Der moderne Mensch hat die Fähigkeit, nüchtern zu denken, weitgehend verloren, wobei er sich zugleich einbildet, der aufgeklärteste und gebildetste Mensch der Geschichte zu sein. Eine lange geistesgeschichtliche Entwicklung – oder besser gesagt Fehlentwicklung – ist für dieses Phänomen verantwortlich.
Bei dieser Fehlentwicklung gibt es zwei widersprüchliche Stränge: Auf der einen Seite finden wir die raffinierte Ausbildung der technischen Intelligenz, auf der anderen Seite die Verkümmerung des rationalen Denkens. Diese Doppelzüngigkeit ist leicht zu erklären: Für den wirtschaftlichen Erfolg ist eine äußerste Disziplinierung der technischen Intelligenz notwendig – denn eine Maschine muß funktionieren, sie muß gefällig sein, das Preis- Leistungsverhältnis muß stimmen usw. Damit all das zusammenkommen kann, ist viel Sachverstand notwendig. Während also die technische Intelligenz im Interesse des wirtschaftlichen Fortschritts vorangetrieben wird, verliert sich im geistigen Bereich alles in der Beliebigkeit. Ein falscher Freiheitsbegriff verführt die Menschen anzunehmen, frei denken hieße, denken können, was man wolle, also rationales Denken ohne jeglichen Wahrheitsbezug. Man spricht nun von emotionaler Intelligenz, davon, daß man seinen Gefühlen mehr trauen und nur nicht zu nüchtern und sachlich die Dinge betrachten soll. Das Leben könne nur einmal gelebt werden, also laßt uns das Leben möglichst genießen – was immer das auch konkret heißen mag.
Diese Lebenseinstellung hat durchaus eine weitreichende Wirkung. Die grundlegende Erkenntnishaltung bleibt immer vage, jegliche klare Unterscheidung erscheint verdächtig und wird mit der Zeit verunmöglicht. „Wahrheit“ existiert im Grunde nicht mehr, wenn es sie aber doch geben sollte, so ist sie jedenfalls nicht erkennbar – und damit natürlich auch niemals einforderbar. Hinzu kommt noch, mit Hilfe der neu eröffneten technischen Möglichkeiten verliert sich der moderne Mensch mehr und mehr in einer virtuellen Welt. Die „Wirklichkeit“ scheint nicht mehr vorgegeben, sie ist nicht mehr objektivierbar, sondern jeweils nur ein subjektiver Entwurf des Einzelnen und deswegen auch so vielfältig und unterschiedlich wie es die einzelnen Menschen sind. Aus all diesen Gründen ist der moderne Mensch liberal und tolerant im Sinne eines absoluten, totalitären Relativismus, der alles gelten läßt, nur nicht die Wahrheit.
Diese Entwicklung hat natürlich auch vor den Katholiken nicht Halt gemacht. Schon im 19. Jahrhundert stieg die Zahl der sog. „liberalen Katholiken“ sprunghaft an. „Liberale Katholiken“ sind „Katholiken“, die doch tatsächlich glauben, sich einbilden zu können, der katholische Glaube ließe sich mit jener modernen geistigen Haltung in Einklang bringen, welche die Erkenntnismöglichkeit der Wahrheit leugnet!
Die liberalen „Katholiken“ des 19. Jahrhunderts haben sich zu den Modernisten des 20. Jahrhunderts gewandelt, und schließlich sind daraus die Postmodernisten des 21. Jahrhunderts geworden. Bei einer solch erfolgreichen Verbreitung einer Irrlehre kann es nicht ausbleiben, daß auch die gutwilligen Katholiken angesteckt werden, man denke etwa nur an die rasche Ausbreitung des Protestantismus im 16. Jahrhundert. Auch bei den allermeisten Katholiken herrscht inzwischen die moderne Denkweise vor, wenn auch nicht immer in einer ganz reinen Ausprägung.
Eine so weitreichende Veränderung des Denkens geschieht nicht von selbst. Wie alle Revolutionen, so wird auch diese geistige Revolution von einer Elite getragen und vorangetrieben. Die Feinde der Kirche Jesu Christi haben schon vor 200 Jahren erkannt, daß die katholische Kirche nur dann für das moderne Denken geöffnet werden kann, wenn man die Spitze dieses hierarchisch geordneten Gemeinwesens erobert. Immer klarer zeigte sich, die Eroberung des Stuhles Petri wäre sicherlich der genialste Schachzug. Alle gutwilligen Katholiken sind schließlich gewöhnt, nach Rom zu schauen. Sobald man den Stuhl Petri in der Hand hat, hat man die Kirche fest im Griff, man kann sie nach Belieben gemäß den eigenen Plänen leiten und natürlich auch verändern.
Im Jahre 1818 wurde eine „Fortlaufende Instruktion“ oder auch „Gesetzbuch und Handweiser der Oberen in der hohen Freimaurerei“ herausgegeben, das zum Ärger der Geheimbünde in die Hände der Kirche fiel und selbst um hohe Summen Geldes nicht zurückerobert werden konnte. Am Ende dieser geheimen Anweisungen heißt es: „Auf dem Wege, den wir unseren Brüdern vorzeichnen, sind große Hindernisse zu bewältigen und mehrfache Schwierigkeiten zu überwinden. Mit der Erfahrung und Schlauheit werden wir darüber triumphieren. Das Ziel ist so schön, daß man alle Segel zu seiner Erreichung einsetzen muß. Ihr wollet Italien revolutionieren? Suchet einen Papst, wie wir ihn gezeichnet haben. Ihr wollet die Herrschaft der Erwählten auf dem Throne der babylonischen Dirne befestigen? Machet, daß die Geistlichkeit unter eurer Fahne einherziehe, und dennoch meine, sie wandle unter der Fahne der heiligen Schlüssel. Ihr wollet die letzte Spur der Tyrannen und Unterdrücker austilgen? Spannet eure Netze aus, wie Simon Barjona, im Inneren der Sakristeien, der Seminare und Konvente, nicht in der Meerestiefe. Und wenn ihr Nichts überstürzet, so versprechen wir euch einen noch wunderbareren Fischzug, als jenen des hl. Petrus. Der Fischer wurde Menschenfischer, und ihr werdet sogar zu den Füßen des apostolischen Stuhles Freunde fischen. So habet ihr dann im Netze eine Revolution in Tiara und Mantel, an deren Spitze das Kreuz und die große päpstliche Fahne getragen wird; eine Revolution, die nur kleiner Hilfe bedarf, um das Feuer in allen vier Weltgegenden anzustecken“ (Der stille Krieg gegen Thron und Altar von G.M. Pachtler S.J., Amberg 1876, S. 94f).
