Predigt von Georg Joseph Saffenreuter zum Fest Maria-Himmelfahrt, gehalten in der Marien-Kapelle auf dem Markt zu Würzburg 1835.
Maria optimam partem elegit. - Maria hat den besten Teil erwählt. Luk. 10, 42.
Wenn sich am Grabe ausgezeichneter Könige die Redner beklagen, daß sie die Großtaten ihrer verewigten Helden nicht in den kurzen Umfang einer Rede zusammenfassen können, welches Recht zu dieser Klage hat nun erst der Redner am heutigen Festtage, da er auf den Lebenslauf der Königin des Himmels und der Erde, der hochgeehrten Tochter, der hochgeehrten Mutter, der hochgeehrten Braut Gottes zurück, und in ihr gegenwärtiges, verklärtes Leben hinschauen soll? Die arme Sprache muß hinter einem solch erhabenen Gegenstande zurückbleiben, das himmlische Leben Mariens auf Erden, und jetzt in der Verklärung läßt sich nicht in irdische Worte einschließen. Es gehört nichts Geringeres, als der Geist Mariens selbst dazu, ihr Erden- und Himmel-Leben zu beschreiben. Sie wählte ihn aber
I. Auf Erden,
II. Im Himmel.
Heilige Maria, Mutter Gottes! bitte für uns arme Sünder, damit wir durch die heutige Betrachtung deiner Himmelfahrt gerührt, jetzt im Leben und einst in der Stunde unsers Absterbens den besten Teil erwählen!
I.
Maria hat den besten Teil erwählt auf Erden. Wenn der heil. Paulus immer rief: „Ich wünsche aufgelöst und bei Jesus zu sein!“ mit welcher Sehnsucht wird erst Maria stets gerufen haben: „Ich wünsche aufgelöst und bei Jesus zu sein!“ Was war es denn noch, das sie an diese Erde fesseln konnte? Ihr heiliger Vater Joachim lag neben ihrer heiligen Mutter Anna schon im Grabe; ihr heiliger Gemahl Joseph hatte in ihren und in den Armen Jesu seine bräutliche Seele ausgehaucht; die Apostel waren in alle Teile der Welt hinausgeeilt, Jesus war aufgefahren, fast alle ihre Lieben waren heimgegangen, nur der einzige Johannes war ihr noch übrig, und so wie er der einzige war, der sie neben dem Kreuze nicht verließ, so war er jetzt der einzige, der, dem Auftrage Jesu am Kreuze gemäß, die Hochgebenedeite zu sich nahm und für sie sorgte. Freilich steigt jedem hier die Frage auf: Warum denn wohl Gott die seligste Jungfrau so allein auf Erden zurückließ, daß sie nicht sogleich mit ihrem scheidenden göttlichen Sohne von dieser Erde scheiden konnte?
Gottes hl. Absichten sind unerforschlich. Sie, die Mutter des gekreuzigten Erlösers wurde von so vielen, als sie unter dem Kreuze stand, für die Mutter eines Verbrechers gehalten; jetzt sollte sie nun noch einige Zeit auf Erden verweilen, von Johannes bis in ferne Gegenden mitgenommen werden, um von allen Christen als Mutter Gottes schon auf Erden gesehen und verehrt zu werden. Was sie einst in heiliger Begeisterung aussprach: „Darum werden mich seligpreisen alle Geschlechter“, das sollte schon in ihren Erdentagen bei vielen Geschlechtern wahr werden. …
Aber endlich nahte nun auch für Maria jene Stunde, da sie wie ihr göttlicher Sohn auffahren sollte zu ihrem Vater und zu unserm Vater, zu ihrem Gott und zu unserm Gott. Im Hause meines Vaters sind viele Wohnungen, ich gehe hin, euch eine zu bereiten – so sprach Jesus zu seinen Jüngern – und wenn er hingegangen ist, uns Sündern Wohnungen zu bereiten, welche Wohnung wird er erst seiner Mutter bereitet haben? Wenn über einen Sünder, der Buße tut, mehr Freude ist, als über 99 Gerechte, welche Freude mußte erst im Himmel sein, als die Königin der Heiligen ihren Siegeseinzug hielt?
