1. Der „Widerstand“, der sich in den letzten gut zwei Jahren, seit dem „Brief der Drei“ (der „drei Weihbischöfe, die nicht dem Generalrat angehören“) und der „Lehrmäßigen Erklärung“ des „Einen“ (und einzigen!, des Weihbischofs, der dem Generalrat sehr wohl angehört, ja sogar Generaloberer ist), in und um die „Piusbruderschaft“ erhoben hat, scheint die „Pius“-Verantwortlichen nicht wenig zu beunruhigen, denn schon seit Monaten wird aus sämtlichen Etagen, vom einfachen „Fußvolk“ über die Distriktoberen bis ins Generalhaus hinauf, in allen verfügbaren Organen und an allen Orten, in Wort und Schrift aus vollen Rohren gegen nichts anderes mehr geschossen und gepoltert. Da konnte auch der „Pius“-Distriktobere für Österreich, der Schweizer P. Stefan Frey, nicht abseits stehen und ließ es sich angelegen sein, zur Feder zu greifen und in seinem etwas luftigen Blättchen „Ursprung und Ziel“ eine Breitseite abzufeuern.
Zwar gibt er sich betont seriös und will „fernab von aller Polemik und persönlicher Schuldzuweisung die Dinge sachlich ... analysieren“. Das hindert ihn freilich nicht, vorab bereits eine gehörige persönliche Schuldzuweisung vorzunehmen an jenen „Bischof, manche Priester und Gläubige“, die „der Bruderschaft untreu“ geworden sind (oder ist „Untreue“ hier ganz wertfrei gemeint?), und dies auch gleich noch auf den Teufel in eigener Person zurückzuführen, der „schlau und hinterhältig … seine Fallstricke gelegt hat, um uns zu Fall zu bringen, leider nicht ohne Mißerfolg“ - dabei wohl übersehend, daß die doppelte Verneinung „nicht ohne“ sich aufhebt und er somit dem Teufel immerhin einen „Mißerfolg“ bescheinigt, also bei seinem diabolischen Unternehmen erfolglos gewesen zu sein.
2. Nachdem in Gestalt des Teufels gleich zu Anfang nach Distriktoberen-Manier das schwerste Geschütz aufgefahren worden ist (wir erinnern uns: auch der Distriktobere von Deutschland, inzwischen P. Freys würdiger Nachfolger als „Regens“ von Zaitzkofen, hat mit dieser Kanone voriges Jahr noch auf karmelitische Spatzen geschossen), ist unsere Hoffnung auf eine faire und sachliche Auseinandersetzung schon dahin. In seiner Analyse wähnt Hochwürden hingegen, der „sog. 'Widerstand'“ seinerseits fahre in seiner Argumentation „schwerstes Geschütz auf“, indem er behaupte, der „Generalobere und die Oberen insgesamt hätten durch einen angeblich liberalen Kurs und die Verhandlungen mit Rom das Werk des Erzbischofs verraten, sie seien von seinem Geist und seiner Linie abgewichen und führten die Bruderschaft dem Ruin entgegen“. Wir halten an dieser Stelle gleich die bedeutsame Tatsache fest, daß für den Herrn Distriktoberen nicht der von ihm ins Spiel gebrachte Teufel, sondern „der Erzbischof“ das schwerste Geschütz ist. Er fährt fort: „Um des Glaubens willen sei es darum notwendig, diesen Oberen den Gehorsam zu verweigern und gegen sie zu kämpfen. Schärfer hätten die vielfach vorgebrachten Vorwürfe nicht formuliert werden können. Aber halten sie der Realität stand?“
Es ist also keineswegs polemisch und unsachlich, dem „Widerstand“ vorzuwerfen, untreu und des Teufels zu sein, hingegen ist es schärfster Vorwurf und schwerstes Geschütz, wenn dieser wiederum den Oberen der „Piusbruderschaft“ vorhält, das Werk „des Erzbischofs“ zu verraten. Das dünkt uns eine recht sonderbare Sichtweise. Sie verrät uns aber viel darüber, wie die Auseinandersetzung zwischen „Widerstand“ und „Pius-Mainstream“ im allgemeinen geführt wird. Es geht nämlich nicht darum, ob der Kurs der „Pius-Oberen“ richtig oder falsch ist, sondern nur, inwieweit sie darin „dem Erzbischof“ folgen oder nicht, und darüber gehen die Ansichten naturgemäß ein wenig auseinander.