Diese Zeilen wurden schon vielmals von katholischen Autoren zitiert und auch immer wieder je nach Aktualität kommentiert. Aber man kann dabei eine seltsame Feststellung machen: Nur äußerst selten wurden sie ernst genommen, also als realisierbare oder gar als realisierte Wirklichkeit verstanden. Und selbst heute, also während ein Bergoglio im Gästehaus des Vatikans haust und auch noch alle vielleicht noch verbliebenen Reste einer katholischen Fassade entsorgt, fallen die meisten modernen „Katholiken“ und auch Traditionalisten aus allen Wolken, wenn man den Plan von 1818 als verwirklicht ansieht, was doch eigentlich jeder Blinde sehen müßte – so denkt man wenigstens.
Biedermann und die Brandstifter…
Den meisten Lesern ist sicher von der Schule her noch das Stück, „Biedermann und die Brandstifter“ von Max Frisch in Erinnerung – „Ein Lehrstück ohne Lehre“, wie es im Untertitel heißt. Um die Erinnerung etwas aufzufrischen, wollen wir eine kurze Inhaltsangabe geben:
Gottlieb Biedermann ist ein reicher Haarwasserfabrikant, also ein Vertreter des wohlsituierten Bürgertums. Es ist neun Uhr abends. Biedermann schimpft bei der Zeitungslektüre über die in der Gegend sich häufenden Brandstiftungen: „Aufhängen sollte man sie!“ Da meldet das Dienstmädchen Anna einen Hausierer, der sich einfach nicht abwimmeln läßt und „Menschlichkeit“ verlangt. Schon steht Joseph Schmitz, ein ehemaliger Ringer im Zirkus, im Wohnzimmer. Biedermann sträubt sich zunächst, Schmitz in sein Haus aufzunehmen, erliegt schließlich aber doch der Schmeichelei, mit der Schmitz seine Spießermentalität, seinen Egoismus, sein Mißtrauen, sein schlechtes Gewissen und sein Sicherheitsdenken geschickt zu manipulieren weiß. In der Folge berichtet Schmitz Herrn Biedermann ganz ungeniert, er sei von klein auf mit dem Feuer vertraut, weil sein Vater Köhler war. Auch habe er aus Freude an den Flammen bereits einen Zirkus angezündet. Nachdem sich Schmitz immer stärker im Haus Biedermanns breit macht und sich von seiner Frau sogar das Frühstück servieren läßt, kündet er seinen Helfershelfer, den ehemaligen Kellner Willi Eisenring an: „…mein Vater war Köhler, ich habe keine Kultur ... Aber mein Freund, der Willi, der Oberkellner war, bis das Hotel abbrannte, der hat Kultur.“ Und schon steht Willi vor der Tür.
Während Herr Biedermann den Brandstiftern gegenüber sich vollkommen nachgiebig zeigt, ist er in seinen eigenen geschäftlichen Angelegenheiten ein kalter, nüchterner Rechner. Seinen Angestellten Knechtling, der eine Erfindung in Biedermanns Haarwasserfabrik gemacht hat und sich deswegen eine Beteiligung an dem dadurch gemachten Gewinn erhofft, wird von Biedermann rücksichtslos gekündigt und damit seine Existenzgrundlage zerstört. Biedermann empfiehlt Knechtling, sich entweder einen Anwalt zu nehmen, was Knechtling finanziell gänzlich unmöglich ist, oder sich unter den Gasherd zu legen, was der Angestellte aus Verzweiflung auch wirklich machen wird.
Die beiden Brandstifter sind die ganze Nacht lang damit beschäftigt, Benzinfässer auf dem Dachboden zu stapeln, um das Feuerwerk sachgemäß vorzubereiten. Als Biedermann Schmitz und Eisenring aus dem Haus weisen will, da seine Frau Babette durch das Gepolter der herangerollten Fässer am Schlaf gehindert wird, trifft ein Polizist ein. Biedermann, der gerade kurz vorher erfahren hat, daß sich in den Fässern Benzin befindet, könnte sich nun dem Polizisten anvertrauen. Da er aber Schmitz erzählt hatte, er habe Knechtling empfohlen, sich unter den Gasherd zu legen, und ihm der auf die Anzeige Frau Knechtlings eintreffende Polizist nun mitteilt, Knechtling habe sich tatsächlich unter den Gashahn gelegt, hält ihn die Furcht vor dem Zeugen Schmitz zurück, die beiden Brandstifter zu verraten. Als der Polizist fragt: „Was haben Sie denn in diesen Fässern da?“ erklärt Biedermann: „Haarwasser“. Biedermann ignoriert alle Warnungen und redet sich ein, daß die beiden Brandstifter nur harmlose Kerle seien: „…ein bißchen Vertrauen, ein bißchen guten Willen, nicht immer nur das Böse sehen ..., nicht immer dieser Defaitismus [Schwarzseherei], meine Herrn, sagen Sie nicht immer: Weh uns!“
Da aber Biedermann trotz allem zur Schau getragenen Vertrauen die Furcht dennoch im Nacken sitzt, geht er auf den Dachboden und lädt die Brandstifter zum Essen ein. Während des Gespräches arbeitet Willi unentwegt an Zündschnur und Zündkapsel. Willi erzählt von sich, er sei zwar aus gutem Hause, aber im Gefängnis gesessen. Willi gibt sich klassenbewusst und er gesteht, er habe Lust an Zerstörung und Feuer. Aber durch seine Art zu scherzen, seine Sentimentalität und vor allem „die nackte Wahrheit“, die niemand glaubt, täuscht er Biedermann über den wahren Sachverhalt hinweg.
Am Abend ist das Freundschaftsmahl. Die Stimmung ist gut und Biedermann lacht viel und laut. Er serviert den Brandstiftern Wein und duzt sich mit ihnen, denn einem Freund – so überlegt er – werden sie doch nicht schaden wollen.
Der Auftritt von Schmitz im Schafsfell ist eine ironische Darstellung. Der Wolf im Schafspelz spiegelt die wahre Identität von Schmitz wieder. Er ist nach außen hin das arme fromme Lamm, aber der böse Wolf, der in ihm steckt, kann aufgrund der Naivität Biedermanns sein teuflisches Werk in Angriff nehmen.
Biedermann kommt bis zuletzt nicht zur Einsicht, ja schließlich gibt Biedermann den Ganoven auch noch die Streichhölzer, da sie – wie er trotz seiner Furcht und seiner Einsicht sich einredet – selbst Streichhölzer hätten, wenn sie Brandstifter wären. Er kommt gemeinsam mit seiner Frau in den Flammen des Feuers um, das Schmitz und Willi Eisenring noch in derselben Nacht legen. Zuvor tritt noch ein Intellektueller als dritter Verbündeter auf, der zum Schluß ein Manifest gegen die beiden verliest, da er feststellen muß, daß sie nicht aus Ideologie, sondern aus reinem Gefallen brennen. Er ist der Einzige, der einen wahren Sinn in der Brandstiftung sieht. Dies wird durch die Charakterisierung des Chores klar: „Sieht er in Fässern voll Brennstoff nicht Brennstoff - Er nämlich sieht die Idee!“
Der Chor kommentiert das tragische Ende:
„Was jeder lange genug voraussah,
der nimmerzulöschende Blödsinn, 'Schicksal genannt',
geschieht am End – nichts ist sinnloser als diese Geschichte ...