Maria: Heil der Kranken und Zuflucht der Sünder
Wir Sünder sind nach den Worten der Schrift berufen, mit Gott zu herrschen – zu welcher Herrschaft wird nun erst die Mutter Gottes berufen sein? Die Berge und Täler, die Hütten und der bethlehemische Stall, Nazareth, Jerusalem und die Städte, wo sich der h. Johannes, der Evangelist, mit Maria aufhielt, waren laute Verkünder der hohen Tugenden der göttlichen Mutter. Aber der Zeitpunkt war gekommen, da die Apostel über die entlegensten Meere, über himmelbenachbarte Felsen den Namen Jesu und mit ihm den Namen Mariens trugen – ihre stillen Tugenden sollten laut von einem Weltende bis zum andern, vom lallenden Kinde, wie vom stammelnden Greise erzählt werden. Die Namen Jesu und Mariens sollten die Zungen der Asiaten, und Afrikaner, der Europäer, ja jedes Menschen heiligen, damit alle Geschlechter seligpriesen jene, welche der Erzengel die Gebenedeite ihres Geschlechtes nannte. Wie viele Kinder nahm sie wohl, wie ihr göttlicher Sohn, auf ihren Schoß und sprach mit ihnen vom Reiche Gottes? Wie vielen Lahmen gab sie durch ihre Fürbitte Kraft zum Gehen, wie vielen Blinden das Gesicht, wie vielen Tauben das Gehör, wie vielen Stummen löste sie die Zunge zum ewigen Lobe Gottes? Wie vielen Bedrängten war sie tröstende Mutter, wie vielen Leidensbeladenen machte sie die Bürde leicht, und das drückende Joch süß? Wie manchen Toten rief sie wohl auch ins Leben zurück? Ist sie ja doch besonders die zweite und wahre Mutter der Lebendigen! Und hat sie so nicht den besten Teil erwählt?
Oder sollte Jesus andern allein die Wundergabe gegeben, und sie seiner Mutter versagt haben? Wie? Sollte Maria zu ihren Lebzeiten keine hohen Wunder gewirkt haben, da jetzt auf ihre Fürbitte so unendlich viele Lahme gehen, Blinde sehen, Taube hören, Stumme reden und Leidende zu leiden aufhören? So weit der Name Mariens genannt wird, stehen Denkmale ihrer wunderbaren Fürbitte. Die hunderttausend Kirchen, welche ihren Namen tragen, zeigen hunderttausend Wunder ihres Namens, und darum ruft die hl. Kirche mit allem Rechte ihr entgegen: „Du wunderbare Mutter!“ Warum sollte Maria nur nach ihren Lebzeiten ein Heil der Kranken, eine Zuflucht der Sünder, eine Trösterin der Betrübten sein?
Der Heimgang Mariens
So war sie denn gleichsam nach der Auffahrt Jesu seine Stellvertreterin auf Erden mit; ihr menschliches Ebenbild hatte sie ihm gegeben, und er gab ihr gleichsam durch Verleihung der Wunderkraft sein göttliches. Allein nun war der Augenblick gekommen, da der Spiegel der Gerechtigkeit auf Erden nicht mehr sichtbar glänzen, der Sitz der Weisheit seinen Sitz im Himmel aufschlagen, die Ursache unsers Heils zum Bewirker unsers Heils zurückkehren, die Braut des hl. Geistes von diesem Geiste nicht mehr überschattet, sondern ewig überstrahlt, die geheimnisvolle Rose im Paradiese blühen, der Turm Davids an der Seite Davids stehen, der elfenbeinerne Turm neben dem Lamme Gottes verweilen, das goldene Haus ins Haus des Vaters, die Arche des Bundes in die Arche des Himmels, die Pforte des Himmels in das Innere derselben versetzt, der Morgenstern im ewigen Lichtreiche aufgehen, das Heil der Kranken zu den ewig Gesunden, die Zuflucht der Sünder zu den entsündigten Heiligen, die Trösterin der Betrübten zu den ewig Seligen, die Hilfe der Christen zum helfenden Christus, die Königin der Engeln, Patriarchen, Propheten, Apostel, Martyrer, Beichtiger, Jungfrauen und aller Heiligen zu allen Heiligen zurückkehren sollte – d. h. der Augenblick war gekommen, da Maria zum Lamme Gottes aufgenommen werden sollte, um es für uns zu bitten, daß es unsre Sünden hinwegnehme.
Die Sehnsucht Mariens
Eben war wohl Maria wie einst bei der Verkündigung der frohen Botschaft in Gott versunken, und schmachtete, wie der Hirsch nach den Wasserbächen, so nach dem Lebensstrome, der bis in jenes Leben hinüberquillt; sie wünschte vielleicht noch nie sehnlicher, aufgelöst und bei Jesus zu sein. Und wer wird einer Mutter die Sehnsucht nach ihrem Kinde, wer wird der Gottesmutter die Sehnsucht nach dem Sohne des lebendigen Gottes verargen? Ihr Tagewerk war vollendet. Sie konnte im Triumphtone wie ihr göttlicher Sohn rufen: „Es ist vollbracht!“ Vollbracht war ein Leben, wie noch keines auf Erden war, noch sein wird – eine Jungfrau vollbringt ihren Heldenlauf, und ihr ist die Krone der Gerechtigkeit hinterlegt – ihr, der Königin des Himmels und der Erde.
