Der goldene Himmelsschlüssel

Wenn es einen Schlüssel zur Himmelstüre gäbe, einen Schlüssel, mit dem man diese geheimnisvolle Türe aufsperren und öffnen könnte, um schließlich in den Himmel einzutreten, dann würde sicherlich jeder Mensch, der an den Himmel glaubt, diesen Schlüssel zu erwerben suchen. Und er wäre jedesmal überglücklich, diesen Schlüssel in seiner Tasche zu spüren.

Von Manfred Kyber, der vor allem durch seine vielen tiefsinnigen Tiergeschichten bekannt ist, gibt es auch eine Erzählung mit dem Titel „Die Himmelsschlüssel“. In dieser Geschichte macht sich ein sehr reicher König auf den Weg, die Himmelsschlüssel zu suchen, denn ein weiser Mann hatte ihm gesagt, alle Schätze der Erde könne man geschenkt erhalten, aber die Schlüssel des Himmels müsse ein jeder selber suchen. Da man damals noch wußte, daß der Himmel bis auf unsere Erde herabreicht, stieg der König auf den hohen Berg, auf dem sich die Tore des Himmels befanden. Lassen wir nun Manfred Kyber selber weitererzählen:

Vor den Toren, um deren Zinnen das Sonnenlicht flutete, stand der Engel Gabriel, der Hüter von Gottes ewigem Garten. „Glorwürdiger“, sagte der König, „ich habe alle Schätze der Erde, viele Länder sind mir untertan und ich spiele mit den Edelsteinen von Ophir und den Rosen von Damaskus. Aber ich habe keine Ruhe, ehe ich nicht auch die Schlüssel zum Himmel habe. Denn wie sollten sich sonst einmal seine goldenen Tore für mich öffnen?“ - „Das ist richtig“, sagte der Engel Gabriel, „ohne die Himmelsschlüssel kannst du die Tore des Himmels nicht öffnen und wenn du auch alle Künste und Schätze der Erde hättest. Aber die Himmelsschlüssel sind ja so leicht zu finden. Sie blühen in lauter kleinen Blumen, wenn es Frühling ist, auf der Erde - und in den Seelen aller Geschöpfe.“ „Wie?“, fragte der König erstaunt, „brauche ich weiter nichts zu tun, als jene kleine Blume zu pflücken? Die Wiesen und Wälder stehen ja voll davon und man tritt darauf auf all seinen Wegen.“

Drei Schlüssel

„Es ist wahr, daß die Menschen die vielen Himmelsschlüssel mit Füßen treten“, sagte der Engel, „aber so leicht wie du es dir denkst, ist es doch nicht gemeint. Es müssen drei Himmelsschlüssel sein, die dir die Tore des Himmels aufschließen. Und alle drei sind nur dann richtige Himmelsschlüssel, wenn sie zu deinen Füßen und für dich aufgeblüht sind. Die vielen tausend anderen Himmelsschlüssel, die auf der Erde stehen, sollen die Menschen nur daran erinnern, die richtigen Himmelsschlüssel zum Aufblühen zu bringen - und das sind die Blumen, die alle Menschen mit Füßen treten.“

Es war also nicht ganz so einfach, die richtigen Himmelsschlüssel zu finden, wie der König anfangs meinte. Die meisten Menschen sind viel zu unbedacht und rücksichtslos, als daß sie unter den vielen tausend anderen Himmelsschlüsseln die richtigen finden könnten, weshalb sie diese genauso mit Füßen treten, wie sie es mit den vielen vielen andern auch tun. Während der König nachdenklich dasteht, „kam ein Kind vor die Tore des Himmels, das hielt drei kleine Himmelsschlüssel in der Hand und die Blumen blühten und leuchteten in der Hand des Kindes. Als nun das Kind die Tore des Himmels mit den drei Himmelsschlüsseln berührte, da öffneten sich die Tore weit vor ihm und der Engel Gabriel führte es in den Himmel hinein. Die Tore aber schlossen sich wieder und der König blieb allein vor den geschlossenen Toren stehen“.

Er stieg wieder den Berg hinunter, wobei er sich hütete, auch nur einen der Himmelsschlüssel zu zertreten, die überall in den Wäldern und Wiesen standen. Aber so sehr er auch Acht hatte, keines dieser Blumen blühte vor ihm auf. Jahrelang bemühte er sich vergebens, ein solches Wunder zu erleben.

Der erste Schlüssel

Da ritt er eines Tages mit seinem Hofgesinde aus und ein schmutziges verwahrlostes Mädchen, das weder Vater noch Mutter hatte, bettelte ihn an, als er mit seinem glänzenden Gefolge an ihm vorüber kam. „Mag es weiter betteln!“, sagten die Höflinge und drängten das Kind bei Seite. Der König aber hatte in all den Jahren, seit er von dem steilen Berg gekommen war, viel über die Himmelsschlüssel nachgedacht und trat sie nicht mehr mit Füßen. Er nahm das schmutzige Bettelkind, setzte es zu sich aufs Pferd und brachte es nach Hause. Dort ließ er es speisen und kleiden, er pflegte und schmückte es selbst und setzte ihm eine Krone auf den Kopf. Da blühte zu seinen Füßen ein kleiner goldener Himmelsschlüssel auf. Der König aber ließ die Armen und die Kinder in seinem Reich als seine Brüder erklären.

Es war also die Barmherzigkeit, die den goldenen Himmelsschlüssel aufblühen ließ. Das Herz des Königs war durch die lange Suche innerlich weit geworden. Er begann, die Welt mit anderen Augen zu sehen als seine Höflinge. Das arme, schmutzige, verwahrloste Waisenmädchen tat ihm leid, darum nahm er es zu sich und adoptierte es sogar als Königskind. Ja, in seinem ganzen Reich sollten fortan die Armen und die Kinder seine Brüder sein.

Der zweite Schlüssel

Wieder vergingen Jahre und der König ritt in den Wald mit seinem Hofgesinde. Da erblickte er einen kranken Wolf, der litt und sich nicht regen und helfen konnte. „Laß ihn verenden!“, sagten die Höflinge und stellten sich zwischen ihn und das elende Tier. Der König aber nahm den kranken Wolf und trug ihn auf seinen Armen in seinen Palast. Er pflegte ihn selbst gesund und der Wolf wich nie mehr von ihm. Da blühte ein zweiter goldener Himmelsschlüssel zu des Königs Füßen auf. Der König aber ließ von nun an alle Tiere in seinem Reich als seine Brüder erklären.

Nicht nur die Mitmenschen, auch die Tiere verdienen das Erbarmen des Menschen. Auch sie sind Geschöpfe Gottes und auf das Wohlwollen der Menschen angewiesen. Der König nahm den kranken Wolf zu sich in seinen Königspalast und ließ selbst alle Tiere in seinem Reich als seine Brüder erklären. Niemand sollte ihnen fernerhin Leid zufügen.