Dreimal Wehe!“
Zum Schluß noch eine grundsätzliche Frage zu diesem Stück: Ist Biedermanns Schicksal „tragisch“ zu nennen oder nicht? Die Antwort gibt uns darauf der Chor: „Nimmer verdient, Schicksal zu heißen, bloß weil er geschehen: der Blödsinn“ (Erstes Chorlied).
Biedermann´sche Theologie?
Wie man leicht einsehen kann, verbirgt sich in diesem Lehrstück ohne Lehre viel Menschenkenntnis und Erfahrungswissen. Die Brandstifter lügen mit der Wahrheit, weil sie doch niemand glaubt. Je unverblümter man die Wahrheit sagt, desto unglaubwürdiger erscheint sie, vor allem wenn sie erschreckend ist. Das gilt nicht nur im gesellschaftlich-politischen, sondern auch im kirchlichen Bereich. Wir wollen dafür ein Beispiel durchdenken.
Die Distriktleitung der Piusbruderschaft von Österreich hat eine Antwort auf die Sedisvakanztheorie von P. Florian Abrahamowicz veröffentlicht. Es ist auffallend, daß die Oberen dieser Gemeinschaft sich offensichtlich jeweils besonders aufgefordert fühlen, gegen jene vorzugehen, die von der papstlosen Zeit überzeugt sind.
Die österreichischen Piusbrüder geben die These von P. Florian Abrahamowicz wie folgt wieder: „Die sog. Sedisvakantisten behaupten, der derzeitige Papst sei kein gültiger Papst (und ebenso wenig seien es die letzten Päpste seit dem 2. Vatikanischen Konzil gewesen), weil er Häretiker sei, somit außerhalb der Kirche stehe und darum nicht Oberhaupt der Kirche sein könne. Diese Behauptung umfaßt zwei zu beweisende Punkte: 1. Ein häretischer Papst kann nicht gültiger Papst sein. 2. Es ist klar, dass der jetzige Papst häretisch ist.“
Hierauf meinen sie einwenden zu können: „Nun aber ist es unmöglich, für diese beiden Annahmen einen Beweis zu erbringen, vielmehr muss man das Gegenteil annehmen.“ Dieses Gegenteil versuchen die hochw. Herren sodann zu beweisen. Ihr Beweis scheint aber nicht besonders originell zu sein, vielmehr haben sie offensichtlich fleißig bei den Dominikanern von Avrillé abgeschrieben, die schon vor längerer Zeit einen Katechismus gegen die Sedisvakantisten meinten schreiben zu müssen und nun zum sog. Widerstand des Mgr. Williamson gehören. Sowohl bei den französischen Dominikanern als auch bei den österreichischen Piusbrüdern muß man feststellen, daß sie sich offensichtlich schwer tun, über den eigenen ideologischen Tellerrand hinauszusehen, denn sonst hätten sie es sicher nicht mehr gewagt, auf solch zweifelhaftem Niveau zu argumentieren. Aber wir wollen diese Behauptung nun doch nicht einfach nur in den Raum stellen, sondern sie auch – wenn auch in Kürze – argumentativ untermauern.
Zu 1 - Ein häretischer Papst kann nicht gültiger Papst sein – ist zu lesen: „Zur Frage, ob Häresie den Verlust des Papstamtes zur Folge hat, gibt es keine verbindliche kirchliche Lehre. Diese Frage ist sehr komplex und wird seit Jahrhunderten von den Theologen erörtert, ohne dass sie eindeutig entschieden werden kann. Ein bedeutender Teil der Theologen nimmt an, dass Häresie nicht automatisch zum Verlust des Papstamtes führt. Billuart (+1757), einer der renommiertesten Theologen, schreibt: 'Nach der allgemeineren Meinung fährt Christus durch eine besondere Anordnung fort, für das Gemeinwohl und den Frieden in der Kirche einem sogar offenkundig häretischen Papst die Jurisdiktion (Leitungsgewalt) zu geben, bis er von der Kirche als offenkundig häretisch erklärt wird' (De Fide, diss. V, a. III, § 3, obj. 2). Diese Ansicht vertreten viele der großen alten Theologen wie Banez, Cajetan, Suarez und Johannes von St. Thomas. Ihr schließt sich auch Garrigou-Lagrange, einer der bedeutendsten Theologen des 20. Jahrhunderts, an (De Verbo Incarnato, p. 232).“
Die erste Auskunft, die wir aus dem Distriktsitz von Österreich über unser Thema erhalten, ist also: „es gibt keine verbindliche kirchliche Lehre“ … „Diese Frage ist sehr komplex“ … so dass sie nicht „eindeutig entschieden werden kann“. Damit will man wohl sagen, da die Frage von der Kirche nicht letztgültig geklärt ist, sie zudem mit einigen Schwierigkeiten verbunden ist, sei es unmöglich, zu einer klaren Antwort kommen zu können – worüber man im Grunde nur sehr froh sein kann, so hat man wenigstens den Eindruck, wenn man die Piusbrüder etwas näher kennt. Zum „Beweis“ für diese Behauptung wird ein „bedeutender Teil der Theologen“ vereinnahmt, als dessen Superlativvertreter „einer der renommiertesten Theologen“, nämlich Billuart genannt und zitiert wird. Diesem werden sodann noch „viele der großen alten Theologen wie Banez, Cajetan, Suarez und Johannes von St. Thomas“ beigesellt. Für einen frommen, ungebildeten Laien sicher eine beeindruckende Namensliste.
Aber was ist nun eigentlich Sache? Was sagen die Theologen und die Kirche zu unserem Thema, das offensichtlich – Gott sei Dank! – so komplex ist! Es sei hier auf die psychologische Spitze dieser Bemerkung aufmerksam gemacht. Der Leser soll denken: „Um Himmelswillen, diese schwierige Frage wollen diese Leute so einfach lösen können“ – und damit sollen sie nicht merken, daß die österreichischen Piusbrüder ihrerseits spielend eine Lösung der komplexen Frage auf 2 Seiten präsentieren!
