Inmitten des Advents findet sich ein großes Marienfest, das vollkommen den Geist des Advents in sich schließt und vollendet zum Ausdruck bringt, das Fest von der Unbefleckten Empfängnis der allerseligsten Jungfrau Maria. Dieses Fest setzt einen Kontrast zur Jahrhunderte währenden Erwartung des Volkes Israel, die eine Geschichte immer wiederkehrender Untreue gegen den mit Gott geschlossenen Bund war. Es ist schon als ein ganz besonderes Wunder der göttlichen Allmacht und Barmherzigkeit anzusehen, wenn diese Geschichte schließlich doch noch in der unbefleckten Jungfrau ihr Ziel erreichte.
Die Bedeutung dieses Marienfestes für unser Glaubensleben kann man nicht einfach in sich erfassen. Nur wenn man den Betrachtungsrahmen entsprechend weitet – und zwar in die Ewigkeit des göttlichen Ratschlusses hinein – dann versteht man allmählich, was mit der Lehre von der Unbefleckten Empfängnis alles ausgesagt ist, ausgesagt über uns Menschen und unser Heil. Um den ewigen Ratschluß Gottes kennenlernen zu können, muß man auf die göttliche Offenbarung hören, denn an sich ist er uns ganz und gar verborgen. Wir wollen dies tun anhand einiger Texte des unfehlbaren Lehramtes der hl. Kirche, durch die uns die göttliche Offenbarung absolut zuverlässig gedeutet wird und mit Hilfe einiger Kommentare heiliger Lehrer.Eines der bedeutendsten lehramtlichen Dokumente zu unserem Thema ist das Apostolische Lehr- und Siegel-Schreiben „Ineffabilis Deus“ von Papst Pius IX., in dem dieser die Lehre über die Unbefleckte Empfängnis zusammenfassend darlegt und schließlich als mit göttlichem Glauben festzuhalten vorlegt, also zum Dogma erklärt.
Das besondere Gnadenprivileg Mariens
Besonders das Gnadenprivileg Mariens verweist auf den menschlichem Sinnen unbegreiflichen Heilsplan Gottes, der auch die Freiheit und damit die Möglichkeit des Versagens des Geschöpfes umgreift. Der Papst beginnt seine Überlegungen über die Immaculata mit einem Blick in den geheimnisvollen göttlichen Ratschluß:
Der über alle Worte erhabene Gott, dessen Wege Erbarmen und Wahrheit (Tob. 3,2), dessen Wille die Allmacht ist, dessen Weisheit machtvoll wirkt von einem Ende bis zum anderen (Weish. 8,1) und in Milde alles lenkt, sah von Ewigkeit her das unheilvolle Verderben des ganzen Menschengeschlechtes infolge der Sünde Adams voraus. In seinem geheimnisvollen, der Welt verborgenen Ratschluß beschloß er aber, das erste Werk seiner Güte durch die Menschwerdung des Wortes auf eine noch unbegreiflichere Weise zu ergänzen. Denn der Mensch, der entgegen seinen liebevollen Absichten durch die List des Teufels in Schuld geraten war, sollte nicht zugrundegehen, und das, was durch den ersten Adam gefallen war, sollte durch den zweiten weit glücklicher wieder aufgerichtet werden.
(Alle Texte des päpstlichen Lehrschreibens sind genommen aus: Heilslehre der Kirche. Dokumente von Pius IX. bis Pius XII. Deutsche Ausgabe des französischen Originals von P. Cattin O.P. und H. Th. Conus O.P. besorgt von Anton Rohrbasser, Paulusverlag Freiburg/Schweiz 1953, S. 306–325)
Die Tragödie des Sündenfalls und die Hoffnung auf Erlösung
Die Tragödie des Sündenfalls von Adam und Eva ist ihrem Umfang und ihren Auswirkungen nach für uns kaum noch zu fassen, kennen wir schließlich nur die von der Sünde gezeichnete Welt. Was der moderne Mensch nicht mehr glaubt, weil er nur noch die Materie betrachtet und diese zum Prinzip der ganzen Wirklichkeit erhebt, wodurch ihm die Wirklichkeit des Geistes unzugänglich wird, ist dem Katholiken etwas Selbstverständliches, bzw. sollte es sein. Das unheilvolle Verderben des ganzen Menschengeschlechtes infolge der Sünde Adams lastet auf der ganzen irdischen Welt, wie der hl. Paulus im Römerbrief schreibt: „Sehnsüchtig erwartet die Schöpfung das Offenbarwerden der Söhne Gottes. Denn die Schöpfung wurde der Nichtigkeit unterworfen, nicht nach eigenem Willen, sondern durch den, der sie unterwarf. Doch bleibt ihr die Hoffnung, daß sie von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zur Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes befreit wird. Wir wissen ja, daß die ganze Schöpfung bis zur Stunde seufzt und in Wehen liegt; nicht allein sie, sondern auch wir, die wir die Erstlingsgabe des Geistes bereits besitzen: wir seufzen in unserem Innern und harren auf die Gotteskindschaft und die Erlösung unseres Leibes“ (Röm. 8,19-23).
Die irdische Schöpfung vor dem Sündenfall
In welchem Maße die Welt des Menschen dadurch heil-los geworden ist, können wir mit unserem natürlichen Verstand in keiner Weise begreifen. Da auch nach der Menschwerdung und Erlösung durch unseren Herrn Jesus Christus das Heillose nicht ganz aufgehoben wurde, denn mit der wiedergeschenkten Gnade wurden nicht alle Wunden der erbsündlich geschädigten Natur geheilt, ist es durchaus hilfreich, sich darüber ein paar Gedanken zu machen. Vor dem Sündenfall war die irdische Schöpfung viel gottförmiger, d.h. geistiger als nachher, wie uns etwa die hl. Hildegard in ihren Visionen berichtet: „Die Stammeltern hatten vor der Ursünde, als die Seele in ihrer Unschuld den Leib beherrschte, geistige Augen.“
Wir können nur noch mit großer Mühe erahnen, was mit den „geistigen Augen“ genau gemeint ist. Eines dürfte damit vor allem gesagt sein, Adam und Eva „sahen“ die geistige Wirklichkeit mit ihren Augen, jene Wirklichkeit, die wir uns mühsam mit unserem Verstand erschließen müssen, wobei wir uns nur allzu oft irren. D.h. Adam und Eva erfaßten mit ihrem Blick nicht nur die sichtbaren Gestalten der Dinge, sondern mit diesen zugleich deren geistiges Wesen, durch das sie erst das sind, was sie sind, nämlich etwas durch den Geist bestimmtes, d.i. ein Gedanken Gottes. Alle geschaffenen Dinge sind nur als Gottesgedanken richtig, d.h. in ihrer gottgeschenkten Bestimmtheit zu erfassen. Anders als wir, die wir unmittelbar nur das sinnlich Wahrnehmbare erkennen, erlebten unsere Stammeltern ihre Welt als durch und durch gottförmige Wirklichkeit. Ihre Welt war zum Himmel hin noch viel offener als unsere. Die hl. Hildegard ist etwa davon überzeugt: „Adam kannte vor dem Sündenfall den Gesang der Engel und alle Art der Musik und hatte eine Stimme, klingend wie der Ton des Monochords.“ Aber nicht nur dies: „Gott sprach zu Adam in der Sprache der Engel, die dieser gut kannte und verstand. Durch die von Gott empfangene Weisheit und durch den Geist der Prophetie wußte er damals um alle Sprachen, die später von den Menschen erfunden wurden, und er kannte die Natur aller Geschöpfe von Grund auf. Denn der Herr erschien ihm in unvorstellbarer Herrlichkeit, schöner als jegliche Kreatur; und nach dem Sündenfall verkehrte Er mit ihm im Paradies in einer Feuerflamme“ (Briefwechsel).