3. Die „sachliche Analyse“ unseres Herrn Distriktoberen bewegt sich daher auch nur um diesen einen Punkt: „Worin soll denn der Verrat bestanden haben? – In der Tatsache, daß das Generalhaus ein Abkommen mit Rom wollte, obwohl doch Mgr. Lefebvre nach 1988 klipp und klar gesagt habe, ein Abkommen sei nicht möglich, da man Rom nicht vertrauen könne und, falls es je wieder zu Gesprächen kommen sollte, er als Bedingung den römischen Autoritäten die Frage vorlegen würde, ob sie die vorkonziliaren antiliberalen Enzykliken anerkennten.“ In der Tat wird dies so oder ähnlich von einem Teil des „Widerstands“ als Haupt-Argument vorgebracht. Unser unpolemischer Kämpfer (an sich ein Widerspruch in sich, denn griech. „polemos“ heißt gerade „Kampf“) zitiert dagegen aus einem Brief des „Erzbischof“-Biographen Mgr. Tissier de Mallerais vom 6. Januar 2014: „Wenn Mgr. Lefebvre vor allem ein Mann des Glaubens und der Weisheit war, so hat er doch eine gute Dosis Pragmatismus besessen … . Mit natürlichem Scharfsinn und übernatürlicher Geistesgesinnung folgte Mgr. Lefebvre den Wegen der göttlichen Vorsehung. So suchte er stets günstige Gelegenheiten, um mit Rom Kontakte zu knüpfen und unsere kanonische Anerkennung wieder zu erlangen.“
Um diese Aufstellung zu belegen, zeichnet unser Autor in einer kleinen „Chronologie der Ereignisse von 1987/88“ einige der Haken nach, welche „der Erzbischof“ in dieser Zeit geschlagen hat. Er beginnt mit den Aussagen „des Erzbischofs“ vom September 1987, als dieser, von Verhandlungen mit Kardinal Ratzinger enttäuscht, sich in Priesterexerzitien dazu verstieg, vom apostatischen Rom zu wettern, das „den Glauben verloren“ habe: „Es ist die Wahrheit. Rom befindet sich in der Apostasie. Man kann in diese Welt kein Vertrauen mehr haben, sie hat die Kirche verlassen, sie haben die Kirche verlassen. Das ist sicher, sicher …“ Nur einen Monat später war er mit diesen Apostaten, die „die Kirche verlassen“ haben, zu einem „Dialog“ bereit, nachdem ihm nämlich jenes Rom, das „den Glauben verloren“ hat, das versöhnliche Angebot einer „Visitation“ gemacht hatte. Nun ließ er die Gläubigen beten, daß es zu einer Lösung komme, die es ermöglichen würde, „unter der Autorität des Obersten Hirten“ das „Experiment der Tradition“ zu machen. Zwar seien „diese beiden Richtungen, die gegeneinander stehen“ - die „Tradition“ und die „Apostasie“ sind hier gemeint - „sehr schwer auf einen Nenner zu bringen“, doch „wenn Rom die Absicht hat, uns eine wirkliche Autonomie zu geben, so wie wir sie jetzt schon haben, jedoch mit der Unterwerfung, wären wir einverstanden“, denn: „Wir haben immer gewünscht, dem Heiligen Vater unterworfen zu sein.“
Im November legte „der Erzbischof“ in Briefform ein „Projekt zur Wiedereingliederung und Normalisierung unserer Beziehungen zu Rom“ vor, um „unseren Beitrag zur Erneuerung der Kirche zu leisten“. Darin heißt es: Wir „wollten nie mit dem Nachfolger Petri brechen und den Heiligen Stuhl nie als vakant ansehen, trotz der Prüfungen, die uns das eingetragen hat“. Auf der Basis dieses „Projekts“ wurde dann das berühmte Protokoll vom 5. Mai 1988 zwischen „dem Erzbischof“ und Kardinal Ratzinger verfaßt und unterzeichnet, das „der Erzbischof“ anderntags „widerrief“. Er tat dies allerdings, wie uns Hochwürden glaubhaft versichert, nicht etwa, „weil er zur Überzeugung gekommen wäre, das Protokoll sei inakzeptabel“; vielmehr sprach er noch im gleichen Brief seines Widerrufs von „einer wirklichen Genugtuung“, welche er beim Unterschreiben des Protokolls empfunden habe, und bezeichnete auch später noch seinen Seminaristen gegenüber das Protokoll als „an sich annehmbar“. Seine Unterschrift, erklärt uns P. Frey, habe „der Erzbischof“ widerrufen, „weil gewisse Umstände ihm schwere Bedenken eingaben: Der Termin für die Bischofsweihen wurde von Rom immer wieder hinausgeschoben, und man hatte ihm zu verstehen gegeben, daß fortan in St. Nicolas in Paris sonntags auch eine neue Messe gelesen werden sollte“.
