1. Die Probleme, vor welche die Existenz der „konziliaren Kirche“ die Katholiken heute stellt, fördern in gewissen Kreisen eine ungeheure Kreativität im Erfinden verschiedenster „Lösungen“, die in Wahrheit keine sind und darum nach stets neuen Einfällen verlangen. Dabei scheint man sich ein wenig im Kreise zu drehen und vollzieht die sonderbarsten Kreiselbewegungen und Arabesken, und das offensichtlich deshalb, weil man einem gewissen heiklen Punkt, der wahren Lösung nämlich, um jeden Preis ausweichen will.
2. Da gibt es unter den „Traditionalisten“ bis heute solche, welche die Existenz einer „konziliaren Kirche“ schlichtweg leugnen. Es handle sich in Wirklichkeit um die katholische Kirche, sagen sie, nur sei diese „krank“ und „entstellt“. Und sie merken gar nicht, wie sehr sie damit Unseren Herrn Jesus Christus lästern und beleidigen, der sich am Kreuz nicht geopfert hat für eine „kranke“ und „entstellte“ Braut, sondern „um sie heilig und rein zu machen durch Abwaschung mit Wasser kraft des Wortes und so für sich herrlich zu gestalten die Kirche, ohne Flecken oder Falten oder etwas dergleichen, sondern daß sie heilig sei und ohne Makel“ (Eph 5,27f)!
Andere scheinen in diesem Punkt sensibler und gestehen uns die Existenz einer von der katholischen Kirche sehr wohl verschiedenen „konziliaren Kirche“ zu, nur, so ihre Sichtweise, beide „Kirchen“ hätten dieselbe Hierarchie, denselben Papst zum Oberhaupt. Solches behaupten etwa die Herren „Dominikaner“ von Avrillé in einem gelehrten Artikel ihrer Zeitschrift „Sel de la Terre“ (Nr. 59 vom Winter 2006/2007) und belegen es auch gleich nach Art der „Summa“ des hl. Thomas mit Einwänden, Autoritätsargumenten und Widerlegung der Einwände. Bei so viel Gelehrsamkeit bemerken sie gar nicht, daß auch ihr Modell nicht viel besser ist und Unserem Herrn und Seiner heiligsten Braut, der Kirche, keine geringere Schmach antut, indem es diese zu einem monströsen siamesischen Zwilling der „Konzilskirche“ macht. Doch sehen wir selbst.
3. Als gute Thomisten gehen unsere „Herrenhunde“ zunächst daran, die katholische Kirche und die „konziliare Kirche“ jeweils als Gesellschaft nach ihren vier Ursachen zu definieren. Die katholische Kirche ist demnach die „Gemeinschaft der Getauften, welche danach trachten, ihre Seelen zu retten, indem sie den katholischen Glauben bekennen, denselben katholischen Kultus üben und denselben Hirten folgen, nämlich den Nachfolgern der Apostel“. Die „konziliare Kirche“ hingegen ist „die Gemeinschaft der Getauften, welche sich den Anordnungen des aktuellen Papstes und der aktuellen Bischöfe unterwerfen in deren Willen, den konziliaren Ökumenismus voranzutreiben, und die folglich die ganze Lehre des Konzils annehmen, die neue Liturgie praktizieren und sich dem neuen Kirchenrecht unterwerfen“.
Diese selbstgestrickten Definitionen klingen doch etwas sonderbar, zumal wenn man sie mit etwa der Definition vergleicht, welche uns der Katechismus des hl. Pius X. gibt: „Die katholische Kirche ist die Gemeinschaft oder Sammlung all der Getauften, die auf der Erde leben, denselben Glauben und dasselbe Gesetz Jesu Christi bekennen, an denselben Sakramenten teilhaben und den legitimen Hirten gehorchen, vor allem dem Römischen Pontifex.“ Wie wir sehen, ist hier ein kleines, aber wohl nicht ganz unwichtiges Wörtlein enthalten, das uns die Herren Dominikaner unterschlagen: „legitim“! An so unscheinbaren Wörtchen hängt oft mehr als man denkt. (So werden die „konziliaren Päpste“ oftmals allein deswegen als die wahren katholischen Päpste angesehen, weil sie „rechtmäßig gewählt“ worden sind, wobei „rechtmäßig“ hier die Buchstaben des Wahlrechts meint. Sie sind also legal gewählt worden, so wollen wir gerne annehmen, aber sind sie deshalb auch legitim? Kann ein Häretiker rechtmäßiger, legitimer Papst der katholischen Kirche sein? „Legal“ ist eben nicht unbedingt gleich „legitim“.)