So vergingen weitere Jahre, ohne daß der König die dritte Blume zum Erblühen bringen konnte. Der Weg zum Himmel war immer noch nicht frei. Eines Tages ging er in seinem wunderschönen Garten umher.

Der dritte Schlüssel

Da erblickte der König eine kleine unschöne Pflanze am Wegrand, die am Verdursten war und die verstaubten Blätter in der sengenden Sonnenglut senkte. „Ich will ihr Wasser bringen“, sagte der König. Doch der Gärtner wehrte es ihm. „Es ist Unkraut“, sagte er, „und ich will es ausreißen und verbrennen. Es passt nicht in den königlichen Garten zu all den herrlichen Blumen.“ Der König aber nahm seinen goldenen Helm, füllte ihn mit Wasser und brachte es der Pflanze - und die Pflanze trank und begann wieder zu atmen und zu leben. Da blühte der dritte Himmelsschlüssel zu des Königs Füßen auf und das Bettelmädchen mit der Krone und der Wolf standen dabei.

Damit war der Schlüssel zum Himmelstor vollendet. Alle Geschöpfe erfuhren vom König Erbarmen, kein Leid war ihm gleichgültig, so öffneten sich ihm die Himmelstore:

Der König aber sah auf dem steilen Berge die Tore des Himmels weit, weit geöffnet - und im Sonnenlicht, das um die Zinnen flutete, sah er den Engel Gabriel und jenes Kind, das damals schon den Weg zum Himmel gefunden hatte. Die drei Himmelsschlüssel blühen heute noch und sie leuchten heute noch heller und schöner als alle Edelsteine von Ophir und alle Rosen von Damaskus.

Menschliches Erbarmen und übernatürliche Gottesliebe

Eine schöne Geschichte, wird man sagen – aber stimmt das mit den Himmelsschlüsseln wirklich? Öffnet menschliches Erbarmen den Himmel? Ja und nein! Wenn es nur menschliches Erbarmen bleibt, d.h. wenn es nicht Erbarmen um Gottes willen ist, dann nicht. Wenn aber die Liebe zu Gott dieses Erbarmen trägt, dann öffnet es tatsächlich den Himmel. Denn jeder Akt der übernatürlichen Gottesliebe verdient den Himmel. Es ist einfach wahr, die Liebe ist alles! Ohne übernatürliche, gnadenhafte Gottesliebe aber ist alles nichts!

Es lohnt sich sicher, dieser so wichtigen, ja grundlegenden Lehre etwas ausgiebiger nachzuspüren, da tatsächlich alles davon abhängt, unser ganzes ewiges Glück. Nie können wir uns genug um die Gottesliebe bemühen, denn kein Maß kennt diese Liebe, die aus der von Gott geschenkten Gnade gewoben wird.

Die vollkommene Gottesliebe …

Der Jesuit J. Deharbe hat ein ganzes Buch über „Die vollkommene Liebe Gottes“ geschrieben (J. Deharbe, Priester d. G. J., Die vollkommene Liebe Gottes, Regensburg, 1856. Papier, Druck und Verlag von Fr. Pustet. Die Rechtschreibung wurde angeglichen). Wir wollen ein wenig darin herumblättern, um uns Klarheit über die vollkommene Gottesliebe zu verschaffen, denn letztlich kann man Gott nur vollkommen lieben, wenn man auch weiß, was das heißt. Jeder Katholik sollte aus ganzem Herzen danach verlangen, was der hl. Paulus den Ephesern wünscht, „…daß Christus durch den Glauben in eurem Herzen wohne und daß ihr in der Liebe festgewurzelt und festgegründet seid, damit ihr mit allen Heiligen zu erfassen vermögt die Breite und Länge, die Höhe und Tiefe und zu erkennen die Liebe Christi, die jede Erkenntnis übersteigt, damit ihr erfüllt werdet zur ganzen Fülle Gottes“ (Eph. 3, 17-19).

… ist eine übernatürliche Tugend

Zunächst gilt es zu erfassen, die Gottesliebe

…ist eine von Gott verliehene Tugend, wodurch wir uns an Ihn, als das höchste Gut, von Herzen hingeben, um durch die Erfüllung seines Willens Ihm zu gefallen, und zur Vereinigung mit Ihm zu gelangen. Die Liebe ist von Gott verliehen; denn sie ist „in unsere Herzen eingegossen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist“ (Röm. 5, 5). Ihr Gegenstand ist Gott, das höchste Gut, wie Gott, die höchste Wahrheit, Gegenstand des Glaubens ist. Durch sie geben wir uns Gott von Herzen hin, um durch Erfüllung seines Willens Ihm zu gefallen; denn wahre Liebe schließt notwendig eine wohlwollende Gesinnung ein, die dem Geliebten alles Gute gönnt, wünscht und es nach Kräften befördert. Ist diese unsere Gesinnung gegen Gott aufrichtig, so werden wir uns auch Ihm von Herzen hingeben und unsere Hingabe dadurch betätigen, daß wir Seinen heiligen Willen getreu vollziehen. Der Antrieb zur Erfüllung Seines Willens wird aber zunächst nicht die Furcht der Strafe oder die Hoffnung des Lohnes, sondern eben die Liebe sein, welche an Gott ihre Freude und ihr Wohlgefallen hat, und darum auch gerne tut, was Ihm gefällt.

Das erste, was man durchaus öfter betrachten sollte, ist: Die vollkommene Liebe ist eine übernatürliche Tugend, sie wird „in unsere Herzen eingegossen durch den Heiligen Geist“. Ohne die Hilfe Gottes können wir Gott nicht vollkommen lieben. Die übernatürliche Gottesliebe richtet sich ausschließlich auf Gott, weil Gott tatsächlich über alles und zudem unendlich liebenswert ist. Die vollkommene Gottesliebe hat an Gott allein Freude und Wohlgefallen, ihr Blick ist unmittelbar und ganz rein auf Gott gerichtet. Das eigene Wohl oder die Furcht vor der Strafe treten dagegen vollkommen in den Hintergrund und haben keine Bedeutung für diese. Weiter ist zu bedenken…

Die Vereinigung mit Gott

Die Liebe ist ferner nicht bloß Wohlgefallen am Geliebten, herzliches Wohlwollen und tätige Hingabe an ihn; sie will auch den Geliebten besitzen, – zur Vereinigung mit ihm gelangen. Unser Katechismus [des hl. Robert Bellarmin] sagt nicht, daß sie einstens oder erst in der Ewigkeit zur Vereinigung mit ihm gelangen will; wiewohl wir solchen Ausdruck an andern Katechismen keineswegs tadeln. Wir wollten jedoch ihn lieber weglassen, denn darin liegt eben, was wohl zu merken, der wesentliche Unterschied zwischen Hoffnung und Liebe. Jene strebt nach dem zukünftigen Besitze Gottes; der Liebe aber genügt dieses nicht, sie will mehr, sie wirkt schon hienieden Vereinigung mit Gott. Nach dem Axiom [Grundsatz] sowohl der theologischen als philosophischen Schule ist die Liebe vis unitiva [Kraft der Vereinigung]; sie versetzt jetzt schon den Liebenden in den Besitz des Geliebten, indem sie beide vereint zu Einem Herzen, Einem Willen, Einem Leben [kraft der eingegossenen heiligmachenden Gnade]. Daher sagt Jesus Christus: „Wenn mich jemand liebt, so wird ihn mein Vater lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen.“ Joh. 14, 23. Und der heilige Johannes: „Wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott, und Gott in ihm.“ 1. Joh. 4.

