Glaube und Unglaube

Aufstand gegen Gott

Gleich zu Beginn der Weltgeschichte findet sich der Aufstand gegen Gott. Gott hat Seiner Schöpfung eine Krone aufgesetzt. Diese Krone ist das geistbegabte Geschöpf, das mit einem geistigen Selbststand ausgestattet, also mit geistiger Erkenntnis und freiem Willen begabt zur freien Anerkennung der göttlichen Schöpferrechte befähigt ist. Gott nimmt diese Freiheit Seines Geschöpfes ganz ernst, weshalb ER sowohl die Engel als auch die Menschen durch ein besonderes Gebot prüft, um ihre Herzensgesinnung zu erfahren. Anhand ihres Gehorsams dem göttlichen Gebot gegenüber können sie zeigen, ob ihnen Gott wirklich etwas bedeutet und sie bereit sind, Seine absolute Souveränität über sich anzuerkennen. Bei der Prüfung versagt zunächst ein Teil der Engel – und sodann die ersten Menschen im Paradies. Es offenbart sich dadurch eine unheimliche, abgründige Möglichkeit, die gottgeschenkte Würde und Schönheit ins eigene Nichts zu kehren und zur Lüge zu entarten. Luzifer wird zum Teufel und zur Strafe für seinen Aufstand mitsamt seinem Anhang in die Hölle gestürzt, Adam und Eva werden aus dem Paradies vertrieben. Durch die Sünde hat sich die ursprünglich paradiesische Menschenwelt ins Gegenteil verkehrt, überall lauert die Versuchung und der Versucher, denn „gestürzt wurde der große Drache - die alte Schlange, genannt Teufel und Satan -, der die ganze Welt verführt. Er wurde auf die Erde geworfen und mit ihm seine Engel“ (Offb 12,9). So ist nun die Welt verflucht um der Sünde willen, d.h. ohne göttlichen Segen und somit gnadenlos.

Prometheus und sein Bruder Typhon

Der Ätna ist Europas mächtigster Vulkan. Mit einer beeindruckenden Höhe von 3352 Metern dominiert er weithin sichtbar die Ostküste Siziliens. Während die Insel in der Sonne glüht, ist der Gipfel des Ätna mit Schnee bedeckt. Sieht man seinem Hauptkrater, der von zweihundert Nebenkratern umgeben ist, Rauchwolken entsteigen, gedenkt man mit Schaudern, daß dieser Vulkan seit der Antike mehr als achtzigmal Feuer und Lava ausgespien und die ganze Gegend in Angst und Schrecken versetzt hat. Sobald der Vulkan aktiv wird, erschüttern Erdbeben die Region, Aschewolken verdunkeln den Himmel, und Lavaströme wälzen sich zu Tal und vernichten alles, was sich ihnen in den Weg stellt. Seit Jahrtausenden bestimmt der Ätna das Geschick der Menschen in seinem Umkreis. So wundert es einen nicht, daß der Vulkan in der Antike als Wohnsitz verschiedener Götter galt und einen festen Platz in der Mythologie Siziliens hat.

Dem altgriechischen Tragiker Aischylos, der selbst eine Reise nach dem griechischen Westen unternahm und das Bergmassiv des Ätna sah, lebte der Berg in mythischer Weise. Der antike Mensch glaubte nämlich, daß des Empörers Prometheus Bruder, der hunderthändige Titan Typhon, unter dem Ätna hingestreckt von Zeit zu Zeit seiner hilflosen Wut Luft mache. Vom „Gefesselten Prometheus“ des Aischylos erfahren wir, daß auch Typhon wider alle Götter aufgestanden war, „Grauen blasend aus dem Schreckensmund, lähmenden Glast aus seinen Augen sprühend“, um alle Macht des Zeus grimmig niederzureißen. Doch des höchsten Gottes Blitz habe ihn niedergestreckt, nun liege sein Riesenleib unter der Wucht des Bergmassivs gepreßt, nahe der Küste, wo sich das Meer zur Straße von Messina verengt. Selbst in dem durch des Zeus Blitz versengten Titanen koche noch der Groll in Siedehitze; schon komme er in Feuerströmen hervor. Einmal aber werde er ausbrechen und die gesegnete Au des ganzen Landes vernichten.

Die alten Mythen erscheinen uns modernen Menschen lediglich als Spiel einer ungebunden schaffenden Phantasie, nicht aber als der verdichtete Niederschlag uralter Erfahrungen des Menschen. Wir können sie nur dann verstehen, wenn wir die Geschichte oder uns selbst nach ähnlichen Erfahrungen befragen. Nur wer in irgendeiner Weise das Leid unerträglich werdender innerer Spannungen kennt, auch ihre Entladung in wilder Empörung erwägt, die wie eine Naturmacht alles, was sich ihr in den Weg stellt, niederbricht, begreift, wie solche Erfahrungen ins naturhaft Gigantische übertragen zu einem Mythos werden können. Der antike Mensch kannte von sich selbst her die elementar sprengende Kraft wilder Empörung und die Gefährdung, welche diese mit sich bringt, sobald sich diese zum Fluch gegen die Götter verleiten läßt.

Die Gestalt des Prometheus gehört zum ursprünglichen Bestand der griechischen Mythologie. Anfänglich war er den Griechen ein Gott. Dennoch gehört er nicht in den Kreis der Olympier, jener Götter also, die in paradiesisch müheloser Welt leben. Seine Taten sind wie die der anderen Titanen Leistungen eines bis zum Äußersten angespannten Wollens, aus Anstrengung geboren, wohingegen dem „Zeus willig die Welt gehorcht... gefügig dem mächtigen Willen“ (Kleanthes).

Trotz ihrer Abstammung von Gaia, der Urmutter, und Uranos, ihrem erstgeborenen Sohn – jedenfalls nach der Götterlehre des Hesiod – treten die Titanen auf die Seite der Menschen, ja begründen vorbildlich die menschliche Existenzweise. Von Prometheus werden zwei Ur-Taten berichtet, mit denen er den Himmlischen entgegentritt, die Begründung des Opfermahles und der Raub des Feuers. Damit hat er das Los der Menschen, der „Elenden“ auf sich genommen, es angesichts der Götter, der „leicht lebenden“, zu vertreten. Dabei freilich — wiederum typisch für die menschliche Lebensweise — meint er ohne krumme Wege nicht zum Ziel kommen zu können. Durch List und Schlauheit sucht Prometheus den Seins-Mangel der menschlichen Daseinsweise auszugleichen. Um sich als Mensch zu behaupten, scheint Unrechttun unvermeidlich, auch wenn darauf schreckliche Strafe steht — das scheint die Tragik des gefallenen Menschen zu sein. Immer wieder läßt er sich anstacheln zum Aufstand gegen Gott, selbst auf die Gefahr der ewigen Verdammnis hin.

Göttliche Verheißung

Über aller menschlichen Tragik steht eine göttliche Verheißung, die seit der Uroffenbarung ahnend die Menschen umtrieb. Über allem Elend, allem Versagen, aller Sünde stand die Hoffnung, Gott selbst werde dem Menschen einen Erlöser senden. Einen, der nicht in titanenhaftem Stolz sich erhebt, sondern bereit ist, in Demut den göttlichen Willen zu erfüllen, um dadurch Versöhnung zu stiften zwischen Gott und Mensch, dem Schöpfer und Seinem Geschöpf.

Der hl. Clemens von Alexandrien stellt in seiner „Mahnrede“ an die Heiden wirkungsvoll den neuen Glauben dem Alten gegenüber. „Sieh, was das neue Lied vollbrachte: Menschen hat es aus Steinen, Menschen aus Tieren gemacht. Und die sonst wie tot waren und keinen Anteil am wahren Leben hatten, sie wurden wieder lebendig, sobald sie nur Hörer des Gesanges geworden waren. Jetzt redet das göttliche Wort selbst zu dir in eigener Person und beschämt deinen Unglauben, ja fürwahr, sage ich, das göttliche Wort, das Mensch wurde, damit du in der Tat auch durch einen Menschen erfahrest, wie denn ein Mensch Gott werden kann.“ Angesichts dieser wunderbaren Offenbarung des Heilswillens Gottes in Jesus Christus müssen alle alten Sagen, Orakel und Mysterien als hilfloser Selbstbetrug weichen.

