Die Apostasie, der Abfall von Gott, führt naturgemäß im „freien Fall“ ins Bodenlose. Da die auf dem „II. Vatikanum“ in die Welt getretene „Menschenmachwerkskirche“ eine apostatische „Kirche“ ist, muß sie darin notwendig immer weiter und schneller voranschreiten. „Traditionalisten“ und „Konservative“ sprechen in diesem Zusammenhang von der „Selbstzerstörung der Kirche“ und wollen diese aufhalten oder doch wenigstens verlangsamen. Das ist letztlich ein sinnloses Unterfangen, und sie machen sich damit nur zu Helfershelfern oder zu einem Feigenblatt der Apostasie. Modernisten sehen da klarer, einen noch besseren Blick haben oft Atheisten, so wie im folgenden.
Die „Mission“ des Yves Congar
Am 4. Februar 1964 hatte Yves Congar in Bezug auf die „erbärmliche ultramontane Ekklesiologie“, für welche „diese einflußreiche Kongregation, wo Schwachköpfe [dieser Ausdruck war damals schon beleidigend, zog aber noch keine morgendliche Hausdurchsuchung nach sich] wie Pizzardo, Staffa und Romeo das Sagen haben“, verantwortlich ist, notiert: „Meine Arbeit ist bei ihnen unerwünscht, weil sie, und dies verstehen sie gut, zum Ziel hat, einige Ideen in Umlauf zu bringen, die sie seit 400 Jahren, aber vornehmlich in den letzten 100 Jahren zu beseitigen versucht haben. Doch dies ist meine Berufung und mein Dienst im Namen des Evangeliums und der Tradition.“
An pseudoprophetischem Sendungsbewußtsein hat es den modernistischen „Schwachköpfen“ noch nie gefehlt. Jedenfalls kann niemand angesichts eines solch klaren Bekenntnisses behaupten, Yves Congar und seine Bundesgenossen wären keine Überzeugungstäter gewesen. Nein, eiskalt werden sie die Irrlehren der letzten 400 Jahre dem leider gar nicht staunenden Publikum der „Konzilsväter“ als Notwendigkeit der modernen Zeit und als neueste Erkenntnisse der Wissenschaft präsentieren. Congar und seine Gefolgsleute haben ganz genau gewußt, was es gemäß ihren Auftraggebern zu zerstören galt. Und sie haben zudem ganz genau gewußt, daß nunmehr der Erfolg ihrer Zerstörungsarbeit garantiert war, denn Roncalli und später natürlich auch Montini standen felsenfest hinter ihnen. In allen entscheidenden Situationen werden die „Konzilspäpste“ in der Folge tatsächlich den Revolutionären beispringen und zum Sieg verhelfen – wie geplant, waren sie doch Eingeschleuste und darum Wissende.
