Der Sophist hatte einst schwer zu kämpfen gegen einige „rigoristische“ Priester, die nicht zulassen wollten, daß „Novus Ordo-Priester“ in ihren Kapellen die Messe feierten. Auch wenn diese in diesem Fall die „alte“ Messe zelebrierten, so feierten sie doch gewöhnlich die „neue“ und teilten dabei auch die Handkommunion aus; einen solchen Priester könne man nicht bei sich zelebrieren lassen, sagten die „Rigoristen“. Außerdem sei gar nicht sicher, ob diese „Priester“ überhaupt gültig geweiht seien.
Oho, da war der Sophist aber ganz anderer Meinung! Erstens müsse man wohl diesen Priestern zugestehen, daß auch sie ihren Weg erst finden müßten, wie denn auch der Liebe Gott über so manches – auch bei uns! – hinwegsehe, um uns an das gewünschte Ziel zu führen. „Auch unser Weg“, rief der Sophist voll Güte, „verlief nicht bruchlos und ohne Umwege; man muß tolerant sein.“ Zweitens bestehe gar kein Zweifel an der Gültigkeit der modernen Weihen, wie eine Studie von Dominikanern unlängst erst erwiesen habe. Eine gelehrte Gegenstudie mit schwerwiegenden Argumenten, welche die „Rigoristen“ ins Feld führten, ließ er nicht gelten, denn ihr Autor sei nicht ernstzunehmen. Seien auch bisweilen modern geweihte Priester bedingungsweise im alten Ritus nachgeweiht worden, so sei dies nur aus pastoralen Gründen geschehen, um pathologisch überängstliche Gläubige zu beruhigen.
Der von den „Rigoristen“ ins Feld geführte Tutiorismus, wonach bei Sakramenten streng auf deren Gültigkeit zu achten ist und jeder Zweifel daran möglichst ausgeschlossen sein muß, betreffe nur die NOM-Priester selbst. Diese seien zum Tutiorismus verpflichtet, nicht der Priester, der sie bei sich die Messe lesen lasse. Auch wenn in diesem Fall die Gefahr bestünde, daß auf dem Altar Götzendienst stattfinde, indem eine nicht konsekrierte Hostie göttliche Verehrung erfahre – nun, sei's drum, auch bei manchen Ehen könne man nicht zweifelsfrei sicher sein, ob nicht etwa ein Konkubinat vorliege. Zudem würden die Seminaristen in den modernen Seminaren zunehmend wieder beginnen, Soutane zu tragen und Rosenkranz zu beten. Somit sei eher wieder mit einer zunehmenden Zahl gültiger Messen zu rechnen als mit einer abnehmenden. Kurzum, jeder Priester mit Zelebret sei zur Zelebration der Messe zuzulassen, unter der Bedingung freilich, daß er die „alte“ Messe feiere; für die Feier der „neuen“ müsse er anderswo hingehen. Ausgeschlossen seien jedoch in jedem Fall ehemalige Mitbrüder, „die sich von uns getrennt haben“. Solche seien für immer in Acht und Bann. Also sprach der Sophist, sprach's und war zufrieden.
Indes meldete der Hausmeister dem Sophisten, der bestellte Monteur sei da, die Gasheizung zu richten. Jedoch habe er den Mann gleich erkannt, da er sein Bild in der Zeitung gesehen habe: er sei ein gesuchter Brandstifter. „Nun denn“, erläuterte der Sophist voll Milde, „wer von uns ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein! Man muß tolerant sein und dem guten Mann Gelegenheit geben, seinen Weg zu finden. Wenn er nun vom Brandstifter zum Heizungsmonteur wurde, wer von uns wollte darüber richten und nicht vielmehr froh und dankbar dafür sein und ihn in jeder Hinsicht dabei unterstützen?“ „Ja, aber“, entgegnete der Hausmeister verdutzt, „wenn er doch gar kein Heizungsmonteur ist!“ „Eine Studie hat unlängst gezeigt“, erwiderte ungerührt der Sophist, „daß die Resozialisierung der Brandstifter ganz ausgezeichnet ist! Warum sollte er also nicht inzwischen ein Heizungsmonteur sein?“ „Aber, aber... der Zeitungsbericht!“ „Der Journalist ist ein nicht ernstzunehmender Dummkopf!“ „Ja, aber sollte man nicht doch lieber nachfragen...“ „Wenn Sie das nötig haben – ich habe es nicht nötig!“ „Und wenn er nun doch kein Heizungsmonteur ist?“ „Das ist sein Bier, das hat er zu verantworten, nicht wir.“ „Und wie sollen wir sicher sein, daß er nicht das Haus in die Luft sprengt statt die Heizung zu reparieren?“ „Wie sollen wir sicher sein, daß uns nicht im nächsten Augenblick ein Flugzeug auf den Kopf fällt oder ein Stück Müll aus dem All? Nun hören Sie schon auf mit Ihren lächerlichen Bedenken! Wenn jemand mit dem Wagen einer Heizungsfirma kommt, ist er ein Heizungsmonteur und darf bei uns die Heizung reparieren. Punktum. Überdies tragen die Monteure wieder zunehmend ihre blauen Anzüge und den Werkzeugkoffer in der Hand, gerade wie dieser da, werden also immer professioneller. Also herein mit ihm! Nur ist ihm einzuschärfen, daß er lediglich hier ist, die Heizung zu reparieren. Zum Herumzündeln muß er anderswo hingehen.“
Widerstrebend ließ der Hausmeister den vermeintlichen Monteur herein, der sich sofort in den Keller an die Arbeit begab. Unterdessen eilte der Heizungsbauer herbei, welcher die Anlage ursprünglich errichtet hatte, dann aber vom Sophisten entlassen worden war, weil er frecherweise behauptet hatte, vom Heizungsbau mehr zu verstehen als der Sophist selbst. „Was wollen Sie hier?“ herrschte er Sophist den Mann an. „Ist hier eben ein Kerl in blauer Montur hereingekommen, um angeblich die Heizung zu reparieren?“ „Allerdings! Der Monteur ist eben gekommen und tut seine Arbeit!“ „Schnell, lassen Sie mich hinein! Der Mann ist ein Betrüger und ein gefährlicher Brandstifter! Lassen Sie mich zum Gashahn, bevor es zu spät ist!“ „Halt!“ bremste der Sophist, „Sie kommen mir hier nicht mehr herein! Ich habe Ihnen gekündigt, wie Sie wissen. Sie haben mir einmal widersprochen, das reicht. Mit Ihnen bin ich fertig!“ „Ja, aber...“ „Nichts da. Schauen Sie, daß sie weiterkommen, sonst rufe ich die Polizei und lasse Ihnen Beine machen!“
Es half alles nichts, der Heizungsbauer mußte unverrichteter Dinge wieder abziehen. Aus sicherer Entfernung vernahm er einen riesigen Knall und zuckte nur die Achseln. Der Sophist jedoch saß zufrieden auf seiner Wolke und blickte auf den gewaltigen Krater, der einst sein Haus gewesen war. Er hatte tapfer widerstanden. Er hatte Toleranz geübt und sich nicht von pathologischer Angst überwältigen lassen. Er hatte einem Brandstifter eine Chance gegeben!