Es gibt nicht wenige Menschen, die Angst vor Spinnen haben – in der Fachsprache als "Arachnophobie" bezeichnet, „Spinnenangst“. Diese zählt zu den häufigsten spezifischen Phobien, unter der vor allem Frauen leiden und deswegen gern belächelt werden. Wie vernünftig hört es sich an, wenn dann gesagt wird: „Die Spinne tut dir doch nichts! Stell dich doch nicht so an, die Spinne hat mehr Angst vor dir als du vor ihr!“ Die betroffene Person aber denkt bei sich: „Leicht gesagt, ich kann doch für die Angst nichts.“ Und das trifft wirklich den Kern der Sache, eine „Phobie“ ist ihrem Wesen nach irrational, ist ein Gefühl.
Borwin Bandelow von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Göttingen meint dazu: „Unser primitives Angstsystem hat keinen Hochschulabschluss.“ Selbst das Wissen, bei uns gibt es gar keine giftigen Spinnen, hilft den Betroffenen wenig. Es ist ihnen nämlich einfach nicht möglich, ihre übertriebene Panik allein mit Vernunftgründen abzuschalten. Ganz spontan und ungefragt reagiert ihr Körper mit Herzklopfen, Zittern, Schwindel, Schweißausbrüchen oder sogar mit Atemnot. Sobald eine Spinne zu Gesicht kommt, kommt die Vernunft erst gar nicht zum Zuge.
Die meisten der Betroffenen leben jedoch einfach mit ihrer Angst vor Spinnen. Zu einer Therapie gehen nur diejenigen, die unter ihrer Angst erheblich zu leiden haben. Wer schon den Blick unters Bett oder hinter den Vorhang fürchtet oder unter keinen Umständen mehr bereit ist, in den Keller zu gehen, der braucht professionelle Hilfe. Zum Glück gehören Spinnenphobien noch zu den harmloseren Ängsten und können meist schon durch eine nur einstündige Sitzung gelindert werden.
Da gibt es weitaus größere Ängste, die nicht so leicht therapiert werden können. Unter den Konservativen oder Traditionalisten hat sich in den letzten Jahrzehnten eine ganz neue Art von Phobie verbreitet, die Sedisphobie. Sie geraten immer dann sofort in Panik, wenn auch nur der Gedanke der sog. Sedisvakanz in ihnen aufkommt – und sie reagieren dann jeweils mit einer irrationalen Angst„theologie“.
Ein Beispiel dafür findet sich in einem traditionalistischen Blatt, das sich mit gesellschaftlichen, kirchlichen und leider auch theologischen Themen befaßt. Kürzlich war darin eine Stellungnahme von dem Bonner Altphilologen Dr. Heinz-Lothar-Barth zu lesen, die wir schon andernorts (Unversöhnliche Logik) kommentiert haben. Diese Stellungnahme wurde mit einer kurzen, gerade einmal 10 Zeilen umfassenden Einleitung versehen, die dadurch auffällt, daß sie wohl kaum mehr an Unvernunft zu übertreffen sein dürfte. Weil sie aber, wie zu befürchten ist, die Irrationalität vieler Traditionalisten aus dem Milieu, aus dem das Blatt kommt, wiederzugeben scheint, soll hier mit ein paar Bemerkungen darauf eingegangen werden.
Der Kommentar beginnt mit der Feststellung: „Es ist in gewisser Weise verständlich, daß man, wenn manche Dinge in der Kirche nicht gerade attraktiv sind, sagt: dieser Papst ist nicht Papst!“ Ein größerer Unsinn läßt sich nun wohl kaum mehr formulieren. Seit wann ist es nämlich für einen Katholiken verständlich, daß er allein deswegen, weil er in der Kirche gerade etwas nicht attraktiv (!) findet, zu einem so weitreichenden Urteil sich verleiten läßt wie dieses: „dieser Papst ist nicht Papst“. Der Schreiber wird sicherlich auch konkret keinen einzigen sog. Sedisvakantisten finden, dem er dieses unsinnige Urteil unterschieben könnte. Es wird vielmehr von diesen immer wieder betont, hervorgehoben und anhand umfangreicher theologischer Studien bewiesen, daß allein der Tatbestand der Häresie zu so einem Urteil berechtigt. Jeder einigermaßen informierte Katholik weiß doch, daß es in der Kirchengeschichte immer wieder „Unattraktives“ gegeben hat und dennoch niemals die Katholiken zu der Meinung verleitet wurden, deswegen sei ein Papst nicht mehr Papst. Die einzigen, die dies behaupteten, waren die Irrlehrer, wie etwa in der neueren Zeit die Protestanten, Gallikaner, Jansenisten oder Altkatholiken.
