Eigentlich sollte man sich beständig wenigstens mit einem Heiligen beschäftigen, liegen doch in einem solchen Bemühen um Verständnis eines wahrhaft heiligen Lebens viele Gnaden verborgen. Denn das Leben eines Heiligen regt nicht nur unsere Glaubenskenntnis an, es bewegt auch unseren Willen, das Erkannte zu tun. Denn bekanntlich erhellen Gedanken, Beispiele aber reißen hin!
Ein aus seiner Zeit besonders herausragender Heiliger war Alfons von Liguori. Dieser Heilige lebte von 1696 bis 1787, also während der sog. Aufklärung. Die Philosophie der Aufklärung ist die geistige Grundlage unserer modernen Zeit. Darum hat uns der hl. Alfons auch heute noch viel zu sagen, gelten doch seine Einsichten in die damals aufkommenden Gefahren für den Glauben in gleicher Weise auch noch heute. Der hl. Alfons war Gründer der Kongregation des Allerheiligsten Erlösers, auch Redemptoristen genannt, später Bischof von S. Agata di Goti und zu allen Zeiten ein unermüdlicher Schriftsteller. Neben seiner zeitraubenden und aufreibenden Arbeit als Gründer der Redemptoristen, als Missionar und als Bischof findet dieser Mann immer noch Zeit, Bücher über Bücher zu schreiben, um der Glaubensnot der Zeit entgegenzuwirken. Der hl. Alfons hatte nämlich erkannt, daß einer der Hauptgründe für den mehr und mehr um sich greifenden Verfall des Glaubens die Unwissenheit ist. So drängt es ihn unermüdlich, die Wahrheiten des Glaubens in eine verständliche und ansprechende Form zu fassen. Er bemerkt besonders in seiner Tätigkeit als Volksmissionar, wie wenige Bücher es gibt, die dem Verständnisvermögen des einfachen Volkes entsprechend sind. Es fehlt zwar nicht an gelehrten Werken, aber an allgemein verständlichen, kürzeren Schriften für das Volk. Der hl. Alfons war, wie einer seiner Biographen schreibt, „geboren zum Wohle aller durch sein Leben, sein Wirken und seine Feder“.
Lassen wir diesen Heiligen zunächst ein wenig lebendig werden.
Aus dem Leben des hl. Alfons Maria von Liguori
Der Biograph Antonio Maria Tannoia beginnt seine dreibändigen „Memoiren“ (Erinnerungen) über den hl. Alfons Maria folgendermaßen: „Im Jahre des Heils 1696, am 27. September, dem Tag, der den glorreichen Märtyrern Kosmas und Damian geweiht ist, wurde zur dreizehnten Stunde in einem Wohnsitz seiner Familie zu Marianella, einem neapolitanischen Marktflecken, Alfons von Liguori geboren. In jener Zeit leitete Seine Eminenz Kardinal Cantelmi die Kirche von Neapel, saß Innozenz XII. auf dem päpstlichen Stuhl und regierte Leopold August, der erste dieses Namens unter den römischen Kaisern, segensreich das Heilige Römische Reich deutscher Nation und dieses Königreich. Nach Neapel gebracht, wurde Alfons am 29. desselben Monats, einem Samstag, unter dem Schutz des Erzengels Michael in der Pfarrei Santa Maria delle Vergini aus der Gnade wiedergeboren... Man stellte den Neugeborenen insbesondere unter den Schutz der Allerseligsten Jungfrau, damit sie ihm in allen Nöten als Fürsprecherin und Mutter beistehen möge; daher erhielt er die Vornamen Alfons Maria. Dies war die Geburt des Alfons von Liguori.“
Alfons Maria wurde als erstes von acht Kindern in eine der ältesten und einflußreichsten Familien Neapels hineingeboren. Der Jesuit Julien Bach, ein gewissenhafter Geschichtsschreiber, schreibt: „1696 wurde ein Kind geboren, das später zu einem Großen der Kirche werden sollte und dessen Wiege ehrenvoll in der Geschichte des hl. Francesco de Geronimo aufscheint. Seit undenkbarer Zeit war in den Adelsfamilien des Königreichs Neapel eine sehr rührende Zeremonie üblich. Drei Tage nach der Geburt eines Kindes fand ein großer Empfang statt. Die Mutter lag in einem Paradebett, umgeben von Ehrendamen und all ihren Bediensteten in Livree. Die Herren wurden nacheinander vorgelassen, um ihre Glückwünsche auszusprechen, und gingen, nachdem sie ihre Aufwartung gemacht hatten, in den angrenzenden Korridor oder einen Salon zu den anderen Freunden des Hauses, die dieselbe Pflicht erfüllt hatten. Die christlichen Familien, ob arm oder reich, wünschten aber auch den Besuch eines heiligen Mannes in der Vorstellung, daß dieser den Segen Gottes auf das Kind herabrufe.“