Aber fragen wir einfach einmal Herrn Biedermann: „Herr Biedermann, was meinen Sie? Ist in den Fässern Benzin oder nicht?“ „Ach, das ist eine schwierige Frage! Doch stellen sie sich das nur einmal vor: Benzin! Wenn das Benzin wäre, aber dann wären das doch Brandstifter! Nein, nein! Eindeutig, es ist Haarwasser, was soll es denn sonst sein.“
Nach dieser psychologischen Nebenbemerkung kommen wir zur Sache selbst zurück. Wie sieht es aus mit den Theologen, was sagen sie zu unserer Frage? In seinem Buch „Wann werden Sakramente gültig gespendet? Eine Untersuchung zur Frage der erforderlichen Intention des Sakramentenspenders“ hat der Bamberger Dogmatiker Professor Dr. Johannes Stöhr die wichtigsten Namen der an der Debatte beteiligten Theologen gegenübergestellt: „Die einen nehmen wie z.B. Juan de Torquemada OP und R. Bellarmin SJ an, daß in diesem Falle [sc. nämlich in dem eines offen häretischen Papstes] der Papst sich von der Kirche trenne und aufhöre Papst zu sein; d.h. ipso facto [sc. infolge der Tat selbst] gelte: Papa haereticus est depositus [Sc. Ein häretischer Papst ist abgesetzt]. (So auch Pierre de la Palu, Augustinus de Ancona, Sylvester de Prierias OP, J. Driedo, Alfonso de Castro OFM, A. Salmeron SJ, Adam Tanner SJ, Gregor de Valentia SJ, Jacobus Simancas, Domenico Jacobazzi, F. Kober, F.X. Wernz, P. Vidal.) Diese Theologen betrachten die Häresie als eine Art moralischen Selbstmord, welcher dem Täter mit dem Christsein und der Kirchengliedschaft natürlich auch das Papsttum nimmt. Entsprechend dem Wort des Herrn Joh 3,18 (Wer nicht glaubt, ist schon gerichtet) hören Häretiker mit dem Augenblick des Abfalls auf, Glieder des Gottesvolkes zu sein. (Vgl. Hieronymus). Wer aber nicht Glied sei, könne nicht Haupt sein. Nur der Glaube könne Fundament der Kirche und somit auch der Hierarchie sein (vgl. 1 Kor. 3,11; Kol. 1,23; Hebr. 10,38; Rom. 1,17); Christus habe gerade von Petrus vor der Amtsverheißung das Bekenntnis des Glaubens verlangt (Mt 16,16). Nach alter kirchlicher Tradition könne niemand ohne Glauben Jurisdiktion in der Kirche ausüben (vgl. Cyprian, Thomas von Aquin). Ein Häretiker verleugne Christus und die wahre Kirche, also auch sich und seine Würde in der Kirche; man solle ihn nicht einmal grüßen (vgl. 2 Joh. 1,10f; Tit 3,10f.), könne ihm also erst recht nicht gehorchen. . . . Eine andere Gruppe von Theologen nimmt mit Cajetan sowie Joh. a s. Thoma, Mancio a Corpore Christi, Melchior Cano, Domingo de Soto, L. de Molina, F. Suarez, Ch. Journet an - und ihre Analyse scheint besser -, daß auch nach einem offensichtlichen Vergehen der Häresie der Papst erst noch durch einen zwar nicht autoritativen, jedoch ministeriellen Akt der Kirche abgesetzt werden müsse. (Papa haereticus non est ipso facto depositus sed deponendus.) [Sc. Ein häretischer Papst ist nicht durch die Tat selbst abgesetzt, sondern muß abgesetzt werden.] ...“
Wie wir aus dem Text unschwer sehen können, stehen nach Stöhr für die erste Ansicht eine fast doppelt so große Zahl von Theologen. Außerdem stehen mindestens drei Kirchenlehrer auf ihrer Seite: 1. der hl. Thomas von Aquin. Dieser hat zwar das Problem des häretischen Papstes selbst nicht direkt behandelt, aber die Fragestellung ohne jeden Zweifel gekannt. Er hat ohne irgendeine Einschränkung festgestellt, Häretiker könnten in der Kirche keine Jurisdiktion ausüben. 2. der hl. Robert Bellarmin. 3. der hl. Alfons von Liguori, der von Stöhr nicht einmal erwähnt wird.
Die Gegenseite hat hingegen keinen einzigen Kirchenlehrer in ihren Reihen aufzuweisen. Schon allein aus diesem Grund überrascht das Urteil des Bamberger Dogmatikers, wenn er behauptet, „ihre Analyse scheint besser“. Aber stimmt das wirklich? Ist es einleuchtender, daß ein Papst „auch nach einem offensichtlichen Vergehen der Häresie … erst noch durch einen zwar nicht autoritativen, jedoch ministeriellen Akt der Kirche abgesetzt werden müsse“? Nein, ganz im Gegenteil verstrickt sich diese Ansicht in einem tiefgreifenden und unheilbaren Selbstwiderspruch. Wenn nämlich der offen häretische Papst sein Amt erst verliert, nachdem die Kirche (also die Gesamtheit der Bischöfe bzw. ein ökumenisches Konzil) ihn durch einen öffentlichen Akt abgesetzt hat, dann kommt man mit dem berühmten Rechtsgrundsatz „Prima sedes a nemine iudicatur“ – d.h. „Der erste Sitz wird von niemandem gerichtet“ in Konflikt.
In seinem Werk „Die Kirche im Spätmittelalter“ schreibt Prof. Dr. Rolf Decot unter §6 Das Problem des Konziliarismus im Spätmittelalter: „b) Kirchenverfassung und 'häretischer Papst' - Der Rechtsgrundsatz 'prima sedes a nemine iudicatur' ist seit dem 5. Jhd. nachweisbar. Ausnahmen von der Gültigkeit dieses Satzes gab es für den Fall der Häresie eines Papstes. Daher entwickelte sich der Rechtsgrundsatz weiter zu der Form: 'Papa a nemine iudicatur, nisi deprehendatur a fide devius' (...wenn er nicht vom rechten Glauben abweicht). So wird dieser Satz bereits von Papst Hadrian II. (867-872) anerkannt und endgültig von Kardinal Humbert (+1061) promulgiert. Durch Kardinal Deusdedit, Ivo von Chartres und Gratian fand dieser Rechtsgrundsatz Eingang in die kirchliche Kanonistik und wurde von den Deekretisten immer wieder eifrig kommentiert. Die Vorstellung findet sich in dem berühmten Kanon Si papa.“
Der Zusatz verweist darauf, daß ein Häretiker, also jemand, der vom rechten Glauben abweicht, durchaus gerichtet werden kann. Der Grund dafür ist ganz einfach, weil er mit dem Irrglauben sich selbst von der Kirche trennt. Im Römischen Katechismus heißt es zu „9. Wer nicht von den Grenzen der streitenden Kirche umschlossen wird. - Daher kommt es, dass nur drei Menschenklassen von ihr ausgeschlossen werden: erstens die Ungläubigen, dann die Häretiker und Schismatiker, endlich die Exkommunizierten. Die Heiden, weil sie nie in der Kirche gewesen und sie auch nie erkannt haben, noch irgend eines Sakramentes in der Gemeinschaft des christlichen Volkes teilhaftig geworden sind; die Häretiker aber und Schismatiker, weil sie von der Kirche abgefallen sind. Denn sie gehören zur Kirche ebensowenig, als Überläufer noch dem Kriegsheere angehören, von dem sie abtrünnig geworden…“
Soll also der Papst sein Amt erst durch einen richterlichen Akt der Kirche verlieren, so heißt das, daß er es vor diesem Akt noch besitzt! Wenn er aber demzufolge trotz seiner Häresie noch Papst ist, so kann ihn überhaupt niemand richten, geschweige denn für abgesetzt erklären! Denn nach katholischem Glauben, wie er auf dem I. Vatikanischen Konzil feierlich als Dogma definiert wurde, ist der Papst der oberste Gesetzgeber und Richter der Kirche, der als solcher keinem menschlich-kirchlichen Gericht unterliegen kann.
