Zum Oktavtag des heiligen Joseph

Joseph oboedientissime, ora pro nobis. – Gehorsamster Joseph, bitte für uns.“ So lautet eine der Anrufungen der Litanei zum heiligen Joseph. Der vollkommene Gehorsam war eine der hervorragendsten Tugenden dieses großen Heiligen, der es verdiente, Bräutigam der Gottesmutter, Pflegevater des göttlichen Sohnes und Schutzherr der heiligen Kirche zu werden.

Die Tugend des Gehorsams

Was ist so Besonderes an der Tugend des Gehorsams, die sogar der menschgewordene Sohn Gottes üben wollte, Er, der Herr des Himmels und der Erde? Wir schlagen den Katechismus auf und wollen zunächst klären, was die Tugend des Gehorsams überhaupt sei. „Gehorsam ist, wer Gottes wegen gerne bereit ist, die Befehle seiner Vorgesetzten zu erfüllen“, belehrt uns Spirago in seinem „Volkskatechismus“ (S. 483) und gibt dazu folgende Erklärung: „Der Gehorsam besteht also nicht etwa darin, daß man überhaupt tut, was befohlen wird, sondern daß man auch gern bereit ist, das zu tun, was befohlen wird. (h. Vinz. F.) Mancher tut zwar, was befohlen ist, doch er tut es ungern. Ein solcher Gehorsam ist keine Tugend, weil er umgeben ist mit dem Schleier der Bosheit. (h. Ig. L.)“ (ebd.). Darum werden schon die Kinder im Beichtspiegel angeleitet zu prüfen, ob sie „gerne, geschwind, genau“ gefolgt haben und nicht einfach nur irgendwie. Der Akzent liegt auf „gerne“, wobei „geschwind“ und „genau“ als Parameter dazu gehören und der Gradmesser sind, wie „gerne“ jemand tatsächlich gehorcht.

Spirago bringt in seiner „Beispielsammlung“ die Begebenheit eines Mädchens, das von seiner Mutter ein wunderschönes neues Kleid geschenkt bekam, das sie noch im Beisein des Schneiders, der es angefertigt und geliefert hatte, sofort anprobierte. Entzückt betrachtete sie sich im Spiegel, und alle waren höchst angetan von dem prächtigen Kleid. Die Mutter wollte, nachdem sie die Rechnung bezahlt hatte, dem Schneider noch ein Glas Wein kredenzen und schickte die Tochter ins Nebenzimmer, wo der Wein stand, um ein Glas davon einzuschenken. „Aber zünde zuvor ein Licht an“, hatte sie der Tochter noch eingeschärft, denn es war bereits dunkel. Das schien dem Mädchen eine überflüssige und lästige Maßnahme (zumal zur damaligen Zeit das Lichtanzünden nicht mit dem Umlegen eines Schalters getan hat). Sie wußte ohnehin, wo die Flasche und die Gläser standen, also tastete sie sich zum Tisch, goß ein Glas ein und brachte es dem Schneider. Dieser setzte zum Trinken an und spuckte sogleich alles wieder aus. Das Mädchen hatte statt Wein Tinte in das Glas gegossen. Die Tinte ergoß sich auf ihr neues Kleid, und es war ruiniert. Und das nur deshalb, weil sie den Befehl der Mutter nicht „genau“ ausgeführt hatte (und daher auch nicht „gerne“). „Auch die ersten Eltern haben sich durch ihren Ungehorsam das Kleid der Unschuld beschmutzt“, merkt Spirago vielsagend an.

Die zweite Anekdote ist die des Prinz Louis, eines Sohnes des französischen Königs Napoleon III., der bequem war und dazu neigte, die Dinge gerne hinauszuschieben. Immer, wenn man ihn rief, so kam die Antwort: „Nur noch 10 Minuten!“ Er selber aber kam nicht. Eines Tages befand er sich im Feld bei einem Krieg in Afrika. Er war mit einer Abteilung Soldaten dem Heer vorausgeritten. Unterwegs machten sie Halt, um ein wenig im Gras auszuruhen. Als dann der Befehl kam, wieder weiterzureiten, „gehorchten alle bis auf den Prinzen Louis Napoleon“. „‚Nur noch zehn Minuten!‘ rief er aus und blieb ruhig liegen.“ Gleich darauf stürmte eine Horde feindlicher Kräfte hervor. Die Soldaten, die bereits aufgesessen waren, ritten eiligst davon, Louis aber „fiel den Feinden in die Hände und wurde von ihnen mit Speeren durchbohrt“. Die Sache hat sich im Jahr 1879 zugetragen. Sein Fehler war es, nicht „geschwind“ zu gehorchen, also auch nicht „gerne“. Somit war er ungehorsam. Spirago gibt wieder die „Moral von der Geschicht’“: „So ergeht es ungehorsamen Menschen. Über sie bekommt der böse Feinde Gewalt, weshalb sie oft ein schlechtes Ende nehmen.“

Gehorsam nur mit „Rücksicht auf Gott“

Doch nicht allein, wie der Gehorsam zu üben ist, nämlich „gerne, geschwind, genau“ macht die Tugend aus. „Auch ist die Tugend des Gehorsams nur dann vorhanden, wenn man sich mit Rücksicht auf Gott dem Willen eines anderen unterwirft. (h. Humbert)“ (ebd.). Spirago nennt hier den Patriarchen Abraham, der „bei der Opferung seines Sohnes Isaak ein Muster des Gehorsams“ war (1 Mos 22). Doch wir haben ein noch höheres Vorbild: „Sogar der Sohn Gottes war gehorsam. Er war zweien Menschen, Maria und Josef, untertan. (Luk. 2, 51) Der Schöpfer des Himmels war einem Handwerker, der Gott der ewigen Herrlichkeit einer armen Jungfrau unterworfen. Wer hat jemals so etwas gehört? Wer hat etwas Ähnliches gesehen? (h. Bern.)“ Ja, welch ein staunenswerter Gehorsam, welch staunenswerte Demut! „Da Jesus dem Josef unterworfen war, also ein Größerer dem Geringeren, wollte er zeigen, daß auch ein Geringerer dem Besseren vorgesetzt sein kann, und daß der Untergebene besser sein kann als sein Vorgesetzter. (Orig.)“ Für uns ist das eine wichtige Lehre. Denn wie oft kommt es vor, daß der Untergebene gescheiter, tugendhafter, klüger ist als sein Vorgesetzter. Und dennoch sollen wir gehorchen, weil wir nicht dem Menschen gehorchen, sondern Gott.