Auch die Definition der „konziliaren Kirche“ scheint uns nicht recht brauchbar. Erstens ist gar nicht ausgemacht, daß alle, welche dieser zuzurechnen sind, auch wirklich getauft sind; man weiß ja bei den Neuen Sakramenten und dem in diesem Bereich heute grenzenlosen Einfallsreichtum nicht mehr, wie viele Taufen überhaupt noch gültig sind. In einem Fernsehbericht wurde etwa die Taufspendung eines schweizerischen „konziliaren“ Priesters gezeigt, welcher ein „Taufwasser“ nach fernöstlicher Art mit Blüten anrührte und das Kind nicht etwa im Namen des dreifaltigen Gottes taufte, sondern „im Namen der Liabi (Liebe)“. Diese „Taufe“ war sicher ungültig.
Zweitens ist es Kennzeichen gerade der „konziliaren Kirche“, daß sich ihre Mitglieder keineswegs gehalten sehen, sich „den Anordnungen des aktuellen Papstes und der aktuellen Bischöfe“ zu „unterwerfen“. Die Bischöfe folgen dem Papst nicht, die Priester nicht den Bischöfen und die Gläubigen weder Papst noch Bischöfen, und doch gehören sie alle zur „konziliaren Kirche“. Die „ganze Lehre des Konzils“ - wenn man von so einer überhaupt sprechen kann – ist den meisten gar nicht einmal bekannt. In der Lehre herrscht ein ebensolcher Pluralismus wie in der Liturgie, und das Neue Kirchenrecht, das ohnehin schon voller „Gummiparagraphen“ steckt, wird nur sehr selektiv und sporadisch angewandt.
Die einzigen, auf welche die Definition unserer Herren Dominikaner zutreffen würde, wären vielleicht die „Konservativen“ in der Konzilskirche, die jedoch dort nur einen verschwindend kleinen Prozentsatz ausmachen. Das Spektrum reicht jedoch viel weiter, von den Pseudo-Traditionalisten, die gerade nicht „die neue Liturgie praktizieren“, wenngleich sie sich „den Anordnungen des aktuellen Papstes und der aktuellen Bischöfe unterwerfen“, bis zu jenen, die gar nichts mehr praktizieren, weder Gehorsam noch Liturgie, dafür aber immer lautstark bekunden, wie sehr sie „unter ihrer Kirche leiden“, und daher nach „Reformen“ rufen wie der Zulassung der Frauen zum Priestertum, Abschaffung des Zölibats etc.
4. Wie also könnte man die „konziliare Kirche“ besser definieren, da sie ja offensichtlich gerade keine Gemeinschaft im eigentlichen Sinn ist, sondern ganz zeitgemäß eine pluralistische Gesellschaft oder besser: ein bunter, zusammengewürfelter Haufen? Wo liegt noch die Gemeinsamkeit, die alle verbindet, die sich ihr zugehörig fühlen oder als solche bezeichnet werden, die man also im landläufigen Sinn heute „katholisch“ nennt?