Aber wie schwer fällt es den Menschen, den alten Heidenglauben zu überwinden und Vertrauen zum menschgewordenen Gottessohn zu fassen. Es ist deswegen ein zutiefst besorgtes „Mahnen“ des Heiligen, das tödliche Gift des alten Götterwahnes auszuspeien und das Heilmittel der wahren Unsterblichkeit zu sich zu nehmen: „Laßt uns abtun das Vergessen der Wahrheit! Die Unwissenheit und die hemmende Finsternis wollen wir gleich einem dichten Nebel von unseren Augen entfernen und den wahrhaft seienden Gott anschauen und zuerst dieses Wort ihm zum Preise entgegenrufen: ‚Sei gegrüßt, o Licht!‘ Uns, die wir in Finsternis begraben lagen und im Schatten des Todes verschlossen waren, leuchtete vom Himmel ein Licht auf, reiner als das der Sonne und süßer als das Leben hienieden. Jenes Licht ist ewiges Leben; und alles, was an ihm teilhat, lebt; die Nacht aber scheut das Licht, und aus Furcht dahinschwindend, weicht sie dem Tage des Herrn; alles ist ein Licht geworden, das sich nimmermehr zum Schlummer neigt, und der Untergang hat sich in Aufgang verwandelt. Dies hat die ‚neue Schöpfung‘ bedeutet; denn ‚die Sonne der Gerechtigkeit‘, die das Weltall durcheilt, durchwandelt in gleicher Weise auch die Menschheit, indem sie ihren Vater nachahmt, ‚der über alle Menschen seine Sonne aufgehen läßt‘, und auf die Menschen die Tautropfen der Wahrheit niederfallen läßt.“

Aufstand Luzifers gegen Christus

Im Laufe der Karwoche durchbeten wir das abgrundtiefe Geheimnis unserer Erlösung und schließlich besingen wir das österliche Licht, das uns den auferstandenen Herrn versinnbildet. Wer nur einigermaßen wachen Herzens den vielen Zeremonien der hl. Liturgie folgt, erkennt die göttliche Erlöserliebe auf der einen Seite und den teuflischen Haß auf der anderen. Satan wird rasend vor Wut, denn ihm ist die Wesensart Jesu, des unschuldig leidenden Gottesknechtes vollkommen fremd. Einen solch demütigen und sanftmütigen Gott kann sich der stolze Luzifer nicht vorstellen. Dennoch ahnt Luzifer das Geheimnis Jesu und ist infolgedessen hin- und hergerissen in seinem Urteil. Schließlich stachelt er die Menschen zum Gottesmord an, er will die Sache zu Ende bringen, er will eine Entscheidung herbeizwingen.

Dieses Drama des Gottesmordes ist nur dem Gläubigen zugänglich, für einen Ungläubigen ist die Kreuzigung Jesu bloß ein tragisches Mißgeschick, eine bedauerliche politische Fehlleistung, eine jener unerklärlichen Launen der Weltgeschichte. Für den Glaubenden jedoch wird das Kreuz zum Zeichen unserer einzigen Hoffnung – O Crux, ave, spes unica!

O Kreuz, du einzige Hoffnung, sei gegrüßt!
In dieser heil’gen Leidensfrist
mehr allen Frommen Gottes Huld
und tilge aller Sünder Schuld.

und zur Offenbarung des göttlichen Erlöserherzens, das sich im unsagbaren Leiden und dem Tod am Kreuz vor die Augen der ganzen Welt malt – und wie viele beginnen zu sehen und zu glauben: „Ich aber werde, wenn ich von der Erde erhöht bin, alle an mich ziehen.“ (Joh 12,32) –

Dich Quell des Heiles, billig preist,
dreiein’ger Gott, ein jeder Geist;
hast uns des Kreuzes Sieg gewährt,
nun sei uns auch der Lohn beschert. Amen.

Am Ostermorgen zeigt sich der auferstandene Herr als Sieger über Sünde und Tod und erstrahlt im Glanz Seines göttlichen Lebens. Aber nicht vor allen Menschen erscheint ER, sondern nur vor denen, die von Gott als Zeugen Seiner Auferstehung vorherbestimmt waren. Gott fordert von den andern den Glauben, denn wie der hl. Paulus erklärt: „Ohne Glauben aber ist es unmöglich, Gott zu gefallen, denn wer Gott nahen will, muß glauben, daß er ist und daß er die, die ihn suchen, belohnt“ (Hebr 11,6).

Während das antike Heidentum sich dem Licht des Evangeliums immer mehr geöffnet und allmählich den Glauben an Jesus Christus als den Sohn Gottes und einzigen Erlöser des Menschengeschlechtes angenommen hat, hat sich der moderne Mensch von Ihm wieder entfernt. Die unbändige Glaubensfreude wich mehr und mehr einer immer radikaler werdenden Skepsis. John Henry Newman bemerkt schon im Jahre 1877: „Der religiöse Skeptizismus breitet sich unheilvoll aus -, und das große Unglück besteht darin, daß von vornherein eine allgemeine Neigung zur Seite des Unglaubens vorherrscht, da er vernünftiger und wahrscheinlicher zu sein scheint. Ein Gedanke gewinnt die Oberhand, nämlich daß große Wandlungen kommen werden, sodaß die Menschen an den Atheismus glauben, bevor sie die Offenbarung entdeckt haben“ (The Letters and Diaries of John Henry Newman, Clarendon Press, Oxford, 1961-1980. XXVIII S. 207 (16.6.1877)).

Und einige Jahre später schreibt er über dasselbe Thema: „Ich sehe darin eine wirkliche Seuche, seltsam um sich greifend. Sie breitet sich nicht durch einsichtige Gründe, sondern durch Einbildung aus. Diese täuscht nämlich eine mögliche und glaubhafte Sicht der Dinge vor, welche den Geist verfolgt und ihn schließlich überwältigt. Es beginnt damit, daß man sich die Frage stellt: 'Wie können wir sicher sein, daß dies nicht so ist?' Dieser Gedanke verbirgt vor unserem Geiste das wirklich vernünftige Fundament, auf welchem unser Glaube gründet. Damit geben wir unseren Glauben auf. Und wie kann er überhaupt noch zurückgewonnen werden, wenn nicht allein durch ein wundervolles Eingreifen der Gnade Gottes. Möge Gott uns alle vor diesem schrecklichen Trug der letzten Tage bewahren! Ich blicke mit großer Besorgnis – ja, ich muß sagen mit Bangen – auf die nächste Generation“ (The Letters and Diaries of John Henry Newman, Clarendon Press, Oxford, 1961-1980. XXX S 102 (15.6.1882)).

Wie wir heute wissen, hat sich Newmans bange Ahnung nur allzu schnell bewahrheitet. Der große Abfall vom christkatholischen Glauben hatte begonnen – und alle Befürchtungen um vieles übertroffen! Wie notwendig ist es darum, das vernünftige Fundament, auf welchem unser Glaube gründet, inmitten der Ruinen zu bedenken, erscheint doch der Gottesglaube den meisten modernen Menschen inzwischen als absurd. Der Zugang zum rationalen Fundament ist ihnen offensichtlich versperrt. Aber auch viele Christen finden den Weg zum wahren Glauben nicht mehr, sondern verlieren sich in einer der vielen verbreiteten irrigen Vorstellungen, weil sie die Wahrheit nicht mehr kennen.

Vom Wesen des Glaubens

Wir wollen uns in der Folge schrittweise dem Wesen des Glaubens nähern, damit der Begriff sich entsprechend klärt und wir wieder verstehen, daß „Glauben“ wesentlich zu unserem Menschsein gehört, solange wir in dieser irdisch-vergänglichen Welt uns befinden. In unserer Analyse des Glaubensbegriffs wollen wir uns vornehmlich an der Arbeit von Josef Pieper orientieren – „Josef Pieper – lieben, hoffen, glauben“, Kösel Verlag München, 1986. Alle folgenden Seitenangaben beziehen sich auf dieses Werk.