Welch wunderbare Gottesnähe war den Stammeltern ursprünglich geschenkt, sie kannten den Gesang und die Sprache der Engel und verkehrten in vertrautester Weise mit ihrem Schöpfer, der sich ihnen in Seiner unvorstellbaren Herrlichkeit zeigte und ihnen mit der heiligmachenden Gnade Seine Freundschaft schenkte. Diese sollten sie niemals verlieren: „Gott schuf ja Adam, auf daß er ewig unveränderlich leben sollte. Aber er fiel durch den Ungehorsam, indem er auf den Rat der Schlange hörte. Daher glaubte die Schlange, er sei ein für allemal verloren. Das aber wollte Gott nicht. Er gewährte dem Menschen die Welt als Exil, darinnen er nun seine Kinder in Sünden empfing und gebar.“
Das irdische Exil und der Verlust der souveränen Herrschaft des Geistes
Der Sündenfall der Stammeltern war eine furchtbare Tragödie. Nur durch Gottes unbegreiflichen Ratschluß war dieser Fall nicht endgültig, sondern Gott gewährte dem Menschen die Welt als Exil, darinnen er nun seine Kinder in Sünden empfing und gebar. Die Sünde bedeutete nicht nur den Verlust der heiligmachenden Gnade, sie hatte die ganze menschliche Natur in Mitleidenschaft gezogen: „Alle Gefäße des Weibes würden unversehrt und gesund geblieben sein, wenn Eva allezeit im Paradies geblieben wäre. Als sie aber die Schlange zustimmend angeblickt hatte, wurde ihr Sehen, mit dem sie die himmlischen Dinge betrachtet hatte, ausgelöscht, und als sie der Schlange beipflichtend zuhörte, wurde ihr Gehör, mit dem sie die himmlischen Dinge vernommen hatte, verschlossen, und mit dem Genuß des Apfels wurde der Glanz, der sie bis dahin durchleuchtet hatte, verdunkelt.“
Mit der Sünde entschwindet die göttliche Welt dem Blick und dem Gehör Evas. Die himmlischen Dinge erschienen plötzlich ferne und unwirklich, sie sind dem Menschen fremd geworden. Er mußte diese fortan mit einem relativ „blinden“ Glauben festhalten, wollte er Gott nicht ganz verlieren. Man kann es auch etwas anders ausdrücken: Nun war der Mensch viel mehr Leib als Geist, denn die Zierde der Gnade und die damit verbundene souveräne Herrschaft des Geistes waren verloren gegangen: „Bevor Adam das göttliche Gebot übertreten hatte, leuchtete das, was heute die Gallenblase im Menschen ist, hell wie ein Kristall in ihm und hatte den Geschmack der guten Werke in sich. Das was heute Schwarzgalle im Menschen ist, strahlte damals in ihm wie die Morgenröte und barg das Bewußtsein und die Vollendung der guten Werke in sich. Als aber Adam das Gebot übertreten hatte, wurde der Glanz der Unschuld in ihm verdunkelt, seine Augen, die vorher das Himmlische sahen, wurden ausgelöscht, die Galle in Bitterkeit verkehrt, die Schwarzgalle in die Finsternis der Gottlosigkeit und er selbst völlig in eine andere Art umgewandelt. Da befiel Traurigkeit seine Seele, und diese suchte bald nach einer Entschuldigung dafür im Zorn. Denn aus der Traurigkeit wird der Zorn geboren, woher auch die Menschen von ihrem Stammvater her die Traurigkeit, den Zorn und was ihnen sonst noch Schaden bringt, überkommen (vererbt) haben.“
Seit dem Sündenfall ist die Finsternis der Gottlosigkeit das Los der Menschen geworden, der Glanz der Unschuld in ihm war verdunkelt, seine Augen, die vorher das Himmlische sahen, wurden ausgelöscht. Sein durch die Gnade ganz himmlisches Wesen wurde durch die Sünde zu einem rein irdischen, er selbst wurde völlig in eine andere Art umgewandelt. Das Paradies war verloren, Traurigkeit erfüllte die Seele Adams und Zorn stieg in ihm empor und alle Arten von Laster lauerten nunmehr in seinem ungeordneten Gemüt. Allein der Glaube an eine göttliche Hilfe konnte den Menschen aus der allgegenwärtigen Schwäche der gefallenen Natur noch retten. Alles wird dem Menschen zu Mühsal und Leid und Not, denn die Sünde bleibt niemals ohne Strafe.
„Die Ursünde entstammte jener Speise, welche die an sich heile und glückliche Natur des Menschen zur Sterblichkeit verwandelt hat. Mit dieser Speise nämlich schlief das gute Gewissen ein, das böse aber erhob sich zu einer verkehrten Lebensweise. Denn abgewichen sind die Übertreter der Gerechtigkeit von der wahrhaftigen Wahrheit. Die Natur des Menschen wurde verfremdet zu einem giftigen Schoß, und zwar durch den Mund der Schlange, die in ihrer Hinterlist fragte, warum denn nur der Mensch den Apfel nicht verzehren wolle. Seit aber das erste Paar nach dem Rat der Schlange Gottes Gebot übertrat, starben die Menschen den Tod. Daher sind auch die Kinder, die von ihnen stammen, bereits mit der Empfängnis im Tod der Gottvergessenheit dem Schutz der Heiligkeit entfremdet.“
Der letzte Satz beschreibt das traurige Los des gefallenen Menschen in seiner ganzen tragischen Tragweite: Daher sind auch die Kinder, die von ihnen stammen, bereits mit der Empfängnis im Tod der Gottvergessenheit dem Schutz der Heiligkeit entfremdet. Ohne den Schutz der Heiligkeit versinkt der Mensch immer mehr im Tod der Gottvergessenheit, gibt es doch keine menschliche Hilfe mehr, die ihn aus der Sklaverei Satans befreien könnte. Allein durch den unergründlichen, der Welt verborgenen Ratschluß beschloß er aber, das erste Werk seiner Güte durch die Menschwerdung des Wortes auf eine noch unbegreiflichere Weise zu ergänzen, wie Pius IX. schreibt.
Das Geheimnis des göttlichen Ratschlusses - Die Überfülle der Gnaden in Maria
Das ganze Menschengeschlecht war somit seit dem Sündenfall auf den von Gott verheißenen Erlöser hingeordnet. Nur aufgrund eines direkten Eingreifens Gottes in die Menschheitsgeschichte konnte die übergroße Schuld noch einmal gesühnt und die Sünde mit ihren Folgen nochmals überwunden werden. Darum wählte Er von Anfang an und vor aller Zeit schon für Seinen eingeborenen Sohn eine Mutter aus und bestimmte, daß er von ihr in der seligen Fülle der Zeiten als Mensch geboren werden sollte; ihr wandte Er mehr als allen anderen Geschöpfen Seine besondere Liebe zu und fand an ihr allein sein höchstes Wohlgefallen. So überhäufte Er sie weit mehr als alle Engel und Heiligen mit einer Fülle himmlischer Gnadengaben, die Er aus der Schatzkammer Seiner Gottheit nahm, begnadete sie so wunderbar, daß sie allzeit frei blieb von jeder Makel der Sünde, daß sie ganz schön und vollkommen wurde und eine solche Fülle von Reinheit und Heiligkeit besaß, daß man, außer in Gott, eine größere sich nicht denken kann und daß niemand außer Gott sie begreifen kann.
In diesen wenigen Worten faßt Papst Pius IX. das Geheimnis des göttlichen Ratschlusses zur Rettung der Menschen zusammen. Die ganze Menschheitsgeschichte findet nur noch einen Sinn in Jesus Christus, der in der seligen Fülle der Zeiten als Mensch geboren werden sollte. Damit aber der eingeborene ewige Sohn des Vaters Mensch werden konnte, brauchte er eine Mutter. Jede Frau des auserwählten Volkes hoffte, dem kommenden Messias Mutter sein zu dürfen, indem sie wenigstens durch ihren eigenen Sohn konkret die Hoffnung auf die Erfüllung der Verheißung weitergab und weitertrug. Der hl. Bernhardin von Siena sagt nun, daß dem Menschengeschlecht die Fähigkeit, Gott zu empfangen und zu gebären, für einen einmaligen Fall verliehen war. „Wir pflegen zu sagen: Christus war ,in lumbis patrum‘ in der Zeugungskraft der Urväter. Diese Fähigkeit pflanzte sich als das sorgsamst behütete und kostbarste Kleinod der Menschheit von Adam her durch die Geschlechter fort bis in die Jungfrau hinein, wo die Erfüllung stattfinden sollte. Und in keiner anderen Frau konnte diese Fähigkeit niedergelegt werden und ihre Erfüllung finden als nur in Maria.“
Nun ist aber in dieser Ahnenreihe ein qualitativer Sprung nötig, denn eine gewöhnliche Frau konnte diese ungewöhnliche Fähigkeit, Gott zu empfangen, überhaupt nicht in sich tragen. „Daß aber eine Frau Mutter Gottes wird, steht ebensosehr außerhalb aller natürlichen Seinsbereiche allgemeiner Geschöpflichkeit wie die Menschwerdung Gottes“, lehrt der hl. Bonaventura. Andererseits setzt das Sein der Gnade ein entsprechendes natürliches Sein voraus, wie der hl. Bonaventura ebenfalls bemerkt. Darum ist auch eine einzigartige natürliche Ausstattung der Mutter Maria als Grundlage ihrer gnadenhaften Erhebung zur Gottesmutterwürde erforderlich. „Noch war sie nicht im Fleische erschienen, da hatte Gott ihr Bild bereits mit allen Vorzügen, die es schmückten, in seinem Geiste entworfen“, schreibt Franz Mayronis. Und nach diesem Bild mußte Gott die Jungfrau auf die Menschwerdung des Sohnes Gottes hin erschaffen. Losgelöst von der wunderbaren Gottesgeburt ist eine solche Frau undenkbar, denn alle Gründe ihrer Auserwählung und Erhöhung über alle anderen Geschöpfe leiten sich von ihrer Würde als Gottesmutter her. Wir wissen nun, diese Frau mit der notwendigen natürlichen und übernatürlichen Ausstattung, diese Frau mit der Fähigkeit, Gott zu gebären, ist Maria. Durch die Geburt Christi aus ihrem Schoße wurde diese einmalige Fähigkeit der Natur des Menschen endgültig und restlos ausgeschöpft.
