Der Sophist befand sich in einem südeuropäischen Land auf Vortragsreise, mitten in einem außerordentlich bedeutenden Feldzug gegen die „Sedisvakantisten“, welche in der Kirche so viel Unheil anrichteten und gar seine eigene Gefolgschaft „spalteten“. „Eine Kirche ohne Papst gibt es nicht“, so sein alles erschlagendes Argument, das er sich zurechtgelegt hatte und mit welchem er jenen Bösewichtern endgültig den Garaus machen würde, zumal er dies unwiderleglich beweisen konnte. Erstens nämlich, pflegte er seinen gebannt lauschenden Zuhörern stets einzubleuen, sei die Kirche definitionsgemäß eine „societas perfecta“, eine „vollkommene Gesellschaft“, und als solche müsse sie stets alle für sie notwendigen Mittel haben, also auch einen Papst. Und zweitens hatte er sogar eine für seine Zwecke passend erscheinende Konzilsstelle gefunden aus dem (I.) Vatikanum, welche besagt, daß „der selige Petrus im Primat über die gesamte Kirche fortdauernd Nachfolger hat“ - das „fortdauernd“ vom Sophisten sorgfältig unterstrichen. Somit hatte er den unfehlbaren Lehramtsbeweis, „daß es eine Kirche ohne Papst nicht gibt und geben kann“.
Zufrieden lehnte er sich auf dem Beifahrersitz zurück und blickte um sich. Sie standen mit ihrem Wagen eben an einer roten Ampel. Als es endlich grün wurde, drückte sein Chauffeur, ein Seminarist, auf das Gas, doch das Auto bewegte sich nicht. „Was ist los?“ fragte der Sophist, „es ist grün. Warum fahren Sie nicht?“ „Ja, ich weiß auch nicht“, stotterte der Chauffeur, „ich trete aufs Gas, aber das Auto rührt sich nicht. Irgendetwas ist nicht in Ordnung.“ „Was soll nicht in Ordnung sein?“ tönte der Sophist, „eben ist das Auto noch gefahren, also fahren Sie weiter!“ „Aber es geht nicht!“ „Der Motor läuft, der Gang ist eingelegt, warum also sollte das Auto nicht fahren?“ „Ich weiß ja auch nicht.“ Der verwirrte Seminarist stieg endlich aus, um nachzusehen, während sich der Sophist verärgert in sein Brevier vertiefte.
Die Ursache ihrer Unbeweglichkeit war schnell festgestellt: Ihren kurzen Aufenthalt an der roten Ampel hatte eine spezialisierte Diebesbande hinterrücks ausgenutzt, um dem Wagen die Räder abzumontieren und diese zwecks Weiterverkauf mitzunehmen. Nun stand er aufgebockt und hilflos mit seinen blanken Achsen auf Ziegelsteinen da und konnte daher naturgemäß keinen Meter mehr vor- oder zurückrollen.
Sofort machte der Chauffeur dem Sophisten Meldung: „Das Auto hat keine Räder mehr.“ „Unsinn!“ entgegnete ärgerlich der Sophist, „ein Auto ohne Räder gibt es nicht.“ „Aber wenn ich es Ihnen doch sage, irgendjemand muß die Räder abmontiert haben.“ „Reden Sie nicht, fahren Sie!“ „Aber es geht doch nicht ohne Räder.“ „Hören Sie! Ein Automobil ist nach Definition ein sich auf Rädern fortbewegendes Gefährt mit Motor. Also hat ein Auto auch Räder, sonst wäre es kein Auto. Also fahren Sie!“ „Ja, aber in diesem Fall hat das Auto tatsächlich keine Räder, weil sie irgendwer gestohlen hat.“ „Schweigen Sie! In den Fahrzeugdokumenten dieses Wagens steht ausdrücklich, daß er über vier Räder mit Luftreifen verfügt. Also fahren Sie!“ „Äh, wenn Sie vielleicht selbst aussteigen und nachsehen wollen, Herr...“ Dem Sophisten wurde es nun doch allmählich zu bunt: „Ich habe Ihnen doch eben bewiesen, daß es ein Auto ohne Räder nicht gibt und nicht geben kann. Nun fahren Sie endlich weiter! Wir kommen ja zu spät zum nächsten Vortrag!“
Dem armen Seminaristen half alles nichts. Der Sophist blieb bei seinem synthetischen Urteil a priori, und er blieb auch dann noch auf seinem Beifahrersitz, als man das Auto mit einem Kran auf den Abschleppwagen beförderte und irgendwo auf einem Schrottplatz abstellte. Der Seminarist fuhr mit dem Zug nach Hause, der Sophist aber verharrte im Wagen und bei seiner unschlagbaren Argumentation, die er auch heute noch jedem zuruft, der zufällig einmal vorbeikommt, und sei es ein Fuchs oder ein Hase: „Ein Auto ohne Räder gibt es nicht!“