Wortbedeutung

Wie viele Wörter unserer Sprache, wird auch das Wort „Glaube“ in einem eigentlichen und uneigentlichen Sinn gebraucht. Es ist zum richtigen Verständnis dessen, was Glaube wirklich meint, entscheidend, den eigentlichen Sinn von dem uneigentlichen klar zu unterscheiden. Die meisten Mißverständnisse und Fehlinterpretierungen entstammen einer mangelnden Unterscheidung und daraus folgend einer Verwirrung des Begriffs.

Josef Pieper geht deswegen zunächst der Frage nach: „Was alles aber meinen die Menschen wirklich, wenn sie vom Glauben sprechen; welches ist die wahre, runde, komplette Bedeutung dieses Begriffs?“ Die Antwort auf diese Frage wird vorerst anhand eines Beispiels gegeben, das die ganze Bandbreite dessen, was „Glauben“ sein kann, aufzeigt: „Jemand gibt mir eine Nachricht zu lesen, die er selber für einigermaßen verwunderlich hält; und nachdem ich sie zur Kenntnis genommen habe, fragt er mich: Glaubst du das? — Was eigentlich will er von mir hören? Er will hören, ob ich der Meinung bin, daß die Nachricht »stimmt«; er will wissen, wie ich mich dazu »stelle«, ob ich die Meldung für wahr, das heißt, ob ich den darin berichteten Sachverhalt für wirklich halte. Es ist klar, daß es außer »Ja« und »Nein« verschiedene mögliche Antworten gibt. Ich könnte etwa sagen: Ich weiß nicht, ob es stimmt; ich finde, es kann ebensogut nicht stimmen. Oder meine Antwort könnte so lauten: Ich vermute, die Meldung ist zutreffend; ich meine, es hat mit ihr seine Richtigkeit - obwohl auch das Gegenteil mir nicht als völlig ausgeschlossen erscheint. Es wäre ferner denkbar, daß ich entschieden mit »Nein« antworte. Dies »Nein« freilich könnte mehreres bedeuten. Es könnte bedeuten, daß ich die Nachricht für unwahr halte, für einen Irrtum, für eine Lüge, für eine »Ente«. Möglicherweise aber könnte ich mit dem »Nein« auch das Folgende meinen: Du fragst mich, ob ich das glaube; nein, ich »glaube« es nicht; ich weiß nämlich, daß es stimmt; ich habe, was da berichtet wird, mit meinen eigenen Augen gesehen; ich bin zufällig »dabeigewesen«. Endlich aber könnte meine Antwort sein: Ja, ich glaube, daß die Nachricht wahr ist, das heißt, daß es sich so verhält, wie es da geschrieben steht. Das freilich werde ich vielleicht erst sagen, nachdem ich mich noch rasch vergewissert habe, wer für den Bericht als Autor zeichnet oder auch, in was für einer Zeitung die Nachricht erschienen ist“ (S. 264).

Anhand der hier durchspielten Möglichkeiten wird jedem sofort ansichtig, wie vielfältig „Glauben“ im alltäglichen Leben sein kann. Aber was ist nun der diesen vielen Möglichkeiten zugrundeliegende Sachverhalt? Was verbindet diese Vielheit von Möglichkeiten zu einer vergleichbaren Einheit? Josef Pieper formuliert diesen gemeinsamen Sachverhalt folgendermaßen: „Eine erste annähernde Kennzeichnung müßte demnach so lauten: Glauben heißt soviel wie Stellung nehmen zu der Wahrheit einer Aussage und zu der Tatsächlichkeit des ausgesagten Sachverhalts; Glauben bedeutet, genauer gesagt, daß man eine Aussage für wahr und das Ausgesagte für wirklich, für objektiv zutreffend hält.“

Grundsätzlich gibt es hierbei vier klassische Möglichkeiten der Stellungnahme eines Menschen zur Aussage eines anderen, nämlich: Zweifeln, Meinen, Wissen, Glauben.
Der Unterschied ist dabei folgender: Meinen, Wissen, Glauben sind Formen der zustimmenden Stellungnahme, wobei aber nur der Wissende und der Glaubende uneingeschränkt zustimmen, wohingegen der Meinende einen Vorbehalt in seiner Zustimmung macht. Der Wissende und der Glaubende sagen: „Ja, so ist es und nicht anders!“ Der Meinende setzt als stillschweigende Bedingung etwa hinzu: „So scheint es jedenfalls zu sein“ oder „Soweit ich das beurteilen kann“ usw. Der Zweifelnde dagegen glaubt gar nicht, denn er verweigert aufgrund seines Zweifels die Zustimmung.

Glaube als feste Zustimmung

Wahrer Glaube ist seinem Wesen nach bedingungslos. Es ist nun näherhin zu zeigen, inwieweit dies gilt und wie es genau zu verstehen ist. Josef Pieper faltet den Gedanken wiederum anhand eines Beispiels weiter aus: „Nehmen wir an, ein mir völlig unbekannter Mann, der, wie er sagt, soeben aus langjähriger Kriegsgefangenschaft heimgekehrt ist, komme zu mir ins Haus mit der Nachricht, er habe meinen Bruder in einem »Schweigelager« gesehen; dieser seit langer Zeit verschollene, totgeglaubte Bruder sei am Leben und werde wohl gleichfalls bald heimkehren. Manches von dem, was mir nun berichtet wird, paßt zu dem Bilde, das ich selbst von meinem Bruder habe; es ist durch innere Wahrscheinlichkeit in etwa ausgewiesen. Das Entscheidende aber, ob er nämlich lebt und wie es um ihn bestellt sein mag - dies kann ich auf gar keine Weise nachprüfen. Nachprüfbar bis zu einem gewissen Grade ist auch die Glaubwürdigkeit des Zeugen. Und natürlich lasse ich keine Möglichkeit aus, etwas über ihn zu erfahren. Eines Augenblicks aber stehe ich unvermeidlich vor der Entscheidung: Soll ich glauben oder nicht, was er berichtet; soll ich ihm glauben oder nicht? - In diesen Fragesätzen, das ist völlig klar, läßt sich die Vokabel »glauben« auf keine Weise durch ein anderes Wort ersetzen. Und das heißt: hier ist »Glauben« in seiner vollen, strikten, eigentlichen Bedeutung gemeint. Zweierlei tritt hiermit sogleich ans Licht. – Der im eigentlichen Sinn Glaubende hat es, erstens, nicht nur, wie etwa der Wissende, mit einem Sachverhalt zu tun, sondern zugleich mit einem Jemand, mit dem Zeugen nämlich, der den Sachverhalt verbürgt und auf den der Glaubende sich verläßt. Zweitens zeigt sich das, wonach die gegenwärtige Erörterung vor allem fragt: daß Glauben [im eigentlichen Sinn] wirklich eine vorbehaltlose Zustimmung und ein unbedingtes Fürwahrhalten meint“ (S. 271).

Anhand dieses persönlich sehr bewegenden Beispiels wird direkt erlebbar, was Glauben meint. Ein fremder Mann steht plötzlich an der Haustüre und überbringt eine Nachricht, die eine Zentnerlast von der eigenen Seele nimmt – nämlich die Ungewißheit, ob der eigene Bruder im Krieg gefallen ist, oder ob er womöglich doch noch lebt. Dem Angesprochenen geht es wohl schlagartig durch den Kopf: Es sind doch in letzter Zeit immer wieder Berichte veröffentlicht worden von solchen Fällen. Eine Todesmeldung ist niemals eingetroffen. Andere Kameraden sind doch auch noch am Leben… Mit einem Mal gibt es ein Lebenszeichen! Ein Augenzeuge steht vor einem und berichtet, der seit langer Zeit verschollene, totgeglaubte Bruder ist am Leben, er habe ihn gesehen, gesprochen und von ihm den Auftrag erhalten, das mitzuteilen. Auch der Bruder wird wohl gleichfalls bald heimkehren.