Das Gebet der Kirche zum Fest der Unbefleckten Empfängnis
Dementsprechend läßt die betende Kirche am Fest ihrer Unbefleckten Empfängnis Maria selbst sprechen, indem sie ihr die Worte der Heiligen Schrift in den Mund legt: „Mich schuf der Herr am Anfang seiner Wege, als erstes seiner Werke, in der Urzeit. Ich bin eingesetzt von Ewigkeit her, von Anbeginn, vor dem Ursprung der Welt. Noch waren nicht die Meerestiefen, da war ich schon empfangen“ (Spr. 8,22—24). Am gleichen Fest läßt sie Maria ebenfalls sagen: „Ich bin die Erstgeborene unter allen Geschöpfen. Ich habe es im Himmel bewirkt, daß aufgegangen ist die ewige Sonne, die nie untergeht“ (Sir 24, 5f.).
Diese Texte bringen in ergreifender Weise zum Ausdruck, daß das Sein und die Persönlichkeit Mariens nur von der Ewigkeit her verstanden werden kann: Noch waren nicht die Meerestiefen, da war ich schon empfangen. Im ewigen Gedanken Gottes ist Maria immer schon Mutter des ewigen Sohnes des Vaters. Durch sie soll und will ER in unsere Welt kommen: Ich habe es im Himmel bewirkt, daß aufgegangen ist die ewige Sonne, die nie untergeht – diese ewige Sonne, die nie untergeht ist Jesus Christus, ihr Sohn. Nochmals: Die erhabene Bevorzugung und Heiligung Mariens kann nur von ihrer Gottesmutterschaft her hinreichend erklärt werden. Jetzt verstehen wir den Gedanken der franziskanischen Schule viel besser, der sagt: Es war erst dann sinnvoll, Maria zu erschaffen, nachdem die Menschwerdung des Sohnes Gottes beschlossen war. Wobei man bei dieser Sprechweise nicht vergessen darf, daß es im ewigen Ratschluß Gottes kein zeitliches Nacheinander gibt.
In seinem Lehr- und Siegel-Schreiben „Ineffabilis Deus“ erklärt Papst Pius IX. dazu:
Diese Reinheit der hochheiligen Jungfrau von der Erbsünde, die ja mit ihrer wunderbaren Heiligkeit und ihrer erhabenen Würde als Gottesmutter zusammenhängt, hat die heilige katholische Kirche, die vom Heiligen Geiste belehrt wird und stets eine Säule und Grundfeste der Wahrheit ist, als eine von Gott mitgeteilte und im Glaubensgut der göttlichen Offenbarung enthaltene Lehre stets festgehalten. Sie hat diese Lehre fortwährend und ohne Unterlaß in vielfacher, glänzender Weise von Tag zu Tag immer klarer entwickelt, verkündigt und immer mehr gefördert. Dieser Glaube war nämlich schon von ältester Zeit an vorhanden; er war in den Herzen der Gläubigen fest verwurzelt und wurde durch die eifrigen Bemühungen der Bischöfe in der katholischen Welt wunderbar verbreitet. Die Kirche selbst hat diese Lehre ganz klar zum Ausdruck gebracht, als sie ohne Bedenken die Empfängnis der Jungfrau den Gläubigen zur öffentlichen Verehrung und Andacht vorlegte. Durch diese auffallende Tatsache hat sie offen bekundet, daß die Empfängnis der Jungfrau ganz eigenartig und wunderbar ist, daß sie ganz anders vor sich ging als bei den übrigen Menschen, daß sie ganz heilig und verehrungswürdig ist; denn die Kirche nimmt nur heilige Dinge zum Gegenstand ihrer Feste. Deshalb verwendet ja auch die Kirche die gleichen Worte, mit denen die Heilige Schrift von der ungeschaffenen göttlichen Weisheit spricht und ihren ewigen Ursprung schildert, im kirchlichen Stundengebet und bei der Feier des hochheiligen Opfers und überträgt sie auf den Ursprung dieser Jungfrau; deren Erschaffung wurde ja auch zugleich mit der Menschwerdung der göttlichen Weisheit beschlossen. Dies alles wurde von den Gläubigen überall gern aufgenommen.
Im ewigen Plan Gottes erscheint Maria – deren Erschaffung wurde ja auch zugleich mit der Menschwerdung der göttlichen Weisheit beschlossen – als die Zusammenfassung der ganzen Schöpfung. Der hl. Bernhardin sieht in ihr die kostbare Spitze der aus breiten Unterschichten aufsteigenden Pyramide aller geschaffenen Dinge. Maria ist als wertvollster aller nur denkbaren Werte deren Krone. Die Menschheit Christi ausgenommen ist sie die Erfüllung aller Wirklichkeit der Schöpfung. Man könnte es so ausdrücken: Die ganze Schöpfung wurde wegen Maria geschaffen, Maria aber wegen Jesus Christus, dem ewigen Sohn des Vaters und ihrem Sohn.
Dieser alle Geschöpfe überragenden Würde entspricht nach Bernhardin von Siena im Anschluß an das erste Kapitel der hl. Evangelien von Matthäus und Lukas die vornehme Herkunft Mariens: „Von vierzig Patriarchen, vierzehn Königen und elf Fürsten stammt sie ab.“ Allein schon aufgrund Ihrer Herkunft ist in ihrer Person der höchste Menschenadel, Patriarchen-, Königs- und Fürstenwürde, zusammengefaßt. „Den Adel einer vornehmen Herkunft — so daß er Sohn Davids hieß; und den Adel der Blutsverwandtschaft — so daß er Brüder aus edelstem Geschlecht hatte, gab ihm seine hochgepriesene Mutter. Auch daß er der letzte Fürst, der letzte König und letzter Patriarch des ganzen Volkes Israel war, hatte er nur von der ruhmreichen Jungfrau. Es sollte offenkundig werden, daß Gott in Adam dem Menschengeschlechte allen Adel des Leibes vorzüglich deswegen eingeräumt hatte, daß er durch viele Generationen hinabsteige und von Maria durch die Gottesgeburt in Christus ans Ziel gebracht werden“, so der hl. Berhardin von Siena weiter.
Diese Bevorzugung wurde jedoch Maria nicht allein für sie selbst von Gott geschenkt, aus ihrer Fülle beschenkt sie die Welt, wie wiederum der hl. Bernhardin schreibt: „Aus der nur ihr zuteil gewordenen End-Vollendung spendet die heilige Jungfrau allen Naturen und Vollkommenheiten der Welt ihren letzten Seinswert, Seinsreichtum und die letzte Seinshöhe.“ Der Heilige ist ganz fasziniert von dieser unvergleichlich erhabenen Frauengestalt und bekennt: „Alles Sein war auf ein vornehmstes Sein gerichtet: das lebende Sein auf ein vornehmstes Leben; das fühlende und empfindende Sein auf ein vortrefflichstes Fühlen; alle Empfängnis des Weibes auf eine wertvollste Leibesfrucht; alle Geburten auf ein bestes Wesen, das geboren werden kann; alles Vernunftbegabte auf ein einzigartiges Vernunftwesen; alles Geistbegabte auf ein vortrefflichstes Geistwesen; kurz: alle Geschöpfe suchen sich an ein bestes Wesen reiner Geschöpflichkeit anzuschließen. Unter diesen Umständen wurde für die Welt durch eine über alles gebenedeite Frau vorgesorgt: nur einmal ward sie Mutter. Und durch diese einmalige Mutterschaft trug sie allen Arten der geschaffenen Dinge ihre höchste und letzte Vollendung zu.“
…Schuldlos Geborene, einzig Erkorene, du Gottes Tochter und Mutter und Braut …
Maria überragt alle geschaffenen Dinge unermeßlich, denn in ihr finden sie ihre gnadenhafte Vollendung und durch sie werden sie wieder ihrem Schöpfer Jesus Christus zugeführt, der sie durch Annahme der menschlichen Natur mit sich wunderbar verbindet und somit wieder heiligt. Diese Vollendung gilt also nicht nur für die Ordnung der Natur, sondern auch für die Ordnung der Gnade, wie Papst Pius IX. seine oben angeführten Gedanken weiterführt:
Und es war auch ganz entsprechend, daß sie stets im Glanze vollkommenster Heiligkeit strahlte, daß sie sogar frei blieb von der Makel der Erbsünde und so über die alte Schlange einen vollen Sieg errang, sie, die verehrungswürdige Mutter, der Gott Vater seinen einzigen Sohn, der aus seinem Schoße ihm wesensgleich hervorgeht und den er liebt wie sich selbst, voll und ganz anvertrauen wollte. So sollte auf Grund natürlicher Bande ein und dieselbe Person das gemeinsame Kind Gott Vaters und der Jungfrau werden. Der Sohn selber aber erwählte sich diese Mutter, und der Heilige Geist wollte und bewirkte, daß der von ihr empfangen und geboren wurde, aus dem er selbst hervorgeht.