Maria leidet und duldet, Maria herrscht mit ihrem göttlichen Sohne
Eine Jungfrau vollendet, die die Heiligkeit der Jungfräulichkeit mit der Würde der Mutterschaft vereinigt; eine Jungfrau vollendet, die den himmlischen Vater zum Vater, den ewigen Sohn zum Sohne, den Hl. Geist zum Bräutigam hat – eine Jungfrau vollende, deren Tugendlob in Hütten, auf Bergen, in Tälern, im Tempel wie im Stalle zu Bethlehem wiederhallt; eine Jungfrau vollendet, deren Wohnung eine Werkstätte der Arbeit war, die sich aber, sobald sich der Tag neigte, in eine Werkstätte des Gebetes und der Andacht umwandelte; eine Jungfrau vollendet, die von allen Leiden bedrängt, in allen Leiden siegte, und so den besten Teil erwählte. Mächtiger als durch die krachenden Felsen und durch die erwachten Toten dringt der Ruf ihres sterbenden Sohnes durch ihre Mutterseele: „Es ist vollbracht!“ Das sich neigende Haupt des Sohnes beugt der Mutter Herz zum undenklichsten Schmerze; aber, wenn auch die Erde bebt, die Felsen wanken, die Sterne zittern, und die Hunderttausende um Golgotha erschaudern, – Eine steht da neben dem Kreuze, und ihre schmerzzermalmte Seele zittert nicht, wankt nicht, bebt nicht, schaudert nicht. Maria leidet, wie kein Sterblicher mehr leiden wird, aber sie leidet wie die Mutter des starkmütigen Erlösers! Gleichweit entfernt von jener gefühllosen Ergebung in die Dinge, die man nicht ändern kann, wie aber auch von jeder betäubenden Ohnmachtsschwäche, die des Christen, und um wie viel mehr der Mutter Christi unwürdig ist, leidet sie im vollsten Bewußtsein ihres Schmerzes und in unerschütterlicher Ergebung in Gottes Willen. So hatte Maria von ihrem Sohne gelernt, wie der Mensch sein Tagewerk vollbringen, den besten Teil erwählen müsse. …
Die unermüdlichste Arbeiterin in Gottes Weinberg
Mit welcher Aufmerksamkeit stehen gute Kinder am Sterbebette ihrer Eltern? Jede Kleinigkeit beobachten sie, um den sterbenden Teueren ihre Liebe noch kund zu tun, und mit welcher Liebe wird der beste Sohn Jesus Christus am Sterbebette seiner hl. Mutter gestanden sein! Wenn Gott die Arbeiter, die des Tages Last und Hitze getragen haben, zur Erquickung unter dem kühlenden Laube schattiger Bäume von ihren Mühen ausruhen läßt, welche Erquickung wird er seiner hl. Mutter an ihrem Lebensabende angedeihen lassen, ihr, die als unermüdete Arbeiterin in seinem Weinberge die Last und Hitze von etlichen und sechzig Jahren besonders unter dem bluttriefenden Weinstocke des Kreuzes auf Golgotha getragen hat? O gewiß deckten jene hl. Engel, die einst an der Krippenwiege des Erlösers sangen, ihre Lilien und Palmen über die hohe Sterbende, in sanften Tönen sangen sie ihr gewiß das Friedenslied: „Ehre sei Gott in der Höhe, und Friede ihr, der hohen Vollenderin, die eines guten Willens war!“ Wie uns eine alte Überlieferung meldet, welche die Kirche in ihre Tagzeiten aufgenommen hat, erschienen die Apostel bei dem Lebens-Ende Mariens aus den entferntesten Gegenden, wo sie bereits den Namen Jesu und Mariens verkündigt hatten.
Aber wessen Sorgfalt wird wohl die Sorgfalt aller andern Apostel übertroffen haben? Einem Johannes war Maria vom Kreuze aus anempfohlen, und der Jünger der Liebe, der sich vom Kreuzbette des sterbenden Sohnes nicht entfernte, wie wird er sich wohl am Sterbelager der Mutter Jesu benehmen?