Josef Pieper gibt nun zu bedenken: „Würde ich dem Heimkehrer, der nun als Gast an meinem Tische sitzt, als Resultat meines Nachdenkens etwa sagen: sein Bericht habe mich stark beeindruckt und ich sei durchaus geneigt, ihn für zutreffend zu halten, aber, da ich ja schließlich nicht die Möglichkeit der Nachprüfung besitze ... — wollte ich so sprechen, dann müßte ich mich darauf gefaßt machen, daß der andere mich unterbrechen könnte mit der knappen Feststellung: Mit einem Wort, Sie glauben mir nicht! Darauf würde ich vielleicht, um das Verletzende solcher Direktheit ein wenig zu mildern, antworten: Doch, er habe durchaus mein Vertrauen, und ich sei auch bereit, ihm zu glauben; freilich, völlig sicher sei ich eben doch nicht. Wenn dann mein Gegenüber unnachgiebig dabei bleiben würde, daß ich ihm demnach nicht glaube — dann hätte er damit ganz und gar recht. »Ich glaube zwar, aber ich bin nicht völlig sicher«: wer so spricht, meint entweder Glauben in uneigentlicher Bedeutung, oder er redet Unsinn.“

Hiermit kommt ein weiterer Aspekt des Glaubens griffig zur Sprache: Glaube heißt immer jemandem glauben, heißt, sich auf einen glaubwürdigen Zeugen stützen. Womit die Sprache bildhaft das Wesen des Glaubens zum Ausdruck bringt: Der Glaubende verläßt sich auf das Wissen eines anderen. Insofern er diesem, den Sachverhalt Bezeugenden, vertraut, weil er sein Wissen für zuverlässig hält, stützt er sich auf dieses Wissen und macht es sich damit selber zu eigen.

Wobei es sicher ein den eigenen Glauben sehr erhellender Gedanke ist, nüchtern einzusehen, daß der Großteil unseres vermeintlichen „Wissens“ gar nicht wirkliches, also selbst gewonnenes Wissen ist, sondern Wissen, das auf dem Wege des Glaubens erworben wurde. Josef Pieper stellt wohl auch deswegen seinen Erwägungen „Über den Glauben“ den Satz des griechischen Philosophen Aristoteles voran: „Wer lernen will, muß glauben.“ Es ist ein Zeichen der schon unheimlich zu nennenden Naivität des modernen Menschen, daß er sich wahrlich einbildet, mehr zu wissen, als die Menschen aller früheren Jahrhunderte, die seiner Meinung nach alle noch im finsteren Aberglauben gefangen waren. Wobei doch ganz anders als der heutige Mensch die Menschen früherer Jahrhunderte sicherlich einen viel größeren Teil ihrer lebenstragenden Erkenntnisse aus eigener Erfahrung gewonnen haben, wohingegen der moderne Mensch diese vorwiegend einem viereckigen Kasten entnimmt, dem er großteils unreflektiert alles glaubt, was er – oder besser es, nämlich, die Maschine – sagt und zeigt oder auch einfach nur dem „Zuschauer“ vorgaukelt. Aber auch in fast allen „Wissens“gebieten verläßt sich der moderne Mensch auf irgendwelche „Fachmänner“, bei denen er, wenn er ehrlich ist, in keiner Weise sicher weiß und wirklich einschätzen kann, was sie nun wirklich wissen oder was sie nur meinen oder sich auch nur zusammenphantasieren, erinnert doch die moderne Wissenschaft in vielen Bereichen durchaus schon an Science fiction Romane. Dieses naive Vertrauen auf die vermeintlichen Einsichten der modernen Wissenschaft speist sich letztlich allein aus dem Vertrauen auf den technischen Fortschritt. Wobei die im wahrsten Sinne des Wortes todbringenden Komponenten dieses Fortschritts vollkommen ignoriert werden.

Aber kommen wir zurück zu unserem eigentlichen Thema. Wir haben gesehen, wenn wir das Wort „Glauben“ in seiner eigentlichen Bedeutung gebrauchen, dann ist — wohl bemerkt: nach jedermanns Meinung! — von einer uneingeschränkten, vorbehaltlosen, an keine Bedingung geknüpften Zustimmung die Rede. Josef Pieper gibt zu bedenken: „In Bezug auf das Kennen des Sachverhalts ist der ‚Dabeigewesene‘ und der Wissende dem Glaubenden überlegen, nicht aber in Bezug auf die unbeirrbare Festigkeit der Zustimmung.“ Glaubender und Wissender kommen also überein in ihrer Festigkeit der Zustimmung zu einem bestimmten Wissen, weshalb der hl. Thomas von Aquin grundsätzlich feststellt: „Es gehört zum Begriff des Glaubens selbst, daß der Mensch dessen sicher sei, woran er glaubt“ (II-II. 112,5 ad 2). Dieselbe Einsicht formuliert John Henry Newman auf eine fast herausfordernde Weise: „Wenn einer sagt ‚Ja, jetzt, in diesem Augenblick glaube ich...; aber ich kann nicht versprechen, daß ich auch morgen noch glauben werde‘ — dann glaubt er auch jetzt nicht.“

Freiheit des Glaubensaktes

Weil der Glaube kein selbstgewonnenes Wissen schenkt und schenken kann – würde mir jemand etwas mitteilen, was ich selbst weiß, dann würde, bräuchte ich das nicht zu glauben, sondern könnte antworten: Das weiß ich selbst schon – ist der Glaube immer frei. Nichts zwingt mich dazu zu glauben. Die Vernunft kann den Menschen immer nur an den Glauben heranführen, ihn aber niemals aufzwingen. John Henry Newman formuliert diesen Sachverhalt vollkommen treffend, wenn er schreibt: „Sobald du überzeugt bist, daß du glauben müßtest, hat die Vernunft das Ihre getan; was nun vonnöten ist zum Glauben, ist nicht ein Argument, sondern ein Willensakt.“

Sobald man nun beides erwägt, auf der einen Seite die Sicherheit des Glaubens, auf der anderen Seite die Freiwilligkeit des Glaubensaktes, wird einem greifbar, daß Glauben seinem Wesen nach zwiespältig ist. Josef Pieper weist darauf hin: „Niemand, der glaubt, muß glauben; Glaube ist ein von Natur freier Akt. Die Einsicht in die Glaubwürdigkeit des Zeugen kann niemals dazu hinreichen, einen Menschen zum Glauben zu nötigen; und der Sachverhalt, dessen Offenbarkeit den Erkennenden sehr wohl zu zwingen vermag, zeigt sich dem Glaubenden gerade nicht. Immer also ist der Glaubende, indem er glaubt, frei. Weil übrigens dies so ist, darum ist der Glaube ein in besonderem Maße unaufhellbares Phänomen. Nicht allein der religiöse Offenbarungsglaube, sondern auch das Glaubenschenken der Menschen untereinander ist, weil aus der Freiheit entspringend, von Natur dem Geheimnis benachbart und verwandt“ (S. 298).

Im Akt des Glaubens wird uns ein Grundverhalten der Menschen im gegenseitigen Umgang ansichtig, nämlich das Vertrauen. Wir sagten schon: Glauben heißt immer jemandem glauben. Die Sicherheit des Glaubens stammt nicht aus der eigenen Einsicht in den Sachverhalt, sondern aus dem persönlichen Vertrauen dem bezeugenden Menschen gegenüber. Dieses Vertrauen hat jedoch immer etwas Schwebendes, weil es unmöglich ist, einem Menschen vollkommenes, absolutes Vertrauen entgegenzubringen. Diesen Sachverhalt formuliert in anschaulichster Weise das Sprichwort: „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, selbst wenn er auch die Wahrheit spricht.“ Dieses Sprichwort verweist auf die zerbrechliche Basis menschlichen Glaubens: Eine einzige Lüge kann diese Basis in Frage stellen und zerstören – wenigstens diesem einen Menschen gegenüber. Eine offenbarwerdende Lüge fördert sozusagen die grundsätzliche Schwäche menschlichen Glaubens zu Tage. Es ist, als würde mit einem Mal dem Glaubenden der Boden unter den Füßen weggezogen. Mit einem Mal ist jeglicher Glaube verschwunden und es bleibt die bittere Einsicht: Und ich habe dir geglaubt!

Wobei nicht allein die Lüge, sondern auch noch die Täuschung eine Möglichkeit darstellt, den geschenkten Glauben in Frage zu stellen. Jemand kann auch etwas mit bestem Wissen und Gewissen bezeugen – und dennoch muß er womöglich nach einiger Zeit feststellen, daß er sich trotz aller Sorgfalt der Prüfung oder des Studiums getäuscht hat. Jeder Mensch ist irrtumsfähig!