Um dem näher zu kommen, muß man zuerst einmal sehen, was die „konziliare Kirche“ ist. Diese ist nämlich wesentlich keine Affirmation, sondern eine Negation. Sie verpflichtet daher nicht eigentlich zu einer Zustimmung, sondern zu einer Ablehnung. Was nämlich muß jeder ablehnen oder negieren, der ihr zugehören will? Die „konziliare Kirche“ negiert die Heiligkeit der Kirche Jesu Christi, ihre göttliche Stiftung und ihren göttlichen Wesenskern, damit vor allem auch ihre Zeitlosigkeit und Unveränderlichkeit. Die „konziliare Kirche“ ist Menschenwerk, veränderlich, dem Zeitgeist und seinen Wechseln unterworfen. Das ist ihr eigentliches Charakteristikum, und wer dies anerkennt, der darf sich ihr zugehörig fühlen, mag er dann selbst eine besondere „Sensibilität“ für den „außerordentlichen Ritus“ empfinden. Solange er nicht behauptet, dies sei der wahre, heilige, unveränderliche Ritus der römischen Kirche, ist alles gut.
Darum verlangt man von sog. „Traditionalisten“ unerbittlich die Unterwerfung unter die konziliaren Päpste sowie die Anerkennung des „II. Vatikanums“ und des „Novus Ordo“, wenn diese ihrerseits Anerkennung durch das konziliare Rom erheischen. Das „Vatikanum II“ mit seinen Lehren der Religionsfreiheit und des Ökumenismus ist wesentlich Leugnung der wahren Kirche Christi, der „Novus Ordo“ ist wesentlich Leugnung der göttlichen Liturgie und die konziliaren Päpste mit ihren Privat-Theologien sind wesentlich Leugnung des unfehlbaren Lehramtes. Hat man diese negativen Prinzipien akzeptiert, so herrscht große Freiheit und Beliebigkeit. Alles ist erlaubt, solange man nicht an die wahre Kirche Christi glaubt.
Wenn wir auf dieser Basis eine Definition suchen, so können wir vielleicht so formulieren: Die „konziliare Kirche“ ist die Gesellschaft all derjenigen, die sich Katholiken nennen, aber die göttliche Einrichtung der Kirche ablehnen, indem sie deren Veränderlichkeit und die Legitimität, ja Notwendigkeit der Anpassung aller ihrer Einrichtungen, namentlich des Glaubens, der Sakramente, der Sitten und der Hierarchie, an die Zeitbedürfnisse akzeptieren. Damit erweist sich diese „Kirche“ als der gerade Gegensatz „all der Getauften, die auf der Erde leben, denselben [heiligen und unveränderlichen!] Glauben und dasselbe [heilige und unveränderliche!] Gesetz Jesu Christi bekennen, an denselben [heiligen und wesentlich unveränderlichen!] Sakramenten teilhaben und den legitimen [unfehlbaren!] Hirten gehorchen, vor allem dem Römischen Pontifex“.
5. Nun sollen also beide, die wahre Kirche Christi und deren Leugnung, siamesische Zwillinge mit nur einem Haupte sein. Abgesehen davon, daß eine so traurige Mißgeburt mit nur einem Kopf gar nicht überlebensfähig wäre, abgesehen auch davon, was für eine Beleidigung für die reinste Braut Christi es bedeutet, sie zu so einem Monstrum zu machen, übersieht diese abstruse Theorie ganz den widersprüchlichen Charakter der postulierten „Zwillinge“. Was würden wir nur sagen, wenn uns jemand beispielsweise beibringen wollte, es seien irgendwo siamesische Zwillinge geboren, von welchen einer ein Mensch, der andere ein Affe sei, und beide hätten denselben Kopf? Und was ist das dann für ein Kopf? Ein Menschen- oder ein Affenkopf? Oder beides?
Die Widersprüchlichkeit im Leib führt notwendig zur Widersprüchlichkeit im Haupt. Entweder wir haben zwei Häupter, oder wir haben ein geteiltes Haupt. Und wie ist dieses Haupt geteilt? Hat es zwei Gehirne, oder ist es in zwei Bewußtseine gespalten, also schizophren, oder agiert es mal als Menschen- und mal als Affenhaupt? Haben wir also einen Doppelgänger-Papst, einen schizophrenen Papst oder einen, der nach Art von Dr. Jekyll und Mr. Hyde zwischen zwei diametral verschiedenen Persönlichkeiten wechselt? Uns scheint, die Antwort ergibt sich von selbst, wenn man die „konziliaren Päpste“ vor dem geistigen Auge Revue passieren läßt.