Durch die übernatürliche Gottesliebe werden wir mit Gott tatsächlich vereint. In diesem irdischen Leben können wir jedoch diese gnadenhafte Vereinigung mit Gott nur mit Hilfe des Glaubens begreifen und somit wenigstens in gewissem Sinne wahrnehmen. Das was von dieser Vereinigung wahrnehmbar ist, ist die immer größer werdende Angleichung unseres Willens an den Willen Gottes. Die von Gott geschenkte Gnade bewegt nämlich unseren Willen, sich ganz und gar dem Willen Gottes anzuschließen, d.h. sie vereint uns mit Gott zu Einem Herzen, Einem Willen, Einem Leben. Darum stellt unser göttlicher Heiland nüchtern fest: „Wer meine Gebote hat und sie hält, der ist es, der mich liebt. Wer aber mich liebt, den wird mein Vater lieben, und auch ich werde ihn lieben und mich ihm offenbaren“ (Joh 14, 21). Was für eine große Verheißung! Ganz dementsprechend schlußfolgert der hl. Apostel Johannes in seinem ersten Brief: „Wer seine Gebote hält, der bleibt in Gott und Gott bleibt in ihm. Und daß er in uns bleibt, erkennen wir an dem Geist, den er uns gegeben hat“ (1 Joh 3, 24).

Ohne Glauben kein Heil

Gehen wir dieser Erkenntnis weiter auf den Grund: Wann ist unsere Liebe in dieser Weise übernatürlich?

Unsere Liebe ist übernatürlich, wenn wir mittels der Gnade Gott lieben, wie er nicht bloß durch die Vernunft, sondern durch den Glauben von uns erkannt wird. – Diese zum Heil notwendige Eigenschaft der Liebe hebt auch der Bellarminische Katechismus hervor. Es leuchtet wohl von selbst ein, daß es niemals mehr nottat, auf dieselbe aufmerksam zu machen, als zu einer Zeit, wo eine dünkelhafte Vernunftreligion das Heil verspricht, während sie die ganze von Gott gegründete übernatürliche Heilsanstalt über Bord wirft. [Diese dünkelhafte Vernunftreligion war der Vorläufer des Modernismus!] Nicht oft und laut genug kann die Wahrheit verkündigt werden, daß nur die Liebe, welche im Glauben wurzelt, zum Leben führt. „Denn der Endzweck des Gebotes ist Liebe… aus unverfälschtem Glauben, wovon Einige abwichen und auf eitles Geschwätz verfielen.“ 1. Tim. 1, 5. 6. Ohne Glauben kein Heil. …

Die Liebe zum Schöpfer

Doch gilt es hierzu, einem Mißverständnis vorzubeugen. Wir können Gott in diesem Leben nicht direkt sehen, wie der hl. Paulus so eindringlich betont: „Jetzt schauen wir durch einen Spiegel, unklar, dann aber von Angesicht zu Angesicht. Noch ist mein Erkennen Stückwerk, dann aber werde ich erkennen, wie auch ich erkannt worden bin“ (1. Kor. 13, 12) Solange unsere Gotteserkenntnis Stückwerk ist, müssen wir uns mit Hilfe der sichtbaren Schöpfung zum unsichtbaren Schöpfer emporschwingen, wie auch unser Jesuit eigens hervorhebt:

Es wäre jedoch grobe Täuschung, wenn man aus dieser Lehre des Katechismus den Schluß zöge, die Liebe, die da übernatürlich sein soll, dürfe nicht auf Gott, als den Schöpfer des Weltalls und den Spender natürlicher Güter, sich beziehen, oder die Liebe könne nicht übernatürlich sein, wenn sie aus der Betrachtung der sichtbaren Geschöpfe zu Gott, dem Unsichtbaren, hinaufsteigt, weil diese Erkenntnis im Bereich der Vernunft liege. – Daß Gott der Schöpfer des Himmels und der Erde und der Urquell aller sowohl natürlichen als übernatürlichen Gaben sei, ist ja gleichwohl Gegenstand des christlichen Glaubens. Und soll das unermeßliche Weltall nicht auch dem Christen ein offenes Buch sein, woraus er die Güte, die Allmacht, die Weisheit und Schönheit Gottes erkennt? Ist das nicht eben die erhabenste Bestimmung der leblosen Natur? „Ja der Himmel, die Erde, das Meer und alle wahrnehmbaren Geschöpfe“, erwidert der heilige Prosper, „sollen dem Menschen vorzüglich dazu dienen, daß er durch die Betrachtung so vieler Schönheiten zur Liebe und Verehrung seines Schöpfers angetrieben werde.“„Die Himmel erzählen die Herrlichkeit Gottes und das Firmament verkündet die Werke seiner Hände. Über die ganze Erde geht aus ihr Schall, und bis an die Enden des Erdkreises ihr Wort.“ Ps. 18, 2. 5. Ermahnen uns nicht die heiligen Bücher, Gott und seine Vollkommenheiten aus den Werken der Schöpfung zu erkennen? „Hebet in die Höhe eure Augen und schauet, wer Solches geschaffen. Er führt das Heer der Sterne heraus und rufet sie alle mit Namen; ob seiner großen Macht und starken Kraft bleibt keiner zurück.“ Is. 40, 26. Verweiset Gott nicht selbst den frommen Job an die Wunder der Schöpfung, damit er aus denselben die unerschaffene Weisheit und Allmacht erkenne? Und wie oft zerflossen nicht heilige Männer in Tränen der reinsten und zärtlichsten Liebe beim Anblick des gestirnten Himmels oder eines Grasblümchens auf dem Felde! Sie hatten aber Gott in der Schule des Christentums und nicht einer heidnischen Philosophie kennen gelernt. Nie träumten sie von einem anderen Gott, als der ist, welchen der in ihrem Herzen tief wurzelnde Glaube ihnen darstellte. Ihre Liebe war nur um so feuriger, je besser sie erkannten, wie schon hienieden im Lande der Verbannung Derjenige so schön, reich, herrlich und freigebig ist, der ewig im Lande der Verheißung ihr Lohn sein will.