Aufgrund dieser beiden Möglichkeiten werden die Grenzen menschlichen Glaubens deutlich. Glaube einem Menschen gegenüber kann niemals absolut sein. Einen solchen absoluten Glauben gibt es – zunächst wenigstens theoretisch – allein Gott gegenüber, der sich nicht täuschen kann, weil er allwissend ist und auch nicht lügen kann, weil er die Wahrheit ist.

Natürlicher und übernatürlicher Glaube

Der religiöse Glaube stellt die vollkommene Form des Glaubens dar. Denn im religiösen Glauben habe ich einen Zeugen, auf den ich mich in jedem Fall, vollkommen, rückhaltlos verlassen kann. Das einzusehen ist grundlegend, um die Wesensart des übernatürlichen Glaubens verstehen zu können.

Nur dann, wenn man das festhält, ist man auch befähigt, den nächsten Schritt zu gehen, vernünftigerweise zu gehen: Nämlich Gott auch dann zu glauben, wenn ER uns Wissen offenbart, das unsere Vernunft wesentlich übersteigt, also Geheimnisse im wahren Sinne des Wortes. Damit ist ein Wissen gemeint, das auch nach der Offenbarung für unsere Vernunft unerkennbar bleibt. Diese Möglichkeit am göttlichen Wissen durch Glauben teilzunehmen, hat durchaus etwas Geheimnisvolles an sich.

Der hl. Thomas von Aquin umschreibt dieses Geheimnis mit folgendem Satz: „Unter sonst gleichen Bedingungen ist Sehen mehr als Hören; wenn aber der, von dem man hörend etwas erfährt, weit mehr zu erfassen vermag, als was man selber sehend zu Gesicht bekommt, dann ist Hören mehr als Sehen“ (II-II, 4, 8 ad 2). Dies gilt zwar auch schon für einen natürlichen Glauben – denken wir an das Verhältnis eines Lehrers, der selbstverständlich mehr wissen sollte, zu seinem Schüler – aber im eigentlichen Sinne besonders für den übernatürlichen Glauben. Kann doch Gott zweifelsohne unendlich mehr erfassen, als man selbst sehend zu Gesicht bekommt, weshalb hier Hören unendlich mehr ist als selber Sehen!

Die Tragweite dieser Einsicht wird einem freilich nur dann wirklich einleuchten, wenn für einem die Wirklichkeit Gottes zweifelsfrei feststeht und man Gott als Person erkannt hat, die sich in einer Wahrheit verbürgenden Rede uns Menschen zuwenden kann und es auch tut. Damit wird deutlich, der theologische Glaube trägt eine unvergleichlich höhere Spannung in sich als der natürliche Glaube. Steht darin doch ständig die höchste Glaubwürdigkeit Gottes der Unmöglichkeit, das offenbarte Glaubensgeheimnis rational zu verstehen, gegenüber. Das Mißverstehen dieser Tatsache hat in der Aufklärungszeit dazu geführt, dem solchermaßen Glaubenden vorzuwerfen, er würde seine Vernunft dem Glauben opfern. Dieser Vorwurf ist natürlich in diesem Zusammenhang vollkommen unsinnig und zeigt seinerseits, daß man das Wesen des theologischen Glaubens schon lange nicht mehr verstand. Denn die göttliche Wahrheit hebt auch in ihrem Geheimnischarakter die menschliche Vernunft nicht auf und zwingt sie nicht dazu, Irrationales anzuerkennen; vielmehr hebt sie die menschliche Vernunft über sich hinaus und hilft ihr mit dem geschenkten gnadenhaften Licht des Glaubens, das Geheimnis immer tiefer zu erfassen.

Der hl. Thomas von Aquin hat den Doppelcharakter des Glaubens minutiös aufgearbeitet und erklärt sodann zusammenfassend, es finde sich im Glauben „aliquid perfectionis et aliquid imperfectionis“, also sowohl ein Element von Vollkommenheit, als auch eines von Unvollkommenheit. Dabei liege die Vollkommenheit in der Festigkeit der Zustimmung, wohingegen die Unvollkommenheit darin liege, daß kein Sehen zustande komme. Aus diesem Grund bleibe im Glaubenden eine „Denk-Unruhe“ zurück, wie Josef Pieper hier das vom hl. Thomas gebrauchte lateinische Wort „cogitatio“ übersetzt.

Der katholische Glaube, der eine göttliche Tugend ist, eröffnet uns einen Blick in die Welt Gottes hinein, die unserer natürlichen Vernunft ihrem Wesen nach unerreichbar ist – und auch nach der Offenbarung bleibt! Es kann darum gar nicht anders sein, aus diesem Ansichtigwerden der göttlichen Geheimnisse muß eine Denk-Unruhe entspringen, die umso größer ist, als die Glaubenswahrheit mit absoluter Sicherheit festgehalten wird und werden muß, aufgrund des die Wahrheit verbürgenden Zeugnisses Gottes. Der Mensch möchte das offenbare Geheimnis immer tiefer begreifen, was ihm mit Hilfe des göttlichen Glaubenslichtes auch gelingt. Dabei ist es entscheidend, immer zu bedenken, daß diese „Denk-Unruhe“ kein Zweifel ist, weil doch der Glaube keinen Zweifel duldet, dieser wäre eine Sünde gegen die Tugend des Glaubens. Newman bemerkt einmal sehr fein unterscheidend: „Zehntausend Schwierigkeiten bilden noch keinen Zweifel ...“ (Apologia pro vita sua, Longmans, Green und Co., London 1888).

Die klassische und kürzeste Umschreibung des Begriffs „Glauben“ lautet: „cum assensione cogitare“. Wollte man dies im Deutschen wörtlich übersetzen mit „mit Zustimmung denken“, würde das eigentliche der lateinischen Aussage verlorengehen. Es muß viel eher heißen: „Mit Zustimmung be-denken“. Wobei wir wissen, ein Glaubensgeheimnis kann und muß ein ganzes Leben lang bedacht werden, wenn es in einem lebendigen Glauben festgehalten werden soll, weshalb J.H. Newman mahnt: (279) „Der Glaube ist ein göttliches Geschenk. Er wird durch Gebet gewonnen. Das Gebet muß geduldig und beharrlich sein“ (The Letters and Diaries of John Henry Newman, Clarendon Press, Oxford, 1961-1980. XXXI S. 177 (11.12.1886)).

Damit kommt etwas Entscheidendes zur Sprache, das man im persönlichen Glaubensleben niemals außer Acht lassen darf: Unser Glaube hat es zunächst nicht mit etwas zu tun, mit einer Lehre, nicht mit Glaubenssätzen und Geboten, sondern mit Jemandem, mit einer Person – ja, mit dem Geheimnis der drei göttlichen Personen der Allerheiligsten Dreifaltigkeit, die eines Wesens sind in ihrer Gottheit und damit ein einziger Gott! Der hl. Ambrosius stellt hierzu die alles entscheidende Frage: „Cui magis de Deo quam Deo credam“ – „wem sollte ich in bezug auf Gott eher glauben als Gott?“ Die ganze christkatholische Tradition ist nur zu verstehen, wenn man begreift, daß es letztlich immer nur darum geht, diese Einsicht ernst zu nehmen: Wenn es um Gott geht, ist Gott der oberste, erste, beste und mithin sogar der einzige zuverlässige und glaubwürdige Zeuge. Der hl. Augustinus faltet diesen Gedanken noch etwas weiter aus, indem er dreierlei unterscheidet: Deo credere, Deum credere, in Deum credere. Er erklärt dazu: „Deo credere heißt: glauben, daß wahr ist, was Gott sagt...; so glauben wir auch einem Menschen, während wir nicht ‚an‘ einen Menschen glauben. Deum credere heißt: glauben, daß Er Gott ist. In Deum credere heißt: glaubend lieben, glaubend zu Ihm hingehen, glaubend Ihm anhangen und Seinen Gliedern zugesellt werden“ (Augustinus, Enarr. in Psalmos 77,8, Migne PL 36, 988).