Nun lebte damals in der Stadt der hl. Francesco de Geronimo, den man zu diesem Anlaß ebenfalls geladen hatte. Der hl. Francesco de Geronimo trat also vor die Mutter und entbot seine Glückwünsche. An der Wiege des Kindes sammelte er sich eine Weile und segnete es. Dann nahm er den kleinen Alfons auf den Arm und wandte sich zur Mutter mit den Worten: „Dieses Kind wird alt, sehr alt werden; es wird nicht vor seinem neunzigsten Lebensjahr sterben. Es wird Bischof werden und große Dinge für Gott vollbringen.“
Die Mutter, Donna Anna, nahm diese Worte auf und erwog sie immer wieder in ihrem Herzen, ihr ganzes Leben lang. Aus der Prophezeiung des hl. Francesco de Geronimo schöpfte sie zweifellos ein besonders lebendiges Bewußtsein ihrer schönen Verantwortung als Erzieherin – eines künftigen Heiligen! Tannoia schreibt in seiner Lebensbeschreibung: „Jeder in Neapel kennt die seltenen Qualitäten dieser großen Dame. Eine Frau des Gebets, mild gegen die Armen, hart gegen sich selbst. Sie hatte die Bußübungen des Klosters beibehalten: Fasten, Büßerhemd und Geißelungen. Man durfte sie nicht in Theatern oder beim Damenkränzchen suchen. Sie blieb zuhause, Gott und ihrem Innenleben zugewandt. Hier widmete sie sich häufig der Betreuung ihrer Kinder und ihren Pflichten als Gattin.“
Der Erstgeborene der Familie Liguori war ein hochbegabter Schüler, der schon mit zwölf Jahren sein „Reifezeugnis“ für die Universität erhielt. Gemäß dem Lehrplan der Jesuiten hatte er bei seinem Hauslehrer, dem diplomierten Professor der Grammatik, Humaniora und Poetik, Don Domenico Buonaccia, Grammatik, Literatur und Geschichte, lateinische und italienische Poetik, Französisch, Spanisch, Mathematik, Philosophie, Geographie, Kosmologie, Malerei, Architektur und Musik gelernt. Natürlich konnte Don Domenico nicht alle Fächer allein unterrichten, es kamen dazu die besten Lehrer ins Haus, die man finden konnte. Im Jahre 1708 – also mit 12 Jahren! – wechselt dieses universal begabte Wunderkind an die Universität, um bis zum Jahre 1713 vor allem Rechtswissenschaft zu studieren. Aber Alfons interessiert sich nicht nur für Rechtswissenschaft, er ist zudem ein ausgezeichneter Maler, Musiker und Dichter. Mit nur 16 Jahren beendet Alfons seine Studien, er erhält „einmütig und ohne Gegenstimme“ das Diplom des Doktorates der Rechtswissenschaft, „summo cum honore maximisque laudibus et admiratione“, also ein „sehr gut“ mit höchsten Lob vereint. Weil das Gesetz ein Mindestalter von 20 Jahren forderte, mußte der Vizekönig ihm extra eine Dispens erteilen. Unter den üblichen Zeremonien der Verleihung des Doktorgrades befanden sich auch zwei religiöse Akte. Zunächst legte Alfons in Gegenwart seiner künftigen Standesgenossen kniend das katholische Glaubensbekenntnis ab, und zwar in der sogenannten „tridentinischen“ Form von Papst Pius IV., hierauf legte er ein feierliches Bekenntnis zum damals noch nicht definierten Dogma der Unbefleckten Empfängnis ab. Am Samstag, dem 21. Januar 1713, spricht Alfons Maria von Liguori also folgenden, zwar offiziellen, aber von jedem der Doktoren mit eigener Hand und manchmal sogar mit dem eigenen Blut geschriebenen und unterzeichneten Text: „Ich, Alfons Maria von Liguori, demütigster Diener Mariens, der immerwährenden Jungfrau und Gottesmutter, liege hier zu Füßen der Göttlichen Majestät in Gegenwart der unaussprechbaren Trinität des einen Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, und rufe als Zeugen an alle Bewohner des himmlischen Jerusalems dafür, daß ich getreu im Geiste glaube, wahrhaft im Herzen empfinde und eindeutig mit meinen Lippen bekenne, daß Du, Mutter Gottes und immerwährende Jungfrau, vom allmächtigen Gott eines absolut einmaligen Vorrechtes teilhaftig wurdest: vom ersten Augenblick Deiner Empfängnis an, d. h. der Vereinigung Deines Leibes mit der Seele, bliebst Du von jedem Makel der Erbsünde frei. Öffentlich und privat werde ich diese Lehre bis zum letzten Atemzug meines Lebens vertreten und alle meine Kräfte einsetzen, damit auch die anderen an ihr festhalten und sie lehren. Dies bezeuge, verspreche und gelobe ich. So wahr mir Gott und diese heiligen Evangelien helfen mögen.“
Für andere mag das eine bloße Formalität gewesen sein, nicht für unseren Heiligen. 37 Jahre später wird er eine Predigt mit den Worten beenden: „Kommen wir zum Schluß. Ich habe über dieses Thema ausführlicher gesprochen als über die anderen, weil unsere kleine Kongregation der Redemptoristen die Allerseligste Jungfrau eben unter ihrem Titel als Unbefleckt Empfangene zur Hauptpatronin hat.“ Den Schwur, den er mit sechzehn Jahren ablegte, wird er später mit folgenden Worten erneuern: „Unbefleckte Königin, unendlich groß ist meine Freude, Dich mit so großer Reinheit geschmückt zu sehen! Ich danke unserem gemeinsamen Schöpfer jetzt und immerdar, daß er Dich von jedem Makel der Sünde bewahrt hat! Dies glaube ich mit Gewißheit, und um dieses große, dieses einmalige Privileg Deiner unbefleckten Empfängnis zu verteidigen, bin ich bereit und schwöre, auch mein Leben hinzugeben, wenn es verlangt würde.“