Während jeder Katholik und deswegen auch „Sedisvakantist“, der ja nichts anders ist als ein Katholik in dieser papstlosen Zeit, dies ganz selbstverständlich weiß, scheint diese Lehre der Kirche dem Autor der zitierten Zeilen vollkommen unbekannt zu sein. Darum ist zu befürchten, daß der Schreiber damit sein eigenes Fehlurteil benennt, nämlich: Die unzähligen Irrtümer und daraus folgend die Sakrilegien, Verhöhnungen des Allerheiligsten Altarsakramentes, Gottes und der Kirche Jesu Christi in der Menschenmachwerkskirche beträfen nur die Frage der Attraktivität der Kirche und nicht ihr Wesen. Damit zeigt er zugleich, daß er, wie wohl schon die meisten dieser Traditionalisten, den übernatürlichen Glauben nicht mehr ernst nehmen kann, weil er ihn nämlich nicht mehr besitzt. Deswegen berührt ein Glaubensirrtum in seinen Augen nur noch die Attraktivität der Kirche. Dabei sei noch daran erinnert: Ein solches Fehlurteil unterläuft dem Schreiber angesichts des hemmungslos gegen den Glauben, Gott und alles Heilige wütenden Bergoglio in Rom. Diese Tatsache zeugt wiederum von einer kaum mehr zu begreifenden Verblendung des Geistes.
Der Schreiber – er will es offensichtlich besonders kurz und prägnant machen – fährt weiter: „Doch was ist die Konsequenz? Die Sedisvakantisten nennen über 20 verschiedene Päpste, jeder erwählt sich selbst einen Papst, je nach Geschmack.“ Es ist nirgends, außer bei der "Tradigruppe", der sich der Schreiber wohl zugehörig fühlt, von über 20 verschiedenen Päpsten zu lesen, weil das nun doch allzu übertrieben ist. Zudem ist auffallend, daß gesagt wird, jeder (Sedisvakantist) wähle sich selbst einen Papst nach seinem Geschmack. Wenn das wahr wäre, wieso sollte es dann nur 20 geben? Es gibt doch sicherlich mehr Sedisvakantisten auf der Welt als nur etwas über 20! Es ist hier nochmals zu befürchten, der Schreiber projiziert seine eigene Ideologie in die Sache hinein. Denn diese Leute wollen nämlich wirklich nur einem Papst nach ihrem Geschmack gehorchen, also einem, der immer nur das sagt, was sie meinen. Und das nennen sie dann Tradition. Sie erkennen schließlich nicht mehr die grundlegende Wahrheit an, daß die katholische Tradition nicht bei irgendwelchen Tradigruppen zu finden ist, sondern nur dort, wo sich das unfehlbare Lehramt der Kirche befindet: Ubi Petrus, ibi Ecclesia, wo Petrus ist, da ist die Kirche! Aber auch diese Wahrheit ist für diese Traditionalisten schon vollständig verdeckt, weshalb sie diesen Satz nicht mehr katholisch interpretieren können.