Die „Mündigkeit“ der Konzilsväter
Um die „Mündigkeit“ der Konzilsväter ein klein wenig zu dokumentieren, bringen wir eine Anekdote aus dem Leben von Fulton Sheen. Der Bischof war einer Kommission zur Vorbereitung des Konzils zugeteilt worden. Mehrere Mitglieder wollten unbedingt „ein Kapitel über den Tourismus ins Konzil einbringen“. Sheen konnte mit derlei Ideen nichts anfangen. „Um mich zu überzeugen, brachte der Kardinal, der den Vorsitz hatte, eines Tages eine Liste der Reden mit, die Pius XI. während seines Pontifikats gehalten hatte. Er wies darauf hin, daß er viermal zu Touristengruppen gesprochen hatte, und wenn der Papst ein solches Thema für so wichtig hielt, warum dann nicht auch ich? Am Abend nahm ich eine Übersicht der Ansprachen mit, die der Papst vor anderen Gruppen gehalten hatte, und ich stellte fest, daß er fünfmal zu Urologen gesprochen hatte. Am nächsten Tag argumentierte ich, da der Heilige Vater häufiger zu Urologen als über das Thema des Tourismus gesprochen hatte, müssten wir ein Kapitel über Urologie aufnehmen. Ich bin sicher, daß die vorgetragene Verteidigung der Urologen in lateinischer Sprache einmalig in einem Konzil war.“
Letzteres ist sicherlich wahr und wirft zudem ein ganz besonders Licht auf dieses „Konzil“, dessen Texte von Irrtümern nur so strotzen. Ein eifriger Priester hat darin mindestens 250 irrige Sätze ausfindig gemacht. So etwas wäre schwer möglich gewesen, wenn die vom hl. Offizium erarbeiteten Texte verwendet worden wären, d.h. wenn wenigstens die Vorlagen auf dem Boden der katholischen Theologie gestanden wären. Denn wie jeder weiß, sind die Modernisten sehr erfinderisch darin, Irrlehren in ihre Texte einzubauen. Und zwar so einzubauen, daß die Irrlehren nicht sogleich ins Auge springen. Und wie zudem jeder wissen sollte, ist den allermeisten dieser so überaus mündigen Konzilsväter gar keine Irrlehre mehr ins Auge gesprungen. Sie haben die Texte schließlich alle einfach durchgewunken, weil ihr „Papst“ es so wollte.
Prominente Atheisten sehen mehr als modernistische Bischöfe
Die Falltüre war also geöffnet, die Revolution konnte beginnen, denn nunmehr befand sich alles im freien Fall, nunmehr war alles möglich! In der Einleitung zu seinem 1981 erstmals veröffentlichten Buch „Das Konzil der Buchmacher – Die Zerstörung der Sinnlichkeit – Eine Religionskritik“ bekennt Alfred Lorenzer:
„Dies ist das Buch eines Atheisten, geschrieben für Leser, die zum überwiegenden Teil vermutlich ebenfalls Atheisten sind. Es steht mithin in jener Tradition der Aufklärung, die vom Voltaireschen Ruf: »Rottet sie aus – die Infame!« über die – differenzierende – Feststellung von Marx:
»Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elendes und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volkes.«
bis zur Gegenwart führt in der Hoffnung, die Sigmund Freud in »Zukunft einer Illusion« so formuliert hat:
Wenn der Mensch »seine Erwartungen vom Jenseits abzieht und alle freigewordenen Kräfte auf das irdische Leben konzentriert«, um zu erreichen, »daß das Leben für alle erträglich wird und die Kultur keinen mehr erdrückt, […] dann wird er ohne Bedauern mit einem unserer Unglaubensgenossen sagen können: Den Himmel überlassen wir den Engeln und den Spatzen«.
Diese Tradition liegt wie ein Schatten auf unseren Überlegungen, zumal wenn unsere Kritik der gegenwärtigen Verhältnisse die Frage nach den Bedürfnissen der Menschen, ihrem bedürfnisgeleiteten Denken und Handeln einbezieht.
(Alfred Lorenzer, Das Konzil der Buchmacher, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1984, S. 9)
Das Buch soll also ausdrücklich die Kritik eines Atheisten sein, der sozusagen von außen die Geschehnisse während und nach dem sog. 2. Vatikanum religionskritisch analysieren will. Dabei gehört Alfred Lorenzer zu der Sorte von Atheisten, die der katholischen Kirche zumindest auch gesellschaftsbildende Leistungen zuerkennt, ja ihr bei der Sozialisation unserer Kultur sogar eine Dominanz zubilligt. Diesem Schatten der atheistischen Tradition fügt Alfred Lorenzer zwei einschränkende, oder man könnte auch sagen, den Blickwinkel erweiternde Bemerkungen an:
Schon Marcuse gab, ausdrücklich gegen Freuds Schrift »Die Zukunft einer Illusion« gerichtet, zu bedenken:
»Wo die Religion weiterhin das kompromißlose Streben nach Frieden und Glück bewahrt, haben ihre ‚Illusionen‘ doch einen höheren Wahrheitsgehalt als die Wissenschaft, die an der Ausschaltung dieser Ziele arbeitet. Der verdrängte und umgeformte Inhalt der Religion kann nicht dadurch befreit werden, daß man ihn der wissenschaftlichen Haltung ausliefert.«
(Ebd.)