Wenn zudem die Kirche angeblich keinen autoritativen, sondern nur einen erklärenden, feststellenden Akt setzen kann, so doch nur deshalb, weil davon ausgegangen wird, der Papst sei noch im Besitz seines Amtes, weshalb ihn niemand richten könne. Wenn ihn aber niemand richten kann, weil er noch Papst ist, wie kann man dann einen noch existierenden Papst für abgesetzt erklären?
Wenn schließlich der Papst durch seine öffentliche Häresie sein Amt noch nicht verloren hat (was diese Theologen behaupten und voraussetzen), bleibt er auch weiterhin im Amt; dann aber gibt es aber überhaupt keinen Tatbestand, auf den sich ein deklaratorischer (Absetzungs-) Akt der Kirche überhaupt berufen könnte! Auf die vorangegangene päpstliche Häresie jedenfalls könnte er mitnichten Bezug nehmen, weil diese ja angeblich mit dem fortdauernden Besitz des Papst-Amtes gerade nicht unvereinbar ist!
In der Dogmatik von Heinrich heißt es im Band II. Seite 436, Fußnote 2: „Endlich kommt hier (bei der Frage eines häretischen Papstes) der sehr allgemein anerkannte, in´s Corpus juris canonici – Can. Si Papa dist. 4.c.6 – aufgenommene Grundsatz in Betracht, daß der Papst, wenn er persönlich in Häresie falle, eo ipso seines Amtes verlustig sei und von der Kirche gerichtet werden könne.“
Wir sehen, J.B. Heinrich, ist offensichtlich ganz anderer Meinung als Johannes Stöhr, er nennt es „einen sehr allgemein anerkannten Grundsatz“, und wie wir schon gesehen haben, kann das auch allein die richtige Beurteilung sein. Der hl. Robert Bellarmin etwa erklärt kurz und bündig: „Nicht Haupt sein kann, was nicht deren Glied ist.“ Der hl. Alfons Maria von Liguori faßt den Gedankengang folgendermaßen zusammen, wenn er erklärt, „daß der Papst, wenn er jemals, als Privatperson, in die Häresie fiele, auf der Stelle des Pontifikats entledigt wäre; denn weil er sich dann außerhalb der Kirche befände, könnte er nicht mehr Oberhaupt der Kirche sein. In diesem Fall dürfte also die Kirche ihn nicht absetzen – da ja niemand Autorität über den Papst besitzt –, sondern müßte ihn für des Pontifikats entledigt erklären“. Anders als manche Theologen wußten die Päpste durchaus immer um diesen Sachverhalt, so bekennt etwa Papst Innozenz III.: „So sehr nämlich ist mir der Glaube notwendig, daß ich, während ich für die übrigen Sünden nur Gott zum Richter habe, einzig wegen einer Sünde gegen den Glauben von der Kirche gerichtet werden kann. Denn wer nicht glaubt, ist schon gerichtet (Joh. 3,18).“
Kommen wir nun zum zweiten Gegenargument des österreichischen Distrikts: „Es ist nicht einfach, eine formelle Häresie nachzuweisen. Welche Autorität befähigt ist, die offizielle Feststellung der formellen Häresie eines Papstes vorzunehmen, darin sind sich die Theologen nicht einig. Die einen glauben, die versammelten Bischöfe könnten dies zu Lebzeiten des Papstes tun (Johannes von St. Thomas), andere gehen davon aus, dass erst ein nachfolgender Papst die dazu erforderliche Kompetenz hat.“
In einer in „Le Figaro“ vom 4. August 1976 veröffentlichten Erklärung schreibt Mgr. Lefebvre: „Dieses Konzil vertritt, sowohl in den Augen der römischen Autoritäten als auch in den unseren, eine neue Kirche, die sie übrigens Konzilskirche nennen ... Ein Konzil ... das der Tradition den Rücken kehrt und mit der Kirche der Vergangenheit bricht, ist ein schismatisches Konzil... und steht im Begriff, die katholische Kirche zu ruinieren. (Nachdem das II. Vatikanum das neue Prinzip der Religionsfreiheit anerkannt hat), muß sich die ganze Lehre der Kirche wandeln, ihr Gottesdienst, ihr Priestertum, ihre Institutionen ... Es handelt sich also um einen völligen Umsturz der Tradition ... Jene, die ... dieser neuen Konzilskirche anhängen, begeben sich ins Schisma ... Die katholische Kirche ... (ist) von Feinden unterwandert, die sich in Purpur hüllen. Wie könnten wir ... das Spiel dieser Schismatiker spielen, die uns zumuten, bei ihrem Werk der Zerstörung der Kirche mitzumachen?“ Sind diese Ausführungen Lefebvres nur rhetorische Floskeln, oder sind sie ernst gemeint? Wenn sie aber ernst gemeint sind, dann muß man sich schon die Frage stellen, wie ist das nun mit der Häresie des Papstes? Welche Qualität haben diese Irrlehren?
Es ist sicher wahr, daß rein rechtlich eine formelle Häresie eines Papstes schwer nachweisbar ist, aber dennoch ist es möglich, was sich einerseits anhand von historischen Fakten, anderseits aber auch theologisch zeigen läßt. Gegenüber den historischen Fakten muß man freilich zugeben, daß es einen Unterschied zu früheren Fällen gibt: Da nämlich heute fast die ganze Hierarchie mit den Konzilspäpsten vom Glauben abgefallen ist, findet sich natürlich auch niemand mehr, der den abgefallenen „Papst“ ordnungsgemäß ermahnt. Keine Kardinäle und auch keine Bischöfe sind dazu bereit, weil sie selber Modernisten geworden sind. Heißt das aber, daß der Katholik einen Häretiker solange als Papst anerkennen muß, bis irgendein späterer Papst ihn als solchen erklärt?