Aber nicht nur bei der faktischen Feststellung, auch bei der Schlußfolgerung klemmt es. Wenn die Sedisvakantisten zu der Meinung kommen, sobald kein Papst mehr da ist, muß man schnellstmöglich wieder einen wählen, dann ist doch dieser Schluß nicht grundsätzlich falsch, ganz im Gegenteil. Nur in der Praxis erweist sich die Lösung leider zur Zeit als ungangbar, sind doch die Wahlbedingungen für diese Notzeit nicht kirchenrechtlich festgelegt. Zudem ist eine Papstwahl in der heutigen Diaspora-Situation nicht möglich, besonders weil es dem Teufel gelungen ist, die kirchlichen Institutionen zunächst zu unterwandern und dann mit Gegenpäpsten und deren Untergebenen fremdzubesetzen. Deswegen ist die Anerkennung des neugewählten „Papstes“ durch die Katholiken nicht mehr gewährleistet.
Hierzu ist noch eine Bemerkung hinzuzufügen: In der Kirchengeschichte hat es durchaus schon öfters Zeiten gegeben, in denen es zwei oder sogar drei „Päpste“ gab. War etwa damals, auf dem Konzil von Konstanz, der Schluß, daß man alle drei „Päpste“ zum Rücktritt zwingen und wieder einen Papst wählen sollte, falsch? Sicherlich nicht, denn wenn man sich nicht dazu durchgerungen hätte, die drei „Päpste“ notfalls mit kaiserlicher Macht dazu zu bringen abzudanken, wäre das Schisma niemals mehr beendet worden – und wir hätten heute womöglich wirklich über 20 „Päpste“, wie es sich der Schreiber etwas gedankenlos zusammengereimt hat. Übrigens zeigt gerade der Vergleich mit dem Abendländischen Schisma ganz deutlich, daß es für Gott durchaus Wege gibt, aus solch ausweglos erscheinenden Situationen einen Ausweg zu finden. Was einem natürlich auch in der heutigen Situation beruhigt, auch wenn zur Zeit noch keine Lösung in Sicht ist.
Noch ein letzter Hinweis sei hierzu angeführt: Hinter seinem blinden Eifer, den Sedisvakantisten gleich 20 Päpste anzudichten, könnte sich ein uneingestandener, aus der Sedisphobie heraus wachsender Verdrängungskomplex verbergen – wenn man nämlich einfach die Null streicht, bleiben gerade zwei Päpste übrig. Der Schreiber scheint vor lauter Angst vor dem Sedisvakantismus ganz übersehen zu haben, daß auch er zur Zeit wenigstens zwei Päpste in Rom anzuerkennen hat, wobei der eine nach eigenem Bekunden (!) das „Papst“-Amt des Betens, der andere hingegen das „Papst“-Amt des Regierens innehat. Und diese zwei „Päpste“ demonstrieren ihre Duettauffassung ihres „Papst“-Amtes auch ausgiebig, wenn sie in trauter Zweisamkeit in ihren weißen Soutanen vor der Weltöffentlichkeit nebeneiander ihr Amt ausüben, wie kürzlich wieder bei der Ernennung neuer „Kardinäle“. Für die merkwürdigen „Katholiken“ der Menschenmachwerkskirche reicht schließlich eine weiße Soutane aus, damit jemand „Papst“ ist.
So viel Umsicht und Realitätssinn, diese spezielle Pointe des ratzinger-bergoglioschen Theaters wahrzunehmen, ist freilich dem Schreiber der Zeilen nach dem bisher gelesen Unsinnigkeiten nicht mehr zuzutrauen. Er meint vielmehr weiter: „Noch dazu sind die Argumente oft äußerst fragwürdig; meist steckt eine Theologie dahinter, die weniger aus der Tradition, der Offenbarung und der Vernunft schöpft, sondern aus dem Zorn und nicht selten auch aus einem geistigen Hochmut.“ Ob der Herr jemals schon selbst irgendeine der bedeutenderen Arbeiten von Sedisvakantisten gelesen hat? Großteils – bis auf ganz wenige Ausnahmen – zeichnen sich gerade diese durch ihre theologische Gediegenheit und Ernsthaftigkeit aus, was man bei gewissen Traditionalisten großteils vergeblich sucht.
