt und sie tauchen ein in eine Freude, die sich mit menschlichen Worten nicht mehr beschreiben läßt. Schließlich legt Maria den Überglücklichen auch noch das Kind einem nach dem anderen in ihre Arme. Beinahe wären sie gestorben vor unfaßbarem Glück. Aber sie hatten ja noch die Aufgabe, die Kunde von dem Kind zu ihren Völkern zu tragen. Ihre Völker sollten einst vorbereitet sein, wenn die Apostel kommen würden, um den Glauben an den auferstandenen Messias zu verkünden. ER war der Erlöser aller Völker, aller Zeiten. So kamen sie wieder zurück in diese Welt, in dieses Jammertal der Tränen. Aber das machte ihnen nichts aus, haten sie doch das Kind gesehen und auf ihren Armen getragen. Im Kölner Brevier von 1521 heißt es:

„Nachdem die Heiligen Drei Könige von Bethlehem in ihr Land zurückgekehrt waren, verkündeten sie ihren Volksgenossen die frohe Botschaft von der Menschwerdung des Gottessohnes. In hohen Ehren hielten sie den Berg, wo ihnen der Stern zuerst erschienen. Sie bauten dort eine Stadt, die sie Siegberg nannten, und auf der Höhe des Berges errichteten sie eine Kapelle mit dem Bild des mit dem Kreuz bezeichneten Jesusknaben. …

Unermüdlich waren sie in der Übung von Werken der Tugend und Gottseligkeit, bis der Apostel Thomas in jene Gegend kam, um die Lehre Jesu Christi zu verkündigen. Ihm gesellten sie sich zu und empfingen von ihm die hl. Taufe. Und weil sie Männer der Auserwählung waren, erteilte ihnen Thomas auch die Bischofsweihe und überwies die Völker des Orients ihrer Hirtensorgfalt.“

Der Jubelgesang der Fremden

Kehren wir nochmals kurz zurück in den Stall. Nachdem die drei Weisen das Christkind verehrt haben, hat wohl einer der Könige, vielleicht der älteste der dreien, die Mutter gebeten, doch das Kind hinaustragen zu dürfen, um es auch dem Gesinde zu zeigen. Auch diese hätten mit ihnen diese weite Reise gemacht und seien voller Sehnsucht, den Heiland der Welt zu sehen. Was war das für ein Jubel als der König aus dem Stall trat, was war das für ein bewegender Gesang, was für eine unbändige Freude. Alle wurden zutiefst gerührt von der sichtbar erschienen Güte Gottes: Er war der Sohn des ewigen Vaters.

Es waren alles Fremde, die das Jesuskind bejubelten, Herodes aber brütete über seinem Mordplan und die Schriftgelehrten lasen verständnislos in ihren Schriften und das Volk ward irregeführt. Es ist wie heute. Martha Rohrbach macht sich am Ende ihres Aufsatzes über den Stern der Weisen über Deutschland folgenden Gedanken:

Der Stern

Das Jahr 1948 ist vergangen. Zieht die Zeit solche Ereignisse, wie hier eines geschildert wurde, mit sich in ihr tiefes Grab hinunter, oder nehmen umgekehrt wir sie mit uns auf den großen Weg? Die Frage wird vom Menschen entschieden. Gott redet in den Geschehnissen. Es ist uns überlassen, hinzuhören oder nicht.

Es hält nicht schwer, die Quintessenz aus dem zu gewinnen, was sich im Jubiläumsjahre 1948 in Köln abgespielt hat. Man braucht bloß an einem stillen Alltag in den Dom zu gehen und den Dreikönigsschrein noch einmal ganz aus der Nähe und in Muße zu betrachten. Das goldene Gehäuse ist von Bildwerk umzogen. In der Anordnung der vielen Figuren und Figürchen herrscht eine klare geistige Ordnung. Es gibt nichts Nebensächliches, sondern alles dient dazu, die eine große Wahrheit auszusprechen, daß Christus die Angel der Welt ist, das A und das O.