Man hätte auch den heiligen Joseph selber als Beispiel für vollkommenen Gehorsam anführen können. Wie folgte er doch „gerne, geschwind, genau“, als der Engel ihm erschien und befahl: „Steh auf, nimm das Kind und seine Mutter, und fliehe nach Ägypten, und bleibe allda, bis ich es dir sage“ (Mt 2, 13). Was tat der heilige Joseph? „Da stand er auf, nahm das Kind und seine Mutter des Nachts, und zog hinweg nach Ägypten“ (V. 14). Er wartete nicht „noch zehn Minuten“, und er überlegte nicht, ob Ägypten nicht doch allzu weit sei. Ebenso als der Engel ihm abermals nach dem Tod des Herodes in Ägypten erschien, um ihm zu sagen: „Steh auf, nimm das Kind und seine Mutter, und zieh in das Land Israel“ (V. 20). Wieder hören wir: „Da stand er auf, nahm das Kind und seine Mutter, und kam in das Land Israel“ (V. 21). Noch bewundernswerter ist vielleicht der Gehorsam, den er dem Befehl des Kaisers Augustus leistete, als dieser angeordnet hatte, „daß der ganze Erdkreis aufgeschrieben werde“ (Lk 2, 1). „Da zog auch Joseph von Galiläa, aus der Stadt Nazareth, hinauf nach Judäa in die Stadt Davids, welche Bethlehem heißt, weil er aus dem Hause und Geschlechte Davids war“ (V. 4). Der heilige Joseph war selber aus königlichem Geblüt, er war über den Sohn Gottes und Seine heiligste Mutter gesetzt, an Tugend und Weisheit übertraf er den Kaiser himmelweit. Und doch folgte er sofort diesem Befehl, denn er wußte, daß es der Wille Gottes war.

Gehorsam bis zum Tod am Kreuze

Das unerreichte Vorbild des Gehorsams aber bleibt der Heiland selber. „Auch war Christus seinem himmlischen Vater gehorsam bis zum Tode am Kreuze“ (ebd.). In der Karwoche und erneut am Fest der Kreuzauffindung, dem 3. Mai, erinnert uns die Kirche immer wieder daran: „Er erniedrigte sich selbst, indem er gehorsam ward bis zum Tode, ja, zum Tode am Kreuze“ (Phil 2, 8). „Noch am Ölberge sprach er: ‚Vater, nicht mein, sondern dein Wille geschehe!‘ Durch den Gehorsam des einen sind viele zu Gerechten gemacht worden. (Röm. 5,19) Gehorsam war auch Gottes Sohn, der herrschet auf dem Himmelthron.“ Der heilige Paulus lehrt: „Denn wie durch den Ungehorsam des einen Menschen die vielen zu Sündern geworden sind, so werden auch durch den Gehorsam des einen die vielen zu Gerechten gemacht werden“ (Rö 5, 19). Die Sünde unserer Stammeltern, die uns das Übel der Erbsünde bescherte, war eine Sünde des Ungehorsams. Die Erlösung Christi bestand in einem unendlich kostbaren Akt des heroischsten Gehorsams.

Das scheint uns ein sehr wesentlicher Punkt zu sein. Ohne Gehorsam gibt es keine Erlösung. Deshalb hat der Heiland Seinem Mystischen Leib, der Kirche, welche Sein Erlösungswerk fortsetzen sollte, eine strikte Gehorsamsstruktur verliehen, die so grundsätzlich ist für das ewige Heil, daß Papst Bonifaz VIII. zusammenfassen konnte: „Wir erklären, sagen und definieren nun aber, daß es für jedes menschliche Geschöpf unbedingt notwendig zum Heil ist, dem Römischen Bischof unterworfen zu sein” (DH 875). Der Heiland schildert uns die Kirche im Bild einer Schafherde, die ihren Hirten folgt. „Wer euch hört, hört mich“, sagt Er zu den Aposteln und ihren Nachfolgern, „und wer euch verachtet, verachtet mich; wer aber mich verachtet, verachtet den, der mich gesandt hat“ (Lk 10, 16). Wer der Kirche gehorsam ist, erlangt das ewige Leben, wer ihr nicht folgt, geht für immer verloren.

Wem und wie zu gehorchen ist

Spirago erklärt nun genauer, wem und wie der Gehorsam zu leisten ist. „Es haben zu gehorchen: Die Kinder ihren Eltern und deren Stellvertretern, die Frauen ihren Männern, die Dienstboten ihren Herrschaften, alle aber ihren geistlichen und weltlichen Vorgesetzten“ (ebd.). Er gibt dazu folgende Erläuterung: „Um die Geschöpfe zur harmonischen Einheit zu verbinden, hat sie Gott in ein gewisses Abhängigkeitsverhältnis zu einander gesetzt. Es dreht sich daher der Mond um die Erde, und die Planeten um die weit größere Sonne. Ein ähnliches Verhältnis ist sowohl unter den Engeln, als auch unter den Menschen.“ Bekanntlich hat alles Übel damit begonnen, daß zuerst unter den Engeln der Ungehorsam ausbrach mit dem „Non serviam“ Luzifers. „Ohne Gehorsam wäre keine Ordnung, weder in der Familie noch im Staate.“ Genau darum geht es allen revolutionären Kräften, die Ordnung aufzulösen durch Unterminierung des Gehorsams. Das beginnt in der Familie und setzt sich im Staat fort.