Kommen wir noch zu einer letzten Bemerkung: Woher weiß denn der Schreiber, daß die Sedisvakantisten oft „aus dem Zorn und nicht selten auch aus einem geistigen Hochmut“ schreiben? Hat er etwa die Seelenschau? Diese wäre jedenfalls notwendig, um beides feststellen zu können. Weil das aber unmöglich ist, weil wir nicht in die Seele des einzelnen schauen und darum auch nicht seine Beweggründe ergründen können, außer er offenbart sie uns selbst, ist ein derartiges Urteil ein vorschnelles und ungerechtfertigtes Urteil über den Nächsten. Objektiv ist dieses Urteil Sünde, wie man in jedem Beichtspiegel nachlesen kann. Auffällig ist, daß das Urteil der „Traditionalisten“ über die Gegenpäpste indes mehr als nur milde ausfällt, unterstellt man ihnen ja nicht nur ein Handeln bona fide – was bei einem solchem Ausmaß an Zerstörung, Gotteslästerungen und Sakrilegien schlichtweg absurd ist, kann man doch nicht aus Versehen wie die Hure Babylon mit allen möglichen Götzen buhlen – sondern durch eine Unterscheidung zwischen formeller und materieller Häresie wird jegliche Verurteilung von Häretikern prinzipiell unmöglich gemacht.
Es zeigt sich in diesem Urteil wieder einmal eine Unart, die unter vielen Traditionalisten sich verbreitet hat und die sie übrigens von den Modernisten gelernt haben: Immer dann, wenn es ernst wird, weichen sie von der Sachebene ab und wechseln auf die psychologische Ebene. Die Gegner sind sodann immer zornig, hochmütig und von einem blinden Eifer geleitet, wohingegen sie selbst natürlich immer ruhig, demütig, sachlich und von der Liebe zur Wahrheit beseelt sind. Man lese nur einmal die Urteile der Modernisten über die Ultramontanisten. Unwillkürlich denkt man sich beim Lesen dieser Texte: Das kommt mir doch nur allzu bekannt vor. Die heutigen Ultramontanisten sind offenbar die Sedisvakantisten. [Anm.: Ultramontan kam als negativ geprägte Richtungs-Bezeichnung zuerst zur Zeit von Johann Nikolaus von Hontheim (1763) für die Vertreter der römisch-päpstlichen Ekklesiologie auf und setzte sich im 19. Jahrhundert als Negativbegriff bei liberalen Katholiken besonders in Deutschland. (Johannes Döllinger, Franz Xaver Kraus) durch, seit Ende des 19. Jahrhunderts bis in die Zeit des Nationalsozialismus auch generell für die Katholiken (im Sinn von undeutsch, national unzuverlässig) (Nach Kathpedia)]
In unserem Fall wird dieser Vorwurf besonders kurios, wird doch sogleich anschließend der Text von Dr. Barth angeführt, in dem dieser u.a. schreibt: „Man kann übrigens ganz allgemein nur vor solchen pseudotheologischen Schriften bestimmter Sedisvakantisten warnen, die immer wieder die Ungültigkeit der modernen Sakramente, v.a. auch der Priester- und Bischofsweise nachweisen wollen. … Wie jene Leute aber vorgehen, die meist ohne adäquate wissenschaftliche Vorbildung (u. a. auch ohne ausreichende Kenntnis der heiligen Sprachen!) die Gläubigen verunsichern, bedeutet, das Kind mit dem Bade auszuschütten.“ Was bedeutet dieses Urteil: „pseudotheologischen Schriften“, „ohne adäquate wissenschaftliche Vorbildung (u. a. auch ohne ausreichende Kenntnis der heiligen Sprachen!)“? Hört sich das nicht ein bißchen sehr selbstüberheblich an? Zu solchen Pauschalverurteilungen greift man gewöhnlich nur, wenn man sachlich nichts mehr zu erwidern weiß – oder wenn man an der Sedisphobie erkrankt ist. Vielleicht sollten sich die Herren einmal therapieren lassen. Ob da jedoch eine einstündige Therapie ausreicht, wird man wohl bezweifeln müssen.