Ein ganz besonderes Sterbelager
Indessen war dies ein ganz besonderes Sterbelager. Die Sterbende bedurfte nicht des Trostes, denn sie ist ja selbst die Trösterin der Betrübten; aber eben den Umstehenden gereichte ihr verklärtes Angesicht – ihre himmlische Ruhe im letzten Augenblicke – ihre flammende Sehnsucht nach ewiger Anschauung Gottes zum Sporne, rastlos zu kämpfen und zu leiden, bis der Sieg errungen ist in letzter Stunde. Jetzt wurden die Pulse der Sterbenden immer matter, da dankt sie den umstehenden, wohlbekannten Freunden ihres göttlichen Sohnes, und besonders ihrem Beschützer Johannes, erhebt nun ihre jungfräulich-mütterliche Stimme und spricht: Vater! Sohn! verzeihe allen meinen Beleidigern, denn sie wußten nicht, was sie taten! Vater siehe deine Tochter – Sohn siehe deine Mutter! Heute noch laß mich bei dir im Paradiese sein! – Vater! du hast mich nie verlassen! Es dürstet mich nach deinem Lande, welches von ewiger Milch und Honig fließt! – Es ist vollbracht! – Vater – Sohn in deine Hände befehle ich meinen Geist! – Jetzt neigte sie ihr Haupt – die Palmen und Lilien der Engel bogen sich sanft über die Vollenderin, und hoch pries nun jenseits ihre Seele den Herrn, und ihr Geist frohlockte in Gott seinem Heilande – Maria hatte den besten Teil erwählt. Im Garten Gethsemani, sagen die kirchlichen Tagzeiten, ward der selige Leib, der Jesum getragen, begraben. Aber keine römischen Wächter, kein Staatssiegel befanden sich an diesem Grabe – hier am Grabe ihrer Königin hatten die hl. Engel die Wache, welche einander nur durch gegenseitigen Feiergesang ablösten.
Der Trauerzug zum Begräbnis
Nun aber, Andächtige! wer beschreibt das Leichenbegängnis der erhabensten Jungfrau und Mutter des Himmels und der Erde? Die Kirchen-Fürsten gehen neben dem Sarge. Jene Männer, die den Erdkreis unter sich geteilt und bereits durch die Posaune des Evangeliums aufgelockert hatten, begleiteten die hl. Leiche. Sie trugen zwar keine Trauerfackeln in den Händen, aber die Flamme des Heiligen Geistes loderte auf ihren Häuptern, denn es galt jener, die einst dieser Geist umschattet hatte. Nun folgten in Scharen die Christen, in Scharen alle diejenigen, welche die Vollenderin gespeist, getränkt, bekleidet, beherbergt, in ihren Krankheiten besucht, und getröstet hatte. Am Grabe seines Freundes Lazarus weinte einstens der Heiland, und die Juden sagten: „Seht, wie lieb er ihn gehabt hat, denn er weint!“ und warum sollten die Kinder, Erwachsenen und Greise nicht am Grabe Mariens weinen, war sie denn nicht ihre Mutter? und woher sollten sie eine zweite solche erhalten? Der Leib Mariens lag also im Grabe, aber wie konnte dieser selige Leib, in welchem Gott Fleisch geworden ist, wie konnten jene seligen Brüste, die ihn gesäugt, für immer im Grabe bleiben?
Der Leib Jesu war bereits verklärt in den Himmel aufgefahren, und der Leib Mariens, von dem der verklärte Leib Jesu stammte, sollte die Verwesung schauen? Nein, Andächtige! in jenes Reich, wohin bereits der Leib Jesu aufgefahren war, dahin durfte auch der Leib Mariens kommen. Oder wie? Sollte Jesus der Tochter des Jairus einen Vorzug vor seiner hl. Mutter geben? Wie liebevoll sprach er zu diesem Mädchen: Stehe auf! wie liebevoll nahm er es bei der Hand, und entriß es dem Wurme der Verwesung! und seine Mutter sollte er nicht mit Allmachtshand dem Tode entreißen, zu ihr sollte er nicht mit Sohnes- und Gottes-Liebe sprechen: Mutter stehe auf zum ewigen Leben – denn ich bin die Auferstehung und das Leben?
Die leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel
Der Tod ist der Sünde Sold – in Maria war aber keine Sünde; folglich hatte der Tod kein Verwesungsrecht über den seligen Leib, der Gott getragen, über die seligen Brüste, die ihn gesäugt. Ganz hiermit einverstanden fahren die kirchlichen Tagzeiten fort. Als man am dritten Tage das Grab Mariens öffnete, entstieg demselben ein Wohlgeruch, aber der Leib Mariens war nicht mehr da – er war aufgenommen zu seinem Vater und zu unserm Vater, zu seinem Gott und zu unserm Gott.
So, Andächtige! hatte nun Maria den besten Teil auf Erden erwählt. Wenn auch rings von Leiden bestürmt, von Schmerzensschwertern durchbohrt, war sie denn doch die stille Dulderin, hatte den festen Blick emporgerichtet zur einzigdauernden Hilfe, und darum hatte sie ja gewiß den besten Teil erwählt. Aber sowie sie ihn auf Erden, so hat sie ihn…
II.