„Insbesondere hat Gott im 4. Gebot Gottes befohlen, daß Kinder ihren Eltern gehorchen. Den Eltern gebührt Gehorsam, weil sie die Stellvertreter Gottes sind.“ Diese Stellung der Eltern ist bereits in der Natur begründet, denn die Eltern sind es, die – nach Gott – dem Kind das Leben schenken. Die Eltern können ihrerseits Stellvertreter haben, zu denen etwa Lehrer gehören. „Frauen sollen ihren Männern gehorchen.“ Das ist heute reichlich unpopulär, doch: „So ordnete es Gott an. Man denke an die Worte Gottes zur gefallenen Eva im Paradiese: ‚Du sollst unter der Gewalt des Mannes sein, und er wird über dich herrschen.‘ (1. Mos. 3, 16).“ Allerdings fügt Spirago gleich hinzu: „Der Mann soll aber der Frau gegenüber seinen Befehlen die Form des Wunsches geben, da ihm die Frau ebenbürtig und nicht selten in mancher Hinsicht überlegen ist“ (S. 483-484). [So wie auch der „frauenfeindliche“ heilige Paulus im Epheserbrief, wo er die Frauen auffordert, sie „seien ihren Männern untertan wie dem Herrn“ (Eph 5, 22), gleich darauf die Männer ermahnt: „Ihr Männer! Liebet eure Frauen, so wie auch Christus die Kirche geliebt hat und sich selbst für sie hingegeben hat“ (V. 25). Der Grund für beides liegt in der Ebenbildlichkeit des Verhältnisses von Mann und Frau mit Christus und der Kirche: „Denn der Mann ist das Haupt der Frau, wie Christus das Haupt der Kirche ist; er, der Erlöser seines Leibes“ (V. 22).]

Die Sache ist diffizil und einigermaßen heikel, vor allem seit der Feminismus alle Maßstäbe hinweggefegt hat. Der heilige Thomas von Aquin weist darauf hin, daß Gott die Frau aus der Rippe des Mannes, also aus seiner Seite geschaffen hat, nicht aus seinem Haupt und nicht aus seinen Füßen. Das bedeute, daß die Frau nicht die Sklavin des Mannes sei aber auch nicht seine Herrin, sondern seine Gefährtin, lateinisch „socia“. Dennoch hat Gott im Sinne der Ordnung, die nach einem einigenden Prinzip verlangt, dem Mann einen gewissen Vorrang gegeben. Der Mann hat die letzte Entscheidung, trägt aber auch die letzte Verantwortung. Deshalb sagen die Väter und Theologen, daß es nicht die Sünde Evas war, welche die Erbsünde über uns brachte, sondern erst die Sünde Adams. Durch den Sündenfall ist, wie vieles andere auch, das Verhältnis zwischen Mann und Frau getrübt und verzerrt worden. Gott hat es zugelassen als Strafe und als Buße, daß die Frau seither unter der Herrschaft des Mannes zu seufzen hat. Das konnte nur die Religion bessern, wie die Kirche vielfach bewiesen hat. Der Feminismus war dazu nicht in der Lage.

Der heilige Joseph ist auch hier das beste Vorbild. Nur wer gehorchen kann, kann auch befehlen. Er, der so gehorsam war, wäre nie auf die Idee gekommen, seine heiligste Braut anders als „auf Händen zu tragen“, und doch übernahm er selbstverständlich das Kommando, als er den Auftrag bekam – der an ihn erging und nicht an die Muttergottes –, mit Mutter und Kind nach Ägypten zu fliehen – nicht um über Mutter und Kind zu herrschen, sondern ihnen zu dienen. Die Muttergottes wiederum folgte den Anweisungen ihres heiligen Bräutigams ohne Zögern oder Widerrede, in vollkommenem Gehorsam, der nicht zuerst ihrem Gatten galt, sondern Gott.

Geistliche und weltliche Vorgesetzte

Da Dienstboten einigermaßen aus der Mode gekommen sind, lassen wir diesen Abschnitt beiseite und gehen gleich zum „Gehorsam gegen die geistlichen Vorgesetzten“ über. Diesen „gebietet Christus, da er sagt: ‚Wer die Kirche nicht hört, der sei dir wie ein Heide und öffentlicher Sünder.‘ (Matth. 18, 17) Weil die Christen den geistlichen Vorgesetzten zu gehorchen haben, so nennt er sie Schafe, die Vorgesetzten selbst aber Hirten“ (S. 484). In diesem Bild liegt ein tiefer Gehalt und eine wichtige Bedeutung. Man hat oft der Kirche vorgeworfen, sie behandle die Gläubigen wie „dumme Schafe“. Darum aber geht es nicht. Die Kirche ist der Schafstall Christi, des Guten Hirten, der von sich selber sagt: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater, außer durch mich“ (Joh 14, 6). Es gibt keinen anderen Weg zum Vater, keinen anderen Weg zum himmlischen Leben als den, dem Guten Hirten zu folgen, indem wir in Seinen Schafstall eintreten, um uns von Ihm führen und weiden zu lassen. Unser Ziel ist ein übernatürliches, unser Weg ein übernatürlicher, und niemand kann ihn uns weisen und beschreiten lassen als Christus allein. Nur im vertrauensvollen Gehorsam gegen Ihn und Seine heilige Kirche werden wir die Seligkeit erlangen. Das liegt gewissermaßen in der Natur der Dinge, so wie Gott sie eingerichtet hat. Übrigens gilt das für die geistlichen Vorgesetzten ebenso wie für die Laien, denn im Hinblick auf Christus sind auch die Hirten Schafe und müssen sich von Ihm leiten lassen.