Man ist immer wieder überrascht, daß Denker wie Herbert Marcuse, einer der wohl prominentesten Vertreter der sog. Frankfurter Schule, einen besseren Blick auf die Sache haben als die dem Modernismus verfallenen Bischöfe. Hätte man beim sog. „Konzil“ das bedacht, was Marcuse wußte – „Der verdrängte und umgeformte Inhalt der Religion kann nicht dadurch befreit werden, daß man ihn der wissenschaftlichen Haltung ausliefert.“ –, wäre man schon einmal nicht so weit gefallen.
Hätte man darüber hinaus sich noch andere Einsichten dieses marxistischen Denkers zueigen gemacht, dann hätte man sicherlich einen anderen Kurs eingeschlagen und das im kirchlichen Bereich erreicht, was Marcuse bei aller Anstrengung im politischen nicht erreichen konnte, nämlich eine wahre Restauration.
Die universale Toleranz gegenüber der technokratischen Welt
In seinem Aufsatz „Der eindimensionale Mensch“ gibt Marcuse zu bedenken:
„Die Toleranz des positiven Denkens ist aufgezwungen – nicht von irgendeiner terroristischen Agentur, sondern von der überwältigenden, anonymen Macht und Wirksamkeit der technologischen Gesellschaft. Als solche durchdringt sie das allgemeine Bewußtsein – und das des Kritikers. Die Aufsaugung des Negativen durchs Positive wird bestätigt in der täglichen Erfahrung, die den Unterschied zwischen rationaler Erscheinung und irrationaler Wirklichkeit verschwimmen läßt.“
Dasselbe gilt für die moderne religiöse Toleranz, die man Religionsfreiheit nennt. Denn jede Religion, die sich selber ernst nimmt, erhebt einen Anspruch auf Wahrheit. Marcuse sieht ganz richtig, der hinter dieser Toleranz stehende Sieg ist teuer erkauft: Die Aufsaugung des Negativen durchs Positive wird bestätigt in der täglichen Erfahrung, die den Unterschied zwischen rationaler Erscheinung und irrationaler Wirklichkeit verschwimmen läßt. Freilich müssen wir als Katholiken den zweiten Begriff ändern und übernatürliche Wirklichkeit schreiben. Wir erleben es seit Jahrzehnten, daß es wahr ist: Durch das Aggiornamento – die universale Toleranz gegenüber dieser technokratischen Welt – wird tatsächlich jeder Unterschied zwischen rationalisierten Erscheinungen und der übernatürlichen Welt Gottes und der Gnade nicht nur verschwimmen, sondern regelrecht verschwinden. Das Übernatürliche wird sozusagen vom Natürlichen aufgesaugt und dadurch vernichtet.