…jetzt auch im Himmel erwählt. Ich sehe die Königin des Himmels ihren Einzug in ihr Reich halten. Es ist mir, als träte der Fürst der Kirche hervor, und überreichte seiner Königin im Augenblicke ihres Emporschwebens ehrerbietig des Himmels Schlüssel. Freundlich gibt sie ihm sie wieder zurück, und spricht: „Wie mir, so Allen!“ Aus den reinigenden Flammen eilen Seelen, sich dem Siegeszuge anzuschließen, während die Pforten der Hölle dröhnen, der Wurm, getreten von starker Ferse, sich krümmt. Da rollen die Sterne wie in einem Gewaltgesange dahin, die Sonne erblaßt vor dem nahenden „Stern des Meeres, “ aus dem die Sonne der Gerechtigkeit einst aufgegangen, eine Krone von zwölf Sternen umkreist Mariens leuchtendes Angesicht, und freudig schmiegt sich der Mond als Schemel ihrer Füße. So sehe ich gleichsam die Himmlischen dem Himmel entgegenschweben, Maria an Jesu Seite, und nachdem sich der Siegeszug schon lange den Augen der Apostel entzogen hat, liegen diese noch auf ihren Knien, unbeweglich die ziehenden Wolken betrachtend, die die Seligen umschleiert haben.
Ihr Empfang im Himmel
Entschlossen standen sie endlich auf, drückten einander den Kuß des Friedens auf die heiligen Lippen und eilten jeder in das Land, dessen Angesicht er zu erneuern begonnen. An der Schwelle des Himmels sehe ich ein Sternenheer zur mächtigen Triumphpforte gestaltet, die Kinder Bethlehems in blendend blauem Lichtgewande streuen vor der Einziehenden unverwelkliche Kränze. Da steht nun sogleich das erste Elternpaar. O heiliges Entzücken, o Paradieseswonne! Die erste Eva, die die glückselige Sünde beging, die einen solchen Erlöser erwarb, liegt in den Armen der zweiten Eva, die diesen Erlöser gebar. Die erste Eva würde nicht hier sein, wenn die zweite nicht gekommen wäre.
Adam! Der Tod trat durch dich in die Welt, und nun steht diejenige vor dir, durch die das Leben in die Welt kam! Nun trat Joseph hervor, und siehe, man sah, wie der Psalmist sagt, wie Gerechtigkeit und Friede sich geküßt. Ergeben suchten beide einst den rauhen Weg nach den Fluten des Nil, nun gehen sie Hand in Hand auf Rosenpfaden dem Strome des Lebens entgegen, der da im Krystallglanze flutet vor dem Throne Gottes und des Lammes. –
Jauchze mein Herz von kindlichem Gefühle! denn ich sehe meine Königin, wie sie mit kindlichem Danke Joachims und Annas Hände ergreift. Vater Mariens! was denkst du? Mutter Mariens, was fühlst du? O Elternpaar, da stehst du, deine Tochter in der Mitte, die Königin des Himmels und der Erde, die Tochter des göttlichen Vaters, die Mutter des göttlichen Sohnes, die Braut des göttlichen Geistes! Joachim! auf deinen Armen trugst du sie, die auf den ihren Gottes Sohn getragen! Anna! unter deinem Herzen trugst du sie, die unter dem ihren des Himmels höchstes Heiligtum verborgen.
Hochpreiset meine Seele den Herrn…
Weiter schreitet Maria, sie sieht Elisabeth, grüßt sie, und in dem Augenblicke sehe ich Johannes aufspringen von seinem goldnen Sitze. Fülle des Heiligen Geistes durchdringt Elisabeth und mit hehrer Stimme ruft sie: „Gesegnete du unter den Frauen, gesegnet deines Leibes Frucht! Heil mir, daß die Mutter meines Herrn zu mir kommt!“ Da stimmte Johannes ein ins Wort der Mutter und sprach: „Selig du, die du geglaubt, es werde in Erfüllung gehen, was dir vom Herrn verheißen.“ Jetzt durchzuckte desselben Geistes Kraft die Königin, und hingerissen vom Gefühle des Dankes, Lobes und der Anbetung öffnet sie den Mund – die Himmel schwiegen, und von der reinsten Kehle höre ich schallen das hohe Lied: „Hoch preist meine Seele den Herrn, und mein Geist frohlockt in Gott seinem Heile.“ Da rissen plötzlich Engel, Erzengel, Mächte und Gewalten mächtige Töne von zitternden Harfen, die Himmel bebten und die Seligen sangen: „Gnädig sah Er herab auf die Demut seiner Magd – siehe von nun an werden sie seligpreisen alle Geschlechter. Großes hat an ihr getan der Mächtige, und heilig ist Sein Name.“
Da schwiegen die Engel, aber die seligen Menschengeister sangen in hoher Freude: „Erbarmen zeigt Er von Geschlecht zu Geschlecht bei denen, die ihn fürchten.“ Jetzt fiel die ganze Schar der Engel wieder ein, und der stolzen Hölle Abgrund bebte zum Jubel der Seligen, die da sangen: „Er zeigt seines Armes Gewalt, zerwirft die Stolzen im Dünkel ihres Herzens. Mächtige stürzt er vom Thron, und Niedrige hebt er empor. Er spendet den Dürftigen reichliche Güter, und die Reichen weist er leer zurück.“ Da schwieg Alles, und die Königin feierte allein des Ewigen hohes Lob: „Er hat sich Israels, seines Zöglings angenommen, eingedenk des Erbarmens, wie er es unsern Vätern verhieß, Abraham und seinen Nachkommen in Ewigkeit!“ Feierlich hallte das letzte Wort durch die schweigenden Himmel.