Diese einzigartige Erwählung Mariens durch den dreifaltigen Gott wollen wir mit Hilfe des hl. Laurentius von Brindisi noch tiefer verstehen lernen. Für den Franziskanertheologen ist, wie wir schon gezeigt haben, die Grund- und Ausgangsfrage der Lehre über Maria nur von der Stellung und Sendung Mariens im ewigen Ratschluß der göttlichen Vorherbestimmung her zu beantworten.
Die Menschwerdung – die Offenbarung der ewig unergründlichen Güte Gottes
Wenn wir nach dem Grund fragen, warum Gott Maria mit Christus zuerst vor aller Kreatur gedacht, vorherbestimmt und auserwählt hat, so gibt uns die Theologie folgende Antwort:
Da Gott der unendlich vollkommene Geist ist, muß ER für Sein Denken und Tun immer einen entsprechenden göttlichen Grund und damit unlösbar verbunden ein Seinem Wesen entsprechendes Ziel haben. Da aber Gott das allerhöchste unendliche Sein ist, kann dieser Grund und dieses Ziel immer nur ER selbst sein. Gott muß letztlich immer Seine eigene Herrlichkeit und Verherrlichung suchen, weil es neben IHM nichts geben kann, das letztes und höchstes Ziel sein kann, ist ER doch allein die Fülle allen Seins. Sein unendliches Erkenntnisvermögen und sein unendlich vollkommener Wille finden nur in seinem eigenen unendlichen Wesen Ziel und Ruhe. Das gilt natürlich erst recht von Seinem vorzüglichsten Gedanken über die Schöpfung und von Seinem größten Werk nach außen, von der Menschwerdung. Seine und Seines Sohnes Ehre ist der erste und höchste Zweck der Menschwerdung. Das betont der hl. Laurentius sehr stark, so etwa auch in seinem Kommentar zum „Magnificat“ der seligsten Jungfrau:
„Die allerseligste Jungfrau hat in ihrem heiligsten Gesang, unter Anhauch des Heiligen Geistes, viele Gründe und Erwägungen angeführt: Es hat an mir Großes getan… (Lk. 1,49-53). Insgesamt aber scheinen drei Gründe angeführt zu werden: die göttliche Allmacht, Heiligkeit und Barmherzigkeit, zur Offenbarung der Herrlichkeit seiner Gottheit. Denn, wie der Weise sagt: Alles hat der Allerhöchste wegen sich geschaffen. (Prv. 16,4), d.h. zu Seiner und seines eingeborenen Sohnes Herrlichkeit. Die Barmherzigkeit aber bezeichnet an dieser Stelle die Güte, denn sie sagt: Seine Barmherzigkeit … über jene, die Ihn fürchten, das sind die Gerechten…“
Gott plant in Seinem ewigen Gedanken – ganz Seiner Allmacht, Heiligkeit und Barmherzigkeit entsprechend – die Menschwerdung des ewigen Wortes. Dieses unaussprechlich erhabene Wunder gibt am meisten Zeugnis von Seinem göttlichen Wesen – es vollendet die Schöpfung ins Unendliche und offenbart dadurch in höchster und unüberbietbarer Weise Seine ewig unergründliche Güte, die sich in der Menschwerdung des ewigen Wortes vollkommen verschenkt. Deswegen fehlt auch bei der Verkündigung der Menschwerdung, wie der hl. Laurentius ausdrücklich bemerkt, jedwede Erwähnung der Sünde:
„Und es ist wirklich bewundernswert, daß im heutigen Evangelium keine Erwähnung der Sünde geschieht, sondern allein über ein solch erhabenes Geheimnis gesprochen wird: Siehe du wirst empfangen und einen Sohn gebären und Seinen Namen Jesus nennen. Dieser wird groß und Sohn des Allerhöchsten genannt werden. Und der Herr wird Ihm den Thron Davids geben, Seines Vaters, und Er wird herrscht … in Ewigkeit, und Seines Reiches wird kein Ende sein. (Lk. 1,31-33) Und weiter: Der Heilige Geist wird über dich kommen und die Kraft des Allerhöchsten wird dich überschatten … Deshalb wird auch das Heilige, das aus dir geboren wird, Sohn Gottes genannt werden. (Lk. 1,35)
Von da her leuchtet es ein, daß in der Ewigkeit Christus als eingeborener Sohn Gottes auserwählt und vorherbestimmt wurde, als Erbe Gottes, König des Paradieses, Haupt aller Auserwählten, Herr auch der Engel. Er wurde vorherbestimmt, damit durch Ihm die ganze Fülle der Gottheit mitgeteilt würde. Deshalb überragt die Heiligkeit, Gnade, Herrlichkeit und Vorzüglichkeit Christi und Seiner Seele die Vorzügllichkeit aller Auserwählten, Menschen und Engel: Er ist nämlich die Sonne der Gerechtigkeit und Herrlichkeit.“
Nun haben wir schon gezeigt, es gibt keine Menschwerdung des ewigen Wortes ohne eine menschliche Mutter. Mit dem Gottmenschen Jesus Christus ist unlösbar Maria als Seine Mutter verbunden. Auch sie muß somit im ewigen Ratschluß Gottes seit Ewigkeit vorherbestimmt sein. Der hl. Laurentius von Brindisi greift in einer Predigt auf das bekannte Bild der Geheimen Offenbarung von der sonnenumkleideten Frau zurück – Signum magnum apparuit in coelo: mulier amicta sole… Ein großes Zeichen erschien am Himmel: Eine Frau mit der Sonne umkleidet… Apk 12, 1 –, wobei er das Wort „Himmel“ als Ausdruck des göttlichen Wesens deutet. Er führt seinen Gedanken folgendermaßen aus: „Es erschien aber die Jungfrau und Gottesmutter im Himmel der Gottheit, als Urbild aller Dinge durch das Geheimnis der ewigen Vorherbestimmung und Erwählung vor aller Zeit.“ Der Heilige ist ganz überwältigt von diesem großen Zeichen am Himmel, so daß er ausruft: „Aber wie erhaben erschien Maria im Himmel des göttlichen Geistes! Ein großes Zeichen erschien am Himmel, eine Frau mit der Sonne umkleidet, wobei nichts Leuchtenderes, nichts Glänzenderes von den Sterblichen erdacht werden kann. Denn diese war nicht nur zur Gnade und Herrlichkeit der Engel und der Erwählten Gottes vorherbestimmt und auserwählt und zum ersten und höchsten Grad der Gnade und Herrlichkeit nach Christus, sondern auch zur Gottesmutterschaft, daß sie die wahre Gottesgebärerin sei, die wahre Gebärerin und natürliche Mutter des eingeborenen Sohnes, des wahren und höchsten Gottes.“
Die unzertrennliche Einheit Mariens mit Christus
Wir müssen somit wohl erwägen, im ewigen Gedanken Gottes erscheint Maria also bereits als die Frau, die in ihrem Schoß den eingeborenen Gottessohn trägt. Immer ist sie also schon die Mutter des ewigen Wortes und allein als Mutter Christi ist sie die Frau mit der Sonne umkleidet, wobei nichts Leuchtenderes, nichts Glänzenderes von den Sterblichen erdacht werden kann — denn: „Durch die Gnade Christi wurde Maria vorherbestimmt und als solche wurde sie vorherbestimmt würdig zu sein, Mutter Christi, des eingeborenen Gottessohnes zu werden.“ Wobei sie immer auch zugleich mit ihm und eins mit ihm, dem Erstgeborenen vor aller Kreatur im Gedanken Gottes existiert: „Vorherbestimmt zur Mutter Christi; vorherbestimmt zusammen mit Christus dem Erstgeborenen aller Kreaturen, vor jeglicher Kreatur. Denn Christus wurde als Sohn Mariens vorherbestimmt und zugleich Maria als Mutter Christi.“
Maria ist im ewigen göttlichen Ratschluß so unzertrennlich mit ihrem Sohn verbunden wie sie es im Leben mit Christus ist — „innigst war zwischen Christus und der Jungfrau, wie zwischen Mutter und Sohn, innigste Verbindung nicht nur der Natur und des Blutes, sondern auch der Seele, des Herzens, der Zuneigung und Liebe.“ Man kann somit das Geheimnis der Vorherbestimmung Mariens allein in ihrem Zusammenhang mit der Vorherbestimmung ihres göttlichen Sohnes begreifen: „Maria ist in allem Christus ähnlich, in Bezug auf die Natur, auf die Gnade und auf die Herrlichkeit:im Hinblick auf die Natur hat sie dieselbe Natur wie Christus, im Hinblick auf die Gnade ist auch sie heilig, voll der Gnade und des Heiligen Geistes, und im Hinblick auf die Herrlichkeit ist sie zu Christus so wie der Mond zur Sonne, die Königin zum König… ähnlich … in der Vorherbestimmung, weil Christus nicht als Gott, sondern als Mensch als Sohn Mariens vorherbestimmt ist,…“