Diesem Zersetzungsprozess fühlt Herbert Marcuse in seiner Schrift noch weiter auf den Zahn, wenn er zudem feststellt:
„Die Industriegesellschaft besitzt die Mittel, das Metaphysische ins Physische zu überführen, das Innere ins Äußere, die Abenteuer des Geistes in Abenteuer der Technik. Die schrecklichen Redeweisen (und Realitäten) von »Seeleningenieuren«, »head shrinkers«, «wissenschaftlicher Betriebsführung«, »Konsumwissenschaft« umreißen (in erbärmlicher Form) die fortschreitende Rationalisierung des Irrationalen, des »Spirituellen« – die Absage an die idealistische Kultur. Freilich würde die Vollendung der technologischen Rationalität, indem sie Ideologie in Wirklichkeit übersetzt, auch über die materialistische Antithese zu dieser Kultur hinausgehen. Denn die Übersetzung der Werte in Bedürfnisse ist der doppelte Prozeß: 1. der materiellen Befriedigung (Materialisierung der Freiheit) und 2. der freien Entwicklung der Bedürfnisse auf der Basis der Befriedigung (nichtrepressive Sublimierung). In diesem Prozeß erfährt das Verhältnis von materiellen und geistigen Anlagen und Bedürfnissen eine grundlegende Änderung. Das freie Spiel von Denken und Einbildungskraft nimmt bei der Verwirklichung eines befriedeten Daseins von Mensch und Natur eine rationale und leitende Funktion an. Und die Ideen der Gerechtigkeit, Freiheit und Humanität werden dann auf dem einzigen Boden zu einer Wahrheit und Sache des guten Gewissens, auf dem sie überhaupt Wahrheit sein und ein gutes Gewissen haben könnten – als Befriedigung der materiellen Bedürfnisse des Menschen, als die vernünftige Organisation des Reichs der Notwendigkeit.“
Wenn man demgegenüber die primitive Fortschrittsgläubigkeit der Herren „Konzilsväter“ auf dem sog. 2. Vatikanum sieht, kann man sich nur schämen. Was für ein gewaltiger Absturz ins geistige Nirwana angesichts dieser modernen Welt der „wissenschaftlichen“ Diesseitigkeit. Und eine solche Naivität findet sich bei Leuten, die „Geistliche“, also „Geistesmänner“ sein sollten. Es ist kaum zu fassen, aber leider dennoch ganz und gar wahr – es war ein „Konzil“ der Buchhalter, bzw. der Insolvenzverwalter oder besser noch Insolvenzverschlepper, denn man verkündete ja dem leider nicht erstaunten Publikum angesichts des drohenden Untergangs ein neues Pfingsten!
Alfred Lorenzer führt noch einen weiteren Denker an, der gleichfalls eine scharfe Gesellschaftskritik übte, von der man einiges hätte lernen können.
Die Auslieferung der Religion an die „Wissenschaft“
Das Verhängnis, die Problematik der Religion »der wissenschaftlichen Haltung« auszuliefern, verdichtet sich unheilvoll dort, wo in arroganter Attitüde der eigene Standpunkt verallgemeinert wird. Und mißachtet wird, was Nietzsche schon vor einem Jahrhundert denen, die sich von Aberglauben, Religion und Metaphysik befreiten, entgegenhielt:
»Die eine, gewiß sehr hohe Stufe der Bildung ist erreicht, wenn der Mensch über abergläubische und religiöse Begriffe und Ängste hinauskommt und zum Beispiel nicht mehr an die lieben Englein oder die Erbsünde glaubt, auch vom Heil der Seele zu reden verlernt hat; ist er auf dieser Stufe der Befreiung, so hat er auch noch mit höchster Anspannung seiner Besonnenheit die Metaphysik zu überwinden. Dann aber ist eine rückläufige Bewegung nötig: er muß die historische Berechtigung, ebenso die Psychologische in solchen Vorstellungen begreifen, er muß erkennen, wie die größte Förderung der Menschheit von dort her gekommen sei und wie man sich, ohne eine solche rückläufige Bewegung, der besten Ergebnisse der bisherigen Menschheit berauben würde.«
(Ebd. S. 9 f.)
Wenn man Friedrich Nietzsche liest, sollte man sich immer vergegenwärtigen, daß dieser Mann im Wahnsinn endete. Vielleicht war er im tiefsten Herzen zu ehrlich, seinen Nihilismus als Wahrheit gelten zu lassen. Jedenfalls ist er nicht über die abergläubischen Ängste dieser modernen Welt hinausgekommen, weil er den wahren Glauben verwarf. Und es ist nun einmal nicht so, daß der Mensch sich ohne Schaden von den hl. Engeln und der Lehre von der Erbsünde befreien kann, nicht ohne dadurch in den tiefsten Aberglauben der Verzweiflung zu verfallen. Und wenn dieser Mensch zudem mit dem Himmel auch noch die Metaphysik überwunden hat, dann kann er zwar versuchen sich einzureden, daß es ihm nichts ausmacht, wenn er morgen tot ist, aber dieser Versuch wird spätestens dann gescheitert sein, wenn er tatsächlich im Sterben liegt. Nun, Nietzsche verzweifelte vorher und verfiel dem Wahnsinn.