Alle Geschöpfe künden die Allmacht und Weisheit Gottes. Wie sehr hat darum die Betrachtung etwa des Weltalls heilige Männer wie den hl. Ignatius von Loyola zu Tränen gerührt. Denn wie unergründlich gut muß Gott sein, der all das so wunderbar geschaffen hat! Eine solche, vom katholischen Glauben getragene Betrachtung der Schöpfung hat selbstverständlich mit derjenigen eines modernen ungläubigen Naturapostels gar nichts gemein. Je mehr die übernatürliche Gottesliebe im Herzen brennt, desto leuchtender wird in den Geschöpfen die Herrlichkeit Gottes wahrgenommen und der Betrachter zur liebenden Anbetung Gottes geführt.

Vollkommene vs. unvollkommene Liebe

Neben der vollkommenen gibt es auch die unvollkommene Gottesliebe. Es ist überaus wichtig, den Unterschied zwischen beiden richtig zu verstehen, weil diese Unterscheidung letztlich die Grundlage für die Unterscheidung der vollkommenen von der unvollkommenen Reue ist, von der wir zuletzt sprechen wollen. P. Deharbe S.J. führt die traditionelle Lehre kurz aus:

1) Es wird wohl nicht in Abrede gestellt werden können, was wir schon früher bemerkt haben, daß Jahrhunderte hindurch die Theologen, sowohl Dogmatiker als Moralisten und Mystiker, die vollkommene Liebe von der unvollkommenen durch die Benennung Liebe der Freundschaft oder aus Wohlwollen (amor amicitiae, benevolentiae) und Liebe der Hoffnung oder aus Begierde (amor spei, concupiscentiae) unterschieden. Durch die erstere verstehen sie eine Liebe, zu deren Wesen ein gegenseitiges Wohlwollen, wie unter wahren Freunden oder zwischen Vater und Kind, und eine dem Wohlwollen entsprechende Hingabe gehört. Eine solche Liebe haben wir nur dann, wenn wir unsern Freund um seinetwillen lieben; denn liebten wir ihn unsertwegen, so wäre die Liebe ein Wohlwollen gegen uns, nicht gegen den Freund. Die Grundbedingung der vollkommenen Liebe zu Gott besteht also darin, daß Gott über Alles um seinetwillen, d. h. seiner Eigenschaften oder seiner unendlichen Güte wegen geliebt werde. Gott muß nicht nur der Beweggrund und das letzte Ziel unserer Liebe finis qui sein, sondern nach dem Ausdrucke der Scholastiker auch das finis cui, d. h. der Gegenstand sein, für den wir lieben.

Die unvollkommene Liebe

Die unvollkommene Liebe hingegen ist in Beziehung auf den geliebten Gegenstand nicht eine Liebe des Wohlwollens, sondern nur eine Liebe aus Begierde d. h. des Verlangens und der Sehnsucht. Wir lieben in diesem Falle nicht auf solche Weise, daß wir dem Geliebten alles Gute wünschen und uns freuen über das Gute, welches er ist und hat, sondern nur so, wie wir dasjenige lieben, was wir zu unserer eigenen Wohlfahrt uns wünschen, oder nach welchem wir wegen des daraus zu hoffenden Vorteils uns sehnen. In dieser unvollkommenen Liebe Gottes ist zwar Gott immerhin das letzte Ziel finis ultimus, qui amatur, aber finis, cui amatur, ist der Mensch; denn er liebt zu seinem Besten, sein Wohl oder seinen Vorteil im Auge haltend.

Das Gesagte gilt es wohl zu beachten und ganz persönlich zu erwägen. Denn wie ist es tatsächlich: Liebe ich Gott ganz und ausschließlich um Seiner Selbst willen oder liebe ich Ihn um des eigenen Vorteils, des eigenen Wohls willen? Es wird wohl kaum jemand wagen, so ohne weiteres zu behaupten, allein Gott sei der Beweggrund und das Ziel seiner Liebe. Etwas anders gefragt: Würden wir Gott auch dann lieben, wenn Er uns dafür keinen Lohn schenken würde? Wenn wir daraus keinerlei Vorteil für uns selbst ziehen könnten? Lassen wir uns das Gemeinte noch etwas besser erklären:

3) Die Liebe des Verlangens ist deswegen keine vollkommene Liebe Gottes, keine Liebe im strengen Sinne des Wortes, sondern wie der heilige Thomas sich ausdrückt, nur ein amor secundum quid [ein Liebe im gewissen Sinne], weil sie von der Selbstliebe aus geht. Denn sie ist geradezu, direkt auf den Menschen gerichtet, dem sie Gutes will, und nur indirekt auf Gott, insofern nämlich das, was sie dem Menschen will oder wünscht, Gott ist. Bei solcher unvollkommenen Liebe wird Gott nicht eigentlich als ein liebenswertes Gut (bonum amabile), wenn unter Lieben Wohlwollen verstanden wird, sondern vielmehr als ein wünschenswertes Gut (bonum desiderabile) angesehen. Eine solche Liebe reicht also nicht hin, den Menschen außer dem Bußsakramente zu rechtfertigen, eben deshalb weil sie nicht eigentliche, wahre Liebe, sondern nur eine zur Aufnahme der im Bußsakramente einzugießenden Liebe erforderliche Vorbereitung und gleichsam ein Entgegenkommen des Willens ist. Eine solche unvollkommene Liebe ist aber immerhin löblich, gut und heilsam, weil Gott angenehm. Denn wenn auch das Wohlwollen sich zunächst auf den Menschen bezieht, so wird dennoch dadurch dem Menschen nicht ein Vorzug vor Gott eingeräumt. Gott bleibt immer das letzte Ziel und Ende, nach dem wir streben; wir schätzen und lieben Gott immerhin als das höchste, unendliche Gut.Wir lieben zwar Gott für uns; aber daraus folgt nicht, daß wir ihn unsertwegen lieben, so daß wir der Endzweck, Gott aber nur Mittel zum Zweck sei. Gott hat auch für uns seinen Sohn hingegeben, uns aber dadurch nicht seinem Sohne vorgezogen, nicht zum Endzwecke seiner Gabe gesetzt. Auch übernatürlich ist solche Liebe, weil das, was wir für uns begehren oder verlangen, der Besitz Gottes, mithin ein übernatürliches Gut ist.

Die unvollkommene Liebe geht noch von der Selbstliebe aus, sie erfaßt also Gott nicht direkt als höchstes Gut, sondern nur indirekt, denn wenn auch das Wohlwollen sich zunächst auf den Menschen bezieht, so wird dennoch dadurch dem Menschen nicht ein Vorzug vor Gott eingeräumt. Wenn wir Gott in dieser Weise lieben, dann dienen wir Ihm dennoch, Gott bleibt immer das letzte Ziel und Ende, nach dem wir streben; wir schätzen und lieben Gott immerhin als das höchste, unendliche Gut. Anderseits reicht diese Liebe außerhalb des Bußsakramentes nicht aus, die Vergebung der Sünden zu erlangen, denn sie ist nur eine zur Aufnahme der im Bußsakramente einzugießenden Liebe erforderliche Vorbereitung und gleichsam ein Entgegenkommen des Willens.