Nach dem hl. Paulus (Röm. 8, 29—30) sind alle „Heiligen“ vorhererkannt und vorherbestimmt, dem Bilde des Gottessohnes gleichförmig zu werden. Maria aber, so betont der hl. Laurentius, steht über allen Auserwählten – und zwar schon in ihrer Auserwählung und ewigen Vorherbestimmung. Weil sie die Mutter Gottes sein soll, erreicht ihre Ähnlichkeit mit Christus bereits in der Vorherbestimmung und damit auch in der Erschaffung, Berufung, Rechtfertigung und Verherrlichung den größten, letztmöglichen Grad. Es ist eine Ähnlichkeit wie die zwischen Adam und Eva: „Wenn aber Christus vorherbestimmt ist, wie Paulus sagt: Der vorherbestimmt ist als Sohn Gottes in Macht gemäß dem Geist der Heiligkeit (Röm. 1,4), so ist er nicht als Gott vorherbestimmt, als Gott ist er nämlich Vorherbestimmer und nicht Vorherbestimmter. Wenn aber als Mensch, dann als Sohn Mariens. Weshalb es notwendig ist, daß Maria mit Christus vorherbestimmt ist. Und wenn Christus in der Vorherbestimmung den ersten Platz einnimmt, so gebührt Maria der zweite.“
Der Gedanke von der universellen Seinshierarchie
Auch der hl. Laurentius greift den Gedanken des hl. Bonaventura von der universellen Seinshierarchie auf, um die kosmische Sonderstellung Mariens, wie sie bereits im ewigen Gedanken ausgesprochen ist, noch schärfer herauszustellen. Die Welt ist in einer großartigen Stufenordnung ganz nach göttlichem Plan gebaut. Darin zeigt sich jene Seinsordnung, die der Patriarch Jakob im Bild der Himmelsleiter geschaut hat, auf der die Engel auf- und niederstiegen (Gn 28, 12). In diesem gewaltigen Weltbau schichtet sich Sein auf Sein, Wert auf Wert pyramidenartig auf. Angefangen von der Materie, die dem Nichts am nächsten steht, steigt in gewaltigen, nicht zu überspringenden Abständen das Sein bis zu Christus empor, in dem sich schließlich Schöpfer und Geschöpf hypostatisch eint. In Jesus Christus erreicht die Seinspyramide ihre in schwindelerregende Höhe weisende Spitze. Ihm zur Seite aber steht Maria, Seine Mutter und Seines Vaters Braut: „Maria … ist zur Rechten Christi gesetzt worden, Christus auf der höchsten Stufe verbunden, so wie eine wahre Gebärerin und natürliche Mutter mit dem Sohn vereint ist, durch das stärkste Band mit Gott vereint, so wie eine geliebte Braut mit dem geliebtesten Bräutigam.“
Aus diesen Worten spürt man ein wenig heraus, wie einsam der neue Adam und die neue Eva über allen Geschöpfen in schwindelerregender Höhe thronen. Göttlich einsam in unerreichbarer Heiligkeit und Herrlichkeit – und doch unlösbar mit der ganzen Schöpfung über Maria verbunden: „Vielmehr, damit ich sage, was ich denke, erscheint mir Maria auf der höchsten Stufe dieser Leiter, als die höchste Kreatur. Denn Gott ist nicht in diese Leiter eingebunden außer durch Christus; Jakob sieht nämlich nicht Gott in seiner reinen Wesenheit und Natur, sondern in menschlicher Form. Gott in menschlicher Form ist aber niemand als Christus, wahrer und vollkommener Gott und Mensch. Auf der höchsten Stufe dieser Leiter, auf die sich Gott stützte und der er verbunden wurde, kann nur Maria sein, in der Gott Mensch geworden ist, das fleischgewordene Wort, welche am nächsten und meisten mit Gott als Braut verbunden ist, mit Christus am nächsten und am meisten verbunden als Mutter.“
Maria steht somit als wahre Mutter des göttlichen Wortes und Braut des ewigen Vaters in gewissem Sinne außer und über allen Kreaturen. Als die Immaculata, die unbefleckte Empfängnis, wie sie sich in Lourdes nennt, ist sie das vollkommenste, reinste Geschöpf, wunderbar gnadenvoll erdacht von Gott in seinen ewigen Gedanken. Sie ist zwar nicht selbst das Haupt der Menschheit, nimmt aber vollkommen Anteil am Hauptsein ihres Sohnes, Anteil an seinem absoluten Primat: „Wer immer als Urbild einen höheren Platz in der göttlichen Vorherbestimmung innehat und einen höheren Platz in der Herrlichkeit des Paradieses, er hat auch in dieser Welt eine höhere Gnade erlangt.“
Der Urgrund der Vollkommenheit der Gnadenfülle Mariens: Ihre göttliche Mutter- und Brautschaft und ihre überragende Kosmische Stellung
Diese Vollkommenheit der Gnadenfülle Mariens beruht auf einem zweifachen Titel: Zum einen auf der göttlichen Mutterschaft und Brautschaft, zum anderen auf ihrer alles und alle überragenden kosmischen Stellung. Darum dürfen wir, sagt Laurentius in seiner zweiten Predigt über die Gründung der mystischen Stadt, beim Anblick Mariens mit dem Psalmisten voll Bewunderung ausrufen: „Was ist die Frau, daß du ihrer gedenkst, daß du sie mit deinem Blick umgreifst. Du hast sie mit Glanz und Hoheit gekrönt und sie zur Herrin gesetzt über das Werk deiner Hände. Ihr hast du alles zu Füßen gelegt, Du hast sie nicht ein wenig unter die Engel gestellt, sondern sie über alle Engelordnungen erhoben. Die Sonne gabst du ihr zum Gewande, die strahlendsten Sterne zur Krone. Fürwahr die Jungfrau ist ein Wunder der göttlichen Liebe. Er hat sie vorherbestimmt vor allen Heiligen; denn er hat sie zur höchsten Stufe der Gnade und der Glorie und der Würde bestimmt, damit sie Gottes wahre Tochter und Braut und Mutter sei, Herrin der Engel, Königin aller Heiligen.“ Maria, die allerseligste Jungfrau und Gottesmutter, müssen alle anderen Geschöpfe als ihre Königin und Herrin anerkennen, bewundern und verehren, weil sie Gott zur höchsten Stufe der Gnade, Glorie und Würde vorherbestimmt hat.
Maria, die Urform aller Erlösten …
Maria ist das Wunder aller Wunder der ganzen Schöpfung, sie ist die Urform aller Erlösten, wie der hl. Laurentius weiterfährt: „Die göttliche Vorherbestimmung ist gleichsam die Urzeichnung, die Urform, das Urbild, die Urgestalt der Gesamtkirche der Auserwählten Gottes. Als Gott dem Moses das Abbild der göttlichen Wohnung überreichte, sprach er zuerst von der Bundeslade: so dachte Gott im Urgedanken seiner Schöpfung zuerst die seligste Jungfrau als die lebendige Lade der Gottheit.“
… und das Band der Vereinigung Gottes mit Seiner Schöpfung
Da Gott seine Schöpfung in vollkommener Weise mit sich vereinen und zur höchsten Verherrlichung seiner selbst befähigen wollte, bereitet ER für Seinen Sohn ein makelloses Gefäß, eine mit allen Gnaden geschmückte Jungfrau, die allein würdig ist, Mutter dieses Sohnes zu sein.
„Die Jungfrau Maria ist kleiner als Christus, so wie der Mond gegenüber der Sonne, aber größer als alle anderen Kreaturen, so wie der Mond alle übrigen Sterne übertrifft. Josef kommt nach Christus und der Jungfrau, er ist der Größte aller Heiligen, weil Christus am nächsten. Gabriel aber ist der größte der Engel, wie aufgrund der göttlichen Vorherbestimmung gezeigt werden kann. So wie nämlich Christus der erste der Vorherbestimmten ist, hält die Jungfrau den zweiten Platz inne, weil Christus als Sohn Mariens vorherbestimmt ist. An dritter Stelle kommt der hl. Josef, weil er mit Maria vermählt wurde. Die vierte Stelle hat Gabriel inne, weil er vorherbestimmt ist als Brautführer und Bote der Menschwerdung Christi.“
Die Würde der Geschöpfe ergibt sich aus ihrer Nähe zu Christus. Wobei hier mit „Nähe“ die im göttlichen Heilsplan verwirklichte Christusverbundenheit gemeint ist. Diese ist nicht einfach zufällig, sondern von Gott seit Ewigkeit her vorhergesehen und gewollt. Was jedoch nicht heißt, daß das Geschöpf diese Vorherbestimmung nicht auch immer in freier Mitwirkung mit der Gnade verwirklichen müßte. Gerade darin besteht ja das Geheimnis der göttlichen Vorherbestimmung, welche die freie Mitwirkung des Geschöpfes nicht aufhebt, was die Ketzer, wie etwa ein Luther oder Calvin, nicht begreifen wollten. Bei diesem Text des hl. Laurentius fällt die erhabene Stellung des hl. Josef auf. Er nimmt ebenfalls am Primat Christi und seiner Mutter teil, steht er doch als Bräutigam Mariens und Pflegevater Jesu nicht nur in engster Beziehung zur erfolgten Menschwerdung, sondern als Gottesgedanke im ewigen Schöpfungsplan bereits unmittelbar hinter Maria.