Die abschließenden Worte des hl. Augustinus erinnern uns an die unvorstellbare Dynamik des Gottesglaubens. Niemand kann an Gott glauben, der das höchste, unendliche Gut ist, ohne dadurch gedrängt zu werden, sich IHM anzuschließen und hinzugeben. Die eingegossene Tugend des Glaubens muß sich darum im Laufe des Lebens immer mehr entfalten. Ad. Tanquerey beschreibt in seinem „Grundriss der aszetischen und mystischen Theologie“ die heiligende Aufgabe der Tugend des Glaubens (Desclées & Co., Paris 1931, S 816ff). Wir wollen daraus einen etwas längeren Abschnitt wiedergeben:

II. Heiligende Aufgabe der Tugend des Glaubens.
1172. Dem so verstandenen Glauben muss begreiflicherweise ein bedeutender Anteil an unserer Heiligung zufallen. Als Teilnahme an den Gedanken Gottes ist er die Grundlage des übernatürlichen Lebens und vereinigt uns aufs innigste mit Gott.
1173. 1. Er ist die Grundlage unseres übernatürlichen Lebens. Wie wir sagten, gilt Demut als Grundlage der Tugenden. In welchem Sinne, haben wir erklärt (N. 1138). Der Glaube ist nun, seinerseits, die Grundlage der Demut, die, wie wir bereits sagten, den Heiden unbekannt war. Folglich ist er, noch tiefer gehend, die Grundlage aller Tugenden.
Zur Vermittlung noch besseren Verständnisses brauchen wir nur die Worte des Konzils von Trient auszulegen. Es bestätigt, der Glaube sei der Anfang, die Grundlage und die Wurzel der Rechtfertigung und somit der Heiligung. „Humanae salutis initium, fundamentum et radix totius justificationis.“ (Beginn des menschlichen Heiles, Fundament und Wurzel der ganzen Rechtfertigung.)
A) Er ist deren Anfang, weil er das von Gott gebrauchte, geheimnisvolle Mittel zur Einführung in das göttliche Leben ist, in die Art und Weise, auf die Gott sich selbst kennt. Unsererseits ist er die erste übernatürliche Verfassung, ohne die wir weder hoffen noch lieben können. Er ist sozusagen die Besitzergreifung Gottes und göttlicher Dinge. Tatsächlich muss man das Übernatürliche erst kennen, ehe man es erfasst und davon lebt. „ Nil volitum quin praecognitum.“ (Nichts wird gewollt, was nicht vorher erkannt wird.) Wir erkennen es durch den Glauben, ein dem Lichte der Vernunft hinzugefügtes, neues Licht, durch das wir in eine neue Welt, nämlich in die übernatürliche Welt, eindringen. Er ist wie ein Teleskop, das uns die mit bloßem Auge nicht wahrnehmbaren, entfernten Dinge zeigt. Und doch ist dieser Vergleich sehr hinkend, denn das Teleskop ist ein äußerlich vorhandenes Instrument, während der Glaube in das Innerste unseres Verstandes eindringt, dessen Schärfe er erhöht und dessen Wirkungsfeld er erweitert.
1174. B) Er ist auch die Grundlage des inneren Lebens. Dieser Vergleich zeigt uns, dass die Heiligkeit ein sehr umfangreicher, hoher Bau ist, dessen Grundstein der Glaube bildet. Je tiefer und breiter nun die Grundmauern eines Gebäudes gelegt werden, desto mehr kann es, ohne Gefahr für seine Festigkeit, sich nach oben erheben. Aus diesem Grunde ist es so wichtig, dass der Glaube bei frommen Menschen, besonders bei Theologiestudierenden und Priestern gefestigt werde, damit sich auf dieser unerschütterlichen Grundlage der Tempel der christlichen Vollkommenheit erhebe.
C) Endlich ist er die Wurzel der Heiligkeit. Die Wurzeln holen sich aus dem Erdboden die zur Ernährung und zum Wachstum eines Baumes notwendigen Säfte. Ähnlich macht es der Glaube, der seine Wurzeln bis ins Innerste der Seele senkt, sich dort von den göttlichen Wahrheiten nährt und der Vollkommenheit reichliche Speisung gewährt. Sind die Wurzeln recht tief, so geben sie auch dem Baum, den sie tragen, Festigkeit. Ebenso widersteht die im Glauben gefestigte Seele allen inneren Stürmen. Zur Erlangung hoher Vollkommenheit gibt es daher nichts Wichtigeres, als tiefeingewurzelten Glauben zu besitzen.
1175. 2. Der Glaube vereinigt uns mit Gott und lässt uns an seinen Gedanken und seinem Leben teilhaben. Die Erkenntnis, mit der Gott sich selbst erkennt, wird dem Menschen teilweise verliehen. „Durch ihn“, sagt Mgr. Gay „wird das Licht Gottes unser Licht, seine Weisheit unsere Weisheit, seine Wissenschaft unsere Wissenschaft, sein Geist unser Geist, sein Leben unser Leben.“
Unseren Verstand vereinigt er unmittelbar mit der göttlichen Weisheit. Weil aber der Glaubensakt nicht ohne Mitwirkung des Willens zustande kommt, ist dieser ebenfalls an den glücklichen Wirkungen beteiligt, die der Glaube in der Seele hervorbringt. Daher kann man behaupten, der Glaube sei die Lichtquelle für den Verstand, Kraft und Trost für den Willen, Grundlage von Verdiensten für die ganze Seele.
1176. A) Er ist das Licht zur Erleuchtung des Verstandes und unterscheidet den Christen vom natürlich Weisen, wie die Vernunft den Menschen vom Tier unterscheidet. Wir besitzen ein dreifaches Erkenntnisvermögen: das sinnliche, das sich durch die Sinne betätigt, das vernünftige, das durch den Verstand ermöglicht wird, das geistliche oder übernatürliche, das der Glaube verleiht. Dieses letztere ist viel kostbarer als die beiden anderen.
a) Er erweitert den Kreis unserer Kenntnisse von Gott und göttlichen Dingen. Durch die Vernunft kennen wir so wenig von Gottes Wesen und innerem Leben. Durch den Glauben erfahren wir vieles. Er sagt uns, dass es einen lebendigen Gott gibt, der von Ewigkeit her einen Sohn erzeugt und dass aus der gegenseitigen Liebe zwischen Vater und Sohn die dritte Person, der Hl. Geist, hervorgeht. Ferner, dass der Sohn Mensch geworden ist, um uns zu erlösen. Die an ihn glauben, werden die angenommenen Kinder Gottes. Der Hl. Geist nimmt Wohnung in unserer Seele, heiligt sie und schenkt ihr einen übernatürlichen Organismus, so dass wir gottähnliche und verdienstliche Akte vollziehen können. Und das ist nur ein Teil der uns gewordenen Offenbarungen.
b) Er verhilft zur Vertiefung der von der Vernunft bereits erkannten Wahrheiten. Wieviel genauer und vollkommener ist z. B. die Sittlichkeitslehre des Evangeliums im Vergleiche zur natürlichen!
Man beachte die Bergpredigt: Gleich bei Beginn wagt es der Heiland, die Armen, Sanftmütigen und die Verfolgten selig zu preisen. Von seinen Jüngern verlangt er, die Feinde zu lieben, für sie zu beten und ihnen Gutes zu tun. Die von ihm verkündete Heiligkeit ist nicht die gesetzliche oder äußere Heiligkeit, es ist die innere, die auf der Liebe zu Gott und zum Nächsten beruht. Zu unserer Aneiferung stellt er uns das vollkommenste Ideal, Gott und seine Vollkommenheiten, vor Augen. Da aber Gott fern von uns zu sein scheint, steigt sein Sohn vom Himmel herab, wird Mensch, lebt unser Leben und bietet uns so ein leichtfassliches Beispiel des vollkommenen Lebens, das wir auf Erden führen sollen. Um uns die zu einem solchen Unternehmen nötige Kraft und Ausdauer zu verleihen, begnügt er sich nicht damit, uns voranzugehen, er kommt selbst in uns, um mit seinen Gnaden und Tugenden in uns zu leben. Wir können also keine Entschuldigungen für unsere Schwäche vorbringen. Er selbst ist unsere Kraft, ebenso unser Licht.