Bis zum Jahr 1723 arbeitete Alfons als Rechtsanwalt und bemühte sich, mit täglicher Kommunion, betrachtendem Gebet, Anbetung vor dem Allerheiligsten und einer besonderen Liebe zu Muttergottes seine Seele vor den Versuchungen der Welt zu bewahren. Doch: „Als alter Mann gesteht er, daß sich sein Eifer merklich abgekühlt hatte, als er etwa zwanzig Jahre alt war, und daß er damals beinahe seine Seele und Gott verloren hätte. Der Vater nahm ihn immer wieder zu den Salons mit und wollte, daß er häufig ins Theater gehe. Alfons liebte es, sich an Spieltischen zu zerstreuen, und suchte sie oft aus eigenem Antrieb auf. So wurde sein Herz allmählich leichtsinnig; sein Eifer für das Gute flaute ab; das Brot des Gebetes, das einst seine Wonne war, schmeckte schal. Dazu kam der Beifall, der ihm überall entgegenschlug, die Heiratsanträge, die schmeichlerischen Botschaften, die ihm durch Diener übermittelt wurden, die Komplimente der jungen Damen und ihrer Eltern, die natürlich nicht ausblieben. Seinen Leidenschaften wurde auf diese Weise derart geschmeichelt, daß sein Herz sich verwirrte und sein Eifer erlahmte. Aus dieser spirituellen Erkaltung heraus genügt ihm schon das unscheinbarste Motiv, um das eine oder andere seiner Werke der Frömmigkeit zu unterlassen. Er selbst hat es zugegeben: hätte er länger in dieser Lauheit verharrt, dann wäre er gewiß eines Tages tief gefallen.“ Und in der Einleitung zu seinen Besuchungen des allerheiligsten Altarssakraments (geschrieben 1745) bekennt er: „Zu meinem Unglück lebte ich bis zum Alter von 26 Jahren in der Welt... Glaubt mir, alles in ihr ist Torheit. Bankette, Theater, Salons, Vergnügungen, das sind die Güter dieser Welt. Aber sie sind nur Dornen und Bitterkeit. Glaubt dem, der es selbst erfahren hat und der darüber weint.“
Im Jahr 1722 macht Alfons Exerzitien, die sein Biograph Tannoia mit folgender Bemerkung kommentiert: „Die Gnade, die Alfons verfolgte, die ihn nicht loslassen wollte und die nicht aufhörte, an die Pforte seines Herzens zu pochen, sie ließ ihn erkennen, wie weit er von seiner ersten Liebe abgefallen war; es wurde ihm klar, daß die Welt ihn nicht einmal mit den Eicheln des Gleichnisses (vom verlorenen Sohn, der die Schweine hütet) sättigte; daß seine erste Zuneigung nicht mehr Gott galt, daß er am Heiligen Tisch nur noch ohne Verlangen und gesättigt von anderen Dingen Platz nahm. Es war der abendliche Regen auf einen ausgetrockneten, aber nicht verbrannten Boden. Sogleich gewannen die Keime der Frömmigkeit, die von den Dornen der Leidenschaft schon erstickt zu werden drohten, neue Kraft. Alfons wird vom Lichte Gottes erfüllt; er weint über seine Verirrung und gelobt Gott in einem festen Entschluß, den Weg zu verlassen, auf den er sich leichtfertig begeben hat. Diese eineinhalb Jahre, die er damals zu Füßen des Gekreuzigten verwünscht und beweint, wird er bis in sein Alter unter Tränen anklagen.“
Ein knappes Jahr darauf übernahm Alfons die Verteidigung einer Rechtssache, die sein weiteres Leben vollkommen verändern wird. Ohne es zu wissen, geriet Alfons in diesem Prozeß zwischen die Interessen der Mächtigen, weshalb er seinen Prozeß verlieren mußte. Es war für ihn eine öffentliche Blamage und zugleich die Erfahrung, wie die Welt mit Recht und Unrecht umgeht. „Welt ich kenne dich. Adieu, ihr Tribunale!“ mit diesen Worten verläßt er rot vor Zorn, mit gesenktem Kopf den Gerichtssaal und den Palazzo. Er schließt sich zuhause in sein Zimmer ein und öffnet drei Tage lang nicht die Türe. Seine Mutter ist zutiefst besorgt, sein Vater zornig und besorgt zugleich. Alles Bitten und Drohen der Eltern hilft nichts. Am 29. August verläßt Alfons nach einem Streit mit dem Vater das Haus und versucht, seinen Schmerz bei seinen armen Unheilbaren im Hospital, das er zu besuchen pflegte, zu vergessen. Hier war er weit weg von der eleganten Welt, von den Fürsten und von Kardinal von Althann. Während er die unheilbar Kranken pflegte, sah er sich plötzlich inmitten eines großen Lichts, das Gebäude schien von unten bis oben zu erbeben, und sein Herz vernahm ganz deutlich eine Stimme, die ihn aufforderte: „Verlaß die Welt und schenk dich mir!“