Der Pessimist Nietzsche hat in seiner Verzweiflung dennoch richtig gesehen, daß „die größte Förderung der Menschheit von dort her gekommen sei“, nämlich von der Metaphysik und vom göttlichen Offenbarungsglauben. Anstatt diese „rückläufige Bewegung“ zu überdenken, haben sich die Väter dieses seltsamen „Konzils“ in die Arme des Zeitgeistes geworfen. Nein, sie haben dadurch der Menschheit keinen Dienst erwiesen, sondern „der besten Ergebnisse der bisherigen Menschheit“ beraubt.
Atheisten (aner)kennen die katholische Kirche als „Sozialisationsinstitution unserer Kultur“
Hierzu erklärt Alfred Lorenzer:
»Psychologische Berechtigung«, das verweist darauf, daß die Kirche bisher eine der großen Sozialisationsinstitutionen unserer Kultur war, eine Sozialisationsinstitution von so erheblicher Bedeutung, daß ihr Zerfall unserer schärfsten Aufmerksamkeit bedarf: ohne Rachsucht (falls wir uns der Verdüsterungen unserer Jugend erinnern) und nicht bloß aus wissenschaftlichem Interesse (immerhin ist das Gebiet der nachinfantilen, überfamilialen Sozialisationsprozesse ein weithin unerforschtes Terrain unseres Wissens), sondern auch aus politischer Betroffenheit, wobei es freilich jenen Aufklärungshochmut, jenen »intellektuellen Ethnozentrismus« zu überwinden gilt, der sich nicht klarmachen will, daß unsere Zukunft vielleicht weniger von uns abhängt, als von den Millionen Menschen, die ihr Bewußtsein noch innerhalb der kirchlichen Lebensform organisieren.
(Ebd. S. 10)
Während ein Atheist anerkennt, daß die Kirche „bisher eine der großen Sozialisationsinstitutionen unserer Kultur war“, ließen sich die Katholiken immer mehr vom Gespenst der Ghettobildung in die Enge treiben. Anstatt das übernatürliche Fundament zu stärken und alle von Gott geschenkten Gnadenmittel wieder neu zu entdecken und eifriger zu gebrauchen, erwartete man von der Annäherung an die Welt geistige Impulse und neuen missionarischen Eifer. Was für ein Wahnsinn! Anstatt die Falltüre zuzunageln, hat man sie entriegelt und sperrangelweit aufgerissen. Die Masse der Menschen wurde haltlos. Von dieser neuen Menschenmachwerkskirche her konnte sie ihr Bewußtsein nicht mehr katholisch organisieren, denn die kirchlichen Lebensformen zerbrachen in rasendem Tempo.