Nachdem auch ein letzter Versuch, „legal“ an seine Bischöfe zu gelangen, gescheitert war, „sieht er sich vor der Gewissensverpflichtung, zur heroischen Tat der 'Überlebensaktion' zu schreiten, vier Bischöfe zu weihen, um das Weiterbestehen des Werkes der Tradition zu garantieren“. Doch auch „nach der ungerechten und nichtigen Exkommunikation und dem definitiven Scheitern der Verhandlungen sieht der Erzbischof nicht eine grundsätzliche Unmöglichkeit für ein Abkommen mit Rom, das er ja immer gewünscht hat, falls die Umstände es erlauben“. „Für ihn war und ist das entscheidende Kriterium für ein Abkommen stets, daß die Bruderschaft 'sich genügend schützen könne', die Garantien bekäme, ihre Sendung ungehindert weiterzuführen.“ Zum Beweis dafür zitiert unser Autor eine Aussage „des Erzbischofs“ vom März 1989: „Nach dem Unterzeichnen des Protokolls hätte ich sehr wohl ein definitives Abkommen unterschrieben, wenn wir die Möglichkeit gehabt hätten, uns wirksam gegen den Modernismus von Rom und der Bischöfe zu verteidigen.“
4. Das alles ist fein beobachtet, und wir können dem Hochwürdigen Herrn Distriktoberen in dieser seiner Analyse nur zustimmen. Wir haben selbst schon mehrfach auf den Pragmatismus „des Erzbischofs“ hingewiesen, der im „Widerstand“ meist geflissentlich übersehen wird. Tatsächlich war Mgr. Lefebvre nicht der harte, prinzipientreue Glaubenskämpfer, als der er in diesen Kreisen gerne verklärt wird. Er hatte, wie wir festgestellt haben, seine ganz eigene Idee, wie der „Kirchenkrise“ zu begegnen sei, nämlich letztlich durch die Gründung und Ausbreitung seiner „Piusbruderschaft“. Gerne hätte er mit der Anerkennung oder doch Duldung Roms sein „Experiment der Tradition“ als eine Art edler Wettbewerb durchgeführt, da ihm eine solche Taktik am günstigsten für sein Vorhaben erschien. Dafür war er auch bereit, theologische Positionen (etwa die Frage nach der Gültigkeit der „konziliar erneuerten“ Weihen) und widerspenstige Priester aus den eigenen Reihen zu opfern, also gewissermaßen „über Leichen“ zu gehen. Notfalls jedoch war er durchaus in der Lage, Rom zu düpieren und in offene Rebellion überzugehen, wenn er nämlich den Fortbestand oder die freie Wirkungsmöglichkeit seines Werkes in Gefahr sah. Das änderte jedoch nichts an seinem grundsätzlichen und anhaltenden Bestreben, seine Bruderschaft durch konzilsrömische Gutheißung zu „legalisieren“.
Es wäre vielleicht doch gut, wenn beide Seiten, „Pius-Mainstream“ und „Widerstand“, sich über diese Grundhaltung „des Erzbischofs“ einmal Rechenschaft geben würden und nicht stets nur töricht und fruchtlos darüber streiten, was denn wohl „der Erzbischof“ heute tun würde oder wie er gehandelt hätte und wer daher nun das wahre Erbe „des Erzbischofs“ angetreten hat. Stattdessen könnte man sich dann die Frage stellen, ob denn „der Erzbischof“ mit seiner Haltung überhaupt richtig gelegen ist oder nicht, um sie gegebenenfalls zu korrigieren.