Jeder muß sich also immer wieder selbst prüfen, ob seine Liebe zu Gott noch unvollkommen oder vollkommen ist. D.h. er muß prüfen, was ihn letztlich bewegt, Gott zu lieben. Suche ich in meiner Liebe zunächst und vor allem den eigenen Vorteil (die ewige Glückseligkeit des Himmels) oder will ich, daß der Andere das Gute habe, obschon mir dadurch kein Vorteil entspringt, wie der hl. Thomas von Aquin sich ausdrückt. Letztlich sollen wir Gott allein um Gottes willen lieben, weil Er allein über alles, ja aufgrund seiner unendlichen Güte unendlich liebenswert ist. Die vollkommene Liebe ist ganz selbstvergessen, eine echte Liebe der Freundschaft.

Die Freude an Gottes Willen und Verherrlichung

Nun kann man sich freilich fragen, was Gutes wir Gott wünschen können, da Er die unendliche Fülle alles Guten seit Ewigkeit besitzt? Darauf ist mit dem Kardinal Cajetan zu antworten: „Das Gute, welches wir Gott zu wollen vermögen, ist zweierlei. Das eine ist in ihm, das andere bezieht sie sich bloß auf ihn. Das Gute, welches in ihm ist, ist sein Leben, seine Weisheit, Allmacht, Güte, Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und dergleichen mehr. Dieses Gute ist eigentlich Gott selbst, und dieses wollen wir ihm aus Liebe, wenn wir unser Wohlgefallen daran haben, daß Gott ist, Der er ist. Das Gute hingegen, welches sich bloß auf Gott bezieht, ist seine Ehre, sein Reich, der Gehorsam, den wir ihm leisten, kurz Alles, was zu seiner Verherrlichung gereicht. Dieses wollen wir Gott dem Herrn, so, daß wir nicht nur unser Wohlgefallen daran haben, sondern daß wir auch dessen Bestand und Vermehrung wünschen, dasselbe nach Kräften befördern, uns über dessen Vorhandensein freuen und über dessen Mangel betrüben.“

Unser Jesuit fügt diesen Worten Kardinal Cajetans die erklärende Bemerkung bei:

Es ist aber nicht notwendig, daß wir bei jedem Akte der Liebe das Gute, welches wir Gott wünschen, uns deutlich in Gedanken vorstellen; es reicht die Zuneigung des Herzens hin, welche aus dem Wohlwollen entspringt, oder besser das Wohlwollen selbst ist, wenn wir uns auch des Guten, welches wir wollen, im Augenblicke nicht klar bewußt sind. Diese Zuneigung muß aber die aufrichtige Gesinnung, den Willen Gottes zu tun, in sich schließen; denn nur dadurch bewährt sich das ungeheuchelte Wohlwollen gegen unsern Freund, daß wir von Herzen wollen, was er will, und das was er nicht will, auch nicht wollen. Deswegen sprach Christus zu seinen Aposteln: „Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch gebiete.“ Joh. 15, 4.

Den Glauben bewahren, auch ohne priesterliche Hilfe

Versuchen wir jetzt, unsere gewonnenen Erkenntnisse über die vollkommene und unvollkommene Liebe auf unser Leben anzuwenden. Es wird immer schwieriger, in unserer letzten Lebensstunde einen priesterlichen Beistand zu erlangen. Es ist noch schlimmer als damals in Deutschland zur Zeit des Kulturkampfes, als viele Priester des Landes verwiesen wurden und deswegen viele Gemeinden ohne Seelsorger waren. 1874, es war das dritte Jahr des preußischen Kulturkampfs, war im Bistum Paderborn, dem zweitgrößten in Deutschland, schon jede vierte Pfarrstelle verwaist und Hoffnung auf ein baldiges Ende der staatlichen Verfolgung gab es nicht. Angesichts dieser Not veranlaßte Bischof Konrad Martin, ein angesehener Theologe, die Drucklegung des Handbuchs „Gemeinden ohne Seelsorger“. Darin ist einleitend zu lesen:

Einige katholische Gemeinden sind bereits ohne Priester, viele andere wird voraussichtlich bald dasselbe Los treffen. Mit banger Besorgnis blicken die Gläubigen in die Zukunft und fragen: „Wie sollen wir alsdann unser Seelenheil wirken, was wird aus unsern Kindern werden, wer wird die Kranken und Sterbenden trösten?2 Ihnen antwortet der Herr selbst: „Fürchte dich nicht, du kleine Herde, denn es hat eurem Vater gefallen, euch das Reich zu geben.“ (Luk. 12, 32.) In dem heiligen katholischen Glauben besitzen wir das Unterpfand des ewigen Lebens. Wer den Glauben bewahrt und die Gebote hält, geht nicht verloren. Freilich bedürfen wir dazu der göttlichen Gnade, mit deren Ausspendung vorzugsweise das Priestertum betraut ist. Wenn aber die ordentlichen Gnadenspender fehlen, dann wird Gott in anderer, in außerordentlicher Weise seine Gnaden austeilen und zwar umso reichlicher, je größer die Not der Gläubigen ist. Weil indes der Mensch mit der göttlichen Gnade mitwirken muss, so ist es notwendig, einige Verhaltensmaßregeln zu kennen, welche in Ermangelung der Priester zu beobachten sind. Nach dem Vorgang der Schweizer Kirchenbehörde haben die vereinigten Oberhirten Preußens in ihrem gemeinschaftlichen Hirtenschreiben vom Februar 1874 und der hochwürdigste Bischof von Paderborn in seinem Abschiedsworte an seine Herde deshalb Weisungen erteilt. Gegenwärtiges Büchlein soll das dort Gesagte erläutern und vervollständigen. Dasselbe wird aber nicht bloß für den zunächst in’s Auge gefaßten Zweck, sondern im größten Teile seines Inhaltes für alle Zeiten höchst wichtige Lehren enthalten. Lies es darum mit Aufmerksamkeit und bewahre es sorgfältig auf.

Es hat in der Geschichte immer wieder Notzeiten gegeben, in denen die Gläubigen allein auf sich gestellt waren, weil die Priester verfolgt oder vertrieben wurden. Die Katholiken in England und Japan etwa waren fast 200 Jahre lang aller Seelsorge beraubt und haben dennoch ihren hl. Glauben unter ständiger Gefahr für ihr Leben bewahrt. Es galt, den Glauben ohne priesterliche Hilfe zu bewahren, wozu Gott selbstverständlich besondere Gnaden schenkt. Vor allem der Verzicht auf das hl. Meßopfer, die hl. Beichte, die hl. Kommunion wird wohl am schmerzlichsten empfunden. Was aber ist das wichtigste Mittel, um in solchen Notzeiten ohne priesterlichen Beistand standzuhalten?