„Den weltlichen Vorgesetzten sollen wir gehorchen, weil diese ihre Gewalt von Gott haben. Der h. Paulus sagt: ‚Es gibt keine Gewalt außer von Gott; und die, welche besteht, ist von Gott angeordnet, Wer sich demnach der obrigkeitlichen Gewalt widersetzt, der widersetzt sich der Anordnung Gottes.‘ (Röm. 13, 1) Man denke ferner an die Worte Jesu zu Pilatus: ‚Du hättest keine Macht über mich, wenn sie dir nicht von oben herab gegeben wäre‘ (Joh. 19, 11)“ (ebd.). Deshalb hielt sich der heilige Joseph an den Befehl des heidnischen Kaisers, und der Heiland ließ sich widerstandslos hinrichten aufgrund eines ungerechten Urteilsspruchs des römischen Statthalters. Beide erkannten darin die Anordnung Gottes. Auch die staatliche Obrigkeit ist von Gott eingesetzt, und doch gibt es bedeutende Unterschiede zwischen der weltlichen und der geistlichen Autorität, wie wir gleich sehen werden.

Grenzen des Gehorsams

Spirago weist uns nun darauf hin, daß der Gehorsam „gewisse Grenzen“ hat: „wir brauchen nämlich unseren Vorgesetzten in solchen Dingen nicht zu gehorchen, in denen wir ihnen nicht unterworfen sind; ja wir dürfen ihnen nicht gehorchen, wenn sie etwas befehlen, was von Gott verboten ist“ (ebd.). Der Katechismus führt dazu aus: „So z.B. sind die Eltern nicht berechtigt, ihr Kind zu einem Berufe zu zwingen, zu dem es keine Lust hat.“ Als Beispiel hören wir vom heiligen Franziskus, der nach dem Willen seines Vaters für das „Handelsgeschäft“ bestimmt war, jedoch in sich „den Drang nach höherer Vollkommenheit“ fühlte und dem „Rufe der Gnade Gottes“ folgte. Ebenso haben die Eltern nicht das Recht, ihre Kinder in einen bestimmten Stand zu zwingen, sei es der Ehestand, sei es der Ordensstand, sei es der Priesterstand. „Auch hört die Pflicht des Gehorsams gegen die Eltern auf, wenn die Kinder schon selbständig und den Eltern nicht mehr unterworfen sind.“ Nur Gottes Autorität ist unbegrenzt, jede menschliche Autorität hat naturgemäß ihre Grenzen und beschränkt sich auf den Bereich, den Gott ihr zugewiesen hat.

Insbesondere gilt daher: „Wir dürfen unseren Vorgesetzten nicht gehorchen, wenn sie etwas befehlen, was von Gott verboten ist. Es gelten hier die Worte der hl. Apostel, denen der Hohe Rat das Predigen verboten hatte: ‚Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen.‘ (Apost. 5, 29)“ (ebd.). Dies ist sicherlich ein bedeutender Punkt, denn allzu viele haben sich schon aus einer Freveltat herauszureden versucht mit der Begründung, sie hätten lediglich einen Befehl befolgt. Andererseits muß man sehr sorgfältig darin sein, denn angesichts der Neigung unserer gefallenen Natur, sich vom Gehorsam zu dispensieren, sind wir nur allzu leicht bereit, die Befehle der Vorgesetzten beiseitezusetzen, weil sie angeblich ihre Grenzen überschritten oder etwas befohlen hätten, was Gott verboten hat.

Gehorsam gegen den Papst

Besondere Aufmerksamkeit verdient hier der geistliche Bereich. Bekanntlich sind es die gängigen „Argumente“ der Tradis für ihren Widerstand und Ungehorsam gegen den von ihnen als solchen anerkannten „Papst“, daß sie sagen, man müsse diesem nur in den Grenzen seiner Autorität folgen – die sie dann mit seiner Unfehlbarkeit gleichsetzen, um diese wiederum sogleich sehr eng zu umschränken – und dürfe namentlich dort nicht folgen, wo er Gott, d.h. der „Tradition“, widerspreche. Hören wir, was der heilige Papst Pius X. in seinem Katechismus dazu sagt:

„Der Papst, der durch Jesus Christus mit der Unfehlbarkeit der Kirche selbst begabt ist, die notwendig ist zur Bewahrung der Einheit und Reinheit der christlichen Lehre, kann, wenn er ex cathedra, d.h. als Hirt und Lehrer aller Christen spricht, in den Dingen des Glaubens und der Sitten diese Dekrete selbst erlassen und diese Urteile selbst fällen, die niemand ohne Irrtum im Glauben zurückweisen kann. Er kann immerzu seine höchste Vollmacht ausüben in dem, was selbst die Disziplin und die gute Regierung der Kirche betrifft; und alle Gläubigen müssen mit aufrichtiger Unterwerfung des Geistes und des Herzens gehorchen. In diesem Gehorsam gegenüber der höchsten Autorität der Kirche und des Papstes, die uns die Glaubenswahrheiten vorlegt, und die Kirchengesetze auferlegt und uns all das, was zu ihrer guten Leitung notwendig ist, anordnet,in dieser Autorität liegt die Richtschnur unseres Glaubens.“ (Hervorhebungen von uns, ebenso im folgenden)

Da in der päpstlichen Autorität die „Richtschnur unseres Glaubens“ liegt, müssen wir „mit aufrichtiger Unterwerfung des Geistes und des Herzens gehorchen“ und können wir uns nicht im Namen des Glaubens (oder der „Tradition“) über den Papst erheben. Über jene, die solches wagen, sagt Papst Pius IX.:

„Wie alle Begünstiger der Häresie und des Schismas rühmen sie sich fälschlich, den alten katholischen Glauben bewahrt zu haben, während sie doch gerade das Hauptfundament des Glaubens und der katholischen Lehre umstürzen. Sie anerkennen sehr wohl in der Schrift und in der Tradition die Quelle der göttlichen Offenbarung; aber sie weigern sich, das allzeit lebendige Lehramt der Kirche zu hören, obwohl es sich doch klar aus der Schrift und Tradition ergibt und von Gott eingesetzt ist als ständiger Hüter der unfehlbaren Darlegung und Erklärung der durch diese Quellen überlieferten Dogmen. Demzufolge erheben sie sich - mit ihrem falschen und beschränkten Wissen, unabhängig und sogar im Gegensatz zur Autorität dieses von Gott eingesetzten Lehramtes,- ihrerseits selbst zu Richtern über die in diesen Quellen der Offenbarung enthaltenen Dogmen. Tun sie denn etwas anderes, wenn sie in bezug auf ein von uns mit der Approbation des hl. Konzils definierten Glaubensdogma leugnen, daß dies eine von Gott geoffenbarte Wahrheit ist, die eine Zustimmung katholischen Glaubens verlangt, ganz einfach deswegen, weil sich dieses Dogma ihrer Ansicht nach nicht in der Schrift und in der Tradition findet?“ (Brief Inter gravissimas vom 28. Oktober 1870 an die Bischofskonferenz von Fulda)  

Darum betont Papst Pius XI. in „Mortalium animos“ noch einmal: „In dieser einen Kirche Christi ist niemand und bleibt niemand, der nicht die Autorität und Vollmacht des Petrus und seiner legitimen Nachfolger durch Gehorsam anerkennt und annimmt“ (AAS 20, 1928, p. 15). Über die Grenzen der päpstlichen Autorität, die von den „Traditionalisten“ möglichst eng gezogen werden, äußert sich Papst Leo XIII. in seiner Enzyklika „Sapientiae Christianae“ wie folgt:

„Was nun die Reichweite dieses Gehorsams angeht, so soll sich niemand einreden, man brauche den Oberhirten der Kirche und besonders dem Römischen Papst nur bezüglich jener Glaubenslehren zu gehorchen, deren hartnäckige Verwerfung das Vergehen des Irrglaubens ausmacht. Ebenso wenig genügt die aufrichtige und feste Zustimmung zu jenen Lehren, die, wenngleich von der Kirche nicht durch feierliches Urteil entschieden, doch von ihrem ordentlichen und allgemeinen Lehramt als göttlich offenbart zu glauben vorgestellt werden, Wahrheiten, von denen das Vatikanische Konzil sagt, man müsse sie mit ‘katholischem und göttlichem Glauben’ festhalten. Die Christenpflicht geht weiter und fordert überdies, daß man sich durch die Autorität der Bischöfe und besonders des Apostolischen Stuhles leiten lasse. Die Zweckmäßigkeit eines solchen Verhaltens ist leicht einzusehen. Der Inhalt der göttlichen Offenbarung betrifft nämlich teils Gott, teils den Menschen selbst und die zu seinem ewigen Heil notwendigen Mittel. Nun ist es aber, wie oben erklärt, nach göttlichem Recht Sache der Kirche und innerhalb derselben des Papstes, darüber Vorschriften zu geben, was uns nach beiden Beziehungen hin obliegt, was wir nämlich zu glauben und was wir zu tun haben.”

Auf den gerne erhobenen Einwand der „Traditionalisten“, sie seien ja gehorsam, nur eben nicht da, wo der Papst von der „Tradition“ abweiche, antwortet „Quae in Patriarchatu“ von Papst Pius IX.: 

„Was soll denn die feierliche Anerkennung des Dogmas in bezug auf den Vorrang des hl. Petrus und seiner Nachfolger? Was sollen denn die häufigen Erklärungen in bezug auf den katholischen Glauben und auf den Gehorsam gegenüber dem apostolischen Stuhl, wenn diesen schönen Worten durch die Taten widersprochen wird? Mehr als das, ist die Auflehnung nicht dadurch unentschuldbar geworden, daß man diesen Gehorsam als eine Pflicht anerkennt? Erstreckt sich denn außerdem die Autorität des apostolischen Stuhles nicht auch auf die Strafmaßnahmen, die wir ergreifen mussten, oder aber genügt es denn, in Glaubenseinheit mit dem apostolischen Stuhl zu stehen ohne die Unterwerfung im Gehorsam, was man nicht behaupten kann, ohne dem katholischen Glauben Abbruch zu tun? Ehrwürdige Brüder und geliebte Söhne, es geht darum, dem apostolischen Stuhl Gehorsam zu leisten oder zu verweigern – es geht darum, seine höchste Autorität selbst über eure Kirchen anzuerkennen, und zwar nicht nur in bezug auf den Glauben, sondern auch in bezug auf die Disziplin: wer diese Autorität leugnet ist häretisch (quam qui negaverit, haereticus est); wer sie anerkennt, ihr aber hartnäckig den Gehorsam verweigert, ist des Anathemas würdig (qui vero agnoverit, eique obedire contumaciter detrectet, anathemate dignus est).“

Das Argument, man müsse Gott mehr gehorchen als den Menschen, kann nicht angewandt werden, wo es um die übernatürliche Autorität des Lehr- und Hirtenamts geht, denn dieser zu gehorchen heißt Gott gehorchen. Wir haben nicht die Möglichkeit, mit unserem natürlichen Verstand die übernatürliche Autorität zu beurteilen, so wie wir eine natürliche Autorität aufgrund der Vernunft beurteilen können, denn durch diese spricht die Vernunft, durch jene aber spricht der Heilige Geist. Deshalb hat Gott die übernatürliche Autorität der Kirche mit einer besonderen Eigenschaft versehen, die wir „Unfehlbarkeit“ nennen. Diese erstreckt sich keineswegs nur auf Dogmen, sondern auch auf Fragen der Disziplin. Deshalb hat Papst Pius VI. in seiner Bulle „Auctorem fidei“ den Satz verurteilt, daß die Kirche, „die durch den Geist Gottes geleitet wird“, eine Disziplin oder „Ordnung“ (dazu gehört auch die Meß-Ordnung) festsetzen könnte, „die nicht nur unnütz ist und lästiger, als es die christliche Freiheit erträgt, sondern sogar gefährlich, schädlich und in Aberglauben und Materialismus führend“ (Dz 1578, DS (DH) 2678) – wie dies die „Traditionalisten“ etwa gerne vom „Novus Ordo“ behaupten.