Auch unser Autor als linientreuer „Lefebvrist“ denkt natürlich nicht im Traum daran, so eine ketzerische Überlegung überhaupt nur in Erwägung zu ziehen. Stattdessen dient ihm sein kleiner kirchenhistorischer Exkurs zur Darlegung der pragmatischen, „von klaren Prinzipien geleitete(n) Vorgehensweise des Erzbischofs“ zum Beleg dafür, daß der gegenwärtige „Pius“-Generalobere, Mgr. Fellay, „folgerichtig und absolut im Sinne unseres Gründers“ gehandelt habe, als er „in den vergangenen Jahren die Angebote von Rom nicht grundsätzlich zurückwies, sondern gewissenhaft prüfte“. Im Frühjahr 2012 habe es so ausgesehen, „daß der Papst die Bruderschaft bedingungslos anerkennen und in der Gewährung der Freiheiten, insbesondere der Unabhängigkeit von den Bischöfen, bis zum äußersten gehen wolle“. „Als dies dann offensichtlich nicht der Fall war und von uns die bedingungslose Anerkennung der neuen Messe und des Vatikanums II als integraler Bestandteil der Tradition verlangt wurde, war Schlußpunkt! Die Verhandlungen waren gescheitert, wie es unter Erzbischof Lefebvre der Fall war.“
Somit kommt Hochwürden im „Fazit“ zu dem Schluß, daß „die schweren Vorwürfe des 'Widerstandes' ... jeglicher vernünftigen Grundlage“ entbehren. „Wie kann man von 'Verrat' und 'Kurswechsel' schreien, wo doch unser Generaloberer offenkundig in gleicher Weise wie der Erzbischof und in Übereinstimmung mit dessen Grundsätzen vorgegangen ist?“, so wiederum „fernab von aller Polemik und persönlicher Schuldzuweisung“ unser Autor, der sich die Frage stellt, ob es nicht „von einer großen Portion Anmaßung“ zeuge, „sich zum Richter über die Oberen aufzuwerfen und diese zu verdammen“. Die „Anhänger des 'Widerstands'“ seien „überzeugt, die einzigen authentischen Interpreten des Denkens unseres Gründers zu sein“, und übersähen dabei, „daß die Frage der Verhandlungen mit Rom nicht in ihre Kompetenz fällt, sondern in jene des Generaloberen“. „Dieser berät sich mit den höheren Oberen und beruft im Entscheidungsfall ein Generalkapitel ein. Die Standesgnade für die richtige Entscheidung indes ist ihm allein von Gott angeboten.“
„Um ihre persönlichen Ansichten durchzusetzen, nehmen die 'Widerstand'-Priester es in Kauf, die Gläubigen zu verwirren und in Gewissensbisse zu stürzen, die Einheit der Bruderschaft zu torpedieren, die legitime Autorität zu verunglimpfen und persönlich – ihrer eigenen Sprechweise gemäß – als 'praktische Anarchisten' zu agieren, wo jeder machen kann, was er will, ohne jegliche Anbindung an die kirchliche Hierarchie, was vom Kirchenrecht übrigens strengstens verboten ist.“ Dies alles ist, wir wiederholen es, „fernab von aller Polemik und persönlicher Schuldzuweisung“ gesprochen. „Wenn sie schon von ihren Ansichten überzeugt sind, warum warten sie nicht ab, ob sich ihre Befürchtungen tatsächlich erfüllen, z. B. ein kopfloses Abkommen abgeschlossen würde? Bislang ist doch überhaupt nichts geschehen!“ Ein netter kleiner Vergleich soll dies illustrieren: „Wenn ein Schiff in die Nähe eines Eisbergs gerät, werden dann die Seeleute bestürzt von Bord springen, bevor überhaupt eine Gefahr der Kollision besteht?“
Endlich gelangt unser Distriktoberer, wir wiederholen ein letztes Mal, „fernab von aller Polemik und persönlicher Schuldzuweisung“, zu seinem Schlußsatz, in welchem die ganze Quintessenz seiner „Analyse“ enthalten zu sein scheint: „Und warum rebellieren die Priester des 'Widerstands' denn gegen die Obrigkeit, obwohl von ihnen im Gehorsam niemals je etwas Glaubens- und Sittenwidriges verlangt wurde? Dies wäre der einzige Grund, der einen Widerstand gegen die Obrigkeit legitimieren würde.“
5. Es ist nicht ganz einfach, den Knäuel ein wenig aufzudröseln, den der Hochwürdige Herr Distriktobere in diesem letzten Teil seiner Apologia geschürzt hat. Wir beginnen vielleicht am besten mit dem losen Ende, wie sich das bei derlei Knoten stets empfiehlt. Der „Gehorsam“ ist ja unvermeidlich das letzte und im Grunde einzige Argument, das stereotyp aus dem „Pius-Mainstream“ dem „Widerstand“ entgegengeschleudert wird. Daß derlei „Gehorsams“-Gefasel von vornherein etwas fragwürdig und schräg klingen muß aus dem Munde solcher, die sich ihrerseits erlauben, der immerhin höchsten Autorität auf Erden, nämlich dem Stellvertreter Christi, ungehorsam zu sein, scheinen sie zumindest im „Unterbewußtsein“ noch wahrzunehmen, weshalb sie sich eine ganz besondere und neue Auffassung von Gehorsam zugelegt haben. Ungehorsam und Widerstand ist demnach überhaupt nur noch aus Glaubens- und Sittengründen erlaubt.