Die Pius-Ideologen sind jedenfalls dieser Meinung: „Da in dieser Frage keine letzte Sicherheit zu erreichen ist, ist man nach dem Rechtsgrundsatz 'In dubio melior est conditio possidentis' (Im Zweifel verdient der Besitzer den Vorzug) auf jeden Fall verpflichtet, an der Gültigkeit der nachkonzilaren Päpste festzuhalten.“ Hierzu ist zu bemerken: Es ist sicherlich recht gewagt, in einer theologisch so grundlegenden Frage sich auf einen Rechtsgrundsatz zurückzuziehen. Gemäß diesem Rechtsgrundsatz bleibt für die Piusbrüder jedenfalls der Papst solange im Amt, bis irgendein späterer Papst ihnen die rechtliche Sicherheit gibt, dieser Mann war doch kein Papst, er war Häretiker, Apostat, Satanist…
Fragen wir einmal Herrn Biedermann zu dem Fall: „Herr Biedermann, was meinen Sie, werden der Sepp und der Willi ihr Haus abbrennen oder nicht?“ „Aber nein, der Sepp und der Willi sind doch keine Brandstifter. Also bitte, machen Sei mir doch keine Angst, wegen der paar Benzinfässer auf dem Dachboden, das ist doch lächerlich! Und im übrigen: Im Zweifel für den Angeklagten! Also, nach diesem Rechtsgrundsatz sind der Sepp und der Willi im Grunde ganz gute Kerle. Wenn das nicht beruhigend ist, was dann?“
Ist diese Ansicht nicht ein wenig unheimlich? Kann diese Rechnung wirklich aufgehen? Kann man einem Häretiker einen Gehorsam leisten, wie er dem katholischen Oberhaupt der Kirche, dem Stellvertreter Jesu Christi, dem unfehlbaren Lehrer notwendigerweise geschuldet ist? Oder noch etwas anders gefragt: Kann man einen Häretiker als „Papst“ akzeptieren, ohne selbst zum Häretiker zu werden, ohne selbst den Glauben zu verlieren? Überlegen Sie sich das einmal in aller Ruhe und Sie werden zu der Einsicht kommen: Nein! Das ist ganz einfach unmöglich! Ist doch der Papst der katholischen Kirche der unfehlbare Lehrer derselben und damit die nächste Norm des Glaubens eines jeden Katholiken. In seiner Dogmatik lehrt J.B. Heinrich: „In der Kirche steht die Lehr- und Richtergewalt in Glaubenssachen nur dem von Christus in Petrus und den Aposteln eingesetzten Lehramte zu; also weder der Gesamtheit, noch irgend welchen einzelnen, von Christus mit diesem Lehramte nicht betrauten Gläubigen, welche Stellung auch sie einnehmen und mit welchen natürlichen und übernatürlichen Gaben sie ausgerüstet sein mögen. Nur durch dieses infallible Lehramt ist die gesamte Kirche indefectibel im Glauben und nur dieses Lehramt ist nach göttlicher Einsetzung und nach der Natur der Dinge nächste Glaubensregel.“
Wie sollte also ein Häretiker nächste Glaubensregel sein? Das ist absolut unmöglich! Als Häretiker ist er vielmehr die nächste Regel des Irrglaubens! Dementsprechend müssen auch die Piusbrüder, um ihren häretischen „Papst“ im Amt halten können, ihn all seiner wesentlichen Amtsbefugnisse berauben, d.h. sie müssen ihm all das absprechen, was den Papst zum Papst macht. Vom wahren Papst bleibt sozusagen nur noch die weiße Soutane übrig. Für die Pius-Ideologen ist ein Mann mit einer weißen Soutane ein Papst, sofern er nur im Vatikan wohnt. Zur Zeit gibt es aber im Vatikan zwei weiße Soutanen, und man munkelt, manche Pius-Ideologen sind der Ansicht, Ratzinger sei der eigentliche Papst und nicht Bergoglio. Bei diesen Voraussetzungen kann man nur sagen, warum auch nicht?! Von dieser völlig naturalistischen Auffassung des Papstamtes kommt auch der unausrottbare und ständig wiederholte Vergleich mit einem natürlichen Vater. Ein schlechter Vater ist immer noch der Vater, so wiederholt man gebetsmühlenartig, also ist auch ein schlechter Papst immer noch der Papst. Dieser Vergleich übersieht, daß ein natürlicher Vater nichts von dem besitzt, was den Papst zum Papst macht, weshalb er mit einem Papst auch in keine Weise vergleichbar ist. Das „tertium comparationis“, der Vergleichsgrund existiert gar nicht. Den Papst mit einem natürlichen Vater zu vergleichen, heißt nicht nur Äpfel mit Birnen zu vergleichen, wie man sagt, es zeigt zudem, daß man nicht mehr weiß, was ein Papst nach katholischem Verständnis wirklich ist und immer sein muß.
Fragen wir noch Herrn Biedermann: „Herr Biedermann, wie ist es mit Herrn Schmitz und dem Schaffell. Kommt ihnen das nicht etwas seltsam vor?“ „Ach was, das Schaffell ist nur ein Spiel – oder, was meinen Sie? Worauf wollen sie denn eigentlich hinaus? Warum sollte er kein Schaffell tragen, solange er nur kein Brandstifter ist. Oder meinen Sie, er ist ein Wolf?“
Die Verantwortlichen der Piusbrudershaft in Österreich geben noch ein weiteres zu bedenken: „Wenn – wie ein Sedisvakantist schreibt – 'nicht nur eine Sedisvakanz besteht …, sondern die gesamte modernistische 'Kirche' mit Priestern, Bischöfen und Päpsten nicht Teil der Hl. Kirche sind', wie soll man dann eine solche Annahme mit der feierlichen Verheißung des Gottessohnes an die Apostel und deren Nachfolger vereinbaren können: 'Seht, ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt' (Mt 28,20)? Wenn die gesamte offizielle kirchliche Hierarchie – die ja aus den Nachfolgern der Apostel besteht – zugrunde gegangen ist, kann man dann noch von einem immerwährenden Beistand Christi für sie sprechen?“
Wir wollen nicht in die protestantische Unart fallen und solch einem Mißbrauch des Wortes Gottes mit anderen Worten der Heiligen Schrift zu begegnen, was übrigens ein Leichtes wäre. Vielmehr möchten wir eine Gegenfrage stellen: Wenn also die modernistische „Kirche“ mit ihren häretischen Hirten nach den Pius-Ideologen immer noch die Kirche Jesu Christi ist, was folgt denn dann aus dieser Vorgabe? Nun, es folgt ein Widerspruch nach dem anderen. Hören Sie selbst: „Wir sind ‚suspendiert a divinis‘ von der konziliaren Kirche und für die konziliare Kirche, der wir aber nicht angehören wollen. Diese konziliare Kirche ist eine schismatische Kirche, weil sie mit der katholischen Kirche, mit der Kirche aller Zeiten gebrochen hat. Sie hat ihre neuen Dogmen, ihr neues Priestertum, ihre neuen Institutionen, ihren neuen Kult, die von der Kirche schon in gar manchen amtlichen und endgültigen Dokumenten verurteilt sind. (...) Die Kirche, die solche Irrtümer bejaht, ist zugleich schismatisch und häretisch. Diese konziliare Kirche ist also nicht katholisch. In dem Maß, als der Papst, die Bischöfe, die Priester oder die Gläubigen dieser neuen Kirche anhängen, trennen sie sich von der katholischen Kirche.“
Was würden Sie aus einer solchen Analyse der konziliaren Kirche folgern? Welchen Schluß muß ein Katholik aus diesen Erkenntnissen ziehen: „… eine schismatische Kirche, weil sie mit der katholischen Kirche, mit der Kirche aller Zeiten gebrochen hat,… ihre neuen Dogmen, ihr neues Priestertum, ihre neuen Institutionen, ihren neuen Kult, …Die Kirche, die solche Irrtümer bejaht, ist zugleich schismatisch und häretisch“ – und zu guter Letzt: „In dem Maß, als der Papst, die Bischöfe, die Priester oder die Gläubigen dieser neuen Kirche anhängen, trennen sie sich von der katholischen Kirche“?