Die Größe des Gehorsams

Der Gehorsam, den wir den geistlichen Autoritäten, namentlich dem Papst, schulden, ist ein ganz besonderer. Die katholische Kirche ist, so können wir sagen, ganz wesentlich auf diesen Gehorsam gegründet. Leider ist dieser auch bei den Katholiken heute durch den Liberalismus, der seit Jahrhunderten die ganze Gesellschaft mehr und mehr durchdrungen hat, so sehr angegriffen und zerstört, daß kaum einer mehr versteht, was es Großes um den Gehorsam ist. Denn, wie Spirago schreibt: „Der Gehorsam ist die beschwerlichste, aber auch die vortrefflichste unter allen sittlichen Tugenden. (h. Th. Aq.)“ (a.a.O.). Daß der Gehorsam die beschwerlichste aller Tugenden ist, wird jeder aus eigener Erfahrung bestätigen können, der sich je darum bemüht hat. Denn: „Alle Menschen sind von Natur aus geneigt, zu befehlen und abgeneigt zu gehorchen. (h. Fr. S.)“ Durch die Erbsünde ist das noch ärger worden, und die Alte Schlange hat die Menschen durch den Liberalismus darin bestärkt: „Ihr werdet selber sein wie Gott, Gutes und Böses erkennend.“

„Gehorsam ist ein Opfer des eigenen Willens (h. Bonav.) und ein großes Opfer für den Menschen, wenn etwas befohlen wird, was seiner eigenen Neigung und seinem Nutzen zuwider ist. (h. Alf. Rod.)“ Doch gerade darin zeigen wir Gott unsere Hingabe und Liebe. „Gehorsam ist die Buße der Vernunft. (h. Fr. S.) Gehorsam ist ein vornehmes Martertum: denn durch den Gehorsam wird der Mensch gleichsam enthauptet: es wird ihm der Kopf des eigenen Willens weggenommen. (h. Bonav.) Der Gehorsam ist ein freiwilliger Tod. (h. Joh. Cl.)“ (S. 484-485). Wir verstehen, warum die Kirche den Gehorsam so hoch schätzt und so sehr lobt. „Die Erbsünde ist daran schuld, daß die Menschen einander gehorchen müssen“, sagt der heilige Augustinus. Freilich gilt das nur für den knechtlichen Gehorsam, denn: „Wo immer die Sünde Eingang gefunden, hat sie die Freiheit zerstört und dafür die Knechtschaft gebracht. (h. Chrys.)“

Doch ist der Gehorsam „die vortrefflichste aller Tugenden“. Der heilige Thomas von Aquin sagt: „Der Mensch kann dem lieben Gott nichts Größeres geben, als wenn er aus Rücksicht auf Gott seinen Willen dem Willen Gottes unterwirft.“ „Gehorsam ist das größte Brandopfer, das wir Gott auf dem Altare unseres Herzens darbringen. (h. Phil. N.) Gehorsam ist noch besser als Opfer (1. Kön. 15, 23); durch Opfer wird fremdes Fleisch, durch Gehorsam der eigene Wille geschlachtet. (hl. Gr. G.) Durch Gehorsam bringt man nicht etwa eine fremde Gabe, sondern sich selbst zum Opfer. (h. Th. Aq.) Der Gehorsam ist ein Zeichen von Selbstüberwindung und Willensstärke“ (S. 485). Eben das bewundern wir am heiligen Joseph, den wir in der Josephslitanei nicht nur als „Beispiel des Gehorsams“ preisen, sondern unmittelbar davor als „starker Held“„Joseph fortissime, ora pro nobis. Joseph oboedientissime, ora pro nobis.“

Wert des Gehorsams

„Durch Gehorsam erfüllen wir am sichersten den Willen Gottes und gelangen schnell zur größten Vollkommenheit“ (ebd.). Darin liegen seine besonderen Vorzüge. „Unsere Vorgesetzten sind Stellvertreter Gottes, daher sind ihre Befehle Befehlen Gottes gleichzuachten.“ Insbesondere gilt das für die geistlichen Vorgesetzten und namentlich den Papst. „Wir gehorchen also nicht Menschen, sondern Gott. (Eph. 6, 7) Man soll nicht auf die Person achten, die befiehlt, sondern auf den Willen Gottes, der sich durch unsere Vorgesetzten zu erkennen gibt. (h. Fr. Ass.)“ Ein besonderer Vorteil ist dieser: „Wer gehorcht, wird über das, was er getan, keine Rechenschaft zu geben haben; diese muß der Vorgesetzte leisten.“ Außer natürlich, es handelt sich um einen Befehl zur Sünde, wo wir nicht gehorchen dürfen, wie wir oben gesehen haben. „Du wirst nicht gefragt werden, ob das, was dir befohlen worden ist, nützlich war. Denn das geht dich nichts an. Darüber hat sich der Vorgesetzte zu verantworten“, schreibt Rodriguez. Hierher gehört die berühmte und oft erzählte Begebenheit, als ein Oberer dem Bruder Gärtner befahl, die Pflanzen verkehrt herum einzusetzen, also mit der Wurzel nach oben. Der Bruder gehorchte, denn es war zwar Unsinn, aber keine Sünde, und siehe, die Pflanzen gediehen prächtiger als alle anderen.