Selbst auf die Gefahr, uns zu wiederholen, dürfen wir noch einmal Leo XIII. aus seiner Enzyklika „Libertas praestantissimum“ von 1888 zitieren: „Sobald das Recht zu gebieten fehlt oder ein Gebot der Vernunft, dem ewigen Gesetz oder der Autorität Gottes widerspricht, ist es legitim, ungehorsam zu sein, wir meinen den Menschen, um Gott zu gehorchen.“ Glaube und Sitten sind also keineswegs „der einzige Grund, der einen Widerstand gegen die Obrigkeit legitimieren würde“. Oder weiß es der Herr Distriktobere von Österreich heute besser als der Papst von damals? Hier wird gleich der nächste Faden im Knäuel sichtbar, nämlich die maßlose Überschätzung und Überzeichnung der „piusbruderschaftlichen“ Autoritäten. Immerhin nennt sie unser Autor „legitime Autorität“, obwohl sein Erster Generalassistent, mithin der zweithöchste Vorgesetzte unseres Analysten, vor nicht allzu langem bekannt hat, unter einer „kirchenrechtlichen Irregularität“ und einem „kanonischen Mangel“ zu leiden. Wo kommt da plötzlich die „legitime Autorität“ her?
Ja, mehr noch, Hochwürden wirft dem „Widerstand“ vor, „ohne jegliche Anbindung an die kirchliche Hierarchie“ zu handeln, was vom Kirchenrecht doch „strengstens verboten ist“! Mit dieser „kirchlichen Hierarchie“, von welcher sich der „Widerstand“ losgesagt hat, können ja wohl nur die „Pius-Oberen“ gemeint sein, obwohl diese ihrerseits „ohne jegliche Anbindung an die [in ihren Augen real existierende] kirchliche Hierarchie“ sind, „was vom Kirchenrecht übrigens strengstens verboten ist“. Somit ist also aus der irregulären und mit kanonischem Mangel behafteten, gegen das strengste Verbot des Kirchenrechts von der kirchlichen Hierarchie getrennten und dem Stellvertreter Christi ungehorsamen „Pius“-Leitung – Simsalabim! – die „legitime Autorität“ und die „kirchliche Hierarchie“ selbst geworden.
Doch damit noch nicht genug. Denn dieser „legitimen Autorität“ und „kirchlichen Hierarchie“, näherhin dem Hochwürdigsten Herrn Generalsuperior, kommt es in der heutigen Zeit einzig zu, über die Frage der Beziehungen zu Rom zu entscheiden, denn: „Die Standesgnade für die richtige Entscheidung ... ist ihm allein von Gott angeboten.“ Ach ja, die „Standesgnade“, ein weiterer von den „Pius“-Apologeten usque ad nauseam (sinngemäß: bis zum Überdruß) strapazierter Topos! Es ist also heute keinem Katholiken mehr erlaubt, selbst zu entscheiden, ob er der „konziliaren Kirche“ angehören will oder nicht. Die „Standesgnade“ dafür wird von Gott ausschließlich dem Allerhochwürdigsten Generaloberen der „Piusbruderschaft“ angeboten (ob er sie auch ergreift, ist dann freilich eine andere Frage).
Demnach besitzen einfache Priester und Laien wie z.B. Familienväter neuerdings keine Standesgnade mehr, um zu erkennen, was für sie und die ihnen anvertrauten Seelen das Richtige ist? Nur der Generalobere der „Piusbruderschaft“ hätte die Kompetenz, das zu entscheiden? Und es berührt Glauben und Sitten in keiner Weise und geht die Priester und Gläubigen der Bruderschaft gar nichts an, wenn Seine Exzellenz die Bruderschaft an das „konziliare“ Rom anschließt (um nicht das allzu „polemische“ Wort „verkauft“ zu verwenden)? Wer hat denn beispielsweise mit seinen Spenden, seinen Mühen und Arbeiten die Kapellen, Priorate und Gemeinden aufgebaut, die nun womöglich den „konziliaren“ Bischöfen ausgeliefert werden? Wer hat sich denn extra der „Piusbruderschaft“ angeschlossen, um gerade nicht in der „konziliaren“ Kirche auf- und unterzugehen, weil dies eben sehr wohl eine unmittelbare Gefahr für Glauben und Sitten ist, wie unzählige Beispiele belegen? Und nun sollen alle brav wie die Lemminge hinter dem „Pius“-Generaloberen herlaufen und sich blind in den Abgrund stürzen, weil nur er die Kompetenz und die „Standesgnade“ dazu besitzt, jene Schalmeientöne hervorzubringen wie weiland der Rattenfänger zu Hameln, dem alles Getier blindlings folgt? Der Hochwürdigste Herr Generalobere handelt ja nicht für sich allein, auch nicht allein für seine Bruderschaft, sondern gewissermaßen im Namen aller, die sich als „Bewegung der Tradition“ um die Bruderschaft herum angeschlossen haben. Und trotzdem dürften diese alle, obwohl sie keineswegs irgendeiner „legitimen Autorität“ des Generaloberen unterstehen, nichts anderes tun als brav zu nicken und blöde hinterher zu trotten? Wie viele tapfere Katholiken der „Tradition“ befanden sich schon im Widerstand gegen die „konziliare Kirche“, als der Hochwürdigste Generalobere - mit Verlaub - noch im Sandkasten spielte, und nun sollten sie sich von ihm allein sagen lassen, ob sie das überhaupt dürfen? Wir fragen uns, auf welcher Seite hier tatsächlich die Überheblichkeit und die „Anmaßung“ liegt!