Nach einem Augenblick der Verwirrung fand der Rechtsanwalt zu sich selbst und seinen Kranken zurück. Als er jedoch nach Beendigung seines Samariterdienstes das Spital verließ und sich gerade auf der großen Freitreppe befand, schien das ganze Haus von neuem zu wanken, und er vernahm diesselbe Stimme: „Verlaß die Welt und schenk dich mir!“ Alfons bleibt stehen, in seinem Innersten erschüttert: „Mein Gott“, sagt er weinend, „ich habe mich Deiner Gnade zu sehr widersetzt. Hier bin ich: mache mit mir, was Du willst!“ Aufgewühlt eilt er in seine geliebte Kirche vom Loskauf der Gefangenen und wirft sich Unserer Lieben Frau von der Barmherzigkeit zu Füßen. Noch einmal wird er in Licht gehüllt, und eine innere Kraft drängt ihn zu dem Entschluß: „Fahr hin, Welt, mit deinen Eitelkeiten! Dir, Herr, soll mein Leben gehören! Titel und Güter meines Hauses mögen ein Brandopfer für meinen Gott und Maria sein!“ Er erhebt sich, und mit der Geste eines sich ergebenden Cavaliere entledigt er sich für immer seines Degens und damit von allem, was er symbolisiert, und legt ihn auf den Altar zu Füßen seiner Herrscherin und ihres göttlichen Kindes nieder: „Ich verspreche, mich zu den Oratorianer-Patres zurückzuziehen!“
Dieser 29. August 1723 bleibt für ihn sein Leben lang „der Tag seiner Bekehrung“. Dieses Marienheiligtum vom „Loskauf der Gefangenen“ wird ihm deswegen bis zum Tod, sooft er nach Neapel kommt, ein Ort dankbarer Erinnerung bleiben. Wenn er später als Missionar oder Bischof in die Hauptstadt zurückkehrte, dann unterließ er es nie, bei Unserer Lieben Frau von der Barmherzigkeit und, hundert Meter weiter, in der Kapelle der Bruderschaft von der Heimsuchung bei den Oratorianern zu langem Gebet einzukehren.
Wir wollen hier die Lebensbeschreibung zunächst einmal abbrechen, um noch auf seine Werke zu sprechen zu kommen.
Seine Werke
Die Herrlichkeiten Mariens
Aus der Feder des hl. Alfons stammen insgesamt 111 geistliche und theologische Werke. Ca. 21.500 Ausgaben und Übersetzungen in 72 Sprachen zeigen, daß er zu den viel und häufig gelesenen Autoren gehört. Seine bekanntesten Werke sind: „Das große Mittel des Gebetes“, „Die Praxis der Liebe zu Jesus Christus“, „Die Herrlichkeiten Mariens“, „Die Besuchungen des allerheiligsten Altarsakramentes und der Gottesmutter“, „Vorbereitung zum Tode“ und nicht zu vergessen seine Moraltheologie, die zu der Moraltheologie der katholischen Kirche wurde.
Wie wir schon gesehen haben, war der hl. Alfons von einer großen Liebe zur Gottesmutter erfüllt. Die Verehrung der allerseligsten Jungfrau Maria, ihrer Unbefleckten Empfängnis, ihrer Gnadenmittlerschaft waren ihm ein tiefes Anliegen, das er auch seinen Ordensbrüdern ans Herz legte. 1749 schrieb der Gründer für seine Redemptoristennovizen die fünfzehnte Betrachtung für diejenigen, welche zum Ordensstande berufen sind, worin es unter anderem heißt:
„Die Gottesmutter Maria liebt alle Menschen mit solcher Innigkeit, daß ihr außer Gott niemand in dieser Liebe gleichkommt. Wie sehr muß diese große Königin daher die Ordensleute lieben, die ihre Freiheit, ihr Leben, ja alles der Liebe Jesu Christi geopfert haben? ... Sie sieht sie häufig zu ihren Füßen, hört ihr inständiges Flehen und ihre Bitten um Gnaden, Gnaden, die ganz mit ihren heiligen Wünschen übereinstimmen: Beharrlichkeit im Dienste Gottes, Standhaftigkeit gegen jede Versuchung, Losschälung von der Welt und liebende Hinwendung zu Gott! Wie könnten wir daher zweifeln, daß sie nicht alle ihre Macht einsetzt und ihre ganze Barmherzigkeit verströmt, um den Ordensleuten und vor allem uns zu helfen, die wir uns in dieser heiligen Kongregation vom Allerheiligsten Erlöser befinden, in der ein besonderes Versprechen abgelegt wird, die jungfräuliche Mutter durch Besuchungen, Fasten am Samstag und besondere Kasteiungen zu ihren Novenen, usw. und nicht zuletzt dadurch zu ehren, daß wir ihre Verehrung durch Predigten überall verbreiten?“