Die erste und die zweite Ankunft Christi

Es sind dementsprechend nur die beiden fundamentalen Tatsachen der Geschichte dargestellt, die erste und die zweite Ankunft des Erlösers. Das untere Stockwerk des Schreines zeigt an den Längsseiten das Harren der Völker auf den Heiland, ausgedrückt in den Gestalten von zwölf Propheten, die wartend und grübelnd in den kleinen Rundbögen sitzen. An der goldenen Stirnseite thront die Muttergottes mit dem Kind, das von links her die Huldigung der Könige und damit die Anbetung der Menschen entgegennimmt, während rechter Hand die Taufe, im Jordan daran erinnert, daß wir unsererseits durch die Taufe zu einem neuen Leben in Christus wiedergeboren sind. An der rückwärtigen Seite des Schreines wird uns dann, ebenfalls im unteren Geschoß, in zwei Szenen die Passion Christi vor Augen geführt; denn erst sie hat unsere Erlösung besiegelt. Links findet sich ein Relief der Geißelung, das in der Erfassung des Gegensatzes zwischen der wesentlichen Kraft Christi und der inneren Ohnmacht der Welt seinesgleichen sucht, und rechts die schon vom Osterlicht durchschimmerte Kreuzigung. — Das obere Stockwerk des Schreines verkündet in der gleichen Leuchtsprache des Goldes die zweite Ankunft Christi am Ende der Zeiten. An den beiden Längsseiten sitzen wieder zwölf Figuren, genau über den Propheten des unteren Geschosses. Es sind die Apostel, denen Christus gesagt hat, sie würden am Jüngsten Tage als Fürsten sitzen und die Völker richten. Im Giebelfeld der Stirnwand, über der Anbetung der Könige, thront der Heiland als Weltenrichter, von der puren Glut vieler Edelsteine umfunkelt. Zwei ernste Engel halten die Insignien der Erlösung und der Herrschaft, der eine den Kelch und die Patene, der andere die Juwelenkrone. Auf dem Giebel der Rückseite erscheint dann wieder der Mensch, und zwar in den Gestalten der heiligen Märtyrer Nabor und Felix. Es sind unsere Brüder, die «den Lauf vollendet» haben und denen Christus die Siegeskrone aufsetzt. Christus krönt ihren Glauben.

Damit ist das Kernwort für die Christen aller Zeiten gefallen. Sie sind zwischen der ersten und zweiten Epiphanie unterwegs. Die Reise ist beschwerlich und voller Gefahr. Wenn man nicht ins Ungewisse straucheln will, muß man wie die drei Weisen beharrlich dem Stern des Glaubens folgen. Der Glaube vermag etwas von dem zu sehen, was hinter den Finsternissen liegt, einen Funken gleichsam der Lichtherrlichkeit Gottes. Für diesen Funken ist der Stern das Sinnbild. Es wäre nach vielen Seiten ausdeutbar, hier soll darüber weiter nichts gesagt werden, statt dessen der Blick sich noch einmal zu den heiligen Königen kehren. Sie haben gegen alle negativen Wahrscheinlichkeiten ihr Ziel erreicht. Ohne den Stern wäre es nicht gegangen, das heißt ohne den Gnadenfunken, der vor ihnen herflog, aber auch nicht ohne eine bestimmte Haltung der Könige selbst. Sie folgten dem Stern weder schwärmerisch noch in abenteuerlicher Gesinnung, sondern im Glauben. Der Glaube ist ehrfürchtig, nüchtern, gehorsam.

In der Natur gibt es Nächte, die sind so dunkel, daß kein Stern mehr scheint. Trotzdem stehen in Wirklichkeit alle Sterne am Himmel. Es gibt auch eine Nacht des Glaubens. Sie ist gefährlich, weil unser menschliches Angstgefühl leicht das höhere Wissen überflutet und wir als Menschen von vornherein zur Unwahrheit neigen. Die heiligen Dreikönige mußten auch durch eine Nacht. Das war, als sie in den Machtbereich des Herodes gerieten. Noch hart vor dem Ziel hätten sie es fast verfehlt. Aber sie glauben in der Tat. Und anstatt mit dem aufgeregten Herodes zu streiten, nehmen sie seine ärgerliche Art gelassen hin. In ihren Herzen wohnt der klare Friede Gottes.

Während der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts, als der ältere Kölner Dom erbaut wurde, entstand auch die älteste Dichtung der Deutschen, der Heliand. Sie ist bis auf den heutigen Tag die größte Christusdichtung der Weltliteratur geblieben. Die Geschichte von den drei Weisen enthält dort einen Vers, der eine kostbare Erfahrung des Glaubens ausspricht. Als die Könige aus dem dichten Dunkel, das Herodes umlagert, heraustreten und sich zur Weiterfahrt anschicken, heißt es schlicht: «Da ging das Zeichen wieder strahlend unter den Wolken hervor.» Und eben dieses geschah auch in Köln.

Die wichtigste Lehre aus dem Dreikönigszug ist somit die: In allen Dunkelheiten dieses irdischen Lebens bleibt der göttliche Glaube. Dieser überwindet die Welt, dieser rettet vor dem ewigen Tod und stärkt uns in aller irdischen Not. Dieser Glaube ist selbstverständlich der Glaube an Jesus Christus als den ewigen Sohn des Vaters im Himmel.

Ja, Herr Jesus Christus, komm und rette uns! Amen.