Wem glaube ich?

Es bleibt nun noch eine Frage zu klären, die den konkreten, tatsächlichen Glauben des Katholiken betrifft. Nach Tanquerey ist der Glaube eine „göttliche Tugend, die, unter Einfluß des Willens und der Gnade, unseren Verstand geneigt macht, den geoffenbarten Wahrheiten wegen der Autorität Gottes fest zuzustimmen“.

Nun ist es eine von jedem erfahrbare Tatsache, daß Gott durchaus nicht persönlich zu uns spricht, weshalb wir IHM auch nicht in derselben direkten Weise Glauben schenken können wie etwa einem Menschen. Wie komme ich daher zu einem wahren, übernatürlichen Glauben? Einen Glauben, bei dem ich mich letztlich nicht wieder auf eigene Einsicht stütze, sondern wirklich auf Gott? In einem Katechismus aus dem Jahre 1889 wird genau diese Frage gestellt: „Offenbart sich Gott auch uns?“

Eine sehr berechtigte Frage, denn nur dann kann ich Gott im eigentlichen Sinne Glauben schenken, wenn ER sich mir in irgendeiner Weise konkret, erkennbar offenbart. Die Antwort auf diese Frage in dem Katechismus aber lautet: „Gott offenbart sich uns durch die Lehre der heiligen römisch-katholischen Kirche, die von Christus eingesetzt ist als unfehlbare Lehrerin der göttlichen Offenbarungen, der wir daher glauben müssen“ (Die Heilslehre der katholischen Kirche von Leopold Uffenheimer, Benzinger Einsiedeln, 1889, S. 16).

Da sich Gott nicht jedem einzelnen Katholiken offenbart und ihn nicht persönlich im Glauben unterweisen will, hat ER die hl. Kirche als unfehlbare Lehrerin der göttlichen Offenbarungen eingesetzt. Sie nimmt durch den ständigen Beistand des Heiligen Geistes an der Irrtumslosigkeit des göttlichen Lehrers teil, weshalb sie auch allein unseren göttlichen Glauben gewährleistet und gewährleisten kann. Wäre die hl. Kirche nicht unfehlbar, so könnte sie von uns keine andere Glaubwürdigkeit erwarten und einfordern als jeder andere Mensch oder rein menschliche Gemeinschaft auch. Somit wäre aber der ihr entgegengebrachte Glaube nur ein rein natürlicher. Er würde sich von einem einem Menschen geschenkten Glauben nicht wirklich unterscheiden.

Im Römischen Katechismus, Erster Teil, Zehntes Hauptstück, heißt es darum: „18. Die Kirche kann in Lehren des Glaubens oder der Sitten nicht irren. Aber wie diese eine Kirche nicht irren kann in der Überlieferung der Glaubens- und Sittenlehre, da sie vom Heiligen Geiste regiert wird: so sind notwendigerweise alle übrigen, welche sich den Namen ‚Kirche‘ anmaßen, da sie vom Geiste des Teufels geleitet werden, in den gefährlichsten Irrtümern bezüglich der Lehre und der Sitten befangen.“

Es wird also der Unterschied zu allen anderen Gemeinschaften, die sich den Namen „Kirche“ anmaßen, aber in Wirklichkeit nicht Kirche sind, darin gesehen, daß die wahre Kirche die Wahrheit irrtumslos bewahrt, weil sie vom Heiligen Geiste regiert wird, wohingegen die verschiedenen Sekten vom Geiste des Teufels geleitet werden, weshalb sie in den gefährlichsten Irrtümern bezüglich der Lehre und der Sitten befangen sind.

Aus diesem Grund stellt Pius IX. in seiner Enzyklika „Qui pluribus“ vom 9. Febr. 1878 fest: „Und hieraus wird ganz deutlich, in welch großem Irrtum sich auch jene befinden, die, die Vernunft mißbrauchend und die Worte Gottes als menschliches Werk erachtend, aus eigener Willkür jenes zu erklären und blindlings auszulegen wagen, während doch Gott selbst eine lebende Autorität einsetzte, die den wahren und rechtmäßigen Sinn seiner himmlischen Offenbarung lehren, festlegen und alle Streitfragen im Bereich des Glaubens und der Sitten mit unfehlbarem Urteil entscheiden sollte, damit die Gläubigen nicht durch jeden Windstoß der Lehre in der Verworfenheit der Menschen der Arglist des Irrtums in die Arme getrieben würden [vgl. Eph 4,14]. … Und weil, wo Petrus, dort die Kirche , und Petrus durch den Römischen Bischof spricht und immer in seinen Nachfolgern lebt, das Richteramt ausübt und den Suchenden die Wahrheit des Glaubens verbürgt, deshalb sind die göttlichen Worte ganz in dem Sinne anzunehmen, den diese römische Kathedra des seligsten Petrus behauptete und behauptet, die als Mutter und Lehrerin aller Kirchen den von Christus, dem Herrn, überlieferten Glauben immer unversehrt und unverletzt bewahrt und ihn die Gläubigen gelehrt hat, indem sie allen den Weg des Heiles und die Lehre der unverfälschten Wahrheit zeigte“ (DH 2781).

Die hl. Kirche verdient also deswegen unseren unbedingten Glauben, der dadurch seinem Wesen nach übernatürlich ist, weil „die als Mutter und Lehrerin aller Kirchen den von Christus, dem Herrn, überlieferten Glauben immer unversehrt und unverletzt bewahrt und ihn die Gläubigen gelehrt hat, indem sie allen den Weg des Heiles und die Lehre der unverfälschten Wahrheit zeigte“.

Derselbe Papst schreibt in seiner Enzyklika „Quanta cura“ vom 8. Dezember 1864: „Wir können ferner auch die Verwegenheit derer (gemeint sind die sog. liberalen „Katholiken“, heute würde man sie Modernisten nennen) nicht mit Stillschweigen übergehen, die die gesunde Lehre unerträglich finden und die Behauptung aufstellen, ‚jenen Entscheidungen und Erlassen des Apostolischen Stuhles, die das allgemeine Wohl der Kirche, ihre Rechte und Zucht zum Gegenstand haben, sofern derselbe nur die Glaubens- und Sittenlehre nicht berührt, könne ohne Sünde und ohne jegliche Gefährdung des katholischen Bekenntnisses die Zustimmung und der Gehorsam verweigert werden‘. Wie sehr dies im Widerspruch steht zum katholischen Glaubenssatz von der Vollgewalt, die dem römischen Papst von Christus dem Herrn selbst aus göttlicher Macht übertragen worden ist, die gesamte Kirche zu weiden, zu leiten und zu verwalten, muß jedermann klar und offen sehen und verstehen“ (Summa Pontifica, Band I. Verlag Josef Kral, Abensberg, 1978, S. 473).

Abschließend sei noch auf Pius VI. verwiesen, der in seiner Konstitution „Auctorem fidei“ vom 28. August 1798 gegen die Synode von Pistoia den irrigen Satz anführt: „In diesen letzten Jahrhunderten wurde eine allgemeine Verdunkelung über die Wahrheiten größeren Gewichts gebreitet, die sich auf die Religion beziehen und die die Grundlage des Glaubens und der Morallehre Jesu Christi sind“, der sicherlich die Ansicht nicht weniger sog. Traditionalisten wiedergibt, welche die derzeitige römische Menschenmachwerkskirche für die wahre Kirche Jesu Christi halten, in welcher durchaus „eine allgemeine Verdunkelung über die Wahrheiten größeren Gewichts gebreitet“ ist, Wahrheiten, „die sich auf die Religion beziehen und die die Grundlage des Glaubens und der Morallehre Jesu Christi sind“, wie auch jene Traditionalisten immer wieder lamentierend zugeben müssen. Nun, Pius VI. beurteilt diesen Irrtum als „häretisch“ (vgl. DH 2601). In der wahren Kirche Jesu Christi kann es nämlich niemals zu einer Verdunkelung der Wahrheit kommen, ist sie doch durch den Beistand des Heiligen Geistes allezeit irrtumslos in der Bewahrung des göttlichen Glaubens.