Mag auch Montini alias Paul VI. ein zwiespältiger, hin und her geworfener Charakter gewesen sein, die anderen waren es gewiß nicht, weder ein Roncalli noch ein Wojtyla noch ein Ratzinger, erst recht nicht ein Bergoglio. Und selbst Paul VI. wußte letztlich genau, was er wollte, und setzte dies sehr zielstrebig um. (Selbst in seiner von Konservativen und „Traditionalisten“ so vielgepriesenen Enzyklika „Humanae Vitae“, die sicherlich und trotz allem sein persönliches Heldenstück war, das man ihm gar nicht zugetraut hätte; selbst darin also findet sich – erstmals in einem päpstlichen Dokument – die neue personalistische Lehre vom Ehesakrament des „II. Vatikanums“ mit seiner Vertauschung der Ehezwecke.) Allesamt haben sie das „II. Vatikanum“, das ja zum Teil sogar ihr „Baby“ war, voll und ganz bejaht und es ausdrücklich zur Aufgabe ihres jeweiligen Pontifikats gemacht, dessen Revolution umzusetzen und die neue, menschengemachte Kirche ins Werk zu setzen.
Sicherlich waren sie im Stil und im Charakter, in ihren Akzentsetzungen und einzelnen Aufgabenstellungen verschieden, das ist gar keine Frage. Aber in ihrer Festlegung auf das „II. Vatikanum“ und die dadurch „erneuerte“ Kirche waren sie sich ganz und gar einig, und da gab es bei keinem auch nur das geringste Zögern oder Schwanken. Mag auch ein Benedikt XVI. mehr um „Kontinuität“ bemüht gewesen sein, so dachte auch er nicht einen Augenblick nur im mindesten daran, das „II. Vatikanum“ und seine Errungenschaften in Frage zu stellen, im Gegenteil. Er wollte sie durch seine Maßnahmen gerade festigen und auch jenen schmackhaft machen, die bisher noch deren Gegner waren – was ihm ja auch zum guten Teil gelungen ist.
Wo also hätte auch nur einer dieser Päpste sich als Haupt der katholischen Kirche gezeigt? Er hätte sich dazu in Widerspruch zur „konziliaren Kirche“, ihren Grundlagen und Einrichtungen setzen müssen. Ein bloßes Einfügen mancher katholischer Elemente in den „konziliaren“ Kontext genügt nicht. Bekanntlich enthält jeder Irrtum stets wenigstens ein Körnchen Wahrheit, aber die Wahrheit verträgt auch nicht ein Fünklein Irrtum. Um ein Beispiel zu nennen: Es reicht eben nicht, daß ein Papst neben der „neuen“ auch die „alte“ Messe zuläßt, um sich als Haupt der katholischen Kirche zu erweisen. Um katholischer Papst zu sein, müßte er die „neue Messe“ ganz und gar zurückweisen und verurteilen. Und welcher der "konziliaren Päpste" hätte dies jemals, auch nur vorübergehend, getan?
6. Es bleibt also dabei. Katholische Kirche und „konziliare Kirche“ sind und bleiben unversöhnliche Gegensätze, und darum kann kein „konziliarer Papst“ beanspruchen, Haupt der katholischen Kirche zu sein und den Gehorsam der Katholiken verlangen. Nur ein Papst, welcher der „konziliaren Kirche“ und ihren Einrichtungen vollständig widersagt, kann sich wahrhaft Stellvertreter Christi und sichtbares Oberhaupt Seiner heiligen und makellosen Braut und Kirche auf Erden nennen, und ihm werden alle wahren Katholiken mit Freuden gehorchen und ihre Herzen öffnen. Wann aber werden wir wieder einen solchen Papst begrüßen dürfen? Gott allein weiß es. An uns ist es zu beten, zu seufzen, zu schweigen – und geduldig zu warten.