Der hl. Alfons pflegte jeden Samstag über die Herrlichkeiten Mariens zu predigen, also über die besonderen Gnadenvorzüge der Gottesmutter. In erster Linie predigte er über ihre Barmherzigkeit, denn besteht nicht die Herrlichkeit der Liebe besonders darin zu lieben, d.h. heißt vor allem, sich liebend zu erbarmen? Damit er sich nicht ständig wiederholen würde, las er viel über Maria und betrachtete das Gelesene in langem Gebet. Denn wollte er beständig lebendig und mitreißend über die Gottesmutter sprechen, mußten seine Gedanken gleichsam unerschöpflich sein. Darum begann er 1734 in Villa an einem Buch zu schreiben, in dem er das Beste der theologischen und geistlichen Tradition der Marienlehre zusammenfassen wollte. Nach sechzehn Jahren, in denen er, wie es im Gleichnis heißt, kostbare Perlen suchte und auswählte, bearbeitete und sortierte er das Gelesene, um Anfang Oktober 1750 „Die Herrlichkeiten Mariens“ in Druck zu geben. Sie sind ihrem göttlichen Sohn gewidmet: „Mein geliebtester Erlöser und Herr Jesus Christus, ... Nimm diese kleine Huldigung meiner Liebe für dich und deine geliebte Mutter an. Schütze dieses Buch: damit seine Leser von Vertrauen und brennender Liebe zu dieser Unbefleckten Jungfrau erfüllt werden, in die du die Hoffnung und Zuflucht aller Erlösten gesetzt hast. Und zur Belohnung dieser bescheidenen Frucht meiner Mühen gewähre mir, ich bitte dich, genausoviel Liebe zu Maria, wie ich sie durch dieses kleine Werk in alle jene ausgießen wollte, die es lesen.“
Nach dieser Widmung an den göttlichen Sohn wendet er sich an Maria und bezeugt die Erfahrung seines nun schon langen Lebens, alles hat er durch sie erhalten! Diese Erfahrung durchzieht wie ein Grundtenor seine Predigten, und deswegen bekennt er in seinem Werk, daß die Muttergottes die Mittlerin aller Gnaden ist:
„Nun wende ich mich an dich, o Maria, meine milde Mutter und Herrscherin. Du weißt, daß ich nach Jesus in Dich alle Hoffnung auf mein ewiges Heil gesetzt habe; denn alles, was gut in mir ist, meine Bekehrung, meine Berufung, die Welt zu verlassen, und alle anderen Gnaden, die ich von Gott erhalten habe, wurden mir, wie ich anerkenne, durch deine Vermittlung gewährt. Du weißt auch, daß ich stets bemüht war, dein Lob öffentlich und privat zu verkünden und daher überall die süße und heilsame Ausübung deiner Verehrung verbreitet habe, damit du so geliebt werdest, wie du es verdienst, sowie auch als Zeichen meiner Dankbarkeit für alle Wohltaten, mit denen du mich überhäuft hast. Ich möchte damit bis zum letzten Atemzug meines Lebens fortfahren; aber mein fortgeschrittenes Alter und meine angegriffene Gesundheit künden mir das Ende meiner Pilgerschaft und meinen Eintritt in die Ewigkeit an: daher wollte ich vor meinem Tod der Welt noch dieses Buch hinterlassen, das an meiner statt fortfahren wird, dich zu loben und die anderen anzuregen, ebenfalls deine Herrlichkeiten und deine überaus große Güte denen gegenüber, die dir dienen, zu verkünden.“
In seiner Einleitung wendet sich der Heilige sodann noch liebevoll an seine Lesern: „Mein lieber Leser und Bruder in Maria, die Verehrung, die mich dazu getrieben hat, dieses Buch zu schreiben, und die Dich nun zu dessen Lektüre führt, macht uns beide zu glücklichen Kindern dieser guten Mutter.“ Und er erklärt seine Methode: „Ich habe zahllose Bücher über die Herrlichkeiten Mariens genauestens studiert, kleine und große. Aber da sie entweder zu dünn oder zu dick waren, oder einfach nicht meinen Vorstellungen entsprachen, begann ich, aus allen mir vorliegenden Autoren die bedeutendsten und inspiriertesten Gedanken der heiligen Väter und Theologen zu sammeln, um sie in diesem Werk zusammenzufassen.“
Man muß es wohl so formulieren: Der hl. Alfons hat sechzehn Jahre lang mit der Neugier einer brennenden Liebe, der Aufrichtigkeit eines Heiligen, der Erfahrung eines Mystikers, dem seelsorglichen Empfinden eines außergewöhnlichen Missionars und nicht zuletzt mit der Kraft eines Theologen, dem Pius IX. den Titel eines Kirchenlehrers verleihen wird, die ungeheure Vielfalt der Tradition — Väter und Theologen, Heilige Schrift und Liturgien, Altertum, Mittelalter und Moderne — aufgenommen und durchforscht: „Ich wollte, daß die Gläubigen ohne besondere Mühe und große Anstrengungen diese Seiten lesen können, die sie in der Liebe zu Maria entflammen sollen; vor allem aber wollte ich den Priestern Material liefern, damit sie in ihren Predigten die Verehrung dieser göttlichen Mutter fördern können.“ Die Herrlichkeiten Mariens erschienen in zwei Bänden von jeweils 360 bzw. 408 Seiten und boten damit eine „nicht lange und nicht teure“ Lektüre.