Alfred Lorenzer erklärt weiter:
Die »innere Transzendenz« des Menschen, die Verankerung seines Erlebens, Denkens und Handelns im »Jenseits vom Rationalen« ist in den religiösen Mythen sinnlich angemessener aufbewahrt als in den metapsychologischen Konstruktionen der Psychoanalyse. Die kritische Erschließung dieser Mythen aber kann Psychoanalyse allein nicht leisten. Psychoanalytische Theorie selbst muß für diese gesellschaftskritische Aufgabe in historisch-materialistischer Perspektive lesbar gemacht werden, um aus dem bloß negativen Begreifen des Unbewußten als Unbewußtem, als dem »Jenseits vom Bewußtsein« herauszukommen, ohne dem ersatzreligiösen Irrationalismus eines kollektiven Unbewußten a la C. G. Jung zu verfallen. Das Unbewußte muß als gesellschaftlich hergestellt erkannt werden. Es muß deutlich gemacht werden, wie die Elemente des Unbewußten schon unterhalb der Sprache kollektiv organisiert werden und wie diese Organisierung bislang wesentlich von der Kirche besorgt wurde. Die Bestimmung der Religion als »sinnliches Symbolsystem der nicht sprach-unterworfenen Sehnsüchte und Wünsche«, als die der Ideologie gegenüber andere Seite, ist die Argumentationsbasis, von der her überhaupt erst einsichtig gemacht werden kann, weshalb der Zentralpunkt unserer Kritik die Liturgiereform ist. Erst dann wird klar, worauf unsere Auseinandersetzung letzten Endes zielt: auf die Aufhebung von atheistischer Phantasielosigkeit und theistischem Mythenkonkretismus. Die Kritik an der Phantasiezerstörung, dieser kontraemanzipatorischen Unterwerfungsgeste des Konzils unters schlechte Bestehende, ist ein erster Schritt auf diesem Wege.
(Ebd. S. 11 f.)
In dem Sammelsurium moderner Begrifflichkeit spielt das Unbewußte und Unterbewußte eine bedeutende Rolle. Sie gehören zum irrationalen Repertoire des modernen Denkens schlechthin. Ein Katholik wird diesen Begriffen die Unwissenheit und Sünde entgegenhalten, um das Gemeinte zu verdeutlichen. Ohne die Hilfe der göttlichen Wahrheit gerät der Mensch schnell und eigentlich unvermeidlich in verschiedene Verdrängungskomplexe, will er doch die Wahrheit nicht wahr-haben, d.h. aber die Wirklichkeit als solche nicht akzeptieren. Die sich aus dieser Wirklichkeitsverweigerung ergebenden, unvermeidlichen Fehlerklärungen drängen den Ungläubigen in die Enge. Da er sich gerade das nicht eingestehen will, sucht er verzweifelt nach allen möglichen und unmöglichen Ersatzerklärungen. Wobei ihm die moderne Wissenschaft eifrig zur Seite springt.
„Theistischer Mythenkonkretismus“
Dem hätte die Kirche ruhig, wohl überlegt, aber auch mit mutigem Vertrauen und beharrlichem Einsatz aller Kräfte entgegenwirken müssen. Das Gegenteil hat man gemacht, man hat gemeint, mit einem „theistischem Mythenkonkretismus“ der atheistischen Welt entgegentreten zu können, die sich ihrerseits in eine lähmende „Phantasielosigkeit“ stürzte.
Am Beispiel der Liturgiereform zeigt Alfred Lorenzer die Katastrophe auf, die darauf folgte. Dabei macht er einleitend eine wichtige Bemerkung, die sich die Traditionalisten hätten hinter die Ohren schreiben sollen:
Im übrigen darf die Kritik am II. Vatikanischen Konzil nicht als religiöser Rettungsversuch mißverstanden werden. Ganz abgesehen davon, daß jeder derartige Versuch von außerhalb keine Chance haben kann, ist die Kirche auch als präsentatives Symbolsystem — was das heißt soll im Verlauf der Darstellung verdeutlicht werden — geschichtlich überholt. Rituale, die einmal zerstört wurden, lassen sich so wenig restaurieren, wie Getötete durch Zuspruch wieder zum Leben erweckt werden können. Zweifellos führt im Guten kein Weg hinter das II. Vatikanische Konzil zurück.
Doch nochmals: Es besteht kein Grund zu Erleichterung und hämischer Schadenfreude. Noch ist nicht absehbar, welche Organisationsformen sich im Widerstand gegen jene Anpassung entwickeln können, der die Kirche im II. Vatikanum auf so peinlich-elende Weise erlegen ist.
(Ebd. S. 12)
Schluß folgt