Das Gebet des Gerechten – ein Schlüssel zum Himmel

In dem Gebetbuch für Gemeinden ohne Seelsorger ist zu lesen:

Die göttliche Barmherzigkeit gleicht einem unermeßlichen Meere, worin Gnaden in Überfluß sind für alle, die danach verlangen. Mag auch der Zutritt zu den ordentlichen Gnadenkanälen, den hl . Sakramenten euch jetzt sehr erschwert, ja unter Umständen unmöglich sein: keine Macht kann Gott den höchsten Herrn hindern, euch dennoch seine Gnade zufließen zu lassen, gleichwie keine Macht ihn hindern kann, Tau und Regen auf die Erde zu senden, wohin und wieviel er will. Aber Gott will um seine Gnade gebeten sein. Darum ist die Pflege des Gebetes namentlich für euch von der allergrößten Wichtigkeit. „Das Gebet des Gerechten“, sagt der hl . Augustinus, „ist ein Schlüssel zum Himmel.“

Hier haben wir ihn wieder, den Himmelsschlüssel. Nach dem hl. Augustinus ist das Gebet des Gerechten ein solcher. Warum eigentlich, kann man das Gebet einen Himmelsschlüssel nennen? Was sperrt uns dieser Schlüssel auf? Es ist das Herz Gottes, denn das Gebet ist – wenn es ein vollkommenes Gebet ist – ein Zwiegespräch zwischen Freunden. Es ist letztlich die Freundesliebe, die zum Gebet drängt.

Wenn ihr dieses Gnadenmittel eifrig benutzt, dann braucht ihr vor der ganzen Hölle nicht bange zu sein; wer dasselbe aber vernachlässigt, setzt seine Seele der größten Gefahr aus. Jeder von euch mache es sich in diesen schweren Zeiten zum unverbrüchlichen Gesetze, sein Morgen- und Abendgebet treu zu verrichten. Wem seine Arbeiten zu anderen mündlichen Gebeten wenig oder keine Zeit lassen, der erneuere Tages über öfters die gute Meinung; dadurch wird das ganze Tageswerk zu einem ununterbrochenen Gebete und angenehmen Brandopfer vor Gott. Betet in Versuchungen, wenn ihr in eine Sünde gefallen, wenn Traurigkeit oder andere Leiden euer Herz beschwert; ganz besonders betet in Krankheit und Todesgefahr! Eure Gebete seien andächtig, vertrauensvoll, beharrlich: dann ist die Erhörung gewiß.

Sterben ohne priesterlichen Beistand

Am schmerzlichsten empfindet man sicherlich das Fehlen eines Priesters auf dem Sterbebett. Welch ein Trost ist in den letzten Stunden die „Letzte Ölung“ mit der hl. Beichte und der hl. Kommunion als hl. Wegzehrung. Aber wenn man unverschuldet diesen Trost entbehren muß, dann wird doch wohl Gott auf andere Weise die notwendigen Gnaden für den letzten und entscheidenden Kampf im Leben geben. In dem Büchlein „Gemeinden ohne Seelsorger“ heißt es dazu:

„Sterbende genügen ihrer Gewissenspflicht, wenn sie vollkommene Reue und Leid erwecken.“ (Schweizer Kirchenverordnung) „In Todesgefahr erwecket, wenn Ihr einen rechtgläubigen Priester nicht haben könnt, einen Akt der vollkommenen Reue, der mit dem Verlangen nach dem hl. Sakrament die Seele von den ihr anhaftenden Sünden reinigt. Wohl ist zu einer solchen vollkommenen Reue die göttliche Gnade erforderlich, aber Gott wird diese Gnade Euch reichlich geben, wenn Ihr ihn demütig darum bittet.“ (Bischof von Paderborn) „Wenn Ihr ohne Eure Schuld der heiligen Sakramente beraubt werdet, aber im Glauben fest steht, dann wird Gottes Gnade alles ersetzen.“ (Die vereinigten Oberhirten)

Der Akt der vollkommene Reue -

Wie könnte uns Gott in der wichtigsten Stunde unseres Lebens ohne besondere Gnadenhilfe lassen, wenn wir keinen Priester erreichen können. Das Allerwichtigste in dieser traurigen Lage ist sodann, einen Akt der vollkommenen Reue zu erwecken.

Am schrecklichsten ist für die Gläubigen der Gedanke, nach dem Verlust ihrer Seelsorger ohne die hl. Sakramente sterben zu müssen. Aber tröstet euch nur! Wenn auch gerade auf dem Kranken- und Sterbebette der Mangel eines Priesters am schmerzlichsten wird empfunden werden, so werdet ihr doch ganz gewiß die Krone des ewigen Lebens erlangen, wofern ihr im Glauben fest steht und mit der Gnade Gottes treu mitwirket. Gott will das Heil aller Menschen und darum gibt er auch allen die hinreichende Gnade dazu: das ist Glaubenssatz. Er hat zwei Arten von Gnadenmitteln angeordnet, durch welche der Mensch die Gnade sich aneignen soll, nämlich die Sakramente und das Gebet. Ist nun der Empfang der hl. Sakramente unmöglich, dann knüpft Gott um so größere Gnaden an das mit dem Verlangen nach den Sakramenten verbundene Gebet; versiegt die eine Quelle, dann wird die andere um so reichlicher fließen. So kann die Wassertaufe durch die Begierde- und Bluttaufe, die wirkliche Kommunion durch die geistliche Kommunion, das Bußsakrament durch die vollkommene Reue ersetzt werden. Demgemäß lehrt ja auch der Glaube, daß diejenigen, welche ohne ihre Schuld außerhalb der wahren Kirche stehen, aber die Wahrheit ernstlich suchen und die Gebote halten, gerettet werden. Um wieviel mehr dürfen die treuen Kinder der Kirche Rettung und Heil hoffen! Wer verloren geht, geht nicht durch Gottes Schuld, durch Mangel an Gnade, sondern durch eigene Schuld, durch Mangel an Mitwirkung verloren. Sehr beherzigenswert in dieser Beziehung sind auch die Worte des hochwürdigsten Herrn Bischofs von Paderborn: „Je schwerer die Versuchungen zum Abfall, je größer die Gefahren und die Bedrängnisse: eine desto schönere Krone wird als Lohn für die bewährte Treue Euch einst zieren. O, wie ist es doch so schwer, diese himmlische Krone zu erringen, da ja der Heiland selbst uns sagt, daß man ins Himmelreich einzugehen, Gewalt brauchen müsse, und da der Apostel hinzufügt, daß der Weg zum Himmel durch viele Leiden und Trübsale hinführe! Anscheinend ist diese Schwierigkeit unter den gegenwärtigen Umständen eine noch größere, in Wahrheit aber ist sie jetzt eine geringere, es ist jetzt leichter, die Krone zu gewinnen, und Tausende, die sie unter ruhigeren, gemächlicheren, bequemeren Verhältnissen verscherzt haben würden, erlangen sie jetzt durch ihre Teilnahme an den heiligen Leiden und Kämpfen der Kirche.“

- der bedeutsamste Himmelsschlüssel

Wenn man alles auf einen Punkt bringen möchte, muß man sagen: Der bedeutsamste Himmelsschlüssel ist die vollkommene Reue. Diese setzt wiederum die vollkommene Liebe zu Gott voraus, weshalb man diese Reue auch Liebesreue nennt. Wie aber will jemand im Augenblick des Todes die Kraft zu einer vollkommenen Reue finden, wenn er diese im Leben nicht eifrig übt?! Wir müssen uns also unser ganzes Leben lang um die vollkommene Gottesliebe bemühen, damit wir im Augenblick des Todes allein aus Liebe zu Gott nochmals all unsere Sünden zutiefst bereuen. Diese Reue wird uns das Himmelstor aufsperren.