Die Absicht und der Aufbau des Werks sind nach dem hl. Alfons: „Die Beschreibung weiterer Vorzüge Mariens habe ich anderen Autoren überlassen und es vorgezogen, in meinem Büchlein von ihrer großen Barmherzigkeit und ihrem machtvollen Eingreifen zu sprechen ... Es ist das Thema des Salve Regina, jenes herrlichen und bewegenden Gebets, das die Kirche anerkannt und ... in das Stundengebet eingeführt hat: Ich habe dieses Gebet zunächst Punkt für Punkt erläutert. Im zweiten Teil werden die Marienverehrer, wie ich hoffe, mit Freude Lesungen oder Abhandlungen über ihre wichtigsten Feste und ihre Tugenden finden, und abschließend die bei ihren Dienern üblichsten und von der Kirche anerkanntesten Frömmigkeitsübungen ...“ Nach dieser Einführung verabschiedet sich der hl. Alfons von seinen Lesern freundlich: „Lebt wohl und mögen wir uns eines Tages im Paradies wiedersehen!“
Don Giuseppe De Lucas (1898—1962), ein Meister der Geschichte der Spiritualität, Gründer einer bekannten Zeitschrift meint: „Die Herrlichkeiten Mariens ist das letzte große europäische Buch, das zu Ehren Mariens geschrieben wurde.“ Weiter schreibt er: „Der hl. Alfons hatte keine Angst, die Muttergottes zu lieben. Er liebte sie mit einer Hingabe, einem Ungestüm, einem Feuer, die den Lauen zum Ärgernis wurden. Er hat in unseren Herzen die Schlacht gewonnen, die zuerst die Protestanten und dann die Jansenisten entfesselt hatten. Sowohl die einen wie auch die anderen hatten uns tausend Skrupel und Zweifel eingeflößt, die wir einfach nicht überwinden konnten ... Der hl. Alfons aber mit seiner Gelehrsamkeit eines Theologen, und eines hervorragenden Theologen, mit seiner flammenden und glühenden Seele eines unvergleichlich frommen Menschen, mit seiner Fähigkeit, allgemeinverständlich zu schreiben, hat einen Großteil dieser Zurückhaltung einfach weggefegt und die christliche Seele zu Maria und zu jener glücklichen Freiheit der Liebe zurückgeführt, die unsere Glaubensbrüder im Mittelalter besaßen. Natürlich glaubten viele angeblich Intellektuelle, die zutiefst von Protestantismus und Jansenismus geprägt waren, in Alfons selbst einen Vorwand für ihre Kritiken zu finden. Wie sind sie über dieses wunderbare Buch hergefallen! Sie warfen ihm Übertreibung vor und haben nicht begriffen, daß dieser Eindruck der Übertreibung von der Armut ihrer eigenen Liebe und ihrer eigenen Kälte herrührte. Nicht eine einzige Aussage des Heiligen kann im strengen theologischen Sinn angegriffen werden. Die Übertreibung liegt also nicht in der Lehre. Sie liegt im Ton, antworten unsere Zensoren; und der Ton macht die Musik. — Ganz richtig: Der Ton des Buches ist brennend, seine Flamme unerträglich. Aber es ist das Feuer der Liebe, nicht mehr und nicht weniger. Seit wann aber darf die Liebe von dem beurteilt werden, der nicht liebt?“
Für viele Katholiken aber — einfache Menschen genauso wie Gelehrte — wird es zum Licht, und der Eifer, für die Herrlichkeiten Mariens einzutreten, erfüllt von neuem ihre Herzen. Und welch ein unerwarteter Erfolg, sie erreichen „die stärkste Auflage der Marienliteratur aller Zeiten: rund eine Million Auflagen seit 1750“!
Für den Heiligen verlief jedoch die Geburt dieses Buches nicht schmerzlos. Am 12. Oktober 1750 schrieb er an Kanonikus Fontana: „Ich sende Euch mein armseliges umstrittenes Buch über die Muttergottes, das nun nach vielen Widrigkeiten und nach vielen Jahren großer Mühe um die Zusammenfassung des Materials endlich erscheint.“ Alfons' Buch paßte nicht mehr so recht in die aufkommende Geisteskälte der Aufklärungszeit. Zudem entstand ein theologischer Streit wegen der von Alfons vertretenen Lehre der Unbefleckten Empfängnis und der universalen Mittlerschaft Mariens. Aufgrund seiner großen Kenntnis der Tradition hatte der hl. Alfons schon 1748 in seinen Anmerkungen zu dem Jesuiten Busenbaum zwei Abhandlungen einfügen lassen, in denen er die Unbefleckte Empfängnis der Allerseligsten Jungfrau und die Unfehlbarkeit des Papstes, sofern dieser in Glaubens- oder Sittenfragen ex cathedra spricht, beweist: die beiden Dogmen also, die erst Pius IX. und das I. Vatikanum mehr als ein Jahrhundert später festlegen werden.