Wir wären schon ein gutes Stück weiter, wenn nur endlich einmal der unsägliche, horrende Unsinn vom „unbedingten Gehorsam“ gegen die „außerordentlichen, ersetzenden Autoritäten“ der „Piusbruderschaft“, wie es ein anderer „höherer Oberer“ der „Pius“-Gesellschaft unlängst nannte, aus der Welt geschafft wäre. Wir wiederholen daher noch einmal, was wir an anderer Stelle schon mehrfach unterstrichen haben: Die „Oberen“ der „Piusbruderschaft“ besitzen keine kirchliche Jurisdiktion. Wer sich ihnen anschließt, tut dies ganz freiwillig und untersteht nicht ihrer Rechtsprechung. Solange er sich ihnen angeschlossen hat, hält er sich an die „Spielregeln“, er kann sich jedoch jederzeit wieder lösen, ohne damit im geringsten einen „Ungehorsam“ zu begehen. Erst recht verliert er damit keinen kirchenrechtlichen Status, den er vielleicht zuvor besessen hätte. Nach dem Buchstaben des Kirchenrechts sind alle Kleriker der „Piusbruderschaft“ „clerici vagi“ (svw. streunende Kleriker) und suspendiert. Daran ändert sich nichts, ob man sich dazugehörig erklärt oder nicht.
Besonders lächerlich ist, wie nicht anders zu erwarten, das Bild unseres Autors vom Schiff und dem Eisberg geraten. Wenn sich die hochwürdigen Herren „Pius“-Apologeten an Metaphern üben, ist ein Lacherfolg meist bereits vorprogrammiert und kommt in der Regel nichts als Unsinn heraus. Wenn wir schon im albernen Bild bleiben und im Schiff die „Piusbruderschaft“ erblicken und im Eisberg das „konziliare“ Rom, dann wäre doch vor allem nicht nachzuvollziehen, wieso Kapitän und Offiziere unbedingt an den Eisberg heranfahren wollen, wenngleich sie doch wissen müssen, wie gefährlich das ist, anstatt ihn möglichst weiträumig zu umschiffen. Und wenn das Schiff bereits Schlagseite bekommen hat, weil der Rumpf längst unter der Wasseroberfläche vom Eisberg aufgeschlitzt worden ist und volläuft, und die Seeleute daran gehen, die Rettungsboote zu Wasser zu lassen, werden sie dann zurecht von der Schiffsleitung getadelt (oder gar mit Prozessen überzogen und über Bord geworfen), weil doch „überhaupt nichts geschehen“ sei, nur weil das Schiff noch nicht vollends untergegangen ist?