Königin der Patriarchen, Propheten, Bekenner und Jungfrauen und aller Heiligen
Jetzt sehe ich Zacharias hervortreten, und höre ihn zu Maria sagen: „Gepriesen sei der Herr Gott Israels! Gnädig nahte er sich und sandte seinem Volke Rettung. Eine mächtige Rettung stellte er auf in Davids, seines Dieners Familie.“ Ich sehe die noch ferne stehenden Propheten in die Saiten greifen, und aus ihrem Munde schallt Zacharias‘ Wort: „Rettung von unsern Feinden und aus der Hand aller, die uns hassen.“ Jetzt ist mirs, als wändte sich Zacharias zu Johannes, sprechend: „Und du, ein Prophet des Höchsten, der du dem Herrn vorangegangen, ihm den Weg zu bereiten, siehe! zum Thron, des Allerhöchsten gehst du jetzt der Mutter des Herrn voran.“ Und dem Heiligsten vom Weibe Geborenen ziemte es, der Jungfrau, die den Allerheiligsten gebar, voranzuschreiten.
Und siehe! dem hohen Zuge nahen die Weisen des Morgenlandes; Könige der Erde neigen sich vor ihrer Königin, und innig sprach Maria zu dem, der einst die Myrrhe geopfert: „Ich danke dir.“ Neben den Königen erblickt sie auch die Hirten Bethlehems. Lange ruht ihr Blick auf ihnen. Die Taubeneinfalt derselben war ja mit ihr, der Taube Salomons, verschwistert. Da tritt ihr Simeons erhabener Geist entgegen, spricht Segenswünsche über sie aus, und sagt: „Der Herr hat meine Königin in Frieden scheiden lassen, damit ihre Augen die vielen sehen sollen, denen er zum Auferstehen und Heile gereichte. Das bittere Wort meines Mundes und das Schwert des Schmerzes hat deine Seele durchbohrt; doch der Freude linderndes Öl durchströmt jetzt deine Seele.“ Da nahte auch Anna, Phanuels Tochter, jungfräulich geschmückt, brach aus in Lobgesänge, und Maria sprach: „Du hast den Tempel Gottes nicht verlassen auf Erden, darum empfängt dich der Tempel des Himmels.“ Nahe standen auch Gäste des Mahles von Cana, und riefen: „Was Er uns gesagt, das haben wir getan.“ Und Maria sprach: „Heil euch und mir! Wann seine Stunde kommt, verwandelt er jedem das Wasser der Trübsal in den Wein ewiger Freude.“ Nun schritt sie hin vor den ehrwürdigen Kreis der Patriarchen. Abraham, Isaak und Jakob traten hervor in schweigender Freude; da erhoben die wie der Sand am Meere und die Sterne des Himmels vermehrten seligen Söhne und Töchter Abrahams ihre Stimmen, und in die fernsten Himmels räume drang von ihren Lippen des Herren heiliger Schwur: „Gesegnet sollen werden in deinem Namen alle Geschlechter!“ Hoch prangten der Jungfrauen Lilienschaaren, als die Jungfrau der Jungfrauen ihre Reihen durchschritt. Die Martyrer in ihren Lichtgewanden erhoben die Palmen ihres Sieges vor der Friedensfürstin, und der Starken, die der Schlange giftig Haupt zertreten. Der Gerechten unübersehbare Menge, mit den unverwelklichen Kränzen der Gerechtigkeit, in der Unschuld Feierkleide, legten vor Maria ehrerbietig ihre Kronen nieder.