Als häretischen Kontrast zu den obigen Aussagen der Päpste sei hier an die Worte Mgr. Fellays, des Vereinsvorsitzenden der FSSPX, erinnert: „Einige behaupten, es sei vorausgehend notwendig, daß sie von jedem Irrtum gereinigt ist, damit man ‚in Sicherheit‘ in der Kirche arbeiten könne. …Es genügt, die Vergangenheit der Kirche sich näher anzusehen; oft und fast immer sieht man in der Kirche ausgestreute Irrtümer.“ Sie haben ganz richtig gelesen, es heißt wirklich „von jedem Irrtum gereinigt“ und „in der Kirche oft und fast immer ausgestreute Irrtümer“. Nach dem unfehlbaren Urteil Papst Pius VI. ist, wie wir gesehen haben, diese Ansicht häretisch.

Kommen wir nochmals kurz zum entscheidenden Beweggrund unseres übernatürlichen Glaubens zurück, weil in der heutigen Verwirrung seine klare Erkenntnis unerläßlich ist. Im Katechismus der katholischen Lehre des hl. P. Pius X. ist zu lesen:

„114 Was bilden der Papst und die mit ihm vereinten Bischöfe?
Der Papst und die mit ihm vereinten Bischöfe bilden die lehrende Kirche. Sie wird so genannt, weil sie von Jesus Christus die Sendung hat, die göttlichen Wahrheiten und Gesetze allen Menschen zu lehren. Nur von ihr erhalten die Menschen deren volle und sichere Kenntnis, die notwendig ist, um christlich zu leben.
115 Kann die lehrende Kirche irren, wenn sie uns die von Gott geoffenbarte Weisheit lehrt?
Nein, die lehrende Kirche kann nicht irren, wenn sie uns die von Gott geoffenbarte Wahrheit lehrt: ihre Lehre ist unfehlbar, weil ‚der Geist der Wahrheit‘ ihr fortwährend beisteht, wie es Jesus Christus versprochen hat.
116 Kann der Papst allein irren, wenn er uns die von Gott geoffenbarten Wahrheiten lehrt?
Nein, der Papst allein kann nicht irren, wenn er uns die von Gott geoffenbarten Wahrheiten lehrt; er ist unfehlbar wie die Kirche, wenn er als Hirte und Lehrer aller Christen Lehrentscheidungen für endgültig erklärt, die den Glauben und die Sitte betreffen.“

Aus dem Gesagten geht nochmals mit aller nur wünschenswerten Klarheit hervor, daß unser übernatürlicher Glaube allein von der Kirche kommt, die nicht irren kann, wenn sie uns die von Gott geoffenbarte Wahrheit lehrt. Ihre Lehre ist unfehlbar, „weil ‚der Geist der Wahrheit‘ ihr fortwährend beisteht“, wie es Jesus Christus versprochen hat. Der Papst allein ist ebenfalls „unfehlbar wie die Kirche, wenn er als Hirte und Lehrer aller Christen Lehrentscheidungen für endgültig erklärt, die den Glauben und die Sitte betreffen“. Daraus folgt aber auch, daß man keiner anderen Autorität als der lehrenden Kirche allein, diesen Glauben schenken darf. Pater Pierre de Cloriviere S.J. betont entsprechend: „... Selbst dann, wenn man die Kirche oder ihren obersten Hirten, dem die Unfehlbarkeit verheißen wurde, nicht um Rat fragen kann, darf man keiner wie auch immer gearteten Autorität blindes Vertrauen schenken, da es keine Autorität gibt, die nicht selbst dem Irrtum verfallen und uns mit hineinziehen könnte“ (Etudes sur la Revolution, Ed. Sainte Jeanne d'Arc, S. 132-133).

Anders gesagt: Wer einem Mgr. Lefebvre, einem Mgr. Fellay, einem Mgr. Williamson, usw. einen Glauben schenkt, wie er ihn als Katholik allein der lehrenden Kirche schenken darf, der hat damit seinen übernatürlichen katholischen Glauben verloren, denn sein Glaube stützt sich nicht mehr auf das konkrete göttliche Zeugnis der hl. Kirche, sondern auf Menschenzeugnis. Damit ist er zu einem Mitglied der Lefebvresekte, Piussekte, Williamsonsekte oder was sonst für einer Sekte geworden. Ganz sicher aber hat er aufgehört, Katholik zu sein.

Ein klares Zeichen solchen Sektenverhaltens ist etwa in Piuskreisen darin zu sehen, daß man zwar jederzeit ihren vermeintlichen „Papst“ in Rom kritisieren darf, sobald man jedoch Mgr. Fellay kritisiert, trifft einen der vehemente Unwille der Anhänger. Während also offensichtlich ihr „Papst“ jederzeit irrtumsfähig und kritisierbar ist, erscheint den Anhängern der Piusbruderschaft Mgr. Fellay allzeit unfehlbar und deswegen über jeglichen Verdacht und Kritik erhaben zu sein. Diese Leute haben leider vergessen, was Pater Pierre de Cloriviere S.J. den damaligen Katholiken noch eingeschärft hat: Wenn man die lehrende Kirche nicht um Rat fragen kann, „darf man keiner wie auch immer gearteten Autorität blindes Vertrauen schenken, da es keine Autorität gibt, die nicht selbst dem Irrtum verfallen und uns mit hineinziehen könnte“. Nun, die Piusbrüder und ihre Anhänger wurden inzwischen in vielerlei Irrtümer hineingezogen und bilden sich dennoch ein, sie würden die Kirche retten.

Doch wenden wir uns abschließend nochmals ernsthafteren Denkern zu und übergeben wir nochmals John Henry Newman das Wort:

„An A.J. Hanmer. Sie sprechen gegen die Haltung, Wagnisse in Sachen des Glaubens einzugehen. Ging nicht Abraham ein Wagnis ein, ... als er auszog, ohne zu wissen, wohin er ging? - Er hatte nicht einmal die Gelegenheit, die Sie haben, Leute zu fragen, die vor ihm gegangen waren. - Heute gilt, obwohl die Umstände verschieden sein können, insofern dasselbe: daß ohne Glaube nichts Gutes getan werden kann. ... [Man] darf niemals vergessen, daß jeder, der der Kirche beitritt, im Geiste eines Kindes zu einer Mutter kommen muß, nicht um zu kritisieren, sondern um anzunehmen. Und wenn wir [persönlich] keine Glaubensprüfungen hatten, so ist dies zweifellos als natürliche Folge eine Belohnung dafür (ich hoffe, daß ich es ohne Prahlen sagen darf), daß wir in diesem Geiste zur Kirche gekommen sind. Wie ernstlich ich mich auch sehne, daß alle Menschen, die ich kenne, Katholiken werden, wünsche ich doch, sie mögen erst um Glauben beten, denn eine rein äußerliche Übereinstimmung mit der Kirche oder ein Aufstand der Vernunft nach dem Übertritt wären elend - aber Gott steht uns bei. Ist auch der Glaube schwer und steht er über der Vernunft so läßt doch Er, der die Kirche sprechen läßt, auch uns hören und annehmen, wenn wir inständig um diese Gabe beten“ (The Letters and Diaries of John Henry Newman, Clarendon Press, Oxford, 1961-1980. XII S. 168, 10.2.1848).

„Laß mich nie auch nur für ein Augenblick vergessen, daß Du Dir auf Erden ein Königreich errichtet hast, daß die Kirche Dein Werk ist, Deine Gründung, Dein Instrument; daß wir unter Deiner Herrschaft, Deinen Gesetzen und Deinem Auge stehen - daß, wenn die Kirche spricht, Du es bist, der spricht. Laß nicht zu, daß ein allzu vertrauter Umgang mit dieser wunderbaren Wahrheit mich dazu führe, ihr gegenüber unempfindlich zu sein; laß nicht zu, daß die menschliche Schwachheit Deiner Repräsentanten mich dazu führe, zu vergessen, daß Du es bist, der durch sie spricht und wirkt“ (Meditations und Devotions of the late Cardinal Newman, Christian Classics Inc., Westminster, Md., 1975, S. 378 - 379 (Hrsg. 1893)).