6. Damit kommen wir wieder zum Hauptargument unseres diensteifrigen Distriktoberen zurück, denn er will uns ja, wie wir gesehen haben, weismachen, daß eben „überhaupt nichts geschehen“ sei, sondern die „Piusbruderschaft“ treu und brav auf dem unveränderten, verläßlichen Kurs „des“ teuren und verdienten Erzbischofs weiterdampft (der ja übrigens auch beinahe das Schiff an den Eisberg gerammt hätte). Ist das wirklich so? Gewiß, Erzbischof Lefebvre war ein Pragmatiker, wie wir ebenfalls schon gesehen haben. Aber nicht nur. Mgr. Lefebvre hatte, wie der damalige Abbé Sanborn richtig festgestellt hat, „zwei Gesichter“: „Der Verlauf der Verhandlungen mit dem modernistischen Vatikan zeigt in evidenter Weise, daß es in Monseigneur Lefebvre zwei entgegengesetzte Aspekte gab, von denen ein jeder in der Lage war, seine klare und kontradiktorische Theorie und ebensolche Handlungsweise zu diktieren. Auf der einen Seite gab es den Glauben von Monseigneur. Ich kannte ihn seit vielen Jahren und kann bezeugen, daß er von ganzem Herzen zutiefst katholisch war, anti-liberal, anti-modernistisch. Er verabscheute die Erneuerungen des II. Vatikanums und sehnte sich, wie wir, nach einer Rückkehr zum katholischen Glauben.“ Auf der anderen Seite jedoch „gab es die Diplomatie des Erzbischofs“. „Er glaubte fest daran, und dachte, wohl ausgebildet in dieser Kunst dank seiner Tätigkeit als Apostolischer Delegat, die Probleme der Kirche mit dem Mittel der Diplomatie lösen zu können.“ „Befreit von diplomatischen Bedenken, leuchtete sein Glaube auf, entflammt durch die Kraft seiner Seele. Seine Äußerungen, die er in diesen Augenblicken der nicht-diplomatischen Gemütslage und ohne Berechnung machte, waren ausgezeichnet. Sie waren genau das, was die Kirche brauchte: eine einfache Darlegung der Wahrheit ohne Mehrdeutigkeit, eine direkte Anklage der Modernisten, ein starkes Programm der positiven Aktion gegen sie durch das Mittel der Formung und Weihe traditioneller Priester. In diesem Aspekt liegt die ganze Größe von Monseigneur Lefebvre. Wenn hingegen die Diplomatie seine Gedanken und Handlungen bestimmte, trat eine ganz andere Person zutage. Mit der Bereitschaft, schmachvolle Kapitulationen hinzunehmen, um sein Ziel zu erlangen, warf er den Modernisten zweideutige Zusagen zum Fraße vor in der Hoffnung, sie würden damit zufrieden sein und ihm einen Platz an der modernistischen Tafel einräumen.“
Der hier genannte erste, nicht-diplomatische Aspekt des tief gläubigen, anti-modernistischen und anti-liberalen wahren Kirchenmannes Lefebvre fehlt seinen Nachfolgern völlig. Darum mangelt ihnen auch die Kraft, mit welcher dieser unbeirrbar seinen Weg verfolgte. Er kannte keine Selbstzweifel, Minderwertigkeitskomplexe oder Inferioritätsgefühle. Souverän trat er dem „konziliaren“ Rom entgegen und ließ sich auch durch schwerste Kirchenstrafen wie Suspension und Exkommunikation in keiner Weise einschüchtern. Im Gegenteil verstand er gerade die scharfen Auseinandersetzungen ganz zu seinem Vorteil auszunutzen. Die „Suspension“ von 1975 führte über Lille und Friedrichshafen zu einem ersten Höhepunkt seiner Popularität, die Bischofsweihen mit der „Exkommunikation“ von 1988 machten ihn endgültig zur weltweiten Ikone des „traditionalistischen“ Widerstands. Selbst ein Ratzinger alias Benedikt XVI. mußte dies eingestehen und ihm posthum die Reverenz erweisen, als er „den Erzbischof“ anläßlich der Audienz, die er zu Beginn seines Pontifikates dem Generaloberen der „Piusbrüder“ gewährte, einen „großen Mann der universalen Kirche“ nannte. Dieses Lob aus „päpstlichem“ Mund wird von der „Piusbruderschaft“ bis heute gerne zitiert, ja man schmückt sich geradezu damit, wobei die Armen in ihrem dummen eitlen Stolz den Seitenhieb nicht wahrnehmen, welchen Ratzinger hier ganz nebenbei der gegenwärtigen „Pius“-Führung verpaßte, nämlich in der gedanklichen Fortsetzung: Lefebvre war ein „großer Mann der universalen Kirche“, und wer oder was seid dagegen ihr?
Nein, mit „großen Männern der universalen Kirche“ vom Kaliber eines Mgr. Lefebvre hatte er es nicht zu tun, das hat dieser schlaue Fuchs aus Bayern ohne Zweifel sofort bemerkt, zumal er lange und intensiv genug mit „dem Erzbischof“ zu tun gehabt hatte. Mit einem Bischof Fellay, der stets darunter litt, kein „richtiger“ Bischof zu sein, der eilfertigst beteuert hatte „Wenn der Papst ruft, komme ich gelaufen“, mit diesem Mann konnte er gefahrlos sein Katz-und-Maus-Spiel betreiben. Eine „Piusbruderschaft“, die dem „konziliaren“ Rom liebedienerisch hinterherhechelte und gierig bettelnd nach einem dürren Knochen der „Anerkennung“ lechzte, war kein ernstzunehmender Gegner. So war Rom der unbestrittene Spielführer, der zu jeder Zeit das Heft in der Hand hatte, die Bedingungen stellte und die Verhandlungen schließlich auf Eis legte. Und die „Piusbrüder“ konnten aus ihrer Niederlage kein Kapital schlagen, im Gegenteil. Da sie seit eineinhalb Jahrzehnten nur noch alles auf die eine Karte „Anschluß an Rom“ gesetzt und keinen „Plan B“ in der Tasche hatten, blieb ihnen nichts übrig, als weiter hungrig nach Rom zu schielen und mit hündischer Ergebenheit um ein wenig Aufmerksamkeit zu winseln. Man „prüfte“ nicht „gewissenhaft“ irgendwelche römischen Angebote, sondern sehnte sich verzweifelt nach konzilsrömischer Huld gemäß dem Psalmwort: „Siehe, wie die Augen der Knechte auf die Hand ihres Herrn, wie die Augen der Magd auf die Hand ihrer Gebieterin, also sind unsere Augen gerichtet auf Jehova [hier besser: den „Heiligen Vater“], unseren Gott, bis er uns gnädig ist“ (Ps. 123,2).