Jetzt nahte Maria der hohen Versammlung der Propheten. An ihrer Spitze hielt der Himmelskönigin königlicher Stammherr die goldene Harfe. Plötzlich blieb des alten Bundes letzter Prophet – Johannes stehen, hob feierlich die Hand empor, zeigte mit dem Finger auf die Königin, und sprach: „Siehe! das ist die Hochgepriesene, die das Lamm Gottes gebar, welches die Sünden der Welt hinwegnimmt.“ Da durchzuckte des Heiligen Geistes Kraft des Propheten Jeremias hohe Seele, seine Stimme füllte die Räume des Himmels, da er rief: „Das ist die Jungfrau, die den Mann umgab.“ ,,Das ist sie“, fuhr Isaias fort, „die uns das Kind gebar, die uns den Sohn gab, der die Herrschaft über seinen Schultern trägt, dessen Name heißt: ‚Wunderbarer, Ratgeber, Gott, Starker, Vater zukünftiger Zeiten, Fürst des Friedens.‘“ „Das ist sie“, rief Michäas, „die gebar, da sie gebären sollte, Denjenigen, dessen Ausgang vom Anbeginn und von den Tagen der Ewigkeit ist!“
Das himmlische Hohelied
Aber wer mag es fühlen, was David gefühlt, da seine heiligste Tochter vor ihm gestanden? Im Psalmenflug erschwang sich seine Seele, und von der Harfe heiligen Saiten tönte feierlich der Wonnegesang: „Höre Tochter, und sieh, und neige dein Ohr, und vergiß dein Volk und das Haus deines Vaters. Es verlangt den König nach deiner Schönheit, denn er ist dein Herr. Die Töchter des Himmels mit Geschenken, die Reichen des Volkes suchen dein Antlitz. Lauter Pracht ist die Königstochter im Himmel; mit Gold gewirkt ist ihr Kleid. In buntgewirkten Gewändern wird sie dem Könige zugeführt, Jungfrauen hinter ihr her, ihre Freundinnen werden dir gebracht; hergeführt unter Freude und Frohlocken, ziehen sie ein in den Palast des Königs. An deiner Ahnen Stelle treten deine Söhne, zu Fürsten setzest du sie im ganzen Lande. Preisen will ich deinen Namen von Geschlecht zu Geschlecht, darum werden Völker dich rühmen immer und ewig.“
Und der Propheten Chor mit des Himmels Bewohnern allen frohlockten im erhöhten Jubel: „Preisen will ich deinen Namen von Geschlecht zu Geschlecht, darum werden Völker dich rühmen immer und ewig.“ Und welch einen Psalm wird der Heilige Geist den Davidischen Saiten entlockt haben, da des Heiligen Geistes Braut dem Throne Gottes immer näherkam? Im feierlicheren Tanze schwebte nun David vor der lebendigen Bundeslade, da sie ins himmlische Sion ihren Triumphzug hielt, als ehemals vor jener, die nur das Gesetz enthielt. Jetzt begrüßte die übrige Schar der Engel zunächst am Throne Gottes ihre Königin, und in hochfeierlicher Stille nahte vollends der Zug der Hunderttausenden dem Throne des allmächtigen Gottes. Nun, unsterbliche Seele, schwinge mit heiliger Kraft deine ewigen Flügel, schwinge dich empor zu Mariens Herrlichkeit, und vernimm mit dem staunenden Seraph Wunder der Liebe! – Das Dreimalheilig des Cherub und Seraph war verstummt.
Ihre Ankunft vor dem Throne Gottes
Da schritt sie heran die Hehre an die Stufen des Thrones Gottes, und nun setzte sich der Sohn zur Rechten des Vaters, Maria aber hob vor der ewigen Majestät ihren demütigen Blick empor und sprach: „Großes hat an mir der Herr getan, und heilig ist sein Name!“ Und siehe! da die Königin des Himmels den Namen Gottes heilig preis, war es billig, daß des Seraph Heilig verstummte. – Im Reiche der Lebendigen war Totenstille. Aller Augen waren auf den Dreimalheiligen gerichtet; da sprach der ewige Vater: „Ich habe hinabgesehen auf die Demut meiner Magd, und siehe! darum sollen dich selig preisen alle Geschlechter.“ Da wiederholten es des Himmels Heere: „Preisen sollen dich alle Geschlechter!“
Stille wards, und der Sohn sprach: „Du wardst verspottet und verleumdet als die Mutter eines Verbrechers von den Menschen, darum sollen dich alle Engel und seligen Geister ewig loben!“ Und es erschallte durch die Himmel der Seligen Preis ihr, des Sohnes Mutter. Da wards still, und der Geist, der einst die Heilige umschattet, mit Gottesstrahl umblitzt er nun Mariens Haupt und abermal wird des Vaters Stimme vernommen: „Das ist meine geliebte Tochter, an der ich Wohlgefallen habe, sie sollt ihr ehren!“
Mariens Thronerhebung
Da ward sie erhoben auf den Thron der Ewigkeit zur Rechten des Vaters; zur Linken strahlt ihr ewiger Sohn, und über ihrem Haupte schwebt in siebenfachem Strahle ihre Krone – der Heilige Geist. – Anbetend liegen des Himmels Bewohner mit ihren Kronen vor dem Thron des Dreieinen, und in sanftgehauchten Weisen sangen die Cherubim und Seraphim: „Maria hat den besten Teil erwählt.“ – Da sprach Maria – was sprach sie? Welch ein Magnifikat entströmte der Hochgebenedeiten? Mein Geist erliegt, mein armes Herz pocht laut, meine Pulse eilen – ich kann nicht mehr! Göttliche Mutter! Ich vereine meiner Seele Jubel mit dem deinen, und aus des Herzens tiefsten Tiefen will die Menschheit Gott so preisen, wie du ihn preisest! –
Der Lobgesang der ganzen Kirche
Maria hat das Lied der Lieder vollendet, da sehe ich die Himmlischen alle sich erheben, rasch greifen sie nach den hunderttausend Harfen, bebend wirbeln die Hände der Erzengel auf den mächtigen Pauken des Firmamentes, die weckenden Engel schallen unendliche Töne in die Posaunen des Weltgerichtes, der Seligen Jubel durchschauert die Unendlichkeit.
Der glorreiche Chor der Apostel, der Propheten lobwürdige Zahl, der Martyrer erlauchtes Heer, die Kirche auf Erden, die Schmachtenden in den Flammen der Reinigung einen sich diesem Chore, und singen, während vor ihr, der Erhabenen, die wie ein wohlgeordnetes Kriegsherr erscheint, der Hölle Tiefen erzittern, das hohe Lied: „Sie hat den besten Teil erwählt, der von ihr nicht genommen wird.“ – Sie singen: „Gegrüßet seist du, Maria, du bist voll der Gnaden, der Herr ist mit dir, du bist gebenedeit unter den Weibern.“ Jetzt hebt sich der Jubel, die Stimmen der hunderttausend erlösten Geister werden gewaltiger, ins innerste Mark der unsterblichen Seelen dringt der Posaunen Gewaltschall, die Harfen beben bebender in der Unsterblichen Händen, des Firmamentes Donnerjubel wird donnernder, der himmlischen Geister Gesang bestürmt des Himmels grünende Festen, die vierundzwanzig Ältesten steigen von ihren Thronen, Alles fällt aufs Angesicht, die Hölle wütet vor schäumender Verzweiflung, denn Himmel, Erde und die Seelen in reinigender Glut rufen: „und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes Jesus.“
Jetzt schweigen die Himmlischen, die Erdenbewohner und die Leidenden in läuterndem Feuer flehen: „Heilige Maria, Mutter Gottes, bitt für uns arme Sünder jetzt“ – da schweigen auch die Leidenden, und die Sterblichen allein rufen: „und in der Stunde unsers Absterbens.“
Blick auf die streitende Kirche – Maria ist die Hilfe der Christen!
Wird einem nicht bang, wenn man diese Himmelsfreuden vernimmt, während man noch in diesem irdischen Leben weilt, in dem es keine letzte Sicherheit gibt? Der Prediger mahnt:
Nur dann wenn die Tugenden Mariens uns eigen sind – dann können wir wie sie eine Himmelfahrt halten. Aber wer kann so sagen? Da gehen wir umher als vertriebene Kinder Evas, trauern und weinen in diesem Tale der Tränen, und wo ist die hilfreiche Hand, die uns Flüchtlinge des Paradieses wieder zurückführe in den lange verschlossenen Garten der ersten Freude? Christen! Freuet euch! Im Himmel ist die Hilfe der Christen – ihr Name ist – Maria. Sie ist aufgefahren zu ihrem Gott und zu unserm Gott, zu ihrem Vater und zu unserm Vater. Dort thront sie und ihr göttlicher Sohn, der auf Erden ihren Befehlen gehorchte, wie? sollte er im Himmel ihre Bitte verschmähen? die Bitte, daß wir wie sie einst eine Himmelfahrt halten? Nein! Jesus ist ihr geliebter Sohn, an dem sie Wohlgefallen hat – ihn müssen wir hören – sie aber ist die geliebte Mutter, an der Er Wohlgefallen hat, sie müssen wir ehren – und darum sei uns gegrüßt du Königin, Mutter der Barmherzigkeit, du Süßigkeit und unsre Hoffnung! Unser bester Teil, den wir erwählt haben, ist Gott, und bist Du, Maria. Amen!
(Genommen aus: Predigten von Georg Joseph Saffenreuter, Professor an dem Königlich Bayerischen Gymnasium und der lateinischen Schule zu Würzburg. Zweiter Teil. Zweite mit vielen Zusätzen vermehrte Auflage. Verlag der Stahel'schen Buchhandlung, Würzburg 1840, S. 240 – 259. Die Rechtschreibung wurde angepaßt und der Text leicht gekürzt und mit Zwischenüberschriften versehen.)