Greifen wir nochmals auf das Buch von P. J. Deharbe S.J. „Die vollkommene Liebe Gottes“ zurück. Nachdem dieser die vollkommene Gottesliebe lange erläutert und von der unvollkommenen klar unterschieden hat, faßt er zusammen:

Der Liebesakt wird nun mehr oder minder vollkommen sein, je nachdem er eine Liebe des Wohlwollens oder des bloßen Verlangens einschließt, und je nachdem die Liebe sich auf eine mehr oder minder hohe Stufe erschwingt; denn höher ist die Stufe, wie der Katechismus (Hpst. 2. §. 1. Fr. 9.) bemerkt, wenn wir aus Liebe nicht nur keine schwere, sondern auch nicht die geringste Sünde begehen wollen, und noch höher, wenn wir allezeit das Vollkommenste oder Gottgefälligste zu tun uns vornehmen. …

Denn lieben wir Gott, weil er es seiner Wohltaten wegen verdient, oder weil er uns zuvor geliebt hat, so lieben wir ihn Seiner selbst wegen, mithin vollkommen, wie schon gezeigt worden; da in diesem Falle nicht die Wohltaten das eigentliche spezifische Motiv der Liebe sind, sondern die unendliche Güte und Liebe Gottes, welche sich uns durch die Wohltaten offenbart. Darum sagt der heil. Franz von Sales: „Die Wohltaten entflammen uns nicht, wenn wir nicht den ewigen Willen betrachten, der sie uns zuteilt und das Herz des Heilandes, der sie uns durch so viele Mühsale und überdies durch sein Leiden und Sterben verdient hat.“ …Damit man das Gebot der Liebe Gottes vollkommen erfüllen könne, will der heil. Thomas, daß man vor allem die Wohltaten Gottes und dann erst dessen Schönheit betrachte. Die heil. Theresia war von Gott bis zu den höchsten Stufen des beschaulichen Gebetes erhoben worden. Die erhabensten Geheimnisse der Gottheit waren den Blicken ihres Geistes enthüllt. Wir dürfen ihr also wohl trauen, wenn sie schreibt: „So erhaben auch das Gebet sein mag, es soll nicht hindern das Leiden Christi zu betrachten. Meines Erachtens wäre es sehr gefehlt, wenn eine Seele, die sich dem beschaulichen Leben widmet, sich nicht öfters auf die Betrachtung des bittern Leidens verlegte.“ … Auf die Frage, „wann ist unsere Liebe zu Gott vollkommen?“ antwortet der Katechismus: „Unsere Liebe ist vollkommen, wenn wir Gott seiner unendlichen Güte wegen lieben, d. h. ihn über alles lieben, weil er unendlich gut ist sowohl in sich als gegen uns.“

Vollkommene Liebe und vollkommene Reue

Es leuchtet wohl leicht ein, wenn ein Herz von solcher Liebe erfüllt ist, daß es dann ganz und gar betrübt und zerknirscht ist über die eigenen Sünden. Wie konnte man nur Gott beleidigen, der so unendlich gut ist? Die Betrachtung der vollkommenen Gottesliebe führt also notwendig auch zur Betrachtung der vollkommenen Reue über die eigenen Sünden. So liest man bei P. J. Deharbe S.J.:

Wir gehen nun zur Lehre von der Reue über, und zwar erstens zur Lehre von der vollkommenen und dann von der unvollkommenen Reue. Reue ist Schmerz über die begangenen Sünden und Abscheu derselben. Schmerz und Abscheu entstehen aus der Liebe. Lieben wir jemand mit wohlwollender Liebe, so schmerzt uns das ihm zugefügte Übel, und wir verabscheuen dasselbe. Da nun, wie gezeigt worden, die vollkommene Liebe reines Wohlwollen gegen Gott ist, so ist demnach die vollkommene Reue ein Schmerz wegen des Gott durch die Sünde zugefügten Übels, d. h. wegen der ihm angetanen Unbilden oder Beleidigung. Dieses lehrt auch der heil. Thomas, indem er ausdrücklich erklärt, daß das Mißfallen an der Sünde, als einer Beleidigung Gottes (propter Dei offensam) zur vollkommenen Liebe gehöre (pertinet ad caritatem). Jedoch muß, damit die Reue vollkommen sei, die Beleidigung als ein Gott angetanes Übel oder Unrecht angesehen werden; denn betrachtete man sie bloß als ein Übel, wodurch man sich selber geschadet, nämlich den Zorn Gottes sich zugezogen oder seinen Segen von sich abgewendet hätte, so wäre die Reue unvollkommen; weil sie dann nicht aus der wohlwollenden, sondern aus der begehrlichen Liebe entstände. Dem Gesagten gemäß antwortet der Katechismus auf die Frage: „Wann ist die Reue vollkommen?“ „Wenn sie aus der vollkommenen Liebe entsteht, d. h. wenn wir die Sünde mehr als alle andern Übel verabscheuen einzig darum, weil sie Gott, das höchste Gut, beleidigt.“

Erst die vollkommene Liebe erkennt die Sünde in ihrem tiefsten Wesen als Beleidigung der höchsten Güte Gottes. Alle anderen Folgen der Sünde sind dagegen zweitrangig.

Vollkommene und unvollkommene Reue

Dabei ist dennoch zu beachten:

Wir haben dabei zu bemerken, daß die Beschränkung einzig darum nicht so zu verstehen sei, als müßte von der vollkommenen Reue jedes andere Motiv ausgeschlossen sein; denn was von der Liebe gesagt worden, daß nämlich die vollkommene und unvollkommene sehr wohl nebeneinander bestehen könne, da man ja denselben Gegenstand zu gleicher Zeit aus verschiedenen Beweggründen zu lieben vermag; ebendasselbe gilt auch von der Reue. Das Wörtchen einzig deutet also nur an, daß der Schmerz Gott, das höchste Gut, beleidigt zu haben, an und für sich hinreichen müsse, damit wir die Sünde (wenigstens die Todsünde) auch ohne Hilfe anderer Motive mehr als alle Übel der Welt verabscheuen; denn reichte er dazu nicht hin, sondern bedürfte es noch der Furcht der Strafen, damit wir den kräftigen Entschluß faßten, um keinen Preis irgend eine schwere Sünde zu begehen, so wäre unsere Reue nicht vollkommen; weil sie dann nicht aus einer vollkommenen Liebe Gottes entstände.