Sein Gegner Ludovico Antonio Muratori glaubte zwar persönlich an die Unbefleckte Empfängnis der Gottesmutter, hielt diese jedoch nur für eine fromme Meinung, nicht aber für eine Glaubenswahrheit. Seine Schlußfolgerung daraus: Das „Blutgelübde“, d. h., das Gelübde, gegebenenfalls sein Leben für diesen Glauben hinzugeben, ist daher ungültig, abergläubisch und selbstmörderisch, denn man gibt sein Leben nicht für eine bloße Meinung hin! Alfons entgegnete: Aber die Kirche feiert doch nicht ein liturgisches Fest, das auf einer bloßen Meinung beruht. Das Gesetz des Betens ist das Gesetz des Glaubens: „Ihr offizielles Gebet drückt ihren Glauben aus.“
Dies ist Alfons von Liguoris letztes Argument am Ende einer langen Argumentation, in der er den Glauben der Kirche seit dem Konzil von Ephesus (431) darlegt. Der Redemptorist Alfons von Liguori sieht in diesem Glauben ein lebenswichtiges Dogma für die erlöste Welt. Durch die Kraft der heilswirksamen Gnade in Jesus Christus wird die vollkommene Unschuld Mariens Zeichen und Verheißung der neuen Schöpfung aus der Erlösungsgnade. Die erlöste Menschheit erhebt sich aus der Sünde, und es wird der Tag kommen, da sie, sofern sie sich nicht beharrlich widersetzt, ganz ohne Makel sein wird. Dieser Glaube an die Immakulata ist der lichtvolle Gegenpunkt zum Glauben an die Erbsünde und ihre Folgen. Er ist eine Milderung der Düsternis, mit der Protestanten und Jansenisten auf diesen letzten sehen. Nein, die menschliche Natur ist nicht so verdorben, daß Gott nicht diese Blume völliger Unschuld aus ihr hervorsprießen lassen könnte! Dies ist eine erste Bedeutung des „Spes nostra, salve“ – „Wir grüßen dich als unsere Hoffnung“, das Alfons auf das Titelblatt seiner „Herrlichkeiten Mariens“ gleich unter den ausdrucksvollen Stich gesetzt hat, den er selbst von ihr, die zugleich die Allerschönste und die Allerbeste ist, gezeichnet hat. Gerade aufgrund dieser lehrmäßigen Sicht der Erlösungsordnung hat der hl. Alfons seinen „Redemptoristen“ die Immakulata zur Schutzpatronin gegeben. Denn diese Hoffnung auf Maria, die Immakulata, ist mehr als ein bloßes Versprechen: Die Immakulata ist eine aktive Kraft im Herzen der sündigen Welt. Seit ihrem „Ja“ zur Menschwerdung, und vor allem seit ihrem Mitleiden am Kalvarienberg ist die Unbefleckte Empfängnis unsere Mutter, unser Leben. Sie ist tagtäglich für alle und jeden Mittlerin der Vergebung, der Gnade, ja aller Gnaden.
Dies ist auch schon der zweite Hauptpunkt, in dem Muratori dem hl. Alfons widerspricht. Indiskrete Frömmigkeit, so sagt er, ist jene Frömmigkeit, die vergißt, daß „Maria nicht Gott ist“ und zu behaupten wagt, „sie befehle im Himmel“. Indiskret auch jene Frömmigkeit, die behauptet, daß uns „alle Gnaden, die wir von Gott empfangen, nur durch die Hände Mariens zuteil werden“. Indiskret schließlich die Frömmigkeit, die die Bedeutung der vertrauensvollen Hinwendung zur Allerheiligsten Jungfrau so überzeichnet, daß sie behauptet, „ein Diener Mariens könne nicht verdammt werden“. Mit Paulus (1 Tim 2,5) gilt: Einer ist Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich Christus Jesus.
Alfons erwidert ihm Punkt für Punkt. Streng gesprochen, „kann Maria im Himmel ihrem Sohn zwar nicht befehlen, doch sind ihre Bitten die Bitten einer Mutter“. Was den alleinigen Mittler Jesus Christus betrifft, so „ist die Vermittlung der Gerechtigkeit durch das Verdienst etwas anderes als die Vermittlung der Gnade durch Bitten; ist es etwas anderes zu sagen, Gott könne nicht als Gott wollen“, als zu sagen Er könne „nicht seine Gnaden ohne das Eingreifen Mariens gewähren“. Es gibt durchaus Gnaden der Protektion, Gnaden der Heiligkeit, aber in erster Linie Gnaden der Barmherzigkeit: „Muß ein Sünder fürchten unterzugehen, wenn sich ihm die Mutter des Richters selbst als Verteidiger anbietet? ... Wende dich an Maria, und du wirst gerettet.“
Eines sei noch angemerkt: In späterer Zeit hat man dem Autor der Herrlichkeiten Mariens mangelndes kritisches Bewußtsein bei der Auswahl der etwa einhundertdreißig „Beispiele“ vorgeworfen, die seine Ausführungen abschließen bzw. in einem Anhang beigefügt sind. Die Verwendung von Beispielen war etwa auch bei Philipp Neri die bevorzugte Vorgangsweise, und er entwickelte sie mit der barocken Überschwenglichkeit seiner Zeit. Alfons weiß ebenfalls um den Wert der Beispiele, und er glaubt an die Echtheit all jener Beispiele, die er aufgenommen hat, auch wenn sie für den modernen Geschmack allzu Wunderbares berichten: „Es ist eine Schwäche des Geistes, alles unbesehen anzunehmen; aber ebenso, Wunder zurückzuweisen, die von ernsthaften und frommen Männern bezeugt sind; beweist dies doch entweder mangelnden Glauben — als könne Gott keine Wunder wirken — oder Verwegenheit, da hervorragenden Autoren jede Glaubwürdigkeit abgesprochen wird. Können wir einem Tacitus oder einem Sueton Glauben schenken, ihn aber gelehrten und aufrichtigen christlichen Schriftstellern ohne Tollkühnheit versagen?“ Letztlich verbirgt sich hinter Zweifel an der Echtheit solcher sicher bezeugten Wunder die Krankheit des modernen Unglaubens, der an gar keine Wunder mehr glauben möchte. Von diesem Zweifel war der hl. Alfons natürlich Welten entfernt.