„Der Gehorsam macht (wie auch das Gelübde) unsere Werke wertvoll vor Gott. Die einfachsten Handlungen, aus Gehorsam verrichtet, haben vor Gott einen größeren Wert, als die strengsten freiwilligen Bußübungen. Wer nämlich bei Verrichtung guter Werke nach seinem eigenen Willen gehandelt hat, hat darin eine gewisse Beruhigung gefunden; wer aber aus Gehorsam gehandelt hat, hat auf seinen Willen verzichtet und dadurch ein großes Opfer gebracht“ (ebd.). Daher auch der Wert der liturgischen Rubriken. Wer sich treu an die Rubriken hält, zelebriert Gott wohlgefälliger als der, welcher seine private Andacht pflegt. „Essen und Schlafen aus Gehorsam ist Gott weit angenehmer als das freiwillige Fasten und Wachen der Einsiedler“, gibt der heilige Franz von Sales zu bedenken. Darum ist das Einhalten der kirchlichen Fastenvorschriften verdienstlicher als jedes eigenmächtige Fasten, und wenn dieses viel strenger wäre als das kirchliche. „Es ist verdienstlicher, einen Strohhalm aus Gehorsam aufzuheben, als zu fasten und sich bis aufs Blut zu geißeln. (Alph. Rod.)“ (ebd.).

Durch Gehorsam zur Vollkommenheit

„Durch Gehorsam gelangen wir sicher und schnell zur größten Vollkommenheit.“ Darum gehört der Gehorsam zu den „evangelischen Räten“ und begründet in Form eines Gelübdes den „Stand der Vollkommenheit“ der Ordensleute. „Durch Gehorsam werden die Sünden verhütet (h. Gr. G.)“, er ist „das Gegengift gegen den Stolz (h. Alb. Gr.)“. „Hat man aber den Stolz überwunden, so hat man alle Sündern überwunden.“ „Durch Ausübung der anderen Tugenden bekämpfen wir die bösen Geister, durch den Gehorsam besiegen wir sie“, bestätigt der heilige Gregor der Große und fügt hinzu, es sei „billig, daß die, welche gehorchen, über die Versuchungen der Hölle triumphieren“, denn „durch Gehorsam machen sie sich den bösen Geistern überlegen, die durch Ungehorsam gefallen sind“. Deshalb fürchtet der Teufel den Gehorsam so sehr und bekämpft ihn mit allen Mitteln.

„Gehorsam ist die größte Tugend, die Mutter und der Ursprung aller Tugenden“, preist der heilige Augustinus. „Kein Weg führt schneller auf den Gipfel der Vollkommenheit, als der Weg des Gehorsams; daher wendet der böse Geist alle Mittel an, um uns von dieser Tugend abzubringen. (h. Ther.) Gehorsam ist der gerade Weg, um schnell zur Vollkommenheit zu gelangen. (h. Phil. N.) Der Gehorsam ist der Schlüssel, der den Himmel öffnet (h. Bonav.); das Schiff, worin man in den Hafen des ewigen Heils gelangt. (h. Bernardin) Der Ungehorsam hat den Himmel verschlossen und die Hölle geöffnet; der Gehorsam hinwieder öffnet den Himmel und schließt die Hölle. (Patiß)“ Wir erkennen darin den „Schlüssel des Abgrundes“, mit welchem der Engel in der Apokalypse des heiligen Johannes den „Abgrund“ über dem gefesselten Satan „verschloß und versiegelte“, „daß er die Völker nicht mehr verführe“, wie er es immer durch den Ungehorsam getan, „bis die tausend Jahre vollendet sind“ (Off 20, 3). „Der gehorsame Mann wird den Sieg erringen“, verkündet kurz und bündig die Heilige Schrift (Spr 21, 28).

Der vollkommene Gehorsam

Der „vollkommene Gehorsam“, wie ihn die „evangelischen Räte“ empfehlen, ist daher eines der vortrefflichsten Mittel zur Vollkommenheit. Unter diesem vollkommenen Gehorsam verstehen wir „die gänzliche Unterwerfung seines Willens unter einen Oberen“ (Spirago S. 516). Dieser unterscheidet sich vom „christlichen Gehorsam, d.i. zum Gehorsam gegen geistliche und weltliche Vorgesetzte“, zu dem „jedermann verpflichtet“ ist. „Dieser Gehorsam erstreckt sich aber nicht auf alle Handlungen. Denn trotz dieses Gehorsams haben wir noch viele Freiheit. Die geistliche Obrigkeit verlangt z.B. nur die Anhörung der Messe an Sonn- und Feiertagen, den Empfang der hl. Sakramente zur österlichen Zeit usw.; sie überläßt es dagegen unserer Freiheit, in welcher Kirche und zu welcher Stunde wir unserer Verpflichtung nachkommen wollen.“ Leider gibt es immer wieder Priester, aber auch Gläubige, die den christlichen Gehorsam allzu eng aufgefaßt wissen wollen, und daher z.B. strikte Kleidungsordnungen verhängen oder Verhaltensanweisungen für die Kapelle geben usw. Aber bedenken wir: „Wo der Geist Gottes ist, da ist die Freiheit“ (2 Kor 3, 17).