Gott möchte uns zu einer möglichst vollkommenen Liebe und Reue führen. Je mehr wir die unendliche Güte betrachten, desto dankbarer werden wir für alle Gnaden sein, die uns aus ihr zufließen. Die göttliche Gnade erhebt unsere Natur, so daß wir fähig werden, Gott ganz selbstlos zu lieben – d.h. ohne Furcht vor Strafe und ohne Rücksicht auf den eigenen Vorteil.

So gelangt der Sünder mit Hilfe der göttlichen Gnade zur vollkommenen Reue. Das ist die Reue, welche der heil. Chrysostomus dem Sünder vorzüglich empfiehlt: „Hast du gesündigt“, spricht er, „so bereue es, nicht darum, weil du gestraft werden sollst, denn das heißt nichts; sondern weil du den Herrn deinen Gott beleidigt hast, der so gütig ist, dich so sehr liebt, dein Heil sich so sehr angelegen sein läßt, daß er um deinetwillen seinen Sohn hingegeben hat. Deswegen bereue die Sünde.“

Die vollkommene Reue muß geübt werden

Man muß sich also aus ganzem Herzen um eine vollkommene Liebe zu Gott bemühen, wenn man seine Sünden wahrhaft aus Liebe zu Gott bereuen möchte. Auch muß man die vollkommene Reue oft, ja täglich üben, wenn man in der Todesstunde fähig sein möchte, diese zu erwecken. P. J. Deharbe S.J. ist überzeugt:

Wer demnach die Sünde über alles bereut, weil er durch dieselbe entweder Gott, seinen besten und liebenswürdigsten Vater, den er nun aus wohlwollender oder kindlicher Zuneigung über alles liebt, beleidigt hat, oder weil er gegen seinen lieben, für ihn gekreuzigten Heiland so entsetzlich undankbar gewesen ist und ihn, wie auch nach Paulus der Römische Katechismus sich ausdrückt, in seinem Herzen neuerdings gekreuzigt hat, dem fehlt, wofern wirklich die dankbare Liebe der Grund seines Schmerzes ist, wenigstens nach unserm Dafürhalten die vollkommene Reue nicht. Und ein solcher wird vermöge einer derartigen Reue, wenn er dabei den Willen hat, das Bußsakrament zu empfangen, auch vor dessen Empfange schon gerechtfertigt.

Zur vollkommenen Reue gehört selbstverständlich auch ein entsprechender Vorsatz. Wenn man die Sünde vollkommen bereut, wird man alles tun, um fernerhin nicht mehr zu sündigen. Ja, die vollkomme Reue geht soweit, auch alle läßlichen Sünden mit aller Kraft der Seele zu meiden. Zum Vorsatz gehört aber nicht nur das Meiden der Sünde, sondern auch die vermehrte Hinwendung zu Gott, wie unser Jesuit ebenfalls in Erinnerung ruft:

Wahre Buße ist nicht bloß Haß der Sünde, sondern auch Hinwendung und Rückkehr zu Gott: „Bekehret euch zu mir, so werde ich auch mich zu euch bekehren, spricht der Herr der Heerschaaren.“ Zach. 1, 3. „Der Gottlose verlasse seinen Weg und der Ungerechte seine Gedanken, und bekehre sich zum Herrn, so wird er sich seiner erbarmen.“ Isai. 55, 7. „Wenn du den Herrn deinen Gott suchest, so wirst du ihn finden; wenn du ihn nur von ganzem Herzen suchest“ 5. Mos. 4, 29. „Die Buße“, sagt der heil. Augustin, „macht nur der Haß der Sünde und die Liebe Gottes zuverlässig.“ Und anderswo: „Dann erst sind die Laster als besiegt zu erachten, wenn sie durch die Liebe Gottes besiegt werden.“

Ob diese Rückkehr zu Gott tatsächlich gelingt oder nicht, da ist wohl das tägliche Gebet entscheidend. Wir haben gehört, wie der hl. Augustinus das Gebet einen Himmelsschlüssel genannt hat. Ein zweiter Himmelsschlüssel ist die aus dem Gebet erwachsene vollkommene Gottesliebe, aus der wiederum die vollkommene Reue als dritter goldener Himmelsschlüssel entspringt. Wenn man sich um diese drei Himmelsschlüssel bemüht, kann man jeden Tag, ja jeden Augenblick die Himmelstüre aufschließen, sobald man das Unglück gehabt hätte, durch eine Todsünde diese verschlossen zu haben.

Dabei muß man sein ganzes Leben lernen, diese drei Schlüssel recht zu handhaben. Dann werden sie uns auch ganz sicher in unserer letzten Stunde die Tore zur himmlischen Glückseligkeit aufschließen. Der gelehrte und fromme Kardinal Franzelin tat deswegen den Ausspruch: „Wenn ich als Prediger die Länder durchziehen könnte, würde ich von nichts öfter reden als von der vollkommenen Reue, denn dies ist eine sehr wichtige Sache; unzählige Seelen sind im Himmel, die ohne sie verloren gegangen wären. Ein jeder Christ sollte über die Tragweite und Wirksamkeit eines Aktes vollkommener Liebe und Reue, sowohl für seine eigene als auch für die Todesstunde anderer, deren Zeuge er sein mag, gründlich unterrichtet sein.“

Vollkommene Reue

Was habe ich getan, da ich gesündigt habe! Ich habe dich, o Gott, beleidigt, der du das höchste, schönste, beste und lie­benswürdigste Gut bist! Du bist der unendlich erhabene, all­mächtige Gott, der den Himmel und die Erde und alles, was darin ist, erschaffen hat! „Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre; der Erdkreis betet dich an!“ Du bist der dreimal heili­ge Gott, dem die Engel „Heilig, heilig, heilig…“ singen und den alle Engel und Heiligen in Ehrfurcht anbeten. Du bist der unendlich gütige, getreue, barmherzige Gott! O mein Gott! Ich liebe Dich über alles, weil Du die unendliche Schönheit und Vollkommenheit bist! Ich liebe Dich aus gan­zem Herzen, aus ganzer Seele, aus ganzem Gemüte und aus allen meinen Kräften. Und darum reut es mich in tiefster Seele, daß ich Dich, den unendlich guten Gott, durch meine Sünden so oft und so schändlich beleidigt habe. Verzeih mir, o gütiger, barmherziger Gott, alle Sünden meines ganzen Lebens! Ich nehme mir fest vor und verspreche dir: Ich werde dir immer treu bleiben, treu bis in den Tod. Lieber will ich sterben, als je wieder eine Todsünde begehen. Und auch die läßlichen Sünden will ich nach Kräften meiden. Barmherziger Gott, gib mir Deine Gnade dazu! Amen.