Müßte nicht jeder Katholik spontan und mit evidenter Sicherheit folgern: Diese Kirche kann unmöglich noch die Katholische Kirche sein und dieser Papst unmöglich der wahre Papst?! Und weiter gefragt, wie ist es eigentlich theologisch genau? Gibt es ein Maß, in dem man sich von der Kirche trennen kann? Kann man sich mehr oder weniger von der Kirche trennen? Reicht denn nicht eine einzige Häresie, eine einzige Irrlehre, um sich von der Kirche zu trennen? Und widerspricht der Gedanke einer solchermaßen absurden schismatischen und häretischen „Kirche“ nicht ganz sicher der Verheißung Christi: „Seht, ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt“ (Mt 28,20)?
Obiger Text stammt von Marcel Lefebvre, und ist in seinem „Sonderbrief an die Freunde und Wohltäter“ vom 29. Juli 1976 nachzulesen – er ist also während der heißen Phase nach seiner Suspendierung durch Paul VI. alias Montini geschrieben, also einer Zeit für markige Sprüche und nicht für konziliar-liberale Annäherungsversuche an das modernistische Rom. Bei einer solchen Vorgeschichte wundert es einem nicht mehr, wenn sein derzeitiger Nachfolger gleicherweise fabuliert: „Die katholische Kirche ist unsere Kirche. Wir haben keine andere. Es gibt gar keine andere. Der liebe Gott läßt zu, daß sie krank ist. Daher versuchen wir, uns diese Krankheit selber nicht zuzuziehen. Aber ohne zu sagen, daß wir dadurch eine neue Kirche bilden. … Die Krankheit ist die Krankheit, sie ist aber nicht die Kirche. Sie ist in der Kirche; diese bleibt aber was sie ist. … Selbstverständlich muß man gegen die Krankheit kämpfen. Diese kranke Kirche ist aber doch diese, die durch unseren Herrn gegründet wurde“ (SISINONO Kongreß, vom 6. Januar 2013). Und im Mitteilungsblatt des deutschen Distrikts, Ausgabe Januar 2015, versteigt er sich sogar soweit zu behaupten: „Immer mehr löst sich die Einheit des Glaubens und die Einheit der Regierung in der heiligen Kirche auf.“ Jeder Katholik sollte doch wissen, daß die Einheit des Glaubens eine Wesenseigenschaft der Kirche ist und als solche selbstverständlich unverlierbar. Eine katholische Kirche, deren Einheit des Glaubens sich aufgelöst hat, hat auch aufgehört zu existieren. Der Dogmatiker J.B. Heinrich betont: „… in dem Augenblick, wo die Kirche auch nur in einem einzigen Punkte abwiche von dem wesentliche unteilbaren einen wahren Glauben, hätte sie aufgehört, die wahre Kirche Christi zu sein.“ Die Pius-Ideologen wissen das offensichtlich nicht mehr. Ob der Grund dafür nicht ihr häretischer Papst ist?
Fragen wir einmal Herrn Biedermann: „Herr Biedermann, Herr Schmitz und Herr Eisenring sind dabei, Zündschnur und Zündkapsel an den Benzinfässern anzubringen, meinen Sie nicht, daß das etwas riskant ist?“ „Ach wo! Der Sepp und der Willi sind halt noch so verspielt, sie wollen immer Brandstifter spielen. Das ist alles ganz harmlos – oder wollen Sie mir Angst machen, nur weil der ganze Dachboden nach Benzin riecht und der Sepp nach Holzwolle sucht, weil das angeblich den Funkenflug fördert?“
Mit ihren Ausführungen immer noch nicht zufrieden, fügen die hochw. Herren noch ein dogmatisches Argument an: „Das 1. Vatikanische Konzil hat als unfehlbare Lehre erklärt, es sei ‚göttlichen Rechts, dass der selige Petrus im Primat über die gesamte Kirche fortdauernd Nachfolger hat‘ (DH 3058). Wenn es nun nach Ansicht der Sedisvakantisten seit bald 60 Jahren keine wahren Nachfolger Petri mehr gibt, kommt man da nicht in Konflikt mit einer unfehlbaren Lehre der Kirche?“
Zugegebenermaßen, es ist nicht immer einfach, einen lehramtlichen Text richtig zu verstehen, vor allem dann, wenn man schon mit einer vorgefertigten Meinung an ihn herangeht. Erstens ist bei der richtigen Interpretation eines Textes immer die Aussageabsicht wichtig. Die Sinnspitze dieser unfehlbaren Lehre des I. Vatikanums richtet sich gegen die protestantische bzw. modernistische Irrlehre, derzufolge der hl. Petrus nach dem Willen Christi überhaupt keinen Nachfolger mehr hätte haben sollen. Dementsprechend bekräftigte das Konzil gegen diese protestantische Irrlehre, Christus habe sogar nicht bloß einen oder ein paar, sondern immerwährende Nachfolger des hl. Petrus gewollt. Über die Möglichkeit, Art und Dauer von Vakanzen des Stuhles Petri wollte das Konzil an dieser Stelle keinerlei Aussagen machen! Der richtige Sinn des Wortes fortdauernd erschließt sich zweitens auch jedem sofort, so müßte man wenigstens meinen, sobald er bedenkt, daß doch nach jedem Tod eines Papstes immer eine mehr oder weniger lange Zeit verstreicht, in der die Kirche selbstverständlich ohne Papst fortdauert. Die längste Sedisvakanz der Kirchengeschichte war zwischen dem hl. Papst Marcellinus (+ 25. Oktober 304) und dem hl. Marcellus I., der am 27. Mai 308 sein Amt antrat. Diese Sedisvakanz dauerte also 3 Jahre und 7 Monate. Die Kirche hätte also gemäß der Interpretation des Textes durch die Pius-Ideologen damals 3 Jahre und 7 Monate aufgehört zu existieren und wäre sodann wie Phönix aus der Asche mit der Neuwahl des neuen Papstes und seinem Amtsantritt wunderbar wiedererstanden. Es ist somit unschwer für jeden vernünftig denkenden Menschen einzusehen, fortdauernd kann hier unmöglich immer, im Sinne von ohne Unterbrechung bedeuten.
Wenn die Distriktsleitung der österreichischen Piusbrüder aber meint, fragen zu sollen: „Wenn es nun nach Ansicht der Sedisvakantisten seit bald 60 Jahren keine wahren Nachfolger Petri mehr gibt, kommt man da nicht in Konflikt mit einer unfehlbaren Lehre der Kirche?“, so kann man dem nur entgegenhalten: Wenn dieselbe Distriktsleitung ihrerseits meint, es könnten seit bald 60 Jahren Häretiker auf dem Stuhl Petri sitzen, kommt man da nicht in Konflikt mit einer unfehlbaren Lehre der Kirche? Während die erste Frage zu verneinen ist, denn die Kirche hat selbstverständlich niemals eine Obergrenze der Sedisvakanz festgelegt, ist die zweite auf jeden Fall zu bejahen, denn wie sollte die Kirche 60 Jahre hindurch im Glauben feststehen, wenn ihre lebendige und nächste Norm des Glaubens häretisch geworden ist?