Das gilt auch für den vollkommenen Gehorsam. Denn durch den vollkommenen Gehorsam verpflichtet man sich zwar, „in allen Stücken zu gehorchen“, die keine Sünde sind, aber man tut es freiwillig. „Dieser freiwillige Gehorsam ist das größte Opfer, das wir Gott bringen können“, bestätigt Spirago. „Wer fastet, Almosen gibt, seine Ehre für Gott dahingibt, schenkt Gott nur einen Teil seiner selbst. Wer ihm aber seinen Willen zum Opfer bringt, der hat nichts mehr, was er schenken könnte; der schenkt Gott alles“, sagt der heilige Alphons. Dennoch ist dieser Gehorsam gegen einen Oberen „nicht unvernünftig oder eines Menschen unwürdig“, wie oft kritisiert wird, denn „der Mensch unterwirft sich ja freiwillig und zwar ein für allemal dem Willen des Oberen“. „Überdies unterwirft er sich einem solchen, der mehr Weisheit und Erfahrung besitzt“, oder jedenfalls besitzen sollte, und „gleicht einem Reisenden, der ohne Widerrede dem bewährten Wegweiser folgt“. Das funktioniert freilich nur, wenn es sich um einen kirchlich bestätigten oder eingesetzten Oberen handelt, da dann die Kirche selber die Verantwortung übernimmt und der „Reisende“ das Ziel erreicht, auch wenn der Obere sich als unwürdig erweisen sollte.

Der heilige Franz von Sales hat für uns noch folgende Ratschläge: „Damit du deinen Vorgesetzten gut gehorchen lernst, so füge dich gerne in die Wünsche deinesgleichen.“ Das macht den Willen gelenkiger. „Auch bringe deinen Untergebenen gegenüber deine Befehle immer in anständiger Form vor.“ Das macht es den Untergebenen leichter zu gehorchen und ist im übrigen nur selbstverständlich.

Der Ungehorsam

Nachdem wir den Gehorsam in seiner nicht zu überschätzenden Wichtigkeit und Größe, seinem Wert und seiner Würde betrachtet haben, müssen wir uns kurz noch dem Ungehorsam zuwenden. Welch ein Übel das entgegengesetzte Laster, der Ungehorsam ist, sehen wir schon an jener Sünde des Ungehorsam, deren sich unsere Stammeltern im Paradies schuldig gemacht haben. „Wer seinen Vorgesetzten nicht gehorcht, gleicht einem gichtbrüchigen Glied, das sich auch auf Befehl des Hauptes nicht bewegt. (h. Bonav.)“ (S. 486). A fortiori gilt das für die Glieder des Mystischen Leibes, der Kirche, die dadurch Gefahr laufen, zu Schismatikern werden und sich vom Leib der Kirche zu trennen.

„Durch Ungehorsam gerät der Mensch ins zeitliche und ewige Elend“, mahnt Spirago. „Durch Ungehorsam wird der Mensch schon auf Erden elend. Man denke nur an die schlimmen Folgen der Erbsünde. Der Ungehorsam des Adam stürzte das ganze Menschengeschlecht ins zeitliche Elend. (Röm. 5, 12 ff)“ (ebd.). In der Heiligen Schrift finden wir unzählige Beispiele für die schlimmen Folgen des Ungehorsams, etwa den König Saul. Spirago weist uns auf einen bedenkenswerten Zusammenhang hin: „Die meisten Kreuzzüge im Mittelalter mißglückten deswegen, weil ein jeder im Heere Offizier sein wollte, d.h. jeder nur befehlen und niemand gehorchen wollte. (Gfrörer) Also auch hier sieht man den Fluch des Ungehorsams. Ein ungehorsamer Mensch hat kein Glück.“

Uns scheint hier der Schlüssel zu liegen, warum der katholische Widerstand so fruchtlos ist und ein Wiederaufbau der Kirche nicht gelingen will. Es fehlt an der Bereitschaft zum Gehorsam. Und das sowohl bei den „Traditionalisten“ als auch bei den „Sedisvakantisten“. Ein jeder will „im Heere Offizier sein“, jeder will „nur befehlen und niemand gehorchen“. Vergleichen wir damit die Jesuiten und was sie Großes geleistet haben im Kampf gegen die „Reformation“ und andere Irrlehren, beim Wiederaufbau und in der Ausbreitung der Kirche. Wie war das möglich? Weil der heilige Ignatius den Jesuitenorden ganz auf den vollkommenen Gehorsam gegründet hatte, insbesondere den Gehorsam gegen den Papst als den Stellvertreter Christi. Täuschen wir uns nicht. Wir werden nichts erreichen, wenn wir nicht wieder lernen, gehorsam zu sein, auch wenn es uns, die wir allesamt Liberale sind, besonders schwer fällt.

Bedenken wir noch die weiteren üblen Folgen des Ungehorsams: „Der Ungehorsame gerät auch ins ewige Elend“, das noch viel schlimmer ist als das zeitliche. „Der Ungehorsame muß sich auf ein strenges Gericht gefaßt machen, weil er, wenn er den Vorgesetzten verachtet, nicht diesen, sondern den verachtet, an dessen Stelle jener gesetzt ist. (h. Aug.)“ (ebd.). Mögen sich das jene vor Augen halten, die ihren Ungehorsam immer damit begründen, der Papst sei ja „NUR“ der Stellvertreter Christi. „Wer euch hört, hört mich, wer euch verachtet, verachtet mich!“ „Wer nicht gehorchen will, der bedarf keines Satans, der ihn versuche, weil er schon selbst ein Satan geworden ist. (Gerson)“ Außerdem: „Der Ungehorsame verliert die Verdienste.“ Denn, wie Blosius sagt: „Keine Tugend gefällt dem Herrn, wenn sie durch den Fehler des Ungehorsams besudelt ist.“ „Jene, welche die schwersten Bußübungen gegen den Gehorsam vornehmen, schreiten viel mehr im Laster, als in der Tugend vor. (h. Joh. v. Kz.)“ (ebd.).

Fazit

Nehmen wir uns das Gesagte zu Herzen und bitten wir an diesem Oktavtag vom Fest des heiligen Joseph, daß er als „Beispiel des Gehorsams“ uns in dieser Tugend unterrichten und uns die Gnade erbitten möge, ihm darin nachzueifern. „Jospeh oboedientissime, ora pro nobis.“