„Der Erzbischof“ war stets als der eigentliche Sieger aus den Scharmützeln mit dem konziliaren Rom hervorgegangen. Die Fellay-Bruderschaft stand nun belämmert da wie eine verschmähte Geliebte. „Rom hat uns getäuscht“, klagte bitter und verletzt der arme Bischof Fellay, der zuvor noch dem Papst weinerlich versichert hatte, „trotz des starken Widerstands in der Bruderschaft und zum Preis großer Unruhen“ nicht nachzulassen, „weiterhin alle Anstrengungen zu machen, diesen Weg fortzusetzen“ (vgl. Cor unum Nr. 104). Er nahm also den „Widerstand“ von vornherein billigend in Kauf, um sich hinter dem Rücken und auf Kosten seiner „Traditionalisten“ kriecherisch in Rom lieb Kind zu machen (soviel zur „Standesgnade“).
So schäbig, erbärmlich und jämmerlich hat „der Erzbischof“ nie gehandelt. Bei allem Pragmatismus und allen Zugeständnissen war er sich doch stets bewußt, daß man den „Neurömern“ nicht trauen durfte und sich absichern mußte. Deswegen bestand er 1988 auf den von ihm ausgewählten Kandidaten für das Bischofsamt und auf der römischen Kommission, welche die „Tradition“ schützen sollte, und brach alle Verhandlungen ab, als er sah, daß ihm diese Forderungen nicht gewährt wurden. Das famose „Generalkapitel“ der „Piusbrüder“ von 2012 verzichtete in seinen kläglichen „sechs Bedingungen“ praktisch zur Gänze auf diese Absicherungen und ließe sich daher besser „Generalkapitulation“ benennen. Die römische Kommission taucht lediglich unter den ohnehin zu vernachlässigenden „wünschenswerten“ Bedingungen auf, und die dritte „sine qua non“-Bedingung verlangt nur noch die „Zusage von mindestens einem Bischof“ - ohne hinzuzusetzen, wer diesen mageren „einen Bischof“ auswählen wird. Damit wäre „der Erzbischof“ auf keinen Fall zufrieden gewesen, wie sein Beispiel beweist.
7. In unserem Fazit kommen wir somit zu dem Schluß, daß „die schweren Vorwürfe des 'Widerstandes'“ keineswegs „jeglicher vernünftigen Grundlage“ entbehren und daß sie, ihrem eigenen „Lefebvrismus“ zum Trotz, zurecht „von 'Verrat' und 'Kurswechsel'“ sprechen, da der „Pius“-Generalobere offenkundig nicht „in gleicher Weise wie der Erzbischof und in Übereinstimmung mit dessen Grundsätzen vorgegangen ist“. Von der Frage, inwieweit es überhaupt zulässig und sinnvoll ist, mit dem „konziliaren“ Rom zu verhandeln, wollen wir dabei ganz absehen. Führen also nicht tatsächlich die Herren Oberen der „Piusbruderschaft“ diese „dem Ruin entgegen“?
Das Schlußwort sei dem heiligen Johannes vom Kreuz überlassen, welcher in seinen geistlichen Ratschlägen (Nr. 12) erklärt: „Und wenn auf diese oder eine andere Weise der Orden in einen solchen Zustand geriete, daß in den Kapiteln, Versammlungen und bei anderen Gelegenheiten die gewichtigsten seiner Mitglieder nicht zu sagen wagten, was im Namen der Liebe oder Gerechtigkeit zu sagen ist – sei es durch Schwäche, Kleinmut oder durch die Furcht, den Oberen zu erzürnen und daher ohne Amt zu bleiben (was offenkundige Ehrsucht ist) – dann möge man den Orden für verloren und vollkommen erledigt halten.“