Die Gedanken des heiligen Laurentius von Brindisi über die Auserwählung Mariens
Lassen wir den hl. Laurentius nochmals seine Gedanken über die Auserwählung Mariens zusammenfassen:
„Wie Gott von Christus bei der Verklärung auf Tabor spricht: ,Das ist mein vielgeliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe, auf ihn sollt ihr hören (Mt 17, 5), so sagt er auch von der Jungfrau: Das ist meine Tochter, meine geliebte Braut, die mir wohlgefällt. Denn Maria ist ganz und in jeder Weise — per omnem modum — Christus ähnlich, wie der Mond der Sonne, wie Eva Adam, ähnlich in der Vorherbestimmung, ähnlich in der Berufung, ähnlich in der Rechtfertigung, ähnlich in der Verherrlichung. Sitzt Christus zur Rechten des Vaters als König der Engel und Weltenbeherrscher, so sitzt Maria zur Rechten Christi als hohe Himmelskönigin und Weltenbeherrscherin. Wenn Paulus von Christus sagt, er sei ein Kompendium aller Reichtümer Gottes — ‚…den er in der Fülle der Zeiten auszuführen beschlossen hatte: alles im Himmel und auf Erden in Christus zusammenzufassen.‘ (Eph 1, 10) —, weil Gott in ihm alle Schönheit und Gutheit der Engel- und der Menschenwelt zusammengefaßt habe, so zeigt Johannes in seiner Apokalypse die Jungfrau geschmückt mit allen Lichtern des Himmels, bekleidet mit der Sonne, den Mond unter ihren Füßen und eine Krone von zwölf Sternen auf ihrem Haupte (12, 1). Das aber besagt nichts anderes, als daß Gott alle Tugend, Heiligkeit und Gutheit der Kirche und des Paradieses, der Engel- und der Menschenwelt zusammennahm, um die Jungfrau mit der Würde und Hoheit zu schmücken, wie sie dem eingeborenen Sohne zueigen ist. Maria soll das himmlische Entzücken Gottes sein.“
Zu allen Zeiten waren die Katholiken der Überzeugung, Maria soll das himmlische Entzücken Gottes sein. Daraus folgt aber notwendigerweise auch: Maria soll das Entzücken aller Geschöpfe und somit natürlich auch aller Katholiken sein. Deswegen flocht die hl. Kirche in das Kirchenjahr einen wunderbaren Kranz von Marienfesten, unter denen das Fest von der Unbefleckten Empfängnis schon immer einen hohen Rang einnahm, wie Papst Pius IX. in seinem schon öfter erwähnten Schreiben hervorhebt:
So haben es Unsere Vorgänger als ihre Aufgabe betrachtet, das Fest der Empfängnis der allerseligsten Jungfrau und ihrer Empfängnis vom ersten Augenblick an als den wahren Gegenstand der Verehrung mit allem Eifer in Schutz zu nehmen und zu verteidigen. Darum sprach Unser Vorgänger Alexander VII. die geradezu entscheidenden Worte, und er brachte damit die richtige Auffassung der Kirche zum Ausdruck: „Von altersher ist es die fromme Meinung der Christgläubigen, daß die Seele der allerseligsten Jungfrau und Mutter Maria im ersten Augenblick ihrer Erschaffung und ihrer Vereinigung mit dem Leib auf Grund einer besonderen Gnade Gottes und eines besonderen Vorzuges im Hinblick auf die Verdienste ihres Sohnes Jesus Christus, des Erlösers des Menschengeschlechtes, von aller Makel der Erbsünde rein bewahrt wurde; in diesem Sinne begeht man in feierlicher Weise das Fest ihrer Empfängnis.“ (Alexander VII., Konst. Sollicitudo, 8. Dezember 1661, BR XVI 739)
Die Erfüllung der Verheißung des Protoevangeliums in der Unbefleckten Empfängnis
Der Heilige Geist, der doch die Seele der Kirche Jesu Christi ist, hat von alters her dafür gesorgt, daß dem außerordentlichen Gnadenvorzug der allerseligsten Jungfrau und Gottesmutter auch ein eigenes Fest gewidmet wurde. Der Glaube, daß Maria im Hinblick auf die Verdienste ihres Sohnes Jesus Christus, des Erlösers des Menschengeschlechtes, von aller Makel der Erbsünde rein bewahrt wurde, mußte in einem eigenen Fest gefeiert werden, damit er sich ganz fest ins Herz der Katholiken einschrieb und der Jungfrau und Gottesmutter von ihren Kindern auch eine gebührende Verehrung zuteil wurde. So sollte das Lob Mariens überall auf dem katholischen Erdkreis erschallen.
Denn die in der himmlischen Offenbarung wohl bewanderten Väter und Schriftsteller der Kirche hielten nichts für wichtiger, als in den Werken, die sie zur Erklärung der Schrift, zur Verteidigung des Glaubens und zur Belehrung der Gläubigen verfaßten, die höchste Heiligkeit und Würde der Jungfrau, ihr Freisein von jeder Sündenmakel und ihren herrlichen Sieg über den schlimmsten Feind des Menschengeschlechtes in vielfacher und bewundernswerter Weise wie in edlem Wettstreit zu verkünden und hervorzuheben. Sie kommen immer wieder auf die Worte zu sprechen, mit denen Gott das zur Erneuerung der Menschheit von seiner Güte vorgesehene Rettungsmittel am Anfang der Welt ankündigte und damit einerseits den Übermut der verführerischen Schlange zurückwies, anderseits aber auch die Hoffnung unseres Geschlechtes in wunderbarer Weise wieder aufrichtete; es war damals, als Gott sprach: Ich will Feindschaft setzen zwischen dir und der Frau, zwischen deinen Nachkommen und ihren Nachkommen (Gen. 3,15); sooft also die Väter darauf zu sprechen kamen, erklärten sie, daß durch diesen Ausspruch Gottes klar und deutlich auf den barmherzigen Erlöser des Menschengeschlechtes, auf den eingeborenen Sohn Gottes, Christus Jesus, hingewiesen werde und damit auch auf seine heiligste Mutter, die Jungfrau Maria, und daß damit zugleich die unerbittliche Feindschaft beider mit dem Teufel klar angedeutet werde. Wie also Christus, der Mittler zwischen Gott und den Menschen, nach der Annahme der menschlichen Natur die Urkunde, die gegen uns zeugte, zerriß und sie als Sieger an das Kreuz heftete, so hatte auch die heiligste Jungfrau, die ganz innig und unzertrennlich mit ihm verbunden ist, mit ihm und durch ihn ewige Feindschaft mit der giftigen Schlange; sie triumphierte über sie in vollkommenster Weise und zertrat so ihren Kopf mit ihrem makellosen Fuß.
Jesus und Maria – Der Urbeginn der Heiligkeit der Schöpfung
Im ewigen Plan der göttlichen Vorsehung steht dem Versagen der Geschöpfe, der Sünde der Engel und der Menschen, immer schon die makellose Reinheit der Jungfrau entgegen – und ihr Sohn! In Jesus und Maria ist die Heiligkeit der Schöpfung gleichsam seit Urbeginn hinterlegt worden. Darum kommen die Väter immer wieder auf die Worte zu sprechen, mit denen Gott das zur Erneuerung der Menschheit von seiner Güte vorgesehene Rettungsmittel am Anfang der Welt ankündigte und damit einerseits den Übermut der verführerischen Schlange zurückwies, anderseits aber auch die Hoffnung unseres Geschlechtes in wunderbarer Weise wieder aufrichtete; es war damals, als Gott sprach: Ich will Feindschaft setzen zwischen dir und der Frau, zwischen deinen Nachkommen und ihren Nachkommen. Mit anderen Worten: Gott verkündet dem Satan in dem Augenblick seine Niederlage, als er meint, gesiegt zu haben. Zwar hat er die Menschen durch seine Lüge aus dem Paradies gestürzt, aber es gibt einen geheimnisvollen Weg, der zurückführt zum Baum des Lebens.