Alfons’ Liebe zur Allerseligsten Jungfrau Maria hat ihn dazu geführt, in seinen Reden über die sieben Hauptfeste Mariens die damals verbreiteten Thesen eifrig zu unterstützen, die in der Frage zum Ausdruck kommt: War die Unbefleckt Empfangene vom ersten Augenblick an heiliger als alle Menschen und Engel zusammen? Dieses „zusammen“ macht einen, sobald man es wirklich ernst nimmt, schwindeln. Heute dürfen wir uns bei der Antwort auf diese Frage an den Wortlaut halten, den Pius IX. in der Bulle Ineffabilis verwendet: „Maria voll der Gnaden übertraf von ihrer Empfängnis an selbst die Engel und Seraphine an Heiligkeit.“ Eine weitere Frage ist: Hat die Jungfrau diese übernatürlichen Reichtümer mit einem schon bei ihrer Empfängnis voll bewußten Geist erhalten? Im 13. Jahrhundert macht Thomas dieses Privileg zum Erbteil — und zwar zum ausschließlichen Erbteil — Christi. Seit dem 14. Jahrhundert verbreitet sich diese Meinung auch zugunsten Mariens und gewinnt schließlich die Oberhand. In seiner Rede „Von der Geburt Mariens“ hebt Alfons die entsprechenden Angemessenheitsgründe dafür hervor.
Ein Wunder
Beenden wir unsere Gedanken für dieses Mal – denn das Leben des hl. Alfons wird uns noch weiter beschäftigen – noch mit dem Bericht von einem Wunder, einem Wunder, das die Gottesmutter an einem jungen Novizen der Redemptoristen gewirkt hat.
Der junge Alessandro Di Meo war ein wahrer Wunderknabe. Seine Intelligenz und sein Gedächtnis verblüfften die Professoren im Seminar, wohingegen seine tollen Streiche sie zur Verzweiflung trieben. Eine Tages wurde es dem Bischof von Montemarano dann doch zu bunt und er drohte: „Ich schicke ihn weg! Aus ihm wird nie ein Priester, nicht einmal ein guter Christ!“ Den Professoren ist es immer noch leid um den jungen, hochbegabten Studenten, weshalb der Generalvikar sich als Fürsprecher einsetzt und einwendet: „Wenn Ihr ihn entlaßt, wird er übel enden, und wir berauben uns eines außergewöhnlichen Talents. Sein Ungestüm wird sich mit den Jahren legen.“
Eines Tages kommt der hl. Alfons von Liguori zu einem kurzen Besuch zum Bischof. Als er wieder in den Sattel steigt, läßt es sich Mgr. Innocenzo nicht nehmen, ihm trotz seiner Proteste den Steigbügel zu halten. Diese Szene ist für den ehrgeizigen Alessandro eine Erleuchtung: „Ein Heiliger ist größer als ein Bischof!“ — und er tritt in Ciorani, bei den Redemptoristen ein.
Er hatte geglaubt, im Noviziat der Redemptoristen den Frieden zu finden, und steht nun mitten in einem seelischen Krieg. In aufschäumenden Wellen überfällt ihn die Reue: „Hier bist du fern von deinen Eltern, deinen Freunden, von jeder Freude. Du wirst nie etwas anderes als ein Nichts sein. In der Welt würdest du eine Berühmtheit werden...“ Ein grausamer Kampf. Die Allerheiligste Jungfrau, zu der er sich flehentlich um Hilfe wendet, unterstützt ihn ... und verliert. Alessandro schreibt hastig an seine Familie, um seine baldige Rückkehr anzukündigen. Eines schönen Abends ist er soweit: „Leb wohl, Zelle!“ Er steigt die Treppe des Noviziats hinunter, wirft im Vorübergehen einen innigen Blick auf das kleine Bild der Schmerzensmutter, das noch heute auf dem Treppenabsatz gezeigt wird: „Mutter, ich halte es hier nicht mehr aus; aber ich werde dich immer lieben!“ Hierauf hört er ganz deutlich: „Wenn du gehst, läufst du in dein Verderben.“ Kaum daß er diese Worte vernommen hat, fällt er auf die Knie und verspricht: „Mutter, ich bleibe. Ich werde dir bis zu meinem letzten Atemzug dienen und dich in alle Ewigkeit lieben.“ – Und so war es auch mit der Hilfe Mariens, denn ein Kind Mariens wird nicht verloren gehen.