Aber fragen wir noch Herrn Biedermann dazu: „Herr Biedermann, war es nicht sehr leichtsinnig, den Brandstiftern auch noch die Zündhölzer zu geben? Denken sie an die Zündschnur, die Zündkapseln und die Benzinfässer auf ihrem Dachboden.“ „Sie sind einfach unbelehrbar! Der Sepp und der Willi sind keine Brandstifter. Haben sie schon einmal Brandstifter gesehen, die keine Streichhölzer bei sich haben?“ Was soll man darauf dem Herrn Biedermann antworten? Ganz einfach: „Ja, den Sepp und den Will!“ Er wird es aber nicht glauben, weshalb…
Der Stellungnahme der österreichischen Distriktführung fügten die Piusbrüder noch drei Fußnoten an. Wir wollen nur zu zweien eine kurze Bemerkung anführen. Da heißt es: „Es gab in der Geschichte mehrfach Päpste, die zumindest materielle Häretiker waren (Honorius, Liberius, Johannes XXII.), die aber nie als ungültige Päpste oder formelle Häretiker verurteilt wurden.“
Für jeden nur einigermaßen gebildeten Katholiken ist diese Bemerkung ein sicheres Zeichen dafür, daß man es hier mit Ignoranten zu tun hat. Ignoranten, die auf die Argumente der Gallikaner, Jansenisten und Altkatholiken hereingefallen sind, von denen die Honorius- und Liberius-Legenden stammen. Wir verweisen hierzu nur auf unsere Gedanken im Beitrag „Kirchengeschichte oder Lügengeschichten?“. Ein besonderes Zeichen von Ungebildetheit ist aber nun wirklich die Erwähnung von Johannes XXII. als vermeintlichen Häretiker. Johannes XXII. vertrat als Privatlehrer und nur als Privatlehrer in seinen letzten Lebensjahren die Lehre, die Seelen der Heiligen würden nach ihrem Tod bis zum Jüngsten Tag nicht zur Anschauung Gottes (visio beatifica) gelangen, sondern lediglich zur Anschauung Christi als Mensch. Vor seinem Tod hat er diese Meinung widerrufen. Da diese theologische Frage erst sein Nachfolger mit der Bulle Benedictus Deus 1336 definitiv klärte, war Johannes XXII. auch als Privatlehrer kein Häretiker. Da kann man nur mit den Lateiner sagen: „Si tacuisses…, wenn Du geschwiegen hättest, dann wärest du ein Philosoph geblieben“ – oder mit Theo Lingen: „Peinlich, peinlich, peinlich!“
Ebenfalls eine kurze Bemerkung verdient noch die dritte Fußnote: „Die Sedisvakantisten berufen sich gerne auf den hl. Robert Bellarmin, der die Ansicht vertritt, dass ein Papst bei formeller und offenkundiger Häresie ipso facto (durch die Tat selbst) sein Amt verliere. Bellarmin fügt indes hinzu, diese Annahme habe seines Erachtens weniger Wahrscheinlichkeit als jene, wonach der Papst erst gar nicht in Häresie fallen könne. Für Bellarmin sind diese Ansichten nicht mehr als Hypothesen, die mehr oder weniger Wahrscheinlichkeit beanspruchen können (De Romano pontifice, Buch II, 30. Kapitel).“
Die hochw. Herren aus Jaidhof scheinen hier offensichtlich etwas durcheinanderzubringen. Die Ausführungen Kardinal Bellarmins über die Frage, ob ein Papst, der Häretiker wird, noch Papst sein kann, sind eine gesicherte theologische Erkenntnis. Die Aussage, daß die göttliche Vorsehung so etwas nicht zulassen würde, ist eine bloße fromme Meinung des Kardinals. Der Gründer der Piusbrüder, Mgr. Lefebvre schließt daraus: „In dem Maße, in dem ein Papst dieser Tradition untreu würde, würde er schismatisch und bräche mit der Kirche. Theologen wie der heilige Robert Bellarmin, Kardinal Journet und viele andere haben diese Eventualität studiert. Es handelt sich also nicht um etwas Undenkbares ...“ („Le Figaro“ vom 4. August 1976). Der Gründer ist also anderer Meinung als seine Söhne, er hält die Ansichten Kardinals Bellarmins nicht für reine Hypothesen, sondern für etwas Denkbares. Und das ist auch einzig wahr – wohingegen es eine Ideologie ist, wenn man aufgrund einer sich als irrig erwiesenen frommen Meinung eine gesicherte theologische Erkenntnis als Hypothese bezeichnet. Es sei aber auch noch darauf hingewiesen, daß das mit der bloßen Hypothese angesichts des heutigen desolaten Zustandes in Rom doch sehr merkwürdig ist. Man bedenke einmal, 50 Jahre nach dem sog. 2. Vatikanischen Konzil, das nach Piussprachregelung geistigerweise der 3. Weltkrieg war (!), behauptet man allen Ernstes, daß Gedanken zur papstlosen Zeit immer noch rein hypothetisch seien, also gedankliche Sandkastenspiele. Das ist genauso als wäre im Jahre 1995, also 50 Jahre nach dem Atombombenabwurf in Hiroshima und Nagasaki, jemand auf die Idee gekommen, man müsse nun endlich ernsthaft darüber diskutieren, ab denn der Bau einer Atombombe nur hypothetisch oder vielleicht doch wirklich möglich sei.
Wirkt da nicht der Text von 1818 viel Realitätsnaher als alle Überlegungen der Piusbrüder? „Machet, daß die Geistlichkeit unter eurer Fahne einherziehe, und dennoch meine, sie wandle unter der Fahne der heiligen Schlüssel… Der Fischer wurde Menschenfischer, und ihr werdet sogar zu den Füßen des apostolischen Stuhles Freunde fischen. So habet ihr dann im Netze eine Revolution in Tiara und Mantel, an deren Spitze das Kreuz und die große päpstliche Fahne getragen wird; eine Revolution, die nur kleiner Hilfe bedarf, um das Feuer in allen vier Weltgegenden anzustecken“ – und das sollen alles nur Hypothesen sein?
Aber fragen wir dazu vorsichtshalber abschließend noch Herrn Biedermann: Herr Biedermann… Ach so war, Herr Biedermann wohnt nicht mehr hier, er ist in den Flammen seines Hauses umgekommen. So eine Tragödie – oder doch keine Tragödie? Der Chor jedenfalls meint: „Nimmer verdient, Schicksal zu heißen, bloß weil er geschehen: der Blödsinn“ (Erstes Chorlied). Und weiter?
„Was jeder lange genug voraussah, der nimmerzulöschende Blödsinn, 'Schicksal genannt', geschieht am End – nichts ist sinnloser als diese Geschichte ... Dreimal Wehe!“ Oder mit Theo Lingen: „Traurig, traurig, traurig.“