Als der hl. Johannes in seinen Visionen einen mächtigen Engel sah, der mit lauter Stimme rief: „Wer ist würdig, das Buch zu öffnen und seine Siegel zu lösen?“, da mußte er feststellen, daß niemand im Himmel und auf Erden und unter der Erde das Buch zu öffnen und Einblick zu nehmen vermochte. Da weinte er sehr, weil niemand würdig befunden wurde, das Buch zu öffnen und Einblick zu nehmen. Hierauf wendet sich einer der Ältesten ihm zu und tröstet ihn: „Weine nicht! Siehe, gesiegt hat der Löwe aus dem Stamm Juda, der Sproß aus der Wurzel Davids. Er wird das Buch und seine sieben Siegel öffnen.“ Der größte Sieg des Löwen aus dem Stamm Juda über Satan und seine Lügen und Listen ist aber die Unbefleckte Jungfrau und Gottesmutter Maria. Maria überstrahlt alle anderen Siege ihres Sohnes, denn an ihr hatte Satan nicht nur nicht den geringsten Anteil, ihre Reinheit und Heiligkeit überstrahlt diejenige aller Engel und Heiligen. Deshalb schließt Papst Pius IX. aus all seinen Erwägungen:
Maria, die Wesensgestalt der Schönheit und Unschuld selbst
Somit ist es also nicht verwunderlich, daß diese Lehre so sehr Verstand und Herz unserer Vorfahren ergriff, daß sie in einzigartiger Weise zu Worten und Ausdrücken greifen, die häufig die Gottesmutter gerade als die Unbefleckte feiern, als die Unschuldige und Unschuldigste, die Makellose und gänzlich Makellose, die Heilige und die von aller Unreinheit der Sünde vollkommen Freie, die ganz Reine und ganz Unversehrte, als die Wesensgestalt sozusagen der Schönheit und Unschuld selbst. Sie nennen Maria schöner als die Heiligkeit, die allein Heilige, die ganz Reine an Seele und Leib, die, welche alle Unschuld und Jungfräulichkeit übertroffen hat, die allein ganz die Wohnung aller Gnaden des Heiligen Geistes geworden ist, die Gott allein aufgenommen hat, die über allen steht, die von Natur aus schöner, vollendeter und heiliger ist als selbst die Cherubim und Seraphim und das ganze Heer der Engel, die zu preisen die Zungen des Himmels und der Erde keineswegs genügen. Diese Ausdrucksweisen sind, wie hinlänglich bekannt sein dürfte, sogar in die heilige Liturgie und in die kirchlichen Tagzeiten wie von selbst eingegangen. An vielen Stellen finden wir sie da, ja diese sind sogar vorherrschend. Die Gottesmutter wird darin angerufen und gepriesen als die einzige, unversehrte Taube der Schönheit, als die immer blühende, gänzlich reine, stets unbefleckte und immer selige Rose; sie wird gepriesen als die Unschuld selber, die niemals verletzt wurde, als die zweite Eva, die den Emmanuel gebar.
O Gnade des Glaubens der heiligen Kirche, die uns dieses Dogma schenkt!
Es ist einfach wahr, man kann Maria niemals genug preisen. Es kommt einem vor, als wären die irdischen Worte einfach zu blaß, zu schwach, um eine solche Würde zu beschrieben und gebührend zu verherrlichen. Der Papst findet fast kein Ende, sobald er an den Lobpreis Mariens denkt und sich der Vorfahren erinnert, die häufig die Gottesmutter gerade als die Unbefleckte feiern, "als die Unschuldige und Unschuldigste, die Makellose und gänzlich Makellose, die Heilige und die von aller Unreinheit der Sünde vollkommen Freie, die ganz Reine und ganz Unversehrte, als die Wesensgestalt sozusagen der Schönheit und Unschuld selbst. Sie nennen Maria schöner als die Heiligkeit, die allein Heilige, die ganz Reine an Seele und Leib, die, welche alle Unschuld und Jungfräulichkeit übertroffen hat, die allein ganz die Wohnung aller Gnaden des Heiligen Geistes geworden ist, die Gott allein aufgenommen hat, die über allen steht, die von Natur aus schöner, vollendeter und heiliger ist als selbst die Cherubim und Seraphim und das ganze Heer der Engel, die zu preisen die Zungen des Himmels und der Erde keineswegs genügen."
Es gehört zu unseren heiligsten und schönsten Pflichten, in diesen Lobpreis Mariens einzustimmen. Das Krönungsjuwel dieses Lobpreises aber ist der Gnadenvorzug der Unbefleckten Empfängnis. O Wunder über alle Wunder, die makellose, reinste Jungfrau ist aus den sündigen Menschen hervorgesprossen! Es ist eine ganz besondere Auszeichnung und Freude, dieses Glaubensgeheimnis für wahr halten zu dürfen, weil uns die Kirche es so unfehlbar gelehrt hat!
Nachdem Wir also ohne Unterlaß in Demut und mit Fasten Unsere persönlichen und auch die gemeinsamen Gebete der Kirche Gott dem Vater durch seinen Sohn dargebracht haben, auf daß er durch den Heiligen Geist Unseren Sinn leite und stärke, nachdem Wir auch den ganzen himmlischen Hof um seine Hilfe angefleht und inständigst den Heiligen Geist angerufen haben, erklären, verkünden und entscheiden Wir nun unter dem Beistand des Heiligen Geistes zur Ehre der heiligen und ungeteilten Dreifaltigkeit, zum Ruhme und zur Verherrlichung der jungfräulichen Gottesmutter, zur Auszeichnung des katholischen Glaubens und zur Förderung der christlichen Religion, kraft der Autorität Unseres Herrn Jesus Christus, der heiligen Apostel Petrus und Paulus und Unserer eigenen:
Die Lehre, daß die allerseligste Jungfrau Maria im ersten Augenblick ihrer Empfängnis auf Grund einer besonderen Gnade und Auszeichnung vonseiten des allmächtigen Gottes im Hinblick auf die Verdienste Jesu Christi, des Erlösers der ganzen Menschheit, von jeder Makel der Erbsünde bewahrt blieb, ist von Gott geoffenbart und muß deshalb von allen Gläubigen fest und unabänderlich geglaubt werden.
Wenn also jemand, was Gott verhüten wolle, anders, als von Uns entschieden ist, im Herzen zu denken wagt, der soll wissen und wohI bedenken, daß er sich selbst das Urteil gesprochen hat, daß er im Glauben Schiffbruch erlitten hat und von der Einheit der Kirche abgefallen ist.
Die Lehre von der Unbefleckten Empfängnis der allerseligsten Jungfrau und Gottesmutter Maria ist somit Teil der göttlichen Offenbarung und muß deswegen von jedem Katholiken mit göttlichem Glauben angenommen werden. Wie wir gesehen haben, ist die Immaculata der Schlüssel zum Geheimnis unseres Herrn Jesus Christus, denn der Gottmensch und Erlöser des Menschengeschlechtes ist nur mit einer menschlichen Mutter denkbar, von der Er die menschliche Natur annimmt. Als Mutter des ewigen Sohnes tritt aber Maria in ein so inniges Verhältnis mit Gott, daß wir es mit unserem natürlichen Verstand gar nicht fassen können. Man kann den göttlichen Ratschluß, der solches ersonnen hat, nur bewundern und anbeten.
Der ewige Heilsplan Gottes – das uranfängliche Prinzip der Weltvergöttlichung
Nach dem hl. Laurentius konnte der ewige Heilsplan Gottes, durch Jesus Christus und die unbefleckte Jungfrau und Gottesmutter Maria die Welt zu heiligen und durch die Gnade zu vergöttlichen, durch die Sünde des Menschen und durch den Vernichtungswillen Satans nicht vereitelt werden. Im Gegenteil, die Macht und Herrlichkeit Christi leuchtete um so heller auf. Wohl war der Baum der Menschheit durch den dämonischen Sturm der Sünde seiner gottgeschenkten Blüten, Blätter und Früchte beraubt worden und stand nunmehr entblättert und bloß da. Aber er konnte dennoch in seiner ursprünglichen Schönheit und Fruchtbarkeit erneuert werden, weil der Wurzelgrund und die Triebkraft dieses Baumes, nämlich Christus und Maria, vollkommen intakt blieben. Sie konnten durch die Sünde nicht vergiftet werden, wie der hl. Laurentius besonders hervorhebt.
Aufgrund der Erbsünde wird das uranfängliche Prinzip der Weltvergöttlichung – Christus und Maria – zum Prinzip der Welterlösung. Christus, der „Erstgeborene aller Schöpfung“ (vgl. Kol. 1,15), ist das Ur- und Erstprinzip der Welterlösung gemäß ihrer Natur und als Erneuerer der Gnade. Maria, die ewig erwählte Gottesbraut, Gottestochter und Gottesmutter tritt als Gehilfin in das erlösende und erneuernde Werk ihres Sohnes ein, wie Eva dem Adam als Gehilfin zuerschaffen wurde. Maria, die neue Eva, tritt an die Seite des neuen Adam. Die Gnadenvolle wird zur „einzigartigen würdigen Dauergenossin und Dauergefährtin des Hauptes der ganzen Schöpfung bei Seinem gesamten Welterlösungswerke“, wie es Scheeben formuliert.
Der hl. Laurentius begnügt sich nicht mit der bloßen Feststellung dieser überraschenden Wahrheit, er versucht sie noch weiter zu vertiefen: „Das erste, was wir über die Frau lesen, ist, daß sie dem ersten Menschen ähnlich erschaffen wurde (Gen. 2,18); so ist auch Maria Christus ähnlich.“ Nachdem der hl. Laurentius die außerordentlichen Gnaden und besonderen Auszeichnungen Christi aufgezählt hat, die IHM als Gottmensch allein zukommen und zukommen können, schließt er seinen Gedanken:
„Und in dieser Gnade war Maria Christus ähnlich. Der Heiligen Geist wohnte in ihr, d.h., sie hatte eine reinste, glänzendste, makelloseste Reinheit ohne jeden Makel der Sünde. Zudem hatte sie eine über alle Maßen ausgezeichnete Liebe mit allen anderen Tugenden und Gaben des Heiligen Geistes vereint. Sie war voll der Gnade, d.h. sie war voll von allen Arten (der Gnade), in jeglicher Menge und im Überfluß der übernatürlichen Gaben Gottes. Voll der Gnade war sie gleichermaßen gegenüber Gott, sich selbst und der ganzen Welt: In Bezug auf Gott war sie über allen anderen Geschöpfen das gnadenvollste. In Bezug auf sich selbst, weil die Gnade die Natur vollendet, hatte sie den allergrößten Verstand und Willen, Erkenntnis und Liebe. In Bezug auf den Nächsten wies sie sich durch die brennendste Liebe aus. So wie unsere Stammeltern mit ihren Kindern jene drei Gnaden teilten, so teilen Christus und Maria uns ihre drei Verdienste mit und schenken uns den Nachlaß der Sünden, die Auferstehung des Fleisches und das ewige Leben.“
Der neue Bund Gottes mit der Menschheit
Diese wunderbare Welterneuerung durch die Erlösung beginnt in einem neuen Bund Gottes mit der Menschheit. Diese göttliche Vermählung erfolgt jedoch nicht unmittelbar mit der Gesamtmenschheit, weil das unmöglich ist, ist diese doch ein Abstraktum, es existieren nur einzelne Menschen, aber keine Menschheit. Gott schließt deswegen Seinen Neuen Bund mit der Menschheit über und in Maria. Sie hatte Er bereits vor jeder Weltensünde als Seine Braut auserwählt. Trotz der Menschenschuld ließ Er sie rein und unbefleckt ins Dasein treten. Die Gnade Christi war stark genug, sie davor zu bewahren. Als würdige Gottes- und Menschenbraut sollte Maria die Menschheit beim göttlichen Welterneuerungsprozeß vertreten. Dabei war der Tag der Verkündigung der Tag der feierlichen Hochzeit, wie der hl. Laurentius ausführt, dessen Gedanken wir noch ein wenig folgen wollen. „Der Grund für die Vermählung war die göttliche Liebe, denn Gott suchte aus Liebe eine Jungfrau zur Braut und zur Vermählung.“ Das war der Tag, an dem die Freude in unserer Menschenwelt zurückkehrte, weil Gott Seine Herrlichkeit in der Schöpfung aufs neue bezeugt und der Menschheit das Heil wiederverleiht, das Unheil der höllischen Geister hingegen beseitigt: „...ein Fest Gottes, der Engel und der Menschen zugleich... zur Ehre Gottes, zum Heil der Menschen, zur Wiederherstellung der (höllischen) Verluste der Engel.“
„Dieser göttliche Ehebund wurde geschlossen, um den Frieden zwischen Gott und der Welt wiederherzustellen; so geschieht es nämlich gewöhnlich, daß, wenn zwei Reiche voneinander durch den Haß getrennt sind, ein Ehevertrag zwischen den Fürsten geschlossen wird.“ Maria ist die, von Gott Erwählte, die das Reich vertreten soll, das gegen Gott stand. Sie kann es, weil sie ewig Seine Liebe besitzt und doch Tochter der in die Sünde gefallenen Menschen ist. Als kluge Jungfrau, die Gottes Willen allzeit erkennt und erfüllt, spricht Maria zu dieser Vermählung ihr „Ja“: „Den Willen des Herrn weise erkennend, sagt sie: Siehe ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe nach deinem Wort. O, es geschehe, o es geschehe! Was für ein Augenblick ist dieses ‚fiat‘ der Jungfrau! Denn auf dieses hin ist das Wort Fleisch geworden.“ Mariens „Ja“ wird zur „causa salutis aeternae universo mundo“, zur Ursache des ewigen Heiles der ganzen Welt.
Gottes Wille, die Menschen zu erlösen steht fest. Aber Sein Entschluß soll nicht ohne die Zustimmung des Menschen ausgeführt werden. Er sucht den Menschen, der vollkommen eins ist mit Seinem Willen und findet Maria, der ewig auserwählten Königin dieser Welt. Maria stimmt zu, so verbindet sich Gottes Wille mit dem Menschenwillen, wodurch ein neuer Bund geschlossen wird. „Vom Weib nahm durch die Versuchung des bösen Engels der Ruin seinen Anfang, wurde doch vom Teufel aus der Hölle einer der schlechtesten Dämonen gesandt, um unseren Ruin und unser Verderben zu bewirken. Von der weisesten und heiligsten Frau ging der Beginn unseres Heiles aus, aber (diesmal) vom guten Engel von Gott aus dem himmlischen Paradies. Jener böse Engel kam in der Gestalt einer Schlange, weil er kam zu schaden; der gute Engel kam in der Gestalt eines Menschen, weil er kam das Heil der Menschen zu bewirken.“ So erfüllte sich also am Tag der Verkündigung die göttliche Weissagung vom Sturz des Satansreiches (vgl. Gen. 3,15, Apk. 12,9). Maria, selbst unbefleckt empfangen und vom Satan niemals besiegt, empfängt den Sieger, der die Macht Satans endgültig zerbricht. Damit setzt Gott den Anfang unseres Heiles – und nur so wird die Menschheitsgeschichte wieder zu Heilsgeschichte.
Aber nicht nur dies, Gott bestellt zugleich Seine über alles geliebte Braut zur „Socia Redemptoris“, zur Gefährtin des Erlösers. In Maria und durch Maria beginnt unser Erlöser Sein Heilswerk. Mit Maria beschreitet Er seinen Erlöserweg, der sich im gemeinsamen Opfer auf Golgotha vollendet. In diesem Opfer Jesu Christi und Seiner Mutter wird die Welt von ihrer Schuld befreit und befähigt, die göttlichen Lebensströme der Gnade wiederaufzunehmen. Das alles besagt eine Stellvertretung der Menschheit durch Maria im Welterneuerungsprozeß der Erlösung. Nichts soll nach Gottes ewigen Plänen ohne Mitwirkung der Menschheit geschehen, nicht ihre Erlösung, nicht ihre Begnadung. Nichts konnte daher geschehen ohne Maria.
„So laßt uns voll Vertrauen hinzutreten zum Throne der Gnade, damit wir Barmherzigkeit erlangen und Gnade finden als Hilfe zur rechten Zeit.“ (Introitus zum Fest des Unbefleckten Herzens Mariä)
Wenn das für das ganze Heilsgeschehen in der Weltgeschichte gilt, dann natürlich auch für unsere eigene Heiligung und Erlösung. In unserer apokalyptischen Zeit ist es ganz besonders notwendig, uns unserer himmlischen Mutter anzuvertrauen und als Mittlerin aller Gnaden anzurufen, damit wir trotz aller Gefahren und Versuchungen jederzeit im Stande sind, dem Weg, der Jesus Christus ist, treu bis zum Ziel zu folgen. Der hl. Papst Pius X. ermuntert uns dazu: „Wenn nun einer noch dahin strebt, daß seine Gebundenheit an die Jungfrau (ihre Stellung im Heilsplane) gerecht und zwar nach jeder Seite hin rückhaltlos sei – dahin muß aber ausnahmslos jeder streben – der muß wahrhaftig darüber hinaus sein Ziel höher stecken und mit aller Kraft erstreben, ihr Beispiel nachzuahmen. Wie sehr es sich aber auch ziemen mag, daß die Kinder nichts Lobenswertes ihrer heiligsten Mutter unnachgeahmt lassen, so ist es doch Unser Verlangen, daß eben die Gläubigen unter ihren Tugenden vor allem jene erlangen, welche die hervorragendsten sind und gleichsam Nerv und Gelenk christlicher Weisheit. Wir meinen den Glauben, die Hoffnung und die Liebe zu Gott und den Menschen.“
Das Vorbild der Immaculata ist für jeden Katholiken eine lebenslange Herausforderung, denn wer dieses Vorbild ernsthaft erwägt, der muß wahrhaftig darüber hinaus sein Ziel höher stecken und mit aller Kraft erstreben, ihr Beispiel nachzuahmen. Die Gnadenvolle vor Augen ersteigen wir das Hochgebirge der Gottesliebe und Heiligkeit. Möge uns der kommende Advent helfen, das Bild Mariens, der Unbefleckten Empfängnis, immer tiefer in unsere Seele einzuprägen und möge, wie der hl. Paulus in seinem Brief an die Epheser schreibt, Gott „nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit verleihen, daß ihr durch seinen Geist mit Kraft innerlich erstarkt, daß Christus durch den Glauben in eurem Herzen wohne und daß ihr in der Liebe festgewurzelt und festgegründet seid, damit ihr mit allen Heiligen zu erfassen vermögt die Breite und Länge, die Höhe und Tiefe und zu erkennen die Liebe Christi, die jede Erkenntnis übersteigt, damit ihr erfüllt werdet zur ganzen Fülle Gottes. Ihm aber, der durch seine wirksame Kraft in uns weit mehr als alles, was wir zu erbitten und zu denken vermögen, tun kann: ihm sei Ehre in der Kirche und in Christus Jesus durch alle Geschlechter von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen“ (